Magazin der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien Jänner 2009

Gestalten und Schöpfen

Staatsoperndirektoren und -dirigenten als Liederkomponisten

Lieder komponierende Direktoren und Dirigenten. Was an der Wiener Staatsoper lange Zeit schöne Tradition war, erklären Ildikó Raimondi, Peter Matic und Charles Spencer im Musikverein zum Thema ihres Abends in der Reihe „Lied.Bühne“.

Sie haben es tatsächlich getan – sie haben Lieder komponiert, und zwei von ihnen mit großem, ja mit größtem Erfolg: und . Die anderen sekundierten mit mehr oder weniger bedeutenden Leistungen: , Felix von Weingartner oder , und Karl Böhm. In Herbeck, Weingartner und Krauss brannte noch das Feuer schöpferischer Begeisterung, obwohl die Hingabe an die musikalische nachgestaltende Arbeit des Opern- und Konzertbetriebs die Kräfte für selbständiges Schaffen nur bedingt freisetzte. Bei Krauss ging vieles davon in die Zusammenarbeit mit Richard Strauss ein, während es für Walter und Böhm bei jugendlichen oder zumindest frühen Talentproben blieb.

Lebendige Tradition Einmal in der 150-jährigen Geschichte der Wiener Oper standen einander im Direktorium ein nachgestaltender und ein schöpferischer Künstler gegenüber: und Richard Strauss. Anlässlich der Uraufführung der Oper „Die Frau ohne Schatten“ des designierten neuen Wiener Operndirektors aus Bayern am 10. Oktober 1919 unter der Leitung von Franz Schalk – eines kongenialen „direktoralen“ Ereignisses, das in seiner Bedeutung nicht mehr übertroffen wurde – schrieb der führende Wiener Musikkritiker Julius Korngold: „Es gibt keinen lebenden Musiker, der ähnliches vermöchte; aber wer brächte auch das Vorangegangene zustande?“ Unter dem „Vorangegangenen“ darf man neben den Opern von Richard Strauss auch die symphonischen Dichtungen, kleineren Konzertstücke und schließlich die Lieder bedenken. Und viele dieser Lieder stellten stimmliche Ansprüche, denen im Grunde nur Opernsänger gewachsen waren.

In der Ära Strauss/Schalk setzten Selma Kurz und Leo Slezak ihre Karriere fort, Maria Jeritza und Richard Tauber, Lotte Lehmann und Alfred Piccaver, , Richard Mayr und Emil Schipper prägten neben und vor anderen ihrer Kollegen den Operngesang und wurden zur Legende. Darunter waren die erfolgreichsten Liedsänger ihrer Zeit: Lotte Lehmann, Elisabeth Schumann, Marie Gutheil-Schoder, Leo Slezak, Richard Mayr und Hans Duhan.

Sie alle schlossen an die zumindest seit Franz von Dingelstedts (1867–1870) und Johann von Herbecks (1870–1875) Direktionszeiten üblich gewordene Tradition an, dass die vorzüglichsten Wiener Opern- auch außerordentliche Liedsänger sein sollten. Das herausragende, damals noch immer in der Erinnerung lebendige Vorbild aus jener Zeit war der Tenor Gustav Walter.

Wechselwirkungen Richard Strauss hatte es immer zu schätzen gewusst, wenn Opernsänger sich auch dem Liedgesang widmeten. Mit seiner Frau, der jugendlich-dramatischen Sopranistin Pauline de

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Ahna, hatte er in diesem Sinne Lieder vom Klavier aus oder als Dirigent mit orchestraler Begleitung gestaltet. Eine schöne Reminiszenz an seine Wiener Direktionszeit sind die „Gesänge des Orient, Nachdichtungen aus dem Persischen und Chinesischen“ von Hans Bethge, die er zweien seiner der Wiener Mitarbeiter widmete: der Sopranistin Elisabeth Schumann und deren Ehemann, dem Dirigenten (und Pianisten) Karl Alwin.

An der Wiener Staatsoper trafen einander Komponist, Sänger und Begleiter auf einer neuen künstlerischen Ebene. Lieder zu komponieren hieß zugleich, Zeugnis abzulegen für das eigene literarische Verständnis, für den eigenen literarischen Geschmack. Lieder zu singen bedeutete, größere selbständige künstlerische Verantwortung zu tragen, als der Operngesang gewährte. Hier war man dem schöpferischen Wollen zunächst und musste für sich ein Bild von Textauswahl, Text und Tonsprache des Komponisten entwickeln – und das in eigener Verantwortung. Solche Betätigung kam umgekehrt der Reife des Operngesangs zugute.

Trennendes, Verbindendes Beim Komponieren schieden sich die Geister literarisch und musikalisch. Es war eben ein Unterschied, ob Richard Strauss kühn und ohne Bedenken hineingriff in das literarische Leben seiner Zeit und mit großem künstlerischen Selbstvertrauen vornehmlich Gedichte von Zeitgenossen zur Vertonung wählte, oder ob Gustav Mahler sich nostalgisch zur deutschen Romantik und ihren Dichtern sowie zu Friedrich Rückert, also den beliebten, sicheren Gewährsmännern längst vergangener Tage zurückwandte.

Die ersten Jahre des neuen Jahrhunderts feierte Mahler auf dem Höhepunkt seiner Wiener Direktionszeit mit der Komposition von Liedern nach Rückert und mit Vertonungen von „Wunderhorn“-Gedichten. Das war eine publikumswirksame zeittypisch-historisierende künstlerische Tat. Nicht allzu weit vom Stimmungsgehalt und der Aussageweise dieser Texte war, was Hans Bethge, der so viel orientalische und fernöstliche Poesie durch vorzügliche Nachdichtungen vermittelt hat, in seiner Ausgabe „Chinesische Flöte“ versammelte. Mahler wählte daraus – und hier traf er mit einem der literarischen Interessen von Richard Strauss zusammen – jene Gedichte, die in seinem „Lied von der Erde“ berührend-romantisierend erklingen.

Wenn man Felix von Weingartner, Mahlers Nachfolger an der Staatsoper, und den historisch fassbaren Symptomen Glauben schenken darf, so ist Gustav Mahler an den Ansprüchen seines Strebens als Operndirektor und als Komponist zerbrochen: „Als … allmählich Erfolge für sein Schaffen einsetzten und ihn zu rastloser Produktion reizten, so dass ein umfangreiches Werk auf das andere folgte, setzte das Dilemma ein, dessen sich widerstrebende Ausstrahlungen er offenbar, vielleicht auch in Folge seiner nicht allzu festen Gesundheit, nicht restlos in sich vereinigen konnte.“

Künstlerische Rekreation Weingartners umfangreiches und beliebtes Liedschaffen wuchs parallel zu jenem seines Altersgenossen Richard Strauss, und ähnlich wie dieser seiner Pauline die vier Lieder des Opus 27 zum 10. September 1894 als Hochzeitsgabe darbrachte, so überreichte Weingartner gleichsam als Verlobungsgeschenk der von ihm für die Staatsoper engagierten Sopranistin Lucille Marcel zehn Lieder in zwei Heften op. 46 und 47.

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Während seiner Direktionszeit fasste Weingartner das Komponieren von Liedern als künstlerische Rekreation angesichts des durchaus Nerven raubenden Opernalltags auf. Seine Textauswahl ist jener von Strauss verwandt: Gegenwartslyrik dominiert, daneben gibt es orientalische und ostasiatische Klänge; dass Weingartners bekanntestes Lied „Liebesfeier“ auf einen weiter zurückliegenden Text von Nikolaus Lenau komponiert ist, bestätigt die Ausnahme von der Regel. Lenaus Lyrik stand einem Komponisten der Mitte des 19. Jahrhunderts, wie es Johann von Herbeck war, naturgemäß näher.

Herbeck, der eine glückliche Hand im Komponieren und im Organisieren besaß, hat neben seinen vielen Verpflichtungen im musikalischen Leben Wiens auch meisterhaft komponiert, was seine Vertonung von Lenaus „Die drei Zigeuner“ belegt.

Wandel der Zeit Je weiter das 20. Jahrhundert fortschritt, desto geringer wurde das Interesse der Wiener Operndirektoren und -dirigenten an schöpferischem Engagement. Die eigene Produktion, die für Herbeck, Mahler, Strauss und Weingartner selbstverständlich war, versandete – und übrig blieben Talentproben, die zeigten, inwieweit ein Musiker sein Metier auch vom kompositorischen Aspekt her beherrschte.

Solche Talentproben anstudierter Kompositionstechnik gab auch – auf angemessenem Niveau – Karl Böhm in seiner Jugend ab, und mancher andere Dirigent wird ihm damals darin gefolgt sein. Von all diesen Versuchen heben sich die bemerkenswerten Piècen „Acht Gesänge nach Gedichten von Rilke“ von Clemens Krauss ab. Hier ist ein genialischer Jüngling von etwa 20 Jahren am Werk, der Gedichte, die ihn, den Musiker, aus der literarischen Gegenwart ansprechen, und für die er eine persönliche Tonsprache findet. Krauss’ reges künstlerisches Bewusstsein versucht, innerhalb der musikalischen Überlieferung neue Akzente zu setzen.

Dem Gegenwärtigen – in welchem Kleid es sich auch immer präsentiert – gilt die besondere Aufmerksamkeit von Krauss. Der Weg zu Richard Strauss ist hier schon angedeutet, und man bedauert, dass die eingeschlagene Richtung keine Fortsetzung fand. Es zeigt sich jedenfalls eine künstlerische Sensibilität, die dem späteren Opernchef – nicht zuletzt an der Wiener und der Münchener Oper – erhalten blieb und bis zur souveränen literarisch-dramaturgischen Kooperation mit Strauss bei „“ führte.

Wiederaufleben des Vergangenen Anders zeigt sich Bruno Walter, der zwar sein reges Interesse an der Gegenwartskultur seiner Zeit mit faszinierend geschriebenen Erinnerungen „Thema und Variationen“ bezeugt, aber wie sein Mentor Gustav Mahler, an die romantische Vergangenheit frühzeitig gebunden, dieser treu blieb, besonders wenn es darum ging, Gedichte für das eigene Komponieren zu wählen. Joseph von Eichendorffs Verse bieten ihm daher die idealen Bilder seiner eingängigen traditionellen Tonsprache.

Wenn ein heute an der Staatsoper wirkender Dirigent wie Philippe Jordan dem Anlass eines von Staatsoper und Musikverein gemeinsam veranstalteten Liederabends einige Kompositionen widmet, dann wünscht man ihm und allen Gleichgesinnten eine schöpferische Begeisterung, die noch manches Lied zukünftig hervorbringen soll und die zurückwirken möge

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auf inspirierendes Musizieren am Dirigentenpult der Oper.

Herbert Zemann Univ.-Prof. Dr. Herbert Zeman war bis zu seiner Emeritierung im Oktober 2008 Ordinarius für neue Deutsche und Österreichische Literatur an der Universität Wien. Eines seiner besonderen Forschungsgebiete ist die von ihm begründete literaturwissenschaftliche Libretto- und Liedforschung.

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