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Sylvia Asmus Das besondere Stück – »Immer sehr herzlich, Ihr «

In der Serie »Das besondere Stück« werden beson- Auch in dem hier vorgestellten Brief, der 2019 in die dere Objekte, Archivalien oder Publikationen aus Sammlung des Deutschen Exilarchivs 1933–1945 der Sammlung des Deutschen Exilarchivs 1933– aufgenommen werden konnte, ist das »Emigranten- 1945 vorgestellt. In dieser Ausgabe steht ein Brief buch« erneut Gegenstand. Joseph Roths im Fokus. Der eigenhändige Brief Joseph Roths wurde am 20.06.1937 im Hotel Cosmopolite, Brüssel, verfasst. Joseph Roth (1894–1939), der begnadete Schrift- Wie es für Roth typisch ist, nummerierte er seine steller, dessen Werke bis heute nichts an Aktualität Anliegen in dem Brief durch. Abgabetermine (die eingebüßt haben, lebte ab 1933 zumeist in Paris. der Schriftsteller häufig nicht einhalten konnte), Dort blieb er weiter produktiv, verfasste Romane Vorschusszahlungen (die Roth häufig erbat) und (darunter »Tarabas. Ein Gast auf dieser Erde«, »Die die Schwierigkeit, einander in unübersichtlichen Kapuzinergruft«, »Die Geschichte von der 1002. Zeiten verlässlich zu erreichen, sind die Themen Nacht«), Erzählungen (»Die Legende vom heiligen des Schreibens. Trinker«) sowie journalistische Arbeiten. Für die Platzierung seiner Werke in den USA und in Eng- Hotel Cosmopolite land wurde Barthold Fles (1902–1989) sein Agent. Bruxelles Der in geborene Fles betrieb seit 1925 Am 20. Juni 1937 eine Literaturagentur in den USA. Im März hatte er Joseph Roth ein Exposé für ein »Emigranten- Lieber Herr Fles, buch« geschickt, eine Anthologie, an der neben ich habe Ihnen soeben nach Amsterdam telegra- Roth , Konrad Heiden, Huber- phiert: prière reponse Cosmopolite. Zur Sicherheit, tus Prinz zu Löwenstein, Thomas Mann, Heinrich weil ich annehme, daß Sie sich entweder in London Mann, , Ludwig Marcuse, Rudolf Ol- oder in Amsterdam aufhalten, schreibe ich jetzt den, Anna Seghers, Ernst Toller, und nach London, mit der Bitte um Nachsendung. mitwirken sollten.1 1. Wann müssen Sie spätestens das Kapitel für das Am 30. Mai 1937 bedankte sich Fles in einem Brief Emigrantenbuch haben? bei Joseph Roth für dessen Zusage, einen Beitrag 2. Meine Korrekturen sind Mitte Juli fertig. In- für die Anthologie zu liefern. Allerdings gab Jo- zwischen werde ich vielleicht in Amsterdam seph Roth am 1. Juni 1937 zu bedenken: »Ich habe sein. Gewissensbedenken, an dem Emigrantenbuch als 3. Ich habe Sie nie verantwortlich gemacht für Emigrant mitzuarbeiten – im politischen Sinne Ihre Ausgaben. (›Emigrant‹, alle meine Kameraden sind Preußen, es 4. Wenn Sie mir jetzt gleich 20 Dollar schicken ist, wie wenn ich, der ich noch einen Paß habe und könnten, wäre ich Ihnen herzlich dankbar. Staatsbürgerrechte, mich zu einem Unglück beken- 5. Meinen nach New-York gesandten Brief haben nen würde, das mir nicht zugestoßen ist und dessen Sie hoffentlich erhalten? ich nicht würdig bin. Nur, wenn alle Mitarbeiter 6. Ich bitte Sie herzlich um Antwort hierher. damit einverstanden sind, daß ich als Österreicher mitarbeiten kann, wäre ich dazu gewillt. Alles ande- Immer sehr herzlich, Ihr re scheint mir unfair.«2 Joseph Roth

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volume was written a few weeks before the Hitler invasion of Austria.«4 Das Entstehungsdatum war auch deshalb so bemerkenswert, weil Roth in sei- nem Essay, wie zuvor in dem Brief an Fles, betont hatte: »Ich, der ich noch eine politische Heimat habe, bin stolz darauf, unter den Heimatlosen spre- chen zu dürfen.« Und er schließt mit den Worten »Von einigen süddeutschen – insbesondere bayri- schen oder rheinländischen – Deutschen hört man, daß sie ihre Hoffnung auf das einzige noch frei gebliebene deutsche Land setzen, nämlich Öster- reich. Auf die bleibende Selbständigkeit dieses Lan- des hoffen sie.«5 Die Zeitläufe sollten bald etwas Anderes lehren. Der Brief Joseph Roths schließt an die Sammlung Das besondere Stück: der Brief Joseph Roths an Barthold Fles, 20.06.1937, TNL Barthold Fles im Deutschen Exilar- des Deutschen Exilarchivs 1933–1945 hervorragend chiv 1933–1945, EB 89/021. an. Neben der Akte Joseph Roths im Archiv der Foto: Deutsche Nationalbibliothek, Stephan Jockel American Guild for German Cultural Freedom/ Das »Emigrantenbuch«, zu dem beizutragen Roth Deutsche Akademie im Exil sind Briefe Roths sich offenbar entschlossen hatte, ist letztlich nicht beispielsweise in den Beständen zu Soma Morgen- erschienen. Joseph Roth hatte allerdings einen Text stern und Antonina Valentin überliefert. Besonders für die Anthologie verfasst. Das Manuskript ist im hervorzuheben sind die im Exilarchiv überlieferten Leo Baeck Institut, New York, erhalten.3 Im Deut- Manuskripte Roths: Das handschriftliche Manu- schen Exilarchiv 1933–1945 ist eine von Barthold skript »Das Haus des Herrn Kristianpoller«, ein Fles übersetzte englische Fassung überliefert. »ar- Teil aus Joseph Roths Roman »Tarbas«, sowie das ticle for THE EXILE SPEAKS« hat Fles darauf teils handschriftliche, teils maschinenschriftliche vermerkt. Und »Mr. Roth’s contribution to this Manuskript seines Romans »Beichte eines Mörders.

Anmerkungen

1 S. dazu Madeleine Rietra: Muss man dann immer postwendend Geld senden, um überhaupt mit ihnen verkehren zu können? Joseph Roth und Barthold Fles in Briefen. In: Interbellum und Exil. Hg. Von Sjaak Onderdelinden, Amsterdam; Atlanta, GA, 1991, S. 199–224, hier S. 220–221. 2 Joseph Roth an Barthold Fles, Salzburg, 01.06.1937, zitiert nach Rietra (s. Anm. 1), S. 212. 3 S. dazu Heinz Lunzer: Joseph Roth im Exil in Paris 1933–1939. Wien, 2008, S. 22. 4 Joseph Roth: [Emigration], übersetzt von Barthold Fles, 13 Blatt masch. Durchschlag, Deutsches Exilarchiv, EB 89/21, IV.C.1. 5 Joseph Roth: Werke, Bd. 3., Das journalistische Werk 1929–1939. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Klaus Westermann. Köln, 1991, S. 755–764.

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