Baumgarten und die Ajatollahs

ISSN 2199-3572 Nr. 9 (25) September 2016/ Av – Elul 5776 RU NDSCHA U 3,70 € JÜDISCHEUnabhängige Monatszeitung · H erausgegeben von dr. r. Korenzecher ver.di und der Eine offene Wunde Die Knesseth Antisemitismus im Körper des feiert jüdischen Volkes Geburtstag Erschreckende Innenansichten Zum 75. Jahrestag Das Parlamentsgebäude aus der Welt der des Massakers des Staates Israel „Intellektuellen“ in Babij Jar wird 50 seite 14-15 seite 9 seite 19 KOLUMNE DES HERAUSGEBERS Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern - was nu? DR. R. KORENZECHER Liebe Leserinnen und liebe Leser, überschattet von weltweiter, besonders auch in Europa nahezu Alltag gewordener blutiger islamischer Gewalt, von Terror und Gräueltaten des sogennanten Islamischen Staates und von Michal Cizek, AFP Michal blutigen Islam-generierten kriegerischen Aus- einandersetzungen im Mittleren Osten, beson- ders in und um Syrien, geht der Sommer 2016 in dem vor uns liegenden September seinem Ende entgegen. Selbst der völkerverbindende olympische Gedanke, der schon in der Antike das hehre Ziel hatte, die Waffen ruhen und die Jugend nur im friedlichen Wettstreit ihre Kräfte messen zu lassen, musste auch bei der diesjährigen Som- mer-Olympiade von Rio ohne hinreichende Ahndung durch die olympische Völkerfamilie mehrfach Islam-getragenem Judenhass gegen israelische Olympioniken weichen. Gerade angesichts des niemals zu vergessen- den islamischen Mord-Terrors gegen die israe- lische Olympiamannschaft von München 1972 wären nicht nur wie in der politischen Doping- Ahndung gegen Russland eine entschiede- nere Reaktion der Olympia-Verantwortlichen gegenüber den muslimischen Sport-Funkti- onären und ein Ausschluss der islamischen Israel-Diffamierungs-Verbände sicher ein wün- schenswertes, wenn auch versäumtes Signal Von Ramiro Fulano einen Blumenstrauß, weil er seinen Job Gabi freute sich über seine Drei vorm in Richtung einer Aufrechterhaltung der wirkli- nicht verliert – scheitern muss sich wie- Komma (wie beim Abi von der IGS) chen olympischen Idee. Alles in allem ist der Bauernaufstand in der lohnen, nicht wahr? und direkt neben dem sozialdemokrati- Der in diesem Jahr mit dem Monat Septem- ihrem Vorgarten (a.k.a. Landtagswah- Als sich das Desaster für die CDU schen Rollbraten präsentierte sich jener ber zusammenfallende jüdische Monat Elul len Mecklenburg-Vorpommern) für die gestern Abend in seiner ganzen Pracht Teller realsozialistischer Rohkost, der ist der letzte Monat des alten jüdischen Jahres deutsche Kanzlerin doch sehr glimpf- entfaltete, sprang bereits in einer ersten in Berlin demnächst zum Regierenden 5776, das bereits zwei Tage nach Ende Septem- lich verlaufen: die deutsche Sozialde- Stellungnahme jemand in Schwerin vor Bürgermeister gewählt werden möchte ber mit Beginn des Monats Tishrei ebenfalls zu mokratie freut sich im Glanz der Fern- die laufenden Kameras und versuchte, (aber das tut jetzt nichts zur Sache). Sig- Ende geht. sehscheinwerfer über eine Drei als erste die richtigen Geräusche zu machen: bla mar Gabriel reduzierte die Wahlanalyse Der September ist von einer Reihe histori- Ziffer und sieht sich in ihrer Funktion als bla Angst-Kampagne, bla bla Sorgen zer- schnell auf die einzige und wichtigste scher Ereignisse geprägt, von denen einige Mehrheitsbeschaffer des Kanzlerwahl- streuen, bla bla Mut machen. Lieber Herr politische Vokabel, die der deutschen an dieser Stelle wegen ihrer besonderen tra- vereins bestätigt. Die AfD freut sich, von Dingsbums von der CDU (Ihren Namen Sozialdemokratie seit Jahr und Tag zu je- gischen Bedeutung, mit der sie unsere und null auf über 20% gekommen zu sein und konnte ich mir nicht merken): von the- der sich bietenden Gelegenheit einfällt: auch die jüdische Lebenswelt nachhaltig zweitstärkste Fraktion im Schweriner rapeutischen Dienstleistungen lebt eine „Sozial-Pakt!“. bis heute verändert haben, hervorgehoben Landtag zu werden. Nur bei der CDU ganze Branche und das ist nicht die Po- Vom „Sozial-Pakt!“ – ein anderes Wort werden sollen.. ist mal wieder Trübsal blasen angesagt: litik. Wenn Sie „Sorgen zerstreuen“ und für Steuererhöhungen – verspricht Herr Am 1. September 1939, vor 77 Jahren, über- 19% – ein Wahlergebnis mit Discounter- „Mut machen“ möchten, sollten Sie eine Gabriel sich mehr Erfolg im Kampf ge- schritten deutsche Truppen die Grenze des pol- Anmutung. Dass NPD, FDP und Grüne Fortbildungsmaßnahme vom Arbeits- gen „Rechtspopulismus!“. Denn siehe: nischen Nachbarn. Mit dem gänzlich unprovo- an der 5%-Schwelle scheitern, machen amt beantragen. Danach könnten Sie in Den Menschen geht es trotz hoher Steu- zierten Überfall und Eroberungsfeldzug gegen das Wahlergebnis recht erfreulich. die Bachblüten-Therapie gehen oder eine ern und Sozialabgaben noch immer viel Polen stürzte das damalige Nazi-Deutschland Kurz nach dem Touch-Down auf ei- Wellness-Oase eröffnen. Dort können sie zu gut in diesem, unserem Land. Bei den – gestützt und bejubelt von der überwiegen- nem funktionierenden Hauptstadtflug- „Sorgen zerstreuen“ und „Mut machen“. Berufstätigen bleibt immer noch viel zu den Mehrheit der Deutschen – Europa und hafen werden Frau Dr. Merkel lange Politik hingegen ist die Kunst des Mög- viel zum Leben übrig und diese Leute weite Teile der Welt nur 19 Jahre nach Ende des Gesichter im Konrad-Adenauer-Haus lichen (oder auch Machbaren) und mein kommen auf dumme Gedanken! Dafür ebenfalls von Deutschland verursachten Ersten begrüßen. Horst Seehofer wird etwas Anspruch an eine politische Partei ist, müssen sie bestraft werden, nicht wahr, Weltkriegs in den noch blutigeren und grausa- rumpoltern und sich in seinen politi- dass sie konkrete Lösungen für Probleme Herr Gabriel? Also: „Sozialpakt!“ – zack- meren Zweiten Weltkrieg, der 1945 mit der be- schen Ansichten und Forderungen be- erarbeiten und umsetzen kann. Therapeu- zack! Mehrwertsteuer 22%, Spitzen- dingungslosen Kapitulation und Zerschlagung stätigt sehen (wahrscheinlich zu recht). tische Eingriffe in politische Wahrneh- steuersatz 50%, Soli 10%. Das ist Sozi- des deutschen Hitlerreiches endete. Julia Klöckner und Ursel aus dem Ei wer- mungen hingegen sollten das Aufgaben- aldemokratie auf Höhe des Zeitgeists. Österreich 3,70 €; Italien 3,70 €; Schweiz 4,60 CHF; den versuchen, ihrer Mutti Mut zu ma- gebiet des deutschen Staatsfunks und der Und erst wenn der dümmste deutsche Luxemburg 3,80 €; Belgien 3,90 €; Niederlande chen („85% für unsere Politik“ etc., oder „Qualitätsmedien“ bleiben. Sozialdemokrat kapiert, dass Vater Staat 4,50 €; Slowakei 4,50 €; Slowenien 35 KN eben 80%). Und die Merkel-Männchen Während die CDU ihre Zukunft also ihm nichts geben kann, was er ihm nicht werden den Schwanz einklemmen und dank freiwillig-unfreiwilliger Hand- vorher weggenommen hat, wird sich da- sich fügen – was bleibt ihnen anderes üb- lungsunfähigkeit im Brainwashing sieht, ran etwas ändern. Solange bleibt es beim rig? Reine Zeitverschwendung, diese Sit- wird bei der SPD bereits mit der Spen- „Sozialpakt!“, der Dummheit und Faul- zung, wird Frau Dr. Merkel sich denken. denbüchse geklappert. Vize-Kanzler heit belohnt und Fleiß und Intelligenz „Ich kann doch trotz ein paar renitent Siggi führte sich im Willy-Brand-Ge- bestraft – mir freundlicherE mpfehlung gewordener Eingeborener in Mac Pomm häuse wie der Mops im Paletot auf (und der deutschen Sozis. ab 2017 wieder Kanzlerin werden, oder sah auch aus, braungebrutzelt nach sechs etwa nicht?“ Und Herr Caffier bekommt Wochen Sommerurlaub). Das dicke Fortsetzung Seite 2  2 WELT № 9 (25) September 2016 JÜDISCHE RUNDSCHAU Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern - was nu? Bei den „Alternativen“ war die Stim- Erfolgsmodellen zählen, ist eine Ein- sichten und Meinungen. Kein Wunder, autoritären Staats-Drohnen im Kopf mung super (natürlich nicht bei den sicht, die es in Germany noch immer denn selbstverständlich haben diese haben. In den tätlichen Angriffen der Grünen, die zusammen mit NPD und recht schwer hat. Schließlich ist das selbsternannten „politischen“ (sprich: geradezu orwellianisch benannten FDP da landeten, wo sie hingehören: individuelle Denken in Germany kei- wahnhaften) Eliten am meisten zu „Anti“-Faschisten (z.B. auf Professor in der politischen Wüste). Aber was ne Grundbedingung der Menschheit verlieren. Denn wenn die Fakten sich Meuthen während des niedersäch- nützt es, solange die sozialistische (wie etwa im common-law) sondern ändern, ändern vernünftige Leute in sischen Kommunalwahlkampfes in Einheitsmeinung die Hofberichterstat- nur ein Recht, dass der Staat seinen der Regel auch ihre Meinung. Was nun Hittfeld) offenbart sich der herrschen- tung bestimmt. Die Gleichschaltung Untertanen gönnerhaft einräumen und den Erfolg der AfD garantiert hat, war de Zeitgeist in seiner ganzen Brisanz: der Medienlandschaft ist inzwischen jederzeit entziehen kann. Für letzteres sicherlich die Ansicht, dass wir unsere Wenn man den Umgang mit politisch so absolut und unausweichlich, dass sorgen Leute wie Annetta Kahane und Welt nicht „nur von den ‚Refugees‘ ge- Andersdenkenden betrachtet, den ge- nur noch in Nischen jener intellektu- Möchtegern-Diktator Maas. liehen“ haben, sondern dass das Leben rade die deutsche Linke pflegt, muss elle Wildwuchs grassiert, der die Frei- In einer funktionierenden Demokra- immer noch jedem selbst gehört. man sich schon fragen, ob nationaler heit des Gedankens einmal definierte. tie ist die Stärke der Opposition im- Wenn auch Ihre Existenz davon ab- und internationaler Sozialismus nicht Der Rest ist politischer Safe-Space: ein mer auch die Schwäche der Regierung. hinge, die einzige verbleibende Oppo- doch zwei Backen vom selben Arsch Schonraum, den Vater Staat für Leute Doch mit dieser aufgeklärten und libe- sitions-Partei zu verteufeln, lächerlich sind. organisiert, die auch im mittleren Al- ralen Haltung tat sich die herrschende zu machen und durch den Kakao zu PS: Die Links-Partei war auch ange- ter noch wie Kinder behandelt werden Kaste in Deutschland immer schon ziehen, dann würden Sie das doch tun, treten, spielt aber irgendwie keine Rolle möchten. Dass aber Gesellschaften, schwer. Gerade die uffjeklärten und liebe Leserinnen und Leser - oder etwa mehr. in denen eine autoritär durchgesetzte linksalternativen Milieus versprechen nicht? Ich denke, man muss Rücksicht Einheitsmeinung regiert, nicht gera- sich am meisten von autoritären Auf- nehmen auf die Watte, die die meisten Zuerst erschienen auf „Haolam“. de zu den sozialen und ökonomischen tritten auf dem freien Markt der An- linksalternativen Riesenbabys und

 Fortsetzung von Seite 1 KOLUMNE DES HERAUSGEBERS DR. R. KORENZECHER In sechs Jahren brutalsten Krieges, zunehmender Intensität wachsenden Nachkriegs-Demokratie in ihrer über- der russischen Politik an Diktatoren in dessen Verlauf Deutschland auch die weltweiten, nun auch in Europa grassie- heblichen Arroganz gegenüber dem und Verfechter einer islamischen Welt- damalige Sowjetunion überfiel, wurde renden islamischen Terror, ist der sich Wahlbürger immer noch nicht ihre herrschaft vom Schlage des skrupel- Deutschland schuldig an einer hohen am 11. September zum 15. Mal jähren- eigene dumm-suizidale, falsch verstan- losen Panislamisten Erdogan und der zweistelligen Millionenzahl toter und de, mehrere Tausend unschuldige zivile dene Gutmensch-Politik und ihre hier atomaren Bewaffnung der iranischen verletzter Kriegsopfer, darunter über 20 Todesopfer, auch viele jüdische Men- an dieser Stelle und in der „Jüdischen Holocaust-Leugnungs- und Neuberei- Millionen Russen, sowie vor allem an schen, verantwortende islamische Ter- Rundschau“ schon oft und seit langem tungs-Mullahs. der entmenschten, industriell systema- roranschlag auf das New Yorker World betonte ausschließliche Verantwortung Obwohl der freiheitliche und demo- tisierten Entrechtung, Erniedrigung, Trade Center und andere inner-ameri- an der massiven, noch nicht einmal an- kratische Staat Israel mit seiner Stand- Folterung und Ermordung von 6 Mil- kanische Ziele. nähernd zu Ruhe gekommenen Abwan- haftigkeit und Verteidigungsbereit- lionen vollkommen unschuldiger deut- Die gebündelten islamischen An- derung der Wähler. schaft bei voller Beibehaltung seiner scher und europäischer Juden. schläge des „September-eleven“ 2001 Allerdings gibt es neben dem erfreu- ethischen und humanistischen Werte Ende September jährt sich zum 75. haben die amerikanische Nation und lichen Untergang der NPD und den täglich vorlebt, wie man dem islami- Mal auch das grauenvolle Massaker von die ganze westliche Welt erschüttert ebenso zu begrüßenden Verlusten der schen Terror und der unverhohlenen Babi-Jar, dessen unschuldigen Opfern sowie in der Folge die politischen Ge- SED-Nachfolger noch etwas wirklich, Vernichtungsabsicht trotzen kann, sind in diesen Tagen vor dem Ausklang des schehnisse der Welt nachhaltig bis heu- wirklich Positives bei dieser für die eta- seine vermeintlichen westlichen Ver- alten jüdischen Jahres unser Andenken te beinflußt. blierten Parteien eher beunruhigenden bündeten – inklusive der unsäglichen gilt. Diese Schlucht bei Kiew war 1941 Unterstützt durch eine fahrlässige Wahl: Die Sexangriff-Relativierer der Obama-Administration – keinesfalls der Schauplatz der größten einzelnen und suizidale Islam-Appeasement-Po- grünen Bürger-Entmündigungs und bereit daraus zu lernen, sondern reihen Erschießungsaktion an jüdischen Män- litik unserer gegenwärtigen westlichen Bevormundungs-Partei von Eckard- sich mit den arabischen Unrechtsregi- nern, Frauen und Kindern im Zweiten Führungen erodieren unsere bislang Göring, Trittin und Roth müssen er- men in den Tenor der Dämonisierung Weltkrieg. Unter der Verantwortung noch freiheitlichen demokratischen freulicherweise draußen bleiben. und der Pressionen gegenüber dem ein- der Wehrmacht wurden am 29. und Systeme zusehends. Eine zunehmende Dabei wäre die Lösung für die Akzep- zigen demokratischen Staat in der ge- 30. September 1941 mehr als 36.000 Anzahl islamisch dominierter, nahezu tanzprobleme der Etablierten denkbar samten weitgefassten Region ein. Juden ermordet. In den Tagen vor dem rechtsfreier No-Go-Areas innerhalb einfach: Leider verheißen hier die amerikani- industriellen Massenmord mit Giftgas der europäischen Städte, deutlich ge- Wenn die CDU, deren unzufriedene schen Wahlen mit der Führungsschwä- wurden die Morde an Juden von Wehr- fühlter Mangel an innerer und äußerer Basis hier massiv gefordert wird, ihre che der Republikanischen und der Is- macht und SS noch hauptsächlich mit Sicherheit und Angst vor weiterem is- amtierende Regierungs-Crew und die rael-Feindlichkeit der Demokratischen Schusswaffen verübt. Die 6. Armee un- lamischen Terror verändern besonders anderen nachgeschalteten politischen Partei keine Entlastung für die Sicher- ter Generalfeldmarschall Walter von nach der blutigen, durch islamische Ja-Sager, Merkel-Claqueure und wirkli- heit Israels und seiner Bürger. Reichenau, die bereits in den Monaten Täter verursachten Anschlagserie die- chen Wahlhelfer der AfD, zur Amtsauf- Trotzdem tragen wir die berechtigte zuvor der SS bei den Judenmorden zur ses Sommers, spürbar das Verhalten gabe und dem längst überfälligen Rück- Gewissheit, dass der jahrtausendealte Seite stand, half auch bei der Planung und das politische Votum der sich von tritt bewegen und einen substantiellen Überlebenswille und die ethische und und Durchführung dieser Vernich- ihren bislang gewählten politischen Kurswechsel weg von der Politik der positive, das Leben aller Menschen als tungsaktion. Keiner der Offiziere der Vertretern im Stich gelassen fühlen- Noch-Kanzlerin bewirken könnte, wäre wertvolles Geschenk und wichtigstes Wehrmacht, die sich an Vorbereitung, den europäischen Wähler, und führen die noch heterogene Protestwähler- Gut betrachtende lebensbejahend zu- Durchführung oder Vertuschung des zu dem lange vorausgesagten reaktiven Partei AFD im gleichen Augenblick auf versichtliche Einstellung des jüdischen Massakers beteiligt hatten, musste sich Erstarken des politisch rechten Randes dem politischen Abstellgleis. Volkes den Staat Israel, seine Bürger in der Folge jemals vor Gericht verant- in unseren Gesellschaften, was neben Diese Erkenntnis wird aber aufgrund und die Juden in aller Welt unbescha- worten. der unser Rechtssystem verachtenden der vollständigen Einsichtslosigkeit der det auch aus dieser Gefahr bringen und Der Zweite Weltkrieg hat mit den und massiven Judenhass verbreitenden hiesigen Amtsträger leider auch nach vor der ruchlosen Vernichtungsabsicht Millionen ermordeter jüdischer Men- Islamisierung gegebenenfalls und dau- der Wahl in Mecklenburg-Vorpommern seiner arabischen und sonstigen Feinde schen auch die Jahrhunderte alte Kultur erhaft zu einer weiteren ausschließlich nicht wirklich etwas an der bisherigen bewahren wird. und Sprache der osteuropäischen Juden durch die etablierten Parteien verur- Politik ändern. SPD und CDU werden Gerade im August feierte die Knes- vernichtet, die politische Karte und die sachte Gefährdung unserer verteidi- die Niederlage mit markigen Worten set, das israelische Parlamentsgebäude politischen Systeme Europas und des gungswerten westlichen Demokratien zum gemeinsamen Wahlauftrag des sein 50-jähriges Bestehen in der ewigen Nahen Ostens bis in die heutige Zeit und einem deutlich gewachsenen Anti- Wählers uminterpretieren und in ge- und ungeteilten jüdischen Hauptstadt grundlegend verändert und den Grund- semitismus und Anti-Israelismus in un- übter Weise bis zur Unkenntlichkeit Jerusalem und wird dies noch viele, stein für den Kalten Krieg und die meis- seren europäischen Staaten geführt hat pervertieren. Islam-appeasement und viele Jahrtausende in Glück und Segen ten bis in die heutige Zeit hineinwir- und noch weiter führen kann. Quasi-Verzicht auf die Anwendung un- feiern. kenden Konflikte und Gefahrenherde Ein deutliches Signal in diese Rich- serer demokratischen Rechtsnormen In diesem Sinne wünsche ich dem unserer Welt gelegt. tung haben erwartungsgemäß die als gegenüber Islam-generierter Gewalt demokratischen und lebensfrohen, frei- Von größtem Einfluss für unser heuti- bundesrepublikanisches Politbaro- und das vorsätzliche Wegsehen bei heitlichen und legitimen Staat Israel, ges Geschehen, für die Kriege und blut- meter zu bewertenden Ergebnisse der muslimischem Israel- und Judenhass seinen Bürgern und dem ganzen jüdi- rünstigen, gewalttätigen zivilen Aus- Landtagswahlen in Mecklenburg Vor- auf unseren Straßen werden uns eben- schen Volk, ebenso wie unseren Lesern einandersetzungen in den arabischen, pommern gesetzt. so wie die unsägliche und konzeptlose und uns allen eine ruhige und friedvolle nahezu ausnahmslosen „failed states“ Ganz offensichtlich begreifen die Außenpolitik des Merkel/Steinmeier- Sommer- und Jahresausklangszeit. und den fanatischen, menschenrechts- verbohrt blinden und von jedem po- Gespanns erhalten bleiben. verachtenden, rückschrittlichen isla- litischen Instinkt verlassenen Amts- In diesem Bereich führt zur erhebli- Am Israel Chai! mischen „G’ttesstaaten“, für die islam- träger der etablierten Parteien und chen Destabilisierung unserer Lebens- legitimierten Mordbanden im Nahen Totengräber unserer freiheitlich west- welt die mehr als zweifelhaften Anbie- Ihr Osten sowie für den seit Jahren mit lichen, wundervollen pluralistischen derungen unserer westlichen aber auch Dr. Rafael Korenzecher № 9 (25) September 2016 JÜDISCHE RUNDSCHAU WELT 3 „Die friedliche Mehrheit ist irrelevant“ Warum die bisherige Debattenkultur im Umgang mit dem Islamismus überdacht werden muss Von Melissa Kaiser den überdurchschnittlich Brigitte Gabriel benennt klar, dass we- oft die Brücke zwischen nigstens fünfzehn bis zwanzig Prozent Es gibt eine Reihe von Standardaus- WIKIPEDIA Nicht-Muslimen, Musli- der Muslime nach weltweiten Geheim- sagen, die im Kontext der Islamkritik men und dem Islamismus. dienstangaben als radikal einzustufen immer wieder angebracht werden. Kri- All diese Inhalte werden sind. Das entspricht der Zahl von min- tik an den gewaltvollen Imperativen oft von Menschen, die zur destens 180 Millionen, die der westli- des Korans wird nicht selten mit der sogenannten „friedlichen chen und demokratischen Gesellschaft Floskel abgetan, die Bibel enthielte Mehrheit“ gezählt werden, feindlich gegenüberstehen. Das ist keine doch auch Gewaltpassagen. Viele Per- verbreitet. Zusammen mit Ansammlung aus wenigen Einzelfällen, sonen machen es sich noch einfacher der Appeasement-Politik sondern eine systematische Bedrohung und bemühen die Aussage, das hätte gegenüber Staaten und Re- für die westlichen Staaten und somit für überhaupt nichts mit dem Islam zu tun. Die arabisch-amerikanische Aktivistin Brigitte Gabriel klärt seit gimes, die nicht minder ge- die Demokratie. Viel populärer jedoch ist der ständige Jahren über den Islam auf. waltsam als der IS agieren, Die größere Gefahr für die westlichen Verweis auf die friedliche Mehrheit entsteht ein hochgefähr- Demokratien geht derzeit noch nicht von der Muslime, wenn die Gefahr des Is- die friedliche Mehrheit verweisen, die liches Gemisch antidemokratischer denen aus, die im Nahen Osten auf bes- lamismus beziehungsweise des islamis- Frage beantworten, was sie explizit un- Kräfte mitten unter uns. Das Ausmaß tialische Art und Weise Menschen töten. tischen Terrors diskutiert wird. ter „friedlich“ verstehen. Können wir dieser Kräfte wird bisher sowohl in Es sind jene Personen, die hierzulande Solch eine Aussage tätigte eine mus- uns es leisten, „friedvoll“ an niedrigen Deutschland als auch in anderen Staa- eine nahezu identische Ideologie pflegen, limische Jura-Studentin auf einer Ta- Erwartungen zu messen? Eine aufge- ten deutlich unterschätzt. welche sie selbst nicht morden lässt, aber gung der „The Heritage Foundation“, ei- klärte Gesellschaft sollte sich diese Auch selbsternannte „linke“ „eman- dafür sorgt, dass die Demokratie nach ner konservativen Denkfabrik mit Sitz Fragen besser früher als später stellen. zipatorische“ Kräfte verfahren in den und nach zugunsten dieser Ideologie in Washington. Die Studentin pranger- Aufklärung und die Errungenschaften letzten Jahren völlig regressiv, wenn es umgestaltet wird. Hofiert von einem Teil te die von ihr als Sippenhaft aufgefass- der Demokratie sind keine garantier- um das Thema Islamismus geht. Kri- der schweigenden oder relativierenden te Kritik am Islam an, indem sie nach- ten Maßstäbe, die man bei einmaligem tik an den bereits genannten Punkten Mehrheit, der noch immer zu glauben drücklich betonte, dass die Mehrheit Erreichen für immer erworben hat. Im ist ein Tabuthema. Das Phänomen der scheint, dass die Kreuzzüge unsere größ- der Muslime friedfertig sei. Brigitte Ga- te Bedrohung darstellen oder weltbeherr- briel, eine libanesisch-amerikanische D ie Verbrechen des Dritten Reiches wurden schende Zionisten. Journalistin und politische Aktivistin Eine Demokratie kann solchen antide- gegen den islamischen Extremismus, nicht von der Mehrheit der Deutschen be- mokratischen Kräften keinen Platz ein- griff diese Aussage souverän auf. Dabei räumen, sie muss strikt intolerant sein. verwies sie auf die Verbrechen des Drit- gangen. Doch die „friedliche“ (und oft heim- Natürlich sind nicht alle Muslime radikal. ten Reiches, die nicht von der Mehr- Das ist ein Konsens, der schon längst bei heit der Deutschen begangen wurden. lich zustimmende) Mehrheit spielte keine einem Großteil der politischen Diskussi- Dabei betonte sie aber, dass die fried- onen angekommen ist und nicht immer liche Mehrheit keine Rolle spielte, da Rolle als 60 Millionen Menschen Opfer neu diskutiert werden muss. Es wird Zeit 60 Millionen Menschen Opfer des vom endlich einen Schritt weiterzugehen und NS-Diktator losgetretenen Weltkrieges des vom NS-Diktator losgetretenen sich zu fragen, wie lange man noch passiv wurden. Sie zählte auch das kommu- oder gar aktiv daran wirken möchte, dem nistische Russland auf, welches 20 Mil- Weltkrieges wurden. Islamismus die Tür aufzuhalten. lionen Todesopfer hervorbrachte. Auch Die friedliche Mehrheit könnte sich hier wies sie mit Nachdruck darauf hin, Gegenteil: Diese müssen tagtäglich ge- Querfront, der Verbindung zwischen selbst Relevanz verschaffen, indem sie dass die friedliche Mehrheit angesichts gen antidemokratische Kräfte vertei- regressiven linken und rechtsextremen sich aktiver und leidenschaftlicher in den solcher Opferzahlen schlicht irrelevant digt werden. Dazu zählt auch islamis- Kräften, spielt dem Islamismus in die Kampf für die Demokratie einbringt und gewesen sei. tisches Gedankengut, welches nicht Hände. Auf den ersten Blick mögen nicht weiterhin in einer Abwehrhaltung Unumstößlich stellte Gabriel klar, nur in den Köpfen von IS-Kämpfern zu diese Strömungen nicht vereinbar sein. verharrt. Wer den Koran für seine gewalt- dass nicht sie und andere Kritiker Sip- finden ist. Doch das gemeinsame Fundament tätigen Imperative kritisiert, der distan- penhaft praktizierten. Und damit lag Nach den Terroranschlägen auf „Char- ist auch hier ganz deutlich der Anti- ziert sich automatisch von diesen. Wer sie durchaus richtig. Die Praxis, sich lie Hebdo“ weigerten sich muslimische semitismus und Antiamerikanismus. diese Kritik jedoch unterlässt oder gar reflexartig bei jeder Kritik in die Rolle Schüler in Frankreich, an den Gedenk- Teilweise beginnen diese Strömungen unterbinden möchte, der muss sich das des diskriminierten Opfers zu begeben, minuten für die Opfer teilzunehmen oder miteinander zu verschmelzen, weshalb Misstrauen der restlichen Gesellschaft konnte in den letzten Jahren sehr oft in störten diese. Insgesamt zweihundert es stets komplexer wird, diesen effektiv durchaus gefallen lassen. der deutschen Debattenkultur beob- Fälle, darunter vierzig mit Polizeieinsatz entgegenzutreten. Brigitte Gabriel hat die Hölle islamis- achtet werden. Der überhastete Vor- sind bekannt. Ähnliche Vorfälle gab es Ein nicht zu verachtender Teil der tischer Gewalt übrigens hautnah erlebt. wurf der „Islamophobie“ unterdrückt auch an deutschen Schulen. friedlichen Mehrheit kann also Wegbe- Sie stammt aus einer arabisch-christ- eine mehr als überfällige Diskussion Terrorverherrlichung ist keine Sel- reiter für die Arbeit, die der IS verrich- lichen Familie und wuchs im Libanon über das Radikalisierungspotential in tenheit. In Facebook ist diese perma- tet, bezeichnet werden. Das mag hart auf. Dort wurde das Familienhaus wäh- der islamischen Gemeinschaft welt- nent anzutreffen, auch in Kommen- klingen. Aber die ideologische Basis rend des libanesischen Bürgerkriegs von weit. Die astronomisch hohen Opfer- tarspalten deutschlandweit bekannter für den Islamismus wird aktiv in der islamistischen Kräften zerstört. Gabriel zahlen radikaler Islamisten sind Grund Zeitungen. Verschwörungstheoreti- westlichen Gesellschaft gepflegt, von selbst wurde von einer Granate verletzt. genug, dieses Potential klar benennen sche Gedanken mit antisemitischem verschiedenen politischen Kräften der Damals war sie gerade einmal zehn Jah- zu müssen. Wer dies unterlässt, hilft und antiamerikanischem Inhalt bil- rote Teppich ausgerollt. re alt. weder den Muslimen in der westli- chen, noch in der restlichen Welt. Und er macht sich auch oft unwissend zum Mittäter, weil er emanzipatorische Sie interessieren Sich für die „Jüdische Rundschau“, möchten sie aber aus be- Kräfte unterdrückt und diese als „ras- stimmten Gründen nicht abonnieren. Deswegen haben Sie die Zeitung ab und sistisch“ brandmarkt. Wer genau ist eigentlich die vielbe- zu im Zeitungskiosk gekauft. Aber Sie laufen nicht gerne zum Zeitungskiosk oder schworene friedliche Mehrheit? Wenn finden da die Zeitung nicht immer. Möglicherweise ist Ihre Beweglichkeit be- man das friedliche Potential an der Ge- waltausübung des Islamischen Staates grenzt oder Sie möchten es lieber bequem… misst, so wird man zweifelsohne fest- stellen können, dass die Mehrheit sehr friedlich ist. Doch ist es nicht ein wenig Dann haben wir ein bescheiden, dieses Potential nur daran zu messen, ob Menschen getötet wer- den? tolles Angebot für Sie! In Bezug auf den Antisemitismus fällt ein anderes Licht auf diese Fried- fertigkeit. Laut des Antisemitismus- Sie können auf unserer Website www.juedische-rundschau.de die aktuelle Aus- Index der Anti-Defamation League, gabe der „Jüdischen Rundschau“ bestellen und online bezahlen. Die Zeitung der jährlich aktualisiert wird, erreichen islamische Länder die mit Abstand wird innerhalb von 24 Stunden nach Bestellung und Bezahlung an Sie verschickt höchsten Antisemitismuswerte. Des- halb müssen Menschen, die stets auf und kommt direkt zu Ihnen per Post in einem neutralen Briefumschlag. 4 WELT № 9 (25) September 2016 JÜDISCHE RUNDSCHAU Warum westliche Linke die Rechtsextremen fremder Länder lieben Der Standort-Liberalismus der „Fortschrittlichen“ Von Seth Frantzman Weil amerikanischer, französischer oder deutscher es nicht ist. Wenn die Geschichte des Westens ge- Das Ausland ist der richtige Platz, um schrieben wird, wird sie lauten: Sie erzo- die eigene Liebe für „stolze Nationen“ gen sich dazu, sich selber zu hassen und auszuleben. Dort kann man ganz offen am anderen zu lieben, was sie an sich sel- mannhaften, mächtigen Männern, Natio- ber hassen. nalismus, religiösem Extremismus, Krieg Von einer ziemlich einheitlichen Ba- und öffentlichen Stockschlägen huldigen, sis ausgehend, akzeptieren Menschen im Erhängen, Enthauptung, Steinigung – Westen Werte des Auslandes, die sie zu WIKIPEDIA lasst all eure Aggressionen heraus, die das Hause ablehnen würden. Dies zeigt sich Leben im Westen sonst unterdrückt. besonders merkwürdig und widersprüch- Die Liebe zu fremden Nationen und lich unter denen, die sich als „links“ oder Religionen, die man so oft in den Schrif- „liberal“ betrachten und dann aber Bewe- ten Linker findet, die sich scheinbar dem gungen, Staatschefs, Ideologien und Reli- Nationalismus widersetzen, ist immer in- gionen, die nachweislich intolerant bzw. teressant. Die Liebe zu „Stolz“, Vertrauen, rechtsextrem sind, gutheißen. So äußerte Würde und Wurzeln, zu Faust und Flagge, etwa die amerikanische Philosophin und zu Schwert und Gewehr, deutet auf ein Gender-Theoretikerin Judith Butler im nationalistisches Verlangen hin, das die Jahr 2006, dass es extrem wichtig sei „die Judith Butler (links) mag die Hamas (rechts im Bild deren Chef Maschal). westliche, selbst-ernannte Linke sich sel- Hamas (und) Hisbollah als soziale Bewe- ber zu Hause nicht erlauben kann. gungen, die fortschrittlich, links und Teil linker machte als die Völkermörder der Schauen wir uns als perfektes Beispiel Dieselben Werte an Trump oder dem der globalen Linken sind, zu verstehen.“ Hutu in Ruanda. dafür Chavez an: Ein aufgeblasener, tyran- Brexit, Le Pen oder der Liga Nord, die Dieser widersprüchliche Blick ist be- Was machte arabische Nationalisten nischer, uniformierter Militarist und eins- die Fortschrittlichen im Westen anrüchig zeichnend für ein Phänomen, das von Mi- einer Sorte, wie zum Beispiel die „Paläs- tiger Putsch-Anführer wurde zu einem finden, sind bewundernswert, wenn sie chel Foucaults Akzeptanz der Islamischen tinenser“, „links“, arabische Nationalisten „revolutionären Internationalisten“ und in Venezuela, Syrien, dem Iran oder unter Revolution im Iran bis hin zu jenen „An- einer anderen Sorte, wie zum Beispiel die seither gepriesen. Er besaß „kompromiss- „Palästinensern“ ausgedrückt werden. ti-Kriegs“-Aktivisten in Großbritannien Streitkräfte des Libanons, „rechts“? losen Antiimperialismus“ und mobilisier- Führt euch doch nicht selbst an der Nase reicht, die den syrischen Präsidenten Ba- Die Loyalität zu diesen linken Bewe- te die „globale Einheit gegen den Haupt- herum und tut so, als würden diese Fort- schar al-Assad sowie die russischen Bom- gungen war größtenteils ideologisch, feind“. Seine „Basis-Gemeinderäte“ waren schrittlichen nicht hören, wie ihre Freun- ben auf Zivilisten befürworten. wenn nicht widersprüchlich. So wurde das „engagierte Volk, das eine bedeutende de im Iran Abtreibungen „satanisch“ Warum entschuldigen Menschen, die Stalin einfach deshalb unterstützt, weil ein Demokratie aufbaute“. Alan Woods warn- nennen oder Homosexuelle als „Krebs“ in den USA oder in Frankreich die Rechte paar Linke im Westen die Linie der Kom- te im „London Progressive Journal“ vor bezeichnen. Oder als vernähmen sie nicht, der Frauen unterstützen, das iranische Re- munistischen Partei der Sowjetunion an- „Sabotage“ und dem „Lumpenproletari- wie ihre chauvinistischen Freunde in der gime? Warum halten solche, die Militaris- nahmen. Andere fanden den Genossen ats-Gesindel“, das den armen Chavez „an- muslimischen Bruderschaft Frauen ihren mus ablehnen, Uniformen in Moskau oder Trotzki besser und lehnten daher Stalin greifen“ würde. „Platz im Haus“ zuweisen. Pakistan für romantisch? ab. Nicht weil sie Liberale waren, sondern Für einen Westler steht also fest: „Cha- Sie hören es und unterstützen es. Wenn Warum finden jene, die den US-ame- weil die Partei es ihnen so vorgab. vez ließ sich immer durch den Kontakt die übergewichtigen, bärtigen religiösen rikanischen Präsidentschaftskandidaten In diesen Tagen wollte die ideologische mit den revolutionären Massen inspirie- Führer im Iran sagen, dass „Männer und Donald Trump ablehnen, aufgeblasene Linke, dass der Westen ein Abbild der So- ren.“ Frauen unterschiedlich sind. Frauen wer- Populisten wie Venezuelas Hugo Chavez wjetunion wird: Ein Ein-Parteien-Staat, Warum haben sie denn dann keinen den von ihren Gefühlen gesteuert“, reißen so reizend? den sie kontrollieren würden. Chavez in Großbritannien oder den dieselben Leute, die im Westen von „Gen- Warum ist Assads Krieg gegen den Wenn wir nun in die 1990er und zum USA? Paradierende Männer in Uniform, der-Neutralität“ sprechen, die Augen auf Terror so gut und George W. Bushs so und antworten: „Sehe ich genauso. Was schlecht? für eine Erkenntnis!“ Große Zahlen von Berichterstattern D er rechte Nationalist und Militarist Chavez Anstatt zu fragen: „Wo ist denn bei euch und Intellektuellen, die mit der „Linken“ die Transgender-Toilette?“ des Westens assoziiert werden, haben sich ist in ihren Augen besser als Trump. Als Hugo Chavez sagte, er könne gar in den letzten 100 Jahren kontinuierlich nicht schwul sein, weil er „Macho genug mit totalitären, extremistischen, gewalt- ist, um jegliche Anschuldigungen in dieser tätigen, populistischen, militaristischen, Fall des Kommunismus kommen, war da- die donnernde Stimme des Präsidenten Hinsicht sofort in Luft auflösen zu können“, rechtsextremen und religionsfanatischen mals die Notwendigkeit, gegenüber einer auf allen Kanälen, die Suche nach „Fein- haben Anwälte für Schwulenrechte nicht Regimen und Bewegungen im Ausland zerfallenden und sterbenden offiziellen den“ und „Sabotage“? Ein wenig wie Do- mal mit der Wimper gezuckt. Homophobie verbunden. Linken im Ausland loyal zu sein, kaum nald Trump, nur noch ein bisschen doller. ist cool – aber nur woanders, nicht zu Hause. Ob es nun George Bernard Shaw war, mehr gegeben. Weil die Westler ihre „großen Führer“ Dieses gesamte Phänomen sollte man der Stalins Russland bereiste und an- Was nun aber tun mit der Leere im In- in Venezuela, nicht in London wollen wohl als „Standort-Liberalismus“ bezeich- schließend überall rechtfertigte, oder neren, dem Bedürfnis, fanatischen, grau- und die Religions-Polizei „unanständige nen. Noam Chomsky, der befand, dass vor dem samen und extremistischen Bewegungen Frauen“ in Aceh, nicht in Dänemark schi- Standort-Liberalismus bedeutet, Frei- Genozid in Kambodscha Geflüchtete „un- anderer Länder gegenüber loyal zu sein? kanieren soll. Nationalismus im Ausland, heitlichkeit nur an einem bestimmten Ort glaubwürdig“ und „Berichte von Massa- Wo war die Romantik der „Revolution“, Pragmatismus zu Hause. Die Boliviani- zu unterstützen, woanders hingegen das kern falsch“ seien. Es gibt eine lange Tra- wie sie den Genozid in Kambodscha nann- sche Revolution im Ausland, Internatio- diametrale Gegenteil dessen zu befürwor- dition, Verbrechen im Ausland in ein zu ten, wo die Revolution der „Proletarier“ nalismus zu Hause. ten. Das Ergebnis ist, dass es im Grunde mildes Licht zu rücken, die man zu Hause und des „Volkes“ und das Schwärmen von Weil die Venezolaner nun mit Hunger zwei rechte Kräfte gibt, die sich im Westen niemals entschuldigen würde. Massenmord im Namen des Populismus? den Preis zahlen, wie kürzlich der BBC miteinander im Krieg befinden. Die eine Um dieses Phänomen zu verstehen, Um die blinde und widersprüchliche berichtete. Leere Regale; Frauen, die unterstützt die Kräfte der rechten Religi- müssen wir ergründen, was es im Westen Loyalität von Menschen zu verstehen, ihre Kinder nicht stillen können, weil das ons-Nationalisten des Auslands, die ande- bedeutet, „links“ zu sein. Links zu sein die sich selber „fortschrittlich“ nennen, Land von diesem populistischen, militä- re unterstützt jene zu Hause. heißt gut zu sein, fortschrittlich, für die aber offenkundig reaktionäre Politik im rischen Nonsens zerstört wurde. Die zerbrechlichen liberalen Werte des Rechte der Frauen, Rechte der Schwulen Ausland akzeptieren, heißt zu verstehen, Chavez war nicht „fortschrittlich“, er Westens, für die 1.000 Jahre gekämpft und Lesben, für den Umweltschutz, sozi- dass Menschen ihre innere „Wutlücke“ war ein rechter Militarist, der sich selbst werden musste, indem man die Macht ale Gerechtigkeit, die Rechte der Arbeiter füllen müssen. als links ausgab, genauso wie die Hisbol- von Religion, Nationalismus, Rassismus, und gegen Rassismus und Diskriminie- Für die selbsterklärte Rechte im Westen lah und Hamas, Baschar al-Assad und die Fremdenfeindlichkeit und Chauvinis- rung, vielleicht gegen Atomkraft und ge- ist diese Lücke angereichert mit hausge- Ayatollahs alle „links“ sind. mus brach, haben keine Chance gegen die gen Krieg. machtem Nationalismus. Aber zu Hause In den USA bedeutet soziale Gerech- Streitkräfte der fremden Rechten, gegen Das hat es jedoch nicht immer bedeutet. scheuen die Linken Nationalismus. Den- tigkeit, Minderheiten anzuerkennen. die internen Rechten sowie gegen die in- Vor dem Niedergang der Nazis war links noch ist der Nationalismus der „anderen“ Aber die, die zu Hause soziale Gerech- ternen Standort-Liberalen, die sie zu Hau- zu sein vor allem die ideologische Ent- authentisch und schmackhaft. Die eigene tigkeit predigen, begrüßen fanatischen, se betrügen und draußen verteidigen. scheidung, Teil einer „globalen Linken“ Flagge abzulegen ist ein absolutes Muss, religiösen Extremismus im Ausland. Wenn die Geschichte des Westens ge- aus verschiedenen Bewegungen zu sein. sich selbst den Nationalismus anderer ein- Niemand würde in Chicago ein Gesetz schrieben wird, wird sie lauten: Sie erzo- Obwohl vordergründig für die Rechte zuverleiben, akzeptabel. akzeptieren, das Frauen vorgibt, ihr Haar gen sich dazu, sich selber zu hassen und der Arbeiter, waren sich rechts- und links- So hat also die Akzeptanz des nach den zu bedecken, aber kaum ist man im Iran, am anderen zu lieben, was sie an sich selber populistische Bewegungen der 1920er in 1990ern einsetzenden religiösen Fanatismus lacht man darüber und erfreut sich an den hassen. ihren totalitären Phantasien im Grunde und nationalen Rechtsextremismus anderer strengen religiösen Regeln. gleich. Da links zu sein eine Sache der eige- Länder die „Wutlücke“, die durch den Nie- Warum ist persischer oder irgendein an- Zuerst erschienen in nen Definition war, ist nicht klar, was die dergang des Kommunismus frei wurde, der derer Nationalismus für manche im Wes- der „Jerusalem Post“. „Roten Khmer“ und ihren Völkermord intellektuellen Linken im Westen gefüllt. ten so verlockend? Übersetzt von Ulrike Stockmann. № 9 (25) September 2016 JÜDISCHE RUNDSCHAU WELT 5 „Kauft nicht bei Starbucks“ Der Muslim-Markt der Özoguz-Brüder und seine Boyott-Aufrufe Von Peter Grimm Falls Sie die „Muslim-Markt“-Gründer geht, bezieht sie ja auch klar Stellung. Ak- geladen hätte. „Das war ein ganz bestimm- nicht kennen: sie sind beide promoviert, tuell beispielsweise gegen ein von manchen ter Moment“, so die SPD-Politikerin. Die Selbstverständlich weiß jeder in Deutsch- also mitnichten bildungsfern, so dass man CDU-Politikern gefordertes Vollverschlei- Grenzöffnung sei ein Schritt gewesen, der land siedelnde Antisemit, egal welcher ihnen unterstellen kann, dass sie wissen, erungsverbot oder gegen eine Abkehr von auch durch die deutsche Geschichte gelei- Herkunft oder ideologischen Neigung was sie tun und das wirklich ernst meinen. der doppelten Staatsbürgerschaft. Und tet worden sei. er auch sein mag, dass der Aufruf „Kauft Sie begründen auch ganz genau, warum wenn es um den Schutz von „Flüchtlingen“ Boykottaufrufe gegen Firmen, die mit nicht beim Juden“ nicht mehr funkti- welches Unternehmen zu boykottieren sei. geht, dann wendet sie sich engagiert gegen Israel Geschäfte machen, haben mit deut- oniert. Auch Zuwanderer mit entspre- Das Vergehen der Telekom ist beispiels- die Behauptung, diese seien nur gekom- scher Geschichte natürlich nicht so viel zu chendem Weltbild lernen schnell, dass weise: „Betreibt ein Forschungsinstitut in men, weil Kanzlerin Merkel sie dazu ein- tun. sie hierzulande fast all ihren Hass in aller Israel“. Ratiopharm ist noch schlimmer: Öffentlichkeit ausleben können, solange „Wurde aufgekauft von Teva („israelischer“ sie nur das Wort „Jude“ ersetzen, beispiels- Weltmarktführer Generika, weltweit größ- weise durch „Zionist“. So gelingt es auch ter Hersteller von Nachahmungen)“. Bei Antisemiten, gesellschaftliche Akzeptanz Starbucks könnte es ja fast schon reichen, WIKIPEDIA

Starbucks-Chef Howard Schultz zu gewinnen. Integration kann manchmal dass es ein US-Unternehmen ist, aber er- so einfach sein. schwerend kommt hinzu: „Der Miteigentü- Um diese Art der Integration küm- mer Howard Shultz erhielt 1998 ‚The Israel mern siach auch die Brüder Yavuz und 50th Anniversary Tribute Award‘ vom ‚Je- Gürhan Özoguz seit avielen Jahren sehr rusalem Fund of Aish Ha-Torah‘ für seine engagiert. Auf ihrer Seite „Muslim- Schlüsselrolle für die Vertiefung der Bezie- Markt“ erklären sie beispielsweise, dass hungen zwischen den USA und Israel.“ „nicht der Begriff ‚Antisemitismus‘, son- Im Unterschied zu anderen ähnlichen dern Antizionismus für die berechtigte Boykottlisten muss bei den Gebrüdern Verurteilung der Unterdrückung und Özoguz keinerlei Bezug zwischen dem des zionistischen Rassenwahns ange- Geschäft des Unternehmens und der is- bracht“ sei. raelischen Besetzung „palästinensischer“ Und auch die Boykottaufrufe auf dem Gebiete bestehen. Das Vergehen der eben- „Muslim-Markt“ sind zeitgemäß formu- falls auf der Liste geführten tro:net GmbH D ie „Muslim-Markt“-Gründer sind beide promoviert, also mitnichten bildungsfern. liert. Es werden Unternehmen an den ist es beispielsweise, „der Provider der In- Pranger gestellt, die Geschäfte mit Is- ternetseiten der israelischen Botschaft in rael machen. Zu deren Boykott ruft der Deutschland“ zu sein. Muslim-Markt seit Jahren auf und aktu- Und das folgende Vergehen führte in alisiert die Liste der zu boykottierenden diesem Jahr zur Neuaufnahme auf die Unternehmen ständig. Es sind namhafte „Muslim-Markt“-Boykottliste: „Der Tele- Firmen, denen die Kunden nach Ansicht kommunikationsriese Motorola hat die Er- der Brüder Özoguz ihr Geld verweigern öffnung eines neuen Innovationszentrums sollen: Die Telekom, Nestlé, der Sprin- in Israel angekündigt, dessen Schwerpunkt ger-Verlag, Ratiopharm, Sixt. Starbucks, auf den Bereichen Kybernetik, Analytik Motorola oder Galeria Kaufhof, um nur und Mobiltelefonie liegen wird.“ Das ist na- einige zu nennen. türlich ein Skandal, oder? Die Brüder Özoguz sind allerdings be- Die Brüder Özoguz haben bekanntlich reit, reuige Sünder auch wieder von ihrer eine prominente Schwester: Aydan Özo- Liste der „Unternehmen in Deutschland guz (SPD), ist die Integrationsbeauftragte mit eindeutiger und erheblicher Unter- der Bundesregierung. Sie hat sich von ihren stützung des Zionismus“ zu streichen, islamistischen Brüdern schon vor und bei „sobald uns eine schriftliche Distanzie- Amtsantritt deutlich distanziert. Für das, rung von der terroristischen und völker- was die Verwandtschaft tut, ist grundsätz- rechtsverbrecherischen Politik Israels zur lich auch niemand verantwortlich. Aber ge- Veröffentlichung vorliegt“. Es reicht aber hört es nicht zu ihrem Amt sich zu solchen auch, wenn das Unternehmen erwiesener- Boykott-Aufrufen zu äußern, auch wenn sie maßen keine Geschäfte mehr mit Israel von ihren älteren Brüdern kommen? macht. Wenn es nicht um Juden bzw. Zionisten 6 WELT № 9 (25) September 2016 JÜDISCHE RUNDSCHAU Linker Judenhass – Eine Geschichte der Verharmlosung Damals wurde der Antisemitismus unterschätzt – heute der „Antizionismus” te wüten, weil er fahrlässig Interesse an einen Krieg. Israel ist eine Von Gerd Buurmann unterschätzt wurde. marktwirtschaftliche Demokratie und Unterschätzt wird heute wäre lieber von Geschäftspartner um- Laut einer im Juli 2016 veröffentlichen die neue Form des Juden- geben als von Feinden. Studie der Freien Universität Berlin hasses. Es ist der Antizi- Der Antizionismus blendet das al- ist Judenfeindlichkeit unter Linksext- onismus! Antizionisten les aus. Der Antizionismus wird in remen in Deutschland weit verbreitet. erklären Juden zu einem Deutschland so fahrlässig unterschätzt Laut der Untersuchung stimmen 34 Volk, das nichts aus dem wie einst der Antisemitismus. Der An- Prozent der von den Wissenschaft- Holocaust gelernt haben tijudaismus hatte einst mit Luther sei- lern zuvor als Linksextremisten ein- soll. Antizionisten nennen nen bedeutendsten deutschsprachigen gestuften Personen der Behauptung Juden „Kindermörder“, Unterstützer. Der Antisemitismus hat- zu, Juden hätten in Deutschland „zu verfolgen und ermorden sie te in Hitler seinen besten Verbündeten. viel Einfluss“. Unter Personen, die als und greifen ihre Synagogen Heute wütet der Antizionismus. Wie Linksradikale eingestuft wurden, wa- an. Antizionismus ist der wird sich Deutschland wohl diesmal ren es noch 16 Prozent. Auch über alle Hass auf das Judentum als entscheiden? Diether Dehm von der politischen Einstellungen hinweg habe Nation. Wieder findet sich Partei „Die Linke“ hat sich bereits ent- die Zustimmung zu dieser Aussage mit dieser neu definierte alte schieden und trumpft mit dieser Defi- 10 Prozent im Vergleich recht hoch Hass auf Juden besonders nition von Antisemitismus auf: gelegen. Der Behauptung, Juden seien in linken Kreisen. Wieder „Der Antisemitismus wurde das, was „geld- und raffgierig“ stimmten 13 Pro- wird dieser Hass maßlos er wirklich ist: Eine massenmordende zent der Linksradikalen und 34 Pro- unterschätzt! Bestie. Und deswegen dürfen wir nicht zent der Linksextremen zu. Die hysterische Kritik an zulassen, dass man den Begriff des An- Die Studie macht ebenfalls sichtbar, Israel ist nichts weiter als tisemitismus für Alles und Jeden infla- dass ein Teil der sich als äußerst rechts WIKIPEDIA blanker Judenhass, weil an tioniert. Antisemitismus, das ist Mas- bezeichnenden Personen einige links- Israel kritisiert wird, was senmord! Und es gibt überhaupt keinen extreme Einstellungen übernimmt und bei allen anderen Ländern Anlass, wenn mein Kollege und Freund mit anderen – tradierten rechten – An- der Welt ignoriert wird. Rolf Becker hier spricht, wenn von ir- schauungen kombiniert. Die Verharm- Israel wurde von den Ver- gendeiner Seite dazwischengepöbelt losung des linken Judenhasses ist weit einten Nationen öfter mit wird Antisemitismus. Antisemitismus verbreitet. Kaum jemand weiß, dass der Wilhelm Marr war links, demokratisch – und er hasste Juden. kritischen Resolutionen ist Massenmord und muss dem Mas- Begriff „Antisemitismus“ von einem bedacht, als alle anderen senmord vorbehalten bleiben!“ linken Politiker erfunden wurde, um ab und behauptet stattdessen, dass die Nationen zusammen. Israel ist für viele In Deutschland beginnt Antisemi- Judenhass zu rechtfertigen. Juden eine fremde Rasse von „Parasi- der Jude unter den Staaten. Sie hassen tismus laut Diether Dehm also erst mit Bevor das Wort Antisemitismus ten“ seien, die erfolgreich die Ausbeu- Israel nicht aufgrund eines bestimmten der Vergasung von 6 Millionen Juden. auftauchte, sprach man von Antijuda- tung Deutschlands betreiben. Diesen Handels, sondern weil Israel überhaupt Alles darunter ist vermutlich eine Ord- ismus. Der Hass auf Juden wurde in Paradigmenwechsel von Religion zu handeln kann, egal wie! Es ist die pure nungswidrigkeit! Der Antizionismus Europa lange von Christen geprägt. Sie Rasse verdeutlichte er durch die Be- Existenz Israels, die nicht erwünscht wird heute so verharmlost wie einst der nannten Juden Kindermörder, verfolg- nutzung des Begriffs „Antisemitismus“. ist. Antisemitismus. Manch einer fordert ten sie und griffen ihre Synagogen an. sogar einen „unverkrampften Umgang Einer der bekanntesten Einpeitscher mit Israel“. des Antijudaismus‘ war Martin Luther. W ar es bei dem religiösen Judenhass noch Noch unverkrampfter? Israel ist in In seiner Abhandlung „Über die Jüden Deutschland das am meisten kritisierte und ihre Lügen“ erklärte er: möglich, dass ein Jude Christ werden konn- Land. Kritik an Israel ist in Deutsch- „Die Juden sind ein solch verzweifel- land nicht nur möglich, sondern Main- tes, durchböstes, durchgiftetes Ding, te, um der Verfolgung zu entgehen, war der stream. 65 % sind laut einer durch die dass sie 1400 Jahre unsere Plage, Pes- WELT am 4. November 2003 veröf- tilenz und alles Unglück gewesen sind Jude für den Antisemiten ein ewiger Jude fentlichen Umfrage der EU der Mei- und noch sind. Summa, wir haben rech- nung, dass Israel die größte Gefahr für te Teufel an ihnen.“ und dadurch nur noch durch die physische den Weltfrieden darstelle. 65 % in Eu- In seinem „Handbuch über die Ju- ropa finden Israel somit bedrohlicher denfrage“ forderte er: Vernichtung zu entfernen. als sämtliche national-islamistischen „Ich will meinen treuen Rat geben. Diktaturen. Erstlich, dass man ihre Synagoge oder Im Jahr 2004 stimmten bei einer Schule mit Feuer anstecke, und was Marr prägte wesentliche Klischees So wie der Antijudaismus einst von Umfrage der Landeszentrale für poli- nicht verbrennen will, mit Erde über- und Schlagworte. Er legte 1880 mit Christen ausging, so hat der Antizio- tische Bildung 38,4 % der in Deutsch- häufe und beschütte, dass kein Mensch seiner Schrift „Goldene Ratten und ro- nismus heute in der muslimischen Ge- land Befragten der Aussage zu: „Bei einen Stein oder Schlacke davon sehe the Mäuse“ die Basis für die verschwö- meinschaft einen willigen Vollstrecker. der Politik, die Israel macht, kann ich ew igl ich …“ rungstheoretische Gleichsetzung von Die muslimische Hamas zum Beispiel gut verstehen, dass man etwas gegen Mit der Aufklärung nahm der christ- Judentum, Kapitalismus und Kommu- hat nicht nur einen Hass auf Israel, son- Juden hat.“ Wieviel unverkrampfter liche Antijudaismus ab. Seinen Platz nismus, wie sie später Adolf Hitler in dern fordert zudem die Vernichtung al- soll es denn bitte noch werden? Wenn nahm der Antisemitismus ein. Antise- „Mein Kampf“ vertrat. ler Juden weltweit. Die Hamas peitscht das die deutsche Verkrampfung ist, was miten erklärten Juden zu einer minder- Wilhelm Marr gehört zu jenen auf- ihre Feinde ein und schießt seit Jahren passiert dann erst, wenn sich die Deut- wertigen Rasse, nannten Juden Kinder- geklärten Demokraten, die zwar auf immer wieder und oft täglich tausende schen lockermachen? mörder, verfolgen und ermordeten sie Gott und den König verzichten konn- Raketen in Richtung Israel ab, um so Der Umgang mit Israel ist unver- und griffen ihre Synagogen an. ten, nicht aber auf den Judenhass. Mit viele Kinder, Frauen, Zivilisten, Schu- krampft genug, besonders bei dem Pu- Die Ideologie des Antisemitismus‘ pseudo-wissenschaftlicher Akribielen, Hospitäler, Atomkraftwerke und blizisten Jakob Augstein, der immer geht auf den Journalisten Wilhelm wurde der Judenhass intellektuell re- Heime wie möglich zu treffen. Statt wieder betont, „im Zweifel links“ zu Marr (1819-1904) zurück. Er gehörte habilitiert und dabei brutalisiert. War aber Israels Recht auf Selbstverteidi- sein und bei internationalen Analysen dem extrem linken Flügel der radikal- es bei dem religiösen Judenhass noch gung zu verteidigen, wird von vielen schon mal gerne jüdische Strippenzie- demokratischen Partei um 1848 an und möglich, dass ein Jude Christ werden Leuten erwartet, Israel solle mit den her ins Spiel bringt: war erklärter Atheist. Wilhelm Maar konnte, um der Verfolgung zu entge- Judenhassern verhandeln. Wie aber „Wenn Jerusalem anruft, beugt sich war links, demokratisch und er hasste hen, war der Jude für den Antisemiten verhandelt man mit einer Terrororga- Berlin dessen Willen.“ (Spiegel) Juden! ein ewiger Jude und dadurch nur noch nisation, die alle Juden vernichten will? So denkt es im linken Augstein: Der In Maars linker Überzeugung waren durch die physische Vernichtung zu Soll Israel dieser Organisation etwa auf Jude kommandiert, der Deutsche beugt die Juden schuld am Liberalismus, weil entfernen. halbem Weg entgegenkommen? sich, und was am schlimmsten ist: sie sich den jüdisch konnotierten Ka- Als der Antisemitismus aufkam, Israel muss jeden Krieg gewinnen! „Israel bekommt das, was es will. Und pitalinteressen verschrieben hätten. In kannten viele Menschen nur den klas- Nach zehn Kriegen muss es 10:0 ste- dafür muss Israel nicht einmal zahlen.“ Berlin erschien im Februar 1879 seine sischen Antijudaismus. Sie sahen den hen. Ein 9:1 ist nicht möglich. Ein ein- (Spiegel) Propagandaschrift „Der Sieg des Ger- Antijudaismus nicht mehr als große ziger verlorener Krieg bedeutet, dass Is- Mit diesem linken Herz am rechten manenthums über das Judenthum – Gefahr an. Das Christentum hatte rael nicht mehr existiert. Israel lebt seit Fleck wundert es nicht, dass Jakob Vom nichtconfessionellen Standpunkt schließlich seine absolute Macht ein- seiner Gründung in einer permanenten Augstein einst den Schriftsteller Gün- aus betrachtet“, die noch im selben Jahr gebüßt und in Deutschland wurden Sudden-Death-Situation. Der Gegner ter Grass zum Heiligen erklärte, der zwölf Auflagen erlebte. In dieser Schrift Juden sogar Ende des 19. Jahrhunderts kann ruhig einen Krieg nach dem an- wie Jesus die Last der Israelkritik für grenzt sich Marr deutlich von der tra- vollwertige Bürger des deutschen Kai- deren verlieren; Israel aber muss jeden uns alle auf sich genommen hat: ditionellen religiösen Judenfeindschaft serreiches. Der Antisemitismus konn- Krieg gewinnen. Israel hat daher kein „Es ist dieser eine Satz, hinter den wir № 9 (25) September 2016 JÜDISCHE RUNDSCHAU WELT 7 künftig nicht mehr zurückkommen: sie töten zu können. Unter den Selek- ‚Die Atommacht Israel gefährdet den tierten waren auch Kinder. ohnehin brüchigen Weltfrieden.‘ Die- Am 27. Juni 1976, wurde Flug 139 der ser Satz hat einen Aufschrei ausgelöst. Air France, der von nach Paris Weil er richtig ist. Und weil ein Deut- führen sollte, nach einer Zwischenlan- scher ihn sagt, ein Schriftsteller, ein dung in Athen entführt. Es waren zwölf Nobelpreisträger, weil Günter Grass Besatzungsmitglieder und 258 Flug- ihn sagt. Darin liegt ein Einschnitt. Da- gäste an Bord. Die Entführer nannten für muss man Grass danken. Er hat es sich „Kommando Che Guevara“, be- auf sich genommen, diesen Satz für uns nannt nach dem Mann, der noch heu- alle auszusprechen.“ (Spiegel) te die Herzen vieler Salonrevoluzzer Für Jakob Augstein steht fest: Israel höherschlagen lässt. Einige Terroristen will Krieg und bedient sich dazu stän- gehörten zu der „Volksfront zur Befrei- dig der jüdischen Lobby in Amerika ung Palästinas“ und zwei Terroristen und instrumentalisiert sogar das deut- waren Deutsche. Sie gehörten zu den sche schlechte Gewissen wegen des „Revolutionären Zellen“. Ihre Namen Holocausts: waren Wilfried Böse und Brigitte Kuh- „Mit der ganzen Rückendeckung aus lmann. Gemeinsam zwangen sie die den USA, wo ein Präsident sich vor den Piloten der Air France Maschine den Wahlen immer noch die Unterstützung Flughafen Entebbe in Uganda anzuflie- der jüdischen Lobbygruppen sichern gen, da dort die Terroristen durch das muss, und aus Deutschland, wo Ge- Regime Idi Amins unterstützt wurden. schichtsbewältigung inzwischen eine Die Passagiere wurden in der al- militärische Komponente hat, führt die ten Transithalle des Terminals von Regierung Netanjahu die ganze Welt Entebbe als Geiseln gehalten, wo sie am Gängelband eines anschwellenden in Juden und Nicht-Juden selektiert Kriegsgesangs.“ (Spiegel) wurden. Die Selektion wurde von den Das sind die Überzeugungen vieler Deutschen Wilfried Böse und Brigitte Linke von heute: Israel ist unser Un- Kuhlmann vorgenommem, die anhand glück! Mit diesem Hass können viele der isralischen Papiere, aber auch auf- Islamisten etwas anfangen. Sie sind grund vermeintlich jüdischer Namen fest davon überzeugt, dass die Welt die Menschen selektierten. So wurden friedlich wäre, wenn nur alle den Is- auch einige Passagiere fälscherlicher- lam annehmen würden. In einer erst weise als Juden identifiziert. Nach der jüngst gehaltenen Predigt des Scheich Selektion wurden die Juden als Geiseln Ibrahim Madhi in der Sheik ‘Ijlin-Mo- gehalten und die übrigen Menschen schee befasst sich der Redner mit einer Ex-Stasi-Informant Diether Dehm legt die Latte für Antisemitismus hoch. freigelassen. Ein Holocaustüberleben- Hadith-Stelle, in der Mohammed die der zeigte Wilfried Böse bei der Se- perfekte Welt erst nach dem Tod aller zweitausend Jahren einen Jungen in ei- israelischer Unternehmen mit Angabe lektion seine eintätowierte Häftlings- Juden verorten kann. ner Krippe in Bethlehem zur Welt ge- der Herkunft und dem Barcode, sowie nummer, um ihn so an die Selektion Mohammed sagt dort: „Die Stun- bracht hat. Bethlehem wird heute von einer Spalte mit dem Vermerk „Ver- in den Konzentrationslagern erinnern. de wird nicht kommen, bis ihr gegen der sogenannten palästinensischen Au- dacht“. In dieser Spalte galt es für die Wilfried Böse erklärte daraufhin, er sei die Juden solange kämpft, und bis der tonomiebehörde verwaltet. Heute wä- willigen Vollstrecker einzutragen, ob kein Nazi, sondern Idealist. Stein, hinter dem sich der Jude ver- ren Maria und Josef für viele Menschen die Waren in dem Geschäft gefunden Heute bin ich vierzig Jahre alt und die steckt hat, spricht: ‚Du Muslim, hier ist Idealisten selektieren aller Orten. Ob- ein Jude, der sich hinter mir versteckt, wohl in den letzten Jahrzehnten übels- so töte ihn.‘“ D ie hysterische Kritik an Israel ist nichts te Menschheitsverbrechen in Ruanda, Als die Nazis ihren mordenden Ju- Kambodscha, Srebrenica stattgefunden denhass propagierten, ging Heinrich weiter als blanker Judenhass, weil an Israel haben und in Saudi-Arabien, Nord-Korea Himmler ein Bündnis mit Teilen des Is- und im Iran Menschen in absoluter Un- lams ein, u.a. mit dem Mufti Al Hussei- kritisiert wird, was bei allen anderen terdrückung leben, haben die Vereinten ni. Dieses Bündnis wird noch heute von Nationen mehr Resolutionen gegen Is- islamischen Organisationen als heilig Ländern der Welt ignoriert wird. rael verabschiedet als gegen alle anderen angesehen, der Hitlergruß ist gängige Nationen zusammen! In einer manischen Praxis bei der Hamas wie bei der His- Fixiertheit auf nur 0,1% der gesamten bollah. Mehrere islamische Staaten, nichts weiter als illegale jüdische Sied- wurden. Die deutschen Zivilinspekto- Weltbevölkerung, denn dies ist der pro- unter ihnen Algerien, Saudi-Arabien, ler, die dort nichts zu suchen haben und ren gingen mit einer geradezu gespens- zentuelle Anteil der Israelis auf der Erde, Jordanien und Libyen sind stolz darauf, Jesus wäre ein illegaler Siedlerjunge tigen bürokratischen Genauigkeit vor. sehen die Vereinten Nationen ein Volk, „judenfrei“ zu sein. Sie haben geschafft, und würde keine Sympathien bekom- Auf einer Homepage der willigen Voll- dem ganz besondere Aufmerksamkeit zu woran Hitler gescheitert war. men. Die Vereinten Nationen würden strecker wurde später veröffentlicht: Teil werden muss. Während 99,9% der Die linke feministische Philosophin vermutlich Resolutionen gegen Ma- „Dabei wurde eine Reihe von Waren Welt mit Milde beäugt werden, werden Judith Butler erklärt: ria und Josef verhängen und deutsche gefunden, die in den besetzten Gebie- 0,1% selektiert. Bei der 59. Jahressitzung „Es ist extrem wichtig, Hamas und Dichter würden Jesus kritisieren, weil ten hergestellt worden sind oder sein der Frauenrechtskommission der Ver- Hisbollah als soziale, progressive Be- es gesagt werden muss und man das ja könnten.“ einten Nationen wurde nur Israel für die wegungen zu verstehen, die zur Linken wohl noch sagen darf! Es reichte somit schon der Verdacht, Verletzung von Frauenrechten verurteilt! gehören, die Teil der globalen Linken Wären die willigen Vollstrecker kon- der Konjunktiv, um eine Ware als ille- Der Weltfußballverband FIFA wiede- sind.“ sequent gewesen, sie hätten den ganzen gal zu markieren! rum, der die Fußballweltmeisterschaft Die „soziale, progressive Bewegun- Bremer Weihnachtsmarkt boykottiert, Am 9. November 1969, dem bewusst 2022 an Katar vergeben hat, wo regelmä- gen“ vergiftet derweil die Kinder. Im denn es gibt ihn nur, weil ein jüdisches gewählten Jahrestag der Reichspog- ßig Frauen, Homosexuelle und Anders- arabischen Fernsehen ruft das lustige Siedlerpaar vor zweitausend Jahren romnacht von 1938, platzierte der sich gläubige gefoltert und ermordet werden, Hamas-Häschen Assud Kinder zum nach Bethlehem gezogen ist! Stattdes- selbst als links bezeichnende Albert diskutierte Ende Mai 2015 ernsthaft da- Krieg gegen Ungläubige auf. sen zogen die willigen Vollstrecker Fichter eine Bombe mit einem Zeitzün- rüber, ausgerechnet Israel aus dem Ver- Dies sind keine Ausnahmen im arabi- durch Karstadt und Rossmann, immer der im jüdischen Gemeindehaus Berlin. band auszuschließen. schen Fernsehpogrom, sondern kind- auf der Suche nach illegalen jüdischen Sie sollte während einer Gedenkveran- Es ist eine Selektion, wenn die Ver- gerechter Alltag in einer Medienland- Produkten. Auf Verdacht markierten staltung zu den Novemberpogromen einten Nationen ausschließlich Israel schaft, die Juden nur als Affen, Mörder sie dort alle israelischen Produkte, die explodieren, was wegen einer überal- tadeln. und Kakerlaken zeigt. sie finden konnten. Auf den Papier- terten Zündkapsel nicht geschah. Nach Es war eine Selektion, als Günter Das ist der Antizionismus von heute fähnchen stand: einem Gutachten der Sprengstoffex- Grass Israel zur größten Gefahr für den und er wird wieder gnadenlos unter- „Vorsicht! - Das Produkt könnte aus perten der Berliner Polizei, die einen Weltfrieden erklärte. schätzt. Am 28. November 2015 liefen einer illegalen israelischen Siedlung Nachbau zur Explosion brachten, hät- Es ist eine Selektion, ausgerechnet Is- sechs in weiß gekleidete Vollstrecker stammen.“ te die Bombe „das Haus zerfetzt“ und rael einen Apartheidsstaat zu nennen, der linken BDS-Bewegung über den In Bonn marschierten am gleichen mehrere hundert Teilnehmer der Ge- obwohl es das einzige Land im Nahen Weihnachtsmarkt von Bremen auf der Tag drei in weißen Schutzanzügen ge- denkveranstaltung getötet. Osten ist, in dem es keine Apartheid Suche nach jüdischen Produkten. Auf kleidete linke Trupps in das Geschäft Die linke Gruppierung „Tupamaros gibt. ihren Kostümen stand: Galeria Kaufhof und nahmen dort die West-Berlin“ rechtfertigte den versuch- Es ist eine Selektion, ausschließlich „Inspektion – Kennzeichnungs- Produkte ganz genau unter die Lupe. In ten Anschlag in einem Flugblatt, das zum Boykott israelischer Produkte auf- pflicht von Waren aus den illegalen is- ihren Händen hielten sie Formulare auf in der Szenezeitschrift „Agit883“ er- zurufen. raelischen Siedlungen“ denen zu lesen war: „Deutsche Zivil- schien, als Auftakt einer westdeutschen Es ist Selektion, aber sie nennen es Der Weihnachtsmarkt in Bremen er- gesellschaft – Inspektion der Produk- Kampagne gegen den Zionismus und Idealismus, linken Idealismus. Und er innert (wie alle Weihnachtsmärkte der te israelischer Unternehmen“. Auf den den Staat Israel. Ein paar Jahre später wird nach wie vor gefährlich verharm- Welt) an ein jüdisches Paar, das vor gut Zetteln standen die Namen diverser selektierten deutsche Linke Juden, um lost. 8 WELT № 9 (25) September 2016 JÜDISCHE RUNDSCHAU Das jüdische Erbe in der marokkanischen Verfassung Marokko ist das vielleicht einzige arabische Land, das ein Wachstum der jüdischen Gemeinde verzeichnet. Die JÜDISCHE RUNDSCHAU traf in Marrakesch (Marokko) die Geschichts- wissenschaftlerin und Cambridge-Absol- ventin Kati Roumani, Mitarbeiterin der dortigen Synagogengemeinde, zu einem Gespräch über die Situation der Juden vor Ort. JÜDISCHE RUNDSCHAU: Wie kommt es, dass Deine Muttersprache Englisch ist? Bist du in Marokko geboren? Kati Roumani: Ich bin in London ge- boren und aufgewachsen. Ich bin eine se- phardische Jüdin. Vor acht Jahren kam ich nach Marokko – zuerst nur als Besucherin (ich arbeitete damals für den sephardi- schen Großrabbiner von Großbritannien, der seinen Sitz in London hat – seine Ge- meinde hat offizielle Verbindungen mit dem Botschafter von Marokko und wir haben ein Seminar für marokkanische Re- gierungsvertreter in London veranstaltet. Im Zuge dessen hat mich dann jemand nach Marokko eingeladen!). Kurz darauf kehrte ich zurück, um einen marokkani- schen Juden zu heiraten. Welche Funktion hast Du in der jüdi- schen Gemeinde von Marrakesch? Ich arbeite als Teilzeit-Angestellte der jü- dischen Gemeinde mit den Touristen, die die Lazama-Synagoge in der Mellah (dem historischen Viertel) besuchen. Außer- dem arbeite ich freiberuflich für die High Atlas Foundation, einer Entwicklungshil- feorganisation mit Sitz in Marrakesch. Wieviele Mitglieder hat die jüdische Gemeinde von Marrakesch heute? Die Schätzungen schwanken – 80 sind offiziell registriert, aber es sind vielleicht etwa 600 Juden, die in Marrakesch leben. WIKIPEDIA Die Zahl der Juden in Marrakesch wächst momentan und die meisten der neuen Ju- Sukkot-Feierlichkeiten in der Synagoge von Casablanca. den sind jünger als die „offizielle“ Gemein- de, wobei sie weniger „traditionell“ sind. Gemeinschaft lebt) und Israel. Mittlerwei- kesch aus? Wie oft gibt es Gottesdienste? doch) und diese, die Lazama-Synagoge. Gibt es familiäre Verbindungen nach le leben hier auch eine Menge Juden, die Der Hauptsitz der jüdischen Gemeinde In Bet-El gibt es wöchentliche Schabbat- Frankreich, Israel oder Amerika? keine marokkanischen Wurzeln haben, von Marroko ist in Casablanca. Außer- Gottesdienste und an anderen Feiertagen Ich würde sagen, dass die meisten mar- vor allem solche aus den USA und Europa. dem gibt es Regionalpräsidenten in sechs und hier in Lamaza, gibt es einen an jedem rokanischen Juden seit zwei Generationen Reisen die marokkanischen Juden viel Städten, die wiederum eigene lebendige Morgen im ganzen Jahr. Welcher jüdische Friedhof wird noch genutzt? Der Miara-Friedhof von 1590, ganz in der Nähe von der Lazama-Synagoge. Gibt es jüdische Schulen in Marra- kesch? Nicht in Marrakesch. Es gibt jüdische Schulen in Casablanca. Hier in Marra- kesch gehen jüdische Kinder (genau wie christliche Kinder) normalerweise auf eine dieser privaten, säkularen Schulen (marokkanischen, französischen, briti- schen oder amerikanischen). Fühlst Du Dich in Marokko wohl und sicher? Gibt es Gemeindemitglieder, die auswandern oder daran denken? Zweimal „ja“. Es gibt aber auch Juden, von denen ich wie, die gerade hierherzie- hen wollen. Gibt es nicht-jüdische Marokkaner, die sich für die jüdische Gemeinde interessie- ren, für ihre Geschichte und die Synago- gen? Ja – und diese gegenseitige Anerken- nung und das Interesse füreinander, das man sowohl im persönlichen Umgang als auch in den Medien spürt, wurde durch die neue marokkanische Verfassung von 2011 noch einmal bestärkt. Diese listet alle Kulturen auf, die in Marokko existiert ha- ben oder noch immer existieren (darunter Zhor Rhihi, Kuratorin des Marokkanisch-Jüdischen Museums in Casablanca. auch die jüdische) und betont die Wichtig- Marokko ist das einzige arabische Land, das ein jüdisches Museum und jüdische Schulen hat. keit dieses Erbe zu erhalten. Liebe Kati Roumani, danke für das Ge- Verbindungen zu Verwandten in Frank- in diese Länder? Gemeinden haben. Es gibt zwei größere spräch. reich, Kanada (eher als in den USA, wo Ja, sehr häufig und regelmäßig. Synagogen – eine in der Stadt Bet-El (ge- nur eine kleine marrokanisch-jüdische Wie sieht das Gemeindeleben in Marra- hört dem Präsidenten, Herrn Jacky Ka- Das Gespräch führte Martin Jehle. № 9 (25) September 2016 JÜDISCHE RUNDSCHAU WELT 9 Babij Jar – eine offene Wunde im Körper des jüdischen Volkes Zum 75. Jahrestag des Massakers Von Michael Groys

Bevor ich diesen Artikel schrieb, lass ich unzählige Male ein Gedicht, dessen Wir- kungskraft für viele Menschen erst dieses unglaubliche Verbrechen etwas zugäng- licher machte – mich eingeschlossen. „Über Babij Jar, da steht keinerlei Denk-

mal“, ist der erste Satz dieses legendären SERGEY SUPINSKI / AFP Gedichtes des russischen Dichters Ewge- nij Evtuschenko, ins Deutsche übersetzt von Paul Celan, der im Jahre 1961 die gesamte Sowjetunion erschütterte und dieses einzigartige Verbrechen der Deut- schen an den Juden in Erinnerung geru- fen hatte. Dort in dieser Schlucht bei Kiew, wo die Deutschen 33.771 Kiewer Juden er- mordeten, stand lange kein Denkmal. Die sowjetische Propaganda hatte le- diglich eine Tafel angebracht, an der an tausende sowjetische Bürgerinnen und JOHN GURZINSKI / AFP Bürger erinnert werden sollte. Der so- wjetische Schriftsteller und Dissident Nekrasov hatte in Bezug auf Babij Jar sehr prägend formuliert: „Ja, in Babij Jar wurden nicht nur Juden erschos- sen, aber lediglich die Juden wurden erschossen, weil sie Juden waren.“ In den nächsten Jahren bis zur Befreiung Kiews im Jahr 1943 fanden viele wei- tere Erschießungen statt. Ewgenij Ev- tuschenko und Dmitri Shestakovitch setzten mit dem oben erwähnten Ge- dicht ein unsterbliches literarisches und mit der 13. Symphonie ein musi- kalisches Denkmal an ein Verbrechen, welches sich am 28. September dieses Ein jüdischer Junge schwenkt die Fahne Israels am Menorah-Denkmal von Babij Jar. Jahres zum 75. Mal jährt. Babij Jar war und bleibt nach wie vor Frauen und Kinder, sollten sich um sondern auch ukrainische Milizen. Die Arbeit“ der deutschen Soldaten an den ein Synonym für die deutsche Barbarei 8 Uhr morgens an einer bestimmten Deutschen konnten auf Grundlage ei- Rampen. Einsicht in die Schändlich- in der Ukraine unter der Beteiligung Stelle zusammenfinden und zum alten nes unerträglichen Antisemitismus in keit ihres Tuns konnte man von sol- der SS, dem Mitwissen der Wehrmacht chen Mördern nicht erwarten – denn und aktiven Teilhabe ukrainischer Na- die Beteiligten waren eher stolz als tionalisten. Die Beteiligung der ethni-  „Ja, in Babij Jar wurden nicht nur Juden einsichtig. Sie meinten nämlich mit schen Ukrainer wird sicherlich gerade der Ermordung Zehntausender einem in diesem Jahr und vor dem Hinter- erschossen, aber lediglich die Juden „höheren Zweck“ zu dienen. grund der in der Ukraine vorangetrie- Umso seltsamer war es, dass die SS benen Auseinandersetzung mit der ei- wurden erschossen, weil sie und die Wehrmacht im Jahre 1943 alle genen Geschichte besonders relevant Spuren dieses Verbrechen zu beseitigen sein. Die ukrainische Regierung ver- Juden waren.“ versuchten. Sie ahnten offensichtlich, anstaltet eine offizielle staatliche Ge- dass ihr „heiliger Dienst“ in den Au- denkveranstaltung zum Jahrestag. Die Friedhof begleitet werden. Die NS- der Ukraine mit starker Unterstützung gen der zivilisierten Menschheit nicht Rolle der ukrainischen Milizen in der Propaganda sprach von einer Umsied- rechnen, wie bereits in den anderen heilig, sondern einfach ein unsägliches NS-Zeit wird wohl kaum zu beschöni- lung als Konsequenz für vermeintliche Orten, z.B. beim Massaker von Lviv Verbrechen war. Angesichts des Vor- gen sein und sollte nicht als Randnotiz von Juden organisierten Sprengstoffan- (Lemberg) in der Westukraine. Dieses marsches der Roten Armee wurden die dieser Tragödie abgetan werden. schläge und Angriffe gegen deutsche Massaker wird den ukrainischen Nati- Leichen von Babij Jar wieder ausgegra- Was geschah eigentlich an diesen Truppen. Es sollte also eine Art Ver- onalisten angelastet und noch vor der ben und von KZ-Häftlingen verbrannt. beiden Tagen in der Schlucht bei Kiew geltung suggeriert werden. Diesem un- Ankunft der SS hat die Vernichtung ih- Anschließend wurden auch diese Häft- und wer war an diesem Verbrechen be- säglichen Befehlt hatten deutlich mehr ren Lauf genommen! linge als Mitwisser erschossen. teiligt? Folge geleistet als die Nazis es erwar- Im Reichssicherheitshauptamt wur- Was bedeutet Babij Jar für uns heute? Schon nach einigen Monaten des teten. Angekommen an der Schlucht, de im Behördendeutsch mitgeteilt, dass In Babij Jar stehen heute verschiedene Russlandfeldzuges der Wehrmacht, welche 2,5 Kilometer lang und bis zu auch die Wehrmacht diese Maßnah- Denkmäler. Eines wurde im Jahre 1991 genannt „Unternehmen Barbarossa“, 25 m tief war, mussten sich die Men- men begrüße, was dafür spricht, dass kurz nach dem Zerfall der Sowjetuni- wütete der Krieg gegen die vermeint- schen in Gruppen von je 30-40 Men- der Mythos der nichtwissenden und on errichtet. Dieses Denkmal in Form lichen „Untermenschen“. Dieser Krieg schen ausziehen und wurden mit einem nichtsahnenden Wehrmacht eine Lüge einer Menorah soll an die Vernichtung beinhaltete neben militärischen Zielen Genickschuss ermordet. Sie fielen in ist. Dies hatte der Historiker Norbert der Kiewer Juden erinnern. Sie soll an auch ganz andere wesentliche, wenn die Schlucht, welche sich zunehmend Frei belegt und damit Jahrzehnte später ein Verbrechen erinnern, von dem zu nicht viele wichtigere, Aufgaben und mit Leichen füllte. Zeugen berichteten eine Debatte in der modernen Bundes- lange zu wenige Menschen wussten. Ziele für die Nazis, und zwar die Ver- über den unglaublichen Schrecken vie- republik ausgelöst. Viele versuchten seitdem dieses Ver- sklavung ganzer Völker und vor allem ler Menschen in den letzten Minuten Der oben schrecklich kurze be- brechen zu relativieren und damit die die Vernichtung der Juden. Die Missi- ihres Lebens und in Angesicht der vie- schriebene Ablauf war für die Opfer Opfer nochmal einmal zu Opfern zu on der sogenannten deutschen „Her- len Leichen. Für die sonst so „mutigen“ von Babij Jar eine gefühlte Ewigkeit. machen. Ohne Evtuschenko, Shesta- renrasse“ war es, die Juden und andere deutschen Krieger war dieser Anblick Es spielten sich unmenschliche Sze- kovitsch, Nekrasov und vieler anderer als rassisch minderwertig angesehenen offensichtlich ebenfalls schwer erträg- nen ab, bei denen Säuglinge den Müt- Mutiger hätte die Welt wohl nur am Menschen wie „Ungeziefer“ zu vernich- lich und diese Mordarbeit psychisch tern entrissen und Kinder der Ermor- Rande von diesem grauenhaften Mas- ten. Eine der ersten technischen For- sehr belastend. Das Rest-Gewissen ver- dung ihrer Eltern beiwohnen mussten. saker erfahren. men dieser Vernichtung waren mas- suchten die Mörder wohl mit Alkohol Die rabbinischen Gesänge wurden in Heute sind keine Schüsse mehr an senhafte Erschießungen wie die in der zu betäuben. Dies legt jedenfalls der im diesen beiden Tagen übertönt von den der Schlucht zu hören. Es ist still, ganz Schlucht von Babij Jar, der rund 33.000 Archivmaterial des Sonderkommandos immer und immer wieder schießen- still. Doch diese vermeintliche Stille ist Juden zu Opfer fielen. 4a der Einsatzgruppe C der SS doku- den Gewehren. Die Täter berichteten ein ewiger Schrei der Ungerechtigkeit. Der Ablauf dieses zweitägigen Ver- mentierte ungewöhnlich hohe Alko- bei den Nürnberger Prozessen in den Es ist ein niemals endender Schmerz. brechens ist im Wesentlichen schnell holkonsum nahe. Folgejahren von keinem Widerstand Diese Schlucht ist eine niemals heilen- beschrieben. Die übriggebliebenen Ju- An dieser Aktion beteiligten sich seitens der Juden und betonten noch- de offene Wunde im Körper des jüdi- den von Kiew, zumeist Alte, Kranke, nicht nur die 150 SS- und SD-Schergen, mals ihr Mitleid mit der „schwierigen schen Volkes. 10 WELT № 9 (25) September 2016 JÜDISCHE RUNDSCHAU Warum sind Juden nicht „radikalisiert“? So oft wurden sie erniedrigt, und dennoch sind sie positiv dem Leben zugewandt Von Judith Bergman

Ausgehend von der die allgemeine De- batte beherrschenden Theorie der Ra- dikalisierung durch Deprivation ist der Prozess der Radikalisierung von Mus- limen, die Neigung zu Terrorismus und die Entscheidung für einen Eintritt in is- lamistische Gruppen wie den IS, auf die Erfahrung von Ablehnung und Diskrimi- nierung zurückzuführen. Diese Theorie beansprucht auf For- schungsergebnissen zu beruhen. Daher ist zu untersuchen, warum sie nicht glei- chermaßen anwendbar ist auf Juden, in- klusive der Juden, die in Israel leben. Letztendlich sind 1,5 Milliarden gläu- bige Muslime verglichen mit 14 Millio- nen Juden weltweit, keine kleine Min- derheit. Außerhalb ihrer Heimatländer, im Besonderen in Europa, sind Muslime vielmehr eine große Minderheit, wäh- rend Juden zu den kleineren, und mit Blick auf Entfremdung und Rassismus (von muslimischer wie nicht-muslimi- scher Seite), weit gefährdeteren Minder- heiten gehören. Israel ist selbst in einer „Minderheit“: Der einzige jüdische Staat der Welt be- findet sich inmitten einer muslimisch do- minierten Region, welche ihm überwie- gend feindlich gesinnt ist. Muslimische

Staaten arbeiten meist gemeinschaftlich JOHN GURZINSKI / AFP (etwa über die Organisation für islami- sche Zusammenarbeit OIC mit 57 Staa- ten, von denen 56 gleichzeitig Mitglied Die fortwährenden Demütigungen der Juden in aller Welt (hier bei der Olympiade 2016) hat sie nicht von ihrer lebensbejahenden Einstellung abgebracht. der Vereinten Nationen sind) daran, die kleine jüdische Nation zu bedrängen. schaft, besonders in Frankreich, wo wirk- ten innerhalb der UN verfügen über aus- ristischen Staat zu machen. Im Gegenteil, Würden wir der Theorie der Radikali- licher, greifbarer Terrorismus bereits etli- reichend Mehrheiten, um den jüdischen Israel ist der erster Helfer bei Naturkatas- sierung durch Deprivation folgen, müss- chen Juden das Leben gekostet hat. Staat vorzuführen. trophen und bietet ungeachtet politischer ten die Juden nach dem Holocaust ihre Und doch kam kein Forscher auf die Die internationale Schikane zeigte sich Beziehungen oft auch jenen die notwen - jeweiligen europäischen Aufenthaltsorte Idee, diese „Judophobie“ würde zu einer kürzlich wieder während der Olympi- dige Hilfe, die meinen jede Gelegenheit fortwährend terrorisieren. Und doch gibt gegen Israel nutzen zu müssen. Darüber es keine jüdischen Terroristen in Europa. hinaus setzt Israel einen Großteil seiner Obwohl sie herausgegriffen und diskri- W ürden wir der Theorie der Radikalisie- Energie im Bereich der Innovation ein, miniert, verteufelt und entmenschlicht, und verschafft damit nicht nur sich, son- gedemütigt und in unvorstellbarer Weise rung durch Deprivation folgen, dern der Welt, Vorteil und Nutzen. gefoltert wurden, in Ghettos gezwungen Auch gegenüber Christen, und jenen und grausam in den Tod befördert wur- müssten die Juden nach dem Holocaust anderen Gemeinschaften, die unter steter den, haben die Überlebenden des Völker- Unterdrückung – meist durch Muslime – mordes nicht mit Hass oder Mordserien ihre jeweiligen europäischen Aufenthalts- leiden, ist die Theorie der Radikalisierung geantwortet. Sie antworteten mit einer durch Diskriminierung und Deprivation, unglaublichen Widerstandsfähigkeit und orte fortwährend terrorisieren. nicht anwendbar. dem Willen aus der Asche wieder aufzu- Tibeter haben keine Axt schwingenden stehen und voranzukommen, trotz der Radikalisierung europäischer oder ame- schen Spiele in Rio. Das libanesische Team Mörder hervorgebracht, auch wenn China Verbrechen, die man an ihnen verübt hat. rikanischer Juden, etwa an Universitäten, hatte sich geweigert, gemeinsam mit isra- ihr Land seit über einem halben Jahrhun- Heute begegnen Juden in Europa, und führen. elischen Athleten in einem Bus zu fahren dert besetzt hält. Biafras und andere nicht- zunehmend auch in den Vereinigten Auch für Israel gilt: Seit dem 6-Tage- und die aus Saudi-Arabien stammende Ju- muslimische Nigerianer, deren Mitglie- Staaten, im Besonderen an den Universi- Krieg 1967 erfährt das Land international doka, Joud Fahmy, verlor die erste Runde der skrupellos von Regierungstruppen, eines Kampfes absichtlich, um die Begeg- der Boko Haram und den terroristischen nung mit Israel zu vermeiden. Fulani-Gruppen ermordet wurden, haben Nicht das diese Art arabischen Beneh- nicht begonnen, ihre Widersacher zu bom- AFP mens neu wäre: Im Juni verweigerte der bardieren oder zu zerstückeln. syrische Boxer Ala Ghasoun die Teilnah- Die herrschende Theorie der Radikali- me an einem Olympia-Qualifikationsbo- sierung ist unhaltbar. Hätte sie auch nur xen gegen den israelischen Gegner, denn einen gut begründeten Funken Wahrheit, diese würde, nach seiner Aussage, die „An- so würden wir andere Menschen – Nicht- erkennung des Staates Israel“ durch ihn als muslime in ähnlicher oder weit schlim- Sportler und damit als Vertreter des syri- merer Lage - in derselben Art und Weise schen Staates, bedeuten. auf Ablehnung reagieren sehen. Sie tun es Israel kann sich nicht einem asiatischen nicht, und doch hält sich die Theorie am Fußballturnier behaupten, und ist damit Leben. zur Teilnahme an europäischen Turnieren Islamophobie und Diskriminierung gezwungen, da viele arabischen Staaten sind nicht die Ursache muslimischer Radi- sich weigern, mit Israel in einen sportli- kalisierung und waren es auch nie. Wenn chen Wettbewerb zu treten. der Westen den islamischen Terrorismus Und doch spricht niemand von ei- wirksam bekämpfen will, sollte es diese ner „Judophobie“ bei den Olympischen Tatsache schnell erkennen und verinner- Auf den Völkermord antworteten die Juden nicht mit Rache, sondern mit Aufbau eines Staates. Spielen. Man stelle sich die Situation mit lichen. umgekehrten Vorzeichen vor: Was wäre, täten, einem, seit dem Zweiten Weltkrieg eine ungerechtfertigte, missbräuchliche wenn ein israelischer Sportler den Wett- Der Artikel von Judith Bergman ist in seinem Ausmaß ungesehenen, Antise- Behandlung. Dies gilt im Besonderen mit kampf mit einem Muslim verweigerte? zuerst erschienen auf „Israel Hayom“. mitismus. Blick auf die UN, welche wiederholt Isra- Diese Unmenge an erfahrener Diskri- Sie erfahren zunehmend wachsende, el aus einem einfachen Grund schmäht: minierung, weltweit einzigartig, schafft Übersetzung ins Deutsche von Jaklin antisemitisch motivierte Gewaltbereit- Die arabischen Staaten und ihre Alliier- es gleichwohl nicht, aus Israel einen terro- Chatschadorian № 9 (25) September 2016 JÜDISCHE RUNDSCHAU WELT 11 Der Tag, an dem der Dritte Weltkrieg begann Zum 15. Jahrestag des 11. Septembers Von Attila Teri

„Angeblich ist ein Kleinflugzeug in ei- nen der Türme des World Trade Centers geflogen!“ – lautete zunächst eine kleine Meldung, die kurz nach 15 Uhr MEZ

über die Nachrichtenagenturen verbrei- MENAHEM KAHANA / AFP tet wurde. Ich rannte zu meinem Redak- tionsleiter, um zu fragen, ob sie ihn viel- leicht interessiert. „Bleib dran“, war seine lapidare Antwort. Und ich blieb dran. Nicht nur an diesem Tag. Bis heute. Zum 15. Mal jährt nun sich das Ereignis, das unsere Welt nachhaltig für immer verän- derte. Es war der 11. September 2001. Wie sich die Geschichte entwickelte, brauche ich nicht zu erzählen. Es gibt wohl kaum jemanden auf der Welt, der nicht weiß, wo er an diesem verhängnisvollen Tag war. Ich arbeitete als Schlussredakteur bei Pro Sieben, wir waren gerade dabei die Boulevardsendung „taff“ für den Tag zusammenzubasteln. Im Gegensatz zu heute bestand die erste Viertelstunde der Sendung damals noch aus relevan- ten Themen und nicht nur aus seichter Unterhaltung. Während unser Planet in Schockstarre fiel, arbeiteten wir wie im Rausch Stunde um Stunde nur daran, die neuesten Horrornachrichten über den Bildschirm zu jagen. Ich weiß nicht mehr, wann ich überhaupt aus dem Schnit- traum kam. Ich erinnere mich nur daran, wie ich von meinen Kollegen ständig mit neuem Material „gefüttert“ wurde. Es kam von überall. Ich glaube, das hat es vorher noch nie und nachher nie wieder gegeben, so dass es keine Rolle spielte, woher die Aufnahmen stammen, wer da- New York am 11. September für die Rechte besaß, die normalerweise erst erworben werden müssen, bevor nur les auf ihn hereinbricht. Ich sehe es heute len Tag lassen sich unsere Politiker von Nichtstun in Jemen ganz zu schweigen. eine Sekunde ausgestrahlt wird, in der noch vor mir wie wir uns alle in der Emp- Terroristen vor sich hertreiben ohne nur Keine oder falsche Entscheidungen sind hartumkämpften Medienwelt. In diesen fangshalle von Pro Sieben versammelt annähernd die adäquate Antwort zu fin- wohl auch die Hauptursachen für das Stunden und Tagen rückte sogar unsere haben, und der damalige Chefredakteur den. Damit mich die Pseudohumanisten Flüchtlingselend unserer Tage. Genau- Zunft der Fernsehmacher zusammen. eine mitreißende Rede hielt. Anschlie- ja nicht missverstehen, noch eine kleine so wie für den wachsenden Terror der Es ist schon seltsam, dass anscheinend Islamisten, den Aufstieg der Rechtspo- immer erst eine Katastrophe passieren pulisten in der Ersten Welt und für die muss, damit wir uns darauf zurückbe- A m 11. September 2001 begann der Dritte zunehmende Angst der „normalen“ sinnen, wer wir sind und was im Leben Bürger, die mit der Lage nicht umgehen tatsächlich eine Rolle spielt: Menschlich- Weltkrieg – ob wir es wollen oder nicht. Wie können. Dass sie überrascht sind, ist ver- keit, Mitgefühl, Solidarität. ständlich. Während die ganze Welt nur noch auf er endet, liegt an uns. Ich jedenfalls habe Wenn jedoch Berufspolitiker wie die Bildschirme starrte und hoffte, es Merkel uns einreden wollen, das Unheil handele sich doch nur um den Trailer keine Lust auf die Meldung „Angeblich ist nicht rechtzeitig gesehen zu haben, dann zum neuesten Katastrophenfilm von Ro- schwillt meine Halsschlagader an. Denn land Emmerich, war es mir von Anfang heute Morgen eine ‚schmutzige Bombe‘ am im Gegensatz zu uns, bekommen sie je- an klar, es ist keine „Story“! den Tag die frischen Gefahrenanalysen Dabei fällt mir gerade die Geschichte Berliner Alexanderplatz explodiert!“ der Sicherheitsexperten und sind mehr eines Kameramann-Kollegen ein, der da- als umfassend über alles informiert. Da mals in New York weilte. Eigentlich sollte ßend taumelte ich heim. Am nächsten Klarstellung: Ich bin immer noch ein Be- ich beim besten Willen nicht davon aus- er an dem Tag ein Interview mit Michael Tag ging es so weiter. Und weiter. Und fürworter der Kriege sowohl gegen die gehen kann, dass sie dumm sind, frage Jackson machen, er wartete nach einer weiter. Ich habe in den nächsten andert- Taliban in Afghanistan als auch gegen ich mich, was sie dazu bringt mit 300 durchzechten Nacht in seinem abgedun- halb Jahren fast ausschließlich über den Massenmörder wie Saddam Hussein im Km/h in einem Zug ohne Bremsen ge- kelten Hotelzimmer auf den Anruf des Terror und dessen Folgen berichtet! Irak und Gaddafi in Libyen. Gar dann, gen einen Berg zu rasen und uns zu er- Managers und hatte so erstmal nichts von Bis in unsere Gegenwart hinein. Der wenn die damals vorgegaukelten Gründe zählen „Wir schaffen das!“. dem ganzen Drama mitbekommen. Der Schock sitzt tief, sehr tief. Auch heute gegen Saddam Hussein zum Teil erstun- So war es schon am Vorabend des Anruf kam, allerdings aus der Heimat. noch – 15 Jahre danach. Die überwie- ken und erlogen waren. Für mich reichte Zweiten Weltkrieges. Hätte der Westen Er wusste tatsächlich nicht, was um ihn gende Mehrheit der Menschen besitzt es, dass er ohne Zweifel Giftgas gegen damals rechtzeitig und geschlossen ein- herum geschah. Dann umso mehr. Wer die Gabe zu verdrängen. Es ist an sich sein Volk einsetzte, im Zweiten Golfkrieg gegriffen, wäre es dem österreichischen kennt nicht die Aufnahmen mit dem has- gesund und schützt uns davor verrückt zu Israel mit Raketen beschoss und bis zu Hobbymaler nie möglich gewesen, ganz tigen und verwackelten Schwenk nach werden. Bei der ganzen Sache gibt es für seinem Ableben den Hinterbliebenen Europa in Schutt und Asche zu legen. So oben, die am Fuße der Türme während mich jedoch ein großes Problem. Man- von „palästinensischen“ Terrorristen ist es auch heute! Wenn wir wieder so- des zweiten Einschlages gemacht wur- che verwechseln Verdrängen mit Verges- 50.000 Dollar überwies. Genauso unter- lange wegsehen bis der Wahnsinn uns den? Sie stammen von ihm. Wenn man sen. Gepaart mit Ignoranz, Egoismus und stützte „Bruder Oberst“, wie sich Gaddafi mitreißt, haben wir genauso versagt dem „verehrten Publikum“ mit seinen Verantwortungslosigkeit, führt es häufig so gerne nennen ließ, den Terror weltweit wie unsere Vorfahren. Nur zusammen Beiträgen gerade die Luft zum Atmen zu einer Katastrophe. Und diese Katast- über Jahrzehnte und unterjochte sein können wir der Barbarei Einhalt gebie- raubt, muss man einen kühlen Kopf be- rophe erleben wir heute. Volk aufs Übelste. ten und damit auch dafür sorgen, dass wahren, nichts an sich ranlassen, was Ich habe zu den Geschehnissen und Ich halte die Vernichtung solcher die Opfer der Anschläge nicht umsonst auch immer geschehen möge – sagte ich ihren Folgen eine klare Meinung, die nie- Despoten für gerecht. Das Problem ist, starben! Denn am 11. September 2001 mir gebetsmühlenartig. Wieder und wie- mand teilen muss. Denn sie ist überaus wenn man keinen Plan B für „die Zeit begann der Dritte Weltkrieg – ob wir es der. Es ging gut – bis zum Ende der mehr- unbequem. Die Anschlagserie ein paar danach“ besitzt, auf halber Strecke ste- wollen oder nicht. Wie er endet, liegt an stündigen Sondersendung. durchgeknallter Islamisten schaffte es, hen bleibt oder nicht einmal losgeht und uns. Ich jedenfalls habe keine Lust auf Dann war es allerdings umso schlim- alles auf den Kopf zu stellen. Ob in unse- hofft, so davonzukommen, wie man das die Meldung „Angeblich ist heute Mor- mer. So stelle ich es mir vor, wenn ein rem kleinen, alltäglichen Leben oder auf täglich im Irak, Syrien, Afghanistan, gen eine ‚schmutzige Bombe‘ am Berli- Komapatient plötzlich aufwacht und al- globaler Ebene. Seit dem verhängnisvol- und Libyen „bewundern“ kann, vom ner Alexanderplatz explodiert!“ 12 DEUTSCHLAND № 9 (25) September 2016 JÜDISCHE RUNDSCHAU Manuela Schwesig, „Hatespeech“ und der Hass gegen Israel Das Familienministerium gibt nur vor gegen Hass zu kämpfen. Von Jennifer Nathalie Pyka

Im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gibt es im- mer etwas zu tun. Und Hausherrin Ma- nuela Schwesig sorgt höchstpersönlich dafür, dass das auch so bleibt. Noch am Dienstag feierte sie ausgelassen den 30. Geburtstag des „Frauenministeriums“. Nur einen Tag später bog sie mit dem Vorschlag ums Eck, zahlungsunwilligen Elternteilen den Führerschein zu entzie- hen. Dabei hatte sie schon in den letzten Tagen und Wochen alle Hände voll damit zu tun, den ersten Jahrestag des „Eltern- geldPlus“ zu begehen, Schulabbrechern in Schwerin mental und finanziell zur Seite zu stehen, Führungspositionen auch Frauen in Teilzeit zugänglich zu ma- chen und mobile Spielplätze vor deutsche Flüchtlingsunterkünfte zu schicken. Umso beachtlicher ist es, dass sie bei all dem Stress noch dazu kommt, sich um die Dinge zu kümmern, die wirklich zählen – zum Beispiel Hassrede im Inter- net. Erst letzte Woche stellte sie die „No Hate Speech“-Kampagne vor, mit der sie „ein weiteres Zeichen gegen Hass und Gewalt“ setzen möchte. Eine durchaus reizvolle Idee. Noch schöner wäre sie al- lerdings, wenn Manuela Schwesig nicht gleichzeitig ein anderes Projekt fördern würde, das auch ambitionierten „Israel- kritikern“ Asyl gewährt. Gerne wüsste CLEMENS BILAN / AFP man, was genau das BMFSFJ eigentlich Manuela Schwesig will angeblich Hass bekämpfen, fördert ihn aber in Wirklichkeit. unter „Hass“ versteht. Mehr noch: Wo verläuft eigentlich die Grenze zwischen zen“ – denn „Hass ist keine Meinung“, so selben Abend ebenfalls über einen interes- Sekunde überleben würde. Hetze und Kritik? Grund genug, bei Frau Schwesig. Das klingt soweit nachvoll- santen Vergleich: „Was ist der Unterschied Mir ist bewusst, dass solche Intoleranz den direkt Zuständigen – Staatssekretär ziehbar. Allerdings vermisse ich seitens zwischen Juden und Muslimen? Die Juden bei „Demokratie leben“ natürlich nicht so Dr. Ralf Kleindiek und Thomas Heppe- des Ministeriums eine genaue Definition haben es hinter sich.“ Darüber hinaus be- sehr im Mittelpunkt steht wie etwa rechts- ner (Chef des hauseigenen Bundespro- dessen, was „Hass“ überhaupt bedeutet. teiligte sich i,Slam mit einem „Street Slam extreme Propaganda. Aber Ihnen als Ex- gramms „Demokratie leben“, vormals Der Duden besagt zwar, dass es sich dabei for Justice“ an den Pro-Gaza-Protesten im perten für gelebte Demokratie und prak- Direktor des Anne-Frank-Zentrums) – um „ein starkes Gefühl der Ablehnung Sommer 2014. Im Rahmen dessen wur- tische Toleranz wird ja trotzdem geläufig einmal nachzufragen. und Feindschaft gegenüber einer Person, de viel über das Unrecht in Gaza geklagt, sein, dass Antisemitismus keineswegs nur Gruppe oder Einrichtung“ handelt. Aber für das die Nachwuchs-Dichter allerdings Springerstiefel trägt, sondern sich schon Sehr geehrter Herr Dr. Kleindiek, sehr wenn eine oberste Bundesbehörde Hass stets die israelische Regierung, nie aber die seit Jahrzehnten auch in dem Wunsch und geehrter Herr Heppener, bekämpfen will, wüsste ich auch gern, wo Verursacherin des damaligen Konflikts, der Absicht manifestiert, den jüdischen mit großem Interesse habe ich zur genau denn in den Augen der Verantwort- nämlich die Terrorgruppe Hamas verant- Staat zu zerstören. Kenntnis genommen, dass die „No Hate lichen Kritik endet und Hass beginnt. wortlich machen. Sowohl die „No Hate Speech“-Kampag- Speech“-Kampagne des Europarats nun Genau diese Frage stellte ich mir näm- Diese Umkehr der Rollen inklusive ne als auch der „i,Slam Kunstpreis“ werden mit Unterstützung von Familienministe- lich schon im Mai diesen Jahres, als ich Klagelied ist zwar mittlerweile Volkssport mit Mitteln des Bundesprogramms „De- über das Projekt „i,Slam“ in Deutschland. Aber das ändert nichts mokratie leben“ gefördert, für das jähr- stolperte. (Meinen Text dazu daran, dass auch bei den Demokraten von lich 50,5 Millionen Euro zur Verfügung finden Sie ebenfalls in der i,Slam nicht konkrete Handlungen der stehen. Der geplante Etat für 2017 wurde „Jüdischen Rundschau“.) israelischen Regierung kritisiert werden, nun nahezu verdoppelt und auf 104,5 Mil- Wie Sie ja wissen, wird dieses sondern vielmehr der Umstand, dass Isra- lionen Euro erhöht, um noch mehr gegen Projekt – genauer: der dazu- el sich überhaupt verteidigt. Rassismus und Menschenfeindlichkeit zu gehörige „i,Slam Kunstwett- Generell scheint die Befreiung Palästi- unternehmen. bewerb für sozial- und gesell- nas ein wichtiges Anliegen vieler i,Slam- Als außenstehende Beobachterin frage schaftskritische Kunst“ unter Poeten zu sein. Vor allem die deutsch- ich mich nur, ob es nicht einen kleinen In- Schirmherrschaft von Manu- „palästinensische“ i,Slam-Aktivistin teressenkonflikt gibt, wenn das Ministeri- ela Schwesig – im Rahmen Faten El-Dabbas wirkt dahingehend sehr um eine beherzte Kampagne gegen „Hate des Bundesprogramms „De- engagiert. Nur versteht sie darunter offen- Speech“ startet, gleichzeitig aber Hass und mokratie leben“ und somit kundig nicht die Befreiung Gazas von der Hetze gegen Israel sponsert. Und als Steu- ebenfalls von Ihrem Haus ge- Hamas. Auch die Gründung eines paläs- erzahlerin wüsste ich gerne, warum ich fördert. Bei i,Slam handelt es tinensischen Staates in Grenzen, die mit erst die Verbreitung und Etablierung von sich um Poetry Slam für jun- den israelischen Sicherheitsinteressen in Hass bezahlen muss, nur um hinterher ge Muslime mit entsprechen- Einklang stehen, wäre gemäß ihren Wer- dessen Eindämmung zu finanzieren. den Themen (Islamophobie, ken nicht ganz nach ihrem Geschmack. Es sei denn freilich, es handelt sich bei Rassismus, usw.). Im Gegen- Sie möchte offenbar lieber ganz Israel, dar- der Poesie einiger i,Slamisten Ihrer An- satz zu konventionellen Poe- unter etwa die israelische Hafenstadt Jaffa, sicht nach nicht um antisemitische Het- try Slams werden die Beiträge die zu Tel Aviv gehört, in „palästinensi- ze, sondern um „gesellschafts- und sozi- bei i,Slam vorab von den Ver- scher“ Hand sehen. alkritische Kunst“ – und bei Judenhass antwortlichen überprüft, um Diesen Wunsch artikulierte Frau El- nicht etwa um „gewöhnlichen“ Hass, blasphemische Texte präven- Dabbas im Übrigen auch schon recht sondern um eine Meinung, die man nicht tiv aus dem Verkehr ziehen deutlich im Berliner Willy-Brandt-Haus. nur akzeptieren, sondern vielmehr im zu können. Denn „der i,Slam Dort dichtete sie vor Publikum über die Rahmen eines Wettbewerbs mit Steuer- soll ein sauberer Slam sein“, Befreiung Palästinas sowie über Mauern, geld fördern muss. Staatssekretär Dr. Ralf Kleindiek betonen die Initiatoren. Siedlungen, Soldaten, Panzer und F16- Aus diesem Grund wüsste ich gerne, Nur wenn es um Juden und Raketen der Israelis, die sich doch bitte wie das Familienministerium diesen Be- rin Manuela Schwesig auch in Deutsch- Israel geht, machen die i,Slamisten gerne in Luft auflösen mögen. Man muss kein griff definiert, wo genau also Kunst und land an den Start geht. Der Website des mal eine Ausnahme. Von „dreckigen Zio- promovierter Nahostexperte, Militärwis- Kritik enden und Hass beginnt. Ministeriums entnehme ich, dass es bei nisten“ war etwa bei einem Poesie-Abend senschaftler oder Germanist sein, um zu In freudiger Erwartung Ihrer Antwort „No Hate Speech“ darum geht, „ein wei- in Braunschweig die Rede. Der i,Slam- wissen, dass ein völlig unbewaffnetes Isra- verbleibe ich mit bestem Gruß nach Berlin teres Zeichen gegen Hass und Gewalt set- Mitarbeiter Ilhan Hancer sinnierte am el inmitten von Hamas, Fatah und IS keine Jennifer Nathalie Pyka № 9 (25) September 2016 JÜDISCHE RUNDSCHAU DEUTSCHLAND 13 Wer hätte 1990 gedacht, dass man 2016 über Burkas diskutiert? Es ist haarsträubend, dass man über die Selbstverständlichkeit eines Burka-Verbotes überhaupt streitet Von Anabel Schunke

In Wahrheit haben all die Diskussionen um die Auswüchse des Islams, die tief in die öffentliche Sphäre reichen, nicht mehr das geringste mit privater Religi- onsausübung zu tun. Was mittlerweile täglich die Nachrichtenseiten füllt, ist mitnichten ein Zeichen des Fortschritts, sondern des Rückschritts. Es ist definitiv bemerkenswert, wie lange man über ein Thema diskutieren kann, bei dem die Antwort so denkbar klar ausfallen müsste. Die Burka passt nicht zu uns. Sie passt nicht zu unseren Werten wie der Gleichberechtigung von Frau und Mann und sie passt schon gar nicht in eine Gesellschaft, die schon ge- spalten genug ist, in der sich Muslime und Mehrheitsbevölkerung ohnehin zunehmend misstrauen und Teile der muslimischen Bevölkerung das mit der Abgrenzung von eben jener Mehrheits- gesellschaft auch ohne Burka schon ganz WIKIPEDIA gut schaffen. Ja, eigentlich ist die Burka nur das i-Tüpfelchen, der Gipfel, die konsequenteste Zurschaustellung dieser Ablehnung. Aber klar, auf diskursiver, akademi- scher Elfenbeinturmebene kann man die Debatte loben. Die Zahl der Pro- Burkaverbot-Kommentare und die der Contra-Burkaverbot-Kommentare hält sich konstant seit Tagen die Waage. Gute Argumente lassen sich auf beiden Seiten finden, das muss man zugestehen, selbst wenn man sich bereits für eine Ansicht

entschieden hat. Ja es ist eine ausgewo- AFP GANGNE, MICHEL gene, eine lange, eine ausführliche Dis- kussion, um dieses mobile Stoffgefäng- Über den Tellerrand schauen: Auch in unserem Nachbarland hat es einmal mit nur wenigen Burkas und Niquabs angefangen. nis und der ein oder andere fühlt sich dadurch gar animiert, dies als Zeichen negative Religionsfreiheit pochen, die in Ähnlich wie man es aus dem Deutsch- zem noch selbstverständlich erschienen, gesellschaftlichen Fortschritts zu wer- der ganzen Debatte rund um den Islam unterricht in der Schule kennt, kann mehr Schaden anrichtet als hilft. Dass ten. Dass wir eben in einer so unfassbar meines Erachtens sowieso seit Monaten man Dinge eben auch überinterpretie- auf Ebene der Kultur zwischen islami- modernen Gesellschaft leben, dass man und eigentlich schon immer viel zu kurz ren. Wer jemals eine Gedichtinterpre- scher und im weitesten Sinne westlicher über Verbote derart lange diskutiert, kommt. tation geschrieben hat, weiß wovon ich Kultur meist nicht einmal ein Minimal- statt sie einfach durchzuziehen. Dass die konsens erreicht werden kann und dass Freiheit für uns ein so hohes Gut ist, dass man auf dieser Grundlage nie ein wirk- wir sie in alle Richtungen verteidigen, D ie Mehrheit der Deutschen hat längst liches gesellschaftliches Miteinander, und dass dazu eben auch gehört, dass je- sondern maximal ein Nebeneinander zu der tragen kann, was er will, selbst wenn für sich entschieden, dass die Burka Lasten derer erreicht, die sich wünschen es ein frauenunterdrückendes Stoffge- würden, sie würden mit dem ganzen fängnis, ein Unsichtbarmacher ist. ihrer Ansicht nach verboten gehört. rückschrittlichen Religionszeug einfach Und ja, wenn ich auf dieser akademi- einmal in Ruhe gelassen werden. schen Ebene der Realitätsentfremdung Nein, in Wahrheit sind all diese Dis- bleibe, dann finde ich das auch ganz Dann will ich es nicht als Fortschritt rede. Wer sagt uns eigentlich, dass der kussionen um die Auswüchse des Is- wunderbar. Dann denke ich nach – über werten, dass wir wochenlang über et- Autor mit der grauen Wand wirklich lams, die tief in die öffentliche Sphäre negative und positive Freiheit, über die was diskutieren, über das wir früher sein Seelenleben meinte und nicht doch reichen und damit nicht mehr das ge- Religionsfreiheit der Religiösen und in unserer Gesellschaft nicht einmal eben nur eine graue Wand? Genauso ringste mit privater Religionsausübung meine negative Religionsfreiheit als nachdenken mussten. Dass wir, wie von verhält es sich mit Diskussionen wie der zu tun haben, die mittlerweile täglich Atheist. Dann freue ich mich darüber, Aydan Özogüz bereits vor Monaten in um die Burka oder andere religiöse Ab- die Nachrichtenseiten füllen, mitnich- wie ausgewogen und sachlich wir über freudiger Erwartung verkündet, unser surditäten. Je länger die Debatte geführt ten ein Zeichen des Fortschritts, son- all das diskutieren, obwohl die Mehrheit Zusammenleben ab sofort anscheinend wird, je länger wir darüber nachdenken, dern des Rückschritts. Eben weil wir der Deutschen längst für sich entschie- wirklich täglich neu aushandeln müs- desto mehr entdecken wir in der grauen über graue Wände und nichts Anderes den hat, dass die Burka ihrer Ansicht sen – und das selbst wenn es um einen oder in dem Fall schwarzen Wand. Am als das reden. Weil es da nichts zu inter- nach verboten gehört. Dann werte ich Stoffsack geht, der die Frau in der Öf- Ende, so scheint es, kommt dann selbst pretieren und schön zu reden gibt. Und das als Fortschritt im Ringen um den fentlichkeit zum Nichts degradiert. Dass die Burka als Ausdruck der Freiheit da- weil wir für das Reden über und Inter- sachlichen Diskurs, der in den letzten anhand der Diskussionen um Kinder- her. Man muss eben nur lange genug pretieren von grauen Wänden so viel Monaten nur allzu oft schmerzlich ver- ehen, Ehrenmorde, Verhüllungen in un- drauf starren bzw. den Pfad der eigenen Zeit opfern müssen, die man, wären sie misst wurde. terschiedlichster Ausprägung, aber auch Ideologie konsequent verfolgen. nicht da oder verboten, für Dinge üb- In der Realität fernab dieses akade- solch vermeintlicher Banalitäten wie Inzwischen geht uns der Blick auf das, righätte, die unserer modernen Gesell- mischen und auch journalistischen Mi- Schweinefleisch in den Kantinen längst worüber wir wirklich reden, vollkom- schaft angemessen wären. Die in der zi- krokosmos’ hingegen bin ich genau das erkennbar ist, was Broder in Anlehnung men abhanden. Von uns selbst im pseu- vilisatorischen Zukunft und nicht in der Leid. Da differenziere ich auch noch, an Özogüz Aussage befürchtete – dass doakademischen Taumel ganz betroffen, Vergangenheit liegen. Denn letztlich ist aber eben nicht mehr auf dieser theo- wir beginnen, selbst über die wenigen klopfen wir uns auf die Schulter, feiern der Islam nichts anderes als ein Relikt retischen Ebene, die den Menschen im mühsam erkämpften Gemeinplätze des unsere Ausgewogenheit, Differenzie- der Vergangenheit, welches nicht zuletzt Alltag nicht wirklich viel bringt, wenn gesellschaftlichen Miteinanders wieder rung und Fähigkeit zum Diskurs, statt zu auch durch unsere Art und Weise der sie der Burka-Trägerin gegenüberste- zu debattieren und sie im Zuge des Mul- erkennen, dass genau dieses Ausschlach- Auseinandersetzung mit ihm eine Revi- hen und dabei ein mulmiges Gefühl ti-Kulti-Dogmas infrage zu stellen. ten, das Hin- und Herdenken, das Über- talisierung erfährt. empfinden oder sich fremd im eigenen interpretieren der grauen bzw. schwar- Ja, vielleicht sollte man einfach wieder Land fühlen. Dann will ich mich nicht Wohlstandsverblödung? zen Wand darüber hinwegtäuscht, über dazu übergehen, den Islam als das zu mehr der übertriebenen Rücksichtnah- Dann frage ich mich bei aller Ausgewo- welche mittelalterliche, zutiefst zivili- behandeln, was er ist: eine graue Wand. me gegenüber Gläubigen anschließen, genheit und Diskursivität der Debatten satorisch-rückschrittlichen Dinge wir Dann hätten wir auch wieder Zeit für das weil sich das für uns, die wir in diesem um Kopftuch, Burka und Schweine- eigentlich reden. Und dass genau dieses Visionäre, den wirklichen Fortschritt – liberalen Rechtsstaat leben, angeblich fleisch: Ist das noch Fortschritt oder zermürbende Aushandeln der mühsam nicht nur in der Form der Debatte, son- so gehört. Dann möchte ich auf meine schon Wohlstandsverblödung? erkämpften Werte, die uns bis vor kur- dern auch in ihrem Inhalt. 14 DEUTSCHLAND № 9 (25) September 2016 JÜDISCHE RUNDSCHAU Der „Verband deutscher Schriftsteller“, ver.di und der Antisemitismus Erschreckende Innenansichten aus der Welt der „Intellektuellen“ Von Miriam Magall

Schon in München war ich Mitglied im bei ver.di organisierten deutschen Schriftstellerverband gewesen. Diese Mitgliedschaft nahm ich nun nach Ber- lin mit. Davor war ich seit meiner An- kunft in Deutschland 1988 Mitglied im Übersetzerverband gewesen, beide un- ter der Ägide erst der IG Medien, später wurde daraus ver.di. Da ich schon in Heidelberg wie am Fließband Bücher übersetzte, zwi- schendurch das Abendgymnasium besuchte und anschließend studierte, hatte ich kaum Zeit, im Berufsverband irgendwie ehrenamtlich oder anders aktiv zu werden. Ich las immer nur brav alle Mitteilungen, nahm hin und wie- der an den Mitgliederversammlungen und dachte sonst vor allem an meine Arbeit. Das hat mir einige Nachteile eingebracht. Denn als ich mich bei den Übersetzern um einen Preis für mein Lebenswerk bewarb, immerhin hatte ich zu jenem Zeitpunkt schon 300 Bü- cher vor allem ins Deutsche übersetzt, erhielt statt meiner eine halb so alte Kollegin diesen Preis für ihr Lebens- werk, gerade einmal 40 Bücher hatte sie übersetzt! Empört trat ich aus diesem Verein aus. Der damalige Vorsitzende rief mich an, um nachzufragen, warum ich austreten wolle. Ich erzählte ihm von WIKIPEDIA meiner Empörung und äußerte meinen ver.di-Chef Frank Bsirske. Verdacht, mit Preisen würden anschei- nend vor allem jene Mitglieder bedacht, schen Politik und Kultur eingebracht.“ haltliche und politische Diskussionen jedoch aus der israelischen Besatzung die etwas für den Verband täten. Indi- Nicht im Glückwunsch des Schriftstel- gar nicht mehr einlässt. ... Nun denke der Westbank und des Gazastreifens rekt stimmte er mir zu. Na gut, dachte lerverbands steht, dass Günter Grass ich: außer Israel-Lobpreisungen und entstanden ...“ ich mir, mit solch einem Verein will ich diesen Preis auch und vor allem für Palästina-Verdammnissen um jeden Inzwischen kommen ja ähnliche nichts zu tun haben. „seinen Mut“ bekommen hat, den er Preis ist von Ihrer Seite kaum etwas zu Messerattacken in Deutschland vor. In Berlin engagierte ich mich genau- mit seinem Gedicht bezeugt, in dem er erwarten.“ Geschehen diese, weil Deutschland so wenig aktiv wie zuvor in Heidelberg bekennt, er könne nicht länger schwei- Ich bin durch die letzten E-Mails mit zum Beispiel Bayern besetzt hält? oder München im Verband. Inzwischen gen, sondern müsse Israel als Gefahr diesem Herrn gegangen: Für das, was Im März 2016 berichtete die „Ber- war man allerdings bestens vernetzt, für den Weltfrieden anprangern. er mir hier vorwirft, gibt es keinerlei liner Zeitung“ von einer Veranstal- sodass praktisch keine Woche verging, Die ver.di-Bundesbeauftragte für Belege. Aber in Schriftstellerkreisen tung im Rahmen der „Israel Apartheid ohne dass man Nachrichten per E-Mail Kunst und Kultur gratulierte im Na- verallgemeinert man anscheinend ger- Week“, organisiert unter anderem vom erhielt, in denen Wichtiges vom Ge- men des VS (Verband deutscher ne und projiziert noch viel lieber die BDS Berlin, einer Gruppe, die zum schäftsführer oder dem einen oder an- Schriftsteller) und der künstlerischen eigenen Gedanken auf andere. Darauf Boykott von Waren und zu Sanktionen deren Mitglied mitgeteilt wurde. Auf Fachgruppen in ver.di dem Schriftstel- wird nun zurückzukommen sein. gegen Israel auffordert. diese Weise bekam man als Mitglied ler, Künstler und europäischen Kultur- Und das geschieht nun im Folgenden Die „Berliner Zeitung“: „Vor dem eher mit, was sich im Verband so alles bürger Günter Grass sehr herzlich zu mit dem nächsten Shitstorm, dem ich Kino gab es eine Demonstration von Is- tut. Es wurden Ausschreibungen für Li- dieser Ehrung. in diesem Forum, der internen E-Mail- rael-Sympathisanten. Dabei versuchten teraturpreise veröffentlicht, Ankündi- Die einzige, die im Schriftstellerkreis, Anschrift aller bei ver.di vereinten deut- Gegner, darunter Türken und Araber, gungen von literarischen Veranstaltun- über die allen Schriftstellern bei ver.di schen Schriftsteller, ausgesetzt war. die Demonstration zu stören ... Nach gen in Berlin wurden verschickt, und zugängliche E-Mail, öffentlich gegen Dafür mussten drei Themen herhalten: Angaben von Augenzeugen riefen meh- hin und wieder gab es kurze Diskussi- diese Gratulation protestierte, war ich. Das erste waren die Messerangriffe, rere von ihnen antisemitische Parolen: onen unter den rund 1.000 Mitgliedern Hier sind einige interessante Ant- die vor allem von „palästinensischen“ ‚Ihr sollt alle vergast werden!‘ Zudem über die Richtung, die der Verband worten von Seiten der Mit-Schriftstel- Kindern und Jugendlichen auf jüdisch- zeigten vier von ihnen den Hitlergruß.“ einschlagen sollte; aber auch durchaus ler, die ich in der Folge erhielt: israelische Zivilisten hauptsächlich in In meiner E-Mail an alle bei ver.di ideologische Fragen wurden unter den „Obwohl ich denke, dass Grass sich Jerusalem (aber nicht nur dort) vom organisierten deutschen Schriftsteller Mitgliedern diskutiert. viel zu spät über seine SS-Vergangen- Sommer 2015 an verübt wurden. forderte ich sie auf, dagegen öffent- Die Grass-Debatte 2012 heit geäußert hat, war ich und bin ich Ich schickte mehrere entsprechende lich Stellung zu beziehen. Als Ant- Im Jahr 2012 dann die Kontroverse mit seinem Gedicht einverstanden. Er Mitteilungen unter anderen der israe- wort konnte ich das lesen: „Leider ist um Günter Grass und das unsägliche hat einen Tabubruch begangen, der in lischen Botschaft, den wöchentlichen es zugleich die Spiegelung eines nun antiisraelische Gedicht des greisen diesem Land nötig ist.“ – Dazu habe „ILI-Nachrichten“ und noch ein oder schon jahrzehntelang dauernden und Mannes: Es sorgte für den vorausseh- ich nachgefragt: „Welcher Tabubruch?“ zwei andere Nachrichten an alle Mit- in immer neuen Formen und Phasen baren Eklat in der breiten Öffentlich- Eine Antwort habe ich nicht erhalten. glieder mit der Bitte, diese Angriffe wieder auflebenden Krieges zwischen keit – und im Dezember 2012 für Ein anderer Kollege schrieb zu mei- doch bitte öffentlich zu verurteilen. unmittelbaren Nachbarn ... In Berlin den gesammelten Glückwunsch des nen Protesten: „Ich finde die Kollegin Dazu erhielt ich gleich mehrere Ant- sieht man nun wie unter einem Vergrö- Schriftstellerverbands an besagten Magall anmaßend.“ Warum anmaßend, worten, die meisten hatten nichts dage- ßerungsglas das Resultat fehlgeschla- Nobelpreisträger zur Ehrung zum „Eu- erlaubte ich mir zurückzumailen. Eine gen, dass jüdisch-israelische Zivilisten gener Politik beider Seiten, im Grunde ropäer des Jahres“ (verliehen von der Antwort habe ich nie erhalten. einfach so abgestochen wurden: Im No- seit Beginn der Staatlichkeit Israels.“ dänischen Europabewegung). Die sel- Aber es gab auch Zustimmung: „Ich vember 2015 erklärte die schon oben Da muss ich mich als Jüdin und Isra- ben Preisverleiher hatten zuvor bereits gebe Ihnen Recht: Sie persönlich und zitierte Kollegin, die dem Grass’schen elin wohl fragen: Sollte der Staat Israel Bundeskanzlerin Angela Merkel, den mit ihnen sehr, sehr viele andere müs- „Tabubruch“ zustimmt: abgeschafft werden, nur damit „Gegner, früheren deutschen Außenminister sen nicht hinnehmen, was Grass da „Religiöser Fundamentalismus ist ge- darunter Türken und Araber“, keinen Joschka Fischer und den ehemaligen geschrieben hat.“ Na, danke schön für fährlich.: In Israel ... vergiften religiös Grund mehr zu einer Demonstration in EU-Kommissionspräsidenten José Ma- diese Worte. Sie sind Balsam für die fanatische jüdische Siedler und eben- Berlin vor einem Kino haben? nuel Barroso mit diesem Ehrentitel be- Seele. so Politiker das Leben / den Alltag der Das war jedoch nur ein kleiner Vor- dacht. Den Worten der Verleiher zufol- Kurz darauf meinte derselbe Kollege palästinensischen / israelischen arabi- geschmack auf Kommendes. Schon im ge hat Günter Grass „sich engagiert und jedoch, mich tadeln zu müssen: „Mei- schen Bevölkerung ... Aus diesen Grün- März 2016 meinte eine Kollegin: „Es gelegentlich streitbar in die kritischen ne Haltung zu Israel ist sehr viel diffe- den entstehen Messerangriffe u.a., die tut mir leid, aber wir werden den An- Auseinandersetzungen der europäi- renzierter als die Ihre, die sich auf in- ich auch nicht gutheißen will, sie sind tisemitismus nicht aus der Mitte dieser № 9 (25) September 2016 JÜDISCHE RUNDSCHAU DEUTSCHLAND 15

Gesellschaft vertreiben können.“ An- zende des hier immer wieder erwähn- des Vorwurfs der Brunnenvergiftung mich vor ein paar Tagen an die Mitglie- schließend zählte sie die Verfehlungen ten deutschen Schriftstellerverbands, nun aber wirklich nichts zu tun. Zumal der gewandt, weil ich sie auf den Vor- der deutschen Nachkriegsgesellschaft Landesverband Berlin, insoweit zu, Abbas’ Worte alsbald als Lüge enttarnt wurf der Brunnenvergiftung aufmerk- auf und hob sozusagen hilflos die als sie schrieb: „Leider ist es auch so, wurden: Der Rabbiner, der diese For- sam machen wollte, die der Vorsitzende Arme. Dann platzte es jedoch sozusa- dass Mahmud Abbas laut seiner einst derung angeblich gestellt haben soll, der Pal. Autonomiebehörde [Machmud gen aus ihr heraus: „Aber dann war ich in Moskau verfassten Doktorarbeit als existiert nicht. Abbas] vor den Europäern gemacht hat in Israel und erfuhr, wie man dort die Verharmloser und sogar Leugner des Genauso wenig habe ich weder Kriti- – und dem der nette Herr Schulz mit Palästinenser behandelte.“ Holocaust gelten kann. Er soll darin ker von Israels Politik als Antisemiten lautem Beifallklatschen zugestimmt Auf meine Rückfrage, ob sie denn u.a. auch Existenz der Gaskammern ge- bezeichnet, noch habe ich Todeswün- hat. wisse, wie denn die Araber, „Palästi- leugnet haben.“ sche für unerwünschte Kollegen geäu- Wenn das Islamophobie ist, dann nenser“ und andere in jener Region mit Auf den Vorwurf der Brunnenver- ßert. weiß ich nicht, was ich von den vielfäl- Israel und Juden umgehen, habe ich lei- giftung ging sie leider nicht ein. Des- Ich kann nur annehmen, dass der tigen – zum Teil mehr als gehässigen der keine Antwort erhalten. Israel kann halb fühlte ich mich bemüßigt, sie und werte Kollege hier seine eigenen Wün- Kommentaren – der ‚Kollegen’ halten man erstmal alles vorwerfen. Das muss mit ihr die gesamte bei ver.di vereinte sche auf mich projiziert. Er sollte nicht soll. nicht weiter ausgeführt werden. Diesen schreibende Zunft über den Vorwurf der einzige bleiben. Danach habe ich noch 1 Einladung Vorwurf versteht doch jeder „vernünf- der Brunnenvergiftung und was er jahr- Denn schon einen Tag später mel- zur Teilnahme an der Gegendemo zum tige“ Mensch. hundertelang für die Juden, auch und dete sich ein Dr. zu Worte: „Bei aller Al-Quds-Tag verschickt, auf dem all- Im Juni/Juli 2016 brach der Shit- vor allem in Deutschland, bedeutete, Toleranz, Kollegin Magall, aber ihre jährlich mitten auf dem Ku-Damm in storm gegen mich dann so richtig los. aufzuklären. pathologisch anmutende Islamophobie Berlin von der Vernichtung aller Juden Anlass waren einerseits die Worte des Aber eine andere Kollegin ging da- können Sie gern woanders ausleben; es – ich betone: aller Juden, auch denen, Vorsitzenden der Palästinensischen rauf ein, jene, die schon G. Grass’ Ge- gibt da genug Hassforen ... Wenn ich die sich ihnen gerne anbiedern! – und Autonomiebehörde, Machmud Abbas, dicht und das, was er unbedingt zu Sie nicht für krank hielte und wenn ich einem Palästina vom Mittelmeer bis und andererseits die Weiterleitung des sagen hat, befürwortete, erwiderte der nicht so viele jüdische Freunde und Be- zu Jordan gefordert wird: ‚Hamas! Ha- Aufrufs für eine Demonstration gegen Vorsitzenden des deutschen Schrift- kannte hätte, die das ganze Gegenteil mas! Juden ins Gas!‘ Das gilt nicht nur den jährlichen Al-Quds-Marsch auf stellerverbands, Landesverband Ber- leben, müsste ich glatt behaupten, es für mich – sondern für alle Juden, auch dem Ku-Damm in Berlin am 2. Juli lin: „Liebe A., liebe Kolleg-innen, habe sei jetzt zu verstehen, warum Ihre Vor- die, die den Israelis, siehe dazu im An- 2016. Doch schön der Reihe nach: nach meiner Mail von gestern nachge- fahren einst einen Wanderprediger, der schluss, Brunnenvergiftung vorwerfen“ Am 23. Juni 2016 sprach Machmud schaut, das Buch gefunden und hiermit verkündete: ‚Liebet Eure Feinde!‘, an Um 12.17 Uhr habe ich der Kollegin Abbas vor dem EU-Parlament. Er be- die Angaben, auch zu den Dossiers des eine ausländische Macht zwecks Hin- H. dann u.a. das folgende geantwortet: gann damit zu behaupten: „Wenn die Roten Kreuzes: richtung auslieferte.“ „Es ist schon befremdlich: Wenn Arno Besatzung endet, wird der Terrorismus 6. Mai 1948: Typhus-Bakterien ins Darauf kann ich nur antworten: Oj, Lustiger, wenn Herr Hamburger, Dr. verschwinden, es wird keinen Terro- Wasser gegeben, 10 Kilometer nördlich weh mir! Was für ein Dr. ist dieser Schuster oder Eli Wiesel vom Recht der rismus im Nahen Osten und nirgends von Haifa. Hagana vom Roten Kreuz schriftstellernde Kollege? Wie kommt Juden und Israelis auf ein friedliches mehr sonst auf der Welt geben.“ Wie Leben sprechen, wirft ihnen keiner vor, wenig wahr sind seine Worte! was Sie mir da unten vorwerfen. Sobald Israel sich aus dem Westjord- S obald Israel sich aus dem Westjordanland Nein, sehr geehrte Frau H.! anland zurückzieht, würden Abbas & Ich habe nicht vor, irgendwelche Genossen aller Wahrscheinlichkeit zurückzieht, würden Abbas & Genossen Nichtjuden zu vernichten – obwohl nach innerhalb kürzester Zeit weg- Nichtjuden, vor allem Deutsche, meine geputscht werden, und die Westbank aller Wahrscheinlichkeit nach innerhalb gesamte Familie vernichtet haben. würde sich in Windeseile in genau solch Nein, mein Bestreben ist es viel- eine Hochburg des Terrors verwandeln kürzester Zeit weggeputscht werden, und die mehr, dafür zu sorgen, dass nie mehr wie der Südlibanon nach Israels Rück- irgendwo auf der Welt Juden ermordet zug 2000 oder der Gasa-Streifen nach Westbank würde sich in Windeseile in genau werden! Dass an die ermordeten Juden Israels Abzug 2005 – ganz zu schwei- ehrenvoll erinnert wird! Das hat mit gen von den „friedlichen Nachbarlän- solch eine Hochburg des Terrors verwandeln Ihren Unterstellungen absolut nichts dern“ Syrien und Irak, in denen der zu tun. ... Terror wütet und die eigene Bevölke- wie der Südlibanon nach Israels Rückzug Nein, nicht ich will Nichtjuden ver- rung entweder in die Flucht geschlagen nichten, die ‚deutschen Schriftsteller oder aber ermordet wird. 2000 oder der Gasa-Streifen nach Israels bei ver.di’ wollen mich mundtot ma- Aber hören wir doch weiter Abbas zu: chen. „Unsere Hände sind im Wunsch nach Abzug 2005. Ich hatte nur 2 bescheidene Hinwei- Frieden ausgestreckt, wir haben den se, „Brunnenvergiftung“ und Hände- politischen Willen, Frieden zu errei- klatschen dazu von Mr. Schulz bei der chen.“ Komisch nur, warum er im Na- verdächtigt. Auch in Akko: 55 brit. Sol- er dazu, diese Diagnose, „pathologisch EU und die Al-Quds-Demo. men seiner „Palästinenser“ sämtliche daten erkrankt. anmutende Islamophobie“ zu stellen? Schauen Sie mal, was daraus gewor- Friedensvorschläge ablehnt, bzw. jegli- 27. Mai: Typhus und Dysenterie Bak- Hoffentlich ist er „nur“ ein Germanist den ist! Nicht durch mich, sondern che Friedensverhandlungen mit Israel trien: Versuch in Gaza wurde rechtzei- und kein praktizierender Arzt, denn durch die ‚netten Kollegen’, die mich grundsätzlich verweigert. tig entdeckt. Die zwei jüdischen Män- solche Ferndiagnosen sind, meine ich, jetzt absägen wollen. Das Beste seiner Rede kommt jedoch ner, die es versuchten, wurden von den verboten, vor allem solche von Perso- Toll!“ noch: „Bestimmte Rabbis in Israel Ägyptern hingerichtet.“ nen, denen man nie von Angesicht zu Ein oder zwei Tage später meldete haben ihre Regierung sehr klar dazu Quelle ist das Archiv des Roten Angesicht gegenübergesessen hat. Ganz sich noch einmal die Vorsitzende des aufgefordert, dass unser Wasser ver- Kreuzes, zitiert von Ilan Pappe, einem abgesehen von seinen weiteren Worten. deutschen Schriftstellerverbands, Lan- giftet werden sollte, um Palästinenser ehemaligen Dozenten an der Hebräi- Auch hier projiziert der Verfasser dieser desverband Berlin, zu Wort: „Ich be- zu töten.“ Tosender Beifall, lobende schen Universität in Jerusalem, der we- Hass-Mail höchstwahrscheinlich seine fürworte nicht, Miriam Magall aus der Worte unter anderem vom Präsidenten gen seiner unwahren Behauptungen in eigenen Gefühle auf mich. Mailingliste ausschließen zu wollen. des Europäischen Parlaments, Martin Bezug auf israelische Geschichte uneh- Es kommt aber noch besser. Noch ei- Die Dinge liegen hier anders, als beim Schulz, der sich via Twitter auch noch renhaft aus dem Amt entlassen wurde. nen Tag später muss ich das folgende, Kollegen L. Hier geht es um tiefsitzen- für Abbas’ „inspirierende Ansprache“ Seither verbreitet er seine denkwürdi- diesmal aus der Feder einer Kollegin, de Ängste, die allerdings mittlerweile bedankte. Martin Schulz ist bekannt- gen Thesen und Meinungen über Israel lesen: „Liebe (sic!) Frau Magall, es tut so überzogen und verzerrt dargestellt lich nicht irgendwer, in einigen Kreisen von England aus, die unter anderen in mir weh, wie sehr Sie verletzt worden werden, dass man nicht mehr folgen wird er gar als nächster deutscher Bun- Deutschland von gewissen Kreisen mit sind, aber auch wie sehr sie besessen kann.“ despräsident gehandelt. Sein Verhalten, größter Begeisterung unkritisch aufge- davon sind, andere zu verletzen. Es Komisch, kann ich da nur wiederho- ganz zu schweigen von dem der übrigen nommen werden, siehe oben. scheint in Ihrer Gedankenwelt nur eine len: Wenn der Vorsitzende des Zentral- Abgeordneten des Europäischen Parla- Schon davor hatte ich auf meine Richtung zu geben: Nicht-Juden verbal rats der Juden in Deutschland oder aber ments, von denen niemand Einspruch Mahnung, die Mär von der Brunnen- zu vernichten. Ihnen ist nicht zu helfen, der eine oder andere Vorsitzende einer erhob oder aus Protest den Saal verließ, vergiftung doch bitte zu verurteilen, ei- denke ich, allerdings glaube ich, dass jüdischen Gemeinde sich besorgt über sorgte, zumindest in jüdischen und is- nige mehr als eigenartige Kommentare ein guter Therapeut Sie von Ihren Ver- den anscheinend immer stärker sicht- raelischen und ihnen nahestehenden erhalten. Einer davon postete: „So bei folgungsängsten heilen könnte. Aber baren Antisemitismus äußert, bezeich- Kreisen für ziemliche Empörung und Frau Magall heute: Wer als Deutscher dazu wären Sie vermutlich niemals be- net man ihre Ängste nicht als „überzo- Distanzierung. die aktuelle Politik Israels kritisiert, reit, weil das ja schon wieder ein Angriff gen und verzerrt“. Das ist, dachte ich mir, eine gute Ge- ist Antisemit. Blöd, wenn dann in der auf Sie als Jüdin wäre, nicht wahr. Wie Anscheinend dürfen nur Antisemiten legenheit, auch die bei ver.di vereinig- wirklichen Welt israelische Bürger in soll man da noch freundlich grüßen bei endlich „wieder einmal sagen, was man ten deutschen Schriftsteller zu einer Israel plötzlich eine Neonazi-Gang solchem Hass, der allen, die nicht Ihrer denkt!“ Angesichts dieser Erfahrungen eindeutigen Stellungnahme aufzufor- bilden und antisemitische Straftaten Meinung sind, entgegengeschleudert mit den bei ver.di vereinten deutschen dern, wenn schon diese Äußerungen begehen. ... Im Fall von Frau Magall ist wird.“ Schriftstellern beschloss ich, diesen des in Deutschland als „gemäßigt“ gel- ja auch nicht zu erwarten, dass sie ihre Das war die Antwort dieser Kollegin ungastlichen Verein zu verlassen. Ich tenden Herrn Abbas von den deutschen Todeswünsche für unerwünschte Kol- auf meine Mail an alle bei ver.di orga- rief den Geschäftsführer an. Er war bes- Medien praktisch überhaupt nicht zur legen in die Tat umsetzt und sich einer nisierten deutschen Schriftsteller: „Mir tens informiert und gab mir am Ende Kenntnis genommen wurden. terroristischen Gruppe anschließt.“ Islamophobie vorzuwerfen, ist schon mit: „Schön, dass Sie gehen!“ Zunächst stimmte mir die Vorsit- Das hat mit meiner Zurückweisung ein mehr als starkes Stück. Ich hatte Nun, ich bin gegangen. G-tt sei Dank! 16 DEUTSCHLAND № 9 (25) September 2016 JÜDISCHE RUNDSCHAU Rufmord als Flucht vor der inhaltlichen Auseinandersetzung Ich habe einen Fehler gemacht: Ich habe auf der „Achse” veröffentlicht Von Marisa Kurz

Mir ist etwas passiert, mit dem ich nicht gerechnet habe. Vor ein paar Ta- gen habe ich einen Homöopathie-kriti- schen Artikel auf der „Achse des Guten“ veröffentlicht. Homöopathie-Kritik ist ein Thema, das mir schon seit langem sehr am Herzen liegt. Umso mehr hat es mich gefreut, dass eine neue Platt- form, die kritisch über Homöopathie aufklärt, und deren Arbeit ich seit eini- ger Zeit mit großer Begeisterung verfol- ge, meinen Artikel geteilt hat. Ich habe damit gerechnet, dass mein Artikel einen Shitstorm auslöst. Ho- möopathie ist ein sehr sensibles The- ma, und ich habe in meiner Vorstellung Heilpraktiker gesehen, die vor meiner Türe stehen und mich mit Globuli be- werfen. Ich war auf alles vorbereitet. Obwohl ich schon vor zwei Jahren an- gefangen habe, diesen Artikel zu sch- reiben, bin ich zur Vorbereitung noch einmal alle gängigen Argumente von Homöopathie-Befürwortern durch- gegangen, damit ich schlagkräftig auf ihre Reaktionen antworten kann. Ich war bewaffnet mit Argumenten, und ich war bereit für den Angriff. Aber nie- mand hat mich beworfen, und ich habe keine einzige Hassmail bekommen. Ich wünschte, jemand hätte mich inhalt-

lich angegriffen. Wilson Ortiz Stattdessen ist etwas geschehen, das ungerechter ist als jede Hassmail. Eine Homöopathie-kritische Plattform,Marisa Kurz: Biochemikerin, Philosophin und Doktorandin aus München. die meinen Artikel kurzzeitig auf ih- rer Facebook-Seite gepostet hatte, hat schen Zeitung veröffentlicht habe. Die sondern anhand des Mediums zu ent- mand hätte mich inhaltlich angegrif- den Link wieder gelöscht. In meinem politische Linie dieser Medien scheint scheiden, ob man sie überhaupt zur fen. Ich wünschte, jemand hätte Argu- Postfach fand ich die Erklärung, man sie nicht gestört zu haben. Weil ich die Kenntnis nimmt. Die Achse (und viele mente gegen die Argumente in meinem wolle politisch keine Stellung bezie- Arbeit der Plattform sehr geschätzt andere Blogs oder Medien), so meinen Artikel gehabt. Doch leider ging es zu hen. Es gebe Ärger, dass der Artikel auf habe, hatte ich mich vor einiger Zeit um viele, sei zu „rechts“, als dass man ihren keinem Zeitpunkt um den Inhalt mei- dem „Blog vom Broder“ erschienen sei. eine ehrenamtliche Mitarbeit bewor- Beiträgen Beachtung schenken dürfte. nes Artikels. Es stand für die Homöo- Scheinbar hatten die Homöopathie- ben und dabei auch meinen Lebenslauf Solche „Kritiker“ lesen die Achse gar pathie-Kritiker außer Frage, dass er Kritiker wegen der Platzierung meines geschickt – dass ich eher eine gebildete nicht, „wissen“ aber vom Hörensagen gut ist. Und wie Nutzer in einer Skep- Artikels üble Kommentare bei Twitter Akademikerin und keine dubiose Ge- ganz genau, dass dort Fremdenfeindli- tiker-Gruppe auf Facebook zugegeben kassiert. In einer mühseligen Diskus- stalt aus der „rechten Ecke“ bin, war ches oder Rassistisches veröffentlicht haben, hätten sie „den Artikel einfach sion mit einem selbsternannten „Un- den Betreibern bekannt. wird. Und als aufrechte Kämpfer gegen lieber in der FAZ gelesen“. Beim In- terstützer“ der Plattform auf Facebook halt des Artikels seien wir uns einig. stellte sich heraus: Man hatte mich geg- Nicht aber darüber, ob es vertretbar ist, oogelt, und dabei war aufgefallen, dass  Ich wünschte, jemand hätte mich bei der Achse zu veröffentlichen. Die mein erster Artikel auf der „Achse des Homöopathie-kritische Plattform hat Guten“ auf einem Blog namens „Islam- inhaltlich angegriffen. Stattdessen ist letztendlich dem Druck von solchen nixgut“ geteilt worden war. Nutzern nachgegeben. etwas geschehen, das ungerechter Ich habe keine Angst davor, dass Was mich an diesem Tag zum vor meiner Tür ein Flüchtling steht, Weinen gebracht hat als jede Hassmail ist. der mich überfällt. Ich habe Angst vor Der Unterstützer der Homöopathie- EUCH, vor euch Deutschen! Vor euch kritischen Plattform unterstellte mir, ich Ich weiß, dass der besagte Artikel „rechte“ Gesinnung müssen sie natür- Menschen, die ihr wie Bilderbuch-Fa- sei Autorin von „Islamnixgut“. Das weder sehr gut ist und genau der Linie der lich vernichten, was vermeintlich „vom schisten einteilt in zwei Kategorien von mit mir noch der Achse abgesprochene Homöopathie-kritischen Plattformrechten Rand“ kommt. Dass ihre dabei Menschen: in moralisch und intellek- Posting war wohl der unmittelbare Aus- entspricht. Und genau DAS, genau verwendete Taktik, jede Äußerung, die tuell überlegene (= Euch) und in min- löser, den Link auf meinen Beitrag wieder DAS ist, was mich an diesem Tag zum ihnen nicht passt bzw. von der sie nur derwertige Menschen (= alle, die nicht von der Facebookseite zu löschen. Als ich Weinen gebracht hat. Ich habe einen vermuten, dass sie nicht in ihr Weltbild Eurer Meinung sind). Die Positionen klarstellte, dass ich mit dem Blog nichts Artikel geschrieben, in dem es um HO- passen könnte, als „faschistisch“ zu dis- von Andersdenkenden muss und darf zu tun habe, wollte man mir zunächst MÖOPATHIEKRITIK geht und die- kreditieren, direkt aus dem Stalinismus man maximal diffamieren. Die teilt ihr nicht glauben(!). Und auch als offensicht- ser Artikel darf auf einer Plattform, die kommt, spielt für diese geschichtsver- ein in schwarz und weiß – ohne Euch lich wurde, dass mein Text auf diesem sich mit HOMÖOPATHIEKRITIK gessenen Möchtegernmoralisten keine mit Inhalten auseinanderzusetzen. Ich Blog nur verlinkt war, blieben der Unter- beschäftigt, nicht veröffentlicht wer- Rolle. bitte Euch aus meinem tiefsten Herzen stützer und seine Kollegen dabei: Ich hät- den, weil der Artikel – so gut er auch Dass solche Menschen, die sich für um Frieden. Ich bitte euch, uns endlich te die Pflicht gehabt zu verhindern, dass sein mag – einfach auf der falschen eine moralische Elite halten, de facto sachlich über Inhalte reden zu lassen, mein Artikel auf dieser Seite geteilt wird Plattform veröffentlicht wurde. Wäre festlegen können, was gut und schlecht anstatt unerwünschte Meinungen zu – wie auch immer das (innerhalb einer mein Artikel wahrer oder besser ge- ist – genau DAS ist das Problem, das zensieren. Mehr als das will ich nicht. Woche!) gehen soll. wesen, wenn er in einer der genannten wir gerade in Deutschland haben. Sie Bitte hört auf mit eurem unbändigen Dass der Link bei ihnen gelöscht Zeitungen veröffentlich gewesen wäre? unterteilen Medien in solche, die man Hass und bitte hört endlich auf, andere blieb, rechtfertigten sie so: Mein ers- Solche „Kritiker“ lesen die Achse gar lesen darf, und solche, von denen man Menschen so unmenschlich zu behan- ter Artikel auf der Achse sei inhaltlich nicht, „wissen“ aber vom Hörensagen sich distanzieren muss, ohne sie je rezi- deln. nicht nachvollziehbar. Die „Achse des Dass eine Facebookseite einen Bei- piert zu haben. Differenzierte Analysen Guten“ sei inakzeptabel. Es sei zu poli- trag nicht (mehr) teilen will, mag als kann man sich sparen, wenn man die Marisa Kurz, geboren 1988, hat zwar im tisch, meinen Homöopathie-Beitrag zu Lappalie erscheinen. Aber es steckt Anderen zu „Populisten“ erklärt. Inhal- Doppelstudium Biochemie und Philoso- teilen. Als diese Menschen mich geg- mehr dahinter. Im öffentlichen Diskurs te spielen so gut wie keine Rolle. Dafür phie studiert und abgeschlossen, will aber oogelt haben, haben sie sicher gesehen, in Deutschland hat sich die Unsitte hätte es keine schönere Metapher ge- Ärztin werden. Deshalb studiert sie seit dass ich schon Artikel bei Spiegel On- eingeschlichen, Inhalte nicht mehr zu ben können als das, was mit meinem 2014 Humanmedizin in München und line, Zeit Online und in der Süddeut- rezipieren und kritisch zu bewerten, Artikel passiert ist. Ich wünschte, je- promoviert in Medizinethik. № 9 (25) September 2016 JÜDISCHE RUNDSCHAU DEUTSCHLAND 17 Wer solche Eltern hat, braucht keine Feinde mehr Gäste aus Afghanistan - zwar keine Afghanen, dafür ärgern sie die Katze Von Thilo Thielke

Was es so alles gibt! Ich hatte mich ja ge- wundert, dass die meisten „Flüchtlinge“, denen der deutsche Steuerzahler Fahrkur- se spendiert, damit sie nicht irgendwelche Omas totfahren, die zu langsam über die

Straße gehen, offenbar aus dem Iran kom- LOUISA GOULIAMAKI / AFP men. Zumindest im hohen Norden; so stand es in den „Schleswiger Nachrichten“ („Gott sei Dank ist noch nichts passiert“). Iran? Nun würde ich dort nicht gerade leben wollen. Schwule werden öffentlich gehängt. Juden würde man am liebsten ins Meer treiben. Die Frau trägt Tschador. Aber ich bin ja auch kein Mohammedaner, und dass es zum Selbstbestimmungsrecht der Moslems gehört, sich zu verschleiern, lerne ich erst jetzt von Flüchtlingslotsen und Feministinnen. Nur vermummt fühlen sich die Frömm- ler nämlich „sicher und beschützt“. Damit müssen wir uns wohl abfinden in unserem neuen Wunderland, in dem derzeit alles neu verhandelt wird und eine grüne Kir- chenmaus namens Katrin Göring-Eckardt Dieser 36-jährige Vater ist mit seiner Tochter auf dem Weg nach Deutschland. von Mama Merkel „Menschen geschenkt“ bekommt. vorbei, um Präsident Hassan Rohani nach holen, um sie vor den Bomben zu retten. Später erfährt man: Die Afghanen Prinzipiell hält die Bundesregierung den Deutschland einzuladen. Sie bekommen eine Duldung und dürfen sind gar keine Afghanen Iran und seine Regierung aber für satisfak- Ich bin ja der Ansicht, dass es häufiger arbeiten und ihren Lebensunterhalt selber Leicht ist das nicht immer mit den Afgha- tionsfähig. Antisemitismus ist kein großes einfache Antworten gibt, als man denkt. verdienen, und wenn es in ihrem eigenen nen: „Unsere Gäste aus Afghanistan sind Thema, und Außenminister Steinmeier Zum Beispiel: Kriegsflüchtlinge aus Sy- Land wieder friedlich ist, gehen sie zurück laut und lebhaft, sie streiten, weinen, me- schaut gerne in Teheran auf einen Tee rien könnte man kontrolliert ins Land und bauen es auf – wie damals die Bosni- ckern. Sie telefonieren laut und aufgeregt aken. mit ihren Angehörigen in allen Räumen, Deutsche Politiker lassen sich am Na- ärgern die genügsame Katze, lassen viel senring durch die Manege führen rumstehen.“ Erst sehr viel später erfährt Unterstützen Sie Deutschlands einzige Und so wenig man die Opfer des Jugos- man: Die Afghanen sind gar keine Afgha- lawienkriegs damals über die Alpen mar- nen. „Maihan und Shabnam stammen aus schieren ließ, um nachher neugierig zu gu- dem Iran, einem – laut Deutschland – si- unabhängige jüdische Zeitung! cken, wer so alles den Treck überlebt hat, cheren Herkunftsland. Jahrelang haben würde ich sie auch nicht im Merkelmeer sie jedoch in Afghanistan gelebt.“ Und sie ersaufen lassen, sondern ins Flugzeug set- haben sich auf der Flucht nicht bloß ver- Abonnieren Sie und schalten Sie Wer- zen und heile herbringen. laufen, sondern sie wollten gar nicht heim. bung in der JÜDISCHEN RUNDSCHAU! D er „Spiegel“ fragt nicht nach, wer dem Kind die Strapaze angetan hat. Liebe Leserinnen und Leser, Wenn es hingegen ein paar unbesetzte Es ist nämlich nicht so, dass die Mul- Stellen gibt, zum Beispiel im süddeutschen lahs sie in den Kerker geworfen hätten, Maschinenbau, würde ich nachschauen, wenn sie nach Hause zurückgekehrt wer so auf Erden das nötige Wissen, Kapi- wären. Es ist so: „Maihan will ein bes- gegründet im Sommer 2014, als Reaktion auf die an- tal und Benehmen hat, und ihn einladen. seres Leben für seine Vierjährige“ und Vermutlich würde ich die Facharbeiter hat, wie es etwas vorwurfsvoll heißt, in tisemitischen Demonstrationen in ganz Deutschland, nicht unter algerischen oder marokka- Deutschland „mit viel mehr Unterstüt- setzt sich die JÜDISCHE RUNDSCHAU heute für jüdi- nischen Jungmännern suchen, sondern zung gerechnet, mit einer kleinen Woh- zunächst in Spanien und Italien, wo die nung vielleicht“ und nicht bloß einem sche Belange und für Israel ein wie kein zweites Medi- Jugendarbeitslosigkeit hoch sein soll, und mickrigen Zimmer in einer Berliner Alt- um im deutschsprachigen Raum. danach in Indien oder Vietnam vielleicht. bauwohnung („kernsaniert, Holzdielen Die Welt ist groß und wird, man vergisst und Stuck“). das manchmal, auch von sehr vielen Men- Das ist nachvollziehbar und sein gutes schen bevölkert, die nicht fünfmal am Tag Recht, aber kein Fluchtgrund und schon Die positiven Rückmeldungen aus Deutschland, Ös- ihren Hintern in die Höh‘ strecken, um ei- gar kein Grund, sein Kind auf einem terreich, der Schweiz und Israel bestärken uns in unse- nem zweifelhaften Gott zu huldigen. klapprigen Boot in Lebensgefahr zu brin- Asyl würde ich zum Beispiel jenen ge- gen und nachher illegal über die Grenzen rer Arbeit. währen, die in Erdogans Folterkellern fremder Länder zu schleppen. Nur mit schmoren oder von den Mullahs aufge- Glück hat die Kleine den Irrsinn überlebt. knüpft werden sollen, und es berührt mich Einmal fiel sie ins Wasser und konnte erst Dennoch brauchen wir auch Ihre Hilfe: Abonnieren unangenehm, daß sich deutsche Politiker in letzter Sekunde gerettet werden. Sie die JÜDISCHE RUNDSCHAU, erzählen Sie in der von diesen Knallchargen am Nasenring „Zoyas junge Augen haben zu viel ge- durch die Manege führen lassen und dabei sehen für ihre vier Jahre“, sülzt die Qua- Familie, im Freundes- und Bekanntenkreis von unse- auch noch wohlig glucksen. litätspresse, ohne einmal zu fragen, wer rer noch jungen Zeitung! Verschenken Sie Abos und Dass junge Perser zwar keine gültigen dem Mädchen den Tort angetan hat. „Sie Visa, aber genug Geld für schnelle Autos haben gesehen, wie eine Mutter und ihr reichen unsere Zeitung weiter! haben, habe ich jetzt gelernt. Was sie aber Kind bei der Überfahrt nach Griechen- auf unseren Landstraßen zu suchen haben, land ertrinken. Sie haben gesehen, wie Denn eine Zeitung wird erst durch ihre Abonnenten erschließt sich mir nicht. In einem Artikel Schleuser den Geflüchteten Gewehre auf „Spiegel Online“ las ich kürzlich den in die Kniekehlen stießen, weil sie nicht stark. Auch Deutschland, Österreich und die Schweiz Bericht einer jungen Frau, die für drei ins überfüllte Boot steigen wollten ... ich Wochen „Gäste aus Afghanistan“ aufge- habe das Wasser mit den Händen aus brauchen eine selbstbewusste jüdische Stimme! nommen hatte: „Menschen, die vor dem dem Boot geschippt,‘ sagt Zoya stolz. Krieg geflohen sind“, „drei traumatisierte ,Ich lebe,‘ sagt Shabnam und schluckt.“ Ihre JÜDISCHE RUNDSCHAU-Redaktion Menschen“, eine „dreiköpfige Familie aus Wer solche Eltern hat, braucht keine Afghanistan“. Feinde mehr. 18 DEUTSCHLAND № 9 (25) September 2016 JÜDISCHE RUNDSCHAU Der männliche Sanitäter und die in Ohnmacht gefallene Burka-Trägerin Die Burka zieht einen ganzen Rattenschwanz an weiteren Problemen hinter sich her Von Roger Letsch wohnt waren, ihre Bürgerrechte selbst- auch in Deutschland als Normalität zu- bewusst in Anspruch zu nehmen. Dass lassen, waren hundert Jahre Frauenbe- Wenn man eine Offizierslaufbahn in die Verschleierung aber nicht nur das wegung für die Katz. der Bundeswehr anstrebt, erweist sich eigene Bewusstsein beeinflusst, sondern Das Argument der geringen Zahl eine Ganzkörpertätowierung als eher auch die gesellschaftliche Wahrneh- könnte übrigens binnen kürzester Zeit hinderlich. Falls es Ihr Traum ist, im mung durch andere, können sie oft nicht obsolet sein. Dann nämlich, wenn in Kundenbereich einer Bank zu arbeiten, begreifen. Es gibt aber keine Emanzipa- zwei oder drei Jahren verstärkt das The- sind zwei Pfund Chromstahl im Gesicht tion unter dem Schleier. ma Familiennachzug aufs Tapet kommt nicht hilfreich und sollten Sie anstreben, Die deutsche Neigung, es allen ir- – und genau das wird passieren! Wir die Nachrichten der Tagesschau vom gendwie Recht zu machen, führt dazu, werden dann auch zunehmend vor an- Teleprompter abzulesen, wäre es eine in solchen Noch-Einzelfällen klein bei- deren, verwandten Problemen stehen, schlechte Idee, Ihre Zunge vorher chi- zugeben und die Sache irgendwie nach die wir derzeit als Einzelfälle ansehen rurgisch in die einer Schlange verwan- dem Motto „der Kunde ist König“ zu und von Fall zu Fall sehr unterschiedlich deln zu lassen. regeln. Was aber, wenn die Einzelfälle behandeln: Polygamie und Kinderehe. Es gibt „Diskriminierungen“ in unse- sich häufen? Ich fürchte, dann würde der Im Grunde also doch keine so schlechte rem Land, die „Common Sense“ sind. deutsche Staat die entsprechende Infra- Idee, sich vorher mit dem Gesamtprob- Einzelfälle, Nichtigkeiten, die selbst von Frau im Niqab eine Bankfiliale aufsucht struktur schaffen, Banken „Frauen-Räu- lem auseinanderzusetzen – auch wenn den Betroffenen nicht als solche wahr- und gerade keine Mitarbeiterin Dienst me“ vorschreiben, spezielle Wahllokale „vorher“ im Licht der politischen Fehl- genommen werden, weil diese kaum auf hat, der gegenüber sich die Verhüllte in nur für Frauen einrichten und spezielle entscheidungen der letzten Jahre ein zy- die Idee kämen, sich äußerlich einerseits einem „sicheren Raum“ identifizieren Teams aus Rettungssanitäterinnen bil- nischer Euphemismus ist. stark zu verändern und dann anderer- könnte. Oder wenn ein Kindergarten den, die medizinische Notfälle mit voll- Die Gründe, aus denen Menschen aus seits die Akzeptanz der Mitmenschen darauf besteht, die Gesichter der Mütter verschleierten Frauen abwickeln. Das arabischen Ländern sich dazu entschlie- bei der Berufswahl einzufordern. Es gibt sehen zu können, die irgendwelche Kin- kann man machen und es gibt bereits ei- ßen, nach Europa zu kommen, vertragen sie aber auch dort manchmal: Fälle von der aus dem Kindergarten abholen wol- nen bewährten Begriff dafür, wenn wir sich nicht mit den Gründen, aus denen auf die Spitze getriebenem Individualis- len. Als ebenso kompliziert erweist es ihn bisher auch aus anderen Zusammen- Frauen eine Burka oder den Niqab anle- mus dem ein Widerspruch innewohnt: sich, wenn voll verschleierte Frauen vor hängen kennen: Segregation. gen. Ich bin also eindeutig für ein wohl- „Ich bin anders als du – behandle mich Gericht auftreten müssen oder durch Regeln wir das noch kleine Problem begründetes Verbot der Vollverschleie- aber gefälligst nicht, als sei dir fremd, Flughafenkontrollen gelangen wollen. mit der Vollverschleierung nicht recht- rung im öffentlichen Raum. Ich glaube was ich tue oder wie ich aussehe“. Die Befürworter der Burka berufen zeitig, kommt zum allgemeinen Gen- jedoch auch, dass sich das Verbot nicht Wie verhält sich die Sache aber mit sich entweder auf die Religionsfreiheit derwahnsinn mit seinem bunten Strauß gut sanktionieren lassen wird. Wer sich der Vollverschleierung, die von vielen oder die Freiwilligkeit. Diese Argumen- an Geschlechtern sexueller, biologischer aber voll verschleiert, kann umgekehrt deutschen Bürgern als ähnlich verstö- te sind schwach, denn man kann die und gesellschaftlicher Art noch die re- eben leider nicht auf gesellschaftliche rend empfunden wird und warum wird Burka auch als Symbol für das Patriar- ligiöse Komponente hinzu. In dem Fall Teilhabe und Gleichberechtigung beste- aktuell versucht, eine Entscheidung chat und Gruppenindoktrination sehen. müsste sich unsere Gesellschaft irgend- hen. Wenn Sie es also vorziehen, in Burka über das Verbot von Burka und Niqab Beides sind Aspekte, die dem durch- wann wirklich fragen, ob es in diesem auf die Straße zu gehen, erwarten Sie bit- herbeizuführen, während niemand schnittlich individualistischen und fe- Potpourri aus Interpretationen über- te nicht, jeden Beruf ausüben zu können auch nur auf die Idee kommt zu verbie- ministischen Europäer sauer aufstoßen. haupt noch jemandem auffällt, wenn oder in einer Bank bedient zu werden. ten, sich haufenweise Schrauben, Nägel Ringt man sich dennoch dazu durch, die Frauen diskriminiert werden. Der Fe- Und sollten Sie irgendwo ohnmächtig und Bolzen ins Gesicht zu tackern? Ist Burka nicht abzulehnen, tun das viele minismus verzettelt sich bereits heute in zusammenbrechen, denken Sie daran, es nicht so, dass in Deutschland jeder nicht aus Toleranz, sondern aus Gleich- Themen wie Binnen-I und Unterstrich- dass Sie immer noch unter ihrer „Schau- rumlaufen kann, wie er oder sie es will? gültigkeit. Man sieht ja sowieso keine Wortkonstruktionen. Der „freiwillige“ mich-nicht-an-Rüstung“ versteckt sind Gibt es nicht die freie Wahl, sich in ei- Frauen so rumlaufen, also kann man es Verzicht auf gesellschaftliche Teilhabe und Passanten sowie Rettungssanitäter ner Castingshow zum Affen zu machen ja gestatten. durch Vermummung bräche ihm das manchmal auch nur Männer sind, die oder sich hinter einem Gesichtsschleier Das Argument der Freiwilligkeit ist Genick! keinen Ärger wegen sexueller oder reli- vor der Welt zu verstecken? Dem Mega- auch aus einem anderen Grund kein In dem unsäglichen Interview, dass giöser Belästigung haben wollen. Piercing haftet meiner Meinung nach starkes. Man muss dann nämlich fragen, Dr. Claudia Schmölders dem Deutsch- Und machen wir uns nichts vor, lie- ein genauso berechtigtes „Ja, aber“ an, ob man auf sein individuelles Recht auf landfunk gab, blitzte an einer Stelle be Leser: Würden deutsche Autofahrer wie der Burka oder dem Niqab. gesellschaftliche Teilhabe und Gleich- ein Argument auf, dessen Funke leider in Massen fröhlich lächelnd mit Guy- berechtigung einfach so verzichten schnell verglühte, weil Frau Schmölders Fawkes-Masken durch Radarkontrollen Vollverschleierung, mal ohne rasen, gäbe es in Deutschland binnen Tintenfischbezug weniger Wochen ein entsprechendes Eines merkt man unseren Politikern W äre zum Beispiel ein Vertrag, den Sklave Verbot. Selbstverständlich wohlbegrün- an: Sie befassen sich nur sehr ungern det, angstfrei und unter Wahrung aller mit dem Thema. Immer wieder scheint und Sklavenhalter freiwillig über den demokratischen Rechte, die dieses Land in der Argumentation der Hauptgrund bietet. Sie könnten dann auch immer durch, nämlich, dass man dieses Feld Verzicht auf alle Freiheiten schließen noch mit einer solchen Maske bis zum des öffentlichen Diskurses nicht kampf- Eingang einer Bank gehen.* Vor dem Be- los der AfD überlassen will. Ich kenne würden, hierzulande rechtlich bindend? treten sollten Sie sie jedoch abnehmen, die Umfragewerte nicht, nehme aber um Missverständnissen vorzubeugen. an, dass die überragende Mehrheit der Definitiv nicht! Das gälte übrigens auch für eine Bank in Deutschen nichts dagegen hätte, wenn Riad – obwohl die Mitarbeiter dort an die Vollverschleierung per Gesetz ver- kann. Wäre zum Beispiel ein Vertrag, ihn nicht für bemerkenswert hielt. Es Vermummungen aller Art gewöhnt sind. boten würde. Wer in der Debatte also den Sklave und Sklavenhalter freiwillig ging um die Frage, ob auch „alleinste- Und an alle Apologeten des Relativis- in dieses Horn bläst, weiß sich auf der über einen solchen Verzicht schließen hende“ Frauen Burka tragen, oder ob mus, die glauben, ein solches Verbot sei sicheren Seite der Mehrheit. würden, hierzulande rechtlich bindend? dies immer nur bei „Paaren“ der Fall moralisch nicht durchsetzbar, weil wir Dabei ist das Thema bisher praktisch Definitiv nicht! sei. Dies bringt uns nämlich auf die doch eine ach so tolerante Gesellschaft ja wirklich kaum relevant! Burkas be- Wer sich voll verschleiert, verzichtet Frage, wie das Leben unter Burka und seien: Wenn es in Ländern wie Iran oder kommen wir hier nur zu Gesicht, wenn aber „freiwillig“ auf einige verbriefte Niqab in den Ländern funktioniert, wo Saudi-Arabien möglich ist, Frauen be- ein saudischer Prinz zum Shopping mit Rechte. Zum Beispiel ist es fast aus- sie verpflichtend vorgeschrieben sind. stimmte Kleidungsstücke vorzuschrei- seinen Frauen nach Baden-Baden ein- geschlossen wählen zu gehen, von der Muss man in Saudi-Arabien etwa nicht ben – selbst dann, wenn sich die Frau- fliegt oder den Service deutscher Kli- Wahrnehmung des passiven Wahlrechts „Gesicht zeigen“, um sich zu identifizie- en nur als Gäste dort aufhalten – dann niken in gesundheitlichen Fragen in ganz zu schweigen. Wir hören ver- ren? Doch, muss man. „Mann“ muss. muss es auch möglich sein, das Tragen Anspruch nimmt. Man sagt sich dann gleichsweise wenig von diesen Fällen, Deshalb ist „Mann“ auch immer dabei, bestimmter Kleidungsstücke in unseren „Es sind unsere Gäste“, freut sich über weil solche Frauen gesellschaftlich ge- wenn „Frau“ etwas zu erledigen hat. Ländern zu verbieten, ohne dass dies den Extra-Umsatz und ist froh, wenn der nauso unsichtbar werden oder bleiben, „Mann“ ist entweder Vater, Onkel, Bru- einen Verlust an Demokratie bedeuten exotische Fledermaus-Schwarm wieder wie es ihre Verschleierung von ihnen der, Ehemann oder später Sohn. Das würde. Wir ertragen das eine, also kön- die private „Gulfstream“ bestiegen hat. verlangt. Wir hören aber von den ande- Konzept der „alleinstehenden Frau“ ist nen wir auch das andere verlangen. Die Anzahl der vollverschleierten Frau- ren Fällen, wenn die Niqab-Trägerinnen in streng religiösen islamischen Ländern en, die in Deutschland wirklich leben, trotz ihrer Verschleierung auf gesell- und Familien unbekannt – für alle Aus- * Wer meint, dass dies ein unpassender dürfte derzeit kaum die 2.000 überstei- schaftlicher Teilhabe bestehen – etwa in nahmefälle, in denen eine Frau auf den Vergleich im Zusammenhang mit dem gen. Trotz der geringen Zahl schaffen es der Bank, im Kindergarten, in Behörden öffentlichen Raum trifft, gibt es die -ent Burka-Verbot sei, möge sich bitte überle- aber immer wieder Vorfälle in die Nach- und Schulen oder Kliniken. Interessan- sprechende Segregations-Infrastruktur. gen, ob die allgegenwärtigen Vergleiche mit richten, weil diese Vollverschleierung terweise handelt es sich bei den lautstar- Eine Frau in Riad muss ihren Schleier dem Nikolaus, Karneval, Hockey-Masken mit dem praktischen Leben in Deutsch- ken Fällen oft um Konvertitinnen, die nicht heben, weil der Mann neben ihr oder einer Ordenstracht wirklich passen- land kollidiert. Wenn zum Beispiel eine es von früher wie selbstverständlich ge- für sie sprechen kann. Wenn wir solches der sind. № 9 (25) September 2016 JÜDISCHE RUNDSCHAU DEUTSCHLAND 19 Theresa Kalmer und die Hinrichtungen im Iran Eine grüne Politikerin und ihr gnädiger Blick auf die Diktatur der Mullahs Von Gerd Buurmann Im Jahr 2012 stand ich vor der Möglich- „Vergesst nicht, dass ein jedes Volk diejeni- keit, im Iran aufzutreten. Ich arbeitete da- ge Regierung verdient, die es erträgt.“ „Ich versuche nichts zu relativieren. Ich mals mit dem Regisseur Ali Jalaly zusam- Liebe Theresa, glaube nur, dass es nicht viel bringt, den men. Er ist Leiter des Ali Jalaly-Ensembles bitte erkläre mir, wie ich in ein Land rei- Iran so darzustellen, wie ihr es immer tut in Köln und wurde im Iran geboren. Bei sen soll, das mich nicht haben will, weil ich und gleichzeitig Netanjahus Hardliner unserer letzten Zusammenarbeit kam es in Israel war und dass viele meiner Freun- Rhetorik ignoriert.“ (Theresa Kalmer) zu einer handfesten Auseinandersetzung, de nicht reinlässt, weil sie Israelis sind? Theresa Kalmer, Spitzname „Thees“, die beinahe unsere Freundschaft gefährdet Auf dem Bundesparteitag der Grünen ist eine deutsche Politikerin. Von 2013 hätte. im November 2014 in Hamburg kriti- bis 2015 war sie Sprecherin der Grünen Ali Jalalys Inszenierung der Farce sierte Theresa Kalmer Winfried Kretsch- Jugend. Ihre Schwerpunktthemen sind „Der Büchsenöffner“ von Victor La- mann wegen des Asylkompromisses. Bei Ökologie, Europapolitik und Queerpoli- WIKIPEDIA noux, in dem ich die Hauptrolle spielte, der Entscheidung, drei Balkanstaaten tik. Sie ist Gegnerin des Freihandelsab- Im Ausland akzeptiert sie Dinge, die sie zu Hause wurde zu einem Festival in den Iran ein- zu sicheren Herkunftsländer zu erklären, kommen zwischen den USA und der EU. nie akzeptieren würde: Theresa Kalmer geladen. Nun musste ich meinem Regis- seien „rote Linien“ deutlich überschritten Im August 2016 war sie mit Freund_in- seur erklären, dass ich auf keinen Fall worden. Milder geht sie mit dem Präsi- nen auf einer Reise in den Iran. Ihr Fazit macht. Wenn es um den Iran geht, wird mitkommen würde. Er möge mir nicht denten der Islamischen Republik Iran um. fällt wie folgt aus: Theresa Kalmer geschmeidig: böse sein, sprach ich, aber unter keinen Präsident Rohani sieht sie sogar Hinrich- „Wir haben das Land zum großen Teil „Frieden werden wir nur erleben, wenn Umständen könne ich in ein Land reisen tungen nach. Keine rote Linie nirgends: anders wahrgenommen, wie uns hier wir endlich alle anfangen, miteinander zu und Theater spielen, in dem Homosexu- „Nach den Gesprächen, die wir geführt vermittelt wird. Das Regime ist ohne reden und versuchen, unsere Ziele ohne elle getötet, die Opposition verfolgt, der haben, wird Rohani vor Ort als moderat Zweifel autoritär, der Iran verzeichnet die Drohung und Beseitigungsfantasien zu Islam als Staatsreligion gelebt und Israel eingeschätzt. Die dennoch hohen Hinrich- höchste Exekutionsrate gemessen an der kommunizieren. In diesem Sinne können als Feind angesehen wird. Auf Ali Jalalys tungszahlen wurden uns so erklärt, dass Einwohner_innenzahl, Regimekritiker_ wir nur alle ermutigen, selbst in den Iran Einwand, dass das Volk ja nichts für das er aufgrund seiner moderaten Politik in- innen werden unterdrückt und Opposi- zu fahren, eigene Gespräche zu führen, Regime könne und ausländische Thea- nenpolitische Härte zeigen muss, um auch tionsparteien nicht zu gelassen. Das Le- mit diversen Teilen der iranischen Ge- tergruppen wie wir ein kleiner aber wich- die Konservativen hinter sich zu bekom- ben im Iran ist aber unter der Oberfläche sellschaft ins Gespräch zu kommen und tiger Hauch der Freiheit seien, vermochte men.“ vielfältig und lebendig. Gerade deswegen sich selbst ein Bild von diesem Land zu mich nicht zu überzeugen. Eine von mir Für eine Frau, die Schreckensgespenster ist der Austausch mit der iranischen Zi- machen.“ hochgeschätze Kollegin, die sich als klare an die Wand malt, wenn es um TTIP und vilgesellschaft besonders wichtig. Mit Liebe Theresa, Feministin versteht, war sogar bereit, ein somit um Geschäfte mit den Vereinigten dem Atom-Deal und der damit einher- Danke für die Ermutigung, in den Iran Kopftuch zu tragen. Als ich auch noch Staaten von Amerika geht, ist sie erstaun- gehenden Öffnung des Irans ist unsere zu reisen. Es gibt da nur leider ein Problem. erfuhr, dass wir einige Tage vor der Auf- lich gelassen im Umgang mit dem Iran. Hoffnung die Stärkung der Vielfalt der Kuwait, Libanon, Libyen, Saudi-Arabien, führung in den Iran reisen sollten, damit Wir können nur hoffen, dass Theresa Kal- iranischen Gesellschaft und eine Verän- Sudan, Syrien, Jemen und der Iran haben unsere Inszenierung von der Zensur be- mer im Kampf gegen TTIP niemals Kon- derung des Irans von unten. Doch dies ein Einreiseverbot gegen mich ausgespro- gutachtet und abgesegnet werden kann, servative hinter sich vereinen muss. kann auch nur dann gelingen, wenn wir chen, weil ich in Israel war. Dieses Verbot gilt war für mich das Maß voll. Könnte es geschehen, dass ich in den Ge- aufhören, den Iran als Land zu dämoni- für alle Menschen, die in Israel waren. Ich „Es tut mir leid um die Menschen im nuss dieses Beweises der innenpolitische sieren, differenziert Kritik üben und das kann weder das bunte Nachtleben Libyens Iran, für die der Besuch unseres Stückes ein Härte kommen könnte, wenn ich in den Land mit den darin lebenden Menschen erleben, noch die Schwulen- und Lesbensze- Hauch der Freiheit wäre,“ sprach ich, nicht Iran reise? Ich war schließlich in Israel, als Gesprächspartner anerkennen.“ ne im Iran genießen. Ich kann nicht mal mit ganz unaufgeregt, „aber noch mehr leid tun verteidige das Land, hatte schwulen Sex Es ist schon extrem komisch, dass Feministinnen im Auto um die Blocks von mir die Menschen im Iran, die unser Stück und bin bekannt für meine Witze über sich ausgerechnet eine grüne Politike- Saudi-Arabien ziehen. Alles nur, weil ich nicht sehen können, weil sie im Knast sitzen Religionen, die nicht vor dem Islam und rin, die unnachgiebig für den deutschen in Israel war! Syrer können mich zu Hause oder an einem Kran baumeln.“ Ich fügte so- Mohammed haltmachen. Atomausstieg streitet, für eine friedliche besuchen, ich jedoch keine Syrerin in ihrem gar ein Zitat der Geschwister Scholl von der Soll ich wirklich in den Iran reisen? Nutzung der Atomenergie im Iran stark syrischen Haus! Bewegung Die Weiße Rose hinzu: Kannst Du mir das empfehlen? Sawsan Chebli: Steinmeiers „gut integrierte“„palästinensische“ Sprecherin Wie eine Angestellte des Auswärtigen Amtes die Scharia verharmlost Antje Sievers raus. Wie der Mann die vierzehn Personen dings ganz anders aus. Dort wird man auf hätten, das in ihrer Kultur nicht üblich ist. seiner Familie ernährt, erfahren wir hinge- dem Weg zur Quelle schon mal mit einer Jedenfalls habe ich zu diesem Thema kei- Jung, hübsch, weiblich, muslimisch – Erklär- gen nicht. Obwohl seine Tochter auf das Verurteilung zu tausend Peitschenhieben ne Jammergedichte verfasst, wie die „Ju- bärin Sawsan Chebli, die stellvertretende Übelste am Lernen gehindert wurde, weil überrascht, so wie der saudi-arabische manerinnen“ auf der Facebookseite von Sprecherin des auswärtigen Amtes, erläu- ihre Lehrer meinten, „ein Flüchtlingskind Blogger Raif Badawi. Von der Pervertierung Cheblis Projekt es tun. tert in der FAZ im Gespräch mit dem Berli- gehöre nicht auf die höhere Schule“, meis- des kuchenguten Islam durch den IS redet Und ja, ich behaupte steif und fest, ver- ner Bürgermeister Müller, warum Muslime terte Chebli Abitur und Studium. Sie ist Chebli, der die muslimische Gemeinschaft schleierte Frauen sind unterdrückt von immer Opfer sind und die Scharia problem- zweifellos ein Beispiel dafür, dass Integrati- in Geiselhaft nehme. Von Massenprotesten einer frauenverachtenden Ideologie, in los kompatibel mit dem Grundgesetz ist. on und eine erfolgreiche Karriere auch un- der Geiseln gegen diese Zumutung ist aller- der sie Menschen zweiter Klasse sind, von Chebli ist alles, was man einfach liebha- ter den widrigsten Bedingungen gelingen dings weit und breit nichts zu hören und zu denen in der Öffentlichkeit so wenig wie ben muss: Eines von zwölf Kindern paläs- können. Ausgezeichnet, genau das, was sehen, und das, obwohl Muslime laut Cheb- möglich sichtbar sein sollte, oder die, wie tinensischer Asylanten, aus dem Arbeiter- man braucht. li nach mehr Demokratie hungern sollen. Zehra Yilmaz es einmal bei Maischberger viertel Moabit und gläubige Muslimin, die Eine Verurteilung zu tausend Peitschen- Wenn Muslime für Aliens gehalten wer- erklärte: Das Kopftuch solle die Frau in der eigentlich auch liebend gern ein Kopftuch hieben auf dem Weg zur Quelle den, wie Chebli meint, könnte das daran Öffentlichkeit möglichst wenig, am besten tragen würde, was aber nach ihrer eige- Was man hingegen nicht braucht, sind liegen, das Muslime Aliens sind, denn be- aber gar nicht reizvoll machen. nen Aussage nicht geht, weil man damit in die hundertfach wiedergekäuten Beleh- vor die ersten sogenannten Gastarbeiter Auf wen hören nun aber die Muslime in Deutschland keine Karriere machen kann. rungen darüber, dass verschleierte Frau- aus den Balkanländern und der Türkei nach Deutschland? Auf niemanden, behauptet Wenn sie sich nicht gerade durch Pres- en wie ihre fünf Schwestern das Kopftuch Deutschland kamen, waren Muslime in der Frau Chebli. Ein Muslim sei nur Gott gegen- sekonferenzen stammelt und stottert, ist gänzlich freiwillig und darüber hinaus auch deutschen Gesellschaft praktisch nicht prä- über zur Rechenschaft verpflichtet, so als Frau Chebli in einem vom Bundesfamilien- noch gegen den Widerstand ihrer Männer sent. Es kann auch daran liegen, dass gera- gebe es keine Islamverbände, keine Ima- ministerium finanzierten Projekt aktiv, das tragen. Wie könnte es auch anders sein in de muslimische Frauen bemüht sind, sich me und keine Freitagspredigten. Bürger- „JUMA“ heißt, wie das islamische Freitags- einem Haushalt, in dem fünf Gebete am äußerlich deutlich von ihrer Umgebung meister Müller sitzt daneben und nickt die gebet, aber auch die Abkürzung für „Jung, Tag Pflicht waren und nach der Schule der abzugrenzen, indem sie sich verschleiern. plumpe Propagandashow weise ab, sagt muslimisch, aktiv“ ist. Auf dessen lahm fre- Koran auswendig gelernt wurde. Eine plumpe Propagandashow wird vom Ja und Amen und bescheinigt der Religion quentierter Facebookseite tauschen sich Alle reden über Scharia, aber kaum je- Berliner Bürgermeister abgenickt an und für sich eine „wichtige, ja auch eine verschleierte Frauen nicht nur über schwer mand wisse, was das bedeutet, sagt Chebli Dass davon nicht jeder Indigene be- stabilisierende Funktion“. Wie hatte Volks- traumatisierende Diskriminierungserfah- und klärt auf: Scharia bedeute „Weg zur geistert sein kann, damit sollte man schon bischöfin Margot Käßmann schon gesagt? rungen aus, sondern auch darüber, wie Quelle“ oder „Weg zu Gott“ und regele das rechnen. Nun habe ich es in Ägypten und Wer Angst vor dem Islam hat, soll mehr in schick und trendy es sein kann, Kopftuch Verhältnis zwischen Gott und den Men- in Jerusalem auch erlebt, dass ich von ara- die Kirche gehen. Durch die zunehmen- zu tragen. schen. Und da gehe es hauptsächlich um bischen Männern beschimpft, angetatscht de Islamisierung wittern Evangelen und Ihr Vater spreche kaum deutsch und sei Gebet, Fasten und Almosen. Pipifax also. und mit Dreck beworfen wurde. Aber den- Katholiken seit einiger Zeit wieder Mor- Analphabet, aber weitaus besser integriert Das sieht in den muslimischen Ländern, noch würde ich so schnell nicht auf den genluft. Von Klerikern kann man so was als viele Funktionäre der AFD, haut Cheb- wo die Scharia die Grundlage von Verfas- Gedanken kommen, dass diese Männer erwarten. Aber wenn Politiker so anfangen, li gleich zu Anfang des Interviews zackig sung und Rechtssprechung bildet, aller- sich gefälligst mit einem Outfit abzufinden haben wir ein ernstes Problem. 20 DEUTSCHLAND № 9 (25) September 2016 JÜDISCHE RUNDSCHAU Als der kenntnisfreie Ulrich Kienzle auf Sabatina James traf Wer ergreift Partei für die Opfer rassistischer islamischer Gewalt? Von Angelika Barbe mich, wann er sich denn endlich auch ge- gen die rassistische Ideologie des Islam Drei mutige Frauen haben sich in den richtet. vergangenen Monaten öffentlich zu Wort Dabei fühle ich mich sowohl von der gemeldet und sich der Opfer islamischer Politik als auch von der Amtskirche und Gewalt angenommen: ihren zahlreichen Wohlstandstheologen Sabatina James in der Sendung „Markus allein gelassen, die „Politik und Evange- Lanz“, Necla Kelek im „Tacheles“-Interview lium verwechseln“ (Militärpfarrer Ul- bei „Deutschlandradio Kultur“ und Viola rich Kronenberg). Roggenkamp im „Info-Radio“ des RBB. Den Opfern hilft es nicht, wenn un- Sabatina James war Muslima und ist ter dem Mäntelchen der Menschenliebe zum Christentum übergetreten. Seitdem alles vertuscht und verschwiegen wird. wird sie mit Morddrohungen verfolgt, weil Nicht moralischer Rigorismus ist das Ge- von Muslimen eine Todes-Fatwa über sie bot der Stunde, sondern Wahrhaftigkeit. verhängt wurde. Sie kann sich im demo- Mein Großvater war einfacher Werk- kratischen Deutschland nur mit Perso- zeugmacher, hat aber mit großer Zivil- nenschutz bewegen, lebt seit zehn Jahren courage gegen die erste deutsche – die allein an verschiedenen Orten. Bisher hat Nazi-Diktatur – gekämpft und einen sich kein muslimischer Verband für sie hohen persönlichen Preis dafür gezahlt. eingesetzt und gegen diese menschenver- Ich habe Widerstand gegen die zweite achtende islamische Praxis protestiert. deutsche – die kommunistische Dikta- Selbst Herr Kienzle, in der Sendung neben tur – geleistet, bin dafür als „feindlich- ihr sitzend, äußerte zynisch, was sie denn negativ“ diffamiert, mit Bespitzelung, wolle – sie könne doch jetzt frei reden. Berufsboykott bestraft worden und Sabatina James fragte, ob unter Personen- WIKIPEDIA musste kommunistische Sippenhaft er- schutz leben zu müssen, Freiheit bedeute leben, die auch die Kinder der Bürger- und warum Kienzle sich für die Täter und rechtler nicht verschonte. Ich möchte nicht für die Opfer einsetze. keine dritte Diktatur – nämlich eine isla- Necla Kelek ist muslimische Soziologin, mische – auf deutschem Boden erleben war Mitglied der Islamkonferenz, bis die müssen. islamischen Verbände sie aus diesem Gre- Haben unsere „Spitzenpolitiker“ wie mium hinausdrängten, weil sie die fehlen- Gabriel, Maas, Stegner, Roth – oder de Gleichberechtigung der Frauen im Is- Landesbischof Bedford-Strohm – je lam auf die Tagesordnung der Konferenz eine Diktatur am eigenen Leib erduldet? setzen wollte. Weiß der EKD-Ratsvorsitzende, der im Im Interview sagt sie, dass der muslimi- Kuratorium des Forums für Islam in sche Mann „von Allah wegen das Recht München mitwirkt, wie es Frauen geht, hat, über die Frau zu herrschen“, sie fin- die lebenslang unter Diktatur und Ras- de, „dass der Islam eine der rechtloses- sismus zu leiden haben? Haben sie ver- ten Religionen ist, was die Frauenrechte folgte Christen in Flüchtlingsheimen betrifft“… „die Frauen sind sogar in den besucht und ihnen Schutz vor Muslimen Flüchtlingsunterkünften genauso rechtlos Sabatina James, pakistanisch-österreichischen Menschenrechtsaktivistin, angeboten oder begrenzen sie ihre zur und dem Mann ausgeliefert wie auf der Publizistin und Islamkritikerin. Schau getragene Anteilnahme auf Mo- Flucht und wie vorher in den arabischen schee-Besuche? Staaten“. „Die Islamverbände in Deutsch- Seit längerem treibt mich die Frage um, diese bestätigen, sie haben sich den Män- Wer die Opfer rassistischer islamischer land bewachen den Islam, damit er so was eigentlich der hier inflationär be- nern völlig unterzuordnen, sie müssen Gewalt ignoriert (Frauen, Christen, Ju- bleibt, wie die Herkunftsländer es wün- nutzte Begriff „Rassismus“ bedeutet. Der sich mit Neben-frauen abfinden, sie dür- den – alle Andersgläubigen gelten als schen.“ Zum Schluss betont sie, dass „der Theologe Richard Schröder definierte fen geschlagen und gesteinigt werden. Ungläubige) und sich widerspruchslos Islam keine Religion, sondern ein Regime“ ihn folgendermaßen: sei – eine Ideologie also, ergänze ich – wie „Rassismus ist ein Überlegenheitsan- Kommunismus und Nationalsozialismus spruch aufgrund biologischer Merkmale“. D a doch der „Kampf gegen den Rassismus“ (siehe Hamed Abdel Samad). Ende letzten Jahres war der der Polito- Viola Roggenkamp, eine jüdisch-deut- loge Prof. Dr. Aladin El-Mafaalani Gast laut Medien, Kirche und Politik intensiv in der Sächsi- schen Landes- geführt werden müsse, frage ich mich, wann zentrale für po- litische Bildung er sich denn endlich auch gegen die rassisti- in Dresden und beantworte- sche Ideologie des Islam richtet. Dabei fühle te Fragen zum Thema: „Wel- ich mich sowohl von der Politik als auch cher Islam passt zu Deutsch- von der Amtskirche und ihren zahlreichen land?“ El-Mafaalanis Wohlstandstheologen allein gelassen, die Eltern stammen aus Syrien, er „Politik und Evangelium verwechseln“ ist sunnitischer Moslem, hat (Militärpfarrer Ulrich Kronenberg). WIKIPEDIA hier in Deutsch- Die deutsch-jüdische Schriftstellerin Viola Roggenkamp kritisiert die deutsche land alle Bil- Sure 2, Vers 228 besagt, dass ‚die Män- der herrschenden „Diktatur des Guten“ Zuwanderungspolitik. dungschancen ner eine Stufe über den Frauen stehen, beugt, der lädt Schuld auf sich wie im genutzt und es denn Allah ist mächtig und weise‘. Sure Dritten Reich gegenüber den Juden. sche Schriftstellerin, kritisierte in dem Es- zum Professor an der Fachhochschule 4, Vers 34 wiederholt ‚Die Männer ste- say „Die Diktatur des Guten“ die deutsche Münster für Politische Soziologie ge- hen über den Frauen, weil Allah sie aus- Angelika Barbe, MdB a.D., ist Biologin, Flüchtlingspolitik, der sie größenwahn- bracht. gezeichnet hat.‘ – und das alles, weil sie Mitbegründerin der SPD in der DDR, und sinnige Tendenzen bescheinigt. Sie fragt, Ich zitierte in der Fragestunde mit Frauen sind.“ wurde als Bürgerrechtlerin vom SED-Par- warum die schwerreichen arabischen Län- Herrn Professor El-Mafaalani die oben Ich stellte fest: „Dann ist der Islam eine teigeheimdienst Stasi „operativ bearbeitet“. der keine Flüchtlinge aufnehmen. Und sie gebrauchte Definition des Rassismus-Be- rassistische Ideologie!“ Sie verließ die SPD Ende der 90er Jahre sorgt sich um das Schicksal vieler Christen griffs von Richard Schröder. Dann führte Zu meiner Überraschung und der von aus Protest gegen deren Koalition mit der in unter den Flüchtlingen, die (nach sorgfäl- ich aus, dass ich den Koran gelesen und 130 Anwesenden bejahte El-Mafaalani „PDS“ umbenannten SED. Sie war Bundes- tiger Recherche) in den deutschen Erst- die Behandlung der Frauen dort beson- meine Überlegung. vorstandsmitglied der UOKG (Union der aufnahmelagern von den muslimischen ders untersucht habe: Da doch der „Kampf gegen den Ras- Opferverbände kommunistischer Gewalt- Migranten „drangsaliert, verprügelt und „Frauen erben nur die Hälfte, ihre Aus- sismus“ laut Medien, Kirche und Politik herrschaft) und ist heute für die Sächsische um Geld erpresst werden“. sage ist nur etwas wert, wenn Männer intensiv geführt werden müsse, frage ich Landeszentrale für politische Bildung tätig. № 9 (25) September 2016 JÜDISCHE RUNDSCHAU DEUTSCHLAND 21 Eine neue intellektuelle Spezies: Der Guterassist Wenn sich Nicht-Moslems zu ungefragten Anwälten des Islams machen Von Gideon Böss auch weiß, ist egal. Der Guterassist weiß es ohnehin besser. In freien Gesellschaften gibt es mehrere Guterassisten sind Teil des Problems, Grundwerte, die für den Erhalt des Sys- nicht der Lösung, denn sie verteidigen tems unabdingbar sind. Die Religions- den Islam gegen jede Kritik, ganz so, freiheit, die eben auch die Kritik an Re- als würde dadurch auch nur eine der ligionen beinhaltet, ist einer davon und Krisen gelöst werden können, die der vielleicht sogar der wichtigste. Immerhin Islam aktuell mit sich und anderen hat. ist sie die Antwort darauf, dass das Chris- So stellte „meine“ Guterassistin im wei- tentum in Europa das freie und kritische teren Verlauf unseres Gesprächs klar, Denken sowie die Originalität und die dass der islamistische Terror nichts mit Neugierde, zu der Menschen fähig sind, dem Islam zu tun hat. Als ich meinte, über Jahrhunderte hinweg massiv ein- was denn unter anderem mit IS, Boko schränkte. Haram und Al Quaida ist, antworte- Wer die engen Grenzen des Weltbildes te sie ungerührt, dass das alles keine sprengte, das die Kirchen gerade noch Moslems sind, weil sie den Islam falsch aushalten konnten, landete schnell im verstanden haben. Das ist intellektuell Kerker oder bezahlte mit dem Leben. Da- auf dem Niveau eines Aluhutträgers, von kann heute längst keine Rede mehr der vor Chemtrails warnt. Als ob es sein. Im Gegenteil: Wer heute keine Wit- den Opfern – die meisten davon sind ja ze über Papst, Pfarrer oder Gott macht, selbst Moslems – irgendwie hilft, wenn muss sich eher rechtfertigen als jene, die der Terror, der im Namen des Islam sich dadurch in ihren religiösen Gefühlen verübt wird, schlicht geleugnet wird. verletzt fühlen. Und das ist gut so, denn WIKIPEDIA Als würde er verschwinden, wenn man es gibt keinen Grund, warum ausgerech- nicht über ihn spricht. net Religionen mit Samthandschuhen Man kann natürlich versuchen, sich angefasst werden sollten. Im Grunde gilt mit den Gründen für diesen Terror zu auch für diese Institutionen: wer austeilt, beschäftigen (dafür sollte auch drin- muss auch einstecken können. Und die gend analysiert werden, warum sich christlichen Kirchen haben gelernt ein- so viele Konvertiten gleich soweit ra- zustecken. dikalisieren, dass sie zu Terroristen Doch Religionskritik ist eben nicht werden. Das ist deswegen relevant, weil gleich Religionskritik. Beim Thema Is- Konvertiten generell dazu neigen, ih- lam kann das alles schnell anders aus- ren neuen Glauben möglichst zu 100 sehen. Mir ist das zuletzt wieder im Prozent zu leben. Warum endet das bei Rahmen eines Interviews aufgefallen, Neu-Christen oder Neu-Juden aber da- in dem es um mein Buch „Deutschland, mit, dass sie nur ihren jeweiligen neu- deine Götter“ ging. Die Journalistin hat- en Heimatgemeinden unglaublich auf te eigentlich kein Problem mit dem eher die Nerven gehen, weil sie alle Regeln lockeren Schreibstil, machte jedoch eine peinlich genau einhalten wollen, wäh- erhebliche Ausnahme. Sie fand, erzählte rend Neu-Moslems sich stattdessen auf- sie mir nach dem Gespräch, die Art und fallend oft ein Ticket zum IS besorgen Weise, wie ich über den Islam schreibe, oder sonst wie ins extremistische Lager vollkommen daneben. Vor allen ein Ab- abdriften? Zieht der Islam also andere satz hatte sie ganz besonders erzürnt, Gläubige an als das Christentum und weil dieser verletzend sei und auf eine das Judentum, und wenn ja, warum? In Art herabwürdigend, die Moslems so der Antwort auf diese Frage dürfte auch langsam nicht mehr ertragen können. ein Gutteil der Lösung für das islami- Was hatte ich geschrieben, was alle Mos- sche Terrorproblem liegen.) Oder sich lems nicht mehr hören können? Dass sie fragen, weswegen der Bildungsstand alle Terroristen sind, dass sie im Mittel- in der muslimischen Welt so katastro- alter hängengeblieben sind oder düm- phal niedrig ist, warum Frauen so viel mer als andere Menschen? Nein, es war Sie weiß, was man Moslems zumuten rassistischen Begierde nicht als gleichbe- schlechter behandelt werden, warum das hier: kann, nämlich praktisch gar nichts. Was rechtigt wahr und erwartet darum auch in den letzten Jahrzehnten fast alle re- „Allah offenbarte Mohammed den Ko- sie hingegen nicht wissen will, ist, dass sie wenig von ihm. Darum ist es für diese ligiösen Minderheiten aus der arabisch- ran Wort für Wort. Es dauerte schließlich eine waschechte Rassistin ist. Rassisten Journalistin auch vollkommen klar, dass muslimischen Welt vertrieben wurden 23 Jahre, bis die 114 Suren abgeschlos- sind heute ja fast immer in der Defensive, Moslems wegen einer solchen Formulie- oder warum Satire, freie Presse und sen waren. Wenn man die Standardein- offene Gesellschaft aktuell in der mus- stellungen eines gewöhnlichen PC- limischen Welt undenkbar sind? Schreibprogramms wie Microsoft Word U nd trotzdem wurde genau diese Passage Wenn einem das Schicksal der Men- verwendet, umfasst der Koran zirka 600 schen in diesen Ländern etwas bedeutet Seiten. Damit hat das Autorenduo Allah/ attackiert. Nicht von einer Muslima, son- (Stichwort universelle Menschenrechte), Mohammed im Schnitt zwei Wochen pro kann man all diese Fragen nicht einfach Seite gebraucht, was sie zu den vermut- dern von einer Journalistin, die selbst nicht ignorieren. Oder eben doch, indem man lich langsamsten Schriftstellern aller Zei- sie eben als Lügen bezeichnet, dann ist ten macht. Gleichzeitig aber mit zu den religiös ist, sich aber dennoch ungefragt zur man halt ein Verschwörungstheoretiker erfolgreichsten, denn nach der Bibel ist und/oder Guterrassist. der Koran das am weitesten verbreitete Anwältin der muslimischen Sache macht. Natürlich ist es für die Entwicklung Buch der Welt.“ in der islamischen Welt unerheblich, Sie weiß, was man Moslems zumuten kann, was nun eine deutsche Journalistin dazu Ungefragte Anwälte meint, aber erwähnenswert ist es allemal, der Muslime nämlich praktisch gar nichts. entspricht das doch einer Grundhaltung Diese Passage ist weit davon entfernt, als gegenüber dem Islam, die diese Religion Herabwürdigung durchzugehen (gut, und ihre Mitglieder eben nicht ernst- „Autorenduo“ ist vielleicht etwas mutig, sie müssen sich verteidigen und ihnen ist rung schon aus der Fassung geraten müs- nimmt, sondern wie ungezogene Kinder weil Mohammed die Offenbarungen nur klar, dass ihre Haltung sie gesellschaft- sen. Schließlich schwingt in den Zeilen ja betrachtet, denen man mit viel Rück- mündlich weitergab. Jedoch ist für mich lich schnell isolieren kann. eine gewisse Lockerheit im Umgang mit sichtnahme begegnen muss, weil sie eben auch jemand Autor, der seine Texte dik- Doch daneben gibt es eben auch den dem Islam mit, die ein Moslem ganz be- noch nicht so weit sind wie „wir“. Prob- tieren lässt – aber das ist ein anderes The- guten Rassismus, der sich im Recht sieht stimmt nicht aushalten kann. Der Mos- lematisch ist der Guterassismus aber vor ma und war auch nicht der Grund für den und auch die öffentliche Meinung (oder lem will über seine Religion nur in sprö- allem, weil er gleichzeitig den autoritärs- Journalistinnen-Zorn). Und trotzdem zumindest die politische und mediale) den wissenschaftlichen Abhandlungen ten und reaktionärsten Teil der islami- wurde genau diese Passage attackiert. hinter sich weiß, diese Form des Rassis- lesen, die ihm auf jeder Seite mindestens schen Community bestimmen lässt, was Nicht von einer Muslima, sondern von mus hat einen Eigennamen verdient: Gu- sieben Fußnoten garantiert und ihn auf „der Islam“ ist. Auf diese Weise wird den einer Journalistin, die selbst nicht religiös terassist bzw. Guterassismus. Er entmün- staubtrockene Art nicht unterhält. Zu- Hardlinern die Deutungshoheit überge- ist, sich aber dennoch ungefragt zur An- digt seine Opfer, für deren Unterstützer mindest weiß der Guterassist, dass der ben. Aber das sieht ein Guterrassist nicht, wältin der muslimischen Sache macht. er sich hält. Er nimmt das Objekt seiner Moslem das so will – ob der Moslem das dafür ist sein Gewissen zu rein. Leider. 22 ISRAEL № 9 (25) September 2016 JÜDISCHE RUNDSCHAU 10 Stunden nachts in der Judäischen Wüste Eine unglaubliche Vollmondwanderung zum Toten Meer Von Ulrich Jakov Becker

28 Kilometer Wüstenhügel im Voll- mond. 15 Freunde. Ein Elite-Golani- führer. Ein Verletzter auf den Schul- tern. Ein gelber Skorpionstich. Ein Black Hawk down. Null Wasser. Wir brachten die Kinder in die Bet- ten, warfen die Rucksäcke über die Schultern und gegen halb neun began- nen wir den Abstieg von den Hügeln von Takao in die Täler und trockenen Flussbetten der judäischen Wüste in Richtung Osten. In ungefähr zehn Stunden wollten wir am Toten Meer sein - einmal über den jetzt im Sommer sehr staubigen Bergrücken Judäas, oder – wie andere es fälschlich nennen – das „Westjord- anland“. Alles junge Familienväter, die sich aus der Synagoge kennen, eine Män- nergemeinschaft, die ein bisschen die Beine austreten will im stressigen Alltagssprint. Und in der israelischen 46-Stundenwoche ist unter Einhaltung des Schabbats donnerstagsabends bis freitagsmorgens die einzig mögliche

Zeit dafür. JOHN GURZINSKI / AFP Nachts ist es normalerweise proble- matisch querfeldein über Steine und Hügel zu stolpern, es sei denn, man hat Vollmond, wo die Wüste – anders als z.B. in Wäldern – mit ihrem hellem Sand und Steinen überall rings um gut zu überblicken ist. Genau das machten wir, denn Vollmond traf Donnerstags- Hier wird gerade ein vom Skorpion Gestochener abgeholt. abend. Freitagsmorgens sollten wir wieder hier sein. Ein Minibus würde als Leuchtpunkte und irgendwann ver- immer noch die beißenden Biester an Wasser pro Person‘ in die WhatsApp- auf uns am Toten Meer warten und am liert man sie. unseren Körpern und fischen sie aus al- Gruppe geschrieben!?”, fragt Matan- Schabbat würde wir unsere Muskel- Zum Glück gibt es WhatsApp. Wir len möglichen Ecken. Ich versuche mit jah. „Man braucht mindestens sechs, krämpfe kurieren, um am Sonntag wie- lassen uns auf dem staubigen Boden Handyleuchtsignalen eine Lücke zwi- besser sieben für diese Tour!“ der fit zur Arbeit zu gehen. Jetzt muss- nieder und warten auf sie. Erst im Sit- schen zwei Gruppen zu überbrücken, Das hilft jetzt aber auch nichts mehr. ten wir nur noch ankommen. zen merkt man den Schweiß und wie aber es hilft nichts. Michael, ein Freund Nach anderthalb Stunden ruhen wir Einige hatten Taschen- und Kopflam- warm es eigentlich ist für eine Wüsten- in der letzten Gruppe kann nicht mehr uns wie Weltkriegssoldaten in einem pen mitgenommen. Diese waren aber nacht. Das kurze Ausruhen lässt auch weiter, seine Füße sind mehrmals um- Graben am Weg aus, bis sich alle wie- nutzlos. Der Vollmond strahlte so hell, die ersten Schmerzen und Müdigkeiten geknickt – das heißt, auch mit zwei der zusammenfinden und die Schmer- dass es reine Batterieverschwendung aufkommen, die beim Laufen das Adre- Gehstöcken kommt er nur auf Flur- zen in Knöcheln, Sehnen und Muskeln war. Ich dachte teilweise eher an eine übernehmen. Ich habe nur noch drei Sonnenbrille, da der Mond, wenn er ge- Schlucke Wasser und beschließe sie nau vor einem stand, die Augen regel- D er Vollmond war in der Wüste so hell, jede halbe Stunde in kleineren Schlu- recht blendete. cken zu trinken. Die ersten Stunden gingen rasch und dass er mich fast blendete. Gegen vier Uhr sehen wir am Hori- erfreulich vorwärts. Kilometer um Ki- zont etwas nicht ganz so Dunkles. Der lometer, Hügel um Hügel arbeiteten nalin sonst überbrückt. geschwindigkeit im Altersheim. Viel- Morgen kündet sich vorsichtig an. Und wir uns nach Osten vor. Wir lagen gut Ein Hügel steigt markant wie ein Zu- sagende Blicke. Wir sind viel zu weit das ist für uns gerade gar nicht roman- in der Zeit. Matanja, unser Führer, war ckerhut in die Höhe und Matanja nutzt weg, um umzudrehen. Aber wenn wir tisch, denn es bedeutet vor allem, dass ein Golani-Elitekämpfer, dessen tägli- ihn und seine kleine Satellitenkarte auf so weitermachen, kommen wir niemals wir bald die brennende Scheibe über ches Armeebrot es gewesen war, solche seinem Handy zum Navigieren. Dann zur verabredeten Zeit am Toten Meer unseren ausgetrockneten Köpfen ha- und ähnliche „Orientierungsmärsche“ zeigt er mit seiner ausgestreckten Hand an. ben werden. Wir müssen noch mehr anzuführen – bei Tag, bei Nacht, bei in einem Meer von Bergen und Tälern Während Michael sich noch zwei As- zulegen. Drei von uns setzen aus Trotz Vollmond, im Stockdunkeln, in Hitze in eine Richtung zwischen zwei im pirin einschmeißt und fragt, ob nicht zu einem Sprint an und verschwinden und Kälte, im Frieden und im Krieg, Mondlicht silber-schwarz aussehende ein Jeep für ihn hierher durchkommen hinter dem nächsten Hügel. mit und ohne Verletzten, zum Spaß Hügel und sagt: „Le Schama“ (Da ent- könnte (keine Chance!), sagt Matanjah Auf einmal tauchen sie wieder auf oder mit zig Kilo Waffen und Ausrüs- lang)! Jedes Mal wenn er das macht, nur: „Tschuldigung...,“ und schwupps und rennen zu uns zurück… wir grü- tung auf dem Rücken. „Als ich einmal wird einem bewusster, wie verloren hat er Michael mitsamt genierten Lä- beln, warum sie das wohl tun – wo doch den ganzen Golan mit voller Ausrüs- man hier wirklich ohne ihn wäre. cheln auf seine Schultern geschmissen gerade niemand auch nur zwei schmer- tung durchmarschiert war und von Nicht mal eine Sonne hat man zum und läuft los. Ich fasse Michaels Ruck- zende Schritte umsonst zu tun bereit oben auf den wunderschönen See Ge- Orientieren. Ein Physikdoktorand er- sack und laufe hinterher. Es geht zügig ist. nezareth hinabblickte, versprach ich klärt den Sternenhimmel, wie man weiter. Matanjah ist immer noch mit Auf der rechten Seite des Weges ent- mir, dass ich solche Wanderungen nach Norden festlegt, warum Sterne fun- Abstand der Schnellste. Wir kommen deckten wir in einiger Entfernung vor der Armee auch mal ohne den ganzen keln, Planeten aber nicht etc.. Ja, wir in ein ebenes, trockenes Flussbett, wo einem Pickup-Truck, wie er bei Bedu- Kram machen werde,“ erzählt er, wäh- sind eine bunte Truppe. Hauptsächlich man gut laufen kann und treffen eine inen üblich ist, ein kleines Lagerfeuer rend ich versuche mit ihm Schritt zu Psychologen, Sozialarbeiter und Aka- andere Gruppe mitten in der Nacht. unter einer bildschönen Wüstenakazie. halten. Niemand kann jedoch mit ihm demiker vom Doktoranden aufwärts, Sie gehen diesen einfachen Weg wei- Es wurde kurz gewarnt in großem Bo- mithalten. Dabei ist er kein großer, plus eine Prise High-Techisten und Si- ter, bis zu einer Station, wo es Mitfahr- gen schnell an ihnen vorbeizuziehen. breitschultriger Recke mit langen Bei- cherheitsleute, ein Architekt, abgerun- gelegenheiten gibt. Sie übernehmen Viele von uns sind mit Pistolen bewaff- nen, sondern recht klein und kräftig mit det mit zwei Anwälten. Michael und wir machen nach einer net und wenn man zusammenbleibt, kurzem Hals. Die Lücken werden zu groß. Immer von Matanjah angeordneten kurzen sollte es nicht weiter gefährlich sein. Bald reißen Lücken auf in unserer Li- wieder müssen wir lange Sitzen und Rast – er flüstert mir kurz zu, dass er Plötzlich schießt einer von uns – ein nie, die sich über die Bergrücken über warten. Zwei Anwälte und ein Physi- sonst nicht mehr weiter gekonnt hätte Psychologe – im Sprint nach rechts hunderte Meter erstreckt. Im Voll- ker hängen nach. Einmal setze ich mich – gegen 2 Uhr weiter. zum Pickup-Truck. Wir fangen an mond kann man die Letzten als kleine beim Warten mit zwei Freunden in ein Das Problem ist nur, dass das Wasser zu schreien: „Nein! Was machst du?! Figuren einige Hügel hinter einem se- Nest von Riesenameisen. Auch nach ei- zu Ende geht und wir haben erst die Komm zurück!“ Er hält ein, zögert und hen, dann noch ab und zu ihre Handys ner halbe Stunde Lauf zerdrücken wir Hälfte hinter uns. „Wer hat ‚drei Liter läuft zu uns. № 9 (25) September 2016 JÜDISCHE RUNDSCHAU ISRAEL 23

„Auf dem Hügel hinter der Biegung ner um fünf Uhr morgens auf einen lich war man in einem Armeefilm über tin in einem kleinen Wärterzimmer. An- wurde jemand von einem Skorpion ge- Wüstenhügel anzutreffen. Es hatte -et den dritten Libanonkrieg oder ähnli- sonsten ist niemand weit und breit. Wie stochen und bat darum seinen Freund was vom kleinen Prinzen. Der kleine chem. Grün uniformierte Spezialisten, in einem Film bitte ich nach Wasser. Ich im Pickup zu Hilfe zu holen.“ Prinz von Bat Ajin. teilweise höhere Offiziere laufen unter leere ihren Wasserhahn. Sie erkundigt „Es könnte eine Falle sein. Wir gehen Was konnte jetzt noch passieren? knatternden Rotoren zu der kleinen sich über einen vom Skorpion gestoche- erst alle zum angeblich Gestochenen“, Die Ersten waren fast stehengeblie- Gruppe. Ein paar kurze Fragen, eine nen… Die Nachrichten verbreiten sich übernimmt ein Sicherheitsmann. ben und gingen sehr langsam. Liege, kurze Untersuchung und schon schnell. Anderthalb Flaschen nehme ich Er lag auf dem Rücken eines run- „Was jetzt?“ verschwinden sie in Richtung Hadas- für die anderen mit. den, kleinen Hügels und wand sich in „Checkpoint.“ sah-Notaufnahme in Jerusalem. Sie brauchen es. Niemand hat mehr Schmerzen. Lange Haare, keine Kippa, Zwei heruntergekommene Autos und Der gestochene Tomer hatte kurz vor Wasser. Einige Minuten liegen alle auf ein wenig ISIS – genau wie der Toyota acht junge Beduinen hatten einige hun- der Landung noch etwas von Lebens- dem Asphalt im Schatten von Palmen Pickup. „Helft mir, helft mir! Ich bin dert Meter weiter die Straße blockiert. versicherung gerufen, aber die Lan- und lachen und weinen. Dann kommt gestochen!“ Sein Hebräisch klang ganz Wir gingen ganz normal weiter, rück- dung selbst schien wie eine Medizin für der ISIS-Toyota rein – das einzige Auto klar ohne arabischen Akzent vom Hü- ten etwas mehr zusammen. Wir hatten ihn gewesen zu sein und er wurde zum hier – und bringt uns die zwei tapferen gel herunter. Waffen. ersten Mal ganz still. Recken, die mit ihren Telefonen und ein Er war verwirrt, rief etwas über Skor- In etwa 200 Metern Entfernung stie- Nach diesem Happy-End konnten paar Rechtsanwaltsdrohungen den He- pione, dass er hier weg müsse… gen sie ein und fuhren davon. wir uns endlich wieder unseren Weh- likopter hergezaubert hatten. Ohne Ge- „Bruder, wo ist der Skorpion?“, fragt So kamen wir endlich erschöpft und wechen und einem zerschmetternden genstimme wird beschlossen, dass wir Matanjah. recht trocken an den Felskamm, der Hunderte-Meter-Abstieg ohne Wasser den angekündigten Ausflug zum Strand „Ich weiß nicht, ich habe ihn nicht westlich über dem Toten Meer thront. unter der stechenden Morgensonne und Baden dieses Mal verschieben und gesehen, aber es war ein Gelber. 100%! Fotos. „Geschafft“-Gefühl. widmen. Am Ende war jeder für sich gleich nach Hause zurückfahren. Auf diesem Hügel gibt es nur gelbe und Dann kam die WhatsApp-Nachricht allein, keine Witze, keine Gespräche. Ich gehe durch die Tür wie ein Rück- zwar besonders giftige… Auuuhau- von zwei Zurückgebliebenen. Die bei- Nur Konzentration, trockene Lippen kehrer aus Kriegsgefangenschaft. Meine hau…”, fässt er sich ans Bein. den Tomers waren zurückgekommen zusammenbeißen und die Augen auf die Frau erkennt mich kaum wieder. Sie war In kurzen Hosen, mit Sandalen, ohne und baten um Hilfe, da sie nirgends winzigen Häuschen von Mitzpe Scha- gestern Abend schlafen gegangen, heute Wasser oder Handy, aber mit Knarre durchgekommen waren, keine funkti- lem in der Ferne. Alle zehn Minuten ka- Morgen aufgestanden, ein wenig Früh- und Gitarre liegt er da auf dem Hügel. onierenden Telefone hatten und die Si- men sie näher. Und als sie schon so dicht stück … eine ganz normale Donners- Er und sein Freund im Pickup sind aus tuation vom gestochenen Tomer hatte schienen, hörten plötzlich die schroffen tagnacht halt. Für mich war gefühlt etwa der „Siedlung“ Bat Ajn – beide heißen sich in den letzten Stunden nicht gera- Felsen auf und ein Tal voller großer, eine Woche vergangen. Der Aufbruch Tomer – und kamen gestern von einer de verbessert. runder Kieselsteine lag vor einem. Wie gestern Abend scheint wie eine weit ent- Hochzeit. Sie hielten nachts hier an zum Entspannen. Unklar, wie sie das Auto hierher bekommen haben. Es gibt keine Straßen vom Toten Meer zum Bergrücken – von Tkoa nach Ein Gedi muss man über Jericho fahren. „Bruder, bleib ruhig. Nicht bewe- gen“, bringt Matanjah den gestochenen MENAHEM KAHANA / AFP Tomer wie zum Liegen. „Bruder, was machst du von Beruf?“ „Ich bin Überlebenstrainer.“ „Bruder, Humor des Schicksals!”, sagt Matanjah. Ein anderer prüft die Gitarre: „Bruder, sie ist nicht gestimmt.“ Es wird gestimmt und gespielt (um Tomer zu beruhigen - das Wichtigste, was man bei einem Skorpionstich tun kann), bis einer von uns es irgendwann schafft es einer von uns seinen Freund wachzube- kommen. Wie ein alter Flugzeugmotor heult der Toyota-Pickup auf und knat- tert langsam auf unseren Hügel. Wir heben Tomer unter Schmerzensschrei- en an – man sagt, ein Skorpionstich brenne als wenn jemand einem einen Bunsenbrenner an die Stichstelle hal- ten würde. Das Gift verursacht auch eine Unruhe im Gestochenen und kann in schlimmen Fällen die Herzaktivität stören und zum Tod führen. Die meis- ten führen jedoch „nur“ zu stundenlan- gen Qualen, die ohne Behandlung erst nach vielen Stunden oder wenigen Ta- gen wieder abklingen. Es stellte sich heraus, dass der ge- stochene Tomer nicht nur ein Überle- benscoach ist, der sogar in Tkoa einen Überlebenskurs für Kinder gibt, son- dern auch ein Spezialist für Skorpione und diese oft fängt und studiert. „Ich wusste, dass es so kommen würde! Ich habe es nicht anders verdient. Schon eine Woche halte ich einen in einer Fla- Bild von Totes Meer. sche und habe ihn nicht rausgelassen. Ich wusste es!“. Wir beschlossen, den Abstieg zu be- erfreulich, dachte ich und hinkte meine fernte Jugenderinnerung. „Was ist pas- ginnen, während sich die anderen um schmerzenden Füße hinein. Nur eini- siert auf eurer Wanderung?“, fragt meine „Da ist der Skorpion!“, ruft einer von die Tomers kümmern würden. Es kos- ge Sekunden und ich hatte verstanden, Frau und die Kinder um meine Beine uns, als wir ihn gerade in den Pickup tete etwas Überwindung nochmal die dass der fieseste Teil des Abstiegs gerade warten gespannt auf Antwort. heben. Tomer hatte auf ihm gelegen. Kniescheiben ins Felsengehüpfe zu erst begonnen hatte. Die runden Steine, Und ich – ja, ich hatte Matanjah im „Er lebt.“ Wir töten ihn, packen ihn in schmeißen, falls ich noch welche hatte. glitten unter den Schuhen weg, kamen Scherz vorgeworfen, er hätte alles nur eine von unseren vielen leeren Wasser- In der Mitte des fiesen Abstiegs voller in Bewegung wie kleine Kiesellawinen organisiert, damit es sich spannend und flaschen und drücken sie Tomer und scharfer, spitzer Steine hörte ich den und waren die ultimative Folter für mei- exotisch anhört und gleich kommt der Tomer in die Hand. Gute Fahrt! Alles Helikopter über mir. ne zerbeulten Knie. Nur der Durst trieb Gestochene lächelnd aus dem Busch, der Gute, gute Besserung! Nach minutenlangen Telefongesprä- mich an, Geschwindigkeit zu halten. Ich Hinkende läuft uns entgegen und die Be- So fahren sie in der Morgendämme- chen hatten sie es geschafft einen Ret- hatte nur Wasser im Kopf. Das waren die duinen kriegen ihre Belohnung etc. … rung dahin auf einem Wüstenpfad von tungshelikopter zu bekommen. Einmal Häuser. Einige Meter vor mir. Aber ein Und ich sage einfach nur wahrheitsge- dem niemand weiß, wo er hinführt. bestellt, ging es ganz schnell. In fünf Zaun lag zwischen uns, ein echter Zaun, mäß mit einem schmerzenden Happy- Wir gingen weiter und schmunzelten. Minuten landete der Blackhawk unter drei Meter, mit Stacheldraht etc.. End-Lächeln: Wir wahrscheinlich ist es, einen vom viel Wind, Wirbel und kleinen Steinen, Einige hundert Meter weiter erreiche „Was ist eigentlich nicht passiert aus Skorpion gestochenen Überlebenstrai- die einem um die Ohren flogen. Plötz- ich den Haupteingang mit einer Solda- unserer Wanderung?” 24 ISRAEL № 9 (25) September 2016 JÜDISCHE RUNDSCHAU Die Knesseth feiert Geburtstag Das Parlamentsgebäude des Staates Israel wird 50 Von Marius Bischoff

Wie kein anderer Ort ist die Knesseth, das israelische Parlament, das Markenzeichen der Demokratie des jüdischen Staates: An keinem anderen Ort wird mehr diskutiert, gestritten, debattiert und Gesetzesinitia- tiven beschlossen, die für den Staat Israel richtungsweisend sind. Dieses Jahr feiert die Knesseth den 50-Jährigen Geburtstag ihres Bestehens an ihrem aktuellen Ort in Givat Ram, Jerusalem. Ursprünglich geht das Wort „Knesseth“ auf das hebräische Wort für „Versamm- lung“ zurück und erhielt ihren Namen von der Hagedolah (Großen Ver- sammlung), welches durch die Vertreter des jüdischen Rates in Jerusalem durch Esra und Nehemia im 5. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung einberufen worden war. Die Knesseth besteht aus 120 Abge- ordneten, die für eine Legislaturperiode von vier Jahren gewählt werden. Das ers- te Mal tagte die Knesseth am 14. Februar 1949. Die letzte Wahl, die zur 20. Knesseth, fand letztes Jahr am 17. März 2015 statt. Das jetzige Gebäude der Knesseth ist al- lerdings noch nicht so alt. Es wurde im Au- gust 1966, also vor genau 50 Jahren, durch Tausende von Menschen in einer sehr be- eindruckenden Zeremonie eröffnet. Rund THOMAS COEX / AFP 6.000 Gäste, darunter Staatsoberhäupter Das 60er-Jahre-Design sieht man dem Hohen Haus noch heute an – im positiven Sinne. aus aller Welt kamen zu der Zeremonie, während rund 5.000 Israelis von den um- war der Tag, an dem der junge Staat Israel hende“ Haus diente aufgrund von Verzöge- erst sollte es eine Mischung aus verschie- herliegenden Hügeln zuschauten. Selbst zu einem wahren demokratischen System rungen bei den Bauarbeiten des gegenwär- denen Architekten sein, die in den neun der ehemalige Präsident Schimon Peres, und Staat wurde.“ tigen Komplexes in Givat Ram 16 Jahre Jahren der Gebäudeplanung und des Baus damals als junger Parlamentsabgeordne- Die Knesseth als legislatives Organ lang als gesetzgebende Körperschaft. wechseln sollte. Das Gebäude wurde am ter, erinnert sich noch sehr gut an den Um- 30. August 1966 eingeweiht und bereits zug der Knesseth nach Givat Ram: „Es war am darauffolgenden Tag versammelten eine echte Aufregung und Begeisterung D ie erste Knesseth wurde durch die Vertre- sich die ersten Abgeordneten der Knesseth zu spüren, ähnlich wie an dem Tag, als die darin. Vereinten Nationen die Entscheidung be- ter des jüdischen Rates in Jerusalem durch Der damalige Sprecher des Parlaments, kannt gaben, den Staat Israel zu etablieren. Kadish Luz, sagte: „Hier, auf diesem Hügel, Hier haben wir die demokratische Grund- Esra und Nehemia im 5. Jahrhundert vor dem Hügel von Jerusalem, unserer Haupt- lage des Staates ins Leben gerufen. Es war stadt, werden wir die ständige Heimat der eine Freude und ein Gefühl des histori- unserer Zeitrechnung einberufen. Knesseth einweihen. Nach 18 Jahren der schen Moments, als wir die Infrastruktur Gründung des Staates Israel, hat die höchs- für die demokratische Zukunft des jungen te Institution ein Zuhause gefunden, die Staates Israel in die Wege geleitet haben.“ nahm ihre Tätigkeit im Jahre 1949 auf und Im Jahr 1957 gewann der Architekt Os- Quelle aller Autorität, Herrschaft und des Laut Yediot Aharonot äußerte sich Peres sie pendelte zum damaligen Zeitpunkt sip Klarwein einen Wettbewerb, um das Rechts in Israel. Wir haben alte Prophezei- weiter: „Die Einweihung der Knesseth war zwischen einigen Gebäudekomplexen in Gebäude in Givat Ram entwerfen zu dür- ungen erfüllt: der Glaube an die Zukunft ein Feiertag für das Land und ein bewegen- Jerusalem und Tel Aviv. Im Jahre 1950 kam fen. Nichtsdestotrotz wich das Gebäude der Rückkehr nach Zion, die Anerken- des Ereignis für die ganze Nation. Der Tag, es zu Versammlungen im Frumin-Haus im völlig von seinen Plänen ab und wurde nung der nationalen Einheit der Stämme an dem das Gebäude eingeweiht wurde, Herzen von Jerusalem. Dieses „vorüberge- letztendlich anders gebaut als geplant. Zu- Israels und die Einhaltung der geistigen Vermögenswerte, die das jüdische Volk seit Tausenden von Jahren der Zerstreuung in der ganzen Welt erhalten haben, waren die geistige Ursache für seine Wiederbelebung und Gedeihen im Land seiner Väter.“ Der damalige Premierminister, , sagte bei der Zeremonie: „Dieses Gebäude, das im Inneren die Gesetzge- bung des Landes beherbergen wird, stellt ein Symbol für die Wiedergeburt des Vol- kes Israel in seinem Land dar, ein Zeichen der Erneuerung seiner Souveränität. Die Demokratie in Israel nahm in schwierigen Zeiten Gestalt an, in Zeiten der Prüfung, Tagen der Krisen des Staates, der militäri- schen, wirtschaftlichen und sozialen Her- ausforderungen des Landes. Es nahm Ge- stalt in einem erbitterten Kampf gegen die Feindseligkeiten, Drohungen und Angriffe von außerhalb an.“ Er fügte hinzu: „Auf dem Amboss der Knesseth wird die nationale Einheit des Volkes geschmiedet werden. Zwischen ihren Mauern wird die wunderbare Verei- nigung ihrer Kinder geschmiedet werden, die in ihr Heimatland nach der schreck- lichen Zerstörung, die sie befallen hatte, zurückkehren werden. Hier wird das Volk Israel vereinigt werden, das seine Kultur und seine Hoffnung auf bessere Tage nie aufgegeben hat.“ № 9 (25) September 2016 JÜDISCHE RUNDSCHAU ISRAEL 25 Lieberman übernimmt die kluge Politik von Giuliani Nur eine vernünftige Null-Toleranz-Politik kann den Terror beenden Von Ulrich Jakov Becker

Am frühen Nachmittags des 22. Augusts beschossen muslimische Terroristen aus Gasa wieder einmal – wenn auch nach langer Pause – die israelische Stadt Sderot mit einer Rakete. Die Alarmanlangen sprangen an. Die Menschen, die seit Monaten in einer relativen Normalität lebten, wurden im Bruchteil einer Sekunde zurückkatapul- tiert zu Krieg und Ängsten und rannten um ihr Leben. Die Kinder im Schwimmbad, auf das die Rakete zuflog, gerieten wieder ein-

mal in Panik und Schrecken. GUEZJACK / AFP Die Rakete explodierte im Stadtzent- rum von Sderot – das israelische Rake- tenabwehrsystem war offenbar gerade nicht in Einsatzbereitschaft –, verletzte aber zum Glück niemanden und verur- sachte „nur“ psychische Schäden und Sachschaden. Jeder Israeli kennt eigentlich die „nor- male Reaktion“ Israels auf so einen Ra- ketenbeschuss aus den vergangenen Jah- ren: Für so eine „vereinzelte Kassam“, Lieberman verhällt sich nicht mehr passiv und verteidigt Israel mithilfe der Luftwaffe. bzw. „Raketenniesel“ wie man in Israel sagt, wird die israelische Luftwaffe in len Rauchsäulen. Bürgermeister verstanden, dass nur eine Aber gibt es noch hasserfülltere Men- der kommenden Nacht zwei, drei An- Die Hamas hatte vorher schon – etwas Null-Toleranz-Politik zur Beendigung schen als solche, die Rakten auf Kinder griffe auf leere Stellungen von Terror- ungewöhnlich – bereits nach der sofor- der Kriminalität bzw. des Terrors führt. und Familien schießen? gruppen fliegen und darauf hoffen, dass tigen israelischen Reaktion am Nach- Im Mai trat er sein Amt an und regier- Liebermans entschlossene Reaktion dann keine weiteren Raketen folgen. Sie mittag, versucht sich deeskalierend und te prompt auf den ISIS-Anschlag vom auf den Sarona-Anschlag führte nicht folgen aber meist. Und so wird der „Ra- unschuldig zu geben und dann tauchte Juni im Tel Aviver Ausgehviertel Sarona zu expotentiell mehr Terror, sondern ketenniesel“ bald zu einem Regen. Und auch noch ein mysteriöses Bekenner- mit einer Ausgangssperre für das ganze seitdem hat die Terrorwelle stark abge- genau das wollen die Bewohner im Sü- schreiben einer bisher unbekannten Dorf, aus dem die Terroristen kamen nommen. den nicht wieder Teil ihres Lebens wer- Salafistengruppe auf. und verbat, die Leichen der Terroristen Und auch jetzt bei den schnellen und den lassen, stehen den Ereignissen aber In der Nacht wurde klar: Israel ließ den Familien zur feierlichen Beerdigung entschlossenen Reaktionen auf die meist machtlos gegenüber. sich davon nicht einlullen. Die israe- zurückzugeben. „Nieselrakete“ aus Gasa hat es nicht zu Doch diesmal war etwas anders: Is- lische Botschaft war klar – die Hamas Darüber hinaus verlangte Lieberman einem Raketen-Gewitter geführt, nicht raels Armee erwiderte sofort nach dem trägt die Verantwortung und Israel ist zu nach dem Sarona-Anschlag auch die so- einmal zu „Niesel“ in den nächsten Ta- Raketenanschlag das Feuer mit Artil- allem entschlossen, diesen einseitigen fortige Hauszerstörung der Terroristen gen, sondern bis jetzt zu einem strahlend leriebeschuss und mit Luftangriffen. Terror, der von arabischer Seite ausgeht, – innerhalb von 24h Stunden. blauem Himmel und Ruhe. Aber damit noch nicht genug. Israel er- zu beenden. Es scheint klar, dass Lieberman, der Lieberman scheint sein Wort zu hal- widerte nachts weiter das Feuer auf den im letzten Gasakrieg als Außenminister ten, härter gegen Terror vorzugehen, Raketenbeschuss: In zwei Stunden mit Was war passiert? dem Kriegsende bzw. dem Waffenstill- und bis jetzt scheint auch seine Theorie mehr als 50 Luftangriffen in Gasa, gegen Viele israelische Kommentatoren zeigen stand mit der Hamas zugestimmt hatte aufzugehen, dass entschlossenes und mehrere Terroroganisationen – von der auf den neuen Verteidigungsminister – wenn vielleicht auch zähneknirschend hartes Vorgehen gegen Terror, nicht zu Hamas, über den Islamischen Dschihad Avigdor Lieberman. Offenbar stellt er –, diesmal seinen Worten Taten folgen mehr, sondern zu weniger Terror führt bis zum „Volkswiderstand“ und an ver- gerade im israelischen Kampf gegen den lassen moechte. und sich die Terroristen mehr vorsehen, schiedenen Orten in Gasa. Luftangrif- islamischen Terror neue „Spielregeln“ Für die Linke ist er da natürlich ein als bei apologetischen, zögerlichen lin- fe, wie es sie seit dem letzten Gasakrieg auf und geht im Gegesatz zu seinem ganz klares, rechtes, rotes Tuch: „Kol- ken Regierungen. nicht mehr gegeben hatte. Gasa bebte übervorsichtigen Vorgänger Jaalon so lektivbestrafung!“, „Scharfmacher!“, „Er Gerne zitiert Lieberman „Si Vis Pacem und die ganze Nacht berichteten alle vor, wie er vorgehen muss. Denn er hat löst nur noch mehr Hass und Terror auf Para Bellum“ – „Willst du Frieden, berei- Hamaskanäle live und zeigten die dunk- genau wie der ehemalige New Yorker der Gegenseite aus!“ te dich auf den Krieg vor“.

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Der Israel-Korrespondent der NZZ, Ulrich Schmid, hat einen erfrischen- den Artikel über Israels Verteidigungs- minister Avigdor Lieberman veröf- fentlicht. Während andere Medien ihn undifferenziert als Extremist und Hardliner bezeichnen, hat Schmid auf- gezeigt, dass Lieberman «sich allzu simpler Deutung entzieht. Avigdor Lie- berman, Israels neuer Verteidigungs- minister, ist nicht nur Hardliner. Er kann auch diplomatisch sein.“ Doch Schmid kann nicht ohne die üblichen Klischees. So habe sich Ne- tanjahu den „rabiaten Rechtsnatio- nalisten Avigdor Lieberman als Ver- teidigungsminister in die Regierung geholt“. Wenn er tatsächlich so „rabiat“ und „rechtsnationalistisch“ gewesen wäre, hätte er wohl kaum in aller Stille jahrelang im Ministerpräsidentenamt dienen können, um dann ein durchaus „gemäßigter“ Außenminister zu wer- den. Schmid schreibt: „Nicht mit Krieg- saktionen ist Lieberman in seinen ers- ten Amtswochen aufgefallen, sondern mit Verbalattacken auf das Armeeradio und palästinensische Dichter.“ Schmid erwähnt keinen Hintergrund. Lieberman hatte zunächst auf einer fristlosen Entlassung des Filmkritikers Gidi Orscher bestanden. Orsher hat- KAHANAMENAHEM AFP / te auf seiner Facebook-Seite eine üble rassistische Tirade gegen Juden aus ori- entalischen Ländern veröffentlicht und deren „primitive“ Sitten wie die An- Die Europäer wissen zu wenig über ihn. betung Heiliger Gräber verunglimpft. Dann sendete der Armee-Rundfunk rien. Schmid verschweigt hier, dass Is- bewaffneten Kumpanen die Soldaten che, um die Palästinenser zu „spalten“, eine Würdigung des palästinensischen rael da keineswegs blindlings und ag- beschossen haben. Infolge des Feuer- klingt wie eine Verschwörungstheorie, die Nationaldichters Mahmoud Darwish. gressiv um sich geschlagen hat. Zuvor wechsels wurde der gesuchte Mann im Schmid sich hätte ersparen können. Indi- Lieberman meinte, dass die Darstel- wurde Israel vom Gazastreifen aus und Dorf Zurif erschossen und ein ande- rekte Kontakte mit Hamas gab es in Kairo, lung extrem anti-israelischer Ansichten von Syrien mit Raketen beschossen. rer verletzt. Bisher gibt es noch keinen um 14 Mal einen Waffenstillstand infolge nichts bei einem Armee-Rundfunk zu Es -ist seit Jahren eine stehende Poli- Befehl an die Soldaten, sich tatenlos des Gazakriegs von 2014 auszuhandeln. suchen hätten. Der vorgeladene „Kom- tik, auf Beschuss mit Bombardements erschießen zu lassen, wenn mit Feuer- Ebenso muss irgendwie die Lieferung von mandeur“ des Militärsenders, Jaron zu reagieren. Im Gazastreifen werden waffen auf sie geschossen wird… Gütern in den Gazastreifen koordiniert Dekel, berief sich freilich auf die in Is- Stellungen der Hamas getroffen, weil Lobend erwähnt Schmid dann Lie- werden. Das als Bemühen einer „Spal- rael verankerte Meinungsfreiheit, die tung“ zu betrachten, klingt absurd. umso mehr für Akademiker gelte. Eine Schmid erwähnt dann auch noch einen ähnliche Empörung hätte es auch in eu- A uch der neue NZZ-Korrespondent Besuch des palästinensischen Premiermi- ropäischen Ländern gegeben, wenn da nisters Hamdallah auf dem Tempelberg. ein öffentlich finanzierter Sender eine kommt mit einigen Wissenslücken Er erwähnt den Besuch von Hamdallah „akademische“ Lobeshymne auf Hit- im Zusammenhang mit Lieberman, als ler oder auf „Mein Kampf“ oder Neo- ins Heilige Land. ob das ein Zeichen plötzlicher Liberalität nazis gesendet hätte. Schmid verlinkt von Lieberman sei. Da aber Lieberman, hier einen Artikel der linksgerichteten die Hamas als herrschende Macht ver- berman, weil er der Türkei nun erlau- respektive das Militär auf dem Tempel- Zeitung Haaretz, wo behauptet wird, antwortlich gemacht wird, selbst wenn be, Hilfsgüter im (israelischen) Hafen berg kein Mitspracherecht hat, ist das dass Lieberman der Sender künftig nur angeblich radikale Gruppen, wie der is- Aschdod zu entladen, um sie nach Gaza eine künstliche und falsche Konstruktion noch „Prawda“ bringen, dürfe, also von lamische Dschihad, Israel beschießen. zu bringen. Dafür verdient der Verteidi- von Schmid. Denn er unterstellt hier, als „oben“ verordnete „Wahrheiten“. Schmid erwähnt dann auch noch gungsminister freilich kein Lob, denn ob das Militär die Besuche auf dem Tem- Im nächsten Abschnitt behauptet das Töten eines palästinensischen Ter- schon seit Jahren dürfen jegliche Hilfs- pelberg regelt, was faktisch nicht stimmt. Schmid, dass Israel unter dem neuen roristen, als die Soldaten kamen, ihn güter aus Katar oder Jordanien in Kon- Deshalb hat in diesem Fall der Besuch Minister nicht zurückhaltender gewor- festzunehmen. Auf Videoaufnahmen vois quer durch Israel nach Gaza fah- von Hamdallah in Jerusalem nichts in ei- den sei. Israel bombardiere die Hamas ist eindeutig zu sehen, dass der gesuch- ren. Und Ashdod ist ein Umschlagplatz nem Artikel über Lieberman zu suchen. im Gazastreifen und Stellungen in Sy- te Terrorist zusammen mit anderen für die auf dem Seeweg angelieferten Abschließend schreibt Schmid noch: Waren. Sogar von blockadebrechenden „Er [ Lieberman, Anm.Red.]ist nicht Teil Schiffen wie der Mavi Marmara mitge- des israelischen Militärsystems. Hier gibt brachte Waren wurden nach Überprü- es Konfliktpotenzial, denn in der Armee fung in den Gazastreifen transportiert. hat sich das liberale, rechtsstaatliche Ge- Neu ist hier lediglich, dass die Türkei dankengut der Gründerväter gut gehal- zustimmte, ihre Warenlieferung von ten. Aber eben: Der neue Verteidigungs- den Israelis durchsuchen zu lassen, an- minister ist lernfähig.“ Schmid setzt hier statt die Schiffe direkt im Gazastreifen voraus, dass Lieberman sich gegen das „li- anlegen und ohne israelische Kontrolle berale, rechtsstaatliche Gedankengut der löschen zu lassen. Gründerväter“ gewandt hätte. Ehe er Lie- „Es gibt Pläne für eine partielle Locke- berman als „lernfähig“ bezeichnet, sollte rung der israelischen Blockade“, behauptet Schmid hier erst einmal triftige Beweise Schmid. Da Israel sogar mitten im Krieg für Liebermans vermeintliche Verstöße den Gazastreifen mit Medikamenten, gegen Traditionen in der israelischen Ar- Nahrungsmitteln, Kochgas, Strom und mee vorlegen. Wasser beliefert hat, ist auch das keine Neuigkeit. Und die „Verschwörungsthe- Zuerst erschienen auf orie“, wonach Israel mit der Hamas spre- www. audiatur-online.ch № 9 (25) September 2016 JÜDISCHE RUNDSCHAU KULTUR 27 Mit großem Knall und jiddischem Witz „The Big Bang Theory“ ist die vielleicht jüdischste Sitcom seit „Seinfeld“ Existenz Gottes im Spannungsfeld der Von Jerome Lombard Naturwissenschaft diskutiert, fühlt man sich auch schon mal an einen talmudi- Werter Leser, Sie sind am Zug. Lösen Sie schen Disput erinnert. Und Zufall sind folgende, zugegebenermaßen nicht ganz diese jüdischen Einsprengsel und The- mathematische Gleichung: Physikali- matiken keineswegs. sches Fachwissen plus Nerdtum mal so- Die „Big Bang Theory“ hat einen deut- ziale Phobien in Kombination mit Neu- lichen jüdischen Bezug, sowohl on als rosen und allerlei zwischenmenschlichen auch off screen, wie es so schön im En- Kommunikationsschwierigkeiten; mul- tertainmentfachjargon heißt. Die beiden tipliziert mit der Wurzel aus der Essenz Produzenten, Chuck Lorre und Eric Kap- jiddischen Humors! Die Gesamtsumme lan, sind jüdisch. Lorre reiste 2011 öffent- im Entertainment-Quadrat. Die Natur- lichkeitswirksam nach Israel und erklärte wissenschaft ist bekanntlich eine exakte seine Faszination für den jüdischen Staat. Wissenschaft. Das einzig mögliche Er- Hauptcharakter Howard basiert maßgeb- gebnis kann demzufolge nur lauten: „The lich auf Lorres persönlichen Erlebnissen Big Bang Theory“. Die Theorie vom Ur- und Erfahrungen als junger Mann, wie knall, zu Deutsch. Und ein echter Knal- der Produzent 2009 in einem Interview ler, ist diese Fernsehserie allemal. konstatierte. Und mit Mayim Bialik, die Die Comedy-Sitcom des amerikani- in der Show ab Staffel 3 die schrullige schen Senders CBS erfreut sich diesseits Neurowissenschaftlerin und Sheldons wie jenseits des Atlantiks überaus großer Freundin Amy Farrah Fowler spielt, hat Beliebtheit. Millionen von Zuschauern die „Big Bang Theory“ eine traditionell- schalten jede Woche ein, um das Neu- orthodox lebende Schauspielerin am Set, este aus dem turbulenten Leben der vier die von sich selber sagt: „Das Judentum jungen Wissenschaftler Sheldon Cooper ist ein gewichtiger Part meines Lebens. (gespielt von Jim Parsons), Leonhard Es ist untrennbar mit dem verbunden, Hofstadter (Johnny Galecki), Howard was ich bin.“ Bialik hat seit 2007 keine Wolowitz (Simon Helberg) und Rajesh Hosen mehr in der Öffentlichkeit getra- „Raj“ Koothrappali (Kunal Nayyar) und gen, widerspricht dies doch ihren Vorstel- ihren verschiedenen Frauen und Freun- lungen von Frömmigkeit. Ein Glück, dass dinnen zu erfahren. In Deutschland, Ös- ihr Alter-Ego Amy ebenfalls ein Fan von terreich und der Schweiz ist die Serie auf langen Röcken ist, beziehungsweise die ProSieben zu sehen. Aktuell läuft die 10. Produzenten auf Bialiks religiöse Gefüh- Staffel. le eingegangen sind. „Ich bin sehr glück- Die Story ist aus dem Leben gegriffen: lich, dass ich als Amy Röcke tragen kann“,

Die vier Protagonisten sind exakt das, was JOHN GURZINSKI / AFP sagt Bialik. „Sie (die Serienproduzenten) man gemeinhin unter einem Nerd oder ziehen sie sehr altbacken und stillos an, Geek versteht. Ein Mensch, exzellent Mayim Bialik ist engagierte Israel-Unterstützerin. weil sie sie als asexuell darstellen wollen. in seinem, in diesem Fall naturwissen- So werden meine weiblichen Rundungen schaftlich-physikalischen Berufsfeld an ein wahres physikalisches und geistiges mischen. „Ist sie jüdisch?“, ruft Mutter geschützt.“ der Cal Tech in Los Angeles, aber ansons- Genie, ist die Verkörperung einer Sozial- Wolowitz, als Bernadette das erste Mal Gemeinsam mit Co-Produzent Kaplan ten mit erheblichen Problemen ausgestat- phobie. Leonhard ist der umgänglichste bei Howard übernachten will. Berna- und anderen jüdischen Mitarbeitern der tet. Vor allem, wenn es um den zwischen- von allen. Er schwärmt für seine hübsche, dette stammt aus einer katholischen „Big Bang“-Crew, liest Bialik von Zeit zu menschlichen und gesellschaftlichen blonde Nachbarin Penny (Kaley Cuoco), Familie. Ups. Also lieber mal flunkern, Zeit in der Thora. Selbstverständlich am mit der er im Laufe der Serie eine On-Off-Bezie- hung führt. Raj stammt M it Mayim Bialik, die in der Show die aus Indien, kann ohne den Genuss von Alkohol nicht schrullige Neurowissenschaftlerin und mit Frauen sprechen und hat einen starken Hang Sheldons Freundin Amy Farrah Fowler zur Metrosexualität. Howard hat als einziger spielt, hat die „Big Bang Theory“ der Viererbande keinen Doktortitel, fährt leiden- ein etraditionell-orthodox lebende schaftlich gerne Moped, kleidet sich einigermaßen Schauspielerin am Set. exzentrisch und hat eine Obsession mit Sex. Ach ja, denkt sich Howard. „Ja, ist sie.“ Na Set. „Wir haben auch schon mal Chanuk- und er lebt mit Anfang 30 dann: „Viel Spaß Kinder, aber benutzt ka-Kerzen in Mayims Umkleidezimmer noch bei seiner Mutter. ein Kondom!“ Bei so viel mütterlichem angezündet“, erinnert sich Kaplan. Der Mrs. Wolowitz bringt Einsatz ist die romantische Stimmung junge Filmemacher hat schon Skripte ihrem Sohnemann die natürlich schnell dahin. für Serienhits wie „Futurama“ und „Mal- „Kreplach“ ans Bett, und Das Spiel mit Stereotypen gelingt in colm mittendrin“ geschrieben. In der bezeichnet ihn auch ger- der „Big Bang Theory“ auf vielen Ebe- „Big Bang Theory“ wollten er und sein ne mal derb als „putz“ nen, ohne dabei platt zu wirken. Und Kollege Lorre Naturwissenschaftler aus oder „schmock“. In bes- auch wenn Howard der einzige jüdi- dem Elfenbeinturm der Wissenschaft he- tem kalifornischen Jid- sche Hauptcharakter in der Serie ist, rausholen und als ganz durchschnittliche disch eben. Howard ist ist jüdische Kultur ein an vielen Stellen Menschen darstellen. „Wir hatten schon jüdisch. Mrs. Wolowitz wiederkehrendes Element der Show. Wissenschaftler als Helden und als Böse- ist der Running Gag der Die Jüdischkeit geht in der „Big Bang wichte. Aber einfach eine durchschnitt- „Big Bang Theory“. Die Theory“ über Howard und seine ödipal liche Person, die ihre Arbeit macht, oder Zuschauer bekommen sie konfliktgeladene Beziehung zur inter- angetrieben ist durch (sehr menschliche) niemals zu sehen, nicht ventionistischen Mutter, ein im jüdi- Regungen wie Eifersucht oder Zorn, das mal zu Howards Hoch- schen Witz immer wiederkehrendes wurde in einer amerikanischen Sitcom zeit mit der Mikrobiolo- Topic, hinaus. Auch andere Charaktere noch nicht gebracht“, sagt Kaplan. Wie gin Bernadette (Melissa schmeißen mit jiddischen Begriffen um wahr, wie wahr. Die „Big Bang Theory“ Rauch), aber ihre kräch- sich. Zum bereits erwähnten „putz“ ge- hat diese Entertainmentlücke bravurös Simon Helberg ist nicht nur Jude, er spielt sogar einen. zende Stimme ist aus dem sellen sich „tuchus“, „mishegas“ und „oy gefüllt und mit einer ordentlichen Brise Off allseits gegenwärtig, vey“. Zum standardmäßigen Physiker- Jüdischkeit samt Humor in die Top-Liga Kontakt geht. Und erst recht, wenn es um sobald Söhnchen Howard in seinem vokabular gehört das jedenfalls nicht. der Sitcoms katapultiert. Mädchen geht. Newton und Schrödinger Zimmer zugegen ist. Und Mrs. Wolowitz Wenn Sheldon mit seiner aus dem tiefen Die Empfehlung der JÜDISCHEN bewahre! Sheldon und Leonhard leben muss physisch gar nicht präsent sein, Texas stammenden christlich-evangeli- RUNDSCHAU: Unbedingt reinschal- in einer Wohngemeinschaft. Sheldon, um sich in Howards Privatleben einzu- kalen Mutter (Laurie Metcalf) über die ten! 28 KULTUR № 9 (25) September 2016 JÜDISCHE RUNDSCHAU „Heeeeheeee, Heeheeee Kinder...!“ Krusty, der jüdische Clown von den Simpsons Von Monty Aviel Ott seh-Clown, dessen Leben in it-yourself-Schwangerschaftstests bei- diversen Folgen ausgebrei- spielsweise verursacht Defekte bei Neu- Menschen lieben tragische Persönlich- tet wird. Seine Sendung, die geborenen), und ist immer wieder eines keiten. Solche, mit denen sie sich identi- „Krusty-Show“, zeichnet sich der Mordziele seines ehemaligen Side- fizieren können. Gilt das auch für die tra- insbesondere durch übertrie- kicks Sideshow Bob (oder im deutschen: gische Persönlichkeit in personae, dem bene Albernheit aus. Ganz Tingeltangel Bob). traurigen Clown? Mit Clowns haben vie- nebensächlich erfährt der Außerdem hat Krusty eine enge Ver- le Menschen Probleme, oder sogar Angst Zuschauer dann davon, dass bindung zu einer der Hauptpersonen der vor ihnen. Aber es gibt einen traurigen Herschel Shmoikel Pinkus Ye- Serie, Bart Simpson. Dieser hat ihn schon Clown, der sticht irgendwie aus der Mas- rucham Krustofski ein „Mem- öfters aus misslichen Lagen befreit und se psychotisch-angsterfüllender Zirku- ber of the tribe“ ist. Damit ist ihn nicht zuletzt sogar davor bewahrt sattraktionen heraus. Er hat grün-türkis er nicht der Einzige in Spring- unschuldig ins Gefängnis zu kommen. gelocktes Haar, eine rote Nase (in der er field, gibt es doch in der Sen- Trotz all dessen kann sich der Clown ei- manchmal Koks versteckt) und hört auf dung so viele jüdische Charak- gentlich nie an ihn erinnern (ob das an den Namen: Herschel Krustofski. Es ist tere wie in fast keinem anderen seinem Drogenmissbrauch liegt?). die Rede von niemand geringerem als Mainstreamstreifen des 21. Eine Folge widmet sich ausführlich Krusty, dem Clown. Jahrhunderts. „Schmoikele“ Krustys Biographie: als Aufhänger dafür Ich erinnere mich noch, wie wir damals ist allerdings der bekannteste dient das zerrüttete Verhältnis zu seinem auf der Couch gesessen haben: Meine unter ihnen und so kommt es, Vater, dem Rabbi von Springfield. Sein Brüder, meine Mutter und ich. Mein Va- nicht nur die amerikanische Gesellschaft, dass man jede Menge über ihn erfährt. Tattele, der die Springfielder „Einheits- ter saß zumeist auf dem Sessel daneben. sondern hält uns allen einen Spiegel vor. Die Charakterbeschreibung des Krusty gemeinde“ im jüdischen Viertel betreut Irgendwie habe ich uns auch immer Im Gegenzug hält sie auch jede Menge sagt viel über das Verhältnis zum Juden- (stets betitelt als „Temple Beth Sprin- ein bisschen in dieser Familie gesehen. Interpretationsstoff bereit, so z.B. über tum im US-amerikanischen Film aus. field“, was auf eine Reformgemeinde hin- Es läuft nicht immer alles nach Plan. das Verhältnis zum Judentum. Wie wird Der Vergleich zu jüdischen Rollen im weist, die allerdings mit Hyman Krustof- Manchmal geht es auch ziemlich chao- mit Jüdinnen und Juden in der US-ame- deutschen Film lohnt sich. Betrachten ski einen, durch seine Kleidung eindeutig tisch zu, aber trotzdem versuchen es alle rikanischen Gesellschaft umgegangen? wir beispielsweise „jüdische“ Rollen in als strenggläubig zuzuordnenden Rebben doch nur irgendwie gut zu machen. Naja, Und welches Selbstverständnis hat das diversen Tatort-Episoden: Jüdische Cha- hat), hatte sein Schmoikele einst versto- die Realität ist schon etwas komplizier- US-amerikanische Judentum? Es ist na- raktere zeichnen sich meist, durch ihr ge- ßen, weil dieser seine Yeshiwe-Klasse mit ter. Aber diese vereinfachte Version eines türlich die Rede von der fabelhaften und hetztes Dasein, übertriebene Religiosität unkoscheren Witzen zum Lachen brach- Familienlebens, mit dem kahlköpfigen, te. Ein Clown-Auftritt Herschels auf ei- etwas trotteligen Vater, der oberklugen nem Talmudkongress an der koscheren und manchmal etwas sich selbst über- Krusty heißt mit echtem Namen Herschel Riviera brachte das Fass schließlich zum schätzenden Tochter, dem Rowdy-Sohn, Überlaufen. der herzlichen Mutter und dem unter- Shmoikel Pinkus Yerucham Krustofski. Als Bart und Lisa Simpson Jahrzehnte schätzten Baby, konnte durch die starke später herausfinden, dass diese kaputte Überzeichnung schon seit so vielen Jah- weltberühmten Serie „Die Simpsons“. und diverse andere Klischees aus. Ganz Beziehung den Fernsehclown quält, ver- ren für viele Lacher sorgen. Die Serie ist Und in dieser Sendung, da findet sich dasselbe beispielsweise in „Alles auf Zu- suchen sie den Rabbiner mit Talmud- eine Gesellschaftskritik. Sie reflektiert unter den Nebencharakteren ein Fern- cker“ oder in „Ein ganz gewöhnlicher und Thorazitaten zum Einlenken zu be- Jude“. In Letzterem hetzt Ben wegen. Die beiden Simpson-Kinder sind Becker durch seine Hamburger schon fast am verzweifeln, doch letztlich Wohnung, setzt seine Brille un- ist es ein Zitat aus den Memoiren von unterbrochen auf und ab und Sammy Davis Jr., das zur Einsicht führt: vergleicht seinen Keller mit einer „Die Juden sind ein lebenslustiger Men- „Konzentrationslageratmosphä- schenschlag. Es sind viele Menschen ver- re“. Das verkrampfte Verhältnis folgt worden, aber was die Juden durch- gegenüber Jüdinnen und Juden litten haben, ist unglaublich! Doch das in Deutschland spiegelt sich im Großartige ist, nach tausenden von Jah- deutschen Film wieder. ren des Wartens, des Durchhaltens und Wie sieht es hingegen im US- des Kämpfens, haben sie es letztendlich amerikanischen Film aus? In doch geschafft.“ Etliche Staffeln später den USA gibt es ein gänzlich fühlt Krusty erneut eine Leere in sich, anderes Selbstverständnis des deren Grund er in dem Fehlen seiner Bar Judentums. Jüdinnen und Juden Mitzwah ausmacht. Warum der Junge sind ein selbstverständlicher Teil keine Bar Mitzwah hatte? „Wajl du bist der Gesellschaft und werden ajn Schmock!“ sagt der Vater. nicht zu Anschauungsstücken Doch Herschel kann seinen Vater über- im Museum exkludiert. So ver- zeugen und holt den Ritus nach, zwar hält es sich beispielsweise auch hauptsächlich, um einen Stern auf dem mit Krusty. Herschel zeichnet „Jewish Walk of Fame“ zu bekommen, sich nicht nur durch sein Juden- aber schlussendlich (nach einer großen tum aus, es ist nicht sein einziger PR-Show) doch noch einmal im fami- Wesensbaustein und er muss liären Kreis in der Gemeinde. Von den nicht bei jeder Gelegenheit eine Simpsons und dem dort vorgeführten Kurzeinführung in das jüdische Umgang mit Jüdinnen und Juden könn- Unser Service für Sie Leben geben. Krustofski ist ein- ten ein Beispiel für den deutschen Film

Gregory’s Joaillier am Kurfürstendamm zeichnet sich nicht nur durch innovatives Design unter der Verwendung edelster fach Jude, ganz beiläufig. Er ist sein. In Hollywood wird immer noch vor- Schmucksteine aus. Eine Besonderheit ist die haus-interne Werkstatt mit Goldschmied und Steinfasser, die vor Ort starker Raucher, hat diverse an- geführt, was Selbstverständlichkeit und individuell auf Kundenwünsche eingehen können. Exklusive Sonderanfertigungen oder das sensible Umarbeiten von altem dere Suchtprobleme, trägt einen Sensibilität bedeuten, was nicht heißt, Schmuck wird hier professionell und mit größter Sorgfalt erledigt. Sowohl Fasser als auch Goldschmied können jahrelange Erfahrung und Expertise vorweisen und arbeiten auf höchstem Niveau. Herzschrittmacher, ist kalkweiß dass irgendjemand Samthandschuhe an- (keine Schminke, sondern An- legen muss. Umarbeiten Unikate Reparaturen und Reinigung zeichen seines ungesunden Le- Wie verkrampft das Verhältnis deut- benswandel und deswegen ist er scher Filmschaffender gegenüber Jüdin- Geliebter alter Schmuck hat oft einen Entweder wählen Sie eines der Ein Standard-Service für unsere Kunden: immer „in voller Maske“), wird nen und Juden ist, lässt sich auch anhand starken emotionalen Wert, entspricht bereits fertigen Unikate von Gregory’s kleine Reparaturen und regelmäßige manchmal aber nicht mehr dem Joaillier oder aber Sie bringen einen Reinigung Ihres vielgetragenen Schmucks von seinen jungen Fans wie ein der Synchronisation US-amerikanischer eigenen Geschmack. Gregory’s Joaillier eigenen Entwurf mit. Gemeinsam mit gehören zum Standard-Repertoire. Superstar verehrt (obwohl er ei- Filme nachempfinden. Vergleicht man hilft Ihnen ein neues Lieblingsstück dem Inhaber Gregroy Loeb wird die Selbstverständlich sind wir durch unsere gentlich nicht witzig ist), seine beispielsweise die Original-Dialoge und daraus zu machen, ohne dass es den Auswahl der Materialien und Steine hauseigene Werkstatt in der glücklichen ursprünglichen Charakter verliert. sowie die Umsetzung besprochen. Lage Ihre Schmuckstücke selbst zu Sendung wurde diverse Male die synchronisierten in „Meine Braut, Von kleinen Änderungen bis hin zur Leidenschaftlich gerne designt reparieren. Gerne stehen wir Ihnen wegen Obszönitäten abgesetzt, ihre Schwiegereltern und ich“ (mit der kompletten Neufassung von Steinen Gregory’s Joaillier beratend zur Verfügung und machen Ihnen er verhinderte versehentlich ein großartigen Barbra Streisand), findet und Umnutzung des Trägermaterials einen unverbindlichen Kostenvoranschlag. erstrahlen die antike Kette oder ein alter Attentat auf Saddam Hussein, er man schnell heraus, wie stark jiddische Ring in neuem Glanz. ist bei der Mafia verschuldet, sei- Floskeln und jüdischer Witz entfernt

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In den Jahren des Expres- Else Lasker-Schüler (1869-1945) ihren sionismus gipfelte ihr Ruhm dank ihrer Brieffreund Karl Kraus im Dezember unbegrenzten poetischen Begabung und 1915 ultimativ auf, ihre Ausstellung in ihrer exaltierten Lebensweise, in der sich Berlin zu besuchen. Mag sein, dass sie Dichtung, Malerei und Alltag verquickten vermeinte, ihre Bilder und Zeichnungen und reale, dichterische und künstlerische würden nicht hinreichend gewürdigt, blie- Existenz ihre Rollen immer tauschten. ben hinter ihrem schriftstellerischen Werk „Sie nahm sich die großartige und rück- zurück. Richtig ist, dass ihr zeichnerisches sichtslose Freiheit, über sich allein zu ver- Werk zu ihren Lebzeiten nicht die Beach- fügen, ohne die es ja Kunst nicht gibt. Ihre tung und Würdigung erfahren haben, das Glaubensgenossen billigten ihr wohl das es verdient. Sie selbst begriff sich indes im- persönliche Recht zu diesem Exhibitio- mer als Künstlerin, der Schreiben, Zeich- nismus zu, sie wollten sich nicht mit ihm nen, Dichten ein und derselbe Akt war. und ihr identifiziert sehen. Ein seltsamer „Meine beiden Begleiterinnen, die Dich- Vorgang und ein tragischer auch“. So sah tung und die Malerei“. Gottfried Benn im Rückblick sein Verhält- Als sie 1894 nach Berlin kam, hatte Else nis zu Else Lasker-Schüler. Lasker-Schüler schnell Kontakt zu Künst- Man darf das lyrische in der deutsch- ler- und Bohémekreisen gesucht, schrei- jüdischen Literaturgeschichte verwurzelte bend und zeichnend erste künstlerische Werk Else Lasker-Schülers in seiner Be- Positionen erprobt. Sie hatte einige Jahre deutung gewiss neben dem Paul Celans Zeichenunterricht genommen, unterhielt und Nelly Sachs stellen. ein Atelier, tauschte sich mit erfahrenen Doch wird man ihr nicht gerecht, wenn Künstlern aus, aber um 1900 hatte ihre man ihr malerisches Werk nicht anerkennt, zweite Begabung, das Dichten, das größe- das geprägt ist durch die Überschneidung re Gewicht bekommen. der Genres und Stile. Ihre Lyrik, ihre Pro- Um die Jahrhundertwende, da war sie sa und ihre Dramen lassen sich nicht von 30, schrieb sie an ihre Schwester: „Ich ihrer eigenwilligen Kunst lösen. habe jetzt schönen Kreis. Ich hätte mit 17 Else Lasker-Schüler gilt als herausragen- Jahren nach B. kommen müssen, ständen de expressionistische Lyrikerin. In ihren die Sachen heute anders“. Sie gab sich für Texten finden sich glühende Phantasie, jünger aus und verbreitete, sie sei mit 14 leidenschaftliche Religiosität des Juden- zum Studium der Malerei nach Paris ge- tums und Liebe zur deutschen Kultur. Sie gangen, mit 18 nach Berlin. Dabei brauch- schrieb jedoch nicht nur Gedichte, son- te ihr wirkliches Leben kaum bohemisiert dern auch Theaterstücke – am bekanntes- zu werden, so wie sie in der deutschen Kul- ten wurde das 1909 veröffentlichte Drama turhauptstadt unterwegs war. „Die Wupper“ – und Prosatexte. 1932 Was für eine Frau, was für eine Ausstrah- wurde sie mit dem Kleist-Preis ausgezeich- lung! Im Jahre 1919/20 erschien im Verlag net, musste jedoch nach der Inmachtset- Paul Cassirer „Der Malik. Eine Kaiserge- WIKIPEDIA zung Hitlers Deutschland verlassen. Zur schichte mit Bildern und Zeichnungen“. Else Lasker-Schüler: Deckblatt „Gesammelte Gedichte” Verleihung des Kleist-Preises sandte Benn In diesem „dynastischen“ Briefroman gibt der Ausgezeichneten ein Telegramm: es vier Personen: Else Lasker-Schüler, der sich auf sie einlässt, kommt nicht an der In ihrem winzigen Mansardenzim- „Der Kleistpreis so oft geschändet sowohl „Prinz Jussuf“ in seinem Reich Theben, Frage nach ihrer Identität vorbei. Wer mer in der Humboldtstraße 13 in Berlin- durch die Verleiher wie durch die Prä- und Franz Marc, der „Blaue Reiter“. Marc war sie wirklich: Die aus Wuppertal-El- Grunewald lebte sie mit ihren wilden mierten wurde wieder geadelt durch die und die Lasker-Schüler verband seit 1913 berfeld stammende, in Berlin ihr künst- schwarzen Augen, dunkler Mähne – le- Verleihung an Sie. Ein Glückwunsch der eine einzigartige Künstlerfreundschaft, lerischen Glück suchende Bürgertochter bensuntüchtig. Mit ihrer märchenhaften deutschen Dichtung“. Diese Worte ehren die sich in den führenden Zeitschriften des oder war sie tatsächlich der verzauberte Phantasie, ihren bunten Gewändern, den den Schreiber und lobten die Dichterin. Expressionismus niederschlug. Jussuf war „Jussuf aus Egypten“, der in seine eigene klappernden Ringen und Armreifen war Die Nationalsozialisten diffamierten das synthetische Produkt jüdischer, isla- Welt flüchtete? sie Traumgestalt und Sehnsuchtsobjekt ihr schriftstellerisches Werk, zerstörten mischer, christlicher und altägyptischer Eine berühmte Photographie aus dem für viele Männer. ihre Kunst. Sie wurde zur Emigration ge- Bezüge, das sie „als Idee, als Leitmotiv, als Jahre 1912, Frontispiz von „Mein Herz“, Ihre sehr charakteristischen Zeichnun- zwungen, doch die Schweiz war wenig Inner- und außerliterarische Spielfigur“ zeigt sie Flöte spielend als Fakir von gen entwickelte Else Lasker-Schüler im gastfreundlich, belegte sie mit Berufsver- einsetzte. Theben in Pluderhosen und seidigem Umfeld von Jugendstil, Expressionismus, bot. Palästina wurde ihre neue Heimat. Im Als Dichterin war sie in Berlin tonan- Kamiz. Verrückt und geheimnisvoll zu- Futurismus und Dada. Einflüsse und Text und in den Bildern ihres „Hebräer- gebend. Die erste Veröffentlichung von gleich. Sie prägte das Bild der Künstlerin Wechselwirkungen zu Werken anderer lands“ romantisierte Else Lasker-Schüler Lasker-Schülers „Weltende“ geht auf das die „hebräischen Pioniere“, die „Palästina Jahr 1903 zurück, und damit gab sie sozu- aus seinem tausendjährigen biblischen sagen den „Startschuss“ für den Expres- D ie Zeichnungen von ELS sind viel Sagenschlaf“ erweckt hätten. Um eine Ab- sionismus. Die großartigen ersten Zeilen bildung der Realität ging es auch in diesen lauten: „Es ist ein Weinen in der Welt,/ als weniger bekannt als ihre Dichtung. Arbeiten nicht, sondern um ein Suchen ob der liebe Gott gestorben wär,/ und der und Finden der mitgebrachten Vorstellun- bleierne Schatten, der niederfällt,/ lastet als exzentrische Bohémienne im Berlin Künstler sind nicht zu übersehen. Diese gen vom Orient, auch um kompositorische grabesschwer.“ der Künstlertreffpunkte, dem Romani- Impulse setzte Lasker-Schüler so schöp- und farbliche Fragen. Else Lasker-Schüler ist allzu lange nicht schen Café und dem Künstler-Café. Sie ferisch um, dass etwas völlig Neues und Auch in Palästina kam sie von Deutsch- in ihrem eigenständigen bildnerischen war eine bestimmende Zentralfigur der Eigenständiges entstand. land nie los. Wie viele andere Juden, die Schaffen, sondern vor allem als Schrift- künstlerischen Szene Berlins bis die Nati- „Dies war die größte Lyrikerin, die wie sie aus Deutschland verjagt wurden, stellerin („Arthur Aronymus“), Lyrikerin onalsozialisten dieser unvergleichlichen Deutschland je hatte. […] Ihre Themen hielt sie in Jerusalem an der Liebe zur („Hebräische Balladen“; „Mein blaues Weimarer Epoche gewaltsam ein Ende waren vielfach jüdisch, ihre Phantasie ori- deutschen Sprache und Kultur fest, be- Klavier“) oder Dramatikerin wahrgenom- bereiteten. entalisch, aber ihre Sprache war deutsch, müht, zwischen einem zivilisierten und men worden. Dabei ist sie, wie bislang Auch als Künstlerin erfuhr sie Anerken- ein üppiges, prunkvolles, zartes Deutsch, einem barbarischen Deutschland zu un- wenig bekannt, als Zeichnerin und Illust- nung. Stolz notierte sie: „Ganz eigenartig eine Sprache reif und süß, in jeder Wendung terscheiden. In ihrer 1943 in Jerusalem ratorin ihrer eigenen Texte eine herausra- – sagen auch die Maler“. Und das waren dem Kern des Schöpferischen entsprossen. erschienenen Gedicht-Sammlung „Mein gende Vertreterin der avantgardistischen nicht wenige, die sich bereits einen Na- Immer unbeirrbar sie selbst, fanatisch sich blaues Klavier“ stellte sie die Widmung vo- Moderne. men gemacht hatten und die eine in Not selbst verschworen, feindlich allem Satten, ran: „Meinen unvergesslichen Freunden Viele ihre Werke sind nie öffentlich ge- geratene Künstlerin Lasker-Schüler, auch Sicheren, Netten, vermochte sie in dieser und Freundinnen in den Städten Deutsch- zeigt worden, waren bisher unbekannt. materiell, unterstützten: Paul Klee, Au- Sprache ihre leidenschaftlichen Gefühle lands – und denen, die wie ich vertrieben Eine eigene Phantasiewelt scheint auf, die gust Macke, Alexej von Jawlensky, Wassily auszudrücken, ohne das Geheimnisvolle zu und nun zerstreut in der Welt. In Treue“. Welt des „Jussuf, des Prinzen von Theben Kandinsky, Karl Schmidt-Rottluff, Erich entschleiern und zu vergeben, das ihr We- Else Lasker-Schüler starb am 22. Januar – ihr Alter Ego. Orientalismus spielte in Heckel, Emil Nolde oder Oskar Kokosch- sen war“. Niemand hat Else Lasker-Schüler 1945 in Jerusalem und liegt am Ölberg be- ihrem Werk eine wichtige Rolle. Und wer ka und weitere. hymnischer und treffender charakterisiert graben. 30 KULTUR № 9 (25) September 2016 JÜDISCHE RUNDSCHAU „Wie ich in Deutschland jüdisch und erwachsen wurde…“ Ein Gespräch von Dmitrij Belkin zum Erscheinen seines Buches Ein junger ukrainischer Intellektueller, für Juden gibt“. Würdest du die Haltung väterlicherseits jüdisch, kommt 1993 als hinter diesem Sonderstatus als philosemi- „Kontingentflüchtling“ nach Deutsch- tisch, also einer Form des positiven Anti- land. Es ist nicht sein Ziel zu bleiben, semitismus bezeichnen? sondern nach erfolgreichem Studium ins Ich würde hier auf diverse „-ismen“ heimatliche Dnjepropetrowsk zurück- verzichten. Diese Melange aus Schuld- zukehren und dort eine Privatuniversi- gefühlen, Trauer, der Angst, das Wort tät zu gründen. Doch es kommt anders. „Jude“ zu artikulieren, der Liebe zu den Nach verschiedenen Aufnahmestationen abstrakten Juden und den vielen antise- studiert und promoviert er in Tübingen, mitischen Vorurteilen, ist die deutsche dem folgen wissenschaftliche, museale Situation. Die Empathie, Offenheit, und publizistische Tätigkeiten in Frank- Hilfsbereitschaft, der klare Wunsch, das furt, New York und Berlin. Eigene Erfah- jüdische Leben in Deutschland wieder rungen, jüdische Verwandte und Freunde zu sehen – selbstverständlich auch. Doch bringen ihn – der sich zwischenzeitlich das ist die Situation meines Landes, mit in Russland taufen ließ – dem Judentum der ich mich auseinandersetzen muss. seines Vaters näher. Schließlich konver- Nicht „die Deutschen und wir“, sondern tiert er gemeinsam mit Frau und Sohn. der komplexe, gebrochene, aber auch der In dem Buch „GERMANIJA – Wie ich hochinteressante Diskurs in einem Land, in Deutschland jüdisch und erwachsen in dem wir leben. Das ist alles. wurde“ wirft Dmitrij Belkin, der heute Manche deiner Entschlüsse kommen beim jüdischen Ernst-Ludwig-Ehrlich- im Buch ziemlich unerwartet daher. Dein Studienwerk in Berlin tätig ist, einen Entschluss etwa, dich taufen zu lassen, Blick auf die deutsche Zeitgeschichte im wird mit gerade mal zwei sehr allgemei- Spiegel einer sehr persönlichen Erzäh- nen Sätzen begründet: „Ich hatte schon lung. vorher zahlreiche Bücher vieler christli- cher Autoren gelesen und beschloss, mich JÜDISCHE RUNDSCHAU: Du be- taufen zu lassen. Zum einen, weil ich den schreibst, dass du in Moskau bei verschie- blieben sind und keine derartigen illega- für größeres Verständnis als damals? Universalismus des Christentums teilen denen Botschaften westlicher Staaten um len Angebote angenommen haben. Es geht nicht um Vorwürfe. Ich schätze wollte, zum anderen, weil ich mich als ein Visum nachgesucht hättest, ja selbst Deine Kenntnisse über das Judentum diese Menschen unendlich. Ja, ich habe religiös betrachtete und einen religiösen bei afrikanischen Studenten hattest du beim Eintreffen in Deutschland bringst ein deutlich größeres Verständnis, vor Internationalismus erfahren wollte.“ die Chance für eine Aufnahme in deren du treffend auf den Punkt, wenn du be- allem weil ich selber erwachsener und Welche Religion ist universeller und inter- Heimatländern erkundet. Darf man da- schreibst, dass du die Lichter auf den toleranter geworden bin, wie der Buch- nationaler als das Judentum? raus schließen, dass es dir zunächst gar Weihnachtsmärkten für Chanukka- titel auch impliziert. Als Historiker sage Ich möchte, dass die Leserinnen und nicht zwingend um eine Aufnahme in Leuchter gehalten hast. Offenbar hattest ich aber auch nach wie vor: Die komplexe Leser der JÜDISCHEN RUNDSCHAU Deutschland ging? du nie zuvor eine Chanukkia gesehen?! und widersprüchliche sowjetische Reali- verstehen: Die frühen 1990er Jahre waren Belkin: Es ging zunächst nicht zwin- Ich habe tatsächlich zuvor nie eine tät lässt sich auf keinen Fall allein auf den im postsowjetischen Raum die Zeit eines gend um Deutschland. Es ging um das Chanukkia gesehen. Wo denn auch? Pa- Antisemitismus reduzieren. Die Juden freien religiösen Marktes. Die Religionen Bedürfnis auszureisen und um die Of- radox ist, dass vier, fünf Jahre später in haben eine kolossale Rolle in der sowje- kamen zurück, vor allem das Christen- fenheit des Landes, das für mich immer der Ukraine und in Russland Synagogen tischen Geschichte gespielt, auch wenn tum. Das atheistische Land wurde quasi noch UdSSR hieß und die mir temporär wieder voll waren. Und die jüdische Inf- man hier wie überall kaum „die Juden“ über Nacht zu einem christlichen. Ich erschien. Die Reise nach Moskau, zu den war zwanzig und nicht nur buchstäblich Botschaften, war im Übrigen falsch: Ich (es gab kaum was zu essen), sondern konnte zu Beginn der 1990er Jahre, weni-  Ich musste mich und unseren Sohn vor der auch geistig hungrig, habe viel gelesen ge Monate nach dem Zerfall der Sowjet- und nachgedacht. Dazu kam später, nach union, noch nicht wirklich glauben, dass Entscheidung der Rabbinerkonferenz be- der Auswanderung, die Trennung vom die Hauptstadt meines neuen Landes Land, unter der ich in Deutschland zu- nicht mehr Moskau, sondern eine andere, schneiden lassen. Beschneidung ist eine sehr nächst litt. Doch die spätere, definitive nämlich Kiew, ist. Entscheidung fürs Judentum spricht aus Das sowjetische Reich war zusammen- private Angelegenheit, aber für die Zugehö- meiner Sicht für die jüdische Religion: gebrochen – was war dein Hauptmotiv für ich hatte die echte Wahl. Man sagte frü- die Ausreise aus der Ukraine? rigkeit zur jüdischen Schicksalsgemeinschaft her, das Judentum sei eine Vorstufe zum Unter anderem die Tatsache, dass die Christentum gewesen. In meinem und UdSSR zusammen gebrochen war. Die unverzichtbar. unserem Fall war das umgekehrt, was ich neuen Länder, darunter die Ukraine, ka- schön finde. Zum zweiten Teil der Frage: men quasi von heute auf morgen zu uns, rastruktur, die entstanden ist, ist unver- sagen kann und differenzieren muss. Das Judentum ist sowohl universell als nicht wir zu ihnen, und ich habe das nicht gleichbar weiter und entwickelter, als z.B. Sozialarbeiter sind mit euch, den jü- auch partikulär. Was es auszeichnet, ist auf Anhieb als eine Befreiung empfun- in Deutschland. Plötzlich kannten alle dischen Kontingentflüchtlingen, in den der Mut zum Widerspruch an sich. Die den. Oder zumindest nicht nur als eine die Chanukkiot und konnten sie in diver- Film „Schindlers Liste“ gegangen. Wie Millionen jüdischen Bolschewiken woll- Befreiung. sesten Variationen erwerben. hast du als „Neu-Deutscher“ diesen Film ten in den 1920er „diese nationalistische Du beschreibst deinen Weggang als Als du später die Familie Reichmann, empfunden? Tradition“ für immer verlassen, ich wollte „Emigration“. Setzt das eine Bedrohung jüdische Intellektuelle aus Moskau, ken- Ich war damals, vier Monate nach der achtzig Jahre später dieser universalis- voraus? nenlernst, beschreibst du deine Herkunft Einwanderung, noch keinesfalls ein tischen Tradition, Religion und Kultur Ich fürchte, Du bist nicht optimal über als „jüdisch-proletarisch und zugleich „Neu-Deutscher“ und befand mich eher angehören. die Gefährlichkeit und Instabilität der kleinbürgerlich“. Was genau ist darunter in einer ex-territorialen Sowjetunion. Irgendwann schienen dir die beiden Re- damaligen Situation informiert und dar- zu verstehen? Den Ausflug mochte ich nicht so – „die ligionen nicht mehr „plural verbindend“. über, welche Tradition es in Sachen Anti- Das bedeutet, dass man einer urbanen Juden werden vom Amt zum Holocaust- Es kam dir plötzlich „geschmacklos vor, semitismus in der Ukraine gibt. Ein Uni- sowjetisch-jüdischen Mittelschicht ent- Film geführt“. Den Film auch nicht wirk- mal hier und mal da zu naschen“. Nun versitätskommilitone sagte zu meinem stammt, die sich nicht zwingend über das lich. Was mich störte, ist die minutiös warst du ja schon getauft. Welche inneren jüdischen Freund und mir 1992: „Jungs, Intellektuelle definiert. Die Eltern und durchdachte Emotionalität der Darstel- Prozesse haben schließlich dazu geführt, wenn in der Ukraine etwas losgeht, seid Verwandte arbeiteten bei den Betrieben lung. Auch mochte ich das Weinen auf dass du dich für den schwierigen Weg des ihr (Juden) als erste dran.“ und versuchten später, als die sowjetische Knopfdruck nicht so sehr. Dennoch habe Giurs für dich, deine Frau und somit auch Du beschreibst, wie dir unbekann- Wirtschaft kollabierte, das Geld mit den ich den Film seitdem mindestens dreimal für den kleinen Sohn entschlossen hast? te Frauen, die dich in Deutschland im diversen „Kaufen-Verkaufen“ Variatio- gesehen. Später entdeckte ich viele tolle Hier spielt ein richtiges Personalprono- Wohncontainer aufsuchten, 10.000 DM nen zu verdienen. Ich wollte unbedingt Momente bei der Spielberg-Produktion men eine Rolle: Es war zwar „ich“, der das für eine Heirat geboten wurden, weil sie ein Intellektueller werden. Was für eine und der wunderbare Soundtrack zur Ganze initiierte, doch es waren und sind wussten, dass jüdische Kontingentflücht- Illusion, sage ich heute lachend – und bin „Schindlers Liste“ läuft oft in meinem immer „wir“, unsere Familie, vor allem linge eine unbefristete Aufenthaltsge- ein bewusster Intellektueller. Auto-Recorder. meine Frau, und ich, die das realisierten. nehmigung bekommen würden. Ist dir Du hast den Reichmanns damals vor- Deine Professoren sprachen unver- Die inneren Prozesse beschreibe ich im bekannt, ob andere sich auf einen solchen geworfen, dass sie das untergegangene hohlen von der „Rückständigkeit der Buch. Doch wenn man das auf drei zen- Deal eingelassen haben? sowjetische Reich ausschließlich aus der Ostblockleute“, räumten allerdings den trale Stichworte reduzieren würde, wären Ich kenne keinen Fall. Doch natürlich jüdischen Sicht betrachtet und ihre gesell- Juden einen gewissen Sonderstatus ein sie wie folgt: Unser Sohn, den wir jüdisch gehe ich davon aus, dass alle Einwande- schaftliche Analyse auf den Antisemitis- und du bemerkst zutreffend: „…wie es in erziehen wollten, die Schönheit und die rer – männlich wie weiblich – stark ge- mus reduziert haben. Hast du heute da- Deutschland immer einen Sonderstatus überzeugende Kraft der jüdischen Tra- № 9 (25) September 2016 JÜDISCHE RUNDSCHAU KULTUR 31 dition und (bei mir selbst) die realisierte die Pogromnacht überstanden hatte. Es Buch, aber auch für mich persönlich mit das ist eine andere Geschichte). Um Fritz Unmöglichkeit, mich von meiner jüdi- gab diese Fluktuation einer kleinen gro- mehreren Anführungszeichen versehen. Bauer, eine von mir geschätzte Persön- schen Herkunft endgültig zu verabschie- ßen deutschen Stadt, die viele Menschen So nennen sich die Frankfurter ja auch lichkeit, gab es einen sehr bundesrepu- den. anzog, die kamen und gingen. Berlin ist ironisch selbst, wohl wissend, dass „Po- blikanischen „positiven Personenkult“. Nachdem der Beth Din der Allgemei- anders. Die Teilung brachte eine ganz lake“ im Deutschen ein Schimpfwort Es gibt nur wenige „Gute“ in der histo- nen Rabbinerkonferenz dein Judentum andere Geschichte hervor, die in keiner ist. Ich meinte vor allem das mir nicht rischen Erzählung der BRD, die keine bestätigte, musstest du dich beschneiden Weise mit der Geschichte vor 1933 ver- unsympathische Neu-bürgerliche vie- Nazivergangenheit hatten. Der jüdische lassen. In diesem Zusammenhang findet bunden war. Die heutige sogenannte jü- ler Frankfurter Juden, das durchaus das Sozialdemokrat Bauer gehörte dazu. sich in deinem Buch eine Formulierung, dische „Renaissance“ in der Stadt erzählt Kleinbürgerliche ihrer Herkunft verriet. Doch ich sah die Sache etwas komplexer dass „das religiöse Mittelalter in diesem ebenso eine andere Geschichte, nämlich Ich entspannte mich in diesen Milieus, und wollte die Theorie des „feindlichen 21. Jahrhundert gesiegt“ habe. Sollte in- die der Einwanderung der jungen Leu- denn sie waren und sind für einen def- Auslandes“ jenseits seines Generalstaats- nerhalb der jüdischen Gemeinden das te, von denen manche zum Glück bei tigen jiddischen Witz gut, diese Frank- anwaltsbüros in Frankfurt nicht weiter Thema der Beschneidung diskutiert wer- unserem Studienwerk landen. Viele von furter „Möchtegern-Aristokraten“, im verfolgen. Ich war aber sicherlich nicht den? denen betätigen sich kreativ und wollen Unterschied zum Tübinger professoralen taktvoll und diplomatisch genug. Die Ich musste mich und unseren Sohn Milieu, wo sich die akademische Distanz genannten Filme habe ich allesamt gese- vor der Entscheidung der Rabbinerkon- mit der 68er-Rhetorik mischte. Eine hen und würde trotzdem den Katalog der ferenz beschneiden lassen. Beschnei- Mischung, mit der ich damals weniger Frankfurter Fritz-Bauer-Ausstellung und dung ist eine sehr private Angelegenheit, klarkam. In dieser Spannung „intellek- die vom Bauer-Institut vorbereitete DVD aber für die Zugehörigkeit zur jüdischen tuell“ vs. kleinbürgerlich habe ich mich mit den Gesprächen und Interviews Bau- Schicksalsgemeinschaft unverzichtbar. jahrelang selber verstanden. „Basar“ vs. ers aus den Fernseharchiven empfehlen. Über diese Angelegenheit könnte man Universität. Dazu stehe ich im Prinzip Ein Satz im hinteren Teil deines Buches einerseits durchaus scherzen, sie muß bis heute. Und sehe auch den Wert des lautet: „Der Weg zum Tempel ist wichti- man aber auch sehr ernst nehmen. Das „Basars“, der Geschäftswelt, die ich frü- ger, als der Tempel selbst.“ Entspricht das habe ich damals so gesehen und sehe das her etwas verachtete – ich wollte mich deiner Lebensphilosophie? heute noch viel stärker, vor allem vor dem ausschließlich über das Intellektuelle Hierzu erzähle ich eine Geschichte. Hintergrund der ekelhaften Debatte ge- definieren, was ich heute nicht mehr so Wir fuhren in den 1990er Jahren aus gen die Beschneidung, die es vor wenigen eindeutig tue. Deutschland in die Ukraine. Mit einem Jahren gegeben hat und die immer wie- Nach einem Vortrag in den USA wur- furchtbaren Bus. Vor meiner Frau und der aufflammt. Innerhalb der jüdischen dest du von einem älteren Herrn ge- mir saßen zwei Männer. Sie unterhiel- Gemeinden sollte man diese Debatte fragt, wie hart es für dich als Jude sei, in ten sich auf Ukrainisch. Der Bus rum- nicht führen: Die Beschneidung gehört Deutschland zu leben. Nach der Beant- pelte ununterbrochen auf den kaputten zum Judentum. Punkt! Wenn auch die wortung kamst du zu dem Ergebnis: „Ich ukrainischen Straßen. In einem westu- unbeschnittenen Juden selbstverständ- begann mich in Amerika immer deutscher krainischen Dorf sahen wir eine entste- lich zur Gemeinschaft gehören – eine an- zu fühlen. Fremdenfeindlichkeit und An- hende riesige Kirche. „Schau mal“, sagte dere Auffassung wäre schlicht autoritär. tisemitismus in Deutschland machten mir ein Mann, „die bauen eine Kirche, wie Was die damalige Zeit angeht, so führ- keine Angst mehr.“ Ist es dabei geblieben? schön!“ Daraufhin erwiderte der Andere: ten meine Frau und ich eine „Familien- Ich berichte über meine damaligen Ge- „Es wäre noch schöner, sie würden hier Beschneidungsdebatte“ angesichts der fühle, und zwar ganz ehrlich. Heute sehe eine vernünftige Straße bauen“. Als ich Brit Mila unseres Sohnes: „Sollte man ich die Angelegenheit differenzierter, und diese Geschichte Evgenij Abramowitsch das dem Kleinen antun?“ Doch das war es gibt viele Dinge und Entwicklungen in Tschernow, meinem Universitätslehrer de facto eine Scheindebatte: Wir waren Deutschland, die mir Sorge bereiten; von und Freund in Dnjepropetrowsk erzähl- fest entschlossen, zögerten aber als Eltern das Demokratische und Vielfältige der Angst ist das aber weit entfernt. Deutsch- te, sagte er: „Der Weg zum Tempel ist massiv. Ich hoffe, das ist nachvollziehbar. Stadt genießen. Doch entscheidend ist: land ist mein Land, mit dem ich mich wichtiger, als der Tempel selbst“. Wir Doch wir haben, so bestätigt auch unser Was sich heute im jüdischen Berlin an durchaus kritisch auseinandersetze, ohne lachten und ich denke heute, um einige Sohn, richtig gehandelt. jüdischer Vielfalt, aber auch an Konflik- positive Seiten auszublenden. Erfahrungen reicher: beides ist wichtig, Deine erste Israel-Reise war ein For- ten abspielt, wird sich morgen, spätestens Als Ausstellungsmacher in Frankfurt, der Tempel bzw. die Synagoge, und der schungsaufenthalt im Jahr 2001. „Die übermorgen, im jüdischen Deutschland so schreibst du, hättest du dich schwer ge- Weg zu ihr. zweite Intifada der Palästinenser war da- abspielen. Berlin steht für die Gegenwart tan mit dem Mythos, der um den jüdischen bei das Land zu zerreißen“ und du nennst und hoffentlich für die Zukunft der Juden Staatsanwalt Fritz Bauer entstanden sei. Das Gespräch führte das einen „nicht ganz glücklichen Stern“ im Land. Auch steht die größte Gemein- Du wolltest „das Spiel Bauer versus deut- Gerhard Haase-Hindenberg unter dem die Reise gestanden habe. Wie de Deutschlands für die postsowjetisch- sche Gesellschaft nicht mitmachen“. Nun aber hast du den jüdischen Staat emotio- jüdische Einwanderung in die DDR und haben sich in den letzten Jahren nicht we- Das Buch „Germanija – Wie ich in nal wahrgenommen? dann ins wieder vereinigte Deutschland. niger als drei Filme mit seiner Person be- Deutschland jüdisch und erwachsen wur- Sehr stark positiv, wobei meine isra- Berlin ist – nicht nur jüdisch gesehen – schäftigt. Lebt der von dir kritisierte Fritz de“ erscheint am 8. September im cam- elisch-amerikanische Cousine Bonnie eine der interessantesten Städte der Welt. Bauer-Mythos fort oder gibt es auch eine pus-Verlag; 19,95 € Belkin-Baram dabei eine wichtige Rolle Dir gefiel das „Polakenhafte“ der dir genehmere, kritischere Rezeption? spielte. Sie hat mir geholfen, sowohl Israel Frankfurter Juden, weil du dieses Milieu Ich komme nun aus der Perestrojka- Die Buchvorstellung findet am Mittwoch als auch Amerika mit den vielen Belkins aus deiner Heimat kanntest. Was muss Zeit in der späten Sowjetunion, in der den 14. September, um 18.00 Uhr, in der dort zu entdecken. Israel war und bleibt sich dein Leser darunter vorstellen? diverse Personenkulte zerstört wurden Berliner Stiftung Neue Synagoge - Cent- für mich, wie auch das Judentum selbst, Dieses „Polakenhafte“ habe ich im (um später wiederbelebt zu werden, doch rum Judaicum statt. ein tolles Land der feinen und weniger feinen Menschen und ein jüdisches Land der zugelassenen und gelebten Wider- sprüche – menschlich, politisch, religi- ös, kulturell. Und ja, ich habe eine starke emotionale Bindung an das Land, die ich hier nicht in zusätzliche Metaphern klei- den möchte. Du kamst über einen Abstecher nach New York schließlich nach Frankfurt und schreibst, sie sei die einzige Stadt in Deutschland, in der nach der Schoah noch so etwas wie eine „jüdische Atmo- sphäre in der Luft“ liege. Heute lebst du in Berlin. Würdest du diese These tatsäch- lich aufrechterhalten wollen? Es gab in Frankfurt einige Kontinuitä- ten zur Vorkriegszeit, wobei ich mir na- türlich im Klaren bin, dass diese Konst- ruktionen ziemlich subjektiv sind. Es gab fine flowers irgendwann in den späten 1960er/70er Jahren den Geist der Stadt wieder – einer offenen, liberalen Stadt der Geschäfts- leute, den die jüdischen Akteure der Nachkriegszeit verkörperten. Mit ihrer polnischen und ungarischen Herkunft, mit ihren Holocaust-Biographien – und trotzdem konnten sie irgendwie anknüp- fen. Es gab die „Frankfurter Schule“, die nach dem Krieg z.T. wieder in Frankfurt war. Es gab die Westendsynagoge, die Schlüterstr. 63 – 10625 B | Tel.: 32769600 | www.rosaundbella.de

32 KULTUR № 9 (25) September 2016 JÜDISCHE RUNDSCHAU UCLA in Kalifornien: Der Fall Milan Chatterjee Wie BDS-Aktivisten pro-israelische Studenten erfolgreich an den Rand drängen Von Marius Bischoff

Jung, dynamisch und voller Elan – das sind Eigenschaften, die den Jurastu- denten indischer Abstammung, Milan Chatterjee, sehr präzise beschreiben. Er war zu Tränen gerührt als er Anfang Juli auf der alljährlichen Konferenz des Glo- bal Forums, durch das American Jewish Committee (AJC) ausgezeichnet wurde. Seine Geschichte ergriff nicht nur das amerikanische, sondern auch das inter- nationale Publikum. Mit Stolz und mit viel Charme nahm er den sogenannten Campus Courage Award in Empfang, der ihn als „nicht-jüdischen Verbündeten gegen BDS (Boycott, Deinvestment und Sanctions)“ auszeichnen sollte. Wie kein anderer hat sich Milan Chat- terjee gegen die BDS-Bewegung an sei- ner kalifornischen Universität UCLA (University of California, Los Angeles) ausgesprochen. Doch dies hat nun zu un- erfreulichen Konsequenzen für den jun- gen Mann geführt: Chatterjee wird nicht länger an der renommierten UCLA-Uni- versität bleiben und hat sich entschieden sein Studium abzubrechen. Milan Chatterjee, der sich im dritten Jahr seines Jurastudiums befindet und ehemaliger Präsident der jetzigen UCLA- Studentenvereinigung (Graduate Stu- dent Association GSA) ist, sprach mit der amerikanischen Zeitung Algemeiner ei- Studenten der stark jüdisch geprägten Universität UCLA. nen Tag nach seiner öffentlichen Ankün- digung, dass er seine jetzige Universität jetziges Verhalten schämen, da sie bis und Aktivisten erlitten habe, zu verlassen. Studenten bleibt – sowohl jüdische als aufgrund des „feindlichen und unsiche- jetzt keine Maßnahmen ergriffen hat, „Die UCLA ist eine der besten Univer- auch nicht-jüdische Studenten – , die ren Klimas am Campus“, verstärkt durch und eher mit den Studenten der BDS- sitäten der Welt. Es ist sehr bedauerlich, sich dafür entschieden haben, die BDS- diverse BDS-Gruppen und die UCLA- Gruppen sympathisiert, die Schikanen dass ihre Verwaltung nicht nur BDS- Bewegung nicht zu unterstützen,oder gar Verwaltung, verlassen wird. gegenüber meiner Person gebilligt haben. Organisationen und Studentenaktivis- Stellung pro-Israel zu beziehen.“ Chatterjee findet klare Worte und ist Ich bin nicht der erste Student, und ich ten erlaubt hat, offen dazu beizutragen, Besonders skandalös ist das Heraus- von seiner Universität enttäuscht, an der werde auch nicht der letzte sein.“ Studenten einzuschüchtern, die nicht die drängen pro-israelische Studenten aus er keinerlei Rückhalt mehr für seine Mei- In einem scharf formulierten Brief an BDS-Agenda unterstützen, sondern sich der Campuspolitik, wenn man bedenkt, nungen und Ansichten findet. die UCLA-Direktorin Gene Block in auch entschlossen hat, auf diskriminie- welche großen Anteil Juden an der Ent- „Es ist sehr beängstigend, wie BDS- der letzten Woche sagte Chatterjee, dass rende Art und Weise gegen diese Studen- stehung und dem Gedeihen der UCLA Aktivisten auf jegliche Maßnahme zu- er „keine andere Wahl“ hatte, außer die ten vorzugehen. Ob Sie es anerkennen hatten und haben – zahlreiche Gebäude rückgreifen, um den Ruf und die Karri- Schule aufgrund der unnachgiebigen An- wollen oder nicht, es bleibt eine Tatsache, sind von Juden gespendet, wie die außen eren von Menschen zu zerstören“, sagte griffe, des Mobbings und der diversen Be- dass der UCLA-Campus ein feindliches an den Gebäuden genannten Namen für Chatterjee. „Die UCLA sollte sich für ihr lästigungen, die er durch BDS-Gruppen und unsicheres Umfeld für diejenigen jederman sichtbat dokumentieren. Liebe Leserinnen, liebe Leser, in der digitalen Welt, in der wir leben, darf unsere Redaktion sich nicht auf die gedruckte Zeitung beschränken. Denn die Verbreitungsmöglichkeiten der Zeitung auf Papier sind beschränkt. Sie bekommt man nicht unbedingt in jedem Pres- sekiosk – besonders in kleineren Orten ist das problematisch. Sie wird nicht überall ins Ausland ausgeliefert, und wenn, dann mit einigen Tagen Verspätung. Eine Abo-Lieferung ins Ausland kostet zusätzlich. Aber auch wenn alle diese Schwierigkeiten auf Sie nicht zutreffen und Sie vor der Haustür einen Pressekiosk haben, wo die Zeitung regelmäßig angeboten wird, möchten Sie möglicherweise nicht immer vor die Tür gehen und in der Zeitung blättern (falls das vom Kioskbesitzer geduldet wird), bevor Sie sie kaufen. Für alle, die es bequem, schnell und ohne geografische Einschränkungen mögen, bieten wir nun eine neue Vereinfachung: Kaufen Sie jede einzelne Ausgabe der „Jüdischen Rundschau“ oder abonnieren Sie die Zeitung als e-Paper. Das bringt Ihnen nur Vorteile: • Sie können die Zeitung lesen noch bevor sie an die Kioske und zu den Abonnenten der Druck-Ausgabe kommt. • Sie können die Zeitung bzw. einzelne Artikel bequem elektronisch archivieren, ohne viel Papier zu Hause zu stapeln. • Sie können sich vor der Kaufentscheidung einen Eindruck über den Inhalt der aktuellen Ausgabe verschaffen, ohne einen kritischen Blick des Kioskbesitzers ertragen zu müssen. • Sie können die Zeitung an jedem Ort der Welt lesen, wo Sie Internet haben – ohne zeitliche Verzögerungen und ohne Aufpreis. • Sie sparen Geld – die Einzelausgabe kostet als e-Paper 3 Euro statt 3,70 Euro am Kiosk, das Jahresabo 33 Euro statt 39 Euro für die Druckausgabe. • Und nicht zuletzt tragen Sie sogar zum Schutz der Umwelt bei. Um all diese Vorteile zu nutzen, brauchen Sie nur unsere Website www.juedische-rundschau.de zu besuchen. Ein Button für den Kauf der Zeitung als e-Paper finden Sie sowohl auf der Hauptseite (oben rechts und ganz unten im Menü „Service“) als auch hinter jedem einzelnen Artikelausschnitt in der Online-Version der Zeitung. № 9 (25) September 2016 JÜDISCHE RUNDSCHAU GESCHICHTE 33 Ludwig Landmann, der letzte jüdische Bürgermeister von Frankfurt vor Peter Feldmann Ein politischer Würdenträger verhungert elendig in seinem Versteck Von Monika Winter

Ludwig Landmann war in Zeiten der Weimarer Republik von 1924 bis 1933 Oberbürgermeister der Rhein-Main-Me- tropole Frankfurt. Geboren wurde Land- mann 1868 in Mannheim als Sohn einer armen jüdischen Familie. Seine Herkunft hielt Ludwig von einer großen Karriere ab, aber auch sein Tod im Exil in den Nie- derlanden war damit besiegelt. Von 1877 bis 1886 besuchte Landmann das Mannheimer Gymnasium. 1886 begann er ein Studium der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften in Heidel- berg, München und Berlin. Ludwig woll- te Staatsbeamter werden, war jedoch oft antijüdische Vorurteilen in der badischen WIKIPEDIA Justizverwaltung ausgesetzt. Er ging in den Kommunaldienst und wurde städ- tischer Jurist. Als persönlicher Referent des Oberbürgermeisters in Mannheim und 1898 als Stadtsyndikus wurde ihm eine exzellente Laufbahn eröffnet. Ab Ludwig Landmann Gedenktafel für Landmann an dessen Wohnhaus in Frankfurt-Sachsenhausen. 1909 war Landmann Dozent an der Han- delshochschule bis er Mannheim verließ und Stütze der Weimarer Republik. Als list Friedrich Krebs. Dessen Magistrat finanziellen Reserven waren schnell auf- und besoldeter Stadtrat in Frankfurt am Hitler am 30. Januar 1933 an die Macht verfügte noch im Jahr 1933, die Pensi- gebraucht. Ausreiseversuche scheiterten. Main wurde. Das war der Zeitpunkt, kam, blieb Ludwig Landmann nur onszahlungen an Ludwig Landmann Deshalb mussten die Landmanns fliehen, als er sich von der jüdischen Gemeinde noch sechs Wochen im Amt. Am 12. einzustellen. Das Ehepaar Landmann sie gingen am 11. August 1939 ins Exil in trennte. Geholfen hat ihm dies natürlich März wurde bereits nach Landmann lebte jetzt in Berlin in der Anonymität die Niederlande, der Heimat der Ehefrau. letzten Endes nichts. gefahndet, allerdings war er auf Ver- und hoffte auf Schutz. Hier erlitt Ludwig 1940 wurde das Restvermögen beschlag- Am 26. Oktober 1916 wurde Land- wandtenbesuch außerhalb Frankfurts Landmann seine erste Herzattacke, die nahmt und Ludwig Landmann die deut- mann in Frankfurt mit 40 von 51 Stim- und die Fahndungen verliefen erfolglos. sich sehr schnell zu einer chronischen sche Staatsbürgerschaft aberkannt. Als men zum Dezernenten für Wirtschaft, Seine Freunde rieten ihm unter Beibehal- Krankheit entwickelte. die deutsche Wehrmacht im Mai 1940 in Wohnungswesen und Verkehr gewählt. tung seiner Altersbezüge um Eintritt in Natürlich war auch Landmann nicht die Niederlande einmarschierte, war sein Hier konnte er seine Methode aus Mann- den Ruhestand zu bitten. davon verschont, Zwangsabgaben wie Leben abermals gefährdet. heim einbringen, durch eine planmäßig Die ständige nagende Angst vor Depor- arbeitende Verwaltung wirtschaftliche tation schadete weiterhin seiner Gesund- Standortnachteile und Konjunkturrück- A m 2. Oktober 1924 erreichte Landmann heit. Landmann wurde von Freunden schläge auszugleichen. Landmann er- und Nachbarn über den Zeitraum von kannte auch schon früh die Gefahr einer den Höhepunkt seiner Karriere und wur- mehreren Jahren versteckt. Schwer un- schleichenden Rezession. terernährt, herzkrank und mittellos ver- Am 2. Oktober 1924 erreichte Ludwig de zum Oberbürgermeister von Frankfurt. starb Ludwig Landmann unter elenden Landmann dann den Höhepunkt seiner Bedingungen kurz vor Kriegsende und Karriere und wurde zum Oberbürger- Zusammen mit dem Stadtkämmerer Bruno Befreiung im niederländischen Voor- meister der Stadt Frankfurt gewählt. Zu- burg. Bruno Asch, der als Stadtkämmerer sammen mit dem Stadtkämmerer Bruno Asch – ebenfalls jüdischer Herkunft – wirk- zusammen mit Ludwig Landmann wirk- Asch – ebenfalls jüdischer Herkunft – te, floh ebenfalls in die Niederlande nach wirkten hier zwei erfolgreiche Menschen ten hier zwei erfolgreiche Menschen der Amsterdam und beging 1940 Selbst- der deutschen Kommunalpolitik der mord. Seine Frau und Tochter wurden Weimarer Zeit. Dazu gehörte auch Ernst deutschen Kommunalpolitik der nach Sobibor verschleppt und ermordet. May als Siedlungsdezernent, ebenfalls jü- 1987 veranlasste der Frankfurter Stadt- discher Herkunft. Weimarer Zeit. rat Hans-Erhard Haverkamp die sterbli- Landmann fühlte sich als Liberaler chen Überreste von Ludwig Landmann und war Mitglied der DDP. Die DDP nach Frankfurt in ein Ehrengrab auf dem war eine demokratische Partei und Der neue Oberbürgermeister Frank- Reichsfluchtsteuer und Judenvermö- Hauptfriedhof zu überführen. Eine sehr neben der SPD aktive Befürworterin furts wurde nun der Nationalsozia- gensabgaben an die Nazis zu zahlen. Die späte Geste – aber besser als nie.  Im Namen der Kita Delbrückstraße danken wir für die großzügigen Spenden zur Realisierung des diesjährigen Sommerfestes

Familie Jundef Familie Portugalov Familie Wollmann Familie Jachimovicz Familie Wayzelfisz Familie Korenzecher Familie Süsskind Schalldruck GmbH Allianz Versicherung 34 GESCHICHTE № 9 (25) September 2016 JÜDISCHE RUNDSCHAU Eugen Richter – ein Nichtjude kämpft im Reichstag gegen Antisemitismus Erinnerung an einen standhaften, fast vergessenen Demokraten der Kaiserzeit Von Dr. Nikoline Hansen verdrossen bekämpfte – eine konsequen- werden als die Deutschen, lediglich te Politik, die den Liberalen am Ende al- wegen ihrer Abstammung. Die Frei- Es gibt nur wenige Persönlichkeiten in lerdings Wählerstimmen kostete. sinnige Partei hat auch gegen die soge- der Politik, die erkannt haben, dass die nannten Polengesetze gestimmt, weil größten Feinde einer liberalen Gesell- Die Liberalen des Kaiserreichs sie in denselben kein taugliches Mittel schaft Stigmatisierung und Ausgren- hatten es schwer sich zu erkennt, die Assimilirung der Polen zung sind. Und es gibt nur wenige Politi- profilieren mit dem Deutschtum zu fördern. Die ker, die sich konsequent dafür eingesetzt Überhaupt hatten die Liberalen in Massenausweisungen russischer und haben, diesen Feinden entschieden ent- Deutschland schon immer einen schwe- österreichischer Polen haben nicht nur gegen zu treten. ren Stand: Richter selbst begann seine die wirtschaftlichen Verhältnisse vieler Ein Liberaler, der dies aufrichtig politische Karriere als Abgeordneter in Orte durch den Verlust von Steuerzah- tat und trotzdem – oder vielleicht ge- der Fortschrittspartei, von 1884-1893 lern und wirtschaftlich nützlicher Exis- rade deshalb? – heute fast in Verges- war er Abgeordneter für die Deutsche tenzen geschädigt, sondern auch Re- senheit geraten ist, ist Eugen Richter. Freisinnige Partei und von 1893 bis zu pressalien namentlich in Rußland gegen Das mag in erster Linie auch daran lie- seinem Tod 1906 in der Freisinnigen die Deutschen hervorgerufen, welche zu gen, dass Kämpfer für liberale Ideen Volkspartei. den lebhaftesten Beschwerden Veranlas- in Deutschland nicht gerade populär In seiner Funktion als Abgeordneter sung gaben.“ sind, zumal Richter den Sozialismus WIKIPEDIA trat er in erster Linie für einen liberalen für eines der größten Übel hielt und die Eugen Richter Rechtsstaat ein und bekämpfte vehement „Interpellation Hänel betreffend Bismarck‘schen Sozialgesetze deshalb ausgrenzende Gesetzgebungen, so unter die Agitation gegen die auch entschieden ablehnte. Trotzdem In seinem politischen Wirken bewies anderem das Jesuitengesetz vom 4. Juli jüdischen Staatsbürger“ gilt Eugen Richter, geboren am 30. Juli er einen erheblichen Weitblick und 1872, das dem Jesuitenorden im Deut- Wenig bekannt ist auch Eugen Richters 1838 in Düsseldorf, als linker Liberaler. wenn es darum ging, liberale Positionen schen Kaiserreich ein Niederlassungsver- Engagement gegen den Ende des 19. Er war einer der ersten deutschen Be- überzeugend zu vertreten, kam ihm sein bot erteilte sowie die ebenfalls von Otto Jahrhunderts vehement aufflammenden rufspolitiker und wird vor allem deshalb rhetorisches und schriftstellerisches von Bismarck initiierten Polenausweisun- Antisemitismus. In einer Rede am 12. gewürdigt, weil er als einer der brillan- Talent zu gute. Noch heute lesenswert gen. Hierbei wurden ab 1885 etwa 35.000 Januar 1881 sagte Richter: „1870 schlu- testen Rhetoriker des Preußischen Ab- ist seine unerfreuliche Vision einer un- russische und österreichische Staatsange- gen sich die Deutschen tapfer gegen den geordnetenhauses und des Deutschen freien Welt, wie sie die Sozialisten seiner hörige aus dem Königreich Preußen aus- Feind, heute glaubt man ein tapferer Reichstags gilt. Ansicht nach wünschten und forder- gewiesen, von denen ein nicht unerhebli- Deutscher zu sein, wenn man erst die Richter selbst entstammte einer klas- Juden hinaushaut und dann unter sich sischen bürgerlichen Familie, der Vater in Versammlungen allerlei Klatschge- war Arzt, die Herkunft der Mutter aus „ 1870 schlugen sich die Deutschen tapfer schichten über sie erzählt, die nicht einer Postmeisterfamilie bodenstän- nur keines deutschen Mannes, sondern dig. 1856 begann Eugen Richter ein gegen den Feind, heute glaubt man ein tap- überhaupt keines erwachsenen Man- Studium der Rechtswissenschaften an nes würdig sind!“ Bereits im Novem- der Universität Bonn. Nach einem Jahr ferer Deutscher zu sein, wenn man erst die ber 1880 war „die Judenfrage“ vor dem wechselte er nach Heidelberg, später an preußischen Landtag verhandelt wor- die Friedrich-Wilhelm-Universität zu Juden hinaushaut und dann unter sich in den, nachdem antisemitische Bestre- Berlin und schloss schließlich 1859 sein bungen durch Heinrich von Treitschke Studium in Bonn ab. Nach erfolgreicher Versammlungen allerlei Klatschgeschichten und Adolf Stoecker Auftrieb bekamen, Ablegung des Referendarsexamens war die spezielle Gesetzgebungen forderten, er dann als Regierungsreferendar in über sie erzählt, die nicht nur keines deut- um die Einwanderung von Juden ein- Düsseldorf tätig. zuschränken und sie vom öffentlichen Als überzeugter Liberaler auch an der schen Mannes, sondern überhaupt keines Dienst auszuschließen. Die zweitägige Seite von Kneipenwirten Debatte, die auf die „Interpellation Hä- Den ersten Gegenwind bekam er 1862 erwachsenen Mannes würdig sind!“ nel“, einer Anfrage „betreffend die Agi- zu spüren, nachdem er die wirtschafts- tation gegen die jüdischen Staatsbürger“ liberale Schrift „Über die Freiheit des folgte, ist seinerzeit dokumentiert wor- Schankgewerbes“ verfasst hatte, in der ten – eine Schrift, mit der er sich keine cher Teil – fast ein Drittel – Juden waren. den und wurde von der Universitätsbi- er die preußische Gewerbepolizei kriti- Freunde machte. Sie erschien unter dem Dieses Gesetz war bereits eine Folge des bliothek Frankfurt am Main 2007 di- sierte, weil diese willkürlich und nicht Titel „Sozialdemokratische Zukunftsbil- in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gitalisiert, sodass sie als PDF öffentlich auf einer juristischen Grundlage handel- der: Frei nach Bebel“ – ein Gesellschafts- verstärkt aufflammenden Antisemitismus. zugänglich ist. te. Die Düsseldorfer Regierung erteilte „Nein, meine Herren, die Juden ihm daraufhin einen disziplinarischen schlägt man und die Liberalen meint Verweis. Auch in der Folge blieb er in man.“ seiner Meinung unbequem, forderte Die Rede von Eugen Richter vom 22. konsequent eine gerechte Rechtsstaat- November 1880 zeugt von dem Versuch, lichkeit und blieb den demokratischen Gerüchte und Mutmaßungen mit Fak- Grundsätzen einer Gesellschaft, in der ten zu widerlegen – und die Regierung alle gleich behandelt werden, verbun- zu einem eindeutigen Abrücken von den den. antisemitischen Petitionen zu bewegen: Nachdem er 1864 zum Bürgermeis- „Eben um der Regierung eine Gelegen- ter von Neuwied gewählt worden war, heit zu bieten, sich darüber auszuspre- verweigerten ihm die preußischen Be- chen, wie sie dazu steht, einschließlich hörden die notwendige Erlaubnis zur des Reichskanzlers, das ist der Grund, Ausübung dieses Amtes und beabsich- weshalb wir die Interpellation gestellt tigten, ihn ohne Bezüge nach Bromberg haben, und wir freuen uns des Erfolges (im weit entfernten Westpreußen) zu und wünschen, daß im ganzen Lande versetzen. Dieser Maßnahme kam er von nun an eine kräftige Reaktion diese zuvor, indem freiwillig aus dem Staats- antisemitische Bewegung niederschlägt, dienst ausschied und eine Stellung bei die wahrlich nicht zur Ehre und zur Zier der „Magdeburger Feuerversicherung“ unseres Landes gereicht.“ Leider ist annahm. Sein politisches Engagement diese Forderung ein frommer Wunsch vermochte er allerdings trotz dieser wid- geblieben. Da hat auch die Erkenntnis rigen Umstände nicht aufzugeben, so- wenig genutzt, dass es bei der „Judenfra- dass er sich als freier Publizist und Par- „Nieder mit dem Antisemitismus” prangt auf dieser von Eugen Richter herausgebrachten Zeitung. ge“ eigentlich um eine politische Ausei- lamentsberichterstatter betätigte und nandersetzung ging, einen Machtkampf schließlich der Politik als Beruf zuwand- entwurf, der durchaus weitsichtig war, Eugen Richter selbst schreibt dazu in um die weitere Entwicklung Deutsch- te: 1867 gehörte er für die Fortschritts- wenn man die tatsächlichen Folgen der seinem „Politischen ABC“: „Die Freisin- lands. Eines der bekanntesten Zitate aus partei dem Konstituierenden Reichstag mehrfach ins Extreme gesteigerten so- nige Partei hat gegen die sogenannten dieser Rede lautet „Nein, meine Herren, des Norddeutschen Bundes an und von zialistischen Politik des 20. Jahrhundert Polengesetze im Abgeordnetenhause die Juden schlägt man und die Liberalen 1869-1905 war er im preußischen Abge- betrachtet, die am Ende in Diktaturen schon darum gestimmt, weil dieselben meint man.“ ordnetenhaus tätig. mündete. Bekanntheit erlangte er zu sei- einen Ausnahmecharakter haben und Es ist bedauerlich, dass das Wirken Gegen Sozialismus und Antisemitis- ner Zeit in erster Linie dadurch, dass er die Staatsbürger polnischer Herkunft von Eugen Richter heute fast in Verges- mus Bismarck und dessen Sozialreformen un- durch diese Gesetze schlechter gestellt senheit geraten ist. № 9 (25) September 2016 JÜDISCHE RUNDSCHAU GESCHICHTE 35 Gedanken zum Gedenken Vor 77 Jahren begann der Zweite Weltkrieg JJANEK SKRAZYNSKI / AFP

Von Monty Aviel Ott Anzahl der Perspektiven erst recht ins von 1939 zurückbesinnen, dann sollten tude sich von historischen Vergleichen Exponentielle steigert, wenn man den wir auch darüber nachdenken, wie die- fernzuhalten. Man muss nicht gleich 77 Jahre sind vergangen. Vor 77 Jahren Raum jüdischer Gemeinden verlässt. ser Krieg beendet worden ist. „Guten Morgen 1933“ schreien, wenn brach der nationalsozialistische Terror Die Blickwinkel auf die Geschichte Auschwitz ist nicht mit Sonnen- die AfD eine Wahl gewinnt, das wäre über Europa herein. Es gab Millionen sind mit den jeweiligen Gedenkkonst- blumen und Friedenskettchen befreit ahistorisch. Es finden sich treffendere Tote. Die genaue Zahl ist bis heute un- ruktionen verbunden und nötigen dem worden, sondern mit Panzern und Ausdrücke und passendere Vergleiche, bekannt, was nicht zuletzt am industri- Einzelnen eine Reaktion ab: Abwehr Gewehren. Das nationalsozialistische um klarzumachen, was man von dieser ellen Terror der Konzentrations- und oder Akzeptanz. Unrechtsregime wurde nicht mit Süß- Partei und ihrer Ideologie hält. Vernichtungslager liegt. Das unfassba- Es gehört zum Prozess des Auf- holzraspelei, sondern Kampfbombern Ein anderer Blickwinkel schwebt re Leid, das in diesen Jahren herrschte, wachsens in dieser Gesellschaft, dass und Soldaten besiegt. In den uns vo- mir vor, einer in dem die historischen hat seine tiefen Spuren bis heute hinter- man einen Blickwinkel adaptiert, oder rauseilenden Generationen wurde auf Kontinuitäten betont werden. Wie lassen. In diesem September wird zum diverse Blickwinkel reflektiert. Die diverse Art und Weise ein Umgang haben sich verschiedene Anteile der 77. Mal der Jahrestag des Kriegsbe- nationalsozialistischen Ideologie vor ginns begangen. Ich habe mir Gedan- 1933 und nach 1945 in der deutschen ken über das Gedenken gemacht. A uschwitz ist nicht mit Sonnenblumen und Gesellschaft fortentwickelt? Um ge- Vor 77 Jahren starteten die Deutschen samtgesellschaftlichen Fortschritt zu und ihre Helfervölker den Versuch Eu- Friedenskettchen befreit worden, sondern erreichen, sollte man bereit sein, die ropa judenrein zu machen. Die deut- Gesellschaft zu kritisieren und die ei- sche Wehrmacht brach auf einen Krieg mit Panzern und Gewehren. Das national- gene Weltsicht zu reflektieren. Unbe- zu entfesseln, wie ihn die Welt noch dingter Pazifismus hält dieser Realität nicht gesehen hatte. Es waren sechs sozialistische Unrechtsregime wurde nicht stand. Die Welt ist eben nicht Jahre Krieg, doch nie zuvor und nie da- schwarz und weiß, sondern besitzt nach gab es etwas Vergleichbares. Die nicht mit Süßholzraspelei, sondern zahlreiche Graustufen. Es muss im schreckliche Hybris aus Vernichtungs- Einzelfall abgewogen werden wie man krieg und industriellem Massenmord Kampfbombern und Soldaten besiegt. reagiert. Wenn ein Regime allerdings bildet bis heute eine Singularität. Vie- sukzessive den Bau atomarer Waffen le Staaten in Europa ringen mit ihrem vorantreibt und dabei immer wieder Erbe, das teilweise nicht unterschiedli- angesprochenen Reaktionen können mit dieser Geschichte gesucht. Heute von der Eroberung Jerusalems und cher sein könnte. Das merkt man allzu beispielsweise dazu führen, dass sich versuchen etliche einen Schlussstrich der Vernichtung Israels schwadroniert häufig in jüdischen Gemeinden. Hier Menschen gegen Krieg aussprechen. zu ziehen. Goethe und Schiller statt und phantasiert, dann sollte man als treffen beispielsweise Geflüchtete aus Sie ziehen dann zu Ostermärschen los Hitler und Himmler. Fakt ist jedoch, Regierung die eigenen diplomatischen der ehemaligen Sowjetunion auf Kin- oder halten Reden gegen den Krieg dass alle vier zu dem nationalen Nar- Mittel hinterfragen. Insbesondere der und Enkel der Überlebenden aus am Jahrestag des 1. Septembers. Ohne rativ dieses Landes gehören. Einen dann, wenn sie den Weg zur Bombe Deutschland. Zweifel – Krieg ist schrecklich. Eine adäquaten Umgang formulierte bei- pflastern. Nationale Narrative können hier eine Welt ohne Krieg wäre eine bessere. spielsweise Theodor W. Adorno: „Die Sacha Baron Cohen zitiert häufig komplizierte Rolle spielen. Selbstver- Aber wir leben nicht in einer Traum- Forderung, daß Auschwitz nicht noch wie er einst in einem Seminar bei Sir ständlich gibt es unter denjenigen, die welt, sondern in der Realität. Und in einmal sei, ist die allererste an Erzie- Ian Kershaw, dem renommierten His- im Zuge der sogenannten „Kontingent- dieser Realität gibt es Individuen und hung.“ Bisher scheint die Forderung toriker, gesessen hat und den Satz hör- flüchtlinge“ nach Deutschland gekom- Kollektive, die dazu bereit sind Men- Adornos aufzugehen, hat doch in den te: „Der Weg nach Auschwitz war mit men sind, auch zahllose Familien, de- schen zu unterjochen, zu versklaven vergangenen Jahrzehnten nichts das Gleichgültigkeit gepflastert.“ Gerade ren Angehörige und Freunde ermordet und zu ermorden, um ihre Ziele zu er- Licht der Erde gesehen, was mit der im Gedanken daran, wie vor 77 Jah- wurden. Dennoch lebte man mit dem reichen. Mordfabrik zu vergleichen wäre. ren ein Unrechtsregime Terror über nationalen Narrativ der Siegernation. Trotz des Schreckens, den Krieg mit Allerdings gibt es immer noch den ganz Europa ausbreitete und dabei Hier gab es viele Kriegshelden, die sich bringt, ist er ein probates Mittel, gleichen alten Hass. Antisemitismus, Unschuldige verfolgte und ermordete, den Faschismus in Europa zurückge- um diejenigen aufzuhalten, die eine Rassismus, Sexismus, etc. sind immer sollte man heute rechtzeitig einschrei- schlagen haben. Diejenigen jüdischen Terrorherrschaft errichten wollen oder noch sehr lebendig in dieser Gesell- ten, wenn Homosexuelle an Baukrä- Familien, die in Deutschland überlebt dies bereits getan haben und die damit schaft. Und über diese Gesellschaft nen aufgehängt werden, oder blut- hatten, oder kurz nach dem Krieg hier drohen, Massaker und Massenmor- hinaus, gibt es immer noch dieselben rünstige Terrorbrigaden Menschen verblieben waren, wuchsen mit dem de anzurichten. Keineswegs möchte Terrorfürsten. Da fallen mir heute die enthaupten. Aber im Jahre 2016 sind Narrativ auf, dass Jüdinnen und Juden ich sagen, dass Kriege der Diplomatie Mordbanden von Daesh (auch bekannt wir um das Wissen reicher, was aus zur Schlachtbank geführt worden wa- überlegen sind und man sich vorschnell als „Islamischer Staat“) oder das nach solch (noch) lokale begrenzten Grau- ren. Erzählungen wie der Warschau- in sie stürzen sollte. Nein, ich möchte jüdischem Blut trachtende Terrorre- samkeiten an grenzenlosen Grausam- er Ghettoaufstand nahmen nur eine sagen, dass Kriege in dieser Welt not- gime im Iran ein. Selbstverständlich keiten erwachsen können. Und mit kleine Rolle ein. Dementsprechend wendig sind. Und wenn wir dieser Tage stellt das hier alles andere als einen dieser Erfahrung, mit diesen Erinne- kann man sich vorstellen, dass sich die uns auf den deutschen Angriffskrieg Vergleich dar. Es ist Teil meiner Atti- rungen, sollten wir das Richtige tun. 36 GESCHICHTE № 9 (25) September 2016 JÜDISCHE RUNDSCHAU „Ertragen können wir sie nicht“ Eine Wanderausstellung zu Luthers Judenfeindschaft Von Karl Pfeifer Ausstellung räumt mit der lange geüb- ten Apologetik auf, Luther hätte nur in Nicht nur Deutschland wird im Okto- seinen letzten Lebensjahren gegen die ber 2017 500 Jahre Reformation feiern, Juden seiner Zeit angeschrieben. auch weil dieser ehemalige Augusti- Wie alle Revolutionäre seither wur- nermönch und Revolutionär unter an- de auch Luther beschuldigt zu „juda- derem die deutsche Sprache erneuerte isieren“. Darüber erhält der Besucher und die Aufklärung möglich machte. der Ausstellung keine Information. Jedoch darf man nicht den wilden Ju- Tatsächlich erklärte ein jüdischer Zeit- denhass von Martin Luther verschwei- genosse, der „Daß Jesus Christus ein gen. geborner Jude sey“ gelesen hatte, die Die Wanderausstellung „Ertragen wachsende Feindseligkeit der späteren können wir sie nicht“ sah ich im Au- Werke des Reformators als Reaktion gust in der Evangelischen Akademie darauf, dass seine Gegner „ihn ver- Meißen. Auf 18 Schautafeln wird der leumdeten und sagten, sein Geist neige Reformator gewürdigt, aber es werden zum Glauben der Israeliten.“ auch seine „Kehrseiten“ eingebettet in In der Ausstellung wird auch auf die den schon lange vor Luther bestehen- Folgen von Luthers hasserfülltem Wir- den christlichen Anti-Judaismus. ken gegen Juden eingegangen. Luthers Angeregt und gestaltet wurde die Vorschläge, wie mit Juden umzugehen Ausstellung von der Beauftragten für sei, lesen sich wie eine Vorbereitung christlich-jüdischen Dialog, Pastorin zum Massenmord: Hanna Lehming, vom „Zentrum für Mission und Ökumene der Nordkir- „Verbrennen ihrer Synagogen che“. Zerstörung ihrer Häuser und Zwangsun- Luther glaubte die Juden – die er terbringung wie Zigeuner kaum kannte – bekehren zu können Wegnahme ihrer religiösen Bücher Lehrverbot für Rabbiner bei Androhung der To- desstrafe Aufhebung der Wegefrei- heit Zwangsenteignung Zwangsarbeit“ Thomas Kaufmann, ein der evangelischen Kirche nahestehen- der Historiker, stellt in seinem Buch „Luthers Juden“ fest „dass auch Luther zu den ‚menta- len‘ Ressourcen der ras- sistisch modernisierten die von diesem Erzhäretiker abstam- Heute kann das Argument, Luther Judenfeindschaft insbe- men“ lag er nicht völlig falsch. hätte lediglich den Zeitgeist verkörpert, sondere in Deutschland Der alternde Luther wollte Juden nicht mehr akzeptiert werden. Denn gehöre, ist nicht zu be- nicht mehr bekehren, sondern aus von sein Hass war doch das genaue Gegen- streiten.“ Christen bewohnten Ländern vertrei- teil von dem, was Christen als zentrale Luthers Worte führ- ben. 1546 nahm er sogar die anstren- Botschaft ihres Glaubens postulieren, ten direkt zur Vertrei- gende Reise in seinen Geburtsort Eis- die Nächstenliebe, ja sogar die Liebe zu bung der Juden aus leben auf sich. Eine Reihe anderswo den Feinden. Kursachsen 1537 und aus den thüringischen Städten in den 1540er L uthers Worte führten zur Vertreibung Jahren und fachten 1543 antijüdische Un- der Juden aus Sachsen ruhen in Braunschweig an. Nach seinem Tod vertriebener jüdischer Flüchtlinge Die Juden waren damals in deutschen inspirierten sie im Jahr hatte dort Asyl erhalten, was er rück- Landen (und auch später) keinesfalls 1553 Vertreibungen aus gängig zu machen hoffte. Als er durch Feinde, sondern eine kleine, oft verfolg- Braunschweig und meh- die Stadt fuhr, hatte er das Gefühl, die te und vertriebene Minderheit, die im reren anderen Herzog- Anwesenheit der Juden und ihre Schuld Gegensatz zu den Christen nicht missi- tümern, die Zerstörung blase ihn so kalt an als solle sein Hirn onierte. der Berliner Synagoge gefrieren, wie er am 1. Februar an sei- Der von mir zitierte David Nirenberg 1572 und die Vertrei- ne Frau schrieb. Er werde alles tun, da- zeigt in seinem epochalen Werk, dass bung aus Brandenburg mit sie vertrieben würden. Zu diesem die Distanzierung vom Judentum ein 1573. Zu diesem Zeit- Zweck hielt er den Gläubigen einige vitaler Kern des westlichen Denkens punkt waren die Juden polemische Predigten: „Wollen sich die und Weltbilds ist. Das wahre oder ver- aus allen großen säku- Juden zu uns bekeren […] so wollen wir meintliche Verhalten der Juden dürf- laren deutschen Terri- inen gerne vergeben. Wo aber nicht, so te auch heute dabei keine wesentliche torien bis auf Hessen sollen wir sie auch bey uns nicht dul- Rolle spielen. vertrieben und aus al- den noch leiden.“ Luther zog sich eine Oft genug bin ich bestürzt darüber, len bedeutenden freien schlimme Erkältung zu, und diese Pre- wenn in kirchlichen Einrichtungen Reichsstädten außer digten waren die letzten seines Lebens. weiterhin die Herausforderungen der Frankfurt. Die wenigen Wie so viele Propheten vor ihm starb er Welt mit Bezug auf „Israel“ erklärt wer- auf deutschen Territo- im Kampf gegen die Juden. den und Organisationen und Personen rien verbliebenen Ju- Trotz und vielleicht auch wegen allen Raum gegeben wird, deren einziges den lebten in den von schrecklichen Folgen dieses Kampfes Ziel die Vernichtung des jüdischen und Ein Werbeaufsteller der neuen Ausstellung katholischen Bischö- wird dieser noch heute fortgesetzt. „Wir einzigen demokratischen Staates des fen regierten Gebieten leben in einem Zeitalter, in dem Millio- Nahen Ostens ist. und erst die Enttäuschung darüber, unter dem Schutz des Kaisers. Als ein nen von Menschen täglich irgendeiner Wäre es nach all dem, was in Beru- dass diese trotz Pogromen, trotz Verfol- aus Braunschweig ins Heilige Land ge- Form des Arguments ausgesetzt sind, fung auf Luther seither geschehen ist, gung und Vertreibung am Glauben ih- flüchteter Jude schrieb, Ursache seines die Herausforderungen ihrer Welt sei- nicht an der Zeit mit der Tradition des rer Väter festhielten, führte zur Ände- Exils seien „dieser üble Priester Martin en am besten mit Bezug auf ‚Israel‘ zu Judenhasses, der sich heute im Hass ge- rung seiner Haltung zu den Juden. Die Luther und die anderen Bösewichter, erklären.“ gen Israel äußert, radikal zu brechen? № 9 (24) September 2016 JÜDISCHE RUNDSCHAU WISSEN 37 Arabische Helden, die Juden retteten Auch arabische Menschen halfen Juden in der Not der Schoah Von Marius Bischoff der Nähe von Sfax, Tunesien: „Die Ara- ber behüteten ihre Juden.“ Arabische Helden in der Schoah? Ob- Es ist erstaunlich wie aktiv sich ei- wohl heute aus arabischen Ländern nige für die Rettung von Juden ein- Israel und den Juden allgemein vor al- gesetzt haben. Abdul-Wahab war der lem Hass entgegenschlägt, so gab es sie Sohn eines bekannten tunesischen doch. Dass sie nahezu unbekannt sind, Historikers. Er war 32 Jahre alt, als leigt auch daran, dass die Schoah, die die Deutschen Tunesien besetzten. Er systematische Verfolgung und Vernich- war ein Gesprächspartner zwischen tung der europäischen Juden während den Nazis und der Bevölkerung der des Zweiten Weltkrieges (1939 – 1945), Küstenstadt Mahdia. Als er deut- in den arabischen Medien oft sehr am- sche Offiziere hörte, wie sie davon bivalent dargestellt wird: Entweder äu- sprachen, eine lokale jüdische Frau ßert sich dies durch krasse Verharmlo- namens Odette Boukhris zu verge- sungen und Vergleiche, oder durch ein waltigen, versteckte er diese und ihre striktes Leugnen des Massenmordes Familie, zusammen mit etwa zwei an den Juden per se. Seit Jahrzehnten dutzend jüdischen Familien auf sei- kommt es immer wieder zu besorgnis- ner Farm außerhalb der Stadt. Die Fa- erregenden Kommentaren und Ver- milien blieben dort für vier Monate, gleichen, die vor nichts haltzumachen bis die Besatzung endete. Abdul-Wa- scheinen. Bereits im Jahr 2006 beklagte hab wird manchmal als der arabische sich der Direktor des Washington Ins- Oskar Schindler bezeichnet. Im Jahr titut for Near East Policy Robert Sat- 2009 wurden ihm zwei Bäume gewid- loff darüber, dass es nicht ein einziges met, um seine Tapferkeit zu würdi- offizielles Lehrbuch oder Bildungspro- gen. Seine Tochter Faiza nahm an der gramm über den Holocaust in einem Zeremonie in Mailand teil. arabischen Land gäbe. Taieb el-Okbi war ein Mitglied der Im September 2015 kam es zu einer algerischen Islah(Reform)-Partei, und Vielzahl von Äußerungen, die Unver- ein Freund des prominenten algeri- ständnis und Entsetzen auslösten: Da schen reformistischen Abdelhamid meinte ein Abgeordneter der radikal- Ben Badis, die tolerant gegenüber ver- islamischen Terrororganisation Ha- schiedenen Religionen und Kulturen mas, dass der Holocaust durch jüdische war. Ben Badis gründete und leitete die Verschwörungen selbst herbeigeführt algerische Liga der Muslime und Juden. worden sei. Auch im Sommer 2016 fin- Er starb, bevor Streitkräfte des Vichy- det man Stimmen aus der arabischen Regimes Algerien besetzten. Als Taieb Welt, die Hitler und „Mein Kampf“ el-Okbi seinen Platz einnahm und he- glorifizieren. „Hitler war super und war rausfand, dass die Führer der faschis- sicherlich nicht schlimmer als Chur- tischen Gruppe „Légion Français des chill […] und ob das mit den Juden Combattants“ ein Judenpogrom mit während des Zweiten Weltkrieges so Hilfe von muslimischen Truppen plan- stimmt, könnte man gewiss anzwei- ten, schritt er ein. feln“, entgegnete mir ein junger ägypti- Nicht nur in Nordafrika gab es Ara- scher Medizinstudent während meiner ber, die ihr eigenes Leben in Gefahr Nachforschungen. brachten, dadurch, dass sie Juden das Aber auch innerhalb Israels kam es Leben retteten. Der ägyptische Arzt am Ende des vergangenen Jahres zu AFP Dr. Mohammed Helmy rettete mehrere einer heftigen Kontroverse, als der isra- Juden vor der Naziverfolgung während elische Premierminister Benjamin Ne- des Holocausts – mitten in Berlin! Er tanjahu dem ehemaligen „palästinensi- war der erste Araber, der als solcher von schen“ Großmufti von Jerusalem Amin der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vas- al-Husseini vorwarf, er habe Adolf Hit- Sultan Mohammed V. von Marokko hem anerkannt werden sollte. Angehö- ler dazu bewogen, den Völkermord an rige von Helmy wurden von Yad Vas- den Juden zu initiieren. Laut Netanjahu bert Satloff das folgende Werk Among sische Protektorate, die ebenfalls dem hem kontaktiert, um seinen Verdienst wollte Hitler die Juden nicht ausrotten, the Righteous: Lost Stories from the Vichy-Regime unterstanden. auszuzeichnen und zu würdigen. Sie sondern vertreiben. Bei einem Treffen Holocaust's Long Reach into Arab Araber luden Juden in ihre Häuser waren jedoch nicht daran interessiert, der beiden im November 1941 sagte Lands (übersetzt: Unter den Gerech- ein, bewachten die Wertsachen von die Auszeichnung anzunehmen, auf- Amin al-Husseini zu Hitler, „Wenn Sie ten: Verlorene Geschichten von großer Juden, damit die Deutschen sie nicht grund des in der ägyptischen Bevölke- sie [die Juden] vertreiben, werden sie Reichweite aus dem Holocaust in den beschlagnahmen konnten, teilten mit rung noch immer weitverbreiteten Res- alle hierher [ins Britische Mandatsge- sentiments gegen Israel. biet] kommen. Gemäß Netanjahu frag- Si Kaddour Benghabrit, der Rektor te Hitler darauf: „Was soll ich mit Ihnen N ur etwa 1 Prozent der Juden in Nordafrika der Großen Moschee von Paris, rettete machen?“, worauf der Mufti antworte, ungefähr 100 bis 500 Juden durch das „Verbrenn sie!“ (4.000 bis 5.000) starben unter der Kontrol- Verwaltungspersonal der Moschee, Dass dies aber nur ein Teil der Ge- welches den Juden Zertifikate mit mus- schichte ist, wird klar, wenn man sich le der Achsenmächte in den arabischen Län- limischer Identität gab, mit denen sie vor Augen führt, dass es auch muslimi- sich der Verhaftung und Deportation sche – bzw. arabische – Gerechte unter dern, im Vergleich zu mehr als 50 Prozent entziehen konnten. den Völkern gibt. Doch wenngleich die Wie diese Beispiele zeigen, bleibt die arabischen Führer den Holocaust leug- der Juden Geschichte des Holocausts in den ara- nen, leugnen sie ihre eigene Geschichte bischen Ländern bis heute ein Tabu sowie die verlorene Geschichte des Ho- arabischen Ländern), das über Musli- Juden ihre mageren Rationen und und kommt auch weiterhin kaum zur locaust in den arabischen Ländern. Es me und Araber berichtet, die potentiel- warnten die jüdische Führerschaft vor Sprache. Wo dies geschieht, kommt es dauerte viele Jahre der Nachforschun- le Opfer des systematischen Nazimas- anstehenden SS-Razzien. Der Sultan häufig zu Kontroversen, wie die Ge- gen in einer Vielzahl von Archiven senmord schützten und retteten, sowie von Marokko und die Beys von Tunis schichte des Dr. Mohammed Helmy und Durchführung von Interviews in diejenigen, die zu Kollaborateuren stellten ihre moralische Unterstützung und seiner Familie zeigt. Dies ist sehr 11 Ländern, um diese Geschichte ans und Komplizen wurden. Während des zur Verfügung und manchmal sogar schade, da die Geschichte des Holo- Licht zu bringen. Es ist nicht nur eine Zweiten Weltkrieges standen mehrere ihre praktische Hilfe für ihre jüdischen caust in den arabischen Ländern auch Geschichte vom Heldentum, sondern arabische Länder unter Einfluss oder Untertanen. Im Vichy- kontrollierten als Brücke zwischen Juden und Ara- auch von Mitschuld und Gleichgültig- Kontrolle der Achsenmächte. Libyen Algier predigten moslemische Geist- bern fungieren könnte. Nur etwa 1 Pro- keit seitens einiger Araber, sowie von war eine italienische Kolonie (effektiv liche am Freitag in den Moscheen, die zent der Juden in Nordafrika (4.000 bis denen, die große Risiken eingingen, bis 1943). Algerien war Teil von Frank- von den Gläubigen forderten, sich nicht 5.000) starben unter der Kontrolle der um Juden das Leben zu retten. reich, das unter der Herrschaft des an beschlagnahmtem jüdischen Eigen- Achsenmächte in den arabischen Län- Im Jahr 2006 schrieb der renommier- pro-deutschen Vichy-Regimes stand. tum zu bereichern. In den Worten von dern, im Vergleich zu mehr als 50 Pro- te amerikanische Schriftsteller Ro- Marokko und Tunesien waren franzö- Yaacov Zrivy, aus einer kleinen Stadt in zent der Juden in Europa. 38 SERVICE № 9 (25) September 2016 JÜDISCHE RUNDSCHAU Reisetipp Odessa - eine ukrainisch-jüdische Perle am Schwarzen Meer Von der ehemals drittgrößten jüdischen Gemeinde der Welt Von Dmitri Stratievski Stadt 1944 von knapp 600 Überlebenden, darunter jüdische Untergrundkämpfer. Nur wenige Flugstunden (mit einem be- In der Nachkriegszeit fiel Odessa in quemen Umstieg zum Beispiel in Wien) Ungnade. Die von Moskau ernannten oder knapp Partei- und KGB-Chefs der Stadt gelten 1.800 km trennen Berlin von Odessa, als restriktiv und rigoros. Odessiten, in der ukrainischen Millionenmetropole am erster Linie die Juden, wurden als regie- Schwarzen Meer. Die Stadt bietet nicht rungskritische Rebellen angesehen, deren nur lange Strände, mildes Klima, Archi- freier Geist als potentielle Gefahr für die tektur des Klassizismus und das gesell- Sowjetmacht empfunden wurde. Bis 1989 schaftliche Phänomen „Mythos Odessa“. gab es in der Stadt nur eine Synagoge. Die Die Einheimischen nennen sie „Perle am anderen Gebetshäuser wurden als Archi- Meer“. Angesichts der Geschichte Odes- ve, Unterrichtsräume einer Hochschule, sas wäre die Bezeichnung „jüdische Perle Sporthallen und Wehrämter benutzt. In am Meer“ treffend. den 70er Jahren, dem Höhepunkt der In diesem September wird Odessa 222 Verfolgung jüdischer Aktivisten, wurden Jahre jung. Die Stadt wurde per Erlass der mehrere Ausreisewillige zu Haftstrafen Zarin Katharina der Großen in einer für verurteilt. Da das sowjetische Strafgesetz- das Russische Reich strategisch wichti- WIKIPEDIA buch keine Fahndung wegen Migrations- gen, frisch eroberten Region gegründet. bestrebens vorsah, ermittelte die Staats- Gedacht als eine der Festungen im Sü- anwaltschaft hauptsächlich wegen der den im Kontext des russischen Machtan- „Verbreitung von lügnerischen Informati- spruchs gegen die Osmanen, entwickelte onen über die sowjetische Staatsordnung“. sich Odessa zu einem für die damaligen Die wohl bekannteste Verurteilte war russischen Verhältnisse einzigartigen Ort: Rejsa Palatnik. 1971 wurde Palatnik das weltoffen, ausländer- und minderhei- Aufbewahren der verbotenen Schriften -jü tenfreundlich, tolerant in Bezug auf ver- discher Autoren der Chruschtschow‘schen schiedene Religionen und Lebensstile. In Odessa wurden zu Sowjetzeiten Synagogen in Archive umgewandelt. Zeit sowie der Notizen zur Situation in Isra- Wirtschaftlich gesehen, zog die Stadt viele el zur Last gelegt. Sie wurde zu zwei Jahren Kaufleute und Zuzügler wie ein Magnet Mehrzahl der Juden in den meisten Or- handelt. Dessen Chefarzt Grigorij Rosen Haft in einem Arbeitslager verurteilt. Im an, weil sie 1819-1858 neben dem wesent- ten innerhalb des Ansiedlungsrayons ein wurde ausnahmsweise zum russischen Lager lebte sie in einer Baracke mit Schwer- lich kleineren Feodosija auf der Krim als elendes Dasein fristete, gab es in Odessa Generalmajor befördert. Im Jahr 1873 ge- kriminellen. 27 prominente Leningrader erste Freihandelszone Russlands fungier- sowohl sehr Reiche, als auch Mittelständ- gründeten Jüdischen Kagane-Waisenhaus Juden richteten mutig unter Angaben eige- te, nach italienischer Art „porto franco“ ler und Arme. 1910 gehörten 56% der Le- standen laut Statut für „Hilfsbedürftige ner Daten eine Petition an den Parlaments- (freier Hafen) genannt. In den Namen der bensmittelgeschäfte und alle 59 Damen- unabhängig vom Glauben“ alle Türen of- vorsitzenden der Sowjetukraine und for- Straßen Odessas spiegelt sich die Vielfalt maßschneidereien der Stadt jüdischen fen. Schließlich durften die Juden seit 1783 dern die Freilassung Palatniks. 1973 wurde des Stadtlebens aus dieser Zeit: Griechi- Besitzer. 70% der Ärzte waren jüdisch. Sie- für die Selbstverwaltung der Stadt vorge- sie entlassen und wanderte nach Israel aus. sche, arnautische (damalige Bezeichnung ben der zehn größten Banken Odessas wa- schlagen werden und somit das öffentliche Im kurzen Zeitraum der politischen Ent- für die Albaner), italienische, französische. ren in jüdischer Hand. Zugleich lebte ein Leben mitbestimmen. Bereits im ersten spannung haben über 17.000 Juden die Und eine Jüdische Straße. Drittel der jüdischen Odessiten in Armut. Stadtrat gab es zwei jüdische Mitglieder. Stadt verlassen. In den 90er Jahren kam es Tatsächlich waren die Juden Mitbegrün- Juden bildeten die Mehrheit der Stauer im Die von den Zarenbehörden gedulde- zu einer neuen Auswanderungswelle. Die der der „Perle am Meer“. Patricia Herlihy Hafen, deswegen wurde eine mit Be- und ten antijüdischen Pogromen, von allem Beweggründe waren diesmal überwie- gibt in ihrem Buch „Odessa: A History, gend nicht politisch, sondern wirtschaft- 1794-1914“ an, dass der älteste bekannte lich. Allein 1989-1990 hat das zuständige jüdische Grabstein mit 1770 datiert wur- 2 001 lebten in Odessa 13.000 Juden. städtische Amt 16.500 Ausreiseanträgen de. Damit belegt man die Existenz einer von jüdischen Bürgern stattgegeben. Laut jüdischen Gemeinschaft in der Vorgän- Heute sind es 30.000. einer wenige Jahre später durchgeführten gersiedlung, im osmanischen Gadschibei. Umfrage kannte die Hälfte der Befragten Im Stadtarchiv wird eine Schrift mit der Entladung von Schiffen beschäftigte Per- im Jahr 1905 mit 400 toten und 50.000 mindestens einen ehemaligen Mitschüler Signatur des ersten Odessaer Bürgermeis- son in der Stadtfolklore zum Symbol der obdachlos gewordenen Odessiten, be- jüdischer Abstammung, der in ein anderes ters Josep de Ribas aufbewahrt, nach der jüdischen Schwerstarbeit. schleunigten die Verbreitung des zionis- Land übersiedelte. in Odessa 1795, das heißt ein Jahr nach der Jüdische Proletarier gab es also auch in tischen Gedankens. Die Idee des „Paläs- Heute leben in Odessa etwa 30.000 Ju- Stadtgründung, 106 russische, 213 ukra- großen Mengen. tinensischen Komitees“ von Leon Pinsker den. Boleslaw Kapulkin, Pressesprecher inische, 24 griechische und 240 jüdische Es gab außerdem 70 jüdische Bildungs- entwickelte sich nachhaltig und nahm der jüdischen Gemeinde der Stadt, freut Bürger lebten. Pinchas Minkowski, Kantor, zentren, deren Einrichtung durch einen neue Form an. Es wurden die russlandweit sich über einen Trendbruch: 2001 gab Komponist und Gesangstheoretiker, sagte Sonderaufschlag beim Verkauf des kosche- einzige formell zugelassene „Palästinensi- es in Odessa rund 13.000 Juden. Er fügt einst über seine Wahlheimat: „Bereits zu ren Fleisches finanziert wurde, die einzi- schen Gesellschaft von Odessa“ sowie der hinzu: „Wir haben unsere Gemeinde wie- Beginn des 19. Jahrhunderts funktionierten ge jiddischsprachige Zeitung Russlands Kadima-Verein ins Leben gerufen. Fast deraufgebaut“. Die Vergangenheit und Ge- in Odessa gewisse Strukturen, die dauer- „Kol mevanser“ (Informierende Stim- alle Anführer der zionistischen Bewegung genwart des Judentums spürt man heute hafte Aktivitäten der jüdischen Gemeinde me), die einzige russische Zeitschrift zur wie Wladimir Zeev Jabotinsky, Wassilij an jeder Ecke der Altstadt. Die Straße, auf ermöglichten. Hier könnte man ein neues jüdischen Problematik „Rasswet“ (Mor- Rosen, Meir Dizengoff, Ascher Hirsch der die Polizei- und Geheimdienstzentra- Leben führen“. Der Strom der jüdischen genrot) sorgten für die Aufklärung. Ste- Ginsberg und andere waren gebürtige len der Region sowie eine renovierte Syn- Einwanderer riss während des ganzen 19. ven J. Zipperstein, Professor für jüdische Odessiten oder verbrachten viele Jahre in agoge stehen, heißt wieder Jewrejskaja. Im Jahrhunderts nicht ab und war sehr ge- Kultur und Geschichte an der Stanford der Stadt. Im November 1907 stellte die jüdischen Museum sieht man eine Kom- mischt: Kleinhandwerker und Lastenträ- University, nannte die jüdische Gemein- St. Petersburger Zeitung „Russkloe slowo“ mode, die einst dem großen jüdisch-rus- ger aus Podolien, Wolhynien und , de von Odessa „am fortgeschrittensten im fest: „Die Bevölkerung Odessas ist deut- sischen Schriftsteller Isaak Babel gehörte, Aufklärer aus Galizien und Deutschland, ganzen Ansiedlungsrayon des Reiches“. lich kleiner geworden, überwiegend durch oder ein Werbeblatt der Zionistischen österreichische Ärzte, Petersburger Anwäl- Darüber hinaus waren die Odessaer Ju- die jüdische Abwanderung. Jetzt leben Liste von Odessa 1918. Der Abschluss der te und Apotheker. Die Newcomer ließen den der Ober- und Mittelschicht durch in der Stadt 100.000 Menschen weniger Jüdischen Odessa-Universität ist staatlich sich in jedem Stadtteil nieder. Die jüdischen die starken Integrationstendenzen ge- als vor drei Jahren“. Trotz beträchtlicher anerkannt. Die größte Musikschule der Geschäftsleute waren berechtigt, Verträge kennzeichnet, die für manche Forscher Abwanderungszahl blühte das jüdische Stadt trägt den Namen des Musikers und mit dem Staat abzuschließen und die Gar- wie Joseph Teluschkin an Assimilation Leben in Odessa selbst in den turbulenten Pädagogen Pjotr Stoljarski, deren Schüler nisonstruppen mit Lebensmitteln zu ver- grenzten. Das Judentum der Stadt pflegte Wendejahren des 20. Jahrhunderts. Von und ebenso Odessiten Dawid Ojstrach, sorgen, was im restlichen Reich im Zeichen zwar eigene Traditionen, fühlte sich aber 188 zwischen 1917 und 1920 in Russland Jelisaweta Gilels und Oskar Feldman die des grassierenden Antisemitismus unmög- zugleich nicht abgesondert, sondern als erschienenen hebräischsprachigen Bü- Geschichte der modernen Musik mitge- lich gewesen wäre. Teil des gesamtstädtischen Gebildes. Jüdi- chern wurden 109 in Odessa gedruckt. schrieben haben. An die düsteren Zeiten Das Judentum von Odessa der Neuzeit sche Kinder besuchten staatliche Schulen. Im Zweiten Weltkrieg wurde Odessa erinnern die nach dem Muster von Yad (um 1900 etwa 35 % der Gesamtbevöl- 1886 waren 31% der Medizin- und 41% Schauplatz des Holocausts. Ende 1941 Vashem gestaltete „Allee der Gerechten kerung, nach New York und Warschau der Jura-Studenten jüdisch. Im karitati- stellte die rumänische Besatzungsmacht unter den Völkern“ und das Denkmal für die drittgrößte jüdische Gemeinde der ven Bereich unterstützen jüdische Wohl- eine Liste von 60.000 in der Stadt ge- die ermordeten Juden Odessas. Im jüdi- Welt) wies mehrere Besonderheiten im habende ihre nichtjüdischen Mitbürger. bliebenen Odessiten jüdischer Herkunft schen Theater „Migdal-Or“ spielt man die Vergleich zu seinen Glaubensgenossen in 1879 wurden im ausschließlich durch zusammen. Sie wurden im Rahmen der Stücke von Scholem Alejchem, Boris Ra- ganz Russland auf. In der jüdischen Ge- die Privatspenden getragenen Jüdischen großen Vernichtungsaktionen 1942 er- zer und Jefim Smolin. meinde von Odessa herrschten heterogene Krankenhaus (heute im Volksmund im- mordet. Die sowjetische Militärverwal- Ab ins Flugzeug - die Stadt ist einen Be- Einkommensverhältnisse. Während die mer noch so bezeichnet) 337 Christen be- tung berichtete nach der Befreiung der such wert! № 9 (25) September 2016 JÜDISCHE RUNDSCHAU RELIGION UND TRADITION 39 Die Kleider machen den Menschen Von den unterschiedlichen Trachten aschkenasischer Juden Von Rabbiner Elischa Portnoy

Wenn man auf der Straße einen Mann trifft, der eine schwarze Hose, ein weißes Hemd, einen langen schwarzen Frack und einen schwarzen Hut trägt, dann wird sich jeder sicher sein: Man hat einen orthodo- xen Juden vor sich. Aber auch orthodoxe Juden kleiden sich längst nicht alle gleich: Sie tragen verschie- dene Kopfbedeckungen, verschiedene Hüte, manche Chassidim tragen Schtrei- mel, manche Spodek, auch der Frack kann bei den vielen chassidischen Richtungen verschieden sein. Doch wie kam diese „jüdische Mode” zustande? Wovon hängt die Verwendung der einzelnen Kleidungsstücke und ihr Aussehen ab? Ist diese Kleidung so wich- tig, dass sie auch heutzutage getragen wer- den muss? Diese Fragen stellen sich viele Menschen, wenn sie orthodox gekleidete Juden treffen. Die ersten Kleider in der Geschichte Zum erstem Mal finden wir die Kleider in der Thora schon am Anfang des Buches Bereschit (3,21): Adam und seine Frau Hava haben die Frucht von dem verbote- nen Baum gegessen und haben entdeckt, dass sie unbekleidet sind. „Und G’tt der HERR machte Adam und AFP GANGNE, MICHEL seiner Frau Kleider aus Fell und bekleide- te sie”. Man würde vermuten, dass diese Der goldene Kaftan der Jeruschalmi Haredim. Kleider einfach nur dazu da waren, um die Blöße der beiden zu bedecken. das auf vielen Malereien zu sehen ist. Auf Judentum sehr wichtig und die Bräuche soll das Anschauen der Tzitzit-Fäden Jedoch sagen unsere Weisen, dass die dem Brustschild waren zwölf Edelsteine werden nur unter ganz außerordentlichen den Menschen an alle 613 Gebote erin- vom G’tt geschenkten Kleider etwas ganz verteilt, die den zwölf israelischen Stäm- Umständen geändert. nern. Besonderes waren. Sie waren nicht nur ab- men entsprachen. Die Namen der Stämme Da die traditionelle Kleidung aus dem Auch wenn es für eine Frau grund- solut passend, weich und schön, sondern waren auf diesen Steinen eingraviert. 19. bzw. 20. Jahrhundert schön und soli- sätzlich nicht verboten ist, einen Talit zu hatten auch wunderbare Eigenschaften: Eine prächtige Besonderheit war auch de aussieht, gibt es keinen Grund sie zu tragen, tragen die Frauen in orthodoxer die Kleider waren mit Tier-Mustern be- das Stirnblatt, das aus reinem Gold ange- ändern, auch wenn es im Hochsommer in Gesellschaft keinen Talit. deckt und zogen die Tiere an. Damit wur- fertigt wurde, mit der Gravur “Heilig dem Israel darin ziemlich heiß werden kann. de die Jagd zum Kinderspiel: Tiere liefen Herrn”. Vielsagende Kopfbedeckungen dem Jäger von selbst zu. Ein weiteres, wenig bekanntes Detail wa- Multi-Kulti bei den Aber nicht nur den Kleidern, sondern Auch die weitere Geschichte von diesen ren 72 goldene Glöckchen, die unten am orthodoxen Juden auch den Kopfbedeckungen wird eine ersten Kleidern hat es in sich: Adam gab Obergewand ringsum angebracht waren. Manche denken, alle orthodoxe Juden se- besondere Bedeutung beigemessen. Die sie seinem drittem Sohn Schet, von Schet hen gleich aus. Das stimmt jedoch nicht. bekannte chassidische Kopfbedeckung kamen sie zu Metuschelach und Metu- Kleidung macht den Menschen aus Es gibt sehr viele verschiedene Beklei- Schtreimel, der am Schabbat und Fei- schelach gab sie dem gerechten Noach An den priesterlichen Kleidern können wir dungsarten unter den vielen verschiede- ertagen getragen wird, nimmt nach den weiter. eines erkennen: die Kleider können dazu nen Richtungen der Orthodoxie. Worten von Rabbi Aaron Wertheim den Noach hat diese wertvollen Kleider mit beitragen, dass der Mensch schöner und Während ein Chabadnik eine schwarze Platz des Tfillin ein (Schtreimel Bimkom in die Arche genommen. Nach der Sintflut als wichtiger wahrgenommen wird. Es ist Kapoteh anzieht, ziehen andere chassidi- Tfillin = SchaBaT). hat Ham diese Kleider von seinem Vater absolut nachvollziehbar, dass jemand im sche Richtungen (Karlin-Stolin, Toldos Auch die einfache Kippah wird nicht gestohlen und Nimrod gegeben. Dank Anzug ganz anders wahrgenommen wird, Aharon oder Schomer Emunim) schwar- einfach so getragen. Auf Jiddisch wird die ihnen wurde Nimrod zum Diktator von als jemand in der Berufskleidung. ze, bunte oder sogar goldene Beketsche Kippah „Jarmulke” genannt, was „Jare Bawel. Jedoch wurden sie für Nimrod zum Malke” – “Furcht vor dem König” bedeu- Verhängnis: Der Bösewicht Esav hat die ten soll. Natürlich ist hiermit der König der Kleider begehrt und deswegen Nimrod K leidung bestimmt auch das Gefühl der Könige, also G’tt gemeint und die Kopfbe- getötet. deckung soll uns ständig daran erinnern, Auch Esav hat diese Kleider benutzt, um Menschen, die sie tragen. dass G’tt ständig bei uns präsent ist. König zu werden. Als diese Kleider zufäl- Interessanterweise kann heutzutage lig zu unserem Vorvater Jakob kamen, er- eine Kippah einiges über seinen Träger er- kannte er ihre Macht und hat sie versteckt. Interessanterweise fühlt sich auch der an. Bobover, Gerer oder auch Breslover zählen: eine geflochtene Kippah (Kippah Damit endet die spannende Geschichte Mensch selber und benimmt sich in einem Chassidim tragen Rekel, die auch noch Sruga) wird meistens von religiösen Zi- der ersten, von G'tt gemachten Kleider. Anzug ganz anders als in Cargohosen ei- mal untereinander unterschiedlich sein onisten und Siedlern getragen. Haredim nes Handwerkers. können. tragen eine große schwarze Kippah, die Die Pracht des Hohepriesters Unsere Weisen haben immer betont, Leicht erkennbar sind Jeruschalmi Ha- Juden aus der modern-orthodoxen Rich- Ein weiterer Moment, bei dem die Kleider ein religiöser Jude sich sauber halten und redim, die einen golden Kaftan tragen, tung tragen oft eine kleine lederne Kippah. im Mittelpunkt stehen, ist im Wochenab- anständig kleiden soll. Und wenn wir jetzt den manche zum Schabbes für einen Und wenn man in der Synagoge einen schnitt „Tetzave” zu finden. Dort werden daran denken, wie sich die wichtigen Per- schwarzen Beketsche wechseln. Mann in weißer Kippah sieht, dann ist er die Kleider für die Priester (Kohanim) be- sönlichkeiten zu den wichtigen Anlässen Ein weiteres bekanntes Kleidungsstück höchstwahrscheinlich kein häufiger Be- schrieben, die nötig waren, um im Stiftzelt kleiden, dann denken wir sofort an einen ist der Talit. Es gibt den Talit Gadol (gro- sucher: kein erfahrener religiöser Mensch zu dienen. Anzug, schwarze Schuhe, dezente Krawat- ßer Talit), auch als Gebetsschal bekannt. zieht heutzutage eine weiße Kippa an, Die Kleidung vom Hohepriester (Kohen te und ein weißes (oder mindestens blau- Er wird nur bei den Gebeten getragen. nicht mal am Jom Kippur. Gadol) unterschied sich von den Kleidern es) Hemd. Keiner kann sich einen Minis- Der Talit Katan (kleiner Talit) wird Das Thema Kleidung im Judentum ist der einfachen Kohanim und war beson- ter im Bahama-Look in einer Sitzung oder von einem Mann den ganzen Tag getra- so umfangreich, dass es im Rahmen eines ders schön und prachtvoll. einen Dirigenten beim Konzert in Shorts gen und manche schlafen sogar damit. Artikels nicht ausgeschöpft werden kann. Die Thora selbst betont den Zweck die- vorstellen. Sowohl der Talit Gadol, als auch der Sowohl im jüdischen Gesetz (Halacha) ser schönen Kleider: sie sollten „LeCha- Jedoch bleibt die Frage, woher der Talit Katan sind viereckig und sind ein als auch in der mystischen Lehre Kabba- wod ulTifaret”, „zur Ehre und zur Zierde” Hut bei einem litvischen Juden oder ein Mittel zum Zweck: auf ihren Ecken sind la spielen Kleider eine große Rolle. Wenn dienen. Schtreimel, der einen Chassid sofort er- Tzitzit (Schaufäden) angebracht. Diese Sie jetzt jedoch auf der Straße oder in der Die Kleidung des Hohepriesters bein- kennbar macht, kommt? Tzitzit sind eines von 613 Geboten der Synagoge einen orthodoxen Juden sehen, haltete mehrere Besonderheiten. Die be- Hier spielt ein weiterer Faktor eine Thora und um dieses Gebot zu erfüllen, kommt Ihnen seine „komische” Kleidung kannteste davon ist wohl das Brustschild, Rolle: die Tradition. Die Tradition ist im wird der Talit getragen. Laut der Thora schon etwas vertrauter vor. 40 ZU GUTER LETZT JÜDISCHE RUNDSCHAU September 2016 № 9 (25) Die Synagoge Fraenkelufer wird 100 Jahre alt Von Dr. Nikoline Hansen sozialisten initiierten Pogroms durch einen Brand vernichtet – ein Schicksal, das sie mit Kreuzberg ist ein Berliner Bezirk, der weit den meisten anderen Berliner Synagogen über seine Grenzen bekannt ist – als ein teilte. Doch schon kurz nach Kriegsende Ort, in dem die Nächte lang sind, und wo wurde hier wieder geheiratet und Bar Mitz- am 1. Mai Barrikaden gebaut werden. Die- wa gefeiert – es waren jüdische Kindern, ser Berliner Bezirk beherbergt heute eine die während des Krieges geboren wurden bunte Mischung aus Alternativszene, türki- und unter schwierigen Umständen über- GEORGES GOBET, AFP GOBET, GEORGES schen „Gastarbeitern“ und einheimischen lebt hatten. Bewohnern vorzugsweise der Arbeiterklas- Den ersten Gottesdienst nach dem se. Davon, dass er einstmals auch Wohnort Krieg an Rosch HaSchana feierten am 8. durchaus bürgerlicher bessergestellter Fa- September 1945 etwa 500 Beter in den milien war, bezeugen heute noch wenige provisorisch hergerichteten Räumen: Ber- alte Häuser vorzugsweise in der Gegend liner Juden, heimatlos gewordene Juden um das Paul-Lincke-Ufer. Am Landwehrka- aus den DP-Lagern sowie sowjetische und nal gab – und gibt es – sehr schöne Ecken. amerikanische Soldaten. Von den noch Die Gegend wurde allerdings nicht nur im 1933 in Kreuzberg ansässigen 6.000 Juden Krieg, sondern auch in den 80er Jahren hatten nur 400 überlebt, die meisten da- stark zerstört, als der Trend zum Abriss der von durch sogenannte „arische“ Ehepart- regelmäßig, um ihre Gottesdienste abzu- meindelebens engagiert voranzubringen. Altbausubstanz ging, der durch massive ner geschützt. halten. Das Umfeld war ihnen gegenüber Sie haben das getan, was man in Deutsch- Bürgerproteste und nicht zuletzt die Haus- Heute gibt es in Berlin rund ein Dutzend nicht gerade aufgeschlossen: Im Oktober land gemeinhin tut, wenn man eine Sache besetzer gestoppt wurde. Einige der schö- Synagogen, von denen acht an die Jüdi- 2000 waren Fensterscheiben der Synago- aktiv vorantreiben will: Sie haben einen Ver- nen alten Häuser mit ihrer großzügigen so- sche Gemeinde zu Berlin angebunden ge zerstört worden, am 29. April 2002 wur- ein gegründet. Die „Freunde der Synagoge genannten „Beletage“ sieht man dort noch sind. Die Synagoge am Fraenkelufer ist de sogar ein Brandsatz auf das Gebäude Fraenkelufer e.V.“ tragen wesentlich dazu heute. eine davon. Die gewalttätigen Auseinan- geworfen. Der damalige Innensenator Kör- bei, dass wieder Leben in der Synagoge Wie das Umfeld hat auch die Synagoge dersetzungen zwischen Besetzerszene ting schloss nicht aus, dass es sich bei den eingekehrt ist. Dabei pflegen sie nicht nur am Fraenkelufer, vormals Kottbusser Ufer und Polizei fanden seinerzeit direkt vor der Tätern um „Palästinenser“ oder „Sympathi- die jüdische Tradition, indem sie einmal im 48-50, eine bewegte Geschichte, die von Tür der Synagoge statt – so informiert das santen der Palästinenser“ gehandelt haben Monat im Anschluss an die Kabbalat Schab- kulturellen Änderungen zeugt. Gebaut Friedrichshain-Kreuzberger Informations- könnte. Die Wachschutzleute verhinderten bat einen Kiddusch organisieren und regel- wurde sie zu einer Zeit als das jüdische Le- portal Xhain.info über eine „Schlacht am Schlimmeres, die Täter wurden trotz der mäßig nach dem Gottesdienst am Samstag ben in Berlin während des Kaiserreichs eine Fraenkelufer“, die 1980 stattgefunden habe ausgesetzten Belohnung nie gefasst. Schiurim anbieten. Am 17. September, dem Blütezeit erlebte: 1911 erwarb die jüdische – um die Ecke in der Admiralstraße gab es Umso erfreulicher, dass das Bethaus nun- 100. Jahrestag der Einweihung der Synago- Gemeinde das Grundstück, 1912 entwarf besetzte Häuser. mehr zu seinem 100. Jahrestag wieder mit ge in Kreuzberg wird richtig gefeiert. Auf der Architekt Alexander Beer das Gebäu- Zu dieser Zeit war es relativ ruhig gewor- Leben gefüllt ist. Jede Woche finden die dem Programm steht neben den unver- de und am 17. September 1916 wurde sie den in der Synagoge. Die Ruine des Haupt- Gottesdienste nach traditionell-konserva- meidlichen kulinarischen Leckereien ein eingeweiht. Ihre Blütezeit erlebte die Syna- hauses war in den 50er Jahren abgerissen tivem Ritus statt. Wenn kein Rabbiner der umfangreiches Musikprogramm in Zusam- goge dann auch in der Weimarer Republik, worden. Stehen blieb lediglich die frühere Gemeinde abkömmlich ist, wird impro- menarbeit mit der Jüdischen Volkshoch- als sie als lebendiges Gemeindezentrum Jugendsynagoge, ein Nebengebäude, in visiert und es springt ein Kantor ein oder schule Berlin. In der Ankündigung heißt es: erblühte. Eine Orgel wie in der Pestaloz- dem zuvor der Gottesdienst für die Kinder einer der Beter. Eine Initiative junger Men- „Jüdische Musik, die an die Vergangenheit zistraße gab es nicht – die Gemeinde war abgehalten worden war. Dieses wurde wie- schen – nicht nur Mitglieder der Berliner erinnert und Hoffnung für die Zukunft gibt, orthodox und ist konservativ geblieben. der hergerichtet und 1959 eingeweiht. Die jüdischen Gemeinde, sondern auch junge steht im Mittelpunkt eines unvergesslichen Am 9. November 1938 wurde das Haupt- Synagoge bietet nun Platz für 300 Perso- Israelis – haben sich hier zusammengefun- Abends am Fraenkelufer.“ gebäude während des von den National- nen, aber nur wenige Beter trafen sich hier den, um die Tradition des jüdischen Ge- Wir wünschen Mazel tov!

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