„Schnüffler Ohne Nase“ Die Pannen Und Pleiten Des Bundesnachrichtendienstes in Pullach
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DEUTSCHLAND Spionage „Schnüffler ohne Nase“ Die Pannen und Pleiten des Bundesnachrichtendienstes in Pullach as Buch sieht so aus, wie es der Zu- ter strikter Geheimhaltung vereinbarte te. SOUD erweist sich auch heute noch schauer als Requisit eines Staats- elektronische Datenverbund der Spio- alsaußerordentlich nützlich für die Nach- Daktes aus den Fernsehnachrichten nagedienste des sozialistischen Lagers. folger der Kommunisten im Kreml und in kennt. Groß, rot gebunden mit vergol- Von Beginn gehörten ihm die Staats- anderen Ländern des untergegangenen deten Zierleisten. Das Siegel aus dun- sicherheitsorgane der Sowjetunion, Bul- Sozialismus. kelrotem Lack auf der letzten Seite ist gariens, Ungarns, Polens, der Tschecho- Im Abkommen von 1977, das von 1979 auf zwei schwarzrotgoldene Kordeln ge- slowakei, der Mongolei, Kubas und, tra- an in der Praxis verwirklicht und 1985 druckt – doch es sind nicht die Bonner ditionell an vorderster Front im Krieg präzisiert wurde, verpflichteten sich Farben. der Agenten, der DDR an. Später schal- die „vertragschließenden Seiten“, dem Es war die andere deutsche Republik, tete sich noch Vietnam dazu. SOUD „vorhandene Informationen über die auf dem Papier ein zwischenstaatli- Anlaß für dieses wohl umfassendste den Gegner in möglichst vollem Umfang ches Abkommen besiegelte. Der Ver- Unternehmen in der Geschichte der zurVerfügungzustellen“. Neben demIn- merk „streng geheim“ auf jeder Seite Spionage, eine Art östlicher Agenten- itiator des Unternehmens, dem sowjeti- war so wirksam, daß es noch viele Jahre Interpol, waren die für 1980 an Moskau schen KGB, wardabei kein Dienst so em- später in der Drucksache 12/991 des vergebenen Olympischen Spiele. Sie sigwie die ostdeutsche Stasi, für die Erich Deutschen Bundestages – Antwort auf sollten durch eine möglichst lückenlose Mielke am 17. November 1979 als zweiter eine Anfrage der Abgeordneten von Datenspeicherung „feindlicher ausländi- Sicherheitschef des Blocks unterschrieb, Bündnis 90/Die Grünen – heißt: „Bisher scher Kräfte“ abgesichert werden. und deren Spionageabteilung Hauptver- ist über die Existenz und die Arbeitswei- Für Olympia lohnte der Aufwand waltung Aufklärung (HVA). se von SOUD fast nichts bekannt.“ nicht: Wegen Rußlands Afghanistan-In- Ein Viertel der anfangs auf rund SOUD steht für die russische Abkür- vasion boykottierte der Westen die 300 000 geplanten Personen-Einspeiche- zung des „Systems der gemeinsamen Er- Moskauer Spiele, womit auch das Gros rungen in den SOUD-Computer zwi- fassung von Informationen über den der „feindlichen Kräfte“ ausblieb. schen Ende 1979 und Ende 1989 stamm- Gegner“*. Es ist der Ende 1977 un- SOUD aber wurde trotzdem zum Hit ten allein vom Ministerium für Staatssi- im Spiel der Spione, dazu einer, der das cherheit in Ost-Berlin. Etwa 17 600 der * Soglaschenije o sisteme objedinennowo Ende des Kalten Krieges und den Zu- insgesamt rund 74 800Personendatensät- utschotja dannych o protiwnike. sammenbruch des Ostblocks überdauer- ze, die SOUD dem Bienenfleiß der Stasi verdankt, betreffen die im Vertrag als wichtigste Gruppe klassifizierte Perso- nenkategorie 1: „Mitarbeiter und Agen- ten der gegnerischen Geheimdienste“. Heißt im Klartext: Im Moskauer Zen- tralcomputer, aus dem die befreundeten Dienste jederzeit –inder höchsten Dring- lichkeitsstufe binnen acht Stunden – In- formationen abrufen konnten, sind Tau- sende Beamte und Agenten des BND re- gistriert, weltweit mit Namen, Deckna- Verbündete Mielke (r.), Sowjetmarschall Kulikow (1980); SOUD-Spionagevertrag: Tausende Westagenten gespeichert 40 DER SPIEGEL 17/1995 tätige P. J. vulgo „Bayern-Sepp“, ob Meier Richard Dr., zeitweiliger Spit- zenbeamter des BND und später Verfassungsschutz- chef, der unter dem Decknamen „Dr. Manthey“ wirkte, oder „Dommel“ am köl- schen Rheinufer – alle, die sich uner- kannt im dunkeln wähnten, finden sich in den Stasi-Li- sten wieder, zum Teil sogar mit Gat- tin. „Ehefrau Mari- anne“, heißt es über den BND- Agenten H. H. aus München, „ist ver- mutlich auch im Observationskom- mando tätig“. Auch die Haupt- abteilung III, die besonders erfolg- reiche Funkaufklä- rung des Ministeri- SOUD-Vertragstext (von 1985), DDR-Siegel: Umfassendstes Unternehmen der Spionagegeschichte ums für Staatssi- cherheit, gab ihre men, Adresse, Telefonnummer, persön- dienste waren ja nicht ohne Erfolg hin- reiche Ausbeute größtenteils an SOUD lichen Daten, besonderen Kennzeichen, ter den BND-Spionen her. Das KGB weiter. Typen und Zulassungsnummern ihrer und das Ministerium für Staatssicherheit „Die haben geglaubt“, höhnt ein ehe- Autos. (MfS) in Ost-Berlin konnten über Jahre maliger Stasi-Oberst über die Konkur- Die meisten dieser Agenten wissen Maulwürfe in Pullacher Spitzenpositio- renz aus Pullach, „wir leben in der Stein- bis heute nicht, was ihrer Chefetage nen plazieren, die Zugang zum komplet- zeit, und haben am Telefon alles erzählt, wohlbekannt ist: daß sie seit Jahren ent- ten Personalbestand hatten. richtige Schwätzer.“ tarnt sind. Der entscheidende Teil des Experten gehen davon aus, daß insge- So sei das MfS zu Computer-Disketten Pullacher Dienstes ist für die Osteuro- samt 6800 BND-Spione in den östlichen mit „Zehntausenden abgehörter Telefo- päer aus Glas, mehr als 2200 BND-Mit- Karteien registriert waren – der BND, nate des BND“ gekommen. Der Offizier: arbeiter hat allein die Stasi im SOUD- nur noch eine Lachnummer für die Kon- „Wir kannten Klarnamen, Decknamen, Programm mit Klar- und Decknamen kurrenz. Autokennzeichen und Adressen, einfach gespeichert. Ob P. B. aus dem Hessischen, der ei- alles“, was der BND in der DDR so trieb. Vermutlich ist alles noch viel schlim- nen BMW 735 fährt und auf dem lin- Und die meisten BND-Spione drehte mer. Auch die sozialistischen Bruder- ken Bein hinkt, ob der in der Zentrale die Stasi um: „Fast alle Quellen des BND DDR-Erfassungsliste für SOUD vom November 1989: Bienenfleiß der Stasi DER SPIEGEL 17/1995 41 . DEUTSCHLAND DPA Eingang zur BND-Zentrale in Pullach: Lachnummer für die Konkurrenz haben in Wahrheit für uns gearbeitet.“ schen Moskau und Havanna bis heute Schnüffler ohne Nase“) macht sich seit Der frühere MfS-General Harry Schütt verfügbar. Jahren über die Pullacher lustig. weiß es noch präziser: „90 Prozent aller Wie denn die Persönlichkeitsrechte Unfreiwillig bestätigt ihn Johannes BND-Quellen in der DDR waren in von Deutschen, die im SOUD gespei- Gerster, bis 1994 CDU-Mitglied der Par- Wahrheit Nachrichtenspiele unserer chert sind, geschützt werden könnten, lamentarischen Kommission des Bundes- Abwehr.“ wollten grüne Abgeordnete schon vor tages zur Kontrolle der Geheimdienste: Arbeitssprache für SOUD war Rus- vier Jahren von der Bundesregierung „In der Regel ist der Bundesnachrichten- sisch. Auf Befehl Mielkes (Nr. 11/79, wissen. Sie werde dies prüfen, so die dienst bedeutend harmloser, als die Öf- „an Dokumentenverwaltung zurückzu- Regierung – und sie prüft immer noch. fentlichkeit annimmt.“ senden“) wurde in Ost-Berlin „unter SOUD belegt: Der „Bundesnuklear- Beim Personal schlägt sich das bislang strengster Konspiration und Geheimhal- dienst“, so der neueste Spott über die kaum nieder: Der nach den Gesetzen des tung“ zur Kooperation mit SOUD eine pannengeschädigten Pullacher, taugt Kalten Krieges unmäßig aufgeblähte Ap- spezielle Arbeitsgruppe ZAIG/5 gebil- wohl eher zur Farce, nicht erst seit der parat beschäftigt heute rund 6500 Mitar- det, die alle Erfassungsbelege ins Russi- Plutonium-Posse von München. beiter, mehr als das Auswärtige Amt be- sche übertrug. „Die erdrückende Summe von Pan- soldet. Die Hälfte davon sitzt in der Zen- Gespeichert sind in SOUD nicht nur nen und Pleiten zerstört zugleich die Le- trale in Pullach bei München, einer mit Agenten, sondern auch „Mitglieder zio- gende von der Effektivität und Progno- Mauer und Stacheldraht umgebenen Fe- nistischer, feindlicher Emigranten-, sefähigkeit dieses Nachrichtendienstes, stung von knapp einer dreiviertel Million kirchlicher und anderer Organisationen. zu dessen Desinformationskampagnen Quadratmetern, in der einst Hitlers Stell- Diplomaten der Nato-Mitgliedsländer, immer gezinkte Selbstporträts gehö- vertreter Rudolf Heß residierte. Japans und der VR China, die in den ren“, urteilt der frühere Bundeswehr- Für seine Arbeit, laut Gesetz das Sam- Staaten der sozialistischen Gemein- Offizier und Friedensforscher Erich meln von Informationen aus dem Aus- schaft tätig sind“, Westjournalisten so- Schmidt-Eenboom über den BND. land und deren Auswertung, verschlingt wie Wirtschafts- und Kulturabgesandte Autor Schmidt-Eenboom („Der BND, der Dienst fast eine Milliarde Mark jähr- vom Lufthansa-Reprä- lich, obwohl vier Fünftel sentanten bis zur Goethe- seiner Informationen aus Institut-Mitarbeiterin. offenen Quellen stam- In den Dienstregeln des men, etwa aus Zeitungen, „Arbeitsapparates des Rundfunk und Fernsehen SOUD“ war genau aufge- oder allgemein zugängli- schlüsselt, was über eine chen Druckwerken. Person gespeichert wer- Jeden Dienstag trägt den sollte, vom Mädchen- der Chef im Kanzleramt namen der Mutter über die Wochenlage vor, doch Gestalt und Größe, Au- lange schon hört kein gen- und Haarfarbe, Titel Kanzler den ebenso teu- und Rang, Einkommen, ren wie oft völligbelanglo- Glaubensbekenntnis, sen Erkenntnissen des wenn möglich samt Foto von Helmut Schmidt wie und Handschriftenprobe. Helmut Kohl unisono als Von 2185 Eingaben bei „Dilettantenverein“ be- Funktionsbeginn 1979 spöttelten BND mehr zu. steigerte die Stasi ihren Daß etwa die perua- Input auf 11 171 im Jahr nischen Luftstreitkräfte 1988. Selbst im Wende- acht Hubschrauber