»Dies scheint mir unstreitig als das Höchste, was im Kontrapunkt neben den ›Meistersingern‹ in unserem Jahrhundert, wie über - haupt seit Bach geleistet wurde.«

Bleistift-Notiz eines „enthusiastischen Brucknerianers“ in einer zeitgenössischen Abschrift des Finales von Bruckners Fünfter Sinfonie

B7: Do, 01.03.2012, 20 Uhr | A7: So, 04.03.2012, 11 Uhr | Hamburg, Laeiszhalle Herbert Blomstedt Dirigent Sinfonie Nr. 5 B-Dur

DAS ORCHESTER DER ELBPHILHARMONIE NDR SINFONIEORCHESTER

Das Konzert am 04.03.2012 wird live auf NDR Kultur gesendet

Donnerstag, 1. März 2012, 20 Uhr Herbert Blomstedt Sonntag, 4. März 2012, 11 Uhr Dirigent Hamburg, Laeiszhalle, Großer Saal Herbert Blomstedt, in den USA als Sohn schwe - discher Eltern geboren, erhielt seine erste mu- sikalische Ausbildung am Stockholmer Kon- servatorium und an der Universität Uppsala. Dirigent: Herbert Blomstedt Später studierte er Dirigieren an der Juilliard School of Music in New York, zeitgenössische Musik in Darmstadt sowie Renaissance- und Anton Bruckner Sinfonie Nr. 5 B-Dur Barockmusik an der Schola Cantorum in Basel (1824 – 1896) (1875 – 1878) und arbeitete unter Igor Markevitch in Salzburg und Leonard Bernstein in Tanglewood. 1954 I. Introduction. Adagio – Allegro debütierte Blomstedt als Dirigent mit dem II. Adagio. Sehr langsam Stockholmer Philharmonischen Orchester und III. Scherzo. Molto vivace (Schnell) – Trio. Im gleichen Tempo leitete später als Chefdirigent so bedeutende IV. Finale. Adagio – Allegro moderato skandinavische Orchester wie das Oslo Phil- harmonic Orchestra und das Dänische und Schwedische Radio-Sinfonieorchester, letzte- res bis 1983. Von 1975 bis 1985 war er Chef- Neben Blomstedts Verpfl ichtungen bei diesen Einführungsveranstaltung mit Habakuk Traber am 01.03.2012 um 19 Uhr dirigent der Staatskapelle Dresden, die ihm Orchestern führen ihn zahlreiche Gastdirigate im Großen Saal der Laeiszhalle. 2007 die Goldene Ehrennadel verlieh. Ab der zu den bedeutendsten Klangkörpern weltweit. Saison 1985/1986 wurde Blomstedt zum Music Ein spätes Debüt gab er 2011 bei den Wiener Director des San Francisco Symphony Orches- Philharmonikern; diese erste Zusammenarbeit tra berufen, dem er nach seiner zehnjährigen fi ndet ihre Fortsetzung in einer Tournee im Amtszeit bis heute als Ehrendirigent verbunden Juli 2012 sowie mit Konzerten in Wien im Okto- bleibt. Von 1996 bis 1998 wirkte er als Chef- ber 2013. In den vielen Jahren seiner Dirigen- dirigent des NDR Sinfonieorchesters, an des- tentätigkeit entstanden etliche preisgekrönte sen Pult er ebenfalls regelmäßig zurückkehrt. Referenzaufnahmen unter Blomstedts Leitung. Es folgte von 1998 bis 2005 seine Amtszeit Im Rahmen einer aktuellen Gesamtaufnahme als 18. Gewandhauskapellmeister des Gewand- der Sinfonien Bruckners mit dem Gewandhaus- hausorchesters Leipzig, das ihn daraufhin zum orchester liegen bislang die Nummern 3, 5, 6, Ehrendirigenten ernannte. Diese Auszeichnung 7 und 8 vor. Herbert Blomstedt, der im Jahr verliehen ihm auch vier weitere Orchester: 2007 seinen 80. Geburtstag beging, ist ein ge- das NHK Symphony Orchestra in Japan, das wähltes Mitglied der Königlich-Schwedischen Dänische und das Schwedische Radio-Sinfonie- Musikakademie und mehrfacher Ehrendoktor. orchester sowie die Bamberger Symphoniker. 2003 erhielt er das „Große Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland“.

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Original und Fälschung Anton Bruckner und seine Fünfte Sinfonie

Im Jahr 1868 übersiedelte Anton Bruckner um sich zu überzeugen, ob das Gehörte nicht für Generalbass, Kontrapunkt und Orgel am von Linz nach Wien, wo ihm in der Nachfolge etwa das Produkt selbsteigenen Fiebers sei.“ Konservatorium vermittelt, doch war dieser Simon Sechters die Professur für Harmonie- Anschließend vergingen Jahre, bevor die 1874 Posten zu schlecht bezahlt, als dass Bruckner lehre, Kontrapunkt und Orgelspiel am Konser- in erster Fassung vollendete Vierte Sinfonie davon seinen Lebensunterhalt hätte bestreiten vatorium der Gesellschaft der Musikfreunde erstmals unter dem Dirigat von Hans Richter können. Das Gesuch, an der Universität als angeboten worden war. Zu diesem Zeitpunkt zur Aufführung gebracht wurde. Und obwohl Musiktheorielehrer zu unterrichten, wurde im hatte der Komponist bereits viel erreicht, war das Werk – gleichgültig, ob man den program- Mai 1874 von einem Ausschuss unter Leitung vom Schul gehilfen zum Hauptschullehrer und matischen Bezügen Bedeutung beimisst oder Hanslicks mit den Worten zurückgewiesen: schließlich zum Dom- und Stadtpfarrorganisten nicht – im weitesten Sinn von einer tendenziell „Man sieht, daß Herr Bruckner über das Fach, ernannt worden und konnte – nach Anregung leichter zu erschließenden romantischen das er lehren will, sich selbst nicht ganz klar ist, des kunst begeisterten Linzer Beamten Moritz Naturimpression mit Hornsignal und Vogelruf sondern nur über den Zweck, zu welchem das von Mayfeld – auf die „Linzer Fassung“ seiner bestimmt wird, befand Johannes Brahms: Ministerium ihm eine Lehrkanzel gründen soll, Ersten Sinfonie zurückblicken, über die in „Alles hat seine Grenzen. Bruckner liegt jen- nämlich damit Herr Bruckner sich ungestört Eduard Hanslicks „Neuer Freier Presse“ eine seits, über seine Sachen kann man nicht hin dem Componiren hingeben könne.“ Zudem kurze, aber positive Rezension erschien. Mit und her, kann man gar nicht reden.“ kündigte man dem Komponisten wegen „un- der Unterstützung von Bruckners Förderer gebührlichen Verhaltens“ seine Stelle an der Johann Herbeck, den Hanslick später als das Auch Bruckners Bestrebungen, eine gut dotier- Wiener Mädchenschule St. Anna, an der er „Perpetu um mobile des Wiener Musiklebens“ te Anstellung zu erlangen, waren wenig erfolg- in der Zeit von 1870 bis 1874 als Klavier- und bezeich nete, sollte die österreichische Metro- reich. Zwar hatte ihm Herbeck eine Professur Orgellehrer tätig war. pole der Ausgangspunkt für Bruckners Kom- ponistenkarriere werden – ein Vorhaben, das Bruckner war verzweifelt und ahnte, dass sein jedoch auf ganzer Linie zu scheitern schien. Anton Bruckner, Gemälde von Hermann Kaulbach (1885) Umzug von Linz nach Wien wohl ein Fehler ge- Denn Bruckners sinfonische Werke, die in Form, wesen war. In einem Brief vom 12. Januar 1875, Ausmaß, Instrumentierung, Melodiebildung gerade als er die Arbeiten am Adagio der und Harmonik kaum dem Stil ihrer Zeit ent- Wiener Misserfolge Fünften Sinfonie begonnen hatte, schrieb er sprachen, stießen bei Publikum und Presse auf an Moritz von Mayfeld: „Alles ist zu spät […] wenig Begeisterung. Bruckners Zweite Sinfonie Nicht besser erging es Bruckners Dritter Sinfo- Fleißig Schulden machen, u. am Ende im etwa, die ihre Uraufführung in Wien erlebte, nie, bei deren Uraufführung große Teile des Schul denarreste die Früchte meines Fleißes wurde nach einer Durchspielprobe der Wiener Publikums den Saal verließen; Hanslick schrieb genießen, und die Thorheit meines Übersie- Philharmoniker vom Dirigenten Otto Dessoff für über das Werk, die Musik schließe mit „Wagners delns nach Wien besingen, kann mein endliches „unspielbar“ erklärt und als „Unsinn“ abgetan. ‚Walküre‘ Freundschaft“, um schließlich „unter Los werden.“ Einen Monat später hieß es in Und auch Hanslick war der Meinung, dass hier die Hufe ihrer Pferde“ zu geraten. In der Wiener einem weiteren Brief an Mayfeld: „Ich habe nur „der Totaleindruck durch eine unersättliche Abendpost vom 17. Dezember 1877 konnte Eduard Hanslick und Anton Bruckner treffen sich auf der das Conservatorium, wovon man unmöglich Rhetorik und allzu breite, mitunter haltlos man zudem lesen: „Man kommt bei dieser Straße in Wien (Karikatur von Otto Böhler). Obwohl (bzw. ge- leben kann. Mußte schon im Sept. und später rade weil) Hanslick sein schärfster Kritiker war und ihm durch zerfallene Form beeinträchtigt“ werde. Musik aus dem Kopfschütteln nicht heraus, seinen Einfl uss viele Wege in der Musikmetropole verbaute, wieder Geld aufnehmen, wenn es mir nicht greift sich wohl auch zeitweilig an den Puls, begegnete Bruckner ihm stets höfl ich und respektvoll ... beliebte, zu verhungern. Kein Mensch hilft mir.

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lehrte“ Stil einen so großen Raum einnimmt In den ersten Takten des Kopfsatzes, in dem wie in diesem Werk, mag insofern kaum über- über den Streicherpizzicati eine ausholende raschen, musste die fast spröde anmutende Choralmelodie den anfänglich richtungslos Polyphonie und der allgemein konservativ- wirkenden, gezupften Klängen Orientierung klassische Gestus des Werkes ihn doch als einen und Halt gibt, wird eine weitere Dimension Musiker ausweisen, der die Beherrschung der der Sinfonie erkennbar. Denn die an Vorbilder traditionellen Form mit einer zeitgenössischen sakraler Musik erinnernden Elemente, die Klangsprache zu verknüpfen wusste. das gesamte Werk durchziehen, bilden ein transzendentales Gegenbild zur „diesseitigen“ Beeindruckende Kontrapunktik fi ndet sich vor Verarbeitung der Motive und Themen. Besonders allem in der gigantischen Doppelfuge, die im deutlich wird dies im Adagio, wenn eine elegi- Finale (einer höchst kunstvollen Synthese von sche Melodielinie der Oboe von einem Wärme Sonaten- und Fugenform) die Funktion einer verstrahlenden Streicherchor aufgefangen wird. Durchführung übernimmt. Das kontrapunktische Anschließend wird die neu gewonnene Sicher- Moment zeigt sich in der Sinfonie allerdings heit vom eng mit dem Adagio verknüpften, auch in einem übergeordneten Sinn, und zwar energischen Scherzo ausformuliert. Am Ende insofern, als Themen und Motive nicht nur des Werkes stehen sich dann „weltliches“ Thema im direkten Aufeinandertreffen miteinander und Choral in feierlichem Charakter gegen- korrespondieren, sondern über weite Strecken über, ohne dass die eine oder andere Sphäre hinweg immer wieder neue Verknüpfungen größeres Gewicht erhalten würde. Dem Kom- eingehen. Ausgangspunkt dieses Konzepts ist ponisten scheint hier, so die Bruckner-For- die langsame Introduktion des Kopfsatzes, schung, die Versöhnung von Diesseitigkeit und in der nahezu alle Motive des Werkes exponiert Transzendenz zu gelingen – eine Art von Erlö- werden. Zunächst wirken die zum Teil kontras- sung, die ihm im wahren Leben verwehrt blieb. Anton Bruckner: Sinfonie Nr. 5, eigenhändige Handschrift der Partitur zum 4. Satz (letzter Choraleintritt) tierenden musikalischen Gebilde voneinander isoliert, weshalb Kritiker auch formale Beliebig- […] Mein Leben hat alle Freude u. Lust verloren – ohne Unterbrechung entstandene Fünfte Sin- keit unterstellt haben. Erst bei ihrem erneuten Original und Bearbeitung umsonst u. um nichts. Wie gerne ginge ich fonie genommen, als Bruckner offenbar allen Erklingen in den verschiedenen Sinfoniesätzen wieder auf meine alten Posten!“ Kritikern und Zweifl ern – vor allem denen an werden die musikalischen Momente einem Wie oft bei Bruckner war der Weg der Fünften der Universität – beweisen wollte, wie gut er sukzessiven Transformationsprozess unter- Sinfonie von ihrer Entstehung bis zur Urauf- sein Metier beherrschte. Nicht umsonst nannte worfen, der es schließlich ermöglicht, ein enges führung und ersten Drucklegung kompliziert. „Kontrapunktisches Meisterstück“ er das Werk sein „kontrapunktisches Meister- Beziehungsgefl echt auszubilden. Die für die In einer Zeit, in der der Komponist längst eine stück“, das er, wie sein Schüler Josef Vockner Fugenform so charakteristische Verdichtung Schar von Anhängern hatte, plante er für den Diese schwierigen Lebensumstände haben in- überlieferte, „nicht für 1000 Gulden […] wird so auf ein mehrsätziges Formkonzept 16. Dezember 1882 eine Aufführung des sofern direkte Auswirkungen auf die zwischen nochmals“ würde schreiben wollen. Dass in ausgeweitet. Werkes an zwei Klavieren durch seinen Schüler dem 14. Februar 1875 und dem 16. Mai 1876 keiner anderen Sinfonie Bruckners der „ge- sowie durch Franz Zottmann,

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um die Sinfonie dem Widmungsträger, dem des Werkes kam es zudem zu Eingriffen in die schrieben, um dem Schluss der Sinfonie einen österreichischen „Minister für Cultus und Unter- Instrumentation, da mit Hilfe typisch Wagner- möglichst pompösen Charakter zu verleihen. richt“ Carl von Stremayr, vorführen zu können. scher Mischtechniken ein weicher Gesamt- Dieser Maßnahme hätte Bruckner mit Sicher- Nachdem der Termin aufgrund einer Erkran- klang erzielt werden sollte. Beispiele hierfür heit niemals zugestimmt, da er sich sehr re- kung von Stremayrs Tochter geplatzt war, fi nden sich bereits in der Introduktion des serviert gegenüber der Verwendung jener fand die Klavier-Premiere der Fünften erst am Kopfsatzes, wo etwa in den Takten 18 bis 21 Instrumente verhielt und sie nur in der Siebten 20. April 1887 im Wiener Bösendorfer-Saal statt. bzw. 26 bis 29 Bruckners achtstimmiger und Achten Sinfonie sowie im sinfonischen Trotz erheblicher Verstimmungen zwischen Blechbläsersatz zusätzlich auf die gesamte Chor „Helgoland“ verwendete, wo kurz vor Bruckner und den Ausführenden während der Holzbläsergruppe ausgedehnt wird. Weiterhin Schluss ein einzelner Beckenschlag ertönt. Probenarbeit – Schalk und Zottmann hatten glaubten die Brüder Schalk in den für Bruckner den Komponisten überraschen wollen und ihn so typischen Fortissimo-Tutti-Blöcken die erst kurz vor der Generalprobe über das ge- Blechbläser abschwächen zu müssen, um einen Urauff ührungs-Erfolg plante Konzert in Kenntnis gesetzt – wurde die Hinter dem Finale zu seiner Fünften Sinfonie vermerkte runderen Gesamtklang zu erzielen, wobei sie Bruckner zunächst „Vollendet 16. Mai 1876“. Nach erneuter Aufführung zu einem überwältigenden Erfolg. Durchsicht des Satzes fügte er ein Jahr später die neue gleichzeitig die sehr leisen Passagen um eine Schalk, der Bruckner zu einem späteren Zeit- Datierung „18. Mai 1877“ hinzu. In seiner eigenen end- oder mehrere Dynamikstufen anhoben. Zudem punkt von seiner Bearbeitung durch deren Die Uraufführung von Bruckners Fünfter Sin- gültigen Version sollte Bruckner die Sinfonie dennoch kam es zu zahlreichen Klangverdickungen Aufführungserfolg überzeugen wollte, konnte niemals zu Gehör bekommen … fonie mit Orchester fand schließlich erst am durch hinzukomponierte Orgelpunkte und angesichts der triumphalen Grazer Premiere 9. April 1894 im Stadttheater Graz unter der Umschichtungen des thematischen Materials zufrieden sein: „Sie werden“, schrieb er an den Leitung von Franz Schalk statt. Doch was das sein Autograph der f-Moll-Messe zurückver- von einer Orchestergruppe in eine andere. Komponisten, „gewiß schon mündlichen Be- Publikum hier zu hören bekam, hatte mit der langte, schrieb Franz in einem Brief vom 27. Mai richt haben über die ungeheure Wirkung, die originalen Komposition wenig zu tun, da Schalk 1894: Es „ist wirklich ein Jammer, daß mit dem Besonders umfangreich fi elen die Änderungen Ihre große herrliche V. hervorrief. Ich kann hier in enger Abstimmung mit seinem Bruder er- alten Herrn so schwer auszukommen ist.“ im radikal gekürzten Finale aus, wo Schalk nur beifügen, daß der Abend für die Zeit mei- heblich in die Partitur eingegriffen und sie an einen zusätzlichen Blechbläserchor aus drei nes Lebens zu den herrlichsten Erinnerungen den gängigen Geschmack des Publikums an- Angesichts der massiven Eingriffe überrascht Trompeten, drei Posaunen, einer Kontrabass- zählen wird, denen ich je theilhaftig werden gepasst hatte, um dem vermeintlich überlade- das bewusste Täuschungsmanöver kaum. Tuba und vier Hörnern verlangte, der in räum- konnte. […] Von der niederschmetternden nen bzw. unklaren Werk zu seinem verdienten Denn die Schalks strichen nicht nur zahlreiche lich separierter Position erhöht hinter dem Gewalt des Finales kann niemand sich eine Erfolg zu verhelfen. Dass die Fünfte in Graz in Passagen komplett, sie änderten auch Takt- Orchester aufgestellt werden sollte. Dieses Vorstellung machen, der es nicht gehört.“ dieser – zweifellos in bester Absicht und mit und Tonarten, gestalteten die Tempo-Proportio- Verfahren erinnert auf den ersten Blick an Bruckner, der nichts von den Verfälschungen bestem Gewissen angefertigten – Bearbeitung nen der Sätze untereinander neu, veränderten Gustav Mahlers im Sommer 1896 entstandene an seinem Werk ahnte, war angesichts des der beiden Bruckner-Schüler zur Aufführung die Dynamik, modifi zierten an zahlreichen Bearbeitung der Neunten Sinfonie Ludwig van Triumphes zufrieden: „Nehmen Sie meine kam, ließen diese gegenüber Bruckner nicht Stellen die melodische Substanz und griffen Beethovens, wo ein zusätzlich verlangtes tiefste Bewunderung Ihrer außerordentlichen nur gefl issentlich unerwähnt. Sie setzten auch auch in die verbalen Anmerkungen des Noten- Fernorchester kurz vor dem Einsatz des Tenor- Kunst, und meinen unaussprechlichen Dank alles daran, die retuschierte Partitur vor ihrem textes ein, indem sie beispielsweise Spiel- solos einen musikalisch-räumlichen Bewe- für so große, große Mühe entgegen!!! […] Lehrer zu verbergen. Als Bruckner in dieser Zeit, anweisungen wie „ausdrucksvoll“, „sehr zart“, gungseindruck erzeugen sollte. Zusätzlich zum Wie schmerzlich ich diese so große Freude, nicht autorisierte Eingriffe vermutend, von „sehr weich“, „ruhig“, „drängend“, „schwer“ Fernensemble werden in der Schalk-Partitur anwesend sein zu können, vermißte, kann ich Joseph Schalk „mit dem größten Ungestüm“ oder „dolce“ hinzufügten. In nahezu jedem Takt der Einsatz von Becken und Triangel vorge- nie beschreiben.“ Da anschließend die Sinfonie

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Rückkehr zur Originalfassung Die internationale Brucknergesellschaft hatte heißt es: „Der Sinn dieser Gesamtausgabe zuvor Wissenschaftler und Pressevertreter zu unterscheidet sich nach meinem von Anfang Erst am 28. Oktober 1935, nahezu 60 Jahre nach einer Voraufführung eingeladen. „Dabei“, be- an festgelegten Plan so tiefgreifend von den dem Entstehen des Werkes, stellten Siegmund richtet August Göllerich, „stand die schwierige bisher so liberalistischen Gepfl ogenheiten von Hausegger und die Münchner Philharmo- Frage zur Diskussion, ob der von Franz Schalk der musikalischen Philologie, daß er selbst- niker die Originalfassung von Bruckners Fünfter zugesetzte Blechbläserchor auch künftig bei- verständlich den stärksten jüdischen Wider- Sinfonie der Öffentlichkeit vor – ein Ereignis, zubehalten sei. Nach Wiedergabe der ganzen spruch und Widerstand reizen mußte. In zwölf anlässlich dessen in der „Neuen Zeitschrift für Symphonie in der Originalfassung mit dem über langen Kampfjahren sah ich mich daher genö- Musik“ zu lesen war: „Ein musikgeschichtliches 100 Takte längeren Finale, wurde die Fassung tigt, meine Auffassungen gegen den jüdischen Datum! Denn des Staunens und der Überra- des Schlußsatzes von Franz Schalk mit dem Musikverlag, gegen die jüdische Presse und schung über die von Bearbeitereingriffen ge- höhergestellten Bläserchor gespielt. Es ergab auch leider gegen manche arische Mitläufer reinigte, ursprüngliche Lesart wollte kein Ende sich, daß der Original-Satz des Bläserchorals dieser Mächte zu verteidigen. Heute kann ich werden. Da sind zunächst einmal die schier ohne jede Verstärkung in der Wirkung keines- mit Stolz darauf verweisen, daß es mir durch zahllosen Änderungen in der Instrumentation, wegs geringer ist, als in der Fassung von Schalk. vollsten persönlichen Einsatz nicht nur ge- die in Schalks Fassung dem Werke eine völlig Durch Wiedereintritt der Gesangsgruppe, lungen ist, dieses Werk vor Unterdrückung, andere, teilweise brucknerfremde Klanggestalt sozusagen als Zwischenspiel vor der letzten Vernichtung und Verstümmelung zu bewahren, gegeben haben. Schalk, dem dabei der in Schlußsteigerung der Doppelfuge, kommt der sondern es vielmehr in aller Welt zur Geltung zeitbedingten Klangidealen befangene Kapell- Schluß zu einer überwältigenden Wirkung. zu bringen, insbesondere im deutschen Musik- meister einen Streich spielt, hat es vor allem Das viel längere Finale erscheint nun in seiner leben.“ Angesichts dieser Ausführungen mag auf Bruckners ungemischt reine Orchesterfarbe logischen Motivierung kürzer als in der bisher es kaum überraschen, dass nach dem Zweiten abgesehen, die, wo dies nur immer angeht, geltenden Bearbeitung.“ Weltkrieg die Haas-Ausgabe in Misskredit durch Mixturen ersetzt werden. Kopplungen geriet, so dass viele Dirigenten wieder auf die und Dopplungen der Stimmen, Verteilungen Robert Haas, Direktor der Musiksammlung der ältere Schalk-Ausgabe zurückgriffen. Seit Der Dirigent Franz Schalk (Zeichnung von Hans Böhler). und Versetzungen, wo man hinhört. Zudem eine Österreichischen Nationalbibliothek, hatte zu- 1951 liegt Bruckners Fünfte in ihrer Original- Er leitete die Grazer Uraufführung von Bruckners Fünfter kleinliche Furcht vor Dissonanzen, wenn etwa vor eine streng an Bruckners Intentionen ori- gestalt im Rahmen der von Leopold Nowak in einer von ihm und seinem Bruder Joseph Schalk retuschierten Fassung im dritten und fünften Takte des Schlußsatzes entierte Gesamtausgabe geschaffen – zweifel- geleiteten Neuen Gesamtausgabe vor, die die ursprünglichen Viertel der Klarinette in los eine editorische Großtat, deren Wirkung zuletzt 2005 noch einmal nach neuestem von Schalk ohne Mitwirkung des Komponisten Achtel verkürzt werden, damit im ersten Falle allerdings dadurch stark geschmälert wurde, Forschungsstand verbessert wurde. In dieser ediert wurde, fanden die Änderungen auch nicht b und a, im zweiten nicht d und e zusam- dass sie der wissenschaftliche Editionsleiter Form ist das Werk heute – wie alle anderen Eingang in die gedruckte Erstausgabe, die im mentreffen. Überdies teilt der Bearbeiter die „dem deutschen Volk und unserem Führer Sinfonien Bruckners – in den großen Konzert- April 1895 bei Doblinger in Wien erschien. Stelle der Trompete zu. Indes, Schalk geht noch Adolf Hitler geweiht“ hatte. In einer Stellung- sälen der Welt allgegenwärtig. Allem Anschein nach hat Bruckner diesen Erst- weiter. Selbst die Form hat er nicht unange- nahme, die Haas am 25. April 1935 dem Pro- druck seines Werkes nie zu Gesicht bekommen. tastet gelassen. […] Bruckners Fünfte in der pagandaministerium vorlegte und der er Harald Hodeige Urgestalt, wird künftig die Losung jedes Or- am 28. März eine Grußadresse an Goebbels, chesterleiters lauten müssen!“ den „Schirmherr[en] der Gesamtausgabe und der Originalfassung“ vorausgeschickt hatte,

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NDR SINFONIEORCHESTER NDR SINFONIEORCHESTER B8 | Do, 29.03.2012 | 20 Uhr KAMMERKONZERT AUF KAMPNAGEL A8 | So, 01.04.2012 | 11 Uhr C4 | Do, 22.03.2012 | 20 Uhr Hamburg, Laeiszhalle Di, 27.03.2012 | 20 Uhr KA3a | Fr, 09.03.2012 | 20 Uhr D6 | Fr, 23.03.2012 | 20 Uhr Constantinos Carydis Dirigent Hamburg, Rolf-Liebermann-Studio KA3b | Sa, 10.03.2012 | 20 Uhr Hamburg, Laeiszhalle Sol Gabetta Violoncello GROSSE KLAVIERTRIOS Hamburg, Kampnagel Thomas Hengelbrock Dirigent Anatolij Ljadow Evrus-Trio GERSHWIN MEETS RAVEL Lise de la Salle Klavier Kikimora – Liudmila Minnibaeva Violine John Axelrod Dirigent Jean-Philippe Rameau Legende für Orchester op. 63 Bettina Barbara Bertsch Violoncello Jean-Yves Thibaudet Klavier Suite aus „Dardanus“ Dmitrij Schostakowitsch Tinatin Gambashidze Klavier Maurice Ravel Camille Saint-Saëns Konzert für Violoncello und Ludwig van Beethoven La valse Klavierkonzert Nr. 2 g-Moll op. 22 Orchester Nr. 1 Es-Dur op. 107 Variationen über George Gershwin Modest Mussorgsky/Maurice Ravel Nikolaj Rimsky-Korsakow „Ich bin der Schneider Kakadu“ op. 121a Concerto in F Bilder einer Ausstellung Scheherazade – Maurice Ravel Variations on „I got Rhythm“ Sinfonische Suite op. 35 Trio a-Moll 22.03.2012 | 19 Uhr An American in Paris Franz Schubert 23.03.2012 | 19 Uhr 29.03.2012 | 19 Uhr: Einführungsveranstaltung Maurice Ravel Einführungsveranstaltungen mit Thomas Hengelbrock Klaviertrio B-Dur D 898 Boléro

Sol Gabetta Lise de la Salle Evrus-Trio Jean-Yves Thibaudet

12 13 In Hamburg auf 99,2 Weitere Frequenzen unter ndr.de/ndrkultur

Impressum Saison 2011 / 2012

NDR PODIUM DER JUNGEN Herausgegeben vom NORDDEUTSCHEN RUNDFUNK Mi, 21.03.2012 | 20 Uhr PROGRAMMDIREKTION HÖRFUNK Hamburg, Rolf-Liebermann-Studio BEREICH ORCHESTER UND CHOR STRINGS & SINGING Leitung: Rolf Beck Wishful Singing Quatuor Hermès Redaktion Sinfonieorchester: Werke von Achim Dobschall Frank Martin, Claude Debussy Olli Virtaperko, Antonio Caldara, Redaktion des Programmheftes: Joseph Haydn Julius Heile

Auszüge aus diesem Programm werden auch in der Reihe „Konzert statt Schule“ gegeben (ab Klasse 7). Der Einführungstext von Dr. Harald Hodeige Termin: ist ein Originalbeitrag für den NDR. Do, 22.03.2012 | 9.30 + 11 Uhr Hamburg, Rolf-Liebermann-Studio Fotos: Philipp von Hessen (S. 3) akg-images (S. 4, S. 6, S. 8) LANDESJUGENDORCHESTER culture-images | Lebrecht (S. 5, S. 10) HAMBURG Michael Tammaro | Decca (S. 12 links) (Patenorchester des NDR Sinfonieorchesters) Marco Borggreve (S. 12 rechts) Marco Borggreve (S. 13 links) Sa, 03.03.2012 | 20 Uhr Gela Megrelidze (S. 13 rechts) Hamburg, Laeiszhalle Fausto Fungaroli Dirigent NDR | Markendesign

Wolfgang Amadeus Mozart Gestaltung: Klasse 3b, Hamburg Foto: Stefano Stefani | gettyimages Sinfonie Nr. 36 C-Dur KV 425 Litho: Otterbach Medien KG GmbH & Co. Nikolaj Rimsky-Korsakow Druck: Nehr & Co. GmbH Scheherazade – Sinfonische Suite op. 35 Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des NDR gestattet. Die Konzerte des NDR Sinfonieorchesters hören Sie auf NDR Kultur Karten im NDR Ticketshop im Levantehaus, Tel. 0180 – 1 78 79 80 (bundesweit zum Ortstarif, maximal 42 Cent pro Minute aus dem Mobilfunknetz), online unter ndrticketshop.de

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