Nie Mehr Fliegen Karrieren Seine Laufbahn Endete 2013 Mit Einem Beispiellosen Absturz
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Nie mehr fliegen Karrieren Seine Laufbahn endete 2013 mit einem beispiellosen Absturz. Seitdem versucht Tim Wiese, seine Vergangenheit zu vergessen. Er wünscht sich ein Leben ohne Fußball. Aber der Fußball holt ihn immer wieder ein. Von Marc Hujer und Rafael Buschmann m Fernsehen läuft Champions League, für seine Muskeln braucht. In seinem Kühl - 120-mal in der Welt gibt, Karbonfaser - Wolfsburg gegen KAA Gent, ein Spiel, schrank hat er noch Hüttenkäse und Ma - karosserie, perlmuttfarben lackiert. Eigent - Idas niemanden in seinem Haus interes - gerquark, in Halbkilopackungen, sein Stan - lich sollte er schon mittags kommen, dann siert, schon gar nicht Tim Wiese selbst. Er dardprogramm für den Abend, aber heute hieß es nachmittags, schließlich abends, wollte eigentlich schon bei Sergio sein, sei - sollte es was Besonderes geben. erst um sechs, dann um sieben, und nun nem Lieblingsitaliener, um ordentlich zu Es ist der Tag, an dem sein neuer Lam - ist es schon nach neun, und sein „Lambo“, Abend zu essen, denn bis jetzt ist er noch borghini geliefert werden soll, ein Sonder - wie er ihn nennt, ist noch immer nicht da. nicht auf die 3000 Kilokalorien gekommen, modell, Aventador LP 700-4, Pirelli Edi - Er nimmt sein iPhone und wählt die die er in der „Fettabbauphase“ pro Tag tion, 450 000 Euro, ein Modell, das es nur Nummer des Transporteurs. 70 DER SPIEGEL 01 / 1/02 Sport Früherer Profi Wiese „Ich war ein Lauch“ Es war eine Zeit, an die er sich heute nicht text pur!“ beworben wird. Es ist eine gern erinnert, seine Fußballvergangenheit. Kolumne, in der es vor allem darum geht, Aber immer wieder holt sie ihn ein. ein bisschen herumzurüpeln und herumzu - Drei Jahre ist es her, dass ihn die kalauern im deutschen Fußballgeschäft, TSG 1899 Hoffenheim in die „Trainings - aber „mit Augenzwinkern“, wie Wiese das gruppe 2“ verbannte, eine Strafeinheit. Ei - nennt. Einmal schrieb er über Felix Wied - nen Exnationalspieler mit 269 Bundesliga - wald, den jungen Werder-Torhüter. Dieser spielen, 6 Länderspielen, eben noch Kapi - sehe aus, „als ob ihm seine Omma eine tän bei Hoffenheim und Spitzenverdiener Milchschnitte eingepackt hat“. Ein anderes mit 3,5 Millionen Euro im Jahr, dann stürz - Mal nannte er Wolfsburgs Manager Klaus te er innerhalb weniger Wochen ab. Er kas - Allofs „Klausi-Mausi“. sierte 27 Tore in 9 Spielen, allein 4 gegen Was er in der nächsten Kolumne schrei - den Viertligisten Berliner AK, 3 gegen den ben soll, weiß er noch nicht. Er habe sich Aufsteiger Greuther Fürth, verlor seinen überlegt, was über Thomas Schaaf zu Stammplatz, trainierte noch ein paar Wo - schreiben, seinen alten Trainer, der jetzt chen vor sich hin, ohne zu spielen. Bis er Hannover 96 trainiert, den Tabellenletzten, wenig später ganz mit dem Fußball aufhör - sagt er. Er habe Schaaf im Fernsehen gese - te, für immer. Er war 31 und hatte bis dahin hen, und Schaaf habe schlimm ausgesehen, nur Fußball gespielt. alt, richtig faltig. „Aber was soll ich über Wiese war ein Hoffnungsträger, ein Tor - ihn schreiben?“, fragt Wiese. „Dass er sich warttalent, aber außer einem Titel im DFB- am besten mal Botox spritzen sollte?“ Es Pokal blieben ihm die großen Erfolge ver - hat sich viel bei ihm angestaut. wehrt. Zweimal verlor er das Pokalfinale, Offiziell ist er noch immer bei Hoffen - zweimal wurde er Vizemeister mit Werder heim beschäftigt, auch knapp drei Jahre Bremen, was nichts anderes ist als das nach seinem Sturz. Er darf kein schlechtes Synonym für den ersten Verlierer. Sonst Wort über den Verein verlieren und für bleiben nur große und kleine Niederlagen, keinen anderen Verein spielen, das ist der Ärger, Verletzungen, Pannen. Seine zwei Preis für die vielen Millionen Euro, die er Kreuzbandrisse 2005. Der Tritt 2008 gegen in den vergangenen drei Jahren kassiert den Stürmer Ivica Olic. Oder das Cham - hat, ohne ein einziges Mal Fußball spielen pions-League-Achtelfinale gegen Juventus zu müssen. Seit drei Jahren muss er mit Turin, als ihm kurz vor Schluss der Ball dem Widerspruch leben, dass er von dem aus den Händen rutschte und Bremen aus - Verein bezahlt wird, der seine Karriere schied. Und schließlich sein Auftritt als zerstörte. Voriges Jahr musste er sogar zit - „Knacki“ auf einer Faschingsveranstaltung tern, dass Hoffenheim nicht absteigt, damit in Neckarsulm. Er geriet in eine Pöbelei, er weiter seine Millionen bekommt. und die Polizei musste einschreiten. Im Sommer läuft sein Vertrag bei Hof - L E Wenn er heute Bilder von sich aus dieser fenheim aus. Dann ist er frei, dann ist alles G E I P S Zeit sieht, dann findet er nicht, dass er egal, dann kann Hoffenheim sogar abstei - R E D sehr aus dem Rahmen gefallen war, zumin - gen, ohne dass er einen Euro verliert, und / N dest optisch, sondern eher, dass er zu an - er kann endlich sein neues Leben begin - O S M A gepasst aussah, zu brav, zu bubenhaft, die nen. Vielleicht als Wrestler? Das wäre sein I L L I Haare nach hinten gekämmt, ein Schwie - Traum. Ein Traum, der ihm die Flucht aus W S I N gersöhnchengesicht, vor allem aber zu seinem jetzigen Leben ermöglichen soll. N E D dünn. „Ich habe damals nur 90 Kilo gewo - Wiese würde als Wrestler einen neuen Na - gen“, sagt Wiese. „Ich war ein Lauch.“ men bekommen und ein Drehbuch für sein Heute ist er so, wie er sich mag: ein zweites Leben, das zu ihm passt, eine neue „Was, Sie sind Oberneuland runterge - muskelbepackter Fleischberg, solarium - Identität. Dazu das Scheinwerferlicht, den fahren?“ Eine Ausfahrt zu früh. gebräunt, nackenlanges Haar und ausra - roten Teppich, die vielen Fans. Wiese Wiese muss sich beherrschen. Seine sierte Schläfen, Stiernacken, Bizepsumfang sehnt sich nach Bewunderung. Wrestler zu Frau schätzt, dass es von der falschen Ab - 50 Zentimeter, 120 Kilogramm Gesamt - werden ist die größtmögliche Verwand - fahrt an noch etwa drei Kilometer bis zu gewicht, 10 Prozent Fettanteil. Er mag sich lung, die er sich im Moment vorstellen ihnen sind. „Noch drei Kilometer!“, ruft als Tier, nicht als Gemüse. kann, ein Neubeginn, mit dem er seine Wiese empört. „Das nervt mich jetzt, Es ist Montag, ein Tag nach dem 22. Bun - Fußballvergangenheit hinter sich lässt. Er echt!“ Er geht an den Wohnzimmer - desligaspieltag, der ausgesprochen lang - tut viel für diesen Traum. schrank und nimmt sich eine Lucky Strike. weilig war, ein Spieltag ohne große Über - Sechsmal in der Woche geht er trainie - „Jungejungejunge“, sagt Wiese. „Da ist er raschungen. Wiese sitzt im Bianconero, ren, ins Universum Gym, eine kleine Han - wieder, der Stress, und ich fang wieder mit einem Italiener in der Innenstadt, schwarz- telbude in Bremen-Schwachhausen, ver - dem Rauchen an.“ weiße Ledergarnitur, ein Chic wie in sei - steckt hinter einer Toreinfahrt, in der älte - Früher, als er noch Fußballspieler war, nem Lamborghini. Gerade hat ein Journa - re Leute trainieren, die nicht dauernd ein hat er auch geraucht, in den langen Stun - list der „Bild“-Zeitung angerufen. Er woll - Selfie machen wollen mit dem gefallenen den vor einem Spiel. Er saß immer in ir - te wissen, ob Wiese etwas zum letzten Torhüter Wiese. Immer um 10.40 Uhr ist gendwelchen Hotels, meistens im selben Spieltag der Bundesliga einfalle. Spontan, er da, trinkt einen Kaffee ohne Milch, we - Zimmer. Vom Bremer Park Hotel, wo er sagt Wiese, sei das schwierig. „War ’n gen der Low-Carb-Diät, um fünf vor elf mit Werder Bremen die Nacht vor dem Scheißspieltag, oder?“ kommt dann Murat Demir, sein Personal Heimspiel verbrachte, hat er noch seine Wiese schreibt jetzt eine Kolumne in Trainer, Mr. Olympia 2011, der sich „The Nummer im Kopf, er hatte immer die 204. der „Bild“, die mit „Dieser Mann ist Klar - New Ripper“ nennt. Er trägt schon den DER SPIEGEL 01 / 1/02 71 „shredded look“, den Wiese erreichen will, einen Körper aus Haut und Muskeln. Um elf Uhr beginnt dann das Training, auf die Minute genau. Es ist immer das gleiche Programm, im - mer der gleiche Rhythmus. Montags: Brust, Trizeps, Bizeps. Dienstags: Beine. Mittwochs: Rücken, Schultern, Bauch. Donnerstags geht alles wieder von vorne los. Eine Stunde wird immer trainiert, drei P D D Wiederholungen an jeder Maschine. Da - / G N nach „Pure Whey Isolate 95“ mit Erdbeer - A L R geschmack, 700 Milliliter Eiweißdrink, der E V I L die Muskeln aufbaut, und ab in die Sauna, O manchmal nur für einen Gang, manchmal Nationaltorhüter Manuel Neuer, Wiese 2010, Sportler Wiese mit seinem Lamborghini, mit seinem für zwei, am besten im Stehen, sagt Wiese, damit der Puls richtig hochgeht, bis auf 160, und das überflüssige Wasser zwischen „Weißt du was, Tim“, fährt Demir ver - Portion. „Dann essen wir Fleisch“, sagt Muskeln und Haut ausgeschwitzt wird. gnügt fort, „da könntest du sogar deinen Wiese. „Habt ihr genug?“ Nur so wirkt der Körper richtig hart, Lambo heiraten. Der würde dann Lambo- Der Kellner, den er „El Presidente“ treten die Adern hervor, die Fasern der Wiese heißen. Gut, ne?“ nennt, schlägt ihm eine Portion Tatar vor. Muskeln. Tim Wiese hasst es, auf den Arm ge - „Rohes Fleisch ist am besten“, sagt Wiese, Die Muskeln, die er jetzt hat, hätte er nommen zu werden. Aber sein Trainer „aber es ist immer so wenig.“ früher nicht geschenkt haben wollen. Sie darf alles. Er hat schon Fotos von ihm auf „Doppelte Portion, doppelter Preis“, wären ihm als Fußballer nur im Weg ge - seine Facebook-Seite gestellt, eine Tatsa - sagt der Kellner. wesen, als Torhüter sowieso. Ein Torhüter che, die Wieses Manager mit Sorge beob - „Mach einfach ’ne große Portion“, sagt muss fliegen können, er muss groß und achtete, aber Wiese hat nichts gesagt. Wie - Wiese. „Rinderfilet kostet 20 Euro das Kilo leicht sein, er braucht Muskeln in den se redet mit Demir über alles, seine Stär - im Einkauf. Ich kenn mich da aus.