Kanon Und Nationale Konsolidierung
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ZUR KUNDE SÜDOSTEUROPAS II / 45 Herausgegeben vom Institut für Geschichte der Universität Graz, Fachbereich Südosteuropäische Geschichte und Anthropologie Karl Kaser Karin Almasy Kanon und nationale Konsolidierung Übersetzungen und ideologische Steuerung in slowenischen Schullesebüchern (1848–1918) BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN WEIMAR Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Steiermärkischen Sparkasse, des Landes Steiermark und der Karl-Franzens-Universität Graz. Bibliograsche Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliograe; detaillierte bibliograsche Daten sind im Internet über http://portal.dnb.de abrufbar. © 2018 by Böhlau Verlag Gesellschaft m.b.H & Co. KG, Kölblgasse 8–10 , A-1030 Wien Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Theresa Rosinger-Zifko Lektorat: Constanze Lehmann, Berlin Umschlaggestaltung: Michael Haderer, Wien Wissenschaftlicher Satz: satz&sonders GmbH, Dülmen ISBN 978-3-205-23152-3 Im Gedenken an Erich Prunˇc Erihu Prunˇcuv spomin (1941–2018) »Whether we dene our chosen eld as history, translation, history of translation or translation in history, we can work on it in more ways than one, and the insights gained may benet more than one community.« (Hermans, Theo »Response«, in: Translation Studies, 2012, 5/2, 242–245, 245.) INHALT Einleitung . 9 Grundlagen . 19 1.1 Die Slowenen in der Habsburger Monarchie . 19 1.2 Das Übersetzungswesen in der Habsburger Monarchie . 30 1.3 Übersetzen und die Etablierung einer slowenischen ›Nationalkultur‹ . 35 Das Schulwesen der Habsburger Monarchie . 45 2.1 Politikum seit 1770 ..................................... 46 2.2 Die Grundzüge des Schulwesens ab 1848 .................... 56 2.3 Modernisierung und Politisierung der Schule . 63 2.4 Die neuen Schulen . 71 2.5 Slowenisch in den Schulen . 78 Das Schulbuch und seine historische Bedeutung . 91 3.1 Das Schulbuchwesen und der k. k. Schulbücherverlag . 91 3.2 Das Staatsmonopol der Approbation: Kanon und Zensur . 100 3.3 Die Anthologie Schullesebuch: Hüterin des Kanons . 110 3.4 Die slowenische Sprachentwicklung und das Schulbuch . 123 Ein Blick hinter die Kulissen . 139 4.1 Gymnasiallesebücher als ›Gaben am Altar des Vaterlandes‹ . 142 4.2 Zur Herausgeberschaft der Volksschullesebücher . 172 4.3 Zur sozialen Stratikation der AutorInnen und ÜbersetzerInnen . 180 Die Translationskultur in slowenischen Schullesebüchern . 187 5.1 Der Anteil von Übersetzungen und die Verteilung nach Textgattungen . 187 5.2 Die Unsichtbarkeit von Übersetzungen: Pseudo-Originale . 203 5.3 Rewriting I: Freie Übernahme am Buffet der Möglichkeiten . 222 5.4 Rewriting II: Selbstübersetzungen – Lokalisierungen – freie Nachdichtung . 237 Ideologische Steuerung durch Übersetzungen . 249 6.1 Die religiöse und moralische Belehrung . 253 6.2 Kaisertreue-dynastische Inhalte . 266 6.3 Förderung eines nationalen slowenischen Bewusstseins . 282 6.4 Betonung einer slawischen Verbundenheit . 305 8 Inhalt In Einklang und Konikt mit der Staatsmacht: Das Approbationsverfahren . 327 7.1 Einblicke in den Begutachtungsprozess . 327 7.2 ›Panslavistischer Geist‹ und ›nationale Umtriebe‹: Der Fall Schreiner . 343 7.3 ›Verherrlichung des slowenischen Volkes‹: Der Fall Sket . 352 Rück- und Ausblick: Kaiser, Gott, Heimat und Slawentum durch Übersetzungen? . 371 Anhang . 381 Methodik und Quellenlage . 381 Liste der approbierten slowenischen Schullesebücher (1848–1918).......................................... 388 Abkürzungen . 395 Bildnachweis . 397 Quellen- und Literaturverzeichnis . 399 Personenregister . 433 EINLEITUNG In seiner Rede vor dem Krainer Landtag am 12.02.1866 nahm der streitbare Dichter und Politiker Anton Graf Auersperg (alias Anastasius Grün) auf das Ungleichge- wicht zwischen deutscher und slowenischer Sprache und Kultur Bezug, indem er mit einem Hinweis auf das aktuelle slowenische Schulbuchwesen auf die Unzuläng- lichkeit der slowenischen Sprache verwies: Für die Zoologie und Botanik existiert nur ein Lehrbuch, nämlich die Übersetzung nach Pokorny, diese beiden Bändchen umfassend (zwei Bücher vorzeigend), die Mineralogie ist jedoch noch im Ausstande. Es ist aber für den lernbegierigen und namentlich den im Unterrichte in der Selbstbildung weiter vorrücken wollenden Schüler wirklich traurig, im Besitze dieser beiden Bücher sa- gen zu müssen wie der griechische Philosoph: Omnia mea mecum porto. 1 Diese überlieferte Szene, die polemisch dazu verkürzt wurde, Grün hätte sich ab- schätzig über die gesamte slowenische Literatur lustig gemacht,2 zeigt exemplarisch die Problematik der slowenischen Nationalbewegung, der slowenischen Sprache und der slowenischen Schulbuchproduktion in der zweiten Hälfte des 19. Jahr- hunderts auf. Es mangelte im Vergleich mit der übermächtigen, voll ausgebauten deutschen Sprache, die als lingua franca und als Bildungs- und Wissenschaftsspra- che fungierte, noch an so manchem. Umso mehr darf deshalb beeindrucken, was für imposante Fortschritte die slowenische Sprachentwicklung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bei ihrer ›Aufholjagd‹ gemacht hat. Gleichzeitig verdeutlicht diese Anekdote die große Bedeutung von Übersetzungen, schließlich konnte Grün während seiner Rede nur deshalb überhaupt etwas in seinen Händen halten, weil die ersten slowenischen Schulbücher bereits (nach deutschen Vorlagen) übersetzt worden waren. Dennoch wurden dem Thema Translation in geschichtswissenschaft- lichen Betrachtungen – wenn überhaupt – nur beiläuge Bemerkungen zuteil. Die vorliegende Arbeit soll diesen Missstand beheben und das ansonsten immer nur peri- pher behandelte Phänomen Übersetzen in den Mittelpunkt einer historischen Studie rücken. 1 [»All meinen Besitz trage ich bei mir.«] Zum Kontext dieser Aussage und der umstrittenen Persönlichkeit des berühmten Krainer Dichters allgemein, der in deutschen Lesebüchern der Monarchie prominent vertreten ist, von slowenischer Seite allerdings als ›Renegat‹ und Ab- trünniger gebrandtmarkt wurde, vgl.: Miladinovic´ Zalaznik, Mira, »Anastasius Grün und das Vereinte Slowenien«, in: Kakanien revisited 2008, 1–8, 6. Vgl. dazu auch schon: Prunc, Erich, »Hegemoniale und emanzipatorische Übersetzungsstrategien«, in: Snell-Hornby, Ka- dri´c(Hg.) 2011 – Die Multiminoritätengesellschaft, 83–97, hier: 89–92. Abdruck der gesamten Rede »Gleichberechtigung der slowenischen Sprache II«, in: Castle, Eduard, Anastasius Grüns Werke 6, Berlin, Leipzig, Stuttgart 1909, 247. 2 N. N., »Grof Anton Auersperg †«, in: Slovenski narod, IX/210, 14. September 1876. 10 Einleitung Damit wird ein Spagat zwischen zwei Themen versucht, die bislang nicht bzw. kaum gemeinsam untersucht worden sind. Mehr noch handelt es sich dabei um zwei Themenfelder, die primär im Interessens- und Forschungsbereich von zwei recht unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen liegen. Zum einen wird die Rolle und Wirkkraft von Übersetzungen untersucht, der Objektbereich der Translationswis- senschaft. Zum anderen geht es aber um jene komplexen, ineinander verzahnten und manchmal auch divergierenden Prozesse, die in der Habsburger Monarchie der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zur Herausformung der slowenischen Natio- nalbewegung, der Etablierung einer kollektiven nationalen Identikationskategorie, einer damit einhergehenden kulturellen, sprachlichen und literarischen Aufholjagd geführt haben und als Konsolidierungs- und Modernisierungsprozesse beschrieben werden können. Damit wird der Drahtseilakt versucht, das Augenmerk auf et- was zu richten, das grundsätzlich nicht im Fokus dieser beiden Disziplinen steht. Weder interessiert sich die Historikerzunft in der Regel brennend für Transla- tion oder reektiert viel über das Manipulations- und Gestaltungspotential von Sprache und Übersetzung in den von ihnen beforschten Prozessen noch stehen Geschichte und historische Fragestellungen – und schon gar nicht Themen der slowenischen Schulgeschichte der Habsburger Monarchie – in der Translationswis- senschaft auf Platz 1 der gängigen Forschungsthemen. Ein translationshistorisches Thema aus der slowenisch-deutschen Kulturgeschichte des 19. Jahrhunderts ben- det sich also gewissermaßen doppelt an der Peripherie. Gerade aber durch diesen interdisziplinären translationshistorischen Zugang zu einem scheinbar peripheren Thema kann – so meine Hoffnung – beiden Disziplinen Neues beigesteuert wer- den. Der konkrete Objektbereich sind dabei slowenische Übersetzungen in einem ent- scheidenden kultur- und identitätsverfestigenden Feld des 19. Jahrhunderts: dem Schulwesen, genauer gesagt dem Schulbuch, jenem Medium, in dem sich das Schul- wesen schriftlich manifestierte. Durch Schulbücher ist nämlich – so die erste arbeits- leitende These – der Werte-, Themen-, Wissens- und Literaturkanon rekonstruier- bar, der zu einem gewissen Zeitpunkt in einer gewissen Gesellschaft dominant war. Das anthologiegleiche Lesebuch, jene Schulbuchart, die hier im Fokus steht, bie- tet durch seinen universellen, enzyklopädischen Charakter einen guten Überblick über die inhaltliche Ausrichtung und ideologische Erziehung ganzer Generationen junger SlowenInnen. Durch die große Bandbreite der darin vertretenen Textsorten und Inhalte, die weite Verbreitung und die große innovative und sprachnormierende Strahlkraft, die von ihm ausging, ist das Schullesebuch nämlich im Stande, einen Überblick über weite Teile der damaligen