o ie e s nr. 58 • 5 v/ 6 / 2000 zeitung für den nstudiofilm im arthouse walba • arthouse commercio • marthouse movie 1+2 • arthouse nord-süd • arthouse le paris • arthouse piccadilly • morgental • riff raff • uto

«Der schönste italienische Film paneder Saison!» e tulipani Ausgezeichnet mit 9 david di donatello

VORpremieren: lunch-kino im arthouse montag-freitag (ohne sa/so) 12.15 uhr le paris pane e tulipani

Aussteigen. Nochmals von vorn anfangen. Wohl jeder kennt solche Träume. so» Italienisch gelernt hat. Sie findet bei einem alten Blumenhändler Arbeit, Selten allerdings packt jemand die Gelegenheit so unverhofft und kurzent- freundet sich mit der Masseuse Grazia (Marina Massironi) an. Gatte Mimmo in schlossen beim Schopf wie Rosalba in Silvio Soldinis PANE E TULIPANI. Rosal- Pescara ist ausser sich … Mit Leidenschaft und Zuneigung zeichnet Silvio Sol- ba, eine bieder-brave Hausfrau und Mutter aus Pescara, wird während eines dini in PANE E TULIPANI das Abenteuer einer Frau nach, die weder Thelma Familienausflugs von Gatte und Nachwuchs bei einem Zwischenhalt auf einer noch Louise ist und doch Courage und Wesensart beider in sich vereinigt. «Für Autobahnraststätte schlicht «vergessen». Soldini», meint Licia Maglietta, «gibt’s keine Sie ruft ihren zerstreuten Gatten an, wartet Kategorien wie frustrierte Hausfrau und auf den Bus, der sie nach Hause bringen feministische Heroin. Es geht einfach soll. Doch dann kommt ein Auto, das fährt darum, das Leben zu leben, wobei jeder Richtung Bologna und nimmt Rosalba mit selber schauen muss, wie er die Kurve nach Venedig. «Rosalba», meint Licia kriegt.» PANE E TULIPANI, schwärmte die Maglietta, die Hauptdarstellerin von PANE E «Repubblica», sei der «schönste italieni- TULIPANI, «haut nicht eigentlich ab. Sie will sche Film der Saison». Er wurde denn auch nur mal kurz Ferien machen – in der Stadt prompt mit neun Donatelli (italienische ihrer Träume». Doch in Venedig kommt Oscars) ausgezeichnet. alles ein wenig anders. Rosalba mietet sich Regie: Silvio Soldini. Mit: Licia Maglietta, bei Fernando ein, einem isländischen Kell- Bruno Ganz, Marina Massironi. Verleih: ner, der bei der Lektüre von «Orlando furio- Columbus Film AG. flawless

Robert De Niro hat den Boxchampion gespielt und wir haben ihn bewun- geht – bis er eines Tages nach einem Herzinfarkt halbseitig gelähmt wie- dert. Er gab den Mafiosi, den schleimigen Zuhälter und Casinobetreiber, der in seine Wohnung zurückkehrt. Nun ists fertig mit Frauen, Bars und und wir zollten ihm Achtung. Er spielte den Irren, den Taxifahrer, den Macho – Walt ist ein Krüppel. Muss wieder reden, laufen, leben lernen; Mörder und wir waren hin und weg. In FLAWLESS spielt er nun den Ex- Gesangsstunden, meint sein Physiotherapeut, könnten ihm weiterhelfen. Cop und Herzinfarktpatienten – eine Rolle, für die man ihn wohl immer Unverhofft findet sich Walt vor Rustys Tür wieder: Die Drag Queen als lieben wird. Walt Koontz heisst er und Gesangslehrerin – eine befremdliche wohnt in einem verkommenen Mehr- Idee. Und doch: Walt versuchts – und familienhaus in New York. Er ist braun- Rusty auch. Und Joel Schumacher er- gebrannt und durchtrainiert, ein Super- zählt uns einen mit wilder Kamera, einer macho, dem die Frauen zu Füssen Menge Halbwelt und viel herben Ge- liegen und der sich zünftig über die fühlen gefüllten Film lang, wie sich die kichernden und kreischenden Gäste sei- beiden ungleichen Männer schätzen ler- nes Nachbars ärgert: Rusty – grandios: nen. FLAWLESS, das ist Kino, mysteriös, – ist eine Drag actionreich und auch lebensnah. Ein Queen. Ein seltsam schillerndes Wesen: Appell an Toleranz und Menschlichkeit. «nicht Mädchen, nicht Bub» wies in Regie: Joel Schumacher. Mit: Robert De FLAWLESS heisst. Walt schreit, schimpft, Niro, Philip Seymour Hoffman. Verleih: weicht den Transvestiten aus, wo es Rialto Film AG. summertime

«Summertime» – die Melodie von George Gershwins lauschigem Song liegt auf männlich. Manchmal trägt er eine Uniform. Er ist Pilot. Nadja sieht von ihrem den Lippen. Die dreizehnjährige Nadja verbringt die Sommerferien zu Hause. Tanzt Mädchenzimmerfenster aus in seine Wohnung. Macht Fotos. Die Pubertät ist ver- mit dem Nachbarsmädchen im Zimmer herum. Die beiden summen, singen. wirrend. Die zufälligen Begegnungen sind zuviel und zuwenig. Michael ahnt Schlagen die Zeit tot. SUMMERTIME titelt Anna Luifs Spielfilmerstling; der Titel ist nichts. Nadja vergeht vor Sehnsucht: Anna Luif hat zärtlich gefilmt. In Mundart. Programm: Nadja fährt auf ihren Rollerblades durch die Siedlung. Über Asphalt- Mit Sinn für die Situation und sanftem Humor. Sie zeigt Mädchensehnsüchte. Nad- plätze, den Strassen zwischen den Häusern jas Mutter näht sich ein neues Kleid. Bist du entlang. Manchmal gehen die Mädchen ins verliebt? fragt Nadja ihre Mutter – geredet Schwimmbad. Belauschen das Gespräch der wird nicht viel; Anna Luifs SUMMERTIME ist Teenies. Männer, Küsse, Sex sind das Thema. eine mädchenfrech-kleine Verlieb-Dich-Story. Hast du schon und willst du? Die Liebe. Die Ein filmisches Kleinod aus Zürich. Spannend, Idee zu SUMMERTIME basiere auf einer Stim- witzig, sehenswert. mung, meint die Zürcher Jungfilmerin Anna Anna Luifs SUMMERTIME wird von Jean Luif. Dem Gefühl, das man habe, wenn man Vigos romantisch-rebellischem Internatsklas- als Halbwüchsige am Rande der Stadt auf- siker ZERO DE CONDUITE begleitet. wachse, sich alleine fühle – und alles möglich «Summertime», Regie: Anna Luif. Mit: Marina sei. Eben auch, dass man sich zum ersten Guerrini. Mal verliebt. Schön ist er, Michael. Doppelt so «Zéro de conduite», Regie: Jean Vigo. Mit: alt wie Nadja. Braungebrannt, stark, gross – Delphin, Jean Dasté. Verleih: Filmcooperative. siam sunset

Perry, der Protagonist von SIAM SUNSET, arbeitet als Farben-Erfinder. derbar queres australisches Roadmovie. Eine Horde lärmender Einheimi- Gespielt von «The Priest»-Star Linus Roache ist Perry ein glücklicher Brite scher, rasante Wüstenfahrten, gleissender Sonnenschein, nächtliche Zelt- – bis eines Tages ein Kühlschrank durch die kaputte Ladeluke eines Flug- abenteuer garniert mit Gitarrensongs, Erdbeben, sintflutartigen Regenfällen zeugs direkt in seinen Garten fällt. Das wäre weiter nicht tragisch, hätte – und last but not least: Eine von ihrem gewalttätigen Ex-Lover verfolgte, Perrys heissgeliebte Gattin Mary nicht just da gelegen, wo der Kühlschrank hübsche Australierin namens Grace. Wenn einer eine Reise tut, sagt man, landete – Perry gerät in die Krise. Nicht so tut er was erleben: Perry erlebt mehr, genug, plagt ihn die Trauer um Mary, als ihm lieb ist. Vorerst. Doch dann ent- scheint ihn fortan das Pech in Form von deckt er in der abgelegensten Ecke der Unfällen, Treppenstürzen und Karambola- Welt ein neues Liebesglück – und die gen zu verfolgen. Da er zudem monate- Rezeptur für den Farbton «Siam Sunset»: lang vergebens an einem neuen Farbton SIAM SUNSET ist – des Pechs seines Pro- – eben dem «Siam Sunset» – herumtüf- tagonisten zum Trotz – ein regelrechtes telt, gibts nur eins: Abhauen. Und zwar Feel-Good-Movie. Schräg und herzerwär- ans andere Ende der Welt: Perry geht im mend. Fast mehr noch als «Priscilla, australischen Outback auf Busabenteuer. Queen of the Desert». Das ändert zwar nichts an seiner Pech- Regie: John Polson. Mit: Linus Roache, strähne. Verwandelt aber die von John Danielle Cormack, Ian Bliss. Verleih: Frene- Polson gedrehte Brit-Satire in ein wun- tic Films.

• • • • • «das leben ist eine baustelle» • • • • •

…so hiess eine der erfolgreichsten deutschen Komödien, die wir they know, dass wir unter dem gesamten Klima- und Lärm-Disas- im ARTHOUSE MOVIE spielten. Selten so gelacht! Das kann man ter genauso zu leiden hatten und die ganzen Immissionen nicht leider weniger behaupten, wenn die Baustelle ums Kino direkt durch uns verursacht wurden, und wir alles daran setzten, dass Realität wird, wie dies im ARTHOUSE ALBA geschehen ist. Bedingt unser Nachbar den Kinobetrieb nicht stört. Das ist ihm leider nicht durch den Umbau des HOTELS DU THEATRE – unseres Nachbarn immer gelungen. Dafür möchten wir uns bei Ihnen entschuldigen. am Central – war leider nicht nur unser katastrophengeübtes Kino- Als kleiner Trost: Wir haben «dafür» im ARTHOUSE ALBA eine personal ganz à la Pedro Almodovar: «MUJERES AL BORDE DE UN brandneue DOLBY-DIGITAL-Anlage, die im architektonisch genialen ATAQUE DE NERVIOS», auch unseren lieben Gästen wurde in ver- Bau des Theaters jedes Ohr entzückt, und eine neue Grosslein- einzelten Vorstellungen einiges zugemutet. So meinten verein- wand für ein optimales Bild installiert. Dazu finden Sie uns seit zelte – begreiflicherweise –, dass wir uns Billy Wilders «SOME LIKE einigen Wochen auch auf Internet: http://www.arthouse.ch IT HOT» etwas übertrieben zu Herzen genommen haben und eine normale Wir wünschen Raumtemperatur sie weni- Ihnen viel ger A BOUT DE SOUFFLE www.arthouse.ch Vergnügen! gebracht hätte. Little did • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • salsa

«Wenn Frauen in die Tanzschule kommen, um Salsa zu lernen, dann glüht, wenn die Protagonisten in SALSA zu den Instrumenten greifen. suchen sie im Tanzlehrer einen Kubaner, dem die Armut Havannas an Wenn die Frauen zu tanzen beginnen, die Männer die Hüften schwingen, der Haut klebt»: Rémi ist verzweifelt. Da hat der Held aus SALSA doch der Sänger wehmütig und dreist zugleich von Herzschmerz, Sehnsucht eben stante pede seine Karriere als klassischer Pianist über den Haufen und Liebe singt. Und tanzen können sie wie die Teufel: Die Deutsch- geworfen um fortan mit einer Latino-Band durch die Welt zu tingeln – Mexikanerin Christianne Gout, welche Nathalie spielt; Vincent Lecoeur, und da sollte ihm seine weisse Hautfar- welcher Rémi gibt; und der Kubaner Ale- be einen Strich durch die Rechnung xis Valdès, der üblicherweise mit seiner machen? Lange hält die Verzweiflung One-Man-Show tingelt und nun den von Joyce Buñuels Held allerdings nicht. heissblütigen Félipe mimt. Ja, von der Schliesslich gibt es Solarien, selbstbräu- Liebe und von der Familie, von Heimat nende Sonnencrème, bunte Hawaii- und der Sehnsucht nach Musik ist in Hemden und fesche Bundfaltenhosen. SALSA die Rede; Joyce Buñuels Werk ist Und wenn man dann noch derart gött- Tanz-Film-Komödie und Melodrama, das lich in die Pianotasten zu greifen ver- an Herz, Seele und in die Beine geht. steht... Salsa ist Trumpf. Ist mehr als ein Tanz. Ist ein Lebensgefühl, eine Haltung, Regie: Joyce Sherman Buñuel. Mit: Vincent humorvolle Heiterkeit als Rezept gegen Lecoeur, Christianne Gout, Catherine die Unbill des Alltags: Die Leinwand Samie. Verleih: Filmcooperative. extension du domaine de la lutte

Es gibt Filme, die erzählen glänzende Lügen von der Schönheit der Welt. Und zuviel – man könnte, denkt le Héro, es auch einfach als gestohlen melden. es gibt andere, die sind ein wenig herber. Die erzählen von Unvollkommen- Bei der Arbeit, im Büro wirkt er abwesend. In der Freizeit verliert er sich in heiten, von Pech und Nöten. Und von Verlierern. Sie zielen dabei auf die Con- Gedanken. Auf einer Dienstreise beginnt er mit seinem Kollegen zu reden. ditio Humana und treffen mitten ins Herz. So etwa EXTENSION DU DOMAINE Raphael ist noch unglücklicher als er; 28 Jahre alt, ein Frauen-Aufreisser und DE LA LUTTE, Philip Harels kongeniale Verfilmung des gleichnamigen Best- doch noch Jungfrau: Wenn Männer mit Frauen nicht können. Wenns mit der sellers von Michel Houellebecq. Da ist ein Sexualität nicht klappt. Vor zwei Jahren junger Computerfachmann, einer, wie sie wurde le Héro von Véronique verlassen – dutzendweise durch die Welt gehen. und seit da hatte er keinen Sex mehr; «Ich Schlicht «Le Héro» hat Harel ihn genannt – öde mich an» – erklärt er seiner Psychiate- und ist auch gleich in dessen Rolle rin und übergibt sich: So direkt, so sinnig geschlüpft. Unser Held, heisst es in EXTEN- und so ehrlich, wie Harel in EXTENSION DU SION DU DOMAINE DE LA LUTTE dann, DOMAINE DE LA LUTTE hat noch selten hatte vor einiger Zeit einen Zusammen- jemand von der Krise berichtet. Und so bruch und landete in einer Depression. Er tupfengenau die männliche Weltsicht auf war der Welt abhanden gekommen, nahm die Leinwand gebracht auch nicht. die Menschen nicht mehr als Menschen, sondern als Teile wahr: Nichts geht mehr. Regie: Philippe Harel. Mit: Philippe Harel, Die Sonntage zu Hause lasten. Das Auto ist Jose Garcia. Verleih: Frenetic Films. pink apple – schwullesbisches filmfestival

PINK APPLE geht fremd: Nachdem PINK APPLE zwei Jahre lang einzig in Frau- konger Liebesdrama aus dem Jahre 1998, in dem sich ein blendend ausse- enfeld über die Leinwände der Kaserne flimmerte, findet das beliebte schwul- hender Callboy in einen Polizisten verliebt. Nicht zu vergessen: Die Vorpremie- lesbische Filmereignis im Jahr 2000 erstmals auch in Zürich statt. Damit man re von DROLE DE FELIX, das in Berlin preisgekrönte französische Roadmovie sich in der Limmatstadt so richtig toll auf die im Juni stattfindenden Eurogames von Olivier Ducastel und Jacques Martineau. Und die Schweizer Erstaufführung – das schwullesbische Grossereignis des Sommers 2000 – einstimmen kann. von BLESSED ARE THOSE WHO THIRST, ein Mordskrimi aus Oslo, gedreht von Gezeigt wird, das ist PINK APPLE seinem Ruf Carl Jorge Kionig, der die toughe Detektivin schuldig, Grosses und Kleines, Kurzes und Hanne Wilhelmsen Motorradfahren und Lei- Langes – auf alle Fälle Spannendes, chen suchen lässt. Spass macht aber auch Packendes und Schwullesbisches aus den das Kurzfilmprogramm, mit Beiträgen aus Gefilden der Siebten Kunst. Klassisches, wie Kanada, Türkei, den USA und der Schweiz; Rainer Werner Fassbinders Roman-Ver- unter letzteren Marc Moucis ONLY YOU und filmung QUERELLE, der letzte Film des gros- THE SKY WAS BLUE von Urslé von Mathilde. sen deutschen Melodramatikers, kongeniale Wie gesagt PINK APPLE geht fremd – und Verfilmung von Jean Genets Mörderstory das ist ganz einfach cool! «Genet de Brest» mit Jeanne Moreau in der Pink Apple – Schwullesbisches Filmfesti- Rolle einer zwielichtigen Grande Dame. Oder val, vom 27. April bis 21. Mai im Arthouse Fernöstliches, wie Yonfans BISHONEN! … Movie; Programminfos unter: BEAUTY, ein mitreissend gefilmtes Hong- http://www.arthouse.ch Olivier Ducastel in DROLE DE FELIX the last days

Steven Spielberg gründete 1994 nach den Erfahrungen und den Einnahmen und kehren 50 Jahre später mit dem Filmteam zurück an die Orte des Grau- aus «Schindlers List» die «Shoah Foundation» und setzte damit ein deut- ens. Was sich bei dieser Konfrontation mit der Vergangenheit ereignet, ist liches Zeichen einer Rückbesinnung auf sein eigenes Judentum. Shoah ist unbeschreibbar. Entsprechend verzichtet der Film auf jeden Kommentar. Die das hebräische Wort für Holocaust, und die Stiftung will möglichst viele Worte der Betroffenen stehen für sich, werden nur sorgsam eingebettet in Zeugenaussagen von Juden, die dem organisierten Massenmord der Nazis historische Dokumentarsequenzen. THE LAST DAYS ist sowohl tief bewe- entkamen, für die Nachwelt festhalten. gende Chronik wie ergreifendes Zeugnis THE LAST DAYS, der erste Dokumentar- dafür, was Menschen auszuhalten imstan- film, welchen die Stiftung finanzierte, de sind. Der ausführende Produzent Ste- wurde 1999 gleich mit einem Oscar aus- ven Spielberg sagte denn auch anlässlich gezeichnet. Und dies völlig zu Recht. Der der Premiere: «Für mich ist eine der wich- Film von James Moll porträtiert fünf Juden, tigsten Aussagen des Films …, dass diese die in ihrer Jugend den Holocaust in schrecklichen Ereignisse wirklichen Indivi- Ungarn überlebt haben und heute ameri- duen passiert sind, nicht gesichtslosen kanische Staatsbürger sind. Die Lehrerin, Millionen, und dass dasselbe auch mir, der Geschäftsmann, die Künstlerin, die dir, deinem Nachbarn passieren könnte.» Grossmutter und der amerikanische Kon- gressabgeordnete, sie alle erinnern sich Regie: James Moll. Ausführender Produ- an die schrecklichste Zeit ihres Lebens zent: Steven Spielberg. Verleih: Look Now! holy smoke

«Titanic»-Star Kate Winslet scheint die Lust auf Extremerfahrungen und Ruth zu bekehren, meint Waters; dann aber verfällt er in der Abgeschie- Sinnsuche gepackt zu haben. Vor kurzem erst hat sie sich in «Hideous denheit einer Wüstenhütte seinerseits dem sinnlichen Körper und enig- Kinky» als junge Mutter in Marrakesch auf die Suche nach Gott und der matischen Reden der jungen Frau … Jane Campion hat in ihren Filmen Erfüllung gemacht, schon spielt sie in Jane Campions HOLY SMOKE die immer wieder die Kraft starker Frauen ins Zentrum gerückt – doch so weit vom rechten Weg abgekommene Tochter einer australischen Familie. gegangen wie in HOLY SMOKE ist sie noch nie. Mit Bildern von bunter Angeödet hat sich Ruth von zu Hause Pracht und gleissender Kargheit fängt sie verabschiedet und verfällt in Indien dem den geheimnisvollen Zauber eines Glau- verführerischen Leuchten von Guru bens ein. Sie erzählt so humorvoll wie Babas drittem Auge. Sich vom weltlichen ernsthaft, thematisiert die Ängste der Leben zurückziehen und Babas Braut Familienmitglieder, aber auch den Wahn werden will sie; dies zum Entsetzen ihrer der Betroffenen. Feinfühlig umkreist Familie, die erst die Schwester, dann die HOLY SMOKE das so heikle, wie hochak- Mutter nach Indien schickt, um die verlo- tuelle Thema. Fürwahr: Mit HOLY SMOKE rene Tochter wieder zurückzuholen. Als «takes the battle of the sexes a whole beide unverrichteter Dinge zurückkehren, new twist». wird der professionelle Umerzieher P. J. Regie: Jane Campion. Mit: Kate Winslet, Waters – Harvey Keitel at his best – zu Harvey Keitel, Pam Grier. Verleih: Frenetic Hilfe gerufen. Nichts sei einfacher, als Films. gouttes d’eau sur pierres brulantes

Erinnern Sie Sich an Rainer Werner Fassbinder? An seine Melodramen und ter und Lover, sein Zögling, aber auch seine Hausfrau. Man könnte glücklich Theater, deren Protagonisten so schön deutsch Jochen, Franz, Marlene, Her- sein. Doch die Liebe lässt leiden: Kopfweh quält Léopold. Und Franz plagt mann und Eva heissen? R.W.F. ist tot. Doch nun hat der Franzose François die Langeweile. Dann können sie eigentlich nicht mehr – aber machen trotz- Ozon, einer seiner Bewunderer, ein Fassbinder-Stück ausgegraben: «Tropfen dem miteinander weiter: Wir haben «Liebe ist kälter als der Tod» gesehen, auf heisse Steine», oder wie der Film in Französisch titelt: GOUTTES D’EAU «Angst vor der Angst», «Die bitteren Tränen der Petra von Kant» – GOUTTES SUR PIERRES BRULANTES. Dieser handelt D’EAU SUR PIERRES BRULANTES rückt sie – wie könnte es anders sein? – von Liebe wieder in Erinnerung. Und weil Ozon sei- und Zuneigung, von Entfremdung, Angst nen Film in den 70er Jahren spielen lässt, und Abhängigkeiten. Da ist Franz, neun- weil seine Personen zwischendurch deut- zehn Jahre alt, verlobt mit Anna. Und da ist sche Gedichte zitieren, ist die Erinnerung Léopold, ein Mann um die fünfzig, von noch viel stärker. Etwas Eigenwillig-Rühren- Beruf Handelsreisender. Franz ist unschul- des hat dieser Film an sich, ist mit Bernard dig oder naiv. Und Léopold schwul, tyran- Giraudeau und Malik Zidi in den Hauptrol- nisch, gefangen in seiner Welt voll uner- len zärtliche Fassbinder-Hommage – und füllter Sehnsüchte und bizarrer Liebesvor- grandioses Melodrama. stellungen. Léopold verguckt sich in Franz. Regie: François Ozon. Mit: Bernard Girau- Nimmt ihn zu sich nach Hause, verführt deau, Malik Zidi, Ludvine Sagnier, Anna ihn. Franz bleibt. Er wird Léopolds Gelieb- Thomson. Verleih: JMH Distribution. bringing out the dead

Frank ist Sanitätswagenfahrer. Nacht für Nacht schiebt der Held in Martin Scor- se hatte schon immer ein Flair für die Geschöpfe der Nacht. Für verlorene See- seses BRINGING OUT THE DEAD Schicht. Rast mit Blaulicht und Martinshorn len, haltlose Gestalten, einsame Männer, unschuldig verkommene Frauen. In durch New York. Wandelt auf den Spuren von Unfall, Sucht und Verbrechen «After Hours» etwa, aber auch in «Casino», «The King of Comedy» und vor und hat immer nur das eine Ziel: Leben zu retten; dem Tod ein Schnippchen allem in «Taxi Driver», dessen Drehbuch, wie das von BRINGING OUT THE zu schlagen; ein Herz wieder zum Schlagen zu bringen; einem Kind auf die DEAD, von Paul Schrader stammt. In den meisten Scorsese-Filmen hat Robert Welt zu helfen; einen Junkie ins Diesseits De Niro die Hauptrolle gespielt – nicht so in zurückzuholen. Ein harter Job. Und ein BRINGING OUT THE DEAD. Da ist Nicolas schöner Job, wenn man wirklich Leben ret- Cage in die Rolle des rastlosen, charismati- tet. Doch der Protagonist von BRINGING schen und vom Leben überforderten Kerls OUT THE DEAD arbeitet seit Monaten gerutscht. Und er macht sich gut. Legt die erfolglos. Zählt Leichen statt Überlebende – Macho-Allüren aus «Wild at Heart» ab, lässt ein Alptraum. Dies umso mehr, als ihn die den Verlierer aus «Leaving Las Vegas» hin- Geister der Nicht-Geretteten zu bedrohen ter sich und erblüht an der Seite von Patri- beginnen; ihm den Schlaf, die Kraft, die cia Arquette zu einem zerbrechlich-starken, Lebenslust rauben. Doch dann begegnet sympathischen Helden. ihm eine Frau. Sie ist jung, verwirrt, dro- Regie: Martin Scorsese. Mit: , genabhängig, was weiss Frank: Für ihn wird Patricia Arquette. Verleih: Buena Vista Mary zum Rettungsengel … Martin Scorse- International. gods and monsters

«Frankenstein», «The Bride of Frankenstein», «The Old Dark House», «The Clayton weder um Whales Bekanntheit noch um dessen amouröse Offerten. Invisible Man»: Anfang der 30er Jahre drehte James Whale Horrorfilme, die Aber er hört ihm stundenlang zu … Leicht ironisch und dennoch einfühlsam bis heute Kult sind. 1896 in England geboren, genialer Filmemacher, aber schildert Condon die Begegnungen der beiden Männer. Er begleitet Whales auch bekennender Schwuler, umgibt Whale bis heute ein dunkles Geheim- Erzählung mit Rückblenden, füllt die Leinwand mit alten Horrorfilmen und mit nis. Höchste Zeit also, den Schleier zu lichten und «Frankensteins Vater» ein Szenen aus längst vergangenen, orgiastischen Nächten. «Willst Du mein letz- Denkmal zu setzen: GODS AND MON- tes Monster sein?» fragt Whale seinen Gärt- STERS beginnt 1957. Whale lebt zusam- ner: GODS AND MONSTERS überzeugt men mit Haushälterin Hannah in Pacific durch Witz, das lustvolle Spiel der Golden Palisades. 15 Jahre ist es her, dass er sich Globe gekürten Hauptdarsteller Ian McKel- vom Filmbusiness zurückzog, er privati- len und Brendan Fraser und durch die siert, widmet sich der Kunstmalerei, frönt Genialität seines Drehbuchs (Oscar). In den der Sinneslust. Nun aber geht’s mit dem USA innert Kürze zum Kultfilm geworden, Helden aus GODS AND MONSTERS bergab, dürfte GODS AND MONSTERS der Hit des seine Malversuche misslingen, seine Schweizer Kinosommers 2000 werden. Gedanken sind wirr. Einzig seine Freude an Männern ist ungebrochen und so wird der Regie: Bill Condon. Mit: Ian McKellen, Gärtner Clayton Boone sein Freund. Im Brendan Fraser, Lynn Redgrave. Verleih: Look Now! Gegensatz zu allen andern schert sich beau travail

Ja, damals, früher, da war alles – anders, besser oder eben: schöner; der Pro- lerweise verborgen bleibt. Das Leben im Camp ist hart – Denis hats ohne grosse tagonist von BEAU TRAVAIL sitzt in Marseille und erinnert sich. Sgt. Galoup war Dialoge, doch mit Verve auf die Leinwand gepackt. Erzählt, wie Galoup – Chefadjutant der französischen Fremdenlegion, stand mit seiner Gruppe über dessen Sicht der Film spiegelt – von seinen Männern geschätzt und geachtet nd mit Quellenangabe gestattet. Jahre im ostafrikanischen Djibouti im Einsatz. Das Leben war simpel, sparta- wird. Wie dann aber ein junger Rekrut, der einem Flieger das Leben rettet, plötz- nisch – und vor allem geordnet. Aufstehen, Appell, Übungen – und zwar sol- lich zum Held der Mannschaft wird. Wie erst Ärger, dann Neid und Hass an che, die den Ernstfall bis ins Detail vorweg- Galoups Seele zerren und wie ein tödlicher nehmen: Nicht Stuntmen, sondern Akteure Plan seine Gedanken immer mehr in Besitz kriechen in BEAU TRAVAIL unter Stachel- nimmt. liess sich von Hermann drähten durch. Klettern über Hürden, stürzen Mellvilles Roman «Billy Budd» zu BEAU sich in Gruben, um im Nu wieder rauszu- TRAVAIL inspirieren. Sie hat Carax’-Liebling klettern, eine neue Attacke zu üben, Angrei- Denis Lavant, Altstar Michel Subor und den fer mit Messern zu entwaffnen. Körperkraft bildhübschen Grégoire Colin in die Hauptrol- und inszenierte Sinnlichkeit packt BEAU len gesteckt; BEAU TRAVAIL ist die packen- TRAVAIL auf die Leinwand und das Erstaun- de Ode einer Frau an die Männlichkeit. lichste daran ist, dass nicht ein Mann, son- dern die Französin Claire Denis Regie führte. Regie: Claire Denis. Mit: Denis Lavant, Ihr Legionsfilm strotzt vor Männlichkeit. Michel Subor, Grégoire Colin. Verleih: Dringt ein in eine Welt, die Frauen norma- Agora Films. blood simple – director’s cut

Die Brüder Ethan und Joel Coen gehören längst zu den Big Shots Hollywoods. Mit «Bar- ton Fink», «Hudsucker Proxy» und «Fargo» gewannen sie Oscars, Goldene Palmen und zahlreiche weitere Preise. Es ist darum höchst erfreulich, dass nun mit BLOOD SIMPLE ein Frühwerk der gefeierten Meister in einer überarbeiteten Fassung wieder ins Kino gelangt. BLOOD SIMPLE beinhaltet alles, was ein guter Kult-Thriller braucht: Eine packende Story und eine Regie, welche dem Betrachter keine Sekunde Entspannung gönnt. Die junge Abby hat eine Affäre mit dem Barkeeper Julian. Abbys Ehemann ist eifersüchtig und heuert einen schmierigen Privatdetektiv an, der die beiden für 10 000 Dollar umbringen soll. Dies die brisante Ausgangslage. Was folgt, ist ein mörderischer Überlebenskampf, in dem Gute und Böse bald nicht mehr zu unterscheiden sind. Die Handlung von BLOOD SIMPLE ist spannend, die Musik ritzt gleich einem Skalpell über die Tonspur, die in neonfarbenes Licht getauchten Bilder spiegeln die Seelenzustände der Protagonisten. Neben Frances McDormand, die 13 Jahre später für ihre Rolle als schwangere Polizistin in «Fargo» den Oscar gewann, spielen die Landschaften des Staates Texas die Hauptrolle. BLOOD SIMPLE – DIRECTOR’S CUT ist vier Minuten kürzer

8001 ZÜRICH als die Studiofassung und ausgestattet mit zeitgemässem Dolby-Digital-Sound. ✩ Regie: Joel und Ethan Coen. Mit Frances McDormand, Dan Hedaya, M. Emmet Herausgeber ArthouseHerausgeber AG Commercio · Movie Grossmünsterplatz 1 · 8001 Zürich · · Nachdruck nur mit Genehmigung der Redaktion u P.P. Walsh, John Getz. Verleih: Frenetic Films.