Tierknochenfunde Aus Der Königspfalz Werla – Eine Studie Zum Siedlungsgefüge Des 10. – 12. Jahrhunderts Im Harzvorland Markus C

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Tierknochenfunde Aus Der Königspfalz Werla – Eine Studie Zum Siedlungsgefüge Des 10. – 12. Jahrhunderts Im Harzvorland Markus C Konrad Theiss Verlag Darmstadt Nachrichten aus Niedersachsens Urgeschichte 86, 2017, 61–102 61 Tierknochenfunde aus der Königspfalz Werla – Eine Studie zum Siedlungsgefüge des 10. – 12. Jahrhunderts im Harzvorland Markus C. Blaich und Silke Grefen-Peters Zusammenfassung Ausgehend von der archäozoologischen Untersuchung einer Stichprobe von Tierknochen- funden aus der Pfalz Werla sowie mehrerer zeitgleicher Siedlungen im Nordharzvorland werden Überlegungen zu Versorgung, Funktion und Hierarchie der Siedlungen diskutiert. Insbesondere das Fundmaterial aus Werla ermöglicht Einblicke in die Ernährungsgewohnheiten der in den suburbia der Pfalz arbeitenden Handwerker, bei denen es sich wohl um Sklaven und Hörige aus der familia des Königs gehandelt hat, sowie ihrer Herrschaft. Die Serienvergleiche zeigen sowohl Gemeinsamkeiten als auch Besonderheiten auf und bieten so einen Einblick in das Siedlungsgefüge, der vor allem im Vergleich mit den Ergebnissen der Archäologie weiterführende Perspektiven bietet. Die statistischen Aussagekraft dieser kleinen Stichprobe ist eingeschränkt, liefert jedoch neben Aussagen zu Nahrungsgewohnheiten sowohl der ärmeren als auch der sozial priviligierten Personen zudem Hinweise auf die Nutzung eines Grubenhauses als Ort der Tierkörperzerlegung und vielleicht auch Schlachtung. Schlüsselwörter Niedersachsen, Archäozoologie, Ottonenzeit, Mittelalter, Königspfalz, Tierknochen, Nahrungs- gewohnheiten, Siedlungsstruktur Finds of animal bone from the Royal Palace of Werla - A study on settlement structure in the 10th-12th century in the Harz foreland Abstract On the basis of the archaeozoological examination of a sample of animal bone finds from the Royal Pa- lace of Werla as well as several contemporaneous settlements in the northern Harz foothills, deliberations on the provision, function, and hierarchy of the settlements are discussed. In particular, the sample from Werla provides insights into the dietary habits of the craftsmen working in the suburbia of the Royal Palace, who may have been slaves and servants of the king’s familia, and also their masters. The comparison of the bone series reveal similari- ties as well as peculiarities and thus provide an insight into the settlement structure, which offers further perspec- tives, especially in comparison with the results of the archaeology. The statistical significance of this small sample is limited, but it provides evidence of dietary habits of both the poorer and the socially privileged persons and also indications for the use of a sunken-featured building as a place of carcass butchering and, perhaps, also slaughter. Keywords Lower Saxony, archaeozoology, Ottonian period, Middle Ages, royal palace, animal bones, dietary habits, settlement structure 62 Tierknochenfunde aus der Königspfalz Werla Abb. 1 Die hypothetische Burgenlandschaft des 9. und 10. Jahrhunderts an der mittleren Oker (große Karte) mit den beiden Referenz- orten Süpplingenburg und Werla. Ergänzt sind jene ländlichen Siedlungen, deren archäozoologisches Fundmaterial im Rahmen dieser Vergleichsstudie berücksichtigt wurde (kleine Karte). (GESCHWINDE 2015, 231 Abb. 3 [ingraphis, Kasel]; Ergänzung durch M. C. Blaich). Einleitung und Forschungsstand seine Wirtschaftsweise, sein Siedlungsverhalten oder die Nutzung von natürlichen Ressourcen. Die Die moderne Landschafts- oder Umweltarchäologie geographische, landschaftsbezogene Betrachtungs- zielt darauf ab, die Geschichte einer Region auf al- ebene kann dabei eine lokal-regionale sein, aber len Ebenen des Wechselverhältnisses von Mensch auch eine Mikroregion oder gar eine Makroregion und Umwelt auch im diachronen Vergleich zu unter- umfassen. Diese Skalierung hat zwangsläufig Aus- suchen (vgl. Steuer 2001; Gramsch 2003; Meier wirkungen auf die Ergebnisschärfe, wobei diese 2009; Haupt 2012, bes. 9 – 22; Schreg 2016). Sie Einschränkung durch den Vorteil eines größeren, stellt damit eine Weiterentwicklung der Siedlungs- eventuell allgemein gültigen Betrachtungsrahmens archäologie dar, die – ausgehend von der Struktur wieder ausgeglichen werden kann. untersuchter Siedlungen und den bekannten ar- Aus der Perspektive der Umweltarchäologie ist chäologisch-historischen Elementen – die Voraus- Landschaft von den sie bewohnenden Menschen setzungen menschlichen Handelns in einer Region geprägt, und zugleich bestimmen diese Kulturland- betrachtet. Landschafts- und umweltarchäologische schaftselemente im Gegenzug die Wahrnehmung Analysen untersuchen demnach den Naturraum und Nutzung der Landschaft durch den Menschen. und seine Veränderungen, beispielsweise durch die Auf die Dauer trägt jede Landschaft so in kontinu- natürlichen Klimaveränderungen, aber auch seine ierlicher Abfolge die Spuren der menschlichen Be- Beeinflussung durch den Menschen, sei es durch siedlung, wobei die Relikte vom Leben der älteren Markus C. Blaich und Silke Grefen-Peters 63 Abb. 2 Hierarchie der Orte mit unterschiedlich ausgeprägten zentralörtlichen Funktionen (nach GRINGMUTH-DALLMER 1999, Abb. 1 u. GRIMM 2004, 563 Abb. 4; Grafik: STEUER 2007, 881 Abb. 114). Generationen die gegenwärtige Gestaltung und die mediävistische bzw. toponomastische Überliefe- Nutzung beeinflussen und auf diese Weise sichtbar rung vorhanden. Mit den größeren Untersuchungen bleiben. zur Königspfalz Werla (Blaich / Geschwinde 2012; Eine landschafts- und umweltarchäologische 2015), dem Zentralort Süpplingenburg (Bernatzky / Untersuchung ist zwangsläufig interdisziplinär: Lehnberg 2009) sowie den Wüstungen Parvo Fre- Neben die Archäologie haben andere Kulturwis- den bei Salzgitter (König 2007) und Aldunakkaron senschaften, die Geographie und Bodenkunde so- bei Neu-Büddenstedt (Weber 2010) liegen vier Re- wie die Naturwissenschaften (z. B. Archäobotanik, ferenzpunkte vor, die – ergänzt man sie um die et- Archäozoologie) zu treten. was entferntere Wüstung Edingerode bei Hannover Für eine landschaftsarchäologische Untersu- (Gärtner 2004), die ottonische Domburg Hildes- chung zum 9. bis 12. Jahrhundert bietet das Braun- heim (Kruse 1990; 2016) sowie die Grabungen in schweiger Land bzw. das nördliche Harzvorland – Ohrum (Reese 2004) und Helmstedt (Geschwinde / trotz aller methodischen und quellenbedingten Reese 2010) – eine annähernd gleichmäßige Vertei- Einschränkungen – eine günstige Ausgangslage. lung im geographischen Untersuchungsraum auf- Es sind zahlreiche Siedlungsplätze dieser Zeit be- weisen (Abb. 1)1. Im südlichen Leinetal, und damit kannt und in Ausschnitten archäologisch ergraben worden (Geschwinde 2012; 2015), ergänzend liegt eine Aufnahme der historischen Ortsnamen und 1 Frau Dr. Monika Bernatzky (Landkreis Helmstedt, Kreis- archäologie) und Herrn Dr. Michael Geschwinde (Niedersäch- ihrer Ersterwähnungen (Casemir / Ohainski 1995; sisches Landesamt für Denkmalpflege, Regionalteam Braun- Hellfaier / Last 1976) sowie eine Zusammenfas- schweig) haben durch ihre Bereitschaft, Fundmaterial für un- sung zum bekannten Bestand zeitgleicher Friedhöfe sere Untersuchung bereitzustellen, zu dieser Studie wesentlich beigetragen. Beiden danken wir für ihre Unterstützung herz- (Weber / Blaich 2013) vor. Damit ist ein Überblick lich. Monika Bernatzky gilt auch unser Dank für die Durch- über den archäologischen Quellenbestand sowie sicht des Manuskriptes. 64 Tierknochenfunde aus der Königspfalz Werla Abb. 3 Zentralörtliche Funktionen im Mittelalter (nach DENECKE 1975, 46 Abb. 1 u. GRIMM 2004, 561 Abb. 3b; Grafik:S TEUER 2007, 880 Abb. 113). eigentlich außerhalb des Untersuchungsgebietes, Bereich in Niedersachsen gegeben. Verknüpft man liegt die Burg Plesse. Hier konnten bei einer osteo- die verschiedenen Merkmale bzw. Gliederungssys- logischen Untersuchung gute Einblicke in die Er- teme von H. Denecke (1975), E. Gringmuth-Dallmer nährungsgewohnheiten der hochmittelalterlichen (1999) und O. Grimm (2004), so wären Werla, Süp- Eliten gewonnen werden. Daher werden diese Er- plingenburg und Hildesheim zweifelsohne als Orte gebnisse, trotz der methodischen Vorbehalte2, an der 2. Kategorie („Siedlungen mit mehreren zent- dieser Stelle ebenfalls einbezogen. ralen Funktionen“) einzuschätzen, während Parvo Bezogen auf den Raum zwischen Harzrand im Freden, Aldunakkaron und Edingerode als Orte der Süden und der Aller im Norden bzw. im Osten sowie 3. Kategorie („Siedlungen mit einzelnen zentralen der Leine im Westen sind demnach für die Zeit vom Funktionen“) gelten können. Die ausschnitthafte 9. bis zum 11./12. Jahrhundert alle Abstufungen des archäologische Überlieferung erlaubt für Ohrum früh- bzw. beginnenden hochmittelalterlichen Sied- und Helmstedt nur die Zuordnung zur 4. Kategorie lungswesens bekannt – eine derartig günstige Quel- („selbstgenügsame ländliche Siedlungen“), wobei lenlage ist für kaum einen anderen so großflächigen die Grenze zur höheren 3. Kategorie fließend ist (Abb. 2). Die Orte der 2. Kategorie erfüllen zweifels- 2 Ansatz der Studie war zunächst die regionale und chrono- ohne die Merkmalsgruppen A bis D sowie G und H logische Nähe der berücksichtigten Vergleichsserien. nach H. Denecke, und zwar in mittlerer bis hoher Markus C. Blaich und Silke Grefen-Peters 65 Abstufung. Die Orte der 3. Kategorie weisen zumin- Arbeitskraft für handwerkliche Gewerke, Abga- dest die Merkmalsgruppen G und H auf, ebenfalls ben und landwirtschaftliche Dienstleistungen zur in mittlerer und hoher Intensität. Für die letztge- Verfügung zu stellen hatte, zudem waren teilweise nannten Orte der Kategorie 4 ist die Merkmalsgrup- erhebliche Mengen an Lebensmitteln abzuliefern5. pe H in mittlerer oder niedriger Intensität nachge-
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