Kultur BARTILLA / POP-EYE BARTILLA -Gründer DeMaio, Sänger : „Lauteste Band der Welt“ Eurovision-Song-Contest-Sieger Lordi (2006):

ZEITGEIST Ein Messer in der Hose Heavy Metal, lange als Musik für Außenseiter abgetan, drängt in die Mitte der Gesellschaft und sorgt für Millionenumsätze. In einem nivellierten Pop-Business ist die Krach- und Dröhnmusik die letztmögliche Ausdrucksform des Rock’n’Roll. Von Christoph Dallach

er sehr breitschultrige Heavy-Me- bioser Prekariats-Rock, als kruder Mix von tal-Titan Joey DeMaio thront in der Lärm, Fantasy und Sex: ein Verlierer- DBusiness-Etage eines Hamburger Soundtrack für jene, die nicht erwachsen Hotels in einem Clubsessel. Vor ihm stehen werden wollen oder können. ein Laptop und eine Tasse Tee. Bedächtig Aber die Zeiten ändern sich offenbar, berichtet er von Krankenhäusern in Afrika, besonders im Post-WM-Euphorie-Deutsch- von Waisenhäusern im Ostblock und Flut- land. Heavy Metal wird neuerdings mit opfern im Allgemeinen. erstaunlichem Interesse und durchaus Dazu klickt er sich durch eine kuriose Respekt rezipiert, längst ist es kein Rand- Bildergalerie auf dem Schirm seines Lap- phänomen mehr, auch wenn es noch so tops: Da sieht man den Rocker – verkleidet sehr danach aussieht. Zum Beispiel der in dunklem Anzug, Krawatte, weißem allseits beklatschte Kino-Dokumentarfilm Hemd – als Ritter des karitativen Malteser- „Full Metal Village“ der Südkoreanerin ordens in der Gesellschaft von berühmten Sung-Hyung Cho über das weltweit legen- Opernsängerinnen und Elder Statesmen. däre Heavy-Metal-Festival in der schles- Wenn man ihn ließe, würde der Bassist wig-holsteinischen Einöde von Wacken: und Boss der einst im Guinness-Buch Fasziniert blickt die Filmemacherin auf die als „lauteste Band der Welt“ eingetra- fröhliche Kollision von Dorfbewohnern genen Heavy-Metal-Gang Manowar wohl und Rockern, die aufgekratzt und friedlich nur über sein Leben als Malteserritter die Puppen tanzen lassen. plaudern. Dazu passt das in diesem Frühjahr auch Doch eigentlich ist DeMaio gekommen, in Deutschland veröffentlichte und in den um Werbung zu machen für ein großes USA gefeierte Buch „Fargo Rock City“ des Manowar-Spektakel in einem hessischen Amerikaners Chuck Klosterman, in dem Kaff namens Bad Arolsen, das am 6. und 7. sich der Autor auf so unterhaltsame wie Juli stattfinden soll. Zwei Tage lang will kluge Weise vor den vermeintlich uncoolen die Band sich und ihre erwarteten 35000 Helden seiner Jugend auf dem Land ver- Fans mit einer Art Mini-Festival inklusive beugt. Ganz unironisch preist Klosterman Tattoo-Stände, einem Zelt mit Stripperin- Bands wie Mötley Crüe, Skid Row, Kiss nen und preiswertem Bier feiern: ein Ereig- oder gar die Scorpions. Seine euphorischen nis, das gewöhnlich von etablierten Medien, „Argumente für die Musik der aufgedreh- vor allem den Feuilletons, zuverlässig igno- ten Verstärker“ („New York Times“) brach- riert wird. ten ihm unter den Kritikern viel Zuspruch. Kein Wunder, denn Heavy Metal gilt Das Buch beschreibt ein Massenphäno- den meisten Menschen traditionell als du- men, das lange zu Unrecht tabu war. Selbst

154 der spiegel 26/2007 LEHTIKUVA / REUTERS LEHTIKUVA PRESS / BULLS MATRIX Wilde Zeiten im Schlager-Universum Heavy-Metal-Show von Iron Maiden: Ein Wir-gegen-die-Welt-Gefühl

im Schlager-Universum sind wilde Zeiten schon immer Gnade und Zuspruch fanden. gewitzten Coolness des Bildungsbürger- angebrochen, seit die finnischen Kirmes- Die Rede ist vielmehr von den Kellerkin- Rock, den Blumfeld, Radiohead oder Sonic Grusel-Rocker von Lordi im vergangenen dern der Branche, Bands, deren Lieder Youth bieten. Jahr sensationell den Eurovision Song kein großer Radiosender ins Programm „Diesen bizarren Konsens darüber“, Contest gewannen. nimmt und deren Videoclips im Musikfern- schreibt Chuck Klosterman, „dass spora- Heavy Metal kracht also mit erstaun- sehen allenfalls zur Geisterstunde einge- disch interessante, bewusst unterprodu- licher Nachhaltigkeit in die öffentliche schmuggelt werden. zierte Musik von Natur aus alles überra- Wahrnehmung. Diese brüllend laute Rock- Die Welt des Heavy Metal besteht aus gend ist – vor allem deshalb, weil keiner sie musik wird von einem neuen Publikum Strömungen wie Death-, True-, Speed- versteht –, wird es immer geben.“ Aber jenseits der traditionellen Nische entdeckt. oder Thrash-Metal; die Bands heißen dieser Konsens ist Ausdruck eines elitären Dabei geht es nicht um Kompromiss-Bands Kreator, Napalm Death oder eben Mano- Denkens, das der Natur des Rock wider- wie Metallica, AC/DC oder Guns N’ Roses, war – und plötzlich erscheinen sie als er- spricht. Denn Rock’n’Roll sei diejenige die bei Kulturwächtern und Werbetextern frischend brachiale Alternative zur allzu Kunstform, „bei der das Publikum wichti- ger ist als die Kunst selbst“. Der coole Rock zitiert Sartre, Warhol oder Nietzsche, die Festival Wacken Open Air: Brüllen, Bier trinken, wilder Mann spielen Metaller halten es dagegen mit Conan, Satan und Pamela Anderson: Bye, bye Tristesse, hallo Radau! Die Liebe zum Heavy Metal haben vie- le Anhänger bislang so dezent versteckt wie Pornofilme hinter der Bücherwand. Aber vielleicht weil die Deutschen seit der Fußball-WM mutiger und ausgelassener denn je wirken, wird hierzulande nun auch der vermeintliche Proll-Rock in den Pop- Kanon aufgenommen. Joey DeMaio, immer noch in dem Club- sessel des Hamburger Hotels, wagt sogar die These, dass Heavy Metal eine deut- sche Erfindung sei. Guter Hardrock sei wie eine Wagner-Oper: „Einen Augenblick sin- gen die Engel, im nächsten Moment kra- chen Donner und Blitze.“ Sein Tonstudio hat DeMaio „Haus Wahnfried“ genannt, und die Wagner-Festspiele in Bayreuth hält er für das beste aller Rock-Festivals. Er habe zwar nicht jedes Buch über den Kom- ponisten gelesen, aber „die meisten“. Seine Erkenntnis: Die Deutschen haben Rock im Blut, und wer in der Rock-Welt etwas werden will, braucht den teutoni- schen Segen: Selbst die Beatles hätten erst im Hamburger Star-Club ihr Hand- werk gelernt. DeMaios These von den Deutschen als Ur-Rocker stützt auch die Tatsache, dass eine amerikanische Band wie Manowar in Deutschland weitaus größeren Erfolg hat

STEFAN MALZKORN / FOTEX MALZKORN STEFAN als im Rest der Welt – die Deutschen mö- 155 gen die überbordende Ästhetik der Band, die sich auf ihren Plattencovern gern mit entblößten, muskelbepackten Oberkörpern präsentiert, in den Fäusten bluttriefende Schwerter, zu ihren Füßen Monsterschlan- gen und unbekleidete Jungfrauen. Folgerichtig rauschte Manowars aktuel- les Album „Gods of War“ in diesem Früh- jahr, so wie das Vorgängerwerk, direkt auf Platz zwei der deutschen Verkaufs-Charts als dröhnender Konkurrent von Nelly Fur- tado und Tokio Hotel. „Wir verkaufen von Jahr zu Jahr mehr“, sagt Joey DeMaio – und das in Zeiten ein- stürzender Tonträger-Umsätze. Doch das Biotop Heavy Metal ist das Letzte, das eine nivellierte Pop-Kultur noch an Bizarrem,

Bedrohlichem und Missverständlichem zu DPA FRISO GENTSCH / PICTURE-ALLIANCE/ bieten hat. Heavy-Metal-Fans: „Das Publikum ist wichtiger als die Kunst selbst“ Alle anderen Genres sind in den ver- gangenen Jahrzehnten domestiziert wor- noch in den Feuilletons für Wirbel oder Haare der Beatles und der Rolling Stones den. All die schönen Unverschämtheiten, für Geschichten im Wirtschaftsteil. für Empörung sorgten; als die Sex Pistols Skandale und Blasphemien sind längst Ge- Vorbei die Zeiten, als Elvis mit einem mit dem Wörtchen „fucker“ im Fernsehen schichte. Die Arctic Monkeys, die Red Hot Hüftschwung ein Land und eine Genera- das Königreich erschütterten. Techno ist Chili Peppers und Coldplay sorgen nur tion in Verlegenheit brachte; als die langen im neuen Jahrtausend nicht bedrohlicher

wäre, gilt sie als anspruchsvoller. Da- bei ist Hardrock genauso intelligent „Ein Faustschlag ins Gesicht“ wie jede andere Musikrichtung, teil- weise sogar komplexer, da sie sich an Sänger , 64, über den Erfolg von Hardrock den Strukturen der klassischen Musik orientiert. SPIEGEL: Mr Dio, die Welttour, die Sie aus, als verlange das deutsche Publi- SPIEGEL: Mit Ihrer Rückkehr auf die im März mit Ihren Kollegen nach bald kum nach Musik, die Stärke vermit- Bühne sind Sie derzeit nicht allein. 15-jähriger Pause als Sänger von telt und Wucht hat wie ein ordent- Auch Alt-Rocker wie The Who, Ge- gestartet haben, ist ein licher Faustschlag ins Gesicht. nesis oder The Police geben wieder sensationeller Erfolg. Was finden die SPIEGEL: Gelobt wurden Sie vom Konzerte. Ist Rock’n’Roll alterslos? Leute plötzlich wieder am Hardrock? Feuilleton dafür selten. Ärgert Sie Dio: Grundsätzlich ja. Ich bin jedoch Dio: Sie lieben die Musik, weil sie echt das? nicht mit jedem Comeback meiner ist. Britney Spears, Justin Timberlake Dio: Nein. Aber es wundert mich Kollegen einverstanden. Genesis und all die anderen gecasteten Karao- manchmal, dass Bands wie die White wäre meiner Ansicht nach lieber zu ke-Kinder haben sie nun lange genug Stripes, so sehr ich sie bewundere, in Hause geblieben. Ich glaube, die ertragen. Das Publikum wehrt sich den Feuilletons gefeiert werden, meisten Musiker gehen wieder auf gegen den Trend dieser lauwarmen während Hardrock und Heavy Metal Tour, weil sie den Applaus vermissen Klänge. Wer will schon den eintöni- dort nicht vorkommen. Und obwohl oder ihnen ein Promotor sagt, dass gen Mist immer wieder serviert be- die Musik der White Stripes ohne die sie noch mal viel Geld absahnen kommen? von Black Sabbath, können. SPIEGEL: Sie halten Hardrock und oder Led Zeppelin gar nicht denkbar SPIEGEL: In der Presse kursierte vor Heavy Metal für weniger eintönig? Jahren das Gerücht, dass beim Dio: Aber sicher. Deshalb sind Bands Rückwärtsspielen von Heavy-Metal- wie Black Sabbath, AC/DC oder Iron Platten Nachrichten des Teufels zu Maiden ja auch seit Jahrzehnten so hören seien. Hat Sie das beschäftigt? begehrt. Nur hat sich das Publikum Dio: Natürlich. Aber das Gerücht war verändert. Es sind wieder viele junge auch schnell ausgeräumt. Denn die Leute dabei. Das zeigt mir: Wir wer- Wahrheit ist: Wenn Sie ein Black-Sab- den noch gebraucht. bath-Album rückwärts spielen, hören SPIEGEL: Offenbar ganz besonders Sie das gesamte Comedy-Repertoire vom deutschen Publikum. Es scheint, von Karl Dall. als sei hierzulande ein Hardrock- und SPIEGEL: Den kennen Sie? Heavy-Metal-Boom ausgebrochen. Dio: Ja. Ich habe lange Zeit mehrere Dio: Das wundert mich nicht. Die Monate im Jahr in Deutschland ver- Deutschen lieben es pur. Ich habe bracht. Interview: Verena Araghi den Eindruck, dass wir hier in diesem Sommer mit besonders offenen Ar- Black-Sabbath-Sänger Dio

men empfangen werden. Es sieht so BILD / ULLSTEIN MALZKORN „Die Deutschen lieben es pur“

156 als ein Handy-Klingelton, die Schussnar- ben des Gangsta-Rapper 50 Cent nur Pos- terschmuck in Kinderzimmern. Rockmusik als Gegenentwurf zum bür- gerlichen Alltagstrott hat ausgedient, sie ist Hintergrundgedudel geworden, Dauer- berieselung in Klingeltönen, iPods, For- matradio und Werbemusiken. Nur die Bastion Heavy Metal, gleich dem gallischen Dorf in den Asterix-Hef- ten, ist noch nicht gefallen. Als Pioniere gelten die Briten von Black Sabbath, die Ende der sechziger Jahre mit Sänger Ozzy Osbourne loslegten und ihren böse wum- mernden Dröhn-Rock mit Symbolen und Zitaten von Fantasy und Okkultismus aus- schmückten. Es folgten Bands wie Judas Priest, Iron Maiden oder Def Leppard, die auch ge- meinsam hatten, dass sie vom Rest der Welt verachtet und verhöhnt wurden. Wohl auch deswegen hat sich das Genre bis heute Geheimnis und Faszination bewahrt, denn seine Anhänger genießen immer noch eine Art Wir-gegen-die-Welt-Gefühl – ursprünglich das Lebenselixier des Rock’n’Roll. Diese harte Musik fordert ein letztes Recht auf Eskapismus: Brüllen, Bier trin- ken, böser Mann spielen. Genau dies hat Joey DeMaio, dieser mildtätige, wohlartikulierende Gentleman- Rocker und promovierte Musikwissen- schaftler – „das wussten Sie nicht, oder?“ – sein Leben lang getan, und nun erzählt er, wie er tatsächlich einmal einen Plat- tenvertrag mit seinem eigenen Blut unter- zeichnet hat. Es ist schon ein paar Jahre her, da saß er, so erinnert er sich, in einem typischen Bürokonferenzsaal, vor sich einen unter- schriftsreifen Vertrag, als er sich das Hemd aufknöpfte, ein Messer aus der Hose zog, sich in die Brust schnitt, einen Kugel- schreiber in die Wunde tunkte und seinen Namen unter das Papier setzte. „Dem Ju- risten der Firma wurde beim Anblick meines Bluts so übel, dass er auf die Toi- lette rannte, um sich zu erbrechen“, sagt DeMaio, und es scheint immer noch zu amüsieren. Seine Gruppe Manowar gibt es nun seit einem Vierteljahrhundert, sein Alter möch- te DeMaio lieber als letztes Geheimnis bewahren. Mit der Weisheit eines Hau- degens, der schon einige Jahrzehnte Ra- dau überlebt hat, behauptet er, dass eine Welt mit mehr Heavy Metal eine bessere wäre. Zum Beispiel habe ihn neulich ein Hells- Angels-Rocker aus dem Krankenhaus an- gerufen. Der wollte sich bedanken. Er war nach einer Auseinandersetzung der üble- ren Sorte mit einigen Schussverletzungen eingeliefert worden, und es bestand wenig Hoffnung, dass er wieder gesund werden würde. Aber dann habe er so lange Mano- war gehört, bis er die Kraft hatte, wieder aufzustehen. ™ der spiegel 26/2007 157