Albert Mangelsdorff Musiker Im Gespräch Mit Jürgen Jung Jung
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BR-ONLINE | Das Online-Angebot des Bayerischen Rundfunks http://www.br-online.de/alpha/forum/vor0401/20040109.shtml Sendung vom 09.01.2004, 20.15 Uhr Albert Mangelsdorff Musiker im Gespräch mit Jürgen Jung Jung: Meine Damen und Herren, herzlich willkommen bei Alpha-Forum. Ich habe das große Vergnügen, Ihnen heute einen außerordentlichen Künstler vorstellen zu dürfen. Er gilt als die Symbolfigur des deutschen Jazz schlechthin, als Synonym für den deutschen Beitrag zum internationalen Jazz, als wichtigster Erneuerer des Posaunenspiels. Kurzum, er gilt als "bester Bläser seit Jericho", wie ihn einmal ein populäres deutsches Wochenmagazin genannt hat. Meine Damen und Herren, freuen Sie sich mit mir auf Albert Mangelsdorff. (Albert Mangelsdorff spielt auf der Posaune) Jung: Lieber Albert Mangelsdorff, ich begrüße Sie recht herzlich und freue mich sehr, dass Sie sich für uns Zeit genommen haben. Was haben Sie da gerade gespielt? Mangelsdorff: Eigentlich war das eine Improvisation. Gut, da waren schon einige Licks, wie wir sagen, mit dabei, die ich auch sonst hin und wieder mal anwende. Aber ansonsten ist das kein festgelegtes Stück gewesen. Jung: Sie haben einmal gesagt: "Ich hatte immer gewisse Schwierigkeiten, mich erklären zu können. Ich weiß auch gar nicht, inwieweit es überhaupt möglich ist, dieses komplexe Phänomen Jazz in Sprache zu übersetzen. Ich denke, man kommt da sehr schnell an eine Grenze." Können Sie uns das ein wenig genauer erklären? Worin genau liegt diese Schwierigkeit, abgesehen davon, dass es prinzipiell nicht leicht ist, Musik in Worte zu fassen, denn sonst bräuchten wir sie ja nicht? Mangelsdorff: Nun, bei einem Jazzmusiker ist es natürlich so, dass er zuerst einmal gefühlsmäßig in die Sache involviert ist. So war es auch bei mir, als ich noch ein ganz junger Mensch gewesen bin. Da fällt es einem eben schon schwer, das alles erklären zu können. Andererseits würde ich heute doch sagen: Jazz ist eine sehr rhythmisch betonte Musik, deren wichtigster Bestandteil die Improvisation ist. Das wäre in ein paar Worten eine Erklärung des Jazz, wie ich sie heute geben würde. Jung: Gut, fangen wir mit dem Anfang. Wie sieht es aus mit Ihrer Familie? Welche Rolle hat Ihre Familie gespielt bei der Hinwendung zur Musik? Mangelsdorff: Nun, ich stamme eigentlich aus einer Arbeiterfamilie. Mein Vater war Buchbinder, aber ein sehr belesener Mann, der auch sehr gerne und viel klassische Musik gehört hat. So kam ich schon von frühester Kindheit an sehr viel mit Musik in Berührung. Außerdem waren drei Brüder meines Vaters Musiker: Sie waren allesamt Geiger. Mit ihnen bin ich natürlich auch immer wieder in Berührung und ins Gespräch über Musik gekommen. So fing das Ganze bei mir eigentlich an. Jung: Es gab da wohl auch einen Großonkel in Ihrer Familie, der nach England ausgewandert war, wenn ich das richtig weiß, und dort sogar als Reformer der britischen Militärmusik gilt. Mangelsdorff: Ja, es war so, dass mein Großvater, also der Vater meines Vaters, ebenfalls Militärmusiker gewesen ist. Bei uns zu Hause hängt noch ein Bild, auf dem er in Uniform abgebildet ist: mit diesen Epauletten auf der Schulter, die die Musiker in Uniform immer kennzeichnen. Der Bruder dieses Großvaters, den ich natürlich ebenso wie meinen Tuba spielenden Großvater nie kennen gelernt habe, ging in der Tat nach England. Da gibt es bei uns in der Familie immer noch diesen wirklich uralten Zeitungsausschnitt – ich weiß gar nicht, aus welcher Zeitung er stammt –, in dem berichtet wird, dass dieser Großonkel der Reformator der britischen Militärmusik sei. Jung: Als jemand, der 1928 geboren ist, haben Sie ja Ihre ersten musikalischen Erfahrungen während der Nazizeit und dann später während des Krieges gemacht. Welche Auswirkungen hatte das auf Ihre Rezeption von Musik? Mangelsdorff: Meine Familie war sehr gegen die Nazis eingestellt. Vor allem mein Vater war sehr gegen die Nazis. Das hat schon auch eine Rolle gespielt in meiner Entwicklung -- obwohl ich nicht sagen würde, dass ich mich gerade deshalb dem Jazz zugewandt hätte, weil das eine Protestmusik gegen die Nazis oder sogar eine fast schon verbotene Musik gewesen ist. Nein, der Jazz hat mich ganz einfach gepackt. Ich konnte dann nicht mehr loslassen vom Jazz. Jung: Wie geschah denn Ihre erste Begegnung mit dem Jazz, mit dieser "Negermusik", wie das damals hieß? Das war ja wohl nicht so leicht. Mangelsdorff: Ja, das war nicht so einfach. Die einzigen Sender, die Jazz gespielt haben, waren natürlich englische Sender. Zunächst hat aber auch noch bis zur deutschen Besetzung der Rundfunk Luxemburg Jazz gespielt. Mein Bruder und ich habe uns das eben immer angehört. Ich habe das durch ihn mitbekommen: Mein Bruder war eigentlich aktiver als ich in jenen Jahren. Ich selbst war eher introvertiert und habe nach außen hin eigentlich kaum zum Ausdruck gebracht, dass mich das ebenfalls wirklich interessierte. Andererseits habe ich mir dann, wenn mein Bruder nicht zu Hause war, diese Platten vorgenommen und sie mir immer wieder angehört. Ich konnte alles mitsingen, was da drauf war. Und nach einiger Zeit konnte ich sogar nicht nur mitsingen, sondern sogar Improvisationen dazu machen, während die Platten liefen. Später machte ich dann sogar Improvisationen dazu, ohne dass ich gleichzeitig die Platten selbst gehört hätte. Jung: Also ohne Instrument und nur mit der Stimme. Mangelsdorff: Ja, hauptsächlich mit der Stimme. Später dann aber auch nur im Geist. Das hat mich wirklich sehr darin bestärkt, dass das eigentlich meine Begabung ist, dass ich das machen sollte, dass das mein Beruf werden sollte. Jung: Verstehe. Sie haben ja als Geiger angefangen: Sie haben bei einem Ihrer Onkel zumindest ein wenig Unterricht im Geigenspiel genossen. Danach haben Sie dann aber offensichtlich sehr schnell den Wechsel zur Gitarre vollzogen. Denn nach dem Krieg findet man Sie in so genannten Ami-Clubs als Gittarist. Mangelsdorff: Ja, das mit dem Onkel war so: Meine Eltern konnten es sich nicht leisten, mich Musiker werden zu lassen. Aus diesem Grund habe ich eine Lehrstelle bei einer Speditionsfirma besorgt bekommen. Aber dieser Onkel, der in Pforzheim Konzertmeister war, hatte irgendwie am Rande bei meinen Eltern gehört, dass ich gerne Musiker werden würde. So hat er mich gefragt, ob ich zu ihm kommen und bei ihm Geige studieren möchte. Ich habe natürlich sofort zugestimmt, mit Freuden zugestimmt. Jung: Das kam Ihren Neigungen ja schon mehr entgegen als eine Lehre. Mangelsdorff: Ja, das kam meiner Neigung sehr entgegen. Andererseits durfte ich aber dort während der ganzen Zeit, in der ich bei ihm war, nie sagen, dass ich mich eigentlich mit Jazz befasse und dass ich eigentlich Jazzmusiker werden möchte. Wenn er das erfahren hätte, dann hätte das mein Onkel sofort unterbunden. Jung: Wie sind Sie dann zur Posaune gekommen? Denn von der Geige über die Gitarre zur Posaune, das ist ja nicht unbedingt der geradeste Weg. Mangelsdorff: Das stimmt. Ich weiß nicht mehr, wann das genau war, aber irgendwann kam eben immer stärker der Wunsch in mir auf: wenn schon Jazzmusiker, dann Posaunist! Mit der Gitarre kam ich eigentlich ganz gut zurecht und ich war auch kein schlechter Gitarrist. Aber der Verstärker bei der Gitarre war halt so schwer usw. Nein, es war einfach so, dass mich die Posaune als Instrument wirklich fasziniert hat. Das war ja auch die Zeit nach dem Krieg und wir konnten ganz offiziell AFN hören: In den damaligen Swing-Bands hat es einige wirklich gute Posaunisten gegeben. Da gab es z. B. den Bill Harris oder Kai Winding in der Stan Kenton Band. Da kam dann irgendwann dieser Wunsch auf in mir, ohne dass ich ihn gleich schon hätte artikulieren können. Das war dann eben mein Wunschinstrument. Jung: Hat es vielleicht mit dem zu tun, was man der Posaune nachsagt, dass sie nämlich der menschlichen Stimme sehr nahe kommt? Mangelsdorff: Ja, das stimmt. Das ist etwas, das ich sogar selbst einmal so gesagt habe. Was hat mich aber damals schon an der Posaune fasziniert? Ich glaube, es waren eher diejenigen, die sie damals gespielt haben. Es war deren Art, die Posaune zu spielen, die mich reizte, selbst auch diesen Weg einzuschlagen. Jung: Das war also zuerst einmal das Vorbild amerikanischer Posaunisten. Sie haben sich dann nach dem Eintritt in die Joe-Klimm-Combo 1950, wo ja auf der so genannten Lennie-Tristano-Linie des Cooljazz gespielt wurde, im Jahr 1953 mit Hans Koller zusammengetan. Das war ja wohl, wenn ich das richtig sehe, auch einer der ganz frühen Wegbereiter des Jazz in Deutschland. Mangelsdorff: Ja, das war er ganz sicher. Diese Joe-Klimm-Combo war für damalige Verhältnisse unbedingt die zeitgenössischste, die modernste der in Deutschland spielenden Jazzgruppen. Natürlich hat man damals fast nur in amerikanischen Clubs gespielt und kam kaum zu anderen Auftritten; höchstens mal beim Jazzfestival in Frankfurt oder hin und wieder mal bei einem anderen öffentlichen Konzert kam man raus aus diesen Clubs und in die so genannte Öffentlichkeit. Hans Koller war 1952 nach Frankfurt gekommen. Jung: Er kam aus Österreich. Mangelsdorff: Er und seine Leute kamen aus München. Jung: Aber er ist Österreicher. Mangelsdorff: Ja, er ist Österreicher, aber sie hatten davor in München bei den Amis, den Amerikanern, gespielt. Sie kamen irgendwie, weil sie bei den Amerikanern in Frankfurt ein Engagement bekommen hatten, eines Tages in Frankfurt an. Es kam dann zu unserem Zusammentreffen und es ergab sich immer mehr, dass man zusammen spielte: auch im Jazzkeller in Frankfurt, wo man abends nach den Auftritten bei den Amis natürlich laufend Jam- Sessions gemacht hat. Der Hans Koller hatte mich bereits 1952 mal mitgenommen zu einem Jazzkonzert beim Hamburger Rundfunk, der damals noch NWDR geheißen hat. Diese Zusammenarbeit hatte sich also schon so langsam angebahnt und 1953 bin ich dann konkret von Joe Klimm weg und bei Hans Koller eingestiegen. Jung: Stilistisch hat sich mit diesem Wechsel nicht allzu viel verändert, wenn ich das richtig sehe, denn die musikalische Richtung dieser beiden Bands war ungefähr vergleichbar.