<<

Beilage zur Wochenzeitung

15. Mårz 2004

Aus Politik und Zeitgeschichte

3 Werner A. Meier Essay Gesellschaftliche Folgen der Medienkonzentration

7 Horst Ræper Zeitungsmarkt in der Krise ± ein Fall fçr die Medienregulierung

14 Marie Luise Kiefer Der Fernsehmarkt in Deutschland ± Turbulenzen und Umbrçche

22 Insa Sjurts Think global, act local ± Internationalisierungs- strategien deutscher Medienkonzerne

30 Wolfgang E. Heinold/Ulrich Spiller Der Buchhandel in der Informationsgesellschaft

B 12±13/2004 Editorial und garantieren dessen publizisti- Herausgegeben von sche Selbstståndigkeit. der Bundeszentrale n Lånder, Kartellbehærden und fçr politische Bildung n Eine Ûberraschung war das Veto Journalistenverbånde wehren sich Adenauerallee 86 des Bundeskartellamtes Anfang gegen die geplante Neuregelung. 53113 Bonn. Februar nicht: Der Stuttgarter Wer Zeitungen kaufe, kænne leicht Holtzbrinck-Konzern darf die einen Treuhånder als vermeintlich Redaktion: ¹Berliner Zeitungª nicht çberneh- eigenståndigen Dritten einsetzen, Dr. Katharina Belwe men, weil er in der Hauptstadt warnen sie. Der Erwerb des (verantwortlich fçr diese Ausgabe) schon den ¹Tagesspiegelª besitzt. ¹Tagesspiegelsª durch den frçhe- Dr. Hans-Georg Golz Groûe Bedeutung dçrfte der Ent- ren Holtzbrinck-Manager Pierre Dr. Ludwig Watzal scheidung auch nicht zukommen ± Gerckens scheint diese Befçrchtun- Hans G. Bauer denn Wirtschaftsminister Wolf- gen zu beståtigen, wie der Beitrag Redaktion dieser Ausgabe: gang Clement (SPD) hat bereits von Horst Ræper belegt. einen Gesetzentwurf in der Schub- Nicole Maschler n Um die Barrieren auf dem deut- lade, der groûen Medienkonzernen Telefon: (0 18 88) 5 15-0 schen Markt zu umgehen, expan- den Aufkauf von Kleinen erleich- Internet: dieren etablierte Medienkonzerne tern soll. www.bpb.de/publikationen/apuz zunehmend ins Ausland ± in der E-Mail: [email protected] n Aber vielleicht kann das Nein der Hoffnung auf neue Absatzchan- Kartellwåchter helfen, eine gesell- Druck: cen. Denn wåhrend nahezu alle schaftliche Debatte çber die Fusi- Frankfurter Societåts-Druckerei GmbH, Medienteilmårkte in Deutschland onskontrolle im Medienbereich zu 60268 Frankfurt am Main gesåttigt erscheinen, biete sich ins- entfachen. Geht es doch bei dem besondere auf den ost- und auûer- Vertrieb und Leserservice: Ringen um den ¹Tagesspiegelª europåischen Mårkten noch Die Vertriebsabteilung letztlich darum, ob und wie die Potenzial, betont Insa Sjurts. der Wochenzeitung , Pressevielfalt gewahrt werden n Dass starkes Wachstum auch zur Frankenallee 71±81, kann. Diese Frage stellt sich umso Ûberdehnung fçhren kann, zeigt 60327 Frankfurt am Main, dringlicher, als selbst auflagen- der Fall Kirch. Das Ziel eines vertikal Telefon (0 69) 75 01-42 53, starke Zeitungen wie die ¹Frankfur- integrierten Medienkonzerns hatte Telefax (0 69) 75 01-45 02, ter Allgemeine Zeitungª und die Leo Kirch spåtestens seit der Zulas- E-Mail: [email protected], ¹Sçddeutsche Zeitungª inzwischen sung des privaten Rundfunks in nimmt entgegen: Ressorts auflæsen oder ganze Aus- Deutschland Anfang der achtziger gaben einstellen und auch den * Nachforderungen der Beilage Jahre systematisch verfolgt. Seine Fernsehsendern die Werbeeinnah- Aus Politik und Zeitgeschichte strategischen Entscheidungen men wegbrechen. Um ihre wirt- * Abonnementsbestellungen der waren offenbar ganz zentral von schaftliche Wettbewerbsfåhigkeit Wochenzeitung dem Programmvermægen ± mit zu sichern, setzen die fçhrenden einschlieûlich Beilage zum Preis einem Bestand von zuletzt 18 000 Konzerne auf Stabilitåt durch von Euro 9,57 vierteljåhrlich, Filmen ± bestimmt, so Marie Luise Græûe ± mit problematischen Jahresvorzugspreis Euro 34,90 Kiefer. Doch die erhofften Syner- Folgen fçr die Medien- und einschlieûlich Mehrwertsteuer; gien blieben aus bzw. wurden Meinungsvielfalt, kritisiert Werner Kçndigung drei Wochen vor Ablauf nicht konsequent genutzt. A. Meier. des Berechnungszeitraumes; n Mit der Insolvenz der Kirch- n Die Politik zeige Verståndnis fçr * Bestellungen von Sammel- Gruppe tauchte ein fçr den deut- die Wachstumsstrategien der mappen fçr die Beilage schen Medienmarkt neuer Typus Medienunternehmen, verspreche zum Preis von Euro 3,58 von Kapitalgebern auf: Investoren, sie sich davon doch eine Stårkung zuzçglich Verpackungskosten, die lukrative Beteiligungen an der Wirtschaft. So will Minister Portokosten und Mehrwertsteuer. angeschlagenen Firmen suchen ± Clement das Kartellrecht lockern mit dem Ziel, diese spåter mit Die Veræffentlichungen und Fusionen und Ûbernahmen im Gewinn wieder zu veråuûern. in der Beilage Pressegewerbe de facto grundsåtz- Diese Entwicklung ist nach Ein- Aus Politik und Zeitgeschichte lich erlauben. Einen entsprechen- schåtzung von Wolfgang E. Heinold stellen keine Meinungsåuûerung den Kabinettsbeschluss soll es in und Ulrich Spiller auch in der Buch- des Herausgebers dar; diesem Monat geben. Nach Cle- branche zu beobachten. Die sie dienen lediglich der ments Plånen darf kçnftig jede Zei- Wachstumsstrategien der einheimi- Unterrichtung und Urteilsbildung. tung aufgekauft werden ± auch schen Konzerne haben somit das wenn in der jeweiligen Region ein Fçr Unterrichtszwecke dçrfen Gegenteil bewirkt und der auslån- Monopol entsteht. Einzige Ein- Kopien in Klassensatzstårke dischen Konkurrenz ein Einfalltor schrånkung: Der Altverleger oder hergestellt werden. zum deutschen Markt eræffnet. ein neuer Dritter halten 25,1 Pro- ISSN 0479-611 X zent an dem çbernommenen Blatt Nicole Maschler n Werner A. Meier Gesellschaftliche Folgen der Medienkonzentration

Medienkonzentration ist kein neues Phänomen. der Konzentration sprechen.3 Staat und Behörden Seit der Industrialisierung der Presse durch die leisten Fusionen und Aufkäufen – wie noch zu zei- technisch-ökonomischen Veränderungen im 19. gen sein wird – eher Vorschub als diese zu verhin- Jahrhundert haben bestimmte gesellschaftliche dern. Kräfte immer wieder versucht, die Monopolisie- Während die Ursachen der Medienkonzentration rung der Medien zu befördern und unternehmeri- weitgehend unstrittig sind, werden ihre möglichen sche Interessen durchzusetzen.1 Vor dem Hinter- negativen Folgen in der Regel verharmlost oder grund von Konzentrationsprozessen auf nationaler im öffentlichen Diskurs sogar völlig ausgeblendet. Ebene und angesichts transnational agierender Es ist daher nicht verwunderlich, dass ihre Konse- Medienunternehmen hat die Eigentumskonzentra- quenzen weder hinreichend ermittelt noch ausrei- tion bei Presse und Rundfunk ein noch nie da chend bewertet werden – sind doch die Medien gewesenes Ausmaß erreicht. Die verschiedenen selbst Teil des Problems. So ließ sich der Präsident Formen der Medienverflechtung sowie das Entste- des Verbandes Schweizer Presse, Hanspeter hen ausdifferenzierter Medienkonzerne führen zu Lebrument, Besitzer des einzigen Multimedia-Ver- einer Störung des freien Spiels der Kräfte am lagshauses im Kanton Graubünden, jüngst zitieren, Markt. Dies ist nicht nur volkswirtschaftlich uner- es gebe gar keine Medienkonzentration. Während wünscht, sondern bewirkt im Medienbereich auch Medienunternehmer die durch Fusionen oder gesellschafts- und demokratiepolitische Legitima- Übernahmen verunsicherte Öffentlichkeit zu beru- tionsdefizite. higen versuchen, reagieren Politiker ambivalent: Die Herausbildung von Informations- und Sie neigen dazu, Medienmacht als hoch problema- Mediengesellschaften erhöht das Risiko von Kon- tisch einzuschätzen; unter dem Strich zeigen die zentrationsprozessen zusätzlich. Wenn es zutrifft, meisten jedoch Verständnis für die Wachstumsstra- dass die Zahl der Medien und Angebotsformen tegien der führenden Medienkonzerne und erhof- rasant wächst, neue Medienformen entstehen, Ver- fen sich eine Stärkung der regionalen und nationa- mittlungsleistungen und -geschwindigkeit zuneh- len Medienbranche. Nur eine Minderheit der men, die Medien immer stärker und engmaschiger Politiker stellt die volkswirtschaftlichen, ordnungs- alle gesellschaftlichen Bereiche durchdringen,2 und demokratiepolitischen Risiken in den Vorder- dann wird die gesamtgesellschaftliche Durchset- grund und plädiert für eine klare und eindeutige zung der Medienlogik durch Konzentrationspro- Begrenzung von Medieneigentum. zesse beschleunigt. Dabei geht es nicht nur um die Möglichkeiten zum Missbrauch von Medienmacht durch einen markt- Zudem setzen sich die führenden Medienkonzerne beherrschenden Konzern, sondern auch um die erfolgreich gegen jede wirtschaftliche und politi- Auswirkungen auf Politik und Wirtschaft. Aller- sche Beschneidung ihres Wachstums zur Wehr. dings kann die fortschreitende Medienkonzentra- Dies führt dazu, dass die staatlichen Maßnahmen tion keineswegs für alle Schwächen im Medienbe- zur Eindämmung von Medienkonzentration und reich verantwortlich gemacht werden. Ganz im zur Reduktion von Medienmacht – sofern sie über- Gegenteil: Medienkonzentration ist lediglich eine haupt politisch durchgesetzt worden sind – wenig – allerdings hervorstechende – Dimension von bis gar keine Wirkung erzielen. Betrachtet man die wachsender Medienmacht; diese ist aber noch Deregulierungsmaßnahmen im Medienbereich, kaum wissenschaftlich analysiert, geschweige denn lässt sich sogar von einer staatlichen Förderung politisch bewältigt. Es handelt sich um eine Pro- blematik, die in allen westlichen Demokratien – 1 Vgl. Dennis F. Hale, Political Discourse Remains Vigo- rous Despite Media Ownership, in: Joseph Harper/Thom nicht nur im Italien von Silvio Berlusconi – auftritt Yantek (Hrsg.), Media, profit, and politics. Competing prio- rities in an open society, Kent/Ohio 2003, S. 142. 3 Vgl. Manfred Knoche, Strukturwandel der Öffentlichkeit 2 Vgl. Otfried Jarren, Mediengesellschaft. Risiken für die nach dem Konzentrationsprinzip, in: Jürgen Wilke (Hrsg.), politische Kommunikation, in: Aus Politik und Zeit- Massenmedien und Zeitgeschichte, Konstanz 1999, S. 731– geschichte, B 41–42/2001, S. 10–19. 745.

3 Aus Politik und Zeitgeschichte B 12–13/2004 und zwar in Form des Spannungsverhältnisses von gesellschaftspolitisch konservativen Zielsetzungen unkontrollierten Marktkräften und den Anforde- in den Vordergrund rücken und unternehmerische rungen eines gesellschafts- und demokratieverträg- Strukturen schaffen, welche – intern und extern – lichen Journalismus. „Die Funktion der Presse in die Herausbildung von Medien- und Meinungs- der Gesellschaft besteht darin zu informieren, aber vielfalt erschweren. Die selektive Auswahl des ihre Rolle besteht darin Geld zu machen.“4 Führungspersonals und die forcierte Durchsetzung von Loyalität im Arbeitsalltag führen zu einer durch Medienbesitz gesteuerten Pressefreiheit, die der modernen Demokratie massiven Schaden zufügt. Konzentrationsfolgen Je mehr Medienkonzerne durch Aufkäufe und Fusionen wachsen, desto attraktiver erscheinen sie Auch wenn horizontale, vertikale, diagonale und potentiellen Investoren und desto eher kommt es konglomerate Konzentration unterschiedliche Fol- zu Übernahmen. Der Handel mit Medienproduk- gen nach sich zieht, wird hier vereinfachend davon ten und -unternehmen mit dem Ziel kurzfristiger ausgegangen, dass sich die Marktzutrittbarrieren Gewinne an der Börse nimmt zu. Zudem bemäch- für neue Unternehmen schon durch die Abnahme tigen sich Industrieunternehmen zunehmend der der Zahl wirtschaftlich unabhängiger Medienun- Medien, um branchenspezifische Risiken abzusi- ternehmen erhöhen. Auch für bestehende Anbie- chern. Das Auftreten branchenfremder Investo- ter werden die Spielräume und Nischen enger, da rengruppen führt nicht nur zu einer neuen, meist die Kosten für einen nachhaltigen Marktauftritt betriebswirtschaftlich ausgerichteten Unterneh- steigen und dies die Lancierung neuer Produkte menskultur. Die konglomerate Verflechtung geht erschwert. Der zahlenmäßige Rückgang eigenstän- mit Einschränkungen für die Redaktionen einher diger Medienunternehmen verhindert in der Regel – meist durch unternehmerische Vor- und redak- nicht nur das Entstehen neuer journalistischer tionelle Selbstzensur. Je größer die Zahl der Arbeitsplätze. Der Abbau von Redaktionen führt Unternehmen innerhalb komplizierter Holding- auch dazu, dass zunehmend Jobs verloren gehen. strukturen ist, desto schwerer sind die Eigeninte- Die unternehmerisch erzwungene Flexibilität der ressen der Investoren von außen zu erkennen. Medienschaffenden hat gleichzeitig eine Homoge- Damit steigt das Risiko, dass sich die Wirtschafts- nisierung journalistischer Arbeitsweisen, Normen berichterstattung immer mehr als Teil des Kon- und Inhalte zur Folge. zernjournalismus versteht. Durch unternehmerische Oligopolisierung wird Die fortschreitende Verflechtung und Vernetzung zudem der – interne und externe – publizistische der Medienbranche führt zu einer Einschränkung Qualitäts- und Innovationswettbewerb einge- des intermedialen wirtschaftlichen Wettbewerbs. schränkt. Zugleich nimmt die kritische Kontrolle Die Kontrolle durch die Kräfte des Marktes ab, die ein zentrales Instrument der Selbstregulie- nimmt kontinuierlich ab. Unternehmerische Ein- rung ausmacht. Medienkonzentration schaltet die zelinteressen und Einflussnahmen auf Medienin- Selbstreflexion aus; der Ansporn, bessere journa- halte sind leichter durchsetzbar. Im Vordergrund listische Leistungen als die Konkurrenz hervorzu- steht auf der einen Seite die Erhöhung der Profita- bringen, wird geringer. bilität, die durch Imitation, Vervielfältigung, Stan- dardisierung und konzerninterne Werbung für die Die abnehmende Zahl wirtschaftlich unabhängiger verschiedenen Medienprodukte erreicht werden Medien bei gleichzeitigem Wachstum der Unter- soll. Auf der anderen Seite nimmt innerhalb des nehmen vergrößert allerdings die Einflussmöglich- Konzerns die Orientierung an Werbekunden und keiten von Eigentümern und Anteilseignern. Die Endverbrauchern zu. Es wird ein für das Produkt Einflussnahme kann wirtschaftlich oder politisch des Auftraggebers optimales Werbeumfeld ge- begründet sein. Medienbesitz ist verführerisch, da schaffen. Solange die Dienstleistungen kosten- er Macht, Einfluss und Prestige suggeriert und ein günstig erbracht werden können, werden auch erfolgreiches Mittel darstellen kann, um in den Wünsche des Publikums berücksichtigt. In hoch gesellschaftlichen Diskurs einzugreifen. Medien- integrierten Medienkonzernen wird nicht nur billi- barone zeichnen sich dadurch aus, dass sie die ger produziert, sondern die konzerninterne Ver- eigenen, meist partikularen wirtschaftlichen sowie marktung bringt auch Vorteile gegenüber kleine- ren Anbietern. Die systematische Bevorzugung 4 A. J. Liebling, zit. in: Thomas Frank, Das falsche Ver- sprechen der New Economy, Frankfurt/M.–New York 2001, der konzerneigenen Produkte und Dienstleistun- S. 369. gen in werblichen sowie redaktionellen Beiträgen

Aus Politik und Zeitgeschichte B 12–13/2004 4 ist betriebswirtschaftlich sinnvoll; sie verschlech- nungspolitische Rahmenbedingungen als auch tert gleichzeitig die Situation von nicht verflochte- staatliche Maßnahmen im Mediensektor maßgeb- nen Wettbewerbern. lich zu beeinflussen.6 Keine Regierung kann Medienpolitik gegen die Medien, sondern nur Konzentrationsprozesse verstärken publizistische zusammen mit diesen durchsetzen. Fehlleistungen in der Regel nur, sie sind aber nicht notwendigerweise deren Ursache. So können ein erhöhter Druck zur Profitabilität und Kommer- zialisierungsschübe mit negativen publizistischen Aktuelle Regulierung wenig Folgen auch in hoch kompetitiven Wettbewerbs- verhältnissen und keineswegs nur auf monopolisti- erfolgreich schen Märkten auftreten. Betrachtet man nämlich die Medienkritik in den USA, so werden dort Geht es um Medienvielfalt und -pluralismus in lediglich die oligopolistischen Eigentümerstruk- Europa, ist Artikel 10 der Europäischen Men- turen und die gewerkschafts- bzw. journalismus- schenrechtskonvention (EMRK) die zentrale feindliche Haltung der sehr konservativen Ver- Referenz. Die Europäische Union (EU) verfügt lagsbesitzer mit der Medienkonzentration in hingegen über keine ausdrückliche Kompetenz, Zusammenhang gebracht.5 Gleichwohl nehmen die Meinungsvielfalt bei Presse, Radio und Fernse- mit wachsender Größe und diagonaler Verflech- hen zu regulieren. Immerhin taucht das Ziel der tung der Konzerne die Möglichkeiten von Eigen- Wahrung von Pluralismus in der EU-Charta im tümern, Investoren, Management sowie ihnen Zusammenhang mit der Meinungsäußerungs- und nahe stehenden Kreisen zu, nicht nur wirtschaftli- Informationsfreiheit auf (Art. 11). In Absatz 2 che, sondern auch politische Interessen durchzu- heißt es: „Die Freiheit der Medien und ihre Plura- setzen. Medien-Tycoons wie Robert Maxwell, lität werden geachtet.“ Dennoch überlässt die EU Rupert Murdock, Conrad Black, William Hearst, die Sicherstellung von Meinungsvielfalt ihren Mit- Robert Hersant oder Silvio Berlusconi haben ihre gliedstaaten. Die europäischen Regierungen wer- Macht als Medieneigentümer immer wieder mehr den gemäß Artikel 10 EMRK in die Pflicht oder weniger subtil ausgespielt. Entlarvend war genommen. Ohne ausreichende Medien- und Mei- die Begründung von Maxwell für seine redaktio- nungsvielfalt sind Medien nicht in der Lage, ihre nelle Einflussnahme: „Zeitungsbesitzer zu sein, Funktion für die Demokratie im engeren Sinne gibt mir die Macht, bestimmte Themen wirkungs- und die Demokratisierung der Gesellschaft im voll zu lancieren. Mit einfachen Worten, Medien weiteren Sinne zu erfüllen. Die staatlichen Organe sind meine Megaphone.“ haben daher den Auftrag, Medien- und Meinungs- Weniger rigoros, aber nicht minder problematisch vielfalt zu schützen und zu fördern. Allerdings ist die systematische Ausblendung von Gegenmei- wird ihr Handlungsspielraum durch die universelle nungen, die in kleinen Kommunikationsräumen Garantie der Medienfreiheit zu Recht einge- am ehesten gelingt. Monopolmedien müssen in der schränkt. Dennoch steht den einzelnen Staaten Regel weder finanzielle Einbußen noch schwin- eine Palette von Instrumenten zur Verfügung, um dende Reputation befürchten, wenn sie partiku- die publizistischen Rahmenbedingungen der lare politische Ziele verfolgen oder bestimmte Medien zu verbessern. Standpunkte de facto aus dem gesellschaftlichen Durch die medienspezifische Konzentrationskon- Diskurs ausschließen. trolle sollen Medienvielfalt (Außen- und Binnen- pluralismus) sowie Meinungsvielfalt (Pluralismus) Auch die Aushandlung und Gestaltung der sichergestellt werden. Es geht darum, die unter- Medienpolitik erfolgt immer stärker im Interesse schiedlichen Standpunkte in größtmöglicher Breite von dominanten Medienunternehmen und weniger und Vollständigkeit abzubilden. Die wettbewerbs- im Sinne der Öffentlichkeit bzw. einer demokrati- rechtliche Konzentrationskontrolle zielt hingegen schen Gesellschaft. Im Gegensatz zu anderen auf einen ausreichenden wirtschaftlichen Wettbe- Branchen können Medienunternehmen über ihre werb. Der Schwerpunkt der staatlichen Regulie- Verbände bzw. Mitglieder ständig eine interessege- rung liegt auf der Wettbewerbskontrolle. Vorkeh- leitete Publizität herstellen. Durch konzertierte rungen gegen den Missbrauch wirtschaftlicher medienpolitische Einflussnahme gelingt es den Branchenvertretern immer wieder, sowohl ord- 6 Vgl. Matthias Schäfer, Medienmacht macht Medien- politik. Die Durchsetzungsfähigkeit der Interessen von Me- 5 Vgl. Susanne Fengler, Medienjournalismus in den USA, dienkonzernen – eine Analyse am Beispiel der Genese des Konstanz 2002. Dritten Rundfunkstaatsvertrages, Baden-Baden 1999.

5 Aus Politik und Zeitgeschichte B 12–13/2004 bzw. politischer Macht lassen sich – trotz des politi- ration zu legalisieren. Die Viacom-Tochter CBS schen Auftrages zur Sicherung der Meinungsviel- erreicht nämlich „exakt 39 Prozent“ der rund 100 falt – auf nationaler, europäischer und globaler Millionen US-Fernsehhaushalte; Murdochs Fox Ebene kaum treffen. Jedenfalls ist es den Regulie- Network erzielt mit seinen konservativ-patriotisch rungsbehörden nicht gelungen, die Konzentration gefärbten Programmen immerhin fast 38 Prozent. zu stoppen – geschweige denn, sie rückgängig zu machen. Fest steht, dass Konzentrationprozesse aus unter- Media Governance nehmerischer Sicht in der Regel sinnvoll sind und daher von den eingesetzten Behörden und Kon- In Anbetracht der wenig erfolgreichen staatlichen trollorganen (z. B. Wettbewerbskommissionen) Regulierung sieht das so genannte „Media Gover- nicht gestoppt werden. Diese argumentieren vor- nance-Konzept“ eine umfassende Rechenschafts- wiegend wirtschaftlich und nicht publizistisch. pflicht der Medien gegenüber der Gesellschaft vor. Statt der Konzentration zu begegnen, fördern sie Es beinhaltet die Auseinandersetzung mit unter- diese, um den großen Medienkonzernen ein über- nehmerischen und journalistischen Risiken, die durchschnittliches Wachstum zu sichern. Die zwangsläufig durch Medienmacht entstehen.7 Mit- Grenzen für Eigentums- oder Marktanteile sind in tels neuer Leitbilder, gesellschaftlicher Umweltbi- den vergangenen Jahren ständig gesunken. Wäh- lanzen oder medienethischer Kodizes sollen füh- rend vor der Deregulierung Marktanteile von 15 rende Medienkonzerne ihr unternehmerisches und bis 20 Prozent als Obergrenze galten, tolerieren publizistisches Handeln transparent machen und die Behörden heute 30, 40 oder sogar 50 Prozent. belegen, dass sie ihrer gewachsenen demokratie- Die Folge ist, dass die großen Medienkonzerne politischen Verantwortung nachkommen (regu- den Markt immer stärker unter sich aufteilen. Ein lierte Selbstevaluierung). Zugleich werden sie anschauliches Beispiel für diese Entwicklung bie- dazu angehalten, mögliche demokratieunverträg- ten die USA. liche Folgen unternehmerischer Strategien und Mit Rückendeckung von Präsident George W. Handlungsanweisungen in öffentlichen Hearings Bush hatte der Chef der US-Kontrollbehörde zu rechtfertigen. Sollten sie professionelle und Federal Communications Commission (FCC), redaktionelle Vorschriften missachtet haben, muss Michael Powell, dem Kongress am 2. Juni 2003 eine Produkthaftung von allen Anspruchsgruppen einen Gesetzentwurf vorgelegt: Die Grenze für einklagbar sein. Die flächendeckende Implemen- den Besitz regionaler Fernsehstationen sollte von tierung eines solchen „Media Governance-Kon- bislang 35 auf 45 Prozent des landesweiten Sende- zepts“ würde Eigentümer, Management und gebiets angehoben werden. Rupert Murdochs Medienschaffende dazu zwingen, sich regelmäßig Corporation und Sumner Redstones Viacom mit unternehmerischen und journalistischen Risi- waren auf diese Entlastung angewiesen, weil beide ken auseinander zu setzen. Durch die jährliche Medienkonzerne die bestehenden Eigentümer- Erstellung eines „Media Governance-Berichts“ grenzen auf dem US-Fernsehmarkt überschritten würde der demokratiepolitisch wichtige gesell- hatten; um der drohenden Strafe zu entgehen, schaftliche Selbstverständigungsprozess ständig in mussten sie bislang auf Ausnahmegenehmigungen Gang gehalten. Eine Konzentrationskontrolle im vertrauen. Die vorgesehene Neuregelung führte Sinne von „Media Governance“ könnte helfen, die im vergangenen Sommer jedoch überraschend zu Ausbreitung vorherrschender Meinungsmacht von Protesten auch von Senatoren und Repräsentanten einem oder mehreren Medienunternehmen zu der Republikanischen Partei. Diese weigerten erschweren. Ob die Medienbranche und die sich, den Entwurf zu verabschieden, weil sie einen Medienpolitik zu einem solchen Schritt bereit weiteren Konzentrationsschub befürchteten. Auf sind, ist derzeit allerdings mehr als fraglich. Druck von Präsident Bush stimmten die republika- nischen Abgeordneten schließlich einer Erhöhung 7 Vgl. Josef Trappel/Werner A. Meier/Klaus Schrape/Mi- chaela Wölk (Hrsg.), Die gesellschaftlichen Folgen der Me- der Schwelle auf 39 Prozent (!) zu. Dies genügte, dienkonzentration. Veränderungen in den demokratischen um den Status quo von Viacom und News Corpo- und kulturellen Grundlagen der Gesellschaft, Opladen 2002.

Aus Politik und Zeitgeschichte B 12–13/2004 6 Horst Röper Zeitungsmarkt in der Krise – ein Fall für die Medienregulierung

Die Zeitungsbranche steckt in einer Krise. Seit setzte Bundeskartellamt die Konzentrationsent- Anfang 2001 gehen die Werbeeinnahmen der Ver- wicklung nicht vollständig stoppen, das Tempo hat lage deutlich zurück. Auch auf dem Lesermarkt sich aber deutlich verlangsamt. Rund 25 Jahre lang haben Tageszeitungen Probleme: Die Gesamtauf- ging es den verbliebenen Zeitungsverlagen über- lage sinkt schon seit Jahren, wenngleich nur sehr wiegend gut, sie prosperierten. Insbesondere in langsam. Die Großverlage gehen davon aus, dass den neunziger Jahren erwirtschafteten die Verlage die Reste der einstigen Zeitungsvielfalt nur durch Gewinne wie kaum eine andere Branche. Damit wirtschaftlich starke Unternehmen gesichert wer- wuchs auch die Anziehungskraft des Zeitungs- den können, und fordern mehr Freiraum für Fusio- marktes auf Großunternehmen: Der Holtzbrinck- nen durch ein novelliertes Kartellrecht. Konzern kaufte diverse Regionalzeitungen, und die Großverlage Gruner+Jahr, Bauer und Burda Deutlicher als die Bilanzen einzelner Verlage, die investierten plötzlich in den Zeitungsmarkt. Einstellung von Themenseiten, ganzen Beilagen und Lokalausgaben oder die wiederkehrenden Entlassungswellen selbst bei den renommiertesten Ende der neunziger Jahre kamen dann sogar – Titeln zeigen die Einbußen der Tageszeitungen auf zum ersten Mal seit Jahrzehnten – neue Zeitungen dem Werbemarkt, wie es um die Branche steht: auf den Markt. Erste Gratis-Zeitungen, die im Gegenüber dem Jahr 2000 hatten die Tageszeitun- Rest Europas längst auf dem Siegeszug waren, gen bereits bis Ende 2002 ein Viertel ihrer Werbe- wurden auch hierzulande gegründet. In Hamburg einnahmen verloren. Dieser Negativtrend hat sich wagte die Ganske-Gruppe die Etablierung einer auch 2003 fortgesetzt, wenngleich für das vergan- Wochenzeitung („Die Woche“), die FAZ-Gruppe gene Jahr noch keine verlässlichen Zahlen vorlie- brachte – zunächst in der Stammregion, inzwi- gen. Deutete zu Beginn der Krise im Jahr 2001 schen bundesweit – eine Sonntagszeitung auf den noch vieles darauf hin, dass die Verluste auf dem Markt, und seit vielen Jahren erschien mit der Werbemarkt konjunkturell begründet seien, zeich- „Financial Times Deutschland“ erstmals wieder net sich inzwischen immer deutlicher ab, dass die eine neue Tageszeitung. Langsam kam Bewegung Tageszeitungen in einer strukturellen Krise ste- in einen Markt, der trotz großer Vitalität – auf der cken. Allein das Verhältnis der beiden Faktoren Basis fast stetig steigender Werbeumsätze – in zueinander wird von den Verlagen unterschiedlich einen Dornröschenschlaf gefallen war. Wenig interpretiert. wahrgenommen wurde eine Vielzahl von Verände- rungen des Zeitungsangebotes, weil diese jeweils nur kleine Teilmärkte betrafen. Lokalzeitungen mit einer Auflage von nur wenigen Tausend Exemplaren verschwanden, und immer wieder Vorübergehende Flaute stellten Regionalzeitungen einzelne Lokalausga- oder strukturelle Krise? ben – in der Regel an den Rändern ihrer Verbrei- tungsgebiete – ein, wenn sie dort nur in der Posi- tion des Zweit- oder Drittanbieters waren. Da sich Diese Entwicklung rüttelt am Fundament des Zei- dieser Rückzug in manchen Regionen zum wech- tungsmarktes, der in den vergangenen Jahrzehnten selseitigen Vorteil der jeweiligen Marktführer anders als andere Medienbranchen von Konstanz vollzog, wurde sukzessive auch die diesen Einzel- und nicht von Veränderung geprägt war. Dem schritten zugrunde liegende Strategie der Kon- anhaltenden Verdrängungswettbewerb, den all- kurrenzvermeidung durch Gebietskartellierung jährlich hohen Konzentrationsraten und dem erkennbar. Auch bei den – in den einzelnen Jahren Schwund des einst vielfältigen Zeitungsangebots jeweils wenigen, in der längerfristigen Beobach- begegnete der Bundestag mit speziellen Regelun- tung aber doch bedeutsamen – Aufkäufen von gen im Kartellrecht Mitte der siebziger Jahre. einzelnen Verlagen wird deutlich, dass fast alle Zwar konnte auch das als Kontrollinstanz einge- mittelgroßen Verlage insbesondere in ihrer Hei-

7 Aus Politik und Zeitgeschichte B 12–13/2004 matregion expandierten und externes Wachstum Tabelle 1: Auflage der verschiedenen Zeitungs- nur selten durch Zukäufe disloziert vom eigenen typen in Deutschland 2002 Standort angestrebt haben. Zeitungstypen 2002 in Prozent Tageszeitungen 23 173 000 100 gesamt davon Kaufzeitungen 5 334 000 23,0 Neuordnung des Zeitungsmarktes davon Abo-Zeitungen 17 839 000 77,0 davon überregionale 1 505 000 6,5 in Ostdeutschland Abo-Zeitungen davon lokale und regionale Abo-Zei- 16 334 000 70,5 Diese Regel galt allerdings nicht, als nach dem tungen Untergang der DDR der Zeitungsmarkt in Ost- Sonntagszeitungen 4 338 000 – deutschland neu geordnet wurde. Die damit beauf- Quelle: Eigene Berechnungen. tragte Treuhandanstalt hat die großen Verlage mit ihren für westdeutsche Verhältnisse ungewöhnlich hohen Auflagen an die führenden Verlagsgruppen Tabelle 2: Auflage der überregionalen Abonne- * aus dem Westen verkauft. Die schlichte Größe die- mentzeitungen 1993 und 2003 ser Erwerbungen sowie die Marktstellung der ehe- Titel/Verlagsort 1993 2003 Süddeutsche Zeitung, maligen SED-Titel hat letztlich dafür gesorgt, dass 394 500 429 700 heute sowohl im Westen als auch im Osten ganze München Regionen von einzelnen Titeln beherrscht werden, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 391 000 379 100 wobei die Monopolgebiete im Osten meist größer Frankfurt/M. sind als im Westen. Hinzu kommt, dass – abgese- Die Welt, 209 700 209 100 hen von Berlin und seinem Umland – auch der Berlin/Hamburg Grad der Monopolisierung im Osten höher ist. Frankfurter Rund- 189 700 185 900 Einerseits fehlen hier die typischen Heimatzeitun- schau, Frankfurt/M. gen, die im Westen in ihren jeweils eng begrenzten Neues Deutschland, 85 000 53 700 Verbreitungsgebieten vielfach für Wettbewerb sor- Berlin die tageszeitung, gen. Andererseits haben die großen Titel die einst 65 100 61 400 von der SED festgelegten Verbreitungsgebiete im Berlin 1 Handelsblatt, Wesentlichen beibehalten. Damit fehlen in Ost- 128 300 144 900 deutschland auch jene Überlappungen von Regio- Düsseldorf nalzeitungen, die im Westen für einen wesentli- Financial Times Deutschland, – 90 400 chen – wenn auch schrumpfenden – Teil des noch Hamburg vorhandenen Wettbewerbs verantwortlich sind. Überregionale Der Zeitungsleser im Osten hat heute nur noch in Abonnementzeitun- 1 463 300 1 554 200 wenigen Gebieten die Wahl zwischen zumindest gen gesamt zwei Zeitungen, wenn er sich auch über das lokale * Auflagen jeweils fu¨r das 1. Quartal nach ivw2. Geschehen informieren will. Als Alternative gibt Quelle: Eigene Berechnungen. es mehr oder weniger flächendeckend lediglich die überregionale Tagespresse von „Bild“ bis „Süd- tungen auffallend. In Deutschland dominieren deutsche Zeitung“. Diese Titel aus dem Westen – Lokal- und immer stärker Regionalzeitungen den wenn man „Die Welt“ mit ihrem neuen Standort Markt (vgl. Tabelle 1 u. 2). Die Bedeutung der Berlin sowie die „taz“ einbezieht – haben aber in lokalen Information ist für Zeitungsleser hierzu- Ostdeutschland nach wie vor Akzeptanzprobleme lande sehr groß. Das bestätigen alle Umfragen. und verzeichnen geringere Reichweiten als im Der Stellenwert lokaler Nachrichten zeigt sich Westen. selbst bei den Boulevardzeitungen. „Bild“, die ein- zige überregionale Boulevardzeitung mit einer – in Im internationalen Vergleich ist dieser insgesamt Relation zu allen anderen Zeitungen überragen- geringe Marktanteil der überregionalen Tageszei- den – Auflage von knapp vier Millionen Exempla- ren, hat nur dort Absatzprobleme, wo die wenigen 1 Die SED unterhielt einst in jedem Bezirk der DDR eine verbliebenen regionalen Boulevardzeitungen ihre hochauflagige Regionalzeitung mit diversen Lokalausgaben. Da die Verbreitungsgebiete dieser so genannten SED-Be- lokale Verortung in den Wettbewerb einbringen. zirkszeitungen auch nach der politischen Wende fast unver- ändert geblieben sind, lässt sich am Zeitungsmarkt die Glie- Der Marktanteil der Boulevardzeitungen an der derung der DDR noch heute festmachen. gesamten Tagespresse ist aber schon seit Jahren

Aus Politik und Zeitgeschichte B 12–13/2004 8 Tabelle 3: Auflagen der Boulevard-Zeitungen in zunehmend nach dem Muster kapitalistischer Deutschland 1993 und 2003* Betriebe. Wachstum wurde zur Triebfeder unter- Titel / Verlagsort 1993 2003 nehmerischen Handelns. Konnte dieses Wachstum Bild, Hamburg 4 230 000 3 976 000 zunächst noch über die insgesamt steigende Auf- Express, lage der Tagespresse befriedigt werden, zeichnete 426 000 256 200 Köln/Düsseldorf sich mit dem allmählichen Erreichen der Marktsät- B.Z., Berlin 339 000 227 000 tigung ab, dass externes Wachstum für die Verlage Abendzeitung, 223 000 170 300 an Bedeutung gewinnen würde. Es ging nicht München mehr darum, neue Leser aus der Schar der Nicht- Hamburger 174 000 111 500 leser zu gewinnen, sondern auch den konkurrie- Morgenpost renden Blättern die Leser abzuwerben oder besser tz, München 166 000 154 500 gleich Konkurrenzzeitungen zu übernehmen. Berliner Kurier 160 000 139 600 Morgenpost Sachsen, Größere Verlage kauften in ihrer Region kleinere 144 000 102 100 Blätter auf. Diese ökonomische Konzentration Mitteldeutscher war fast regelmäßig von publizistischer Kon- 68 000 eingestellt Express, Halle zentration begleitet. Die übernommenen Zei- Boulevard-Zeitungen tungen wurden eingestellt und ihre Abonnenten 5 930 000 5 137 200 gesamt mit dem ehemaligen Konkurrenzblatt bedient. * Auflagen jeweils fu¨r das 1. Quartal nach ivw2. Quelle: Eigene Berechnungen. Die Zeitungsdichte wurde damit sukzessive verrin- gert. Die ersten Monopolgebiete entstanden. Für den übernehmenden Verlag entfielen im für ihn rückläufig. Inzwischen liegt er unter 25 Prozent. günstigsten Fall die Kosten des Wettbewerbs in Insbesondere im Boulevardbereich sind anhal- einem Gebiet, und er konnte sich gestärkt auf den tende Wirtschaftsflaute und hohe Arbeitslosenzah- Wettbewerb in anderen Gebieten konzentrieren – len bei sinkenden Verkaufszahlen spürbar (vgl. auf zur nächsten Fusion. Diese schnellen Entwick- Tabelle 3). lungsschritte wurden unterstützt durch ein Spezifi- Kernstück des deutschen Zeitungsmarktes sind die kum des Zeitungsmarktes: In fast allen Branchen regionalen und lokalen Abonnementzeitungen mit lässt sich der Wettbewerb durch die Übernahme einem Anteil von 70 Prozent an der Tagespresse. von Konkurrenten allenfalls entschärfen. Fällt ein Ein großer Teil dieser Zeitungen ist erst rund 50 Wettbewerber aus, dringt ein neuer in den Markt. Jahre alt. Geburtshelfer dieser Titel waren nach dem Zweiten Weltkrieg die alliierten Besatzungs- Anders bei den Zeitungen: Schon bald erwies sich, mächte, die bis zum In-Kraft-Treten des Grund- dass die Neugründung von Zeitungen nicht funk- gesetzes Lizenzen für neue Zeitungen an aus- tionierte. Die Leser verhielten sich konservativ gewählte Personen vergeben haben. Als dann und blieben ihren alten Blättern treu. Die Anzei- Anfang der fünfziger Jahre sukzessive die alten genkunden setzten auf Auflagenhöhe und ver- Zeitungen – die freiwillig oder gezwungenermaßen schmähten die kleinauflagigen neuen Titel. In den in die nationalsozialistische Pressepolitik einge- achtziger Jahren scheiterten die meisten der ohne- bunden gewesen waren – wieder auf den Markt hin wenigen Versuche von Markterweiterungen kamen, begann ein heftiger Wettbewerb. In den durch den Aufbau neuer Lokalausgaben in der meisten Regionen war das Angebot an konkurrie- Nachbarschaft. Diese Gesetzmäßigkeiten gelten renden Zeitungen üppig – zu üppig, wie sich schon bis heute und haben dafür gesorgt, dass es neue bald erwies. Mit der ersten Wirtschaftskrise der Zeitungen außerhalb von Marktnischen – Bei- noch jungen Republik in der zweiten Hälfte der spiele sind die „taz“ oder die „Financial Times sechziger Jahre setzte im Zeitungsmarkt ein Kon- Deutschland“ – nicht gibt (vgl. Tabelle 4). zentrationsprozess ein, der bis heute anhält. Inzwi- Die Politik hat diesen Konzentrationsprozess schen gibt es in rund 60 Prozent der Kreise und lange Zeit nur beobachtet. Der Auftrag der Ver- kreisfreien Städte nur noch eine Zeitung mit fassung, für Vielfalt im Medienmarkt zu sorgen, lokaler Information. war zwar eindeutig. Zugleich galten aber die Anders als im Rundfunkbereich hatten die Alliier- Gesetze einer Marktwirtschaft, in der die Über- ten im Pressemarkt auf privatwirtschaftlich organi- nahme kleiner Anbieter durch größere der Nor- sierte Unternehmen gesetzt, und diese agierten malfall ist. Erst als in der ersten Hälfte der siebzi- ger Jahre auch hochauflagige Titel ihre 2 Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbrei- Eigenständigkeit verloren, wurde die Politik auf- tung von Werbeträgern e.V. merksam. Die Verlagsgruppe Westdeutsche Allge-

9 Aus Politik und Zeitgeschichte B 12–13/2004 Tabelle 4: Konzentrationsgrad des Tageszeitungsmarktes3 (anteilige Auflage in Prozent) Verlagsgruppe 2002 2000 1997 1995 1993 1991 1989 Tageszeitungen gesamt 1. Axel Springer-Verlag AG 23,4 23,6 23,7 23,3 22,8 23,9 26,7 2. Verlagsgruppe WAZ, Essen 6,1 6,0 5,9 5,5 5,6 5,0 6,0 3. Verlagsgruppe Stuttgarter Zeitung/ 4,9 5,0 5,0 5,0 5,2 5,0 3,2 Die Rheinpfalz/Südwest Presse, Ulm 4. Verlagsgr. DuMont-Schauberg, Köln 4,2 4,4 4,0 4,4 4,5 4,5 3,3 5. Ippen-Gruppe 3,8 2,9 2,7 2,7 2,7 2,4 3,0 Marktanteil der fünf größten 42,3 42,3 42,0 41,8 41,9 41,6 42,8 Verlagsgruppen* 6. Holtzbrinck, Stuttgart 3,4 2,5 2,5 2,5 2,5 – – 7. Frankfurter Allgemeine Zeitung 2,9 3,0 3,0 2,9 3,1 3,2 2,4 8. Gruner + Jahr, Hamburg 2,8 2,8 3,4 3,6 3,8 3,2 – 9. Süddeutsche Zeitung, München 2,6 3,3 3,2 3,2 3,3 3,2 3,6 10. Madsack, Hannover 2,2 2,4 2,3 2,5 2,1 2,2 1,9 Marktanteil der zehn größten 56,3 55,9 55,7 55,7 55,6 54,4 54,8 Verlagsgruppen* Abonnementzeitungen 1. Verlagsgruppe WAZ, Essen 7,9 7,9 7,8 7,2 7,2 6,6 8,3 2. Verlagsgruppe Stuttgarter Zeitung/ 6,4 6,5 6,6 6,6 6,7 6,7 4,4 Die Rheinpfalz/Südwest Presse, Ulm 3. Axel Springer-Verlag AG 6,0 6,3 6,2 6,3 6,3 6,6 5,7 4. Holtzbrinck, Stuttgart 4,4 4,2 3,6 3,6 3,7 3,9 1,9 5. Verlagsgr. DuMont-Schauberg, Köln 4,1 3,9 3,9 3,8 4,1 4,2 3,4 Marktanteil der fünf größten 28,8 28,8 27,8 27,5 28,0 28,0 24,9 Verlagsgruppen* Kaufzeitungen 1. Axel Springer-Verlag AG 81,5 81,0 80,5 78,2 77,3 74,7 81,9 2. Verlagsgr. DuMont-Schauberg, Köln 4,5 4,8 5,3 6,9 7,2 6,0 6,7 3. Abendzeitung, München 3,4 3,3 3,3 3,4 3,7 3,5 4,6 4. Ippen-Gruppe, München 3,1 3,2 6,8 7,1 7,4 6,5 2,6 5. Hamburger Morgenpost 2,1 2,8 2,6 2,5 2,8 2,5 3,1 Marktanteil der fünf größten 94,6 95,1 98,5 98,1 98,4 93,2 98,9 Verlagsgruppen* * Wegen der unterschiedlichen Rangfolgen ergeben die Summenbildungen nicht zwingend die ausgewiese- nen Werte. Die Rangfolge basiert allein auf den Werten des Jahres 2002. Zudem sind Rundungseffekte zu berücksichtigen. Quelle: Eigene Berechnungen. meine (WAZ) hatte in Nordrhein-Westfalen in Die Parlamentarier sorgten sich um die Unabhän- rascher Folge gleich drei Zeitungen mit einer Auf- gigkeit der Presse. Die Erinnerungen an den lage von 150 000 bis über 200 000 Exemplaren Nationalsozialismus waren noch zu frisch. Deshalb übernommen. Bei diesem Tempo der Konzentra- blieben auch gezielte Förderungen von bedürfti- tion war es nur eine Frage der Zeit, wann die Viel- gen Verlagen aus, wie sie längst in vielen Ländern falt im Zeitungsmarkt endgültig ein Ende haben Westeuropas üblich geworden waren. Stattdessen würde. gab es Vergünstigungen nach dem Gießkannen- prinzip. Für Vertriebserlöse zahlen die Verlage bis Nach der Vorarbeit von Expertenkommissionen heute nur den reduzierten Mehrwertsteuersatz in entschied der Bundestag Mitte der siebziger Jahre, Höhe von sieben Prozent – ob kleine Heimatzei- zumindest die ökonomische Konzentration durch tung oder hochauflagiger Titel. Zudem wurde über Fusionen zu begrenzen. Ein eigenständiges das Staatsunternehmen Deutsche Bundespost der Medienrecht hatte sich nicht durchsetzen können. Vertrieb der Presse lange Zeit kräftig subventio- niert. 3 Die Fachzeitschrift „Media Perspektiven“ veröffentlicht alle zwei Jahre eine Untersuchung zur Konzentration im Um die Konzentration zu begrenzen, nutzte der Zeitungsmarkt; vgl. zuletzt: Zeitungsmarkt 2002. Wirtschaft- liche Krise und steigende Konzentration, in: Media Per- Bundestag das Gesetz gegen Wettbewerbsbe- spektiven, 15 (2002) 10, S. 478 bis 490. schränkungen. In das Kartellrecht wurde eine so

Aus Politik und Zeitgeschichte B 12–13/2004 10 genannte Presseklausel eingefügt, nach der Fusio- das Thema allenfalls – etwa bei spezifischen Rege- nen schon ab einem gemeinsamen Jahresumsatz lungen zum Datenschutz – gestreift. Dieses Ver- der betroffenen Unternehmen von damals 25, spä- säumnis wiegt umso schwerer, als Clement die ter 50 Millionen Mark durch das Bundeskartellamt Presseklausel nicht nur modifizieren, sondern die auf ihre Folgen für den Wettbewerb zu untersu- Regelungen grundsätzlich ändern will. Die Erfas- chen waren. Dieses Instrument hat sich als sehr sungsschwelle für die Zuständigkeit des Bundes- wirkungsvoll erwiesen. Da Zeitungsverlage damals kartellamts bei Fusionen soll erhöht werden. noch vor allem in ihren jeweiligen Heimatmärkten Der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger Zukäufe realisieren wollten, waren die angestreb- (BDZV) hatte nach kontroverser interner Debatte ten Fusionen sehr häufig mit Einschränkungen des eine Anhebung der Schwelle von derzeit 25 auf Wettbewerbs verbunden. Wegen der zu erwarten- 100 Millionen Euro vorgeschlagen. Eine solche den Untersagung durch das Bundeskartellamt sind Neufassung würde vor allem den mittelgroßen sie dann aber unterblieben. Verlagen und deren Expansionswünschen entge- genkommen. Sie könnten künftig sogar direkte Konkurrenten übernehmen, ohne das Veto des Bundeskartellamts befürchten zu müssen. Die Reform des Kartellrechts ökonomische Konzentration wäre ohne Zweifel wieder verstärkt mit publizistischer Konzentration verbunden. Denn betriebswirtschaftlich ist es für Mit dieser Novelle wurden zugleich auch dem Verlage häufig nicht sinnvoll, in einem Gebiet grassierenden Verdrängungswettbewerb Schran- zwei Zeitungen anzubieten. Das Wirtschaftsminis- ken gesetzt. Bis zur Reform des Kartellrechts war terium hat die Forderung des BDZV aufgenom- es betriebswirtschaftlich sinnvoll, gerade kleinere men, die Erfassungsschwelle allerdings deutlich Konkurrenten durch übermäßigen Wettbewerb niedriger angesetzt und in einem ersten Referen- zur Aufgabe und zum Verkauf ihrer Zeitungen zu tenentwurf auf 50 Millionen Euro festgeschrieben. zwingen. Da solche Übernahmen direkter Konkur- Letztlich ist diese Erhöhung voluntaristisch festge- renten mit dem neuen Recht nicht mehr möglich legt worden, denn über Folgeabschätzungen unter- waren, entfiel auch der Anreiz für den Verdrän- schiedlicher Regelungen ist nichts bekannt. gungswettbewerb. Das Kartellrecht wirkt insbe- Weit folgenreicher wäre aber wohl ein in dem sondere für kleinere Verlage wie ein Schutzzaun, Referentenentwurf vorgesehener Einschnitt, der es ist aber keine Überlebensgarantie. Mit der Pres- einem Paradigmenwechsel im Kartellrecht gleich- seklausel wurde das Tempo der Konzentrations- käme. Danach ist vorgesehen, dass das Kartellamt entwicklung deutlich verlangsamt. Freilich wurde wettbewerbsschädliche Übernahmen selbst dann sie nie völlig gestoppt. akzeptieren muss, wenn die publizistische Eigen- Im Zeichen der derzeitigen Krise und angespornt ständigkeit der übernommenen Titel gewährleistet durch zeitweilige Verhandlungen über eine Minis- ist. Dies soll dadurch erreicht werden, dass entwe- tererlaubnis zur Übernahme der „Berliner Zei- der der verkaufende Verleger oder ein beliebiger tung“ durch den Holtzbrinck-Konzern plant Wirt- Dritter einen Anteil von 25,1 Prozent des Kapitals schaftsminister Wolfgang Clement (SPD) nun eine behält bzw. übernimmt und zudem bestimmte Novellierung der Presseklausel im Kartellrecht. Rechte in Bezug auf Unternehmensentscheidun- Die Vorbereitungen im vorparlamentarischen gen mit publizistischen Folgen wahrnehmen kann. Raum sind weit gediehen, denn Clement hat seine Diese geplante Regelung birgt weitreichende Fachabteilung unter Zeitdruck gesetzt. Die Ände- Gefahren. Zum einen ist sie deutlich auf Großver- rungen zum Pressemarkt sollen zusammen mit lage zugeschnitten, die bereits heute über erhebli- Anpassungen des nationalen Kartellrechts an EU- chen publizistischen Einfluss verfügen. Zum ande- Regeln vom Parlament verabschiedet werden, und ren ist völlig unklar, wie die Rolle des vermeintlich diese anderen Regelungen müssen noch im Früh- unabhängigen Dritten juristisch abgesichert wer- jahr umgesetzt werden. Der damit gegebene Zeit- den kann. Das geltende Kartellrecht ist für alle druck ist für die Presseregelungen nicht sachlich Beteiligten transparent, die Spruchpraxis des Kar- bedingt. tellamts ist bekannt und über diverse, auch höchst- Anders als in den siebziger Jahren hat sich das Par- richterliche, Urteile abgesegnet. Die Neuregelung lament bislang nicht auf die Debatte der presse- wäre diffus und öffnete dem Missbrauch Tür und spezifischen Regeln vorbereitet. Im Gegenteil: Tor. Selbstverständlich verfügen alle Großverlage Seit damals hat der Bundestag sich nicht mehr über eine Vielzahl von Kontakten zu Dritten, die gründlich mit dem Pressemarkt beschäftigt und sich beinahe spielend als Interessenvertreter der

11 Aus Politik und Zeitgeschichte B 12–13/2004 Mehrheitseigner instrumentalisieren ließen, ohne Der „Tagesspiegel“ wurde im nächsten Akt nicht dass ihre tatsächliche Abhängigkeit bzw. Partei- an den meistbietenden Bauer-Konzern verkauft, lichkeit gerichtsfest nachzuweisen wäre. In der sondern an den ehemaligen Holtzbrinck-Manager Wirtschaftsgeschichte gibt es eine Fülle von Fällen Pierre Gerckens; dieser hatte eilig seine letzten mit so genannten Strohleuten. Funktionen im Konzern aufgegeben, um Unab- hängigkeit zu demonstrieren. Pierre Gerckens sollte also den „Tagesspiegel“, der nach Aussage des Konzerns allein nicht lebensfähig war, in die schwarzen Zahlen führen. Was dem Unternehmen Der Fall „Tagesspiegel“ mit Gerckens nicht gelungen war, sollte dieser nun ohne den Konzern schaffen. Zudem hatte sich Holtzbrinck ein Rückkaufrecht und andere spe- Desaströs verlief der Zukauf des Berliner Verlags zielle Klauseln ausbedungen, glaubte sich aber mit den beiden Haupttiteln „Berliner Zeitung“ dennoch beim erneuten Übernahmeantrag für den und „Berliner Kurier“. Holtzbrinck hatte im Bie- Berliner Verlag auf der sicheren Seite. Das Bun- terstreit mit anderen gegenüber dem Verkäufer deskartellamt hat der so genannte Verkauf des Gruner+Jahr sogar das absehbare kartellrechtliche „Tagesspiegels“ jedoch nicht überzeugt, und ent- Risiko übernommen und hat seitdem an dieser sprechend hat es den Kauf des Berliner Verlags Bürde schwer zu tragen. Die langen Auseinander- erneut abgelehnt. Dieser hängt damit weiterhin in setzungen wurden auch zu einer finanziellen Be- der Schwebe: De jure gehört er nach wie vor dem lastung, sind aber mehr noch ein Problem, weil sie Altbesitzer Gruner+Jahr; gegenüber diesem hatte die Manpower der kleinen Konzernzentrale in der Holtzbrinck-Konzern allerdings das kartell- Stuttgart stetig fordern und zudem dem Ruf des rechtliche Risiko des Kaufs übernommen. Daher Hauses Holtzbrinck deutlich geschadet haben. ist erneut Holtzbrinck am Zug, um das Interreg- num zu beenden. Allein, der Konzern agiert nicht, Zunächst hatte – wie erwartet – das Bundeskartell- hofft vielmehr auf eine für ihn günstige Kartell- amt die Übernahme untersagt, da Holtzbrinck in rechtsnovelle. Der letzte Akt auf der Berliner Berlin schon den „Tagesspiegel“ besitzt und damit Bühne lässt auf sich warten. Bislang war Holtz- nach Ansicht der Richter eine Wettbewerbsbehin- brinck der Verlierer. Die jetzige Konzernführung derung drohte. Um den eigenen Standpunkt zu plagt sich mit einem Fehler, der offensichtlich untermauern, dass der gegenwärtige Wettbewerb bereits bei der Übernahme des „Tagesspiegels“ in Berlin ruinös sei, nannte Holtzbrinck Daten zu begangen worden ist. den enormen Verlusten des „Tagesspiegels“. Diese Verluste warfen dann öffentlich Fragen hinsicht- lich der Managementqualitäten des Konzerns auf. Die Schlappe vor dem Bundeskartellamt sollte durch eine Ministererlaubnis wettgemacht werden. Ende der Zeitungsvielfalt? Im Zuge dieses Verfahrens bot Holtzbrinck für den „Tagesspiegel“ ein Stiftungsmodell an, mit dem insbesondere die redaktionelle Unabhängig- Wirtschaftsminister Clement will mit den Neurege- keit gegenüber der „Berliner Zeitung“ gewahrt lungen offensichtlich erreichen, dass die Grenzen werden sollte. Die vom Ministerium hinzugezo- für betriebswirtschaftliches Wachstum von Groß- gene Monopolkommission hat dieses Modell für verlagen geschleift werden. Auf dem Markt sind eine ökonomische Konzentration bei Beibehaltung diese Grenzen aber kaum noch vorhanden. Auch der publizistischen Unabhängigkeit nach einge- der Holtzbrinck-Konzern, dessen Aufkäufe in Ber- hender Prüfung allerdings weitgehend verworfen. lin den Anlass für die geplante Neuregelung Zentral für das Verfahren der Ministererlaubnis gaben, könnte heute fast überall problemlos Zei- war die Überprüfung der Holtzbrinck-These, der tungen übernehmen, unter Umständen nur in „Tagesspiegel“ sei ohne Anbindung an andere jenen Regionen nicht, in denen er bereits mit einer Zeitungen in Berlin nicht lebensfähig. Auf dieser Zeitung am Markt agiert. Ähnliches gilt für die Annahme basierte der Antrag auf Minister- anderen Großverlage. Die von einigen Verlegern erlaubnis ganz wesentlich. Nachdem sich für den vorgebrachte Behauptung, die Kartellregeln führ- „Tagesspiegel“ Übernahmeinteressenten gefunden ten zu einer Benachteiligung der deutschen Ver- hatten, war Holtzbrincks These falsifiziert. Wegen lage und damit zu mangelnder internationaler der Aussichtslosigkeit hat der Konzern seinen Wettbewerbsfähigkeit der hiesigen Industrie, hält Antrag schließlich zurückgezogen. einer Überprüfung nicht stand.

Aus Politik und Zeitgeschichte B 12–13/2004 12 Die führenden deutschen Verlage sind allesamt scheiden sich die Schwesterblätter „Weser-Kurier“ auch in ausländischen Märkten aktiv und überwie- und „Bremer Nachrichten“ nur noch in der Poli- gend sehr erfolgreich. Gruner+Jahr erlöst schon tikberichterstattung. Alle anderen Seiten sind seit vielen Jahren mehr als die Hälfte seines längst identisch, werden von zusammengelegten Umsatzes im Ausland. Bei Holtzbrinck, Springer, Redaktionen produziert. Ähnlich sieht die Zei- Burda, Bauer und der WAZ ist der Anteil gerin- tungslandschaft seit wenigen Wochen in der ger, gleichwohl sind auch deren Auslandsengage- Region Aachen aus. Dort waren in den siebziger ments stattlich. Mutmaßlich ist keine nationale Jahren die beiden Tageszeitungen am Ort in einem Verlagsbranche im Ausland so erfolgreich tätig Verlag zusammengeführt worden, um sie nach wie die deutsche. Dies gilt insbesondere in Ost- dem so genannten „Aachener Modell“ redaktio- und Mitteleuropa, wo es kaum noch Verlage im nell getrennt voneinander zu erhalten. Ende ver- inländischen Besitz gibt. Speziell die jeweils füh- gangenen Jahres wurden die meisten Lokalredak- renden Zeitungen und Zeitschriften werden sehr tionen von „Aachener Zeitung“ und „Aachener häufig von Unternehmen deutscher Verlage her- Nachrichten“ zusammengelegt; ähnlich wurde ausgegeben.4 auch mit fast allen Ressorts für die überregionale Berichterstattung verfahren. Unterschiede weisen Clements Vision, die noch vorhandenen Reste nur noch wenige Seiten mit Politikberichterstat- publizistischer Vielfalt über betriebswirtschaftlich tung auf. starke Großverlage abzusichern, beruht wohl auf Erfahrungen, die er selbst als Journalist gemacht Auch wenn diese Modelle in Einzelfällen – z. B. in hat. Vor seinem Eintritt in die Politik hat der SPD- Stuttgart – noch funktionieren und ein Mindest- Politiker u. a. für die „Westfälische Rundschau“ in maß an publizistischer Vielfalt sichern, hat sich Dortmund gearbeitet und dort die Übernahme doch längst erwiesen, dass sie keine Garantie für durch den WAZ-Konzern miterlebt. Die damals Zeitungsvielfalt darstellen. Daher ist es auch nicht sanierungsbedürftige „Rundschau“ blieb auch verwunderlich, dass sowohl das Bundeskartellamt unter Federführung der WAZ zunächst redaktio- als auch die Monopolkommission von der geplan- nell unabhängig; diese Eigenständigkeit wurde ten Neuregelung nichts halten. Auch die Medien- aber schleichend ausgehöhlt. Heute ist das redak- gewerkschaften lehnen das Vorhaben von Minister tionelle Angebot der Dortmunder Ausgaben von Clement entschieden ab. Allein der Verband der „WAZ“ und „Rundschau“ an manchen Tagen bis Zeitungsverleger hat sich noch nicht klar geäußert. zu einem Drittel identisch. Der Anzeigenteil ist Im BDZV sind sowohl die großen als auch die ohnehin derselbe. kleinen Verlage organisiert. Bei einer so heteroge- Ähnliches gilt auch für andere Gebiete, in denen nen Mitgliedschaft ist eine einheitliche Linie nur das Modell redaktionell unterschiedlicher Zei- mit großer Mühe zu erzielen. In seiner ersten Stel- tungen aus einem Verlag einen Rest an Vielfalt lungnahme hatte der BDZV Neuregelungen aber sichern sollte. In Bremen beispielsweise unter- nur zu Gunsten von kleineren Verlagen gefordert. Da der nun diskutierte Modellwechsel eindeutig 4 Anmerkung der Redaktion: Siehe hierzu auch den Beitrag die Großverlage bevorzugt, wäre eine Ablehnung von Insa Sjurts in dieser Ausgabe. durch den Verband nur konsequent.

13 Aus Politik und Zeitgeschichte B 12–13/2004 Marie Luise Kiefer Der Fernsehmarkt in Deutschland – Turbulenzen und Umbrüche

Seit der Zulassung des privatwirtschaftlichen zufällige, aber sichtbare Reaktion auf das große Rundfunks in Deutschland Mitte der achtziger Beben verstanden werden, das die deutsche Fern- Jahre war die Fernsehwirtschaft erfolgsverwöhnt. sehwirtschaft im Frühjahr 2002 erschütterte: der Nimmt man die Entwicklung der Programmange- Insolvenzantrag des zweitgrößten Medienkonzerns bote und Werbeeinnahmen als Indikator, wird die Deutschlands für seine zentrale Holding KirchMe- Wachstumsdynamik deutlich. So stieg die Zahl der dia GmbH & Co.KG aA. Programme zwischen 1986 und 1998 von 22 auf 103; allein die Zahl der bundesweit ausgestrahlten Der wirtschaftliche Niedergang des einen der bei- privaten Programme erhöhte sich von 3 auf 23, den großen Fernsehanbieter, die sich den Privat- wobei die Pay-TV-Plattform „Premiere“ hier als fernsehmarkt in Deutschland weitgehend geteilt ein Programm gerechnet wird.1 Die Zahl der pri- hatten, war bis dahin für die Fernsehzuschauer vaten Fernsehveranstalter lag im Jahr 2000 bei 94.2 unsichtbar geblieben. Die Sender der auseinander fallenden Kirch-Gruppe sendeten „as usual“; zur Auch die vom Zentralverband der deutschen Wer- Einstellung von Programmen ist es bis heute nicht bewirtschaft (ZAW) erfassten Nettowerbeeinnah- gekommen. Und mit Ausnahme der Pay-TV-Platt- men markieren eine Erfolgsgeschichte. Die Werbe- form „Premiere“ und des Deutschen Sportfern- einnahmen im Fernsehbereich haben demnach von sehens (DSF) bilden die wichtigsten Fernsehsen- 0,7 Milliarden Euro im Jahr 1985 auf 4,5 Milliarden der des insolventen Konzerns auch weiterhin eine im Jahr 2001 zugenommen; zugleich erhöhte sich „Familie“, nun zusammengefasst zur ProSieben- der Anteil des Werbefernsehens am Gesamtwerbe- Sat.1 Media AG. markt von acht auf 21 Prozent, allein der Anteil des Privatfernsehens stieg auf rund 19 Prozent.3 Dieses Die alte „Senderfamilie“4 unter neuem Dach und jahrelange Wachstum wurde durch zwei Zäsuren mit neuen Eigentümern ist weiterhin der wich- nun jäh unterbrochen: die im Frühjahr 2002 einset- tigste Konkurrent der zum -Konzern zende Insolvenz der Kirch-Gruppe sowie deutliche gehörenden RTL-Group,5 dem zweiten großen pri- Umsatzrückgänge bei den werbefinanzierten Sen- vaten Rundfunkanbieter. An dem Wettbewerb dern seit 2001. Diese beiden Entwicklungen stehen zweier dominierender privater Veranstaltergrup- zwar nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang pen um Zuschauer- und Werbemarktanteile haben in dem Sinne, dass Kirch das erste prominente Insolvenz und Auseinanderfallen des Kirch-Kon- Opfer der anhaltenden Werbeflaute wäre. Sie zei- zerns offensichtlich wenig geändert; weder gen aber doch eines: die Grenzen des Marktes. Zuschauer noch Werbewirtschaft zeigten sich von den Turbulenzen besonders beeindruckt. So lag der durchschnittliche Zuschaueranteil bei den Sen- Die aktuelle Situation auf dern der ProSiebenSat.1 Media AG im Jahr 2002 dem Fernsehmarkt bei 21,9 Prozent;6 dies war ein leichter Rückgang gegenüber dem Vorjahr, als die damaligen Kirch- Harald Schmidts vorläufiger Abschied vom Bild- Sender einen Marktanteil von 23,6 Prozent ver- schirm im Dezember 2003 kann als eine zwar eher zeichneten. Die Sender der RTL-Group erreichten 2002 einen Zuschaueranteil von 24,3 Prozent – 7 1 Bei 16 der 103 Programme handelte es sich um öffentlich- nach 24,7 Prozent im Jahr 2001. Von den Brutto- rechtliche Angebote, die restlichen 64 waren private regio- nale oder lokale Programme. 4 Dazu gehören die Sender SAT.1, ProSieben, Kabel 1, N24 2 Soweit nicht anders ausgewiesen, sind alle Zahlenangaben sowie Neun live. zitiert nach: Kommission zur Ermittlung der Konzentration 5 Dazu gehören die Sender RTL, RTL II, Super RTL, Vox im Medienbereich (KEK), Sicherung der Meinungsvielfalt in sowie n-tv. Zeiten des Umbruchs. Konzentrationsbericht (Schriftenreihe 6 Nicht berücksichtigt ist der Nachrichtenkanal N24, für der Landesmedienanstalten, Bd. 29), Berlin 2004. den noch keine Zahlen der GfK Fernsehforschung veröffent- 3 Vgl. Media Perspektiven Basisdaten, Daten zur Medien- licht wurden. situation in Deutschland 2002, 15 (2002), und eigene Be- 7 Die Programme der öffentlich-rechtlichen Sender kamen rechnungen. 2002 zusammen auf einen Zuschaueranteil von 43,9 Prozent,

Aus Politik und Zeitgeschichte B 12–13/2004 14 werbeumsätzen entfielen 2002 auf die Sender der ment internationaler Finanzinvestoren, die lukra- RTL-Group (ohne n-tv) 41,9 Prozent, während die tive Beteiligungen bevorzugt an sanierungsbedürf- in der ProSiebenSat.1 Media AG zusammenge- tigen Unternehmen suchen – mit dem Ziel, diese fassten ehemaligen Kirch-Sender trotz Zuschauer- später mit Gewinn wieder zu veräußern. So ist verlusten mit 45,6 Prozent einen deutlich höheren die Kirch-Tochter „Premiere“ mehrheitlich von Anteil verbuchen konnten.8 Investmentgesellschaften der Premira-Gruppe – einem Private-Equity-Unternehmen – übernom- Dennoch sind die Umwälzungen auf der Veran- men worden, und auch bei den Finanzpartnern stalterebene beachtlich. Positiv zu bewerten ist von Haim Saban, deren neu gegründete Holding sicherlich die mit dem Auseinanderbrechen des nun Mehrheitsgesellschafter der ProSiebenSat.1 Kirch-Konzerns verbundene Dekonzentration des Media AG ist, handelt es sich um Private-Equity- Fernsehmarktes – auch wenn diese auf der hori- Firmen (siehe Schaubild). „Der Druck in Richtung 9 zontalen Ebene geringer ausfiel, als zu erwarten Ergebnisorientierung wird durch diese Investoren 10 gewesen wäre, und auf der vertikalen Ebene sicher nicht kleiner werden“, zitiert „“ durch anhaltende Konzentrationstendenzen wohl ProSiebenSat.1-Chef Urs Rohner.13 Es bleibt abzu- 11 weitgehend wieder ausgeglichen wurde. Die warten, welche Auswirkungen dieser Wandel in wichtigste horizontale Dekonzentration ist zwei- den Eigentümerstrukturen auf den deutschen fellos die Entflechtung von Free- und Pay-TV Medienmarkt haben wird, der bislang von Fami- durch die Überführung von „Premiere“ in eine lienunternehmen dominiert war. eigene Veranstaltergruppe. Hinzu kommt, was die Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Die angekündigten Sparprogramme etwa für Sat.1, Medienbereich (KEK) – wenngleich mit Ein- dessen Programmkosten in diesem Jahr noch ein- schränkungen – als Entstehen einer „dritten Kraft mal um rund zehn Prozent gesenkt werden sol- im bundesweiten Fernsehen“ bezeichnet hat.12 Die len,14 oder die Überprüfung ganzer Projekte unter Tele München Gruppe und die EM.TV & Mer- Rentabilitätsgesichtpunkten wie des defizitären chandising AG sind gesellschaftsrechtlich so ver- Nachrichtenkanals N2415 sind sicher nicht nur den flochten, dass ihnen die jeweils veranstalteten Pro- neuen Eigentümern geschuldet. Sie stellen auch gramme wechselseitig zugerechnet werden: Tele 5, eine Konsequenz der anhaltend schlechten RTL II, das zusammen mit der Karstadt/Quelle Geschäftslage aufgrund schrumpfender Werbeein- AG von Kirch übernommene Sportprogramm nahmen dar. Zwar sind die Bruttowerbeumsätze DSF sowie Junior, ein Kinder- und Jugendpro- 2002 (Fernsehen: - 4,2 Prozent) nicht mehr ganz so gramm und ebenfalls eine Übernahme aus der deutlich zurückgegangen wie im Vorjahr (Fernse- Kirch-Masse. Mit einem Zuschaueranteil von 4,9 hen: -5,2 Prozent), und sie liegen beim Fernsehen Prozent ist der Abstand dieser „dritten Kraft“ zu auch 2002 noch über dem Niveau von 1999; der den beiden anderen Veranstaltergruppen jedoch Rückgang hat sich im ersten Quartal 2003 aber deutlich. fortgesetzt.16 Zudem hat sich das Brutto-Netto- Verhältnis bei den Werbeumsätzen verschlechtert. Mit den Umwälzungen auf der Veranstalterebene Bei den Sendern der RTL-Group flossen 2002 nur tauchte ein für den deutschen Medienmarkt neuer noch 56 Prozent der für Werbung in diesen Sen- Typus von Kapitalgebern auf. Das Auftreten von dern berechneten Bruttoaufwendungen der wer- Private-Equity-Firmen ist eine für den deutschen bungtreibenden Wirtschaft in die Gruppenkasse – Fernsehmarkt neue Entwicklung, also das Engage- statt 63 Prozent wie im Jahr 1999; bei den Haupt- sendern der ProSiebenSat.1 Media AG waren es die übrigen privaten Veranstalter erreichten zusammen 9,3 nur noch 54 statt 59 Prozent.17 Der Wegfall großer Prozent. 8 Der Anteil von ARD und ZDF am Werbemarkt lag bei Werbekunden vor allem aus dem Telekommunika- 4,7 Prozent, der aller anderen privaten Veranstalter bei 7,8 tionsbereich, aber auch aus dem Mediensektor Prozent. Eigene Berechnungen nach: Michael Heffler, Der selbst sowie die schlechte Wirtschaftslage haben in Werbemarkt 2002, in: Media Perspektiven, 16 (2003) 6, den vergangenen Jahren zu einem Angebotsüber- S. 269–277. 9 Horizontale Konzentration oder Integration meint den hang an Werbemöglichkeiten im Fernsehbereich Zusammenschluss von Unternehmen derselben Produktions- stufe, also z. B. den Zusammenschluss mehrerer Fernseh- 13 Der Sieg der Sieben, in: Der Spiegel vom 11. August sender oder mehrerer Fernsehproduktionsunternehmen. 2003. 10 Vertikale Konzentration oder Integration meint den Zu- 14 Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 29. Oktober sammenschluss von Unternehmen verschiedener Produk- 2003. tionsstufen, also z. B. den Zusammenschluss eines Fernseh- 15 Vgl. Financial Times Deutschland (FTD) vom 15. Okto- senders mit einem Fernsehproduktionsunternehmen. ber 2003; Süddeutsche Zeitung vom 24. Oktober 2003. 11 Vgl. die Zusammenstellung in KEK (Anm. 2), S. 160. 16 Vgl. M. Heffler (Anm. 8), S. 273. 12 Ebd., S. 158. 17 Eigene Berechnungen nach KEK (Anm. 2), S. 235.

15 Aus Politik und Zeitgeschichte B 12–13/2004 Schaubild: Veranstaltungsbeteiligungen und zuzurechnende Programme der Saban-Gruppe*

* Angaben in Prozent. Quelle: KEK. geführt und damit auf Seiten der Sender offenbar nen;19 Digitalisierung und technischer Fortschritt zu einer verstärkten Gewährung von Rabatten, schaffen hier neue Möglichkeiten. Die Finanzie- Freispots und sonstigen Vergünstigungen für ihre rung via Werbung war und ist zweifellos eine effi- Kunden.18 ziente Problemlösung, die wesentlich zum wirt- schaftlichen Erfolg der Massenmedien beigetragen Diese Entwicklung hat die prinzipielle wirtschaftli- hat. Andererseits können die Gesamtaufwendun- che Fragilität des Geschäftsmodells „werbefinan- gen für privates Fernsehen dauerhaft nicht höher ziertes Fernsehen“ deutlich gemacht. Mit diesem sein als die Aufwendungen der Wirtschaft für 20 Modell wird einerseits ein zentrales ökonomisches Fernsehwerbung. Wenn die Wirtschaft ihre Wer- Problem privatwirtschaftlich organisierter Rund- beaktivitäten im Fernsehen einschränkt, weil sich funkmedien gelöst, das in deren Refinanzierungs- die Konjunktur unbefriedigend entwickelt, oder schwierigkeiten begründet liegt. Die von ihnen die Unternehmen andere Marketing- und Werbe- angebotenen – und vorfinanzierten – Inhalte bzw. möglichkeiten (wie Online-Dienste und -Medien) Programme haben ökonomisch gesehen die Eigen- testen möchten, muss das werbefinanzierte Privat- schaften eines öffentlichen Gutes; das bedeutet, fernsehen nach Einsparmöglichkeiten suchen. Per- dass zahlungsunwillige Konsumenten nur mit großem technischen und finanziellen Aufwand 19 Die Geschäftsleitung von „Premiere“ schätzt, dass zu den rund 2,7 Millionen Abonnenten des Pay-TV-Sendersüber eine von dem Angebot ausgeschlossen werden kön- Million Schwarzseher kommen. Das Verschlüsselungssystem wurde deshalb Ende Oktober 2003 umgestellt; es soll aber be- 18 Vgl. Manfred Krafft/Oliver Götz, Customer Relation- reits wieder geknackt worden sein. Vgl. FTD vom 21. Oktober ship. Management öffentlicher und privater Sender, in: Bernd 2003; Handelsblatt vom 18. November 2003. W. Wirtz (Hrsg.), Handbuch Medien- und Multimedia- 20 Die Wirtschaft wälzt wiederum ihre Werbe-Investitions- management, Wiesbaden 2003, S. 337–363. kosten über die Produktpreise auf die Verbraucher ab.

Aus Politik und Zeitgeschichte B 12–13/2004 16 sonal- und Programmkosten bieten sich dafür Gemessen an ihrem Zuschauermarktanteil konn- bevorzugt an; eine Kürzung in diesen beiden ten die Fernsehsender der Kirch-Gruppe auch in Bereichen führt zwar nicht zwangsläufig, aber früheren Jahren schon einen überproportionalen doch mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Qualitäts- Werbemarktanteil verbuchen. Dieser lag im Jahr einbußen im Angebot. 2000 bei 47,5 Prozent (RTL-Group: 41,4 Prozent) – bei einem Zuschaueranteil von 26,1 Prozent Die Einsicht in diese existenzielle Abhängigkeit 24 führt dazu, dass die Medienunternehmen nach (RTL-Group: 24,7 Prozent). Diesen Erfolg auf neuen, werbeunabhängigen Erlösquellen wie Mer- dem Werbemarkt hat Kirch vor allem mit einer Strategie der „Komplementärprogrammierung“ chandising, Teleshopping oder Finanzierung über 25 Zuschaueranrufe suchen – so auch die neuen erreicht: Jeder Kirch-Sender war auf eine Eigentümer der ehemaligen Kirch-Sender.21 Das bestimmte werberelevante Zielgruppe ausgerich- Merchandising als Sekundärauswertung beliebter tet; diese Zielgruppen sollten sich möglichst nicht Fernsehfiguren oder -ideen in Form von vermarkt- überschneiden, zusammen aber ein möglichst brei- baren Lizenzprodukten erfüllt dabei unter- tes Zuschauerspektrum abdecken. Der Werbewirt- nehmensstrategisch gleich mehrere wichtige Funk- schaft konnte man auf diese Weise Reichweite tionen: Es generiert nicht nur zusätzliche sowie gezielte Ansprache ohne Streuverluste Einnahmen, sondern fördert auch die Markenbil- innerhalb der „Senderfamilie“ anbieten. 22 dung im Medienbereich und – sofern es funktio- Dieses Konzept ist allerdings wohl vor allem mit niert – die Bindung der Zuschauer an das Pro- Blick auf die Verwertung des Programmvermö- gramm. Aus publizistischer Sicht wird diese Praxis gens der Unternehmensgruppe Kirch entstanden. allerdings dann problematisch, wenn Programm- Die strategischen Entscheidungen wurden offen- konzepte schon unter dem Gesichtspunkt der Ver- bar ganz zentral von diesem Programmvermögen wertbarkeit von Figuren und Ideen und in Ko- bestimmt, das Leo Kirch seit Mitte der fünfziger operation mit Herstellern von Lizenzprodukten Jahre systematisch zu einer der weltweit größten entwickelt werden, wie dies vor allem bei Kinder- 23 Programmbibliotheken mit einem Bestand von programmen offenbar nicht selten geschieht. zuletzt 18 000 Filmen – erweitert um Fiktion- und Die Anteile der neuen Erlösquellen an der Sportrechte – aufgebaut hatte. Als Sat.1 am 1. Gesamtfinanzierung scheinen jedoch bislang eher Januar 1984 als erster privater Fernsehsender den marginal zu sein, wobei dem Merchandising noch Sendebetrieb im damaligen „Kabel-Pilotprojekt das größte Potenzial zukommen dürfte. Eine Ludwigshafen“ aufnahm, hatte sich der Filmrech- andere, werbeunabhängige Finanzierungsform ist tehändler Kirch den Zugriff auf diese direkte Ver- das Pay-TV, also die Refinanzierung der Produkti- wertungsmöglichkeit seines Programmvermögens onskosten nicht über Werbung, sondern durch durch Beteiligung gesichert. Der erste Schritt zum ein Entgelt der Rezipienten. Allerdings stößt diese Aufbau eines integrierten Medienkonzerns war Finanzierungsform bei den Verbrauchern in getan. Der weitere Konzernausbau war von dem Deutschland auf erheblichen Widerstand, wie auch strategischen Ziel bestimmt, alle Verwertungsmög- Leo Kirch erfahren musste. lichkeiten des Programmvermögens in den Kon- zern zu integrieren und komplette Wertschöp- fungsketten im Bereich der audiovisuellen Produktion aufzubauen, um Synergien nutzen zu Kirch-Insolvenz – Folge strategischer können. Zum Zeitpunkt der Insolvenz umfassten Schwächen? die Tochtergesellschaften und Beteiligungen der Kirch-Gruppe die Inhalteproduktion (Film, Fern- sehen, Nachrichten), den Programmrechtehandel Die Kirch-Insolvenz steht – wie bereits erwähnt – einschließlich der Sportrechte, die Fernsehpro- nicht in direktem Zusammenhang mit den seit grammveranstaltung (sechs Free-TV-Sender, Pay- 2001 rückläufigen Werbeumsätzen. Im Gegenteil: TV, Ballungsraumfernsehen), Mediendienste, die Werbezeitenvermarktung, eine digitale Plattform 21 Vgl. w&v werben & verkaufen, 39 (2003) 39. – also die Zusammenstellung und Vermarktung 22 Zur Bedeutung von Medienmarken vgl. Gabriele Sie- digitaler Programmpakete – sowie technische gert, MedienMarkenManagement. Relevanz, Spezifika und 26 Implikationen einer medienökonomischen Profilierungs- Dienstleistungen im digitalen Fernsehen. strategie, München 2001. 23 Vgl. Birgit Hollstein, Fernsehen als Markt. Der Li-La- 24 Vgl. Insa Sjurts, Strategien in der Medienbranche, Wies- Launebär und die Situation des Kinderfernsehens in den 90er baden 20022, S. 244; KEK (Anm. 2), S. 73. Jahren in der Bundesrepublik Deutschland, Heidelberg 1994; 25 I. Sjurts (Anm. 24), S. 288 ff. KEK (Anm. 2), S. 232. 26 Vgl. KEK (Anm. 2), S. 83.

17 Aus Politik und Zeitgeschichte B 12–13/2004 Der Verlustbringer in diesem Imperium war offen- aktuelles Medium, und der Attraktivitätsverlust bar vor allem der Pay-TV-Bereich. So erwirtschaf- setzt auch bei Fiktionprogrammen rasch ein. tete „Premiere“ im Jahr 2001 einen Fehlbetrag Daher ist es kein Zufall, dass der Film- und Rech- von 989 Millionen Euro. Aber auch N24 erzielte testock, der einst als Vermögenskern und strategi- Verluste (2001: 38 Mio. Euro), und selbst Sat.1 sche Wunderwaffe des Kirch-Konzerns galt, heute fuhr bei hohen Umsätzen nur mäßige Gewinne nur schleppend und in Teilen verkauft werden ein,27 weil es dem Mutterkonzern Film- und Sport- kann.31 Nachdem die ProSiebenSat.1 Media AG rechte teuer entgelten musste.28 zu günstigen Konditionen die Rechte an 2 000 aus- gewählten Filmen erworben hatte, verzichtete die Über die entscheidenden Ursachen der Kirch- Saban-Capital-Group auf die – ursprünglich ge- Insolvenz ist viel spekuliert worden. Einigkeit plante – Übernahme des Rechtegeschäfts. Fede- herrscht weitgehend darüber, dass Kirchs starres rico Fellinis „La Strada“, Leo Kirchs erster Film, Festhalten an dem Vorhaben, auf dem – mit Free- mit dem auch seine spektakuläre Laufbahn als TV-Angeboten ohnehin eher überversorgten – Filmrechtehändler und Konzernchef begann, ist deutschen Fernsehmarkt um jeden Preis einen allerdings nicht Teil des Paketes; der Film passe Pay-TV-Sender durchzusetzen, den Konzern finan- nicht zum Programm der Sendergruppe, so ein ziell stark belastet, wenn nicht ausgeblutet hat. ProSiebenSat.1-Sprecher. Falls „La Strada“ sowie Der Schuldenstand der Unternehmensgruppe lag 29 weitere Klassiker keinen Abnehmer finden, sollen Anfang 2002 bei rund 6,5 Milliarden Euro. Es diese Reste der Kirch-Bibliothek nach Angaben waren ja nicht nur die mit dem Aufbau eines Pay- des Insolvenzverwalters ins Museum wandern.32 TV-Senders direkt verbundenen Kosten, sondern auch die für spektakuläre Summen erworbenen Zweitens: Leo Kirch hat einen vertikal und hori- Filmpakete und Sportrechte, die den Konzern zontal integrierten Konzern geschaffen, wie ihn finanziell schwächten; denn diese wurden für „Pre- fast alle großen Medienunternehmen darstellen, miere“ reserviert, konnten sich dort aber nicht ohne dass sich die erhofften Synergien einstellten amortisieren; gleichzeitig wurden damit den kon- bzw. effizient genutzt wurden. Ökonomen melden zerneigenen Free-TV-Sendern Chancen der Pro- grundsätzlich Bedenken an einer „Integration um filierung vorenthalten. So musste SAT.1 seine jeden Preis“ an; sie empfehlen einen „regelmäßi- höchst erfolgreiche Fußballsendung „ran“ zu Gun- gen Integrationscheck“, weil es „keine generelle sten von „Premiere“ zurückfahren, weil die Über- und zeitlich stabile Logik“ für diese Form der tragung von Bundesligaspielen mehr und mehr Konzernbildung gebe.33 In der Ökonomie wird seit dem Pay-TV-Sender vorbehalten war. einiger Zeit zudem über einen neuen gesellschaft- Versucht man Gründe für den Niedergang des lichen Produktionsmodus, die „flexible Spezialisie- 34 Kirch-Konzerns zu finden, dann lassen sich drei rung“, diskutiert; dieser beginne die standardi- benennen; diese liegen in der Konzernstrategie sierte Massenproduktion der Großunternehmen begründet. Erstens: Leo Kirchs strategisches Den- des Industriezeitalters abzulösen, deren Produkti- ken, in dessen Zentrum offenbar sein Programm- vitätspotenziale ausgereizt seien. An die Stelle vermögen stand. Nicht nur das Pay-TV-Abenteuer, integrierter Großunternehmen tritt demnach die sondern der gesamte Konzern diente vor allem Kooperation miteinander vernetzter, aber unab- dem Ziel, dafür umfassende Verwertungsmöglich- hängiger und flexibel spezialisierter Unternehmen keiten zu schaffen. Allerdings bedeutet „ein verschiedener Produktionsstufen. Vorbilder für Schrank voller Rechte [. . .] keine Lizenz zum diesen neuen Produktionsmodus kommen insbe- Gelddrucken, sondern in erster Linie Kapitalbin- sondere aus dem Bereich der älteren Medien. So dung“30. Ökonomisch werthaltig wird ein Film gilt Hollywood als frühes Beispiel für den Über- oder eine Fernsehserie zudem nicht durch die Pro- gang zum Produktionsmodus der flexiblen Spezia- 35 duktionskosten, sondern allein durch die Publi- lisierung; Theater, Buchverlage, aber auch Fach- kumsnachfrage, und diese ist unsicher und flüchtig. zeitschriften mit ihrem Netz von unabhängigen Medienprodukte haben – sofern es sich nicht um „Casablanca“ oder „Dinner for One“ handelt – 31 Vgl. FTD vom 22. Oktober 2003. 32 Vgl. Berliner Zeitung vom 1. Juli 2003. eine äußerst kurze Halbwertzeit. Fernsehen ist ein 33 H. Simon/M. Paul (Anm. 30), S. 5 und S. 12. 34 Michael Piore/Charles F. Sabel, The Second Industrial 27 Vgl. I. Sjurts (Anm. 24), S. 287. Divide, New York 1984; vgl. mit Blick auf die Medien auch: 28 Vgl. Berliner Zeitung vom 1. Juli 2003. Marie Luise Kiefer, Kirch-Insolvenz. Ende einer ökonomi- 29 Vgl. I. Sjurts (Anm. 24), S. 285. schen Vision?, in: Media Perspektiven, 16 (2003) 10, S. 491– 30 Hermann Simon/Michael Paul, Die neue Ordnung. Me- 500. dienkonzerne, Senderfamilien, Produktionswirtschaft, in: 35 Vgl. Susan Christopherson/Michael Storper, The Effects Funkkorrespondenz, 32 (2001) 45, S. 3–19, hier S. 16. of Flexible Specialization on Industrial Politics and the Labor

Aus Politik und Zeitgeschichte B 12–13/2004 18 und spezialisierten Inhalteproduzenten wie Auto- gen als zentrale Ressource, hat offenbar die ren, Schauspieler oder Regisseure arbeiten seit Bedeutung des Konsums nicht richtig eingeschätzt. jeher nach diesem Modell. Er hat ignoriert, dass der Zuschauer am Ende der Wertschöpfungskette faktisch über Gewinn und Durch die technologische Entwicklung sind heute Verlust entscheidet, weil Produkte der Massenkul- zudem viele Vorteile von vertikal integrierten tur wie Film und Fernsehen einen wirtschaftlichen Unternehmen, die vor allem in der Kostenreduk- Wert eben nur durch die Nachfrage erhalten. tion gesehen werden, fraglich oder sie werden in Kirchs mangelndes Verständnis für diese Zusam- den Bereich der Wertschöpfung verlagert. So steigt menhänge zeigt sich in seinem Glauben, Pay-TV auf Märkten wie dem Fernsehmarkt, auf dem letztlich doch kurzfristig durchsetzen zu können. immer mehr Anbieter um die Aufmerksamkeit Es zeigt sich auch daran, dass die Kirch-Sender der Rezipienten konkurrieren und die so gleichzei- „vor allem aus Sicht des Medienhändlers und in tig ihr potentielles Publikum fragmentieren, der zweiter Linie für den Zuschauer programmiert“ Wert etablierter Markennamen. Sie erleichtern wurden.38 Kulturelle Produktion muss jedoch – dem Konsumenten die Orientierung und schaffen stärker noch als andere Sektoren der Konsumgü- eine Kundenbindung. Vertikale Integration ver- terindustrie – in Beziehung zum Konsum stehen; bessert die Möglichkeiten, eine Medienmarke im sie muss in den soziokulturellen Zusammenhang Sinne eines einheitlichen Produktdesigns bzw. tradierter Verhaltensweisen und Werte eingebettet eines publizistischen Profils mit dem Image gleich sein. Leo Kirch hat offenbar übersehen, dass bleibender Qualität aufzubauen. Die RTL-Group Medien nicht nur Produktions-, sondern vor allem hat diese Strategie konsequent verfolgt und institutionalisierte Rezeptionssysteme sind, die in konnte das Image des „erfrischend anderen“, einem langen Prozess der wechselseitigen Bildung unterhaltsamen und innovativen Programms stabi- und Stabilisierung von Erwartungen zwischen lisieren und auf die Sender der „Familie“ übertra- Nutzern und Produzenten entstehen.39 gen. Die Kirch-Sender haben diesen strategischen Vorteil offenbar nicht zu nutzen gewusst; sie sind weder als „Marke“ noch als „Familie“ besonders präsent.

Auch die klassischen Synergiepotentiale integrier- Versuch einer medienökonomischen ter Unternehmen wurden im Kirch-Konzern offen- Einordnung bar wenig ausgeschöpft. RTL-Geschäftsführer Gerhard Zeiler betont, dass sein Sender Synergien innerhalb des Mutterkonzerns Bertelsmann so Die Insolvenz der Kirch-Gruppe ist – darauf weist weit wie möglich nutze; als Beispiel führt er die auch die KEK hin – nicht als ein isoliertes Ereignis Casting-Show „Deutschland sucht den Superstar“ zu verstehen. Weltweit hätten „bei vielen börsen- an. „RTL als Sender, die Grundy Light Entertain- notierten Medienunternehmen und -konzernen ment als Produktionsfirma der RTL-Group, als hohe Schulden und nachlassende Werbeeinnah- Plattenfirma die BMG und RTL-Enterprises für men sowie ausbleibende Erfolge von Fusions- und das übrige Marketing. Im Kreis dieser ,Familie‘ Diversifikationsstrategien zu einem starken Sinken stimmen wir uns gegenseitig ab.“36 Synergiepoten- der Börsenkapitalisierung dieser Unternehmen ziale bestimmen hier offenbar die Produktionsent- geführt“40. Die Parallelität dieser krisenhaften scheidungen; dabei handelt es sich um einen völlig Entwicklungen verweist darauf, dass hier offenbar anderen Ansatz als bei der Schaffung von Verwer- ein Zusammenspiel endogener und exogener Fak- tungsmöglichkeiten für aufgekaufte Lizenzware. toren vorliegt, das Medienunternehmen derzeit wirtschaftlich in Bedrängnis bringt. Es stellt sich Drittens: Ex-RTL-Chef Helmut Thoma hat Leo die Frage, um welche Faktoren es sich handelt und Kirch einmal attestiert, dass er vom Fernsehge- ob diese auch bei der Kirch-Insolvenz eine Rolle 37 schäft nichts verstanden habe. Das könnte ein gespielt haben. Nach den möglichen endogenen weiterer Grund für den Niedergang des Konzerns Faktoren, die in der Strategie des Kirch-Konzerns gewesen sein. Kirch, fixiert auf Programmvermö- 38 Süddeutsche Zeitung vom 12. Juli 2003, zitiert nach: Market: The Motion Picture Industry, in: Industrial and La- I. Sjurts (Anm. 24), S. 288. bor Relations Review, 42 (1989) 3, S. 331–347. 39 Vgl. Ulrich Schmidt/Herbert Kubicek, Von den „alten“ 36 Gerhard Zeiler, Strategische Wettbewerbspositionierung Medien lernen. Organisatorischer und institutioneller Ge- im deutschen TV-Markt. Beispiel RTL, in: B.W. Wirtz staltungsbedarf bei interaktiven Medien, in: Media Per- (Anm. 18), S. 281–291. spektiven, 7 (1994) 8, S. 401–408. 37 Vgl. Der Tagesspiegel vom 15. April 2002. 40 KEK (Anm. 2), S. 17.

19 Aus Politik und Zeitgeschichte B 12–13/2004 begründet lagen, soll es im Folgenden um exogene ein marktfähiges Produkt umsetzen lässt. Das Faktoren gehen. Internet scheint ein breites Experimentierfeld für neue Produkte in dieser Marktphase zu sein. Zentrale exogene Faktoren, die in den vergange- nen zehn bis 15 Jahren auch im Medienbereich Zweitens: In der Expansionsphase ist die prinzi- eine Wachstums-, Fusions- und Diversifikations- pielle Marktfähigkeit des Produkts bereits sicher; welle ausgelöst haben, sind der technische Wandel, es geht nun um die Durchsetzung am Markt. Deregulierung und Globalisierung. Fusionswellen, Dafür muss Anschluss an bestehende Konsum- wie sie in der Vergangenheit immer wieder zu muster und Konsumentenpräferenzen gesucht beobachten waren,41 sind letztlich ein Reflex der werden. Zur Beeinflussung des Konsumverhaltens Unternehmen auf Veränderungen in ihrer sind Werbung und Marketing erforderlich, Pro- Umwelt, die zu Verunsicherungen führen, die aber dukte werden standardisiert. Der Markt expan- auch Chancen eröffnen, auf jeden Fall Handlungs- diert in dieser Phase stark, die Zahl der Anbieter bedarf signalisieren. Die Erfahrung hat gezeigt, wächst, der Grad der Produktdifferenzierung ist dass die erhofften wirtschaftlichen Effekte der jedoch noch gering. Eine Reihe von Onlinepro- Zusammenschlüsse und Diversifikationsstrategien dukten wie E-Commerce, Internetportale oder für die Firmen häufig ausbleiben;42 dies scheint Suchmaschinen scheint sich in dieser zweiten dem Fusions- und Expansionsfieber jedoch keinen Marktphase zu befinden. Aber auch der Pay-TV- Abbruch zu tun. Auch der Kirch-Konzern setzte Bereich in Europa ist wohl hier einzuordnen. primär auf Akquisition und Beteiligung als strate- Drittens: Die Ausreifungsphase ist das Stadium, in gischen Weg für das angestrebte Unternehmens- 43 dem sich der deutsche Privatfernsehmarkt heute wachstum. offenbar befindet. Es handelt sich um die Phase, in Es gibt aber noch einen anderen, den Medienun- der die Grenzen des Marktes spürbar werden und ternehmen, nicht jedoch dem Medienmarkt exoge- die Wachstumsraten sich abschwächen. Die Pro- nen Faktor, der zur Erklärung der aktuellen duktdifferenzierung, also die Einführung von Pro- Entwicklungen herangezogen werden kann. Öko- duktvarianten, nimmt stark zu und dient der nomen gehen davon aus, dass sich Märkte für Pro- Markterweiterung und Marktabschöpfung. Für dukte bzw. Produktgruppen nach einem zyklischen den Bereich des Fernsehens bedeutet dies, dass Muster entwickeln.44 Diese Vorstellung von einem neben die wenigen privaten Vollprogramme vor Marktlebenszyklus lässt sich auch auf Medien- allem Sparten- und Zielgruppenkanäle treten. Die märkte übertragen. Unterschieden werden fünf Ausreifungsphase ist auch die Phase eines Anbie- Phasen der Marktentwicklung, die hier kurz in ter-shake-out. Wer, um mit RTL-Chef Gerhard Anwendung auf Medien skizziert werden sollen. Zeiler zu sprechen, „jetzt keine tragfähige Strate- gie und keinen soliden Businessplan hat, wird Erstens: In der Experimentierphase wird das Pro- scheitern“.45 Die Anbieterkonzentration steigt; dukt erst erfunden; es ist zu diesem Zeitpunkt bei- diejenigen Unternehmen, die den shake-out über- nahe noch eine Idee. Noch besteht kein Markt, leben, wachsen weiter; die Markteintrittsbarrieren und es ist fraglich, ob sich die Idee überhaupt in für Newcomer steigen. Sinkende Werbeeinnahmen und die Insolvenz 41 Kleinert und Klodt unterscheiden für den Zeitraum der vergangenen 100 Jahre fünf Fusionswellen. Vgl. Jörn Klei- einer großen Anbietergruppe – diese beiden Ent- nert/Henning Klodt, Megafusionen. Erklärungsansätze und wicklungen passen in das Muster dieser Markt- Erfolgsaussichten, in: WiSt Wirtschaftswissenschaftliches phase; für das Privatfernsehen setzte sie offenbar Studium. Zeitschrift für Ausbildung und Hochschulkontakt bereits Mitte der neunziger Jahre ein, wurde vom (WiSt), 30 (2001) 10, S. 523–528. 42 Eine Untersuchung von rund 6 000 Zusammenschlüssen New-Economy-Boom aber eine Zeit lang über- in den USA zwischen 1950 und 1975 zeigt, dass damit im deckt. Wenn diese Annahme stimmt, spiegeln sich Durchschnitt Gewinnrückgänge für die Unternehmen ver- in der Branchenkrise heute weniger konjunktu- bunden waren; in mindestens einem Drittel der Fälle han- relle als vielmehr strukturelle Faktoren wider. delte es sich sogar um Verluste, was letztlich wieder zum Verkauf der akquirierten Unternehmenseinheiten führte. Eine Rückkehr zu einem überdurchschnittlichen Besonders schlecht schnitten Diversifikationszusammen- Wachstum für den gesamten Sektor wäre dann schlüsse ab. Vgl. Ingo Schmidt/Marina Röhrich, Zielkonflikte kaum noch zu erwarten. zwischen dem Erhalt kompetitiver Marktstrukturen und der Realisierung von Effizienzsteigerungen durch externes Un- Viertens: In dieser Phase des Marktlebenszyklus ternehmenswachstum?, in: WiSt, 21 (1992) 4, S. 179–184. befindet sich offenbar schon seit einigen Jahrzehn- 43 Vgl. I. Sjurts (Anm. 24), S. 291. 44 Vgl. Ernst Heuß, Allgemeine Markttheorie, Zürich– ten die Tagespresse. Es handelt sich um die Stag- Tübingen 1965; Mathias Erlei, Institutionen, Märkte und Marktphasen, Tübingen 1998. 45 G. Zeiler (Anm. 36), S. 291.

Aus Politik und Zeitgeschichte B 12–13/2004 20 nationsphase: Der Markt expandiert kaum noch, sich allerdings die Frage, ob diese sich nicht bereits der Produktdifferenzierungsprozess ist weitgehend im Übergang zur Rückbildungsphase befinden. abgeschlossen, die Konsumentenpräferenzen sind durch Werbung und das aufgebaute Reputations- Zusammenfassend bleibt festzuhalten: Aus me- kapital der Marken und Unternehmen geprägt. dienökonomischer Sicht erscheinen beide Zäsuren Auch der Ausleseprozess der Anbieter ist be- – sowohl der Rückgang der Werbeumsätze als endet. auch die Kirch-Insolvenz – nicht wirklich überra- schend. Beide entsprechen dem Muster eines aus- Fünftens: Als letzte Phase folgt schließlich die reifenden Marktes. Dass die Kirch-Gruppe der Rückbildungsphase. Substitutionskonkurrenz und Anbieterauslese in dieser Phase zum Opfer gefal- der Wandel der Nachfragerpräferenzen (bei len ist, lässt sich wohl damit erklären, dass neben Medien: von Rezipienten und/oder der Werbewirt- die Faktoren, die Medienunternehmen derzeit schaft, wie sie mit den Internetdiensten wahr- weltweit destabilisieren, Fehleinschätzungen und scheinlich vielfach verbunden sein werden) kön- Fehlsteuerungen getreten sind, die vor allem in nen der Auslöser sein. Gelingt den Anbietern der Geschichte des Konzerns und seines Gründers keine grundlegende Produkt- oder Verfahrensin- ihre Erklärung finden. novation, stirbt der Markt ab. Eine Frage, die noch zu erörtern wäre, ist die Ver- Der private Fernsehmarkt dürfte von diesem Sta- schiebung in den publizistischen Machtverhältnis- dium noch ziemlich weit entfernt sein. Mit Blick sen, die sich aus der Kirch-Insolvenz ergibt. Im auf die anhaltend rückläufige Nutzung der Tages- Vergleich zu den übrigen deutschen Medienunter- zeitungen durch die jüngere Generation46 stellt nehmen ist der Bertelsmann-Konzern dadurch relativ gesehen noch größer, noch potenter gewor- 46 Nach den Ergebnissen der ARD-/ZDF-Studie „Mas- den. Die KEK diagnostiziert folglich auch ein senkommunikation“ ist die Zeitungsreichweite bei den unter „Gefährdungspotenzial für die Meinungsviel- 40-Jährigen in den vergangenen zehn Jahren um gut ein falt“47; von einer vorherrschenden Meinungsmacht Viertel bis die Hälfte gesunken. Vgl. Klaus Berg/Christa-Ma- ria Ridder (Hrsg.), Massenkommunikation VI. Eine Lang- will sie gleichwohl nicht sprechen. zeitstudie zur Mediennutzung und Medienbewertung 1964– 2000, Baden-Baden 2002, S. 194. 47 KEK (Anm. 2), S. 18.

21 Aus Politik und Zeitgeschichte B 12–13/2004 Insa Sjurts Think global, act local – Internationalisierungs- strategien deutscher Medienkonzerne

nehmen durch frühzeitigen Markteintritt für sich Die Internationalisierung deutscher nutzen wollen. Medienkonzerne Ein weiterer Grund für die Internationalisierung liegt in der Risikostreuung durch das Agieren auf Vor nunmehr gut 25 Jahren – und damit deutlich mehreren regionalen Medienmärkten. Aber auch später als in anderen Branchen – haben deutsche unter Kosten- und Ertragsgesichtspunkten ist die Medienunternehmen ihre Unternehmenstätigkeit internationale Unternehmenstätigkeit interessant. internationalisiert. Während die Entwicklung So können unternehmensspezifische Fähigkeiten anfangs noch recht zögerlich verlief und nur und Kompetenzen mehrfach genutzt und redaktio- wenige Konzerne den Sprung in ausländische 1 nelle Inhalte wiederholt verwertet werden. Ferner Märkte wagten, hat das Interesse an internationa- ist eine Verlängerung des Lebenszyklus einhei- len Engagements in den vergangenen zehn Jahren mischer Medienprodukte durch den Transfer des rapide zugenommen. Heute findet sich kaum Konzepts in ausländische Märkte möglich. Die noch ein großer deutscher Medienkonzern, der durchweg hohen Kosten für Innovationen im nicht im europäischen oder sogar im außereuro- 2 Medienbereich können so leichter ausgeglichen päischen Ausland aktiv ist. Zu den Spitzenreitern werden als bei einer ausschließlichen Konzen- gehören der Bertelsmann-Konzern mit einem Aus- tration auf den heimischen Markt. Von Interesse landsanteil von 69 Prozent am Gesamtumsatz sind die ausländischen Märkte zudem auch dann, und der Holtzbrinck-Verlag mit 40 Prozent. wenn eine weitere Expansion im Inland auf- Andere große Medienhäuser wie der Bauer grund kartellrechtlicher Vorgaben ausgeschlossen Verlag realisieren Werte von mittlerweile gut 30 ist.5 Prozent.3

Grund für das zunehmende Interesse an einer Trotz dieser mannigfachen Vorteile hat die Inter- Internationalisierung sind insbesondere die Sätti- nationalisierung im deutschen Medienmarkt später gungstendenzen, die sich auf nahezu allen klassi- als in anderen Branchen eingesetzt. Die Gründe schen Medienteilmärkten – Zeitungen, Zeitschrif- liegen vor allem in der Art des Produktes. Medien- ten, Hörfunk und Fernsehen – in Deutschland erzeugnisse sind nämlich nicht nur ökonomische abzeichnen.4 Im Gegensatz dazu weisen andere Güter, sondern auch Kulturgüter. Der redaktio- europäische – vor allem die osteuropäischen – nelle Inhalt reflektiert in hohem Maße den kultu- sowie die außereuropäischen Märkte (noch) ein rellen Kontext. Ein Export wie bei anderen Pro- enormes Wachstumspotenzial auf, das die Unter- dukten oder Dienstleistungen ist hier ungleich schwieriger bzw. kaum möglich. Markteintritt und 1 Eines der ersten deutschen Medienunternehmen, das in- Marktbearbeitung müssen der Kulturgebunden- ternational tätig wurde, war 1962 der Bertelsmann-Konzern. heit der Produkte Rechnung tragen. Unter seiner Führung wurde 1978 auch das Verlagshaus Gruner + Jahr im Ausland aktiv. Die anderen großen deut- schen Medienkonzerne folgten sukzessive in den achtziger Wie die größten deutschen Medienkonzerne mit Jahren (Bauer Verlag: 1980; Holtzbrinck: 1986; Hubert Burda diesen Herausforderungen umgehen, ist Gegen- Media und WAZ Mediengruppe: 1987; Axel Springer-Verlag: 1988). stand der folgenden Analyse. 2 Vgl. Insa Sjurts, Strategien in der Medienbranche, Wies- baden 20022. 5 Vgl. Gerd Schulte-Hillen/Axel Ganz/Jürgen Althans, 3 Vgl. Horst Röper, Formationen deutscher Medienmultis Strategien im internationalen Verlagsmarketing, in: Die Be- 2002, in: Media Perspektiven, 15 (2002) 9, S. 420; Bertels- triebswirtschaft, 61 (2001) 4, S. 480; Marc Liewehr, Inter- mann, Deutliche Ergebnisverbesserung in schwieriger Lage nationalisierungspotenziale im Zeitschriftenmarkt, Wiesba- (Pressemitteilung vom 25. März 2003), S. 2 und I. Sjurts den 2002, S. 1 f.; Michael Schroeder, Internationale Markt- (Anm. 2), S. 110 ff. und Managementstrategien für Print-Medien, München 1994, 4 Vgl. I. Sjurts (Anm. 2), S. 26 ff. S. 1 f.

Aus Politik und Zeitgeschichte B 12–13/2004 22 Abbildung 1: Markteintrittsformen Strategiemuster deutscher Medien- konzerne im Ausland

Globale Glocale Hoch Um die Strategien bei der Internationalisierung Strategie Strategie der größten deutschen Medienkonzerne identifi- zieren und systematisieren zu können, sind vorab Globalisierungs- die Analysedimensionen zu bestimmen. Diese sol- vorteile len zum einen die Form des Markteintritts abbil- Internationale Multinationale den, zum anderen die Form der Marktbearbei- Niedrig tung. Strategie Strategie

Die Form des Markteintritts Niedrig Hoch Hinsichtlich der Form des Eintritts in ausländische Märkte lässt sich auf klassische Ansätze aus dem Lokalisierungs- Bereich des internationalen Managements zurück- vorteile greifen. Als Kriterien zur Systematisierung der Quelle: Darstellung in Anlehnung an Sumantra Goshal, Markteintrittsform werden dabei überwiegend Global Strategy, in: Strategic Management Jour- die Kontroll- und Steuerungsmöglichkeiten der nal, 8 (1987), S. 425 ff. Marktpräsenz im Ausland sowie die Beanspru- chung unternehmenseigener Ressourcen herange- können in höheren Erlösen oder auch in einer grö- zogen. Danach lassen sich als Formen des Markt- ßeren Flexibilität der internationalen Einheiten eintritts unterscheiden (vgl. Abbildung 1): liegen. – die Vertretung durch Dritte mit den Varianten – Bei der internationalen Strategie werden weder Export, Lizenzierung und Franchising; Globalisierungsvorteile ausgenutzt noch wird eine lokale Differenzierung verfolgt. Der Schwerpunkt – die Kooperation mit der Gründung eines Joint der Aktivitäten liegt vielmehr weiter im Heimat- Ventures als typischer Variante; land. Der ausländische Markt wird typischerweise – die Akquisition oder Gründung einer ausländi- im Wege des Exports bedient. schen Tochtergesellschaft. – Bei der glocalen Strategie6 wird eine globale Dachstrategie mit einer lokal abgestimmten Pro- Die Form der Marktbearbeitung duktstrategie kombiniert. Dadurch werden Glo- Die Form der Marktbearbeitung wird üblicher- balisierungsvorteile genutzt, gleichzeitig sollen weise anhand des Ausmaßes bestimmt, in dem das aber auch die Vorteile einer Lokalisierung ausge- Unternehmen im Ausland einerseits Globalisie- schöpft werden. rungsvorteile und andererseits Lokalisierungsvor- teile nutzt. Vier Strategievarianten lassen sich Internationalisierungsstrategien unterscheiden (vgl. Abbildung 2): der größten deutschen Medienkonzerne – Bei der globalen Strategie steht die Nutzung Die Analyse wird sich auf die sechs größten priva- von Globalisierungsvorteilen im Mittelpunkt. Zur ten Medienkonzerne Deutschlands konzentrieren. umfassenden Ausschöpfung von Kostendegres- In der Reihenfolge des Umsatzes im Jahr 2002 sions- und Synergievorteilen werden von der Mut- sind dies: Bertelsmann AG, Axel Springer AG, ter- und den lokalen Tochtergesellschaften alle in- Georg von Holtzbrinck GmbH & Co. KG, WAZ- und ausländischen Märkte mit demselben Produkt Mediengruppe, ProSiebenSat.1 Media AG sowie und der identischen Wettbewerbsstrategie bear- die Bauer Verlagsgruppe. beitet. – Bei der multinationalen Strategie wird der Bertelsmann AG gegenteilige Ansatz verfolgt. Hier wird für den Als erstes deutsches Medienunternehmen hat die inländischen und jeden ausländischen Markt eine Bertelsmann AG Anfang der sechziger Jahre mit spezifische Produktvariante entwickelt und eine lokal abgestimmte Wettbewerbsstrategie einge- 6 Gelegentlich wird auch von einer transnationalen Strate- setzt. Die Vorteile einer Lokalisierungsstrategie gie gesprochen.

23 Aus Politik und Zeitgeschichte B 12–13/2004 Abbildung 2: Marktbearbeitungsformen

Hoch

– Gründung Gründung Tochterunternehmen oder Akquisition Ð Unternehmensakquisition

Kontroll- und Steuerungsfähigkeit Joint Venture Kooperation

Ð Franchising Ð Lizensierung Vertretung durch Dritte Niedrig Ð Export

Niedrig Hoch Höhe der Ressourcenbeanspruchung

Quelle: Darstellung in Anlehnung an Günter Müller-Stewens/Christoph Lechner, Unternehmensindividuelle und gast- landbezogene Einflussfaktoren der Markteintrittsform, in: Klaus Macharzina/Michael-Jörg Österle (Hrsg.), Handbuch Internationales Management, Wiesbaden 1997, S. 237. der Internationalisierung der Unternehmenstätig- Bertelsmann zunächst das Musiklabel Arista und keit begonnen und diese konsequent vorangetrie- ein Jahr später den größten Taschenbuchverlag ben.7 Grund für das frühe Interesse an ausländi- der Welt, in New York, erwarb. Ein schen Märkten war vor allem die deutsche weiterer Expansionsschub erfolgte 1986 durch den Kartellgesetzgebung, welche die Expansionsmög- Zukauf des New Yorker Traditionsverlages Dou- lichkeiten des Konzerns im Inland begrenzte. bleday und des Musikriesen RCA. Ende der neun- Keimzelle der internationalen Tätigkeit waren die ziger Jahre kam der angesehene US-Verlag Ran- Buchclubs. Der erste Schritt ins Ausland erfolgte dom House hinzu; dies war die größte Investition 1962 mit der Gründung des Circulo de Lectores in der Unternehmensgeschichte. Bei der Bearbeitung Barcelona. Weitere Zielländer waren 1966 Öster- der ausländischen Buch- und Musikmärkte ver- reich (Beteiligung an der österreichischen Buchge- folgt der Konzern eine multinationale Strategie.So meinschaft Donauland) und 1970 Frankreich werden die Angebote der Buchclub-Ableger auf (Gründung France Loisirs). Gründungen von die jeweiligen nationalen Lesegewohnheiten abge- Buchgemeinschaften in Portugal, Großbritannien, stimmt, und auch im Musikgeschäft, wo Bertels- Italien, den USA und den Niederlanden schlossen mann im asiatischen Raum lokale Musikfirmen sich an. mit einheimischen Künstlern übernommen hat, erfolgt eine Anpassung an den länderspezifischen 8 Durch Unternehmensakquisitionen und die Grün- Geschmack. dung von Tochtergesellschaften setzte der Kon- In den europäischen Märkten wurde die Interna- zern seine Internationalisierung in den Geschäfts- tionalisierung vor allem durch die beiden Tochter- feldern Buch und (später) Musik konsequent fort. gesellschaften Gruner + Jahr und RTL Group vor- So wurden die internationalen Aktivitäten Ende angetrieben. Auch hier findet sich die Strategie der siebziger Jahre auf die USA ausgedehnt, wo 8 Vgl. Bertelsmann, Geschäftsbericht 1995/96, Gütersloh 7 Vgl. zum Folgenden I. Sjurts (Anm. 2), S. 384 ff. 1996, S. 19 ff.

Aus Politik und Zeitgeschichte B 12–13/2004 24 des Markteintritts durch Akquisition und Grün- gen an einheimischen Unternehmen, insbesondere dung. So wurde Gruner + Jahr 1978 als erster deut- an Rundfunksendern oder Filmproduktionsfirmen. scher Zeitschriftenverlag im Ausland aktiv. Erwor- An den Gemeinschaftsunternehmen hält die RTL ben wurden zunächst Verlage in Spanien (Cosmos Group meist eine Mehrheit.12 Die Gründung eige- Distribuidora S.A.) und den USA (Parents Maga- ner Tochtergesellschaften stellt dagegen eher die zine Enterprises Inc.). Später kamen Verlagsbetei- Ausnahme dar. Bei der inhaltlichen Gestaltung der ligungen unter anderem in Osteuropa und Öster- Programmangebote dominiert eine glocale Stra- reich hinzu. In Frankreich, Großbritannien, Italien tegie. So hat die Gruppe ausländische Hörfunk- und Polen gründete Gruner + Jahr Tochterge- und Fernsehsender vielfach unter dem Label sellschaften.9 Heute gibt der Verlag im Ausland RTL betrieben,13 die Inhalte jedoch länderspezi- mehr als 50 Zeitschriften heraus;10 der Auslands- fisch angepasst. Auch für die Inhalteproduktion umsatzanteil liegt bei 63 Prozent (Geschäftsjahr der RTL-eigenen Fernsehproduktionsgesellschaft 2002). FreemantleMedia ist eine glocale Strategie charak- teristisch. So produziert das Tochterunternehmen Im Zeitschriftenbereich dominierte zunächst die Gameshow-Formate wie „The price is right“ oder Idee der so genannten Euromagazine, die Gruner + „Pop Idol“ und vertreibt diese durch Lizenzver- Jahr-Vorstandsmitglied Axel Ganz schon Ende der gabe in mehr als 20 Ländern.14 Direkt in länderspe- siebziger Jahre formuliert hatte. Demnach muss die zifischen Varianten produziert werden Fiction- übersetzte Version eines deutschen Zeitschriftenti- Serien wie „Verbotene Liebe“ oder „Neighbours“. tels wegen der kulturellen und sozialen Differenzen im Ausland nicht ebenso erfolgreich sein wie im Heimatland. Der Verlag favorisierte eine lokale Axel Springer-Verlag AG Anpassung der Stammtitel an das jeweilige Leser- Im Gegensatz zu Bertelsmann war der Axel Sprin- 11 interesse, also eine glocale Strategie. Gruner + ger-Verlag bei seinem Auslandsengagement lange Jahr gründete daher um ausgewählte Stammtitel Zeit sehr zurückhaltend. Ausschlaggebend war vor internationale Zeitschriftenfamilien. Dazu gehören allem die Annahme, dass Zeitungen – das Stamm- das Naturmagazin „Geo“, das People-Magazin geschäft des Verlages – nicht ins Ausland übertrag- „Gala“ oder die Frauenzeitschrift „prima“. Die bar seien.15 Im Zeitungsmarkt ist Springer bis quantitative Bedeutung der international präsenten heute bei dieser Grundhaltung geblieben und Titelfamilien im Zeitschriftenportfolio von Gruner beschränkt sich überwiegend auf eine internatio- + Jahr hat jedoch abgenommen. Gegenwärtig setzt nale Strategie bei den Titeln „Bild“ und „Die das Unternehmen auf die Übernahme lokaler Ver- Welt“, die als Exportprodukte in ausländischen lage mit jeweils spezifischem Titelportfolio, so dass Märkten präsent sind. Im Übrigen konzentriert sich insgesamt von einer multinationalen Strategie sich der Konzern auf den Kauf nationaler Zei- sprechen lässt. Insbesondere in den USA hat das tungsverlage mit ihrem jeweiligen Titelportfolio, Unternehmen auf diesem Wege seine Marktprä- also auf eine multinationale Strategie. Eine Aus- senz ausgebaut. nahme bildet bislang nur die im Oktober 2003 erfolgte Neugründung der polnischen Boulevard- Die RTL Group, die seit 1984 zunächst über eine zeitung „Fakt“. Beteiligung von 40 Prozent an der Produktions- firma Ufa und seit 2001 zu 83,2 Prozent zum Ber- Im Zeitschriftensegment hat der Springer-Verlag telsmann-Konzern gehört, ist mit 23 Fernseh- und die Internationalisierung konsequenter und zügi- 22 Radiostationen in acht Ländern das größte euro- ger vorangetrieben. Seit 1988 sind verstärkte Aus- päische Rundfunkunternehmen und einer der füh- landsaktivitäten zu beobachten. Den Ausgangs- renden Inhalteproduzenten weltweit. Der Eintritt punkt markierte der Export von „Auto Bild“ in ausländische Märkte erfolgt ganz überwiegend 12 Vgl. RTL Group, Geschäftsbericht 2000, Luxemburg durch Akquisition oder den Erwerb von Beteiligun- 2001. 13 Die TV-Sender der RTL-Gruppe in den Niederlanden, in 9 Frankreich: Participations Edition Presse S.A. (später: Belgien und in Ungarn arbeiten unter dem RTL-Label. Glei- Prisma Presse S.N.C.) (1978); Großbritannien: Gruner + Jahr ches gilt für die Hörfunk-Sender in Belgien und Frankreich of the U.K. (1985); Italien: Gruner + Jahr/Mondadori S.p.A. sowie mittlerweile zum Teil auch für die Hörfunksender in (1989); Polen: Gruner + Jahr Polska (1993). Vgl. Gruner + Deutschland. Unter jeweils eigenen Namen werden dagegen Jahr, Chronik zu finden unter: www.guj.de. die Fernsehsender M6 in Frankreich und Five in Großbritan- 10 Die vorübergehend gehaltenen Beteiligungen an Zei- nien sowie der Hörfunksender in Frankreich tungsverlagen in Osteuropa wurden Anfang 2004 vom betrieben. Vgl. die Internetseite der Bertelsmann AG: Schweizer Ringier-Verlag übernommen. www.bertelsmann.de. 11 Vgl. Stefan Braunschweig/Ulrich Krenn, Alles im grünen 14 Vgl. www.FreemantleMedia.com Bereich, in: w & v. werben & verkaufen, 39 (2002) 13, S. 22. 15 Vgl. I. Sjurts (Anm. 2), S. 61.

25 Aus Politik und Zeitgeschichte B 12–13/2004 durch Lizenzen oder die Gründung von Gemein- Georg von Holtzbrinck GmbH & Co. KG schaftsunternehmen. Der Markteintritt mit Toch- Ähnlich wie der Axel Springer-Verlag hat sich der tergesellschaften beschränkte sich bei „Auto Bild“ Holtzbrinck-Konzern vergleichsweise spät in aus- auf Polen, Österreich und die Schweiz. Mittler- ländischen Märkten engagiert. Die Internationali- weile erscheint der Titel in national abgestimmten sierung setzte erst nach dem Tod des Verlags- Varianten (glocale Strategie) in 16 europäischen gründers Georg von Holtzbrinck im Jahr 1983 und Ländern, unter anderem in Italien, Frankreich, der Übernahme des Unternehmens durch dessen Großbritannien und Polen. Ausgaben für Estland Sohn Dieter von Holtzbrinck ein. Seither baut der und Finnland sind in Vorbereitung.16 Konzern seine internationale Marktpräsenz vor allem durch Akquisitionen systematisch aus. Mit dem sich abzeichnenden internationalen Erfolg von „Auto Bild“ hat Springer sein Aus- Zielobjekte der Akquisitionsstrategie sind vor landsgeschäft sukzessive verstärkt und einen allem international renommierte Buchverlage, ins- neuen strategischen Kurs beim Markteintritt ein- besondere in den USA und in Großbritannien. geschlagen. An die Stelle von Lizenzvergaben und Die Strategie der Marktbearbeitung ist dabei klar die Gründung von Gemeinschaftsunternehmen ist multinational ausgerichtet. Holtzbrinck erwirbt die Akquisition lokaler Unternehmen und die Verlagshäuser, deren Programm weitergeführt und Gründung von Tochtergesellschaften getreten. So gepflegt wird. Der erste Schritt war 1986 der Kauf besitzt der Verlag heute ein breites Spektrum an des Buchverlags Henry Holt, eines der ältesten Auslandstöchtern bzw. ausländischen Verlagsbe- Verlagshäuser der USA. Das Verlagsprogramm teiligungen und gibt mehr als 80 Zeitschriften in 15 besteht aus Werken amerikanischer und interna- Ländern – vor allem in Osteuropa (Ungarn, Polen tionaler Schriftsteller, aus Biographien und Sach- und der Tschechischen Republik) sowie in Frank- büchern zu den Themen Geschichte, Politik, reich, Spanien und der Schweiz – heraus. Auch die Umwelt und Psychologie. Im gleichen Jahr kam Strategie der Marktbearbeitung hat sich gewan- die Scientific-American-Gruppe hinzu; deren delt. Neben den Titeln mit glocaler Präsenz wie Hauptprodukt ist die 1845 gegründete „Scientific „Auto Bild“17 gibt der Axel Springer Verlag mitt- American“, die heute als renommierteste Wissen- lerweile eine breite Palette an länderspezifischen schaftszeitschrift der Welt gilt. Neben der engli- Zeitschriftentiteln heraus und verfolgt somit eine schen Originalausgabe wird der Titel in deutscher, multinationale Strategie. Schwerpunkte der Tätig- französischer, italienischer, spanischer, japanischer, keit sind Ungarn (20 Titel), Polen (17) sowie Spa- chinesischer, arabischer, polnischer, griechischer nien und Tschechien (8). Im September 2003 hat und russischer Sprache publiziert. 1994 erweiterte der Konzern eine russische Tochtergesellschaft ge- Holtzbrinck sein Portfolio nochmals – durch den gründet, die in den kommenden zwei Jahren ver- Kauf des New Yorker Buchhauses Farrar, Strauss schiedene Objekte herausbringen soll.18 & Giroux, das Werke zahlreicher Nobelpreisträger verlegt. Ein Jahr später kam für damals 600 Millio- Die Auslandstöchter des Springer-Verlags sind nen DM ein Anteil von 70,8 Prozent am traditions- angehalten, verstärkt eigene, lokal ausgerichtete reichen britischen Großverlag Macmillan hinzu. Zeitschriften zu entwickeln.19 Trotz des verstärk- Durch die massiven Zukäufe der vergangenen 20 ten Auslandsengagements konnte der Konzern Jahre liegt der Anteil des Auslandsumsatzes von 21 den Anteil von 30 Prozent Auslandsumsatz, den Holtzbrinck mittlerweile bei rund 40 Prozent. der damalige Vorstandsvorsitzende August Fischer Ende der neunziger Jahre als Zielgröße formuliert WAZ-Mediengruppe hatte, bislang nicht erreichen. Mit knapp 15 Pro- zent liegt Springer vielmehr deutlich hinter den Zentrales Geschäftsfeld der WAZ-Mediengruppe anderen Großverlagen.20 ist der Zeitungsmarkt. Auf diesen Bereich konzen- trieren sich auch die internationalen Aktivitäten 16 Vgl. Gert Hautsch, Quartalsbericht 4/03 zur Medien- des Konzerns. Charakteristisch für den Marktein- wirtschaft, Teil 2: Konzernübersichten, o. O., S. 5. tritt im Ausland ist die Akquisition einheimischer 17 Eine glocale Strategie wird auch bei der Jugendzeit- schrift „Popcorn“ verfolgt, die mittlerweile unter anderem in Verlagshäuser. Der erste Auslandsmarkt war im Polen, der Slowakei und in Ungarn erscheint. Jahr 1987 Österreich, wo der Verlag eine 45-Pro- 18 Vgl. G. Hautsch (Anm. 16), S. 5. zent-Beteiligung zunächst an der Wiener „Kronen- 19 Vgl. Santiago Campillo-Lundbeck, Ein neuer Springer Zeitung“ (Beteiligungshöhe heute: 50 Prozent) auf dem Schachbrett, in: Horizont, (2001) 17, S. 50. 20 Vgl. Judith Pfannenmüller/Heike Dettmar, Döpfner un- und später am „Kurier“ (Beteiligungshöhe heute: ter Erfolgsdruck, in: w & v werben & verkaufen, 39 (2001) 30, S. 27. 21 Vgl. H. Röper (Anm. 3), S. 420.

Aus Politik und Zeitgeschichte B 12–13/2004 26 49,9 Prozent) erwarb. Das Engagement in Öster- Spielshow „Joya“ sowie durch aktuelle Nachrich- reich bildete das Sprungbrett für die weitere ten aus den Kantonen. Der Anteil des spezifisch Expansion nach Südosteuropa, wo die WAZ- schweizerischen Programms liegt bei drei Stunden Mediengruppe heute der dominierende Zeitungs- pro Woche. In Österreich bietet Sat.1 lokale Pro- verlag ist. Er beherrscht durch Akquisitionen grammfenster mit Sendungen wie „Welt der Medi- große Teile der Zeitungsmärkte in Rumänien und zin“, „Lifestyle “ oder „Österreich Wetter- Bulgarien (Trud Verlag, Verlag 168 Stunden), show“. Auch hier ist der Anteil des spezifisch besitzt die führenden Zeitungen in Serbien (Poli- österreichischen Programms gering. Da die länder- tika Gruppe) und Montenegro (Vijesti) und hält spezifischen redaktionellen Inhalte quantitativ diverse Mehrheitsbeteiligungen an ungarischen gering bleiben, kann kaum von einer multinationa- (Zalai Hirlap, Naplo, Fejer Megyei Hirlap und Vas len Strategie gesprochen werden. Im Ergebnis ist Nepe) und kroatischen Verlagen (Europress Hol- vielmehr eine glocale Strategie festzustellen, also ding).22 eine dominant globale Strategie mit einer nur par- tiellen Anpassung der Inhalte an länderspezifische Die WAZ-Mediengruppe setzt in den ausländi- Bedürfnisse. schen Märkten konsequent auf die Weiterführung der erworbenen lokalen Titel; Neugründungen erfolgen nicht. Als Grund führt der Konzern die Bauer Verlagsgruppe fehlende Erfahrung und Kompetenz bei der Ent- Wie Gruner + Jahr hat auch der Bauer-Verlag ver- 23 wicklung journalistischer Innovationen an. Die gleichsweise früh mit der Internationalisierung sei- Strategie der Marktbearbeitung ist somit multina- ner Aktivitäten begonnen. Der erste Markteintritt tional ausgerichtet. im Ausland erfolgte 1980 in den USA mit der Tochtergesellschaft Heinrich Bauer North Ame- ProSiebenSat.1 Media AG rica, die noch im gleichen Jahr die Frauenzeit- schrift „Woman’s World“ lancierte. Sowohl Schwerpunkt der Aktivitäten der ProSiebenSat.1 „Woman’s World“ als auch die 1989 als zweite Media AG, die bis zur insolvenzbedingten Auflö- Frauenzeitschrift für den US-amerikanischen sung den Kern der Kirch-Gruppe bildete, ist das Markt konzipierte „First for Woman“ wurden vom werbefinanzierte Fernsehen. Hier erzielt das Bauer Verlag ganz auf die Interessen der amerika- Unternehmen rund 96 Prozent seines Gesamtum- 26 24 nischen Leserin zugeschnitten. Die Titel gehören satzes. Zur Senderfamilie gehören die Vollpro- mittlerweile zu den Spitzenreitern in diesem gramme SAT.1, Pro Sieben und Kabel 1 sowie die 27 25 Marktsegment. Nach Gründung von Tochterge- Spartenprogramme DSF, N24 und Neun Live. sellschaften in Frankreich (1985) und Spanien Das Auslandsengagement im Fernsehbereich ist (1986) nahm Bauer 1987 den britischen Zeitschrif- bislang gering und beschränkt sich auf die Verbrei- tenmarkt – heute neben den USA der wichtigste tung der TV-Programme via Satellit und Kabel vor Auslandsmarkt für den Konzern – ins Visier. Auch allem in europäischen Ländern. Der Markteintritt hier erfolgte der Markteintritt nach bewährtem erfolgt also generell durch Export. Eine lokale Muster durch die Gründung einer Tochtergesell- Abstimmung der Inhalte gibt es nur in Österreich schaft. Als erstes Objekt wurde der schon in und der Schweiz. Bei den Vollprogrammen Pro Deutschland erfolgreiche Frauentitel „Bella“ in Sieben und Kabel 1 werden nur die Werbefenster einer englischsprachigen, inhaltlich abgestimmten durch Aufnahme der jeweiligen nationalen Werbe- Ausgabe auf den Markt gebracht. kunden lokal abgestimmt. Bei Sat.1 werden dar- Die Konzentration auf die Zeitschriftensegmente über hinaus auch Teile des redaktionellen Pro- der niedrigpreisigen Frauen- und Programmzeit- gramms – allerdings in geringem Umfang – lokal schriften, die schon die Strategie des Verlags im differenziert gestaltet. Dies geschieht in der Inland kennzeichnete, wurde auch im Ausland zur Schweiz durch die Integration von Berichten über Leitlinie des strategischen Handelns. Dabei setzte die Fußballspiele der Schweizer Nationalliga, die der Verlag jedoch zunehmend auf die Entwicklung länderspezifischer Objekte, also eine multina- 22 Vgl. ebd., S. 424 ff.; Lutz Hachmeister/Günther Rager, 28 Wer beherrscht die Medien?, München 2002, S. 386 f. tionale Strategie. Titelübertragungen wie bei 23 Vgl. H. Röper (Anm. 3), S. 424. 24 Vgl. Kommission zur Ermittlung der Konzentration im 26 Vgl. Insa Sjurts, Die deutsche Medienbranche, Wiesba- Medienbereich (KEK), Sicherung der Meinungsvielfalt in den 1996, S. 84. Zeiten des Umbruchs, Berlin 2004, S. 99. 27 Vgl. ebd., S. 84. 25 Zurechnung gemäß den Kriterien § 28 Abs. 1 RStV. An- 28 So wurden bei den Frauenzeitschriften als länder- merkung der Redaktion: Siehe hierzu auch den Beitrag von spezifische Titel eingeführt: „Take a Break“ (Großbritannien, Marie Luise Kiefer in dieser Ausgabe. 1990), „Swiat kobiety“ (Polen, 1993), „Zena a Zivot“

27 Aus Politik und Zeitgeschichte B 12–13/2004 Tabelle: Medienkonzerne, Medienteilmärkte und Internationalisierungsstrategien Contentmärkte Content-Packaging-Märkte Print Rundfunk Buch Musik Zeitungen Zeitschriften Hörfunk Fernsehen Akquisition/ Akquisition/ Akquisition/ Akquisition/ Akquisition/ Bertelsmann Gründung Gründung Gründung Gründung Gründung multinational multinational multinational glocal glocal Export/ Akquisition/ Axel Springer Akquisition Gründung Verlag international/ multinational multinational Akquisition/ Holtzbrinck Gründung multinational Akquisition/ WAZ Gründung multinational Pro Sieben Export Sat.1 Media glocal AG Akquisition/ Bauer Gründung multinational

Quelle: Eigene Darstellung.

„Bella“ oder später auch bei „Tina“ und bei „Bra- konzerne zusammen, so ergibt sich das in der vo“29 sind bislang die Ausnahme geblieben. Tabelle dargestellte Ergebnis. Mittlerweile umfasst die Zeitschriftenpalette des Dabei zeigt sich, dass die Medienkonzerne für den Bauer-Verlags 120 Titel, von denen zwei Drittel im Markteintritt die Akquisition einheimischer Ausland erscheinen. Das Verlagshaus ist Marktfüh- Unternehmen oder die Gründung von Tochterge- rer im polnischen Zeitschriftenmarkt; in der Tsche- sellschaften präferieren. Die Marktbearbeitung chischen Republik liegt es auf Platz zwei. In den erfolgt ganz überwiegend durch eine multinatio- USA ist der Bauer-Titel „Woman’s World“ die nale Strategie. Nur beim Rundfunk findet sich größte Wochenzeitschrift im Einzelverkauf.30 eine glocale Strategie. Da sowohl die glocale als Unter den deutschen Großverlagen weist der auch die multinationale Strategie die Nutzung von Bauer-Verlag nach Gruner + Jahr mit 37 Prozent Lokalisierungsvorteilen in den Vordergrund stel- (2002) den zweitgrößten Auslandsumsatzanteil auf. len, dominiert in allen Medienteilmärkten ein lokal abgestimmtes Vorgehen. Die Unternehmen agieren offenkundig nach dem Motto „think glo- Medienkonzerne, Medienteilmärkte bal, act local“. und Internationalisierungsstrategien Fasst man die Befunde zu den Internationalisie- rungsstrategien der größten deutschen Medien-

(Tschechien/Serbien, 1994), „that’s life“ (Großbritannien, Erklärungsansätze zur 1995). Bei den Programmzeitschriften kamen in Spanien Internationalisierungsstrategie „Nuevo Plus“ (1987), in Großbritannien „TV Quick“ (1991) und in Polen „Tele Tydzien“ (1993) auf den Markt. 29 Der Jugendtitel „Bravo“ und seine Ablegerprodukte „Bravo Girl“ und „Bravo Sport“ wurden seit Beginn der Die Präferenz der deutschen Medienkonzerne für neunziger Jahre sukzessive in jeweils länderspezifischen Va- eine Strategie der Marktbearbeitung, die in gro- rianten in Portugal, Spanien, Tschechien/Serbien, Polen, Un- ßem Umfang lokale Besonderheiten berücksich- garn und Rumänien auf den Markt gebracht. Vgl. H. Röper tigt, lässt sich durch die Kulturgebundenheit von (Anm. 3), S. 428. 30 Vgl. ders., Formationen deutscher Medienmultis 1999/ Medienprodukten erklären. Medienerzeugnisse 2000, in: Media Perspektiven, 14 (2001) 1, S. 26. sind Teil der jeweils länderspezifischen Erlebnis-

Aus Politik und Zeitgeschichte B 12–13/2004 28 welten, welche sie aufgreifen und widerspiegeln. Inhalte die zweite Triebkraft für den Trend zur Zudem unterscheiden sich die Art der Informati- Lokalisierung von Medienprodukten. onsaufbereitung und der Kommunikationsstil von Land zu Land. Um auch im Ausland erfolgreich Auch die Form des Markteintritts, d. h. die Präfe- sein zu können, müssen deutsche Medienkonzerne renz für die Akquisition lokaler Unternehmen also ihre Produktinhalte den länderspezifischen oder die Gründung von Tochtergesellschaften, Bedürfnissen anpassen. lässt sich mit der Kulturgebundenheit von Medien- produkten erklären: Diese Markteintrittsformen Der Anpassungsbedarf ist umso größer, je stärker sichern den Unternehmen das höchste Maß an ein Medienprodukt aufgrund der Struktur der Steuerungs- und Kontrollmöglichkeiten bei der redaktionellen Inhalte im nationalen kulturellen Produktgestaltung vor Ort. Markteintrittsvarian- Rahmen verankert ist.31 Dies ist insbesondere bei ten wie Export oder Franchising werden dagegen textgebundenen, vorwiegend informativen Me- kaum gewählt, da diese ein globales Produkt vor- dienprodukten und hier wiederum vor allem bei aussetzen. Dies gilt auch für Joint Ventures, sofern Zeitungen der Fall. Ein geringerer Anpassungsbe- nicht eine Mehrheitsbeteiligung des deutschen darf ergibt sich dagegen bei unterhaltenden Medienkonzerns besteht. Medienprodukten und hier wiederum bei Medien- produkten mit bildlicher Kommunikation. Denn Mediengüter mit Unterhaltungscharakter knüpfen eher an die emotionalen Erlebniswelten der Re- zipienten an, die von Land zu Land weniger Resümee differenziert sein dürften als die jeweiligen Informationsbedürfnisse. Dementsprechend ist die Marktbearbeitung durch eine glocale Strategie für Die Internationalisierungsstrategien der größten Rundfunkanbieter eher möglich als für Verlage, deutschen Medienkonzerne zeigen eine Präferenz die textdominierte Produkte anbieten. Nur für für eine lokal abgestimmte Strategie. Die Kon- Verlage, die Titel mit einem hohen Bildanteil pro- zerne agieren nach dem Prinzip „think global, act duzieren, dürfte nach dieser Logik auch eine glo- local“. Interpretiert man diese Philosophie als cale Strategie sinnvoll sein. So werden Zeitschrif- Erfolgsvoraussetzung in ausländischen Märkten, tentitel wie „Geo“, „Vogue“, „Harper’s Bazar“ so sind die Barrieren für eine Internationalisierung oder „Playboy“ unter einem weltweit verwendeten hoch. Nur Medienunternehmen, die über die Titel mit einheitlichem Konzept, aber in länder- finanziellen Mittel für die Gründung einer Toch- spezifischen Ausgaben angeboten. tergesellschaft im Ausland, für die Akquisition eines lokalen Unternehmens oder zumindest für Die länderspezifische Ausgestaltung der redaktio- eine Mehrheitsbeteiligung verfügen, haben diese nellen Inhalte ist nicht nur wichtig, um die Rezi- Handlungsoption. Kostengünstigere Varianten wie pienten für das Medienprodukt zu interessieren. der bloße Export sind – wie gezeigt – ökonomisch Auch Werbekunden werden sich nur dann für ein nicht sinnvoll. Deshalb ist der Internationalisie- Medienprodukt entscheiden, wenn dieses die rungsgrad kleiner und mittelständischer Verlags- gewünschte quantitative und qualitative Reich- häuser gering; bei großen Medienkonzernen ist er weite aufweist. Dies führt zu einem Spiraleffekt dagegen umso höher. In Anbetracht des zuneh- (Anzeigen-Auflagen- bzw. Werbespot-Reichwei- menden Verdrängungswettbewerbs im Inland wird ten-Spirale): Die Zunahme der Reichweite am er kontinuierlich steigen. Rezipientenmarkt hat eine neuerliche Steigerung der Nachfrage am Werbemarkt zur Folge; die Wer- Daher ist für den deutschen Medienmarkt auch beerlöse können in eine weitere Verbesserung des anzunehmen, dass nur ausländische Großkonzerne Contents oder die Senkung des Copy-Preises in- erfolgreich werden eintreten können. Wegen ihrer vestiert werden, um so die Reichweite im Rezi- Finanzkraft sind sie in der Lage, deutsche Medien- pientenmarkt weiter zu steigern. Diese Interde- unternehmen zu übernehmen oder Mehrheitsbe- pendenz von Rezipienten- und Werbemarkt bildet teiligungen zu erwerben und deren Produkte ent- neben der Kulturgebundenheit redaktioneller sprechend aufzubereiten. Ein aktuelles Beispiel bildet die Übernahme der Pro Sieben Sat.1 Media 31 Vgl. M. Liewehr (Anm. 5), S. 28 f.; M. Schroeder AG durch Haim Saban und die dahinter stehende (Anm. 5), S. 9 ff. Investorengruppe.

29 Aus Politik und Zeitgeschichte B 12–13/2004 Wolfgang E. Heinold/Ulrich Spiller Der Buchhandel in der Informationsgesellschaft

Unternehmensberater haben dem deutschen sowie Städte mit 50 000 bis 100 000 Einwohnern Buchhandel bis 2008 einen Umsatzrückgang von (– 115). Lediglich in Städten mit über 500 000 Ein- 800 bis 900 Millionen Euro prophezeit.1 In fünf wohnern hat die Zahl der Buchhandlungen (+ 55) Jahren würden demnach mit Büchern nur noch zugenommen. Der Handel mit Zeitungen und etwa 8,4 Milliarden Euro (gegenüber 9,224 Milliar- Zeitschriften verzeichnete nach Angaben des Bun- den im Jahr 2002) umgesetzt – dies entspräche desverbands des Deutschen Pressegrossos im glei- einem Rückgang um rund neun Prozent. chen Zeitraum ebenfalls einen Rückgang, aller- dings belief sich dieser nur auf 1,2 Prozent; so ist Tatsache ist, dass die Bedeutung des Mediums die Zahl der Verkaufsstellen von 117 914 im Jahr Buch in Zukunft abnehmen wird. Doch in abseh- 2002 auf 116 802 in 2003 gesunken. barer Zeit dürften wohl weder die Schreckensvi- sionen vom Verschwinden der Bücher Wirklichkeit Dass die wirtschaftliche Lage des Buchhandels seit werden noch bedeutet der prognostizierte Umsatz- langem nicht zufrieden stellend ist, zeigt der vom rückgang, dass Verlage per se in eine bedrohliche Kölner Institut für Handelsforschung erstellte wirtschaftliche Lage geraten. Dies sollen die fol- Betriebsvergleich für die Branche. Zwar haben genden Ausführungen verdeutlichen. sich an der Untersuchung im Jahr 2002 nur 220 Fir- Dazu gilt es zunächst den Begriff „Buchhandel“ zu men beteiligt, womit das Ergebnis kaum repräsen- beleuchten. Während Außenstehende darunter tativ sein dürfte. Aber das dort ausgewiesene ausschließlich die Buchhandlungen fassen, versteht betriebswirtschaftliche Durchschnittsergebnis von die Branche unter diesem Terminus sowohl die – 0,9 Prozent kommt der Wirklichkeit sicher sehr Buchhandlungen (das Sortiment) als auch den Zwi- nahe. Eine Rendite von 1,0 Prozent wiesen ledig- schen(Groß-)buchhandel (Barsortiment und Aus- lich die zehn Betriebe mit jeweils über 50 Beschäf- lieferungen) – zusammengenommen als „verbrei- tigten auf. Wenngleich die endgültigen Zahlen für tender Buchhandel“ bezeichnet – sowie die Verlage 2003 noch nicht vorliegen, dürften wohl nur (herstellender Buchhandel). Organisatorisch sind „Harry Potter“ und Boulevardtitel wie die Memoi- die drei Zweige im Börsenverein des Deutschen ren von Dieter Bohlen, Stefan Effenberg oder Buchhandels e.V.zusammengeschlossen. Boris Becker die Situation auf dem Buchmarkt etwas erträglicher erscheinen lassen.

Grund für diese angespannte Lage ist aber nicht Die Entwicklung des Handels allein der stagnierende Umsatz bei Büchern (vgl. Schaubild 1) – zumal Großflächenbuchhandlungen wachsen und der Umsatzanteil von Warenhäusern Buchhandlungen sind – unabhängig von der tat- laut Vertriebswegstatistik des Börsenvereins seit sächlichen Umsatzentwicklung des Mediums Buch Jahren konstant bei 4,6 Prozent liegt. Das Wachs- – wirtschaftlich stärker gefährdet als Verlage. tum der Großflächenbuchhandlungen ist wohl Warum ist das so? Vor allem der stationäre Handel damit zu erklären, dass sich das Kaufverhalten der ist bereits jetzt von einem dramatischen Schwund Kunden gewandelt hat und diese Betriebsform im Distributionsnetz gekennzeichnet. Die Zahl der den veränderten Konsumgewohnheiten Rechnung Firmen des verbreitenden Buchhandels ist laut trägt. Zweifellos kommt die Erlebniswelt, die sol- „Adressbuch für den deutschsprachigen Buchhan- che Buchhäuser bieten, bei den Verbrauchern gut del“ von 2002 bis 2003 – also binnen eines Jahres – an. Die Zahl der „Bücherwürmer“ und „Kulturbe- um 987 (13,4 Prozent) gesunken. Betroffen waren flissenen“ unter den Käufern geht zurück, das besonders Städte mit 20 000 bis 50 000 Einwoh- Buch wird zu einem Artikel unter vielen. Auch nern (– 398), Städte mit 10 000 bis 20 000 (– 294) wenn mancher Buchhändler oder Verleger diese Entwicklung verwerflich finden mag, wird er daran 1 Vgl. Brennpunkt Verlage. Standortbestimmung und doch nichts ändern. Auch ein Warenhaus erzielt Handlungsfelder an der Schnittstelle zwischen klassischem und digitalem Verlagsgeschäft (Detecon White Paper), Esch- seinen Umsatz nur mit einem beschränkten Sorti- born 2003. ment. So ist ein Großteil des Umsatzes im Jahr

Aus Politik und Zeitgeschichte B 12–13/2004 30 Schaubild 1: Umsatz des deutschen Buchhandels Schaubild 2: Umsatzstruktur nach Vertriebswegen (in Mrd. Euro) (in Prozent)

davon Sortimentsbuchhandel Warenhäuser Reise- und Versandbuchhandel 9,23 9,42 9,41 9,22 4,6 8,95 9,09 9,1 Sonstige Verkaufs- 8,7 stellen

17,2 Verlage 5,31 5,37 5,43 5,48 5,44 5,26 57,0 direkt Sortiments- 3,4 buchhandel Buch- gemeinschaften Gesamtumsatz buchha¨ndlerischer Betriebe in 2002: 9,22 Mrd. Euro. 1997 1998 1999 2000 2001 2002 Quelle: Markt der Bücher, S. 6. Quelle: Focus Communication Networks (Hrsg.), Der Markt der Bücher. Verlage. Buchhandel, Kom- Verbrauchermärkten. „Wir verkaufen die Hardco- munikationsstrategien, München 2003 (im Fol- ver-Bestseller rauf und runter, sowohl Belletristik genden: Markt der Bücher), S. 3. als auch Sachbuch“, sagt Geschäftsführer Hajo Lüken, der circa 70 solcher Verkaufsstellen einge- 2003 auf den Absatz von Promi-Biographien, richtet hat.3 Ärger löste der Umstand aus, dass der Sachbüchern, Kalendern sowie den neuesten gut verkäufliche „Harry Potter“-Roman nicht „Harry Potter“-Roman zurückzuführen. allein über die Theken des Buchhandels ging: „Es ist toll, dass ein Buch, das es auch verdient, solche Auch der Verkauf von Büchern über Neben- Aufmerksamkeit erregt, aber man sollte auch märkte wird vom Buchhandel heftig attackiert – daran denken, wer diesen Weg geebnet hat – die ob es nun Ratgeber im Baumarkt, Reiseführer an Buchhändler! Und dass sich jetzt andere Branchen der Tankstelle, Kochbücher im Haushaltsgeschäft, den Kuchen aufteilen, ist für mich schlecht nach- Gesundheitsbücher in der Drogerie oder „Harry vollziehbar“, sagt Manuela Gewin-Bock von der Potter“-Bücher in Supermärkten sind (vgl. Schau- Buchhandlung Langenkamp in Lübeck.4 bild 2). Noch immer kann der Buchhandel nicht so recht akzeptieren, dass der Kunde entscheidet, Die kleineren Buchhandlungen erfreuen sich zwar wann und wo er kauft. „Gegen Zusatzmärkte ist nach wie vor großer Beliebtheit; nach der im nichts einzuwenden, aber das Geschäft mit den Herbst 2003 vom Nachrichtenmagazin Focus ver- Nebenmärkten entwickelt sich mittlerweile in eine öffentlichten Studie „Der Markt der Bücher“ kau- andere Richtung: in die des Alternativmarkts. fen 34,6 Prozent der Befragten gern in kleinen Sor- Wenn wir beispielsweise sehen, dass Lingenbrink timenten und in örtlicher Nähe. Es sind aber vor (das Barsortiment LIBRI, d. Verf.) die Logistik für allem ältere Buchkäufer, die diese Geschäfte Schlecker übernimmt oder Langenscheidt (eine bevorzugen. Ohne eine veränderte Zusammenset- große Verlagsgruppe, d. Verf.) Lidl-Märkte be- zung der Käuferschaft drohen auch diese Buch- dient, dann wird der Kunde für Produkte, die in handlungen auszusterben. Worin dieser Wandel jeder Buchhandlung zu bekommen sind, ganz kon- 2 bestehen könnte, lässt sich hier nur andeuten: kret in die falschen Geschäfte geschickt.“ Erweiterung des Sortiments über Bücher hinaus, Statt dem Verbraucher vorzuschreiben, wo er kau- Direktmarketing, Lieferservice – also Leistungen, fen soll, reagieren einige Buchhändler mit eigenen die über das bisherige Aufgabenverständnis eines Aktivitäten auf die Kundenbedürfnisse. So bedient Buchhändlers hinausgehen. Wenn man die die Best of Books GmbH (BoB), an der die Umsatzzuwächse beim Versandbuchhändler Ama- Aachener Gruppe Mayersche Buchhandlung mit 3 Hardy Haimann/Sybille Fuhrmann, Rundum versorgt?, 65 Prozent beteiligt ist, Buch-Shops in den Real- in: Börsenblatt. Wochenmagazin für den Deutschen Buch- handel, 170 (2003) 31, S. 12–16. 2 „Nicht ohne einander“, in: Börsenblatt. Wochenmagazin 4 Briefe an die Redaktion, in: Börsenblatt. Wochenmagazin für den Deutschen Buchhandel, 170 (2003) 35, S. 10–15. für den Deutschen Buchhandel, 170 (2003) 48, S. 153.

31 Aus Politik und Zeitgeschichte B 12–13/2004 zon betrachtet, stellt sich die Frage, was den Reiz juristische Vorstellung. Ein vermeintlicher Segen des Einkaufs im Internet ausmacht und wie der für die Branche (als solcher wird das Zustande- klassische Buchhandel darauf reagieren könnte. kommen des Gesetzes nach jahrelangem Kampf gegen die Europäische Union betrachtet) verkehrt sich so aus unserer Sicht eher in das Gegenteil.

Die Preisbindung: Segen oder Hemmschuh? Die Zukunft der Verlage

Doch auf dem Weg zum „Erlebnishandel“ steht Die Frage nach der Situation der Verlage lässt sich sich die Branche womöglich selbst im Wege – nicht pauschal beantworten; vielmehr ist nach der durch die Preisbindung für Bücher. Die Buchbran- Art der Publikationen zu differenzieren. Eine für che ist der einzige Sektor in der Bundesrepublik den Leser sinnvolle Unterscheidung ist die nach Deutschland, für den eine Preisbindung gesetzlich unterhaltender und informierender Literatur. Es vorgeschrieben ist. Dabei kam das Gesetz, das seit lassen sich vier Marktsegmente unterscheiden:6 dem 1. Oktober 2002 gilt, auf Betreiben der Bran- – Publikumsverlage (bedienen ein generelles, che zustande. Aber es hat ihr keineswegs die Ruhe eher privates Interesse), beschert, die sie sich davon versprochen hatte. – Special-Interest-Verlage (bedienen ein speziel- Außenstehenden ist kaum zu erklären, weshalb les, eher privates Interesse), ein mächtiger Anbieter wie das Versandhaus Welt- bild Parallelausgaben – wenn auch in etwas ande- – Fachverlage (bedienen ein spezielles, eher rer Ausstattung – als Preis-Hits herausbringt. berufliches Interesse), Genauso wenig ist dem Mitglied eines Buchclubs – Ausbildungsverlage (bedienen ein generelles, verständlich zu machen, warum es Neuerscheinun- eher berufliches Interesse). gen später als andere Käufer erhalten soll. Der Der Unterschied zwischen diesen Verlagstypen klassische Buchhandel läuft gegen solche Parallel- liegt aber nicht nur in den verschiedenen Inte- ausgaben zeitgleich zur Buchhandelsausgabe ressen der Leser, sondern – damit verbunden – Sturm; der Börsenverein des Deutschen Buchhan- auch in einem jeweils anderen Marketing und dels hat gegen sein Mitglied, den Bertelsmann anderen Prioritäten beim Vertrieb. Veröffentli- Club, sogar einen Prozess angestrengt. Er beruft chungen und Berichte in allgemeinen oder in sich auf ungeschriebene Grundsätze und bran- Branchenmedien leiden in der Regel darunter, cheninterne Abkommen, wenn er dem Buchclub 5 dass nicht zwischen diesen Märkten unterschieden ein „Spiel mit dem Feuer“ vorwirft. wird. Im Blickfeld der Betrachter liegt zumeist der Derzeit lotet der Buchhandel den Spielraum für Publikumsmarkt, der anscheinend mehr Sensatio- Zugeständnisse an die Käufer im Rahmen der nen bietet. So betrifft vieles, was über „die Ver- Preisbindung aus. Immerhin kann er sich an Kun- lage“ oder „den Buchhandel“ gesagt wird, in der denbindungssystemen beteiligen und z. B. Prämien Tat nur diesen Teilmarkt, während die anderen auf Kunden-Sammlerkarten oder bei Miles & Segmente unbeobachtet bleiben; dabei sind diese More-Programmen vergeben. Skonti hingegen gerade deshalb interessant, weil sie eigenen Geset- sind unzulässig; selbst die Einräumung von Zah- zen gehorchen. Das betrifft zweifellos auch das lungszielen ist nach einem Urteil des Bundesge- Thema Zukunftsfähigkeit und vor allem die Wirt- richtshofes (BGH) gesetzeswidrig. Wie diese Ent- schaftlichkeit von Verlagen. scheidung im buchhändlerischen Alltag umgesetzt Der Publikumsmarkt wurde im Jahr 2003 einer- werden soll, darüber hat sich der höchste Gerichts- seits durch die so genannte „Pottermania“ geprägt, hof keine Gedanken gemacht. Auch das Landge- die sich mit dem Erscheinen des fünften Harry richt Düsseldorf hat aufgrund der Gesetzeslage Potter-Bandes fortsetzte; andererseits machte sich kürzlich ähnlich entschieden. Folgt man den Rich- eine Entwicklung bemerkbar, die der Verleger Joa- tersprüchen, dürfte kein Buchhändler mehr preis- chim Unseld „Triumph des Boulevards“ genannt gebundene Bücher auf Rechnung ohne Kreditzu- schlag verkaufen – eine wirklich weltfremde 6 Die Einteilung geht auf Winfried Ruf vom Fachmedien Institut in Mering zurück; andere Aufteilungen sind zwar 5 Jürgen Könnecke, Spiel mit dem Feuer, in: Börsenblatt. möglich, aber im Gegensatz zu Ruf nicht verbindlich doku- Wochenmagazin für den Deutschen Buchhandel, 170 (2003) mentiert. Vgl. Winfried Ruf, Der GrundmärkteKreis. Zur 45, S. 11. Positionierung von Verlagsgeschäften, Mering 1992.

Aus Politik und Zeitgeschichte B 12–13/2004 32 Schaubild 3: Anteile der Warengruppen am Umsatz 2001 (in Prozent)

Übrige Waren Belletristik

Audiovisuelle Medien 11 10 Kinder- und Jugendbücher Antiquariat, Modernes Antiquariat 3 3 9 4 Fachbücher Naturwissenschaften Sachbücher 12 10 Fachbücher Geisteswissenschaften 9 Hobby-, Freizeit-, Reiseliteratur 8 7 Schulbücher 14 Zeitschriften, Presseerzeugnisse Taschenbücher

Quelle: Markt der Bücher, S. 5. hat. Er meint damit die Werbung im Rahmen von Buches“ ausreichend, fragt zweifelnd Rainer Fernsehsendungen, die Buchtitel von bekannten – Groothuis, Design- und Marketingexperte für oder sich selbst als prominent bezeichnenden – Bücher.9 Die Nutzung von Fernsehen, Radio und Zeitgenossen in ungeahnte Auflagenhöhen schie- Internet ist nach einer Untersuchung von Seven- ßen lässt. Die Folge ist für Unseld, dass sich One Media in den vergangenen vier Jahren um „immer weniger Titel [. . .] immer besser und rund 30 Prozent gestiegen. Das Internet hat einen schneller“ verkaufen. „Dafür gelangen immer Anteil von zehn Prozent an der Medien-Zeit mehr Bücher gar nicht ins Bewusstsein der Öffent- erreicht. Buch, Zeitung und Zeitschrift bringen es lichkeit.“ Dies ist eine Entwicklung, die Unseld auf insgesamt 16 Prozent, die Hälfte davon entfällt kritisiert: „Wenn durch Spaß, Talk, Event und allein auf das Medium Buch. Die Nutzung der leichte Kost das, was ein gutes Zusatzgeschäft sein Printmedien ist im Beobachtungszeitraum kon- kann, zum Fokus aller Bemühungen wird, geraten stant geblieben und hat unter dem Aufstieg der Buchhandel und Verlage gleichermaßen in eine elektronischen Medien nicht gelitten.10 Allerdings schleichende, würgende Abhängigkeit von einem wird hier nicht zwischen Belletristik und Fachbuch zynischen Dritten. Der flüchtige Boulevard ist unterschieden, also zwischen privatem und berufli- vielleicht der Strohhalm, an den man sich ange- chem Interesse. Es ist aber nach unserer Ansicht sichts stagnierender Zahlen klammert. Aber wenn gerade das unterhaltende Buch, das am stärksten man die Bedingungen des Daseins von Literatur dem Wettbewerb ausgesetzt ist – und dieser nimmt im Blick behält, weiß man, was auf dem Spiel weiter zu. Fernsehen, Kino, Computerspiele, Chat- steht.“7 Jedenfalls gilt für das Jahr 2003: Die Hel- ten, das Verschicken und Empfangen von Short den der Yellow Press haben die Regale erobert, Messages (SMS) sind (neue) Medienformen, mit wie das „Börsenblatt“ das Phänomen beschrieben denen es im Wettbewerb steht. Als erstes Fazit für hat.8 Beispiele sind die „Autobiografien“ von Boh- die Publikumsverlage bleibt daher festzuhalten: Je len, Effenberg, Becker und Susanne Juhnke. allgemeiner das Sortiment gehalten ist und je geringer die Zahl der Bestseller ausfällt, desto Es stellt sich die Frage, ob eine solch stürmische anfälliger ist der Verlag für wirtschaftliche Krisen Nachfrage auf den Stellenwert des Lesens in der (vgl. Schaubild 3). Gesellschaft hindeutet. Zudem lässt sich darüber diskutieren, ob die Branche aus dieser Attraktivi- Hält man sich an die in der Zeitschriftenbranche tät von Büchern und Autorenmarketing wirklich übliche und von Winfried Ruf bei der Beschreibung das Beste macht. Nutzt sie den „Nimbus des 9 Rainer Groothuis, Leuchtende Freudigkeit, in: Börsen- 7 Joachim Unseld, Triumph des Boulevards, in: Börsen- blatt. Wochenmagazin für den Deutschen Buchhandel, 170 blatt. Wochenmagazin für den Deutschen Buchhandel, 170 (2003) 46, S. 11. (2003) 48, S. 16 f. 10 Vgl. SevenOne Media (Hrsg.), Time Budget 8. 1999– 8 Vgl. Sybille Fuhrmann, Auspacken ist Trumpf, in: Bör- 2003. Mediennutzung in Deutschland; Forsa-Umfrage, in: senblatt. Wochenmagazin für den Deutschen Buchhandel, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 24. November 2003, 170 (2003) 20, S. 15. S. 21.

33 Aus Politik und Zeitgeschichte B 12–13/2004 der vier Grundmärkte verwendete Definition, han- Diese Aussage unterstreicht die bisherigen Aus- delt es sich bei Special-Interest-Titeln um solche führungen: Der stationäre Buchhandel wird Bücher, die aus einem speziellen, aber privaten und zurückgedrängt; der Verlag kann seine Bücher nicht beruflichen Interesse gelesen werden. Der jedoch dank Internet-Buchhändler und Suchma- Special-Interest-Markt und der Publikumsmarkt schinen weiter an die Käuferin und den Käufer liegen eng beieinander; ersterer gehorcht aber bringen (vgl. Schaubild 4). Und wenn er strate- umso mehr eigenen Gesetzen, je spezieller die Titel gisch richtig vorgeht, d. h. die richtigen Angebote sind. Special-Interest-Leser sind leidenschaftliche ins Netz stellt und einen auf die Bedürfnisse der Informationssammler und nutzen alle medialen Zielgruppe zugeschnittenen Medienmix liefert, Quellen, um ihr Interesse zu befriedigen. Oft wird machte er seinen Umsatz auch dann, wenn morgen die Literatur – wie beim Segeln oder Reiten – für keine Bücher mehr nachgefragt würden. Der Ver- das Bestehen von Prüfungen benötigt; daher haben lag hat „nur“ darauf zu achten, dass ihm seine The- die Titel hier den Charakter von Lehrbüchern und men nicht abhanden kommen: Er muss das Ende entwickeln sich zu Longsellern mit hohen, immer eines Trends ebenso frühzeitig erkennen wie das wieder erneuerten Auflagen. Der stationäre Buch- Aufkommen neuer Hobbys. handel droht die Käuferschichten der Special-Inter- est-Verlage zu verlieren, weil er sie aus den ver- Schaubild 4: Gesamtumsatz von Büchern via schiedensten Gründen vernachlässigt. Das spiegelt Internet (in Mio. Euro) sich in Zahlen wider. So hat die Paul Pietsch Ver- lagsgruppe, führend im Bereich so genannter 438 „Männer-Hobbys“, im Jahr 2002 einen Umsatz von 16 Millionen Euro erzielt.

In diesem Jahr stellte der Online-Buchhändler 288 Amazon den größten Abnehmer für die Paul Pietsch Verlage dar – bedeutender noch als die 193 vier marktführenden Buchhandlungen Thalia, Hugendubel, Mayersche und Buch & Kunst zusammen. Weitere Online-Buchhändler wie 84 Buch24.de stoßen mit ebenfalls hohen Wachstums- 30 raten zu den Top-20-Buchhändlern der Verlags- 13 gruppe vor. Andreas Wiedmann, Mitglied der Geschäftsleitung der Paul Pietsch Verlage, hält die 1997 1998 1999 2000 2001 2002 Entwicklung der Gruppe keineswegs für einen Quelle: Markt der Bücher, S. 12. Einzelfall. Die Verlagerung des Umsatzes auf den Ähnliches gilt für den Fachmarkt. Dieser ist nach Vertriebsweg Online-Handel erklärt er mit der Berufen und Branchen gegliedert; jeder Teilmarkt zunehmenden „Konzentration des Buchhandels bildet eine eigene Welt. Fachverlage verlegen tra- auf vermeintliche Schnelldreher und die damit ditionell Fachzeitschriften, Bücher und andere erfolgende Einengung des Angebots an Büchern Medien. Ihren Branchen präsentieren sie sich im Handel“. Dadurch werde es für einen Special- zunehmend auch online. Mit den Berufsverbänden Interest-Verlag immer schwieriger, „den klassi- und den maßgeblichen Wissenschaftlern sind sie schen, stationären Buchhandel von der Notwen- zumeist durch Beratungsverträge sowie Herausge- digkeit unserer Produkte zu überzeugen. Der ber- und Trägerschaften verbunden. Da Fachinfor- Buchhandel orientiert sich mehr denn je an Lager- mationen auch in Zukunft unverzichtbar sein wer- umschlagsgeschwindigkeit und tut sich natürlich den, muss ein Verlag diese auch bedarfsgerecht leichter mit ihm persönlich zumeist zugänglicheren zur Verfügung stellen. Fachverlage müssen sich Themen. Dies spricht beides für Belletristik, Kin- in Dienstleister verwandeln, die Informationen derbuch, Ratgeber etc. und nicht für profunde zunehmend auch „on demand“ – z. B. über die Technik-Bücher oder eben auch Grundlagenbü- Suche in Datenbanken – liefern oder direkt in das cher für ein spezielles Hobby. Zudem findet im Intranet von Firmen einspeisen. Stichworte sind Sortiment immer weniger eine – gerade in unse- Paid Content, ePapers und Cross Media; zu nen- rem Bereich wiederum dringend notwendige – nen ist aber auch das wachsende Angebot an Semi- Beratungsleistung statt.“11 naren sowie Foren und Konferenzen.

11 „Mit Amazon mehr Umsatz als mit Ketten“, in: Buch- Für speziell auf Deutschland bezogene Themen markt, (2003) 6, S. 38 f. wie im Marktsegment RWS (Recht, Wirtschaft,

Aus Politik und Zeitgeschichte B 12–13/2004 34 Steuern) droht den Fachverlagen kaum Konkur- graphic Deutschland oder wie innerhalb der GEO- renz aus dem Ausland; denn die großen ausländi- Familie unterstreichen diese Entwicklung. schen Verlagsgruppen wie Wolters Kluwer oder Reed Elsevier haben es bisher versäumt, auf dem deutschen Markt in größerem Umfang aktiv zu werden. Einen Kernbereich des Fachmarktes bil- det das international bedeutsame Scientific Tech- Zukäufe, Fusionen und Perspektiven nical and Medical Publishing (STM-Publishing). Titel aus diesem Bereich veröffentlichen auch deutsche Verlage zu einem hohen Prozentsatz in „Der Medienbereich zählt in den kommenden Jah- englischer Sprache. Das bedeutet aber zugleich ren zu einem der attraktivsten Felder für Beteili- verstärkten weltweiten Wettbewerb, und hier gungsgesellschaften“, konstatiert Christian Stahl haben es deutsche Verlage (mit Ausnahmen wie von der Private Equity und Venture Capital-Bera- tungsgesellschaft Apax Partners.13 Diese Erkennt- die Verlagsgruppe Springer Science + Business nis mag für internationale Investorengruppen Media) weitgehend versäumt, sich auf internatio- nicht neu sein; in der deutschen Buchbranche sind naler Ebene zu positionieren. diese im Jahr 2003 jedoch erstmals in größerem Auf dem (Aus-)Bildungsmarkt, zu dem wir hier Umfang in Erscheinung getreten. So übernahm die die Schulbuch- und die Universitätsverlage rech- Londoner Investorengruppe Cinven und Candover nen, haben es Verlage zunehmend schwer. Sie sind die wissenschaftlich orientierte BertelsmannSprin- in hohem Maße von der Beschaffungspolitik ger-Gruppe (Jahresumsatz: 730 Mio. Euro). öffentlicher Einrichtungen wie wissenschaftliche Hinter der Verkaufsentscheidung steht ein Strate- Bibliotheken oder Schulen abhängig. Speziell Uni- giewandel des Gütersloher Bertelsmann-Kon- versitätsverlagen macht das neu gefasste Urheber- zerns, der nun im Verlagsbereich auf den Publi- recht (Paragraf 52 a und 53) zusätzlich zu schaffen. kumsmarkt setzt und sich daher von seinen in der Demnach dürfen Bibliotheken künftig kleine Teile BertelsmannSpringer-Gruppe zusammengefassten von Printwerken digitalisieren und einem ge- Wissenschafts- und Fachverlagen getrennt hat. schlossenen Nutzerkreis zur Verfügung stellen. Zugleich will der Konzern die im Tochterunter- Viele Verlage sehen ihre Zeitschriften und speziel- nehmen gebündelten Publikums- len Monographien sowie Enzyklopädien durch die aktivitäten im deutschsprachigen Raum mit einem Gesetzesnovelle hochgradig gefährdet. „Was wir groß angelegten Zukauf entscheidend verstärken. gerade erleben, ist aber wohl nur die Eröffnung in einem Verteilungskampf um das geistige Eigen- Anfang 2003 wurde bekannt, dass die Axel Sprin- tum. Dieser wird mich vermutlich noch für den ger AG – nicht zu verwechseln mit der nun wieder Rest meines Berufslebens begleiten“, fürchtet unter dem Namen Springer Science + Business Georg Siebeck, Inhaber des angesehenen Wissen- Media firmierenden ehemaligen Bertelsmann- schaftsverlages Mohr-Siebeck in Tübingen.12 Springer-Gruppe – die Verlagsgruppe Ullstein Heyne List an Bertelsmann verkauft habe. Hier Während reinen Wissenschafts- und Universitäts- griff aber das Kartellamt ein. Nach einer langen verlagen schwere Zeiten bevorstehen, dürften Zitterpartie für die Beteiligten entschied es Schulbuchverlage etwaige Umsatzverluste noch schließlich im vergangenen November, dass Ran- über neue Geschäftsfelder ausgleichen können. dom House – das mit im Taschenbuch- Durch die Erschließung des so genannten Nach- markt bereits über einen interessanten Marktanteil mittagsmarktes (Lernhilfen etc.) haben diese verfügt – den Heyne Taschenbuchverlag überneh- schon in den vergangen Jahren gezeigt, dass sie men darf; im Oktober 2003 hatte der schwedische sich nicht mehr auf ihr klassisches Geschäft verlas- Konzern Bonnier bereits Econ Ullstein List und sen. Angesichts verfehlter Schulpolitik und des einige weitere Verlage aus dieser Gruppe heraus- daraus resultierenden schlechten Abschneidens gekauft – unter der Voraussetzung, dass das Kar- deutscher Schülerinnen und Schüler z. B. im inter- tellamt die Übernahme von Heyne durch Random nationalen Leistungsvergleich PISA wollen immer House genehmigt. Weltweit erzielt die Buchhan- mehr Eltern ihren Kindern Hilfestellung leisten delssparte des Medienkonzerns Bertelsmann einen oder suchen selbst Hilfe. Erfolgreiche Neugrün- Umsatz von über 2,1 Milliarden Euro, davon zwei dungen im Zeitschriftenbereich wie National Geo- Drittel in Nordamerika.

12 „Ganz trübe Aussichten?“, in: Börsenblatt. Wochen- 13 Sybille Fuhrmann, Kurzerhand filetiert, in: Börsenblatt. magazin für den Deutschen Buchhandel, 170 (2003) 16, Wochenmagazin für den Deutschen Buchhandel, 170 (2003) S. 18 f. 41, S. 12–15.

35 Aus Politik und Zeitgeschichte B 12–13/2004 Keine Chance bei diesem Deal hatte der bisherige in wirtschaftlicher Bedrängnis – ließ im Oktober Geschäftsführer der Ullstein Heyne List-Gruppe, 2002 wissen, dass sie sowohl das Belletristik- und der in der Branche vor allem wegen seiner Politik Sachbuchprogramm als auch ihre Fachzeitschriften des Lizenzeinkaufs nicht unumstrittene Christian und den Fachverlag ihrer Tochter Deutsche Ver- Strasser; für das geplante Management Buy-Out lags-Anstalt (DVA) in München und Stuttgart zu hatte Strasser sich der Hilfe einer Schweizer Inves- verkaufen gedenke. Nachdem der Fachverlag im torengruppe versichert.14 Mit dem Übergang der April 2003 an den Konradin-Verlag übergegangen Anteile an Bonnier bzw. Random House ist er aus war, ist es um die Verkaufsabsichten der Buchtoch- der Gruppe ausgeschieden. Ähnlich erging es Jür- ter inzwischen still geworden. gen Richter, dem früheren Vorstandsvorsitzenden der Axel Springer AG, der jahrelang erfolgreich Neben ausländischen Gruppen wie Reed-Elsevier die Geschäfte von BertelsmannSpringer geführt und Wolters Kluwer, die durch Zukäufe Marktan- hatte. Gemeinsam mit den Finanzinvestoren teile in Deutschland erworben haben, sind nam- Blackstone und CVC Capital-Partners hatte er hafte ausländische Verlage wie Flammarion aus versucht, die Gruppe vom Bertelsmann-Konzern Frankreich und Dorling Kindersley aus England zu erwerben – vergeblich. mit Neugründungen in den deutschen Markt ein- getreten. Hatten sie bisher deutschen Verlagen Nach dem Verkauf von Ullstein Heyne List ver- Lizenzen für Titel erteilt, die dann unter deren blieb zunächst – fast unbemerkt von der Öffent- Label erschienen, agieren sie nun als eigenständige lichkeit – noch die aus mehreren renommierten Marktteilnehmer. Umgekehrt sind zahlreiche Wissenschafts- und Kunstverlagen bestehende deutsche Fachverlage als Firmengründer in den Weltkunst-Gruppe bei der Axel Springer AG. Staaten des früheren Ostblocks – vor allem mit Doch auch diese wurde im Herbst 2003 verkauft – Fachzeitschriften – aktiv geworden.15 und zwar an einen im Verlagsbereich bisher eben- Aufsehen erregte der Bad Homburger Unterneh- falls noch nicht aufgetretenen Investor: die Starn- mer Ludwig Fresenius. Im Jahr 2000 trat der berger Arques-Group. damals Sechzigjährige einen Teilrückzug aus dem Die schwedische Bonnier-Gruppe ist mit dem aktiven Berufsleben an und trennte sich von der Zukauf von Econ Ullstein List im deutschsprachi- Mehrheit seiner Firmenanteile. Im September gen Raum erheblich gewachsen; schon zuvor war 2002 beteiligte er sich mit drei weiteren Investoren sie mit dem Verlag Carlsen („Harry Potter“) in zu 70 Prozent an der angeschlagenen Fuldaer Ver- Hamburg, dem Piper Verlag und der ars edition in lagsagentur (FVA) und erwarb damit auf indirek- München und einigen kleineren Verlagen eine tem Weg eine Beteiligung von 31,4 Prozent an der wichtige Größe. In fast allen Berichten über die zur Gruppe gehörenden Eichborn AG. Inzwischen Gruppe bleibt unerwähnt, dass diese mit Hoppen- hat Fresenius seinen Anteil am Verlag um zehn stedt in Darmstadt schon vor Jahren einen der Prozent aufgestockt. Mit diesem Aktienanteil ver- wichtigsten Fach- und Informationsverlage der weigerte er bei der Hauptversammlung der Eich- Bundesrepublik erworben hat; dies zeigt die Einäu- born AG die Entlastung des Vorstands Mathias gigkeit der Berichterstattung, die sich meist auf den Kierzek für das Geschäftsjahr 2002; auch der Auf- Publikumsmarkt konzentriert (vgl. Schaubild 5). sichtsrat wurde nicht entlastet. Die Begründung: Notwendige Sanierungsmaßnahmen seien nicht Wenig Freude hatten und haben einige Konzerne rechtzeitig eingeleitet worden. In der Tat war 2002 mit ihren Buchverlagen. So trennte sich – wie ein Verlust von 4,7 Millionen Euro entstanden. erwähnt – die Axel Springer AG im Jahr 2003 end- Fresenius Kritik am Kurs des Eichborn Verlages gültig von allen Buchaktivitäten. Bei der „Süd- betrifft einen Fehler, den offensichtlich viele Ver- deutschen Zeitung“ tragen die angeschlossenen lage machen: „Eichborn hat sich nicht auf seine Verlage der SV-Hüthig Fachinformationen Kernkompetenzen konzentriert. Wenn ein Unter- (SVHFI) offensichtlich nach wie vor zu dem nehmen gleichzeitig in so viele Richtungen mar- erheblichen Jahresverlust bei. Die FAZ-Gruppe in schiert, würde das sogar einen Großkonzern über- Frankfurt – vor allem durch Anzeigenrückgänge fordern. Eichborn hat sich im ,Fünfzigkampf‘ bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) versucht.“16

14 Anmerkung der Redaktion: Übernimmt die Geschäfts- 15 Anmerkung der Redaktion: Zum Auslandsengagement führung die Anteile einer Gesellschaft mehrheitlich, so deutscher Medienkonzerne siehe auch den Beitrag von Insa spricht man von einem Management Buy-Out (MBO). In der Sjurts in dieser Ausgabe. Regel finden solche Transaktionen aber nicht nur aus dem 16 „Ich wollte ein Zeichen setzen“, in: Börsenblatt. Wo- Privatvermögen der Geschäftsführung statt, sondern unter chenmagazin für den Deutschen Buchhandel, 170 (2003) 36, Zuhilfenahme einer Bank oder anderer Finanzinvestoren. S. 23.

Aus Politik und Zeitgeschichte B 12–13/2004 36 Schaubild 5: Die 25 größten Buchverlage*

Bertelsmann Springer S+B Media, Berlin 542,0 Ð 3,4 % Klett Gruppe, Stuttgart 329,4 + 6,0 % Vogel Medien Gruppe, Würzburg 259,8 Ð 5,2 % Süddeutscher Verlag Hüthig, München 246,4 Ð 10,6% Weka Holding, Kissing 205,9 Ð 11,2 % Cornelsen Verlagsgruppe, Berlin 190,0 + 3,8 % Ullstein Heyne List, München 187,3 + 5,0 % Haufe Gruppe, Freiburg/Breisgau 153,9 + 20,3 % Wolters Kluwer , Kriftel 150,0 +/Ð0% Random House, München 143,0 Ð 41,2 % Weltbild, Augsburg 139,0 Ð 10,9 % Mair Gruppe, Ostfildern 128,0 + 0,6 % C. H. Beck, München 126,0 + 2,7 % Deutscher Fachverlag, Frankfurt/Main 118,9 Ð 12,1 % Rentrop Verlagsgruppe, Bonn 113,0 +/Ð0% Das Bildungshaus, Hannover 105,0 + 1,0 % Westermann, Braunschweig 102,2 + 1,0 % Thieme, Stuttgart 95,0 +/Ð0% Langenscheidt, München 83,0 Ð 2,8 % Wiley-VCH, Weinheim 77,2 + 28,7 % Egmont Holding, Berlin 74,6 Ð 5,3 % Verlagsgruppe Droemer Knaur, München 71,0 Ð 14,4 % BLV, München 68,1 Ð 2,7 % Landwirtschaftsverlag, Münster 60,9 +4,6 % ADAC-Verlag, München 59,6 Ð 5,1 %

* Nach Umsatz 2002, in Mio. Euro/Vera¨nderung zum Vorjahr. Quelle: buchreport.magazin 3/2003.

Die Machtkämpfe im Hause Suhrkamp nach dem stuft und verließ im November nach dreizehn Jah- Tod des Verlegers Siegfried Unseld lieferten ins- ren das renommierte Verlagshaus. Der noch von besondere dem Feuilleton reichlich Stoff. Die Siegfried Unseld berufene, hochkarätig besetzte Verlegerwitwe Ulla Unseld-Berkéwicz, bisher Ge- Stiftungsrat trat daraufhin geschlossen zurück. schäftsführerin der Siegfried und Ulla Unseld Suhrkamp wurde mit einem Schlag „zu einem nor- Familienstiftung (der Mehrheitsgesellschafterin malen Verlag“17. des Suhrkamp-Verlages), übernahm nach einer Umstrukturierung des Verlages im vergangenen Oktober selbst die Position der Sprecherin der Geschäftsführung; der von Siegfried Unseld einge- 17 Hendrik Markgraf, Was auf dem Spiele steht, in: Bör- setzte alleinige verlegerische Geschäftsführer senblatt. Wochenmagazin für den Deutschen Buchhandel, Günter Berg wurde zum Stellvertreter herabge- 170 (2003) 50, S. 3.

37 Aus Politik und Zeitgeschichte B 12–13/2004 Weg von den Konzernen? Acht Hypothesen zur Zukunft des Buchhandels 1. Es wird auch weiterhin Bücher geben.

Während die Zahl der Fusionen sowie Zukäufe 2. Kleinere Buchhandlungen sind im Bestand gefähr- gestiegen ist und damit einhergehend immer mehr det, wenn sie sich nicht neu am Markt positionieren. bisher einzeln geführte Verlage in Konzernen auf- 3. Der Verkauf von Büchern in branchenfremden Ver- gegangen sind, lässt sich in jüngster Zeit ein auffal- kaufsstellen und via Internet wird zunehmen. lender Gegentrend beobachten – nämlich die Absetzbewegung von Verlegern aus dem Konzern- 4. Verlage sind umso krisenanfälliger, je allgemeiner ihr verband. So hat Arnulf Conradi 1998 seinen 1994 Programm ist. gegründeten Berlin-Verlag an Bertelsmann ver- 5. Fachverlage werden auch in Zukunft erfolgreich kauft und sich im Jahr 2003 einvernehmlich vom sein, wenn sie moderne Technologie für ihr Angebot Konzern getrennt. Der Kochbuch-Verleger Fried- nutzen. rich-Karl Sandmann hatte seine 1984 gegründete Zabert Sandmann GmbH zunächst in den Heyne 6. Informationen werden in Zukunft verstärkt elektro- Verlag eingebracht und dort als selbständigen Ver- nisch angeboten. lag weitergeführt. Nach dem Tod von Verleger 7. Die Zahl der Fusionen wird steigen. Rolf Heyne wurde Zabert Sandmann zusammen mit dem Heyne Verlag an die Axel Springer AG 8. Gleichzeitig dürfte sich der Trend „weg von den veräußert. Nach zwei Jahren gelang es Sandmann, Konzernen“ verstärken. seine Anteile an dem Verlag vom Springer-Kon- zern zurückzukaufen. So entkam Sandmann dem Schicksal, dass diese zusammen mit der gesamten Weitbrecht die Rechte am Imprint „Edition Erd- Gruppe Ullstein Heyne List an Random House mann“ zurück, um zusammen mit der Lektorin bzw. Bonnier weiterverkauft wurden. „Was mich Gudrun Rothermel einen wiederum eigenständi- betrifft, hat sich der Rückkauf der Springer- gen Verlag aufzubauen. Auch der österreichische Anteile aus zwei Gründen als richtig erwiesen: Verlag Kremayr & Scheriau ging aus dem Besitz Erstens bin ich in meinem Handeln unabhängig, von Bertelsmann bzw. Random House an die Alt- was mir einen größeren Freiraum im Denken und eigentümer zurück. Offensichtlich haben die Kon- im Umsetzen von Ideen verschafft. Zweitens ent- zerne Probleme damit, ein verlegerisches Lebens- scheide ich über die Höhe der Wertberichtigungen werk in seiner Individualität zu erhalten. „Die und damit auch über die Ergebnishöhe und die Controller“, sagt Monika Thaler, „nehmen immer sich daraus ergebenden Investitionen.“18 Sand- mehr Einfluss auf die Titelproduktion, und das gilt mann weiß, dass diese Freiheit Geld erfordert und nicht nur für Random House.“19 Friedrich-Karl vor allem den Mut zum Risiko. Wie Sandmann Sandmann hat die Kritik an dieser Entwicklung haben auch Gerd Frederking und Monika Thaler auf die Formel gebracht, er als Verleger wolle gehandelt, als sie den Verlag Frederking und Tha- Spürsinn an die Stelle von Controlling setzen. Das ler Ende 2001 von Random House zurückkauften, Ehepaar Frederking-Thaler setzt darauf, dass den sie nur wenige Jahre zuvor in die Gruppe ein- seine Kinder den Verlag eines Tages weiterführen. gebracht hatten. Ein weiterer Fall: Als der Thiene- Geht die Entwicklung also zurück zum guten alten mann Verlag an die Bonnier-Gruppe ging, erwar- Familien- und Eigentümerverlag? ben die Verleger Günter Ehni und Hansjörg

18 „Kreativität und Schnelligkeit“, in: Börsenblatt. Wo- 19 Zitiert nach: Margrit Philipp, Duft der Freiheit, in: Bör- chenmagazin für den Deutschen Buchhandel, 170 (2003) 3, senblatt. Wochenmagazin für den Deutschen Buchhandel, S. 14 f. 170 (2003) 16, S. 10–13.

Aus Politik und Zeitgeschichte B 12–13/2004 38 Werner A. Meier Zahlreiche Veröffentlichungen auf den Gebieten Strategische Unternehmensführung und Betriebs- Dr. phil, geb. 1948; seit 1999 wissenschaftlicher Mit- wirtschaftslehre der Medien, u. a.: Kollektive Unter- arbeiter und Lehrbeauftragter am Institut für Publizis- nehmensstrategie, Wiesbaden 2000; Strategien in tikwissenschaft und Medienforschung (IPMZ) sowie der Medienbranche, Wiesbaden 20022; (zus. mit Geschäftsleiter des Kompetenzzentrums SwissGIS an Elmar Gerum und Nils Stieglitz) Der Mobilfunkmarkt der Universität Zürich. im Umbruch, Wiesbaden 2003; Lexikon der Medien- Anschrift: IPMZ der Universität Zürich, Andreasstr. 15, wirtschaft, Wiesbaden 2004 (i. E.). CH-8050 Zürich. E-Mail: [email protected] Wolfgang E. Heinold Zahlreiche Veröffentlichungen zu Mediensoziologie, geb. 1930; nach Führungspositionen in namhaften Medienpolitik sowie zur Politischen Ökonomie von Verlagen seit 1968 selbstständig als Unternehmens- Medien und Informationsgesellschaften. berater für Verlage.

Horst Röper Anschrift: Eulenhof Consulting. Büro Nord, Appener Weg 3b, 20251 Hamburg. Medienwissenschaftler, geb. 1952; Geschäftsführer E-Mail: [email protected] des Formatt-Instituts in Dortmund. Zahlreiche Veröffentlichungen in Branchenfachzeit- Anschrift: Formatt-Institut, Baroper Str. 310B, 44227 schriften, u. a.: Bücher und Büchermacher. Verlag in Dortmund. der Informationsgesellschaft, Heidelberg 20015; E-Mail: [email protected] Bücher und Buchhändler. Buchhandlungen in der Veröffentlichungen zu Medienthemen, insbesondere Informationsgesellschaft, Heidelberg 20014. zu Medienpolitik und -ökonomie. Autor von Aufsatz- reihen in der Fachzeitschrift Media Perspektiven: For- Ulrich Spiller mationen deutscher Medien-Multis, zuletzt für 2002, Dipl.-Kfm., geb. 1950; seit 1989 Unternehmensbera- in: Media Perspektiven, 15 (2002) 9, S. 406–43; Zei- ter für Verlage; seit 1995 Geschäftsführender Gesell- tungsmarkt, zuletzt für 2002: Wirtschaftliche Krise schafter der Heinold, Spiller & Partner Unterneh- und steigende Konzentration, in: Media Perspekti- mensberatung GmbH BDU, Hamburg. ven, 15 (2002) 10, S. 478–490. Anschrift: Heinold, Spiller & Partner Unternehmens- Marie Luise Kiefer beratung GmbH, Behringstraße 28a, 22765 Ham- burg. Dr. rer. pol.; Honorarprofessorin für Kommunikati- E-Mail: [email protected] onsökonomie und Medienforschung an der Universi- tät Wien; bis 1992 Leiterin der Fachzeitschrift Media Veröffentlichungen: diverse Fachaufsätze in Bran- Perspektiven, Frankfurt/M. chenmedien. Anschrift: Giselherstr. 16, 80804 München. Zahlreiche Veröffentlichungen zu Rezeptionsfor- Nächste Ausgabe schung, Medienökonomie, Medienpolitik, u. a.: Medienökonomik, Einführung in einen ökonomische Jürgen Kocka Essay Theorie der Medien, München – Wien 2001; (Hrsg. Die Rolle der Stiftungen in der Bürgergesellschaft zus. mit Klaus Berg) Massenkommunikation V. Eine der Zukunft Langzeitstudie zur Mediennutzung und Medienbe- wertung 1964–1995, Baden-Baden 1996. Helmut K. Anheier/Anja Appel Stiftungen in der Bürgergesellschaft: Grundlegende Insa Sjurts Fragen zu Möglichkeiten und Grenzen Dr. rer. pol., habil., geb. 1963; Professorin für Allge- Lothar Böhnisch/Wolfgang Schröer meine Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Me- Bürgergesellschaft und Sozialpolitik dienmanagement, an der Universität Flensburg (beurlaubt)/derzeit wissenschaftliche Leiterin des Stu- Holger Backhaus-Maul diengangs Medienmanagement der Hamburg Media Corporate Citizenship im deutschen Sozialstaat School. Hans-Peter Meister Anschrift: Hamburg Media School, Finkenau 35, Diskursive Politikgestaltung: Von der Beraterrepublik 22081 Hamburg. zum Dialog E-Mail: [email protected] n Werner A. Meier Essay neuer Typus von Kapitalgebern auf: internationale Gesellschaftliche Folgen der Finanzinvestoren, die lukrative Beteiligungen an Medienkonzentration sanierungsbedürftigen Unternehmen suchen, um Aus Politik und Zeitgeschichte, B 12–13/2004, S. 3–6 diese später mit Gewinn wieder zu veräußern. Bei- spiel für den Wandel in den Eigentümerstrukturen ist n Medienkonzentration ist historisch betrachtet kein die neu gegründete Holding von Haim Saban und neues Phänomen. Doch vor dem Hintergrund von seinen Finanzpartnern, die nach der Kirch-Insolvenz Konzentrationsprozessen auf nationaler Ebene und neuer Mehrheitsgesellschafter der ProSiebenSat.1 angesichts transnational agierender Medienunter- Media AG ist. nehmen hat die Eigentumskonzentration bei Presse und Rundfunk ein noch nie da gewesenes Ausmaß erreicht. Dies ist nicht nur volkswirtschaftlich uner- Insa Sjurts wünscht, sondern führt auch zu gesellschafts- und Think global, act local – Internationalisierungs- demokratiepolitischen Legitimationsdefiziten. Das strategien deutscher Medienkonzerne „Media Governance Konzept“ versucht dieser Ent- Aus Politik und Zeitgeschichte, B 12–13/2004, S. 22–29 wicklung zu begegnen. Es sieht eine umfassende n Rechenschaftspflicht der Medien gegenüber der Die Internationalisierung der Unternehmenstätig- Gesellschaft vor: Führende Medienkonzerne sollen keit hat in der deutschen Medienbranche in jüngster ihr unternehmerisches und publizistisches Handeln Zeit rasant zugenommen. Die größten deutschen regelmäßig transparent machen. Medienkonzerne sind mittlerweile alle im europä- ischen oder im außereuropäischen Ausland aktiv. Horst Röper Gründe für die Internationalisierung sind die Sätti- Zeitungsmarkt in der Krise – ein Fall für gung der klassischen Medienmärkte, die Möglichkeit die Medienregulierung zur Risikostreuung, die Mehrfachnutzung vorhande- Aus Politik und Zeitgeschichte, B 12–13/2004, S. 7–13 ner Ressourcen und schließlich kartellrechtliche Vor- gaben, welche die Expansion im Inland begrenzen. n Der Zeitungsmarkt steckt in einer Einnahmekrise. Die gewählte multinationale Strategie, „think global, Seit Anfang 2001 gehen die Werbeeinnahmen der act local“, erklärt sich aus den Spezifika von Medien- Verlage deutlich zurück. Die Konzerne setzen auf produkten. Diese sind ökonomische Güter und Kul- betriebswirtschaftliches Wachstum und fordern turgüter zugleich. Markteintritt und Marktbearbei- mehr Freiraum für Fusionen durch ein novelliertes tung haben dieser Kulturgebundenheit der Produkte Kartellrecht. Dabei sind die Grenzen für Großverlage Rechnung zu tragen. auch heute kaum gegeben. Die von einigen Verle- gern vorgebrachte Behauptung, die Kartellregeln Wolfgang E. Heinold/Ulrich Spiller führten zu einer Benachteiligung deutscher Verlage Der Buchhandel in der Informationsgesellschaft und damit zu mangelnder internationaler Wettbe- Aus Politik und Zeitgeschichte, B 12–13/2004, S. 30–39 werbsfähigkeit der hiesigen Industrie, hält einer Überprüfung nicht stand. n Die wirtschaftliche Lage des Buchhandels ist ange- spannt. Grund dafür sind nicht allein die stagnieren- Marie Luise Kiefer den Umsätze bei Büchern. Denn Großflächen-Buch- Der Fernsehmarkt in Deutschland – Turbulenzen handlungen wachsen, und auch der Umsatzanteil und Umbrüche der Warenhäuser bleibt seit Jahren konstant. Die Aus Politik und Zeitgeschichte, B 12–13/2004, S. 14–21 Krise der Branche ist vor allem auf das veränderte Kaufverhalten der Leserinnen und Leser zurückzu- n Nachdem die Fernsehwirtschaft in der Bundesre- führen. Die Konsumenten bestellen Bücher zuneh- publik Deutschland bis Mitte der achtziger Jahre eine mend über das Internet und greifen nur noch zu deutliche Wachstumsdynamik zeigte, haben die wenigen Titeln. So erzielte die Buchbranche im Jahr Insolvenz der Kirch-Gruppe und die Umsatzrück- 2003 einen Großteil ihres Umsatzes mit Promi-Bio- gänge der werbefinanzierten Sender seit 2001 die grafien, Sachbüchern, Kalendern und dem neuesten Grenzen des Marktes aufgezeigt. Mit den Umwäl- „Harry Potter“-Roman. zungen tauchte ein für den deutschen Medienmarkt n