Insecta Zeitschrift für Entomologie und Naturschutz

Heft 6/2000

Insecta Bundesfachausschuß Entomologie Zeitschrift für Entomologie und Naturschutz

Heft 6/2000 Impressum © 2000 NABU (Naturschutzbund Deutschland e.V.) Herausgeber: NABU Bundesfachausschuß Entomologie Schriftleiter: Dr. JÜRGEN DECKERT Museum für Naturkunde der Humbolt-Universität zu Berlin Institut für Systematische Zoologie Invalidenstraße 43 10115 Berlin E-Mail: [email protected] Redaktion: Dr. JÜRGEN DECKERT, Berlin Dr. REINHARD GAEDIKE, Eberswalde JOACHIM SCHULZE, Berlin Verlag: NABU Bundesverband Herbert-Rabius-Straße 26 D-53225 Bonn Telefon: 0228/40 36-0 Fax: 0228/40 36-200 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.NABU.de Bezug und Abonnentenverwaltung: NABU Versand Postfach 41 03 51 53025 Bonn Fax: 0228/55580-33 Erscheinungsweise und Preis: Erscheint in etwa jährlichen Abständen, Preis je Heft 15,- DM zuzüglich 3,-DM Versandkosten Satz und Bildbearbeitung: Satz- und Druckprojekte TEXTART Verlag, ERIK PIECK, Wolfsfeld 12, 42659 Solingen, Telefon 0212/43343 E-Mail: [email protected] Druck: Printwerkstatt RAMBOW, Auguststraße 12, 53229 Bonn, Telefon 0228/462214 E-Mail: [email protected] Umschlag und Innenteil: Gedruckt auf RecyMago (aus 100 % Altpapier)

ISSN 1431-9721 Insecta, Berlin, 6 (2000)

Inhalt

4. Tagung des Bundesfachausschusses Entomologie „Insekten der FFH-Richtlinie und ihr Schutz – Ein Beitrag zum Netzwerk NATURA 2000 und eine Herausforderung für die Ento- mologie“ (Hannover 2. bis 4. Oktober 1998)

Vorwort 5

SSYMANK, A.: Natura 2000 – ein Netzwerk europäischer Schutzgebiete unter dem Gesichtspunkt Schutz der Insekten 6

MAYR, C. E.: Die Bedeutung der FFH-Richtlinie für die Erhaltung der Biologischen Vielfalt aus Sicht der Naturschutzverbände – Anforderungen und Defizite Stand der Umsetzung der EG-Vogelschutzrichtlinie und der FFH-Richtlinie in Deutschland und Forderungen des NABU (Naturschutzbund Deutschland) 25

MÜLLER-MOTZFELD, G.: Auswahlkriterien für FFH-Arten aus der Sicht der Entomologie 34

KUDRNA, O.: Die „deutschen“ Schmetterlingsarten der FFH-Richtlinie der EU 45

SCHILLER, R., Zur Situation von Euphydryas maturna, Maculinea & GRAUL, M.: nausithous und M. teleius in der Region Leipzig – Ein Zwischenbericht 54

KLEINEKUHLE, J.: Die Großschmetterlingsfauna (Macrolepidoptera) einer intensiv genutzten Agrarlandschaft im Emsland (südwestliches Niedersachsen) 57

JELINEK, K.-H.: Callimorpha quadripunctaria – eine geeignete FFH-Art? 59

SPRICK. P.: Eignung einer Insektengruppe für die Fauna-Flora- Habitat-Richtlinie der EU (92/43/EWG, 21. Mai 1992) am Beispiel der Rüsselkäfer-Unterfamilie Bagoinae (Col., Cur- culionidae) (Beiträge zur Ökologie phytophager Käfer III) 61 HENDRICH, L., Verbreitung, Habitatbindung, Gefährdung und mögliche Schutzmaß- & BALKE, M.: nahmen der FFH-Arten Dytiscus latissimus Linnaeus, 1758 (Der Breitrand) und Graphoderus bilineatus (De Geer, 1774) in Deutschland (Coleoptera: Dytiscidae) 98

MÖLLER, G. : Totholz lebt – Bäume im Spannungsfeld zwischen Wegesicherung, Denk- malpflege und Naturschutz (Kurzfassung eines Lichtbildervortrages) 115

WIEMERS, M.: Insektenhandel – ein Beitrag zum Naturschutz? Die Farming & Trading Agency (IFTA) in Papua-Neuguinea. (Kurzfassung eines Lichtbildervortrages) 115

Liste der Tagungsteilnehmer 116 Buchbesprechung 118

ZIEGLER, J.: Die Grüne Florfliege – das erste „Insekt des Jahres“ 120

ZIEGLER, J: Das Kuratorium „Insekt des Jahres“Buchbesprechungen 122

Redaktionelle Hinweise

Manuskripte für Tagungsberichte, wissenschaftliche Beiträge, Tätigkeitsberichte, Kurzmeldungen usw. sind bitte an die Redaktion zu richten. Für die Abgabe der Manuskripte gelten folgende Hinweise: Zeilenabstand 1 1/2-zeilig, Rand von mindestens 3 cm, Numerierung der Seiten, Art und Gattungsnamen in kursiv, Autorennamen in KAPITÄL- CHEN, Hervorzuhebenes kann fett gedruckt werden. Beispiele für die Abfassung der Literaturzitate sind dem vorlie- genden Heft zu entnehmen. Der Beitrag sollte sowohl als Papierausdruck, als auch als Textdatei (Fließtext, ohne Silbentrennung, keine Forma- tierungen, ausgenommen fett, kursiv und KAPITÄLCHEN) auf Computerdiskette abgegeben werden. Abbildungen wie Strichzeichnungen, Karten etc. sind auf reinweißem Karton oder auf Transparentpapier auf gesondertem Bo- gen beizufügen und eindeutig zu beschriften. Die Autoren verantworten den Inhalt ihrer Beiträge selbst. Honorare werden nicht gezahlt. Von jeder Arbeit werden den Autoren 30 Seperatdrucke kostenlos zugestellt. Darüber hinausgehende Heftbestel- lungen sind gebührenpflichtig. Ein Nachdruck – auch auszugsweise – bedarf der Zustimmung des Herausgebers. Insecta, Berlin, 6 (2000), Seite 5

Vorwort

Der Schutz wildlebender Tiere und Pflan- le Naturschutzpolitik zum Inhalt, außerdem zen und die Erhaltung der natürlichen Le- sind mehrere Artikel mit faunistischen und bensräume ist ein wesentliches Ziel der Eu- ökologische Themen dabei, die einen inter- ropäischen Gemeinschaft. Die Fauna-Flora- essanten Überblick über den Kenntnisstand Habitatrichtlinie ist eine internationale Ver- der jeweiligen Gruppen geben und die für einbarung der Staaten der Europäischen den praktischen Naturschutz von Bedeutung Union, um diese Ziele umzusetzen. Es soll sind. letztendlich ein europaweites Netzwerk von Im letzten Heft sind leider die Bildlegen- Schutzgebieten geschaffen werden („NA- den der Fotos auf der Titel- und der Rücksei- TURA 2000“). Die FFH-Richtlinie ist ein te unterschlagen worden. Die Aufnahmen wertvolles Instrument für einen umfassen- stammen beide von Professor E. WACHMANN den Naturschutz, der auch Insekten ein- (Berlin). Auf der Vorderseite des Heftes schließt. 5/1997 ist ein Fanghaft (Manispa styriaca) Alle zwei Jahre fanden bisher die zentra- aus Frankreich und auf der hinteren Um- len NABU-Tagungen statt, das vorliegende schlagseite ist ein Schmetterlingshaft (Libel- Heft der „lnsecta“, enthält die wesentlichen loides macaronius) aus Kroatien zu sehen. Es Vorträge, die auf der 4. zentralen NABU- gab auch einige vermeidbare Druckfehler, Entomologentagung in Hannover vom 2.-4. die vielleicht dem einen oder anderen aufge- Oktober 1998 gehalten wurden. Das Thema fallen sind. Vor allem aus Kostengründen der Tagung lautete „lnsekten der FFH-Richt- wurde zweimal die Druckerei gewechselt. linien und ihr Schutz – ein Beitrag zum Netz- Das hat natürlich auch einige Probleme bei werk Natura 2000 und eine Herausforde- der Gestaltung des Heftes gebracht. Das rung für die Entomologie“. An der Tagung Heft, so wie es jetzt sich präsentiert, ist ein beteiligten sich neben Vertretern des Bun- Ausdruck des Kompromisses zwischen der desamtes für Naturschutz und der Bundes- Notwendigkeit, die Druckkosten möglichst geschäftstelle des NABU etwa 70 Entomolo- niedrig zu halten und einem noch akzepta- gen, dies war rein quantitativ weit weniger blen Layout, denn gegenwärtig überschrei- als an Teilnehmern erwartet wurde. Die Or- tet der Herstellungspreis des Heftes die Ein- ganisation der Tagung lag vor allem in der nahmen durch Verkauf immer noch um das Hand von Herrn Dr. SPRICK, der sich mit Doppelte. großem Engagement um die Organisation Schließlich sei noch darauf hingewiesen, und den reibungslosen Verlauf der Tagung daß seit dem letzten Heft die „Insecta“ eine gekümmert hat und dem unser Dank ge- ISSN-Nummer hat. bührt. Die verschiedenen Beiträge haben aktuel- JÜRGEN DECKERT Insecta, Berlin, 6 (2000), Seite 6-24

AXEL SSYMANK, Bonn

Natura 2000 – ein Netzwerk europäischer Schutzgebiete unter dem Gesichtspunkt Schutz der Insekten

Summary den mit einer Umsetzung in Bundesnatur- schutzgesetz im April 1998 (BUNDESREGIERUNG Natura 2000 is a network of protected 1998) und der Integration der neu beigetre- areas including sites of the Habitats Directive tenen Mitgliedstaaten durch Novellierung (92/43/EWG) and the Bird Directive der Anhänge der FFH-Richtlinie (Richtlinie (79/409/EWG) throughout the territory of 97/62/EG; Der Rat Der Europäischen Union the European Union which claims to protect 1997). Die Gebietsmeldung in Deutschland the biodiversity in Europe as a whole. The verläuft noch schleppend, um so mehr ist es main principle given in the Habitats Directive nach 6 Jahren an der Zeit, einmal Bilanz zu for pre-selecting sites is using annexes of en- ziehen und in diesem Zusammenhang auch dangered habitats (Annex I) and of endan- entomologische Aspekte im Rahmen der gered species (Annex II). These proposed si- FFH-Richtlinie zu beleuchten. Insofern ist die tes will be assessed in two steps first at na- Initiative des Fachverbands Entomologie des tional level, later at community level to build NABU sehr zu begrüßen. the European network of sites of community Im folgenden soll zunächst die FFH-Richt- importance. linie und das Schutzgebietssystem Natura The role of in selecting sites, but 2000 kurz vorgestellt werden in seinen we- also in species protection measures and as sentlichen Aspekten: Ausweisungsverfahren possible indicators for habitat quality and for und Schutzgegenstand, Herausstellung der assessing the conservation status of habitats Neuerungen und Besonderheiten im eu- within the framework of the Habitats Direc- ropäischen Naturschutz, Interpretation und tive is analysed and proposals for further in- Bedeutung der Lebensraumtypen, Bewer- vestigations are discussed. tungsverfahren der Gebiete und schließlich Berichtspflichten und Finanzierungsmöglich- keiten. Dann wird der Status von Arten in 1. Einleitung der FFH-Richtlinie diskutiert, Forschungsbe- Die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie ist als darf aufgezeigt und auf umsetzungsrelevan- Richtlinie des Rates der Europäischen Union te Fragen der Naturschutzpraxis eingegan- (92/43/EWG) „über die Erhaltung der gen. Schließlich soll ein vergleichender natürlichen Lebensräume sowie der wildle- Überblick über den Meldestand in Deutsch- benden Tiere und Pflanzen“ im Jahr 1992 in land und in der Europäischen Union gege- Kraft getreten (DER RAT DER EUROPäISCHEN ben werden. GEMEINSCHAFTEN 1992). Die Umsetzung in Deutschland erfolgt bzw. erfolgte sehr zö- 2. Natura 2000 und die FFH-Richtlinie gerlich und die in der Richtlinie festgesetzten Fristen für die Umsetzung in nationales Die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie („FFH“) Recht im Jahre 1994 sowie für die Meldung als Richtlinie des Rates vom 21. Mai 1992 der Gebiete im Jahre 1995 konnten nicht über die Erhaltung der natürlichen Lebens- eingehalten werden. Dennoch sind inzwi- räume sowie der wildlebenden Tiere und schen wesentliche Fortschritte erzielt wor- Pflanzen (92/43/EWG) ist ein umfassendes AXEL SSYMANK: Natura 2000 – ein Netzwerk europäischer Schutzgebiete 7

Instrument der Europäischen Union zum Le- Schutzbestimmungen auch die bereits be- bensraum- und Artenschutz. Das allgemeine stehenden oder neu auszuweisenden Vogel- Ziel ist „die Erhaltung der biologischen Viel- schutzgebiete nach der EG-Vogelschutz- falt zu fördern....“ (Präambel). Eine genaue- richtlinie (79/409/EWG; DER RAT DER EURO- re Zielstellung gibt Art. 2 (2) mit der Formu- PäISCHEN GEMEINSCHAFTEN 1979). Die Grund- lierung „... einen günstigen Erhaltungszu- lagen der Richtlinie sind z. B. in SSYMANK stand der natürlichen Lebensräume und (1994) dargestellt, darüber hinaus gibt es ein wildlebenden Tier- und Pflanzenarten von aktuelles Handbuch des Bundesamts für Na- gemeinschaftlichem Interesse zu bewahren turschutz mit ausführlichen Beschreibungen oder wiederherzustellen“. Dies beinhaltet al- der Lebensraumtypen der FFH-Richtlinie so nicht nur konservierende Elemente des (SSYMANK et al. 1998). Die Richtlinie beinhal- Naturschutzes, sondern auch bewußt Ent- tet mehrere Anhänge (vgl. Tab. 1). wicklungsmöglichkeiten. Der Begriff „natür- Die beiden Anhänge I und II sind also die liche Lebensräume“ ist im Sinne der Anhän- entscheidenden Schutzgegenstände des ge der Richtlinie so zu verstehen, daß auch künftigen europäischen Schutzgebietssy- Lebensraumtypen der Kulturlandschaften stems Natura 2000 und verdienen daher ei- eingeschlossen sind. Die Richtlinie beinhaltet ne kurze gesonderte Betrachtung: Für sowohl ausführliche Regelungen zum Le- Deutschland ist u. a. der relativ hohe Anteil bensraum- und Gebietsschutz, als auch ei- mit ca. 85 genannten Lebensraumtypen von nen gesonderten Teil zum Artenschutz (Art. großer Bedeutung, die teilweise so breit de- 12-16). Wesentliches Element der Umset- finiert sind, daß sie mehrere Biotoptypen zung ist zunächst der Aufbau eines abdecken. Hier sind erstmals umfassend „kohärenten europäischen ökologischen auch Biotoptypen eingeschlossen, die bisher Netzes besonderer Schutzgebiete mit der in deutschen Naturschutzregelungen wie z. Bezeichnung ‚NATURA 2000‘“. Dieses Netz B. bei den „besonders geschützten Bioto- NATURA 2000 beinhaltet mit einheitlichen pen“ nach § 20c Bundesnaturschutzgesetz

Tabelle 1. Anhänge der FFH-Richtlinie

Gebietsschutz (Natura 2000-Gebiete):

Anhang I Natürliche Lebensräume; geändert durch Richtlinie 97/62/EG

Anhang II Tier- und Pflanzenarten, die in Schutzgebieten geschützt werden sollen; geändert durch Richtlinie 97/62/EG

Anhang III Kriterien zur Auswahl der Gebiete für Natura 2000

Spezielle Artenschutzregelungen:

Anhang IV Streng zu schützende Tier- und Pflanzenarten

Anhang V Tier- und Pflanzenarten unter kontrollierter Nutzung

Anhang VI Verbotene Fang- und Transportmethoden 8 Insecta, Berlin, 6 (2000)

(BNatSchG) keine Rolle spielten. So sind die die Fischarten und Säuger relativ gut reprä- Laubwälder der potentiell natürlichen Vege- sentiert, während gerade die Insektenarten tation in Deutschland fast ausnahmslos stark unterrepräsentiert sind. Die sich hier durch die FFH-Richtlinie abgedeckt, zu min- unmittelbar stellende Frage nach den Kriteri- destens gilt dies für die Buchenwälder. Allein en für die Aufnahme von Arten soll später bei den Bruchwäldern und im Feuchtgrün- ausführlich diskutiert werden. Bei den Arten land bestehen fachlich unerklärliche und Lebensraumtypen sind ferner europa- „Lücken“ in der FFH-Richtlinie. Beim Arten- weit besonders stark gefährdete als „prio- schutz und insbesondere beim Anhang II ist ritär“ in den Anhängen mit Sternchen ge- großer Wert auf Endemiten gelegt worden, kennzeichnet. Dies hat u. a. besonders und der Schwerpunkt der Nennungen liegt strenge Schutzvorschriften im Falle von Ein- in der mediterranen und der makaronesi- griffen zur Folge. So sind z. B. bei den Tierar- chen Region (Kanaren, Azoren, Madeira). ten für Deutschland insgesamt 8 Arten ge- Für Deutschland ist eine Übersicht über die nannt, darunter 4 Insektenarten: der Eremit Arten des Anhangs II in Abb. 1 dargestellt. (Osmoderma eremita), Carabus menetriesi Vergleicht man die Anzahl der Arten auf pacholei, der Alpenbock (Rosalia alpina) den Anhängen der FFH-Richtlinie mit den und die Spanische Flagge (Callimorpha qua- tatsächlichen Artenzahlen oder aber mit den dripuntaria). nach den bundesdeutschen Roten Listen ge- Da auch bei der FFH-Richtlinie bereits ei- fährdeten Arten, so wird der kleine Anteil ne Novellierung stattgefunden hat, sollen der Arten in der FFH-Richtlinie deutlich. kurz die wesentlichen Dokumente zur Um- Aber auch ein Mißverhältnis zwischen den setzung von Natura 2000 aufgelistet werden verschiedenen Tiergruppen fällt auf: so sind (Tab. 2).

Abb. 1. Anzahl der Habitate (Lebensraumtypen) des Anhangs I und der Arten des Anhangs II der FFH-Richtlinie für Deutschland. Zusätzlich sind die Vogelarten des Anhangs I der Vogelschutzrichtlinie aufgenommen. Die Zahlen rechts geben die Größenordnung der in Deutschland vorkommenden Biotoptypen und Arten an. AXEL SSYMANK: Natura 2000 – ein Netzwerk europäischer Schutzgebiete 9

3. Ausweisungsverfahren und zwischen Bund und Ländern, daß Gebiets- Schutzgegenstand vorschläge allein von den Bundesländern vorgenommen werden (einschließlich der Gebiete für Natura 2000 werden Gebietsabgrenzungen). Danach ist ein dop- zunächst vom Mitgliedsstaat ausgewählt peltes Bewertungsverfahren nach den Krite- und vorgeschlagen. Für Deutschland bedeu- rien des Anhangs III der FFH-Richtlinie tet dies aufgrund der Kompetenzverteilung durchzuführen, bevor die Gebiete als „Ge-

Tabelle 2. Wesentliche Dokumente zur Umsetzung von Natura 2000

EU-Richtlinien

FFH FFH-Richtlinie 92/43/EWG

97/62/EG (Novellierung der Anhänge I und II)

97/266/EG (Datenerfassungsblatt mit Erläuterungen und Kodierungen)

VschRL Vogelschutz-Richtlinie 79/409/EWG

97/49/EG (Anhang I) 94/24/EG (Anhang II) 91/244/EWG (Anhang III)

Habitatausschuß

- Grenzen der Biogeographischen Regionen

- Interpretation Manual of European Union Habitats (EUR15)

- Natura 2000-software

- diverse verfahrensbezogene Dokumente

Nationale Umsetzung in Deutschland

§ 19 ff. BNatSchG (Bundesnaturschutzgesetz)

deutsche Eingabesoftware des BfN

BfN-Handbuch der Lebensraumtypen (Ssymank et al. 1998)

Naturräumliche Einheiten & Verfahren zur nationalen Bewertung: BfN 10 Insecta, Berlin, 6 (2000) biete gemeinschaftlicher Bedeutung“ (GGB) Die Gebietsmeldung mit der nationalen Be- anerkannt werden (vgl. Abb. 2 oder aus- wertung hätte für Deutschland bis Mitte führlicher bei SSYMANK et al. 1998). Der erste 1995 abgeschlossen sein sollen, ist aber de Bewertungsschritt ist eine nationale Bewer- facto 1998 noch in vollem Gange. Um mög- tung, die im Bundesamt für Naturschutz mit lichst schnell Gebiete melden zu können, Bezug auf die Gesamtfläche des Mitglieds- hatte man sich in Deutschland zunächst auf staates (Deutschland) durchgeführt wird. eine stufenweises Vorgehen geeinigt, wo- Danach wird von der Kommission eine zwei- nach im Prinzip zunächst alle unstrittigen, im te gemeinschaftliche Bewertung mit Bezug wesentlichen bereits geschützten Gebiete zu 6 sogenannten „biogeographischen Re- geprüft und gemeldet werden sollten (vgl. gionen“ durchgeführt. Die biogeographi- SSYMANK 1994). Dies hat dazu geführt, daß schen Regionen sind makaronesisch, boreal, von vielen Bundesländern eine erste „Tran- mediterran, alpin, kontinental (mitteleu- che“ der Gebietsvorschläge bzw. Meldun- ropäisch) und atlantisch, wobei Deutschland gen im wesentlichen Nationalparke, Kernzo- Anteil an den letzten drei genannten hat. nen der Biosphärenreservaten und Natur-

Abb. 2. Vereinfachtes Meldeschema für das europäische Schutzgebietssystem Natura 2000. Abkürzungen: BMU Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, BfN Bundesamt für Naturschutz in Bonn, EU Europäische Union (Generaldirektion XI), ETC/NC Europäisches Themenzentrum für Naturschutz in Paris ( Europe- an Topic Center for Nature Conservation). AXEL SSYMANK: Natura 2000 – ein Netzwerk europäischer Schutzgebiete 11 schutzgebiete über 75 ha und gesamtstaat- – Eine nationale Bewertung ist bindend vor- lich repräsentative Gebiete (Fördervorhaben geschrieben nach Art. 4 mit in Anhang III des Bundes) gemeldet wird. Naturschutz- definierten Kriterien. fachlich kann damit keine vollständige Mel- – Es gibt eine auf die jeweiligen Schutzob- dung für das Schutzgebietssystem Natura jekte (Anhänge I und II) bezogene Ver- 2000 erzielt werden, da das bisherige träglichkeitsprüfung, die auch für „Pläne“ Schutzgebietssystem in Deutschland nicht gilt und auf die potentielle Wirkung am auf die Schutzziele der FFH-Richtlinie ausge- Schutzobjekt ausgerichtet ist (Art. 6). Dies richtet ist. Somit wird eine zweite ergänzen- schließt auch Fernwirkungen (Eingriffe de Tranche der FFH-Gebietsmeldungen von außerhalb des Schutzgebietes) und durch die Bundesländer erforderlich, die die kumulative Wirkungen ein. Lücken der ersten Meldung schließt, u. a. – Berichtspflichten mit Zustandskontrolle aufgrund der Tatsache, daß die Gebietsvor- (Maßnahmen- und Wirkungskontrolle) schläge der Mitgliedsstaaten allein aufgrund sind fester gesetzlich vorgeschriebener ihrer naturschutzfachlichen Eignung gemel- Bestandteil in der Richtlinie. det werden müssen. In dieser ergänzenden Meldung ist vor allem eine systematische 5. Interpretation Manual, BfN-Handbuch Abprüfung der Vorkommen von Lebens- und EUNIS raumtypen des Anhangs I und der Arten des Anhangs II auf bisher nicht berücksichtigen Ein wesentlicher Teil des Schutzgebietssy- Flächen, d. h. kleineren Naturschutzgebie- stems Natura 2000 stützt sich auf eine re- ten, in Landschaftsschutzgebieten und in al- präsentative Auswahl der in Anhang I ge- len bisher nicht geschützten Flächen not- nannten „natürlichen Lebensraumtypen“. wendig. Hierbei sind auch Fragen der Reprä- Der Begriff umfaßt in der FFH-Richtlinie ei- sentanz der Meldung z. B. „sind alle Lebens- nerseits eine ganze Reihe von typischen raumtypen und Arten in allen Naturräumen, Kulturbiotoptypen (z. B. frische Mähwiesen, in denen sie vorkommen, mit der Gebiets- Bergmähwiesen), andererseits auch natür- meldung abgedeckt?“ zu beantworten. lich und naturnahe Biotoptypen im engeren Sinne. Darüber hinaus ist die „Spanne“ des Begriffsinhalts recht unterschiedlich: so sind 4. Herausforderungen, Verträglichkeits- einerseits durch pflanzensoziologische Be- prüfung züge sehr eng abgegrenzte Einheiten wie Die wesentlichen Änderungen und Neue- etwa Schlickgrasbestände (Spartinion) oder rungen im Naturschutz für Deutschland Schneidenröhrichte (Cladium mariscus) auf durch die FFH-Richtlinie liegen in folgenden der Liste, andererseits sind ganze Land- Punkten: schaftseinheiten wie z. B. die „Ästuarien“ – umfassender Lebensraumschutz (Biotop- genannt. Die Verhandlung der FFH-Richtli- schutz) auch in bisher nur wenig im Na- nie mit 12 Mitgliedsstaaten hat mehrere turschutz berücksichtigten Biotoptypen, Jahre in Anspruch genommen und der ur- – Der Artenschutz ist als Lebensraumschutz sprüngliche Bezug zum Technischen Hand- für die Arten in den Gebietsschutz inte- buch des EG-weiten Pilotprojektes „Corine“ griert (Anhang II), wenngleich zusätzlich des Jahres 1989 ist verlorengegangen: ei- „klassischer“ Artenschutz durch Verbote nerseits wurde die Corine-Biotoptypenliste der direkten Störung oder Vernichtung selbst im Jahr 1991 gründlich überarbeitet und Vermarktung bestehen. (COMMISSION OF THE EUROPEAN COMMUNITIES – Die Gebietsauswahl folgt rein natur- 1991), andererseits erforderte die Verhand- schutzfachlichen Kriterien und das Bewer- lung selbst gewisse Änderungen und Ein- tungsverfahren berücksichtigt die regio- schränkungen der Inhalte der aufgelisteten nale Variabilität durch den Raumbezug Lebensraumtypen. So war es nach Abschluß auf biogeographische Regionen. der Verhandlungen und mit Unterzeich- 12 Insecta, Berlin, 6 (2000) nung der FFH-Richtlinie 1992 unstrittig, daß – Komplexe, bzw. Einbettung in der Land- eine allgemeingültige Interpretationsgrund- schaft lage für die Lebensraumtypen des Anhangs – Biotoptypen nach der bundesdeutschen I geschaffen werden mußte. Dies ist dann Roten Liste (RIECKEN et al. 1994) durch den Habitat-Ausschuß mit Unterstüt- – Vegetationseinheiten (Syntaxa) zung der wissenschaftlichen Arbeitsgruppe – Angaben zu Nutzung, Pflege durch das „Interpretation Manual of Euro- – Sukzession pean Union Habitats“ (European Commissi- – Hauptgefährdungsfaktoren und ggf. on, DG XI 1996) geschehen und auch nach – Bemerkungen. Aufnahme der Mitgliedsstaaten Finnland, Darüber hinaus ist zu jedem Lebensraum- Schweden und Österreich im Januar 1995 typ eine Übersichtskarte der Verbreitung in entsprechend angepaßt worden. Das offizi- Deutschland mit einer groben Einschätzung elle Definitionshandbuch gibt allgemein ge- von Haupt und Nebenvorkommen auf der faßte Definitionen für die Europäische Uni- Basis von naturräumlichen Haupteinheiten on mit groben Angaben zur Geographi- zusammengestellt worden (vgl. Abb. 3). Die schen Verbreitung zum Standort und zu Karten in SSYMANK et al. (1998) enthalten charakteristischen Pflanzen-, teilweise auch auch Angaben zum Vorkommen in den an- Tierarten. Diese Definitionen lassen bewußt deren Mitgliedsstaaten (Fußzeile der Karte, einen mehr oder minder großen Interpreta- grau unterlegte Mitgliedsstaaten). tionsspielraum bei den Mitgliedsstaaten, da Für die künftige Arbeit auf europäischer hier eine Vielzahl regionaler Ausbildungen Ebene ist unter EUNIS (European Nature In- vorkommen. Für die nationale Bewertung formation System) ein paläarktischer Le- und auch für die Gebietsauswahl ist daher bensraumtypenkatalog durch das ETC/NC eine Anpassung bzw. Ergänzung der Defini- (Europäischen Themenzentrum für Natur- tionen und der Charakterisierung der Le- schutz in Paris im Auftrag der EUA, der Eu- bensraumtypen an die Verhältnisse im Mit- ropäischen Umweltagentur in Kopenhagen) gliedsstaat erforderlich. In Deutschland ist in Vorbereitung. Dieser soll systematisch ein daher vom Bundesamt für Naturschutz ein hierarchisches Konzept einer überschauba- Handbuch herausgegeben worden (SSYM- ren Anzahl von Habitattypen definieren, ANK et al. 1998), welches für jeden Lebens- welches künftig für die Umsetzung der Na- raumtyp folgende Angaben zusammen- turschutzpolitik in der Europäischen Union stellt: genutzt werden wird. – Name, Code nach Richtlinie bzw. Stan- dard-Datenbogen 6. Bewertungsverfahren am Beispiel – Definition der Alpinen Region – Standortfaktoren – Subtypen Die nationale Bewertung gemäß Art. 4 – kennzeichnende Pflanzen- und Tierarten der Richtlinie muß für die ganze Gebietsvor- (Hier sind einerseits dominante Arten, an- schlagsliste des Mitgliedsstaats einheitlich dererseits typische Arten mit hoher Stetig- durchgeführt werden. Bezugsraum ist keit, sowie Charakterarten i. e. S. beispiel- Deutschland bzw. innerhalb von Deutsch- haft genannt, ohne daß eine Vollständig- land die naturräumlichen Haupteinheiten keit aller indikatorisch wichtigen Arten (vgl. SSYMANK 1994). Daher ist als Grundlage oder aller zu berücksichtigenden Taxa für die Bewertung zumindest eine Abschät- möglich wäre. Dies ist schon allein auf- zung des Gesamtbestandes (Flächengroße grund der regionalen Unterschiede in bei Lebensraumtypen, Populationsgröße bei Deutschland und der Artenvielfalt der In- Arten) in Deutschland erforderlich. Dies ist vertebraten nicht möglich.) eine schwierige Aufgabe, da es im Natur- – Kartierungs- und Abgrenzungshinweise schutz keine zentrale einheitliche Datener- – Angaben zur Variabilität fassung in Deutschland gibt. Somit müssen AXEL SSYMANK: Natura 2000 – ein Netzwerk europäischer Schutzgebiete 13

Abb. 3. Beispiel für eine Lebensraumtypenkarte: Kalkreiche Niedermoore (7230) aus SSYMANK et al. (1998) 14 Insecta, Berlin, 6 (2000)

Biotopkataster und Artenkataster der Länder Landkreis Miesbach keine Naturschutzgebie- ausgewertet und aufeinander abgestimmt te, wohl aber hochwertige Gebiete im Mit- werden und die dann noch verbleibenden telstock der Alpen, die eine FFH-Meldung Lücken mit anderen Quellen erschlossen erlauben würden. Darüber hinaus sind die al- werden. pinen Schutzgebiete traditionell fast nur auf Die eigentliche Bewertung wird anhand die Hochlagen beschränkt, während die da- der Kriterien des Anhangs III durchgeführt vor liegenden Bergketten mit anderem geo- und zwar als Einzelbewertung für jedes Vor- logischem Aufbau v. a. im Flysch kaum kommen einer Art bzw. eines Lebensraum- Schutzgebiete aufweisen. Auch eine rein for- typs laut Anhängen I und II in einem vorge- male Abprüfung, ob alle Lebensraumtypen schlagenen FFH-Gebiet. und Arten mit Vorkommen in der deutschen Die Bewertung besteht aus 3 Einzelbe- alpinen Region gemäß FFH-Richtlinie (Refe- wertungen und einer Gesamtwertung (vgl. renzliste) auch tatsächlich in der bisherigen Tab. 3), so daß eine aufwendige Bewer- Meldung repräsentiert sind, läßt noch einen tungsmatrix entsteht. Diese muß im Stan- gewissen Nachmeldebedarf zur Erfüllung des dard-Datenbogen (vgl. KOMMISSION 1997) Anspruchs von Natura 2000 erkennen (Fall- eingetragen und an die EU weitergeleitet beispiele und detaillierte Erläuterungen zum werden. Verfahren vgl. PETERSEN et al. 1998). Für die alpine biogeographische Region ist die nationale Bewertung als kleinste Modell- 7. Berichtspflichten region in Deutschland bereits vorläufig abge- schlossen (PETERSEN et al. 1998). Dabei ist al- In der FFH-Richtlinie sind 2 verschiedene lein aufgrund der Tatsache, daß bisher nur Berichtspflichten verankert: bestehende Schutzgebiete (Nationalpark – Berichte alle 2 Jahre als Protokolle über Berchtesgaden und Naturschutzgebiete) und die erteilten Ausnahmegenehmigungen davon auch nur ein Teil gemeldet wurden, zu den Regelungen des Artenschutzes der ein entsprechendes räumliches Defizit in der streng geschützten Arten des Anhangs IV Meldung entstanden. So gibt es z. B. im (Art. 16).

Tabelle 3. Bewertungskriterien für die nationale Bewertung der FFH-Richtlinie

Kriterium (Anhang III, Phase 1) Lebensräume Arten Anhang I Anhang II

Relative Fläche/Größe +

Relative Populationsgröße +

Erhaltungszustand/Wiederherstellbarkeit des ++ Lebensraums

Repräsentativität +

Biogeographische Bedeutung +

Gesamtbewertung des Schutzguts + + AXEL SSYMANK: Natura 2000 – ein Netzwerk europäischer Schutzgebiete 15

– Durchführungsberichte alle 6 Jahre (Art. Abschätzung oder Plausibilitätsprüfung an- 17), die über die Durchführung aller Maß- hand von Schwellenwerten in einem Grund- nahmen wachen und die Auswirkungen programm beruht, überhaupt durchführbar auf den Erhaltungszustand der Arten und ist (vgl. Abb. 4). Lebensraumtypen Auskunft geben (Maß- Diese Betrachtungen gehen immer davon nahmen- und Wirkungskontrolle). Dazu aus, daß die Erhaltungsziele und ggf. Ent- gehören z. B. Veränderungen von Fläche wicklungsziele im FFH-Gebiet klar definiert oder Bestandszahl, sowie qualitative Ver- sind und möglichst in einem Pflege- und änderungen des Erhaltungszustandes. Ei- Entwicklungsplan dokumentiert sind. Außer- ne wesentliche Komponente ist die dem ist eine Status quo Erfassung als Be- Durchführung einer allgemeinen Überwa- zugsbasis für die weiteren Berichtspflichten chung des Erhaltungszustandes aller Arten erforderlich. Diese Fragen sind ausführlich bzw. Lebensraumtypen von gemein- auf einem Expertengespräch im Rahmen des schaftlichem Interesse (Anhänge I,II, IV LIFE-Projektes des BfN diskutiert worden und V), die gemäß Art. 11 durchzuführen und wesentliche Schlußfolgerungen zusam- ist. Auch die Ergebnisse dieses Monito- mengefaßt worden (vgl. Natur und Land- rings sind in den 6-jährigen Durch- schaft Heft 11, 1997). Darüber hinaus wird führungsberichten darzustellen. Die Be- als Ergebnis des LIFE-Projekts ein Handbuch richte müssen national und auf EU-Ebene zur Durchfhhrung der Berichte auf der Ebe- zusammengefaßt werden und sind öffent- ne der Natura 2000-Gebiete vorliegen lich. (RücKRIEM & ROSCHER in 1999). Die EU-Kommission hat das Vorschlags- recht für ein entsprechendes Formular für 8. LIFE & Finanzierung die Durchführung der Berichtspflichten; bis- her existieren aber allenfalls Vorüberlegun- Grundsätzlich obliegt die Umsetzung der gen hierzu. Seitens des Bundesamts für Na- FFH-Richtlinie einschließlich finanzieller Ver- turschutz ist daher mit LIFE-Mitteln ein Pro- pflichtungen zunächst den Mitgliedsstaaten. jekt beantragt worden, welches die Anfor- Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, derungen an die Umsetzung der Berichts- über LIFE (EU-Mittel für den Natur- und pflichten näher beleuchten, wissenschaftlich Umweltschutz) besondere Maßnahmen zur hinterfragen und schließlich praxistaugliche Umsetzung von Natura 2000 zu finanzieren. Konzepte entwickeln soll („Beurteilung des Der LIFE-Haushalt wird in regelmäßigen Erhaltungszustandes natürlicher Lebensräu- Zeitabständen neu beraten, derzeit ist die LI- me gemäß der FFH-Richtlinie“) . Dabei sind FE-Verordnung vom 15. Juli 1996 in Kraft, Fragen der Methodennormierung, der Do- nach der bis 1999 ein Gesamtvolumen von kumentation und der Quantifizierung geeig- ca. 450 Mio. ECU zur Verfügung steht, wo- neter Untersuchungsparameter ebenso zu von 46 % für Naturschutzmaßnahmen zur klären, wie eine Anpassung an regionale Umsetzung der FFH- und der Vogelschutz- Verhältnisse und an eine praktische Durch- richtlinie verwendbar sind. Gefördert wird führbarkeit (Aufwandsminimierung). i.d.R. zu 50%, maximal zu 75%, wenn eine Das LIFE-Projekt wird bis Ende 1998 ab- der drei folgenden Voraussetzungen erfüllt geschlossen, die konkrete Ausgestaltung der ist: Berichtspflichten wird aber vermutlich noch 1. Maßnahmen zum Schutz prioritärer Le- geraume Zeit beanspruchen und sich erst bensräume (Anhang I, FFH-Richtlinie) mit der Durchführung der ersten Berichts- 2. Maßnahmen zum Schutz prioritärer Ar- pflicht etablieren. Erste Ergebnisse des o. g. ten (Anhang II, FFH-Richtlinie) oder LIFE-Projektes zeigen jedoch, daß für die 3. Maßnahmen zum Schutz der vom Aus- Vielzahl der später in Deutschland als FFH- sterben bedrohten Arten des Anhangs I der Gebiet gemeldeten Flächen nur ein Verfah- Vogelschutzrichtlinie sind Gegenstand der ren in Betracht kommt, welches auf einer Förderung. Antragsformulare und Erläute- 16 Insecta, Berlin, 6 (2000)

Abb. 4. Schematische Darstellung des Berichtsverfahrens für die FFH-Richtlinie AXEL SSYMANK: Natura 2000 – ein Netzwerk europäischer Schutzgebiete 17 rungen enthält die offizielle LIFE-Broschüre arten). Bei anderen Tiergruppen sind zumin- der Generaldirektion XI der EU-Kommission. dest in einigen Ländern Rasterkartierungen Anträge müssen in Deutschland über die vorhanden, bei den Amphibien und Repti- Obersten Landesnaturschutzstellen und das lien auch bundesweit (vgl. GÜNTHER 1996). BMU an die EU weitergeleitet werden. Bei den Wirbellosen sieht die Situation un- Schon aus der Summe wird ersichtlich, daß gleich schlechter aus. Systematische Ausar- mit LIFE alleine keine Finanzierung aller Maß- beitungen über Verbreitung und Ökologie nahmen der FFH-Richtlinie möglich ist. Viel- der Arten in Deutschland existieren kaum mehr ist eine Anknüpfung an die landwirt- oder erst ansatzweise wie z. B. KLAUSNITZER schaftlichen Finanzierungsquellen über eine (1982), über den Hirschkäfer, oder regionale Ökologisierung der Landwirtschaft (Honorie- neuere Bearbeitungen z. B. über Callimor- rung von Pflegeleistungen und Ausgleichs- pha quadripunctaria (SCHÖNBORN & FRIEDRICH zahlungen) notwendig, die wohl nur über die 1995). Agenda 2000-Verhandlungen im Rahmen Für die Arten des Anhangs II der FFH- der EU-Osterweiterung denkbar ist. Da ei- Richtlinie und der Berner Konvention sind nerseits die Landwirtschaft die Förderung von HELSDINGEN et al. (1997 a, b, c) Hinter- „benachteiligter“ Gebiete stark einschränken grundinformationen mit Synonymen, Artbe- will, andererseits ökologisch bedeutsame schreibungen, Angaben zur Biologie, zur Flächen von gemeinschaftlicher Bedeutung Gefährdung, und zur Verbreitung mit eu- über NATURA 2000 begründet werden, ist ropäischen Übersichtskarten zusammenge- hier eine enge Anknüpfung sinnvoll. Dies stellt worden. Dies kann aber erst als ein An- setzt allerdings voraus, daß die Mitglieds- fang gewertet werden, der u.a. die Angaben staaten nicht nur 2-4% Ihrer Fläche, sondern der größeren Standardwerke zu den Tier- entsprechend eines repräsentativen europa- gruppen zusammenstellt. weitem Netz deutlich mehr Fläche melden Fragt man sich nach der grundsätzlichen (vgl. Kap. Stand der Meldungen). Bedeutung von Arten im Rahmen von Natu- So ist dieser Themenbereich auf einer ra 2000, so sollte man sich zunächst den ge- Konferenz in Bath im Juni 1998 auch ausgie- setzlichen Kontext vor Augen führen: big diskutiert worden und die Agenda 2000 – Gebietsschutz für die Lebensräume der als „ein Kernpunkt für die Integration der Arten (Anhang II) Umweltthemen in die gemeinsame Agrarpo- Gebietsausweisung und nationale/ge- litik“ bezeichnet worden. Dabei ist klar er- meinschaftliche Bewertung kannt worden, daß die LIFE-Finanzierung Unterliegen der Verträglichkeitsprüfung nur als „Katalysator“ für andere Finanzie- Art. 6 rungen dienen kann und die Finanzierungs- – Artenschutzregelungen instrumente aufeinander abgestimmt wer- Anhang IV den müssen (Strukturfonds, Kohäsionsfonds, – Eingeschränkt nutzbare Arten (mit Mana- Programm zur umweltgerechten Landwirt- gementplan) schaft u.a.) (ABTEILUNG NATURSCHUTZ DER GE- Anhang V NERALDIREKTION FÜR UMWELTSCHUTZ DER EU- Darüber hinaus sind eine Reihe von Arten ROPäISCHEN KOMMISSION 1998). mittelbar erfaßt, bzw. spielen eine wichtige Rolle für die Umsetzung der FFH-Richtlinie: 1. Arten, deren Hauptvorkommen, bzw. 9. Arten, insbesondere Insekten in der Monotop in Lebensraumtypen des Anhangs FFH-Richtlinie I vorkommen: Die Datengrundlage für Arten der FFH- – charakteristische oder typische Arten Richtlinie ist sehr heterogen. Nur in seltenen – dominante Arten Fällen sind tatsächlich Populationsangaben Ein Teil dieser Arten ist im Interpretation oder gar Gesamtangaben zur Population in Manual bzw. im BfN-Handbuch (SSYMANK et Deutschland möglich (Vögel, einige Säuger- al. 1998) exemplarisch genannt. 18 Insecta, Berlin, 6 (2000)

2. Ferner kommt den Arten eine Bedeu- – eine Bearbeitung ganz neuer Artengrup- tung für die Erfolgskontrolle im Rahmen der pen ist möglich, Berichtspflichten (Art. 16) zu: – Ergänzungen nach Stand der Wissen- – Qualitätsindikatoren für den Erhaltungs- schaft und Technik wie z. B. Anpassungen zustand, an die wissenschaftliche Nomenklatur – zur Kontrolle von Entwicklungszielen als sind grundsätzlich möglich. Zielarten oder Leitarten. Für die bereits erfolgte „kleine“ Novellie- Zunächst sollen die Kriterien für die Aufnah- rung des Anhangs II in Anpassung der FFH- me von Arten in die Anhänge II, IV und V Richtlinie an die Neuaufnahme der Mit- der FFH-Richtlinie kurz dargestellt werden: gliedsstaaten Österreich, Finnland und Laut Richtlinientext (Art. 1 g) umfaßt die Be- Schweden ist ein Formular entwickelt wor- griffdefinition der „Arten von gemein- den (Dokument des Habitatausschusses: schaftlichem Interesse“ mit Bezugsraum Hab. 95/11-II), welches für die Neuvor- Europäische Union folgende Aspekte: schläge von Arten vom Mitgliedsstaat aus- – bedroht (Ausnahme Randvorkommen) gefüllt werden mußte. Für künftige Novellie- – potentiell bedroht rungen der Anhänge ist daher davon auszu- – selten (kleine Populationen, geographi- gehen, daß mindestens dieselben Anforde- sche Restriktion oder nur vereinzelte, rungen an eine Neuaufnahme von Arten ge- bzw. disperse Restvorkommen) stellt werden. Hier wurden folgende Infor- – endemisch (Bezugsraum nicht festgelegt) mationen abgefragt: Zusätzliche Annahmen bzw. Verfahrenswei- – Wissenschaftlicher Artname sen bei der Erstellung der Anhänge waren: – Nationale Bezeichnung (deutscher Name) – Endemiten wurden nach IUCN-Listen – Systematische Stellung (Phylum, Ord- aufgenommen nung, Klasse, Familie) (z. B. Höhere Pflanzen nur 3 Arten in – Kurzbeschreibung/ Kennzeichnende dia- Deutschland von ca. 45 Sippen) gnostisch wichtige Artmerkmale (mög- – ein Schwerpunkt wurde auf Arten im Me- lichst mit einer Zeichnung) diterranraum versus Lebensraumtypen in – Vorkommen in den biogeographischen Mitteleuropa gelegt Regionen – Arten, deren Hauptvorkommen (Mono- – Gemeinschaftliche Bedeutung (welche top) durch Lebensraumtypen des An- der Unterabschnitte des Art. 1 g der FFH- hangs I abgedeckt sind, wurden gestri- Richtlinie rechtfertigt die Aufnahme der chen; Ausnahmen sind besondere Qua- Art) litätsindikatoren wie z. B. die Totholz- – Wird die Art als prioritäre Art vorgeschla- käfer gen? – politische Einwände haben sicher teilwei- – Angabe, ob die Art schon in Anhang IV se zur Herausnahme von Arten geführt genannt ist oder dort aufgenommen wer- – Artengruppen, die bisher überhaupt nicht den sollte berücksichtigt wurden (z. B. Flechten im – Einschränkungen zum Vorschlag (z. B. Rahmen der Neuaufnahmeverhandlun- Schutz nur in bestimmten geographischen gen mit Schweden und Finnland) können Räumen) erst geschlossen in einem Novellierungs- – Ökologie und Beschreibung der wichtig- verfahren betrachtet werden. sten Lebensräume (Monotop der Art) Für eine Novellierung gilt sicher – Geographische Verbreitung (innerhalb grundsätzlich: des Mitgliedsstaates, in Europa, weltweit, – fachliche Voraussetzungen sind ein Ar- ggf. mit Anmerkungen) tendatenblatt mit fachlichen Angaben – Status und geschätzte Populationsgröße (Doc. Hab. 95/11-II), – Gefährdungsstatus nach IUCN-Rote Li- – idealerweise sollten Rote Listen aller Mit- sten gliedsstaaten vorliegen, – Gründe für die Gefährdung oder den AXEL SSYMANK: Natura 2000 – ein Netzwerk europäischer Schutzgebiete 19

Rückgang on XI der Kommission. Daraus stammen – Angaben zu internationalen Artenschutz- auch die Zahlen für die folgende Übersicht regelungen (Berner Konvention Anhänge mit Stand von 12.5.1998 (Tabelle 4). 1,2,3; Bonner Konvention Anhänge 1,2 Bemerkenswert ist für Deutschland, daß und Cites bzw. Washingtoner Arten- zwar vergleichsweise eine große Zahl an Vo- schutzabkommen, Anhänge 1 und 2) gelschutzgebieten ausgewiesen ist, der – Wichtige Literaturangaben Flächenanteil aber mit rund 3,7% gering ist, – Wurde die Art bereits früher vorgeschla- und die Ausweisung von Besonderen gen/ diskutiert? – Falls ja, warum wurde Schutzgebieten für den Vogelschutz (SPA) sie abgelehnt? von der Kommission als „noch unvollstän- – Nationale Kontaktperson für Rückfragen. dig“ eingestuft wurde. Hinzu kommt eine In den Anhängen der FFH-Richtlinie sind räumlich sehr heterogene Verteilung über bisher nur 34 Arten genannt aus lediglich 3 die Bundesländer (vgl. Kartenbeilage in SSY- Gruppen, den Käfern, Libellen und den MANK et al. 1998). Auch für die FFH-Richtli- Schmetterlingen (vgl. Anhangstabelle). Hier nie ist Deutschland mit damals 295 gemel- ist sicherlich künftig eine Ergänzung oder zu- deten Gebieten mit ca. 1,4% der Fläche mindest kritische Prüfung der Neuaufnahme (und hier sind noch die marinen Flächen anderer Gruppen erforderlich. Da den Ar- nicht heraus gerechnet!) nicht gerade unter tengruppen eigene Fachbeiträge gewidmet den ersten Mitgliedsstaaten bei der Umset- sind, wird hier nicht näher auf einzelne Arten zung. Das Urteil im offiziellen Natura 2000- eingegangen. Barometer lautet denn auch „Nationale Liste nur teilweise existent und unvollständig“. Im Vergleich der Mitgliedsstaaten fällt auf, daß 10. Stand der Meldungen viele Mitgliedsstaaten substantielle Anteile (Deutschland und EU) ihrer Fläche auch für die FFH-Richtlinie mel- Innerhalb der Europäischen Union gibt es den, allen voran Griechenland mit 19,5% regelmäßige Übersichten über den Stand der seiner Fläche, häufig aber schon jetzt minde- Meldungen als „Natura 2000 Barometer“ stens 7-8%, z.T. deutlich über 10% erreicht im Natura 2000 Infoblatt der Generaldirekti- werden.

Tabelle 4. Meldeübersicht für die Natura 2000-Gebiete in der Europäischen Union 20 Insecta, Berlin, 6 (2000)

In Deutschland sind derzeit (Stand Sep- Für die Arten, insbesondere die Insekten tember 1998) 370 Gebiete an die EU gemel- in der FFH-Richtlinie sind verschiedene Defi- det, zahlreiche weitere aber noch im Verfah- zite aufgezeigt worden und die Rahmenbe- ren in Deutschland selbst. Geht man von ei- dingungen für weitere dringend notwendige ner – mit gewissen Zeitverzögerungen – Arbeitsschritte aufgezeigt worden. Hier ist weitgehend vollständigen Weiterleitung der die Initiative des Fachverbands Entomologie Meldevorschläge der Bundesländer aus, so sehr zu begrüßen, ihren Sachverstand in die werden mit einer „ersten Tranche“ in Kürze naturschutzfachliche Diskussion einzubrin- rund 1050 Gebiete von Deutschland vorlie- gen. Mit abgestufter Dringlichkeit sind fol- gen (vgl. Tab. 5), die rund 1,6% der terre- gende Aufgaben möglichst im Zusammen- strischen (und limnischen ) Fläche Deutsch- spiel mit Naturschutzbehörden und Natur- lands umfaßt. Auch unter der Annahme, daß schutzverbänden, insbesondere aber durch fast alle „streng“ geschützten Gebiete (Na- Entomologen zu leisten: tionalparke, Naturschutzgebiete, bereist be- 1. Eine Zusammenstellung zur aktuellen stehende Vogelschutzgebiete) vollständig Verbreitung, der Ökologie und spezifischer gemeldet würden, ist mit diesem Ansatz Nachweismethoden der derzeit in Anhang II kaum über 4,5% zu kommen. Für eine zeit- genannten Insektenarten; Dies könnte idea- lich und auch inhaltlich bisher nicht abseh- lerweise zu einer Ergänzung des BfN-Hand- bare 2. Tranche muß daher zur Erfüllung der buches führen, in dem die Arten nur aufgeli- FFH-Richtlinie in Deutschland noch viel pas- stet, aber nicht ausführlich dargestellt sind. sieren. Die Dokumentation des Gesamtbestandes und der Verbreitung kann jetzt noch unmit- telbaren Einfluß auf die Ausweisung weiterer 11. Ausblick Gebiete durch die Länder haben und hat Die FFH-Richtlinie ist zwar innerhalb der Einfluß auf die nationale Bewertung. Dabei Europäischen Union derzeit das umfassend- sollte auch die Frage beantwortet werden: ste Instrument des Naturschutzes, sie steht Wo liegen repräsentativ die wichtigsten Ge- aber nicht isoliert da. Einerseits werden an- biete für die jeweilige Art? dere internationale Konventionen und Ab- 2. Bei der Charakterisierung der Lebens- kommen wie z. B. die Berner Konvention, raumtypen im FFH-Handbuch könnte eine die Konvention zur Biologischen Vielfalt in systematische Ergänzung/Überarbeitung vor- der Europäischen Union durch Natura 2000 genommen werden, die bei ausreichendem umgesetzt. Andererseits ist durch Fortschrei- Kenntnisstand Qualitätsindikatoren mit Gül- bung der Berner Konvention beim Europarat tigkeit für ganz Deutschland benennt und re- eine Anpassung an die Schutzbestimmun- gionale „Kennarten“ herausarbeitet. Diese gen der FFH-Richtlinie auch außerhalb der Form der Bearbeitung hätte auch eine Bedeu- Europäischen Union erreicht worden, die tung für die Durchführung der Berichtspflich- künftig die Neuaufnahme bereits assoziierter ten bei der Überprüfung des Erhaltungszu- Staaten erleichtern wird. 1996 ist vom Euro- standes der Lebensraumtypen. Letztendlich parat mit den Resolution 3/1996 und könnten diese Arbeiten auf alle Artengrup- 4/1996 auch ein Schutzgebietssystem mit pen und alle in den Anhängen der FFH-Richt- dem Namen EMERALD (Smaragd)-Netz als linie genannten Arten ausgeweitet werden. Pendant zum Schutzgebietssystem Natura 3. Wenngleich eine inhaltliche Novellie- 2000 der FFH-Richtlinie geschaffen worden. rung von Anhang II und Anhang IV noch in Hier gibt es ebenfalls analoge Anhänge zu weiter Ferne liegt, und sicher nicht vor Ab- den Lebensraumtypen und Arten, die im schluß einer ersten Liste von Gebieten ge- Schutzgebietssystem erhalten werden müs- meinschaftlicher Bedeutung bei der EU be- sen. Eine enge Zusammenarbeit im europa- gonnen wird, fallen doch gravierende Defizi- weiten Naturschutz kann hier gegenseitigen te auf. So sollte langfristig auch ein schlüssi- Nutzen bringen. ges Konzept für die Novellierung des An- AXEL SSYMANK: Natura 2000 – ein Netzwerk europäischer Schutzgebiete 21 hangs II als zentraler Stütze des Gebiets- schungsprojekte initiiert werden. Vielleicht schutzes erarbeitet werden und für geeigne- gibt die FFH-Richtlinie ja auch neue Impulse te Arten entsprechende Datenblätter vorbe- für die Arbeiten an einer Entomofauna Ger- reitet werden. manica, wenngleich in Deutschland leider Da der Kenntnisstand gerade bei den keine länderübergreifende taxonomisch-sy- Wirbellosenarten oft besonders lückenhaft stematische Institution besteht, die z. B. Ver- ist, sollten hier sicher auch gezielt For- breitungsatlanten etc. koordiniert.

Tabelle 5. FFH-Gebietsvorschläge der Bundesländer an den Bund (Stand 9/1998) 22 Insecta, Berlin, 6 (2000)

Literatur rung der Richtlinie 79/409/EWG des Rates über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten. – ABTEILUNG NATURSCHUTZ DER GENERALDIREKTION FÜR UM- Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, WELTSCHUTZ DER EUROPäISCHEN KOMMISSION Reihe L 223, 9-17. (1998): Natura 2000 und die Menschen – eine EUROPEAN COMMISSION, DG XI (Ed.) (1996): Interpretati- Partnerschaft. Ergebnisse der Konferenz von on Manual of European Union Habitats – Versi- Bath – Juni 1998. Sonderheft vom Natura 2000- on EUR 15. (adopted by the Habitats Commit- Informationsblatt, 16 S. tee on 25 April 1996), 103 S., – Brussels. BUNDESREGIERUNG (Hrsg.) (1998): Zweites Gesetz zur Än- GÜNTHER, R. (Hrsg.) (1996): Die Amphibien und Reptili- derung des Bundesnaturschutzgesetzes vom en Deutschlands. – Gustav Fischer Verlag, Jena. 30.April 1998. – Bundesgesetzblatt Jg. 1998, 825 S. Teil I, Nr. 25. – 823-832. HELSDINGEN, P. J. VAN, WILLEMSE, L., & SPEIGHT, M. C. D. COMMISSION OF THE EUROPEAN COMMUNITIES (Ed.) (1991): (Ed.) (1996a): Background information on in- CORINE biotopes manual – A method to iden- vertebrates of the Habitats Directive and the tify and describe consistently sites of major im- Bern Convention. Part I – Crustacea, Coleoptera portance for nature conservation. Data specifi- and . – Council of Europe Publis- cations – Volume 3.- Luxembourg. 300 p. hing, Strasbourg. 217 p. COUNCIL OF EUROPE, STANDING COMMITTEE OF THE CONVEN- HELSDINGEN, P. J. VAN, WILLEMSE, L., & SPEIGHT, M. C. D. TION OF THE CONSERVATION OF EUROPEAN WILDLIFE (Ed.) (1996b): Background information on in- AND NATURAL HABITATS (1996a): Resolution No 3 vertebrates of the Habitat Directive and the (1996) of the Standing Committee conserning Bern Convention Part III – Mollusca and Echin- the setting up of a pan-European Ecological odermata. – Council of Europe Publishing, Stras- Network (EMERALD-Network). – Strasbourg. bourg. 399-529 p. COUNCIL OF EUROPE, STANDING COMMITTEE OF THE CONVEN- HELSDINGEN, P. J. VAN, WILLEMSE, L. & SPEIGHT, M. C. D. TION OF THE CONSERVATION OF EUROPEAN WILDLIFE (Ed.) (1996c): Background information on inver- AND NATURAL HABITATS (1996b): Resolution No 4 tebrates of the Habitats Directive and the Bern (1996) of the Standing Committee listing en- Convention Part II – Mantodea, Odonata. Orth- dangerad natural habitats requiring specific con- optera and Arachnida. – Council of Europe Pu- servation measures. – Strasbourg. blishing, Strasbourg. 218-398 p. DER RAT DER EUROPäISCHEN GEMEINSCHAFTEN (1979): KLAUSNITZER, B. (1982): Hirschkäfer oder Schröter (Luca- Richtlinie 79/409/EWG des Rates vom 2. April nidae). – Neue Brehm-Bücherei, Ziemsen-Ver- 1979 über die Erhaltung der wildlebenden Vo- lag, Wittenberg Lutherstadt, 83 S. gelarten. – Amtsblatt der Europäischen Gemein- KOMMISSION (1997): Entscheidung der Kommission vom schaften, Reihe L 103, 1-6. 18. Dezember 1996 über das Formular für die DER RAT DER EUROPäISCHEN GEMEINSCHAFTEN (1992): Übermittlung von Informationen zu den im Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai Rahmen von NATURA 2000 vorgeschlagenen 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräu- Gebieten (97/266/EG). – Amtsblatt der Eu- me sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen. ropäischen Gemeinschaften, Reihe L 107, 1- – Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, 156. Reihe L 206, 7-50. RIECKEN, U., RIES, U., & SSYMANK, A. (1994): Rote Liste DER RAT DER EUROPäISCHEN UNION (1997): Richtlinie der gefährdeten Biotoptypen der Bundesrepu- 97/62/EG des Rates vom 27. Oktober 1997 zur blik Deutschland. – Schr. R. f. Landschaftspfl. u. Anpassung der Richtlinie 92/43/EWG zur Erhal- Natursch. 41, 184 S. tung der natürlichen Lebensräume sowie der RÜCKRIEM, C. & ROSCHER, S., unter Mitarbeit von BEULS- wildlebenden Tiere und Pflanzen an den techni- HAUSEN, F., ERSFELD, M. & MOERS-SCHUSTER, S. schen und wissenschaftlichen Fortschritt. – (1999): Empfehlungen zur Umsetzung der Be- Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, richtspflichten gemäß Art. 17 der Fauna-Flora- Reihe L 305, 42-65. Habitat-Richtlinie. -Schr. angewandte Land- DIE KOMMISSION DER EUROPäISCHEN GEMEINSCHAFTEN schaftsökologie, Bundesamt für Naturschutz, (1991): Richtlinie der Kommission vom 6. März Heft 22, 456 S. 1991 zur Änderung der Richtlinie 79/409/EWG SCHöNBORN, C., & FRIEDRICH, E. (1995): Spanische Flagge des Rates über die Erhaltung der wildlebenden (Callimorpha quadripunctaria PODA) und Tag- Vogelarten (91/244/EWG). – Amtsblatt der Eu- falter (Lepidoptera) im Gebiet der Oberen Saale ropäischen Gemeinschaften, Reihe L 115, in Thüringen. – Landschaftspflege u. Natur- 41-53. schutz i. Thüringen 32(4), 101-107. EUROPäISCHE GEMEINSCHAFT (1994): Richtlinie 94/24/EG SSYMANK, A. (1994): Neue Anforderungen im europäi- des Rates vom 8. Juni 1994 zur Änderung von schen Naturschutz. Das Schutzgebietssystem Anhang II der Richtlinie 79/409/EWG über die Natura 2000 und die FFH-Richtlinie der EU. – Erhaltung der wildlebenden Vogelarten. – Amts- Natur u. Landschaft 69(9), 395-406. blatt der Europäischen Gemeinschaften, Reihe L SSYMANK, A., HAUKE, U., RÜCKRIEM, C., & SCHRöDER, E. 164, 9-14. unter Mitarbeit von MESSER, D. (1998): Das eu- EUROPäISCHE GEMEINSCHAFT (1997): Richtlinie 97/49/EG ropäische Schutzgebietssystem NATURA 2000 – der Kommission vom 29. Juli 1997 zur Ände- BfN Handbuch zur Umsetzung der Fau- AXEL SSYMANK: Natura 2000 – ein Netzwerk europäischer Schutzgebiete 23

na-Flora-Habitat-Richtlinie (92/43/EWG) und 2000 – Die nationale Gebietsbewertung gemäß der Vogelschutz-Richtlinie (79/409/EWG). – der Fauna-Flora-Habitat Richtlinie am Beispiel Schr. f. Landschaftspfl. u. Natursch. 53, 560 S. der alpinen biogeographischen Region. – Natur PETERSEN, B., SSYMANK, A., & HAUKE, U. (1998): Natura u. Landschaft 73(9), 393-403.

Anhang: Insektenarten in den Anhängen der FFH-Richtlinie 24 Insecta, Berlin, 6 (2000)

Anschrift des Verfassers: Dr. AXEL SSYMANK, Bundesamt für Naturschutz, I.2, Mallwitzstraße 1-3, D-53177 Bonn Insecta, Berlin, 6 (1998), Seite 25-33

CLAUS MAYR, Bonn

Die Bedeutung der FFH-Richtlinie für die Erhaltung der Biologischen Vielfalt aus Sicht der Naturschutzverbände – Anforderungen und Defizite Stand der Umsetzung der EG-Vogelschutzrichtlinie und der FFH-Richtlinie in Deutschland und Forderungen des NABU (Naturschutzbund Deutschland)

Summary ECU = 170 Mrd. DM) sind gegenwärtig durch die Gemeinsame Agrarpolitik (41 The Birds and the Habitats Directives of Mrd. ECU) sowie die Struktur- und Kohäsi- the European Union are major steps forward onspolitik (21 Mrd. ECU) gebunden, die auf- for nature conservation and important tools grund der fehlenden Integration von Um- to meet the obligations of the Biodiversity weltbelangen gravierende Auswirkungen Convention. Nevertheless, even 20 years af- auf Natur und Umwelt haben. ter coming into force the Birds Directive of Dennoch war und ist auch der Umwelt- the EU is still not implemented sufficiently in und Naturschutz immer ein wichtiges Stand- Germany, as, for example, the notification bein der Politik der Europäischen Union ge- of ”Special Protection Areas” embraces only wesen. Mit dem Maastrichter und Amster- 40 % of the area of those sites which BirdLi- damer Vertrag hat er nochmals eine wichti- fe International has identified as ”lmportant ge Aufwertung erfahren (Tabelle 1). Bereits Bird Areas” (table 2). A similar hesitating im- 1973 verabschiedete der Rat der Europäi- plementation of the Habitats Directive and schen Gemeinschaften das „Aktionspro- the coherent network of ”Natura 2000”-si- gramm der EG für den Umweltschutz“. Dar- tes and its political reasons are described. Af- in tauchte z. B. der Vogelschutz auf. Es wur- ter Luxembourg, Germany runs the risk of den gemeinsame Aktionen der Mitgliedstaa- becoming the tail-light of the EU-member ten für den Vogelschutz gefordert. Die EG states in transposing the Habitats Directive sollte die einzelstaatlichen Vorschriften zum (tables 3 and 4). Additionally, recent judge- Schutz der Tierwelt, insbesondere der Zug- ments of the ECJ are summarised appendix 6 vögel, prüfen; die rechtlichen Bestimmun- and their importance is discussed. gen der Mitgliedstaaten zum Vogel- und Naturschutz sollten harmonisiert werden. In der Fortschreibung des Aktionsprogramms 1. Von der Wirtschafts- zur Umweltge- (1976) wird unter dem Punkt „Schutz von meinschaft? Fauna und Flora“ der Schutz bestimmter Die Europäische Gemeinschaft war bei ih- gefährdeter Tierarten und der Zugvögel rer Gründung vornehmlich eine Wirtschafts- nochmals betont. Es sei ein „typisch plurina- gemeinschaft, bei der die Schaffung des ge- tionales Problem, dessen Lösung internatio- meinsamen Binnenmarktes im Vordergrund nale Initiativen sowie Maßnahmen auf Ge- stand. Andere Bereiche traten demgegenü- meinschaftsebene erforderlich macht“. ber in den Hintergrund; so die Entwicklung Nur zwei Jahre später verabschiedete der einheitlicher sozialer Standards, der Ver- Umweltministerrat die „Richtlinie des Rates braucherschutz und nicht zuletzt der Um- über die Erhaltung der wildlebenden Vogel- welt- und Naturschutz. Diese Prioritätenset- arten“ (79/409/EWG) vom 19. November zung kommt auch heute noch im EU-Haus- 1978. Die Richtlinie wurde am 2. April 1979 halt zum Ausdruck: Rund 85 % der erlassen und trat damit in Kraft. Schon diese Haushaltsmittel (1996 insgesamt 85 Mrd. Richtlinie wurde in der Bundesrepublik bis- 26 Insecta, Berlin, 6 (2000) lang völlig unzureichend umgesetzt. Wegen SPA) gemeldet. Ein ähnliche Trauerspiel ihrer mangelnden Umsetzung im Bundesna- zeigt sich auch bei der Umsetzung der FFH- turschutzgesetz (BNatSchG) wurde die BRD Richtlinie, die bis 1994 in deutsches Recht bereits zweimal vom Europäischen Gerichts- umzusetzen war. hof (EuGH) in Luxemburg verurteilt. Derzeit ist bereits das dritte Vertragsverletzungsver- 2. Ziele und Inhalte der FFH-Richtlinie fahren gegen die BRD anhängig, weil die Bundesländer, insbesondere Nordrhein- Die 1992 in Kraft getretene „Richtlinie Westfalen, Baden-Württemberg, Bayern 92/43/EWG zur Erhaltung der natürlichen und Saarland, zu wenig Vogelschutzgebiete Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere ausgewiesen haben (Tabelle 2), was eigent- und Pflanzen“ (kurz Fauna-Flora-Habitat- lich bis 1981 (!) hätte erfolgen müssen. Auch oder FFH-Richtlinie) ist das derzeit umfas- die 29 deutschen Ramsar-Gebiete, die von sendste Naturschutzinstrument der Europäi- besonderer Bedeutung für den Zugvogel- schen Union. Ziel der FFH-Richtlinie ist die schutz sind und daher gemäß Vogelschutz- Entwicklung, der Schutz und die Wiederher- richtlinie zu schützen sind (Art. 4, 2), sind stellung eines EU-weiten Netzwerkes von erst zu etwa 40 % als europäisches Vogel- Schutzgebieten („Natura 2000“) zur Erhal- schutzgebiet („Special Protection Area“, tung bedrohter Lebensräume (Anhang I) so-

Tabelle 1. Von der Wirtschafts- zur Umweltgemeinschaft (?)

Geschichte der Europäischen Union unter besonderer Berücksichti- gung des Naturschutzes

1.1.1952 Montanunion (=Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl). Beteiligt: BeNe- Lux-Staaten, D, F, I. 1.1.1958 Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) Europäische Atomgemeinschaft (EURATOM) Seit 1973 gemeinsame Umweltpolitik (Ratsentschließung: Erstes gemeinschaftliches Um- weltaktionsprogramm). 1974 Ratsempfehlung an die Mitgliedstaaten zum Schutz wildlebender Vogelarten und zur Unterstützung der Ramsar-Konvention (von 1971). 1976 Fortschreibung des Umweltaktionsprogramms: Der Schutz gefährdeter Vogelar- ten erfordert „internationale Initiativen sowie Maßnahmen auf Gemeinschaftse- bene“ 1979 Richtlinie 79/409/EWG (Vogelschutzrichtlinie) 1982 Verordnung EWG Nr. 3626/82 zur Umsetzung des Washingtoner Artenschutz- abkommens (WA, CITES, von 1973) in der Gemeinschaft seit 1984 Finanzielle Förderung von Umweltprojekten im Rahmen von GUA (seit 1992: Verordnung LIFE, VO EWG Nr. 1973/92). 1987 Einheitliche Europäische Akte (EEA) Änderung des EWG-Vertrages: Einbeziehung des Umweltschutzes und Einfü- gung Titel XVI Umwelt (Art. 130 r - 130 t) 1992 Richtlinie 92/43/EWG (FFH-Richtlinie) 1992 Maastrichter Vertrag und 5. Umweltaktionsprogramm: Umweltschutz muß inte- graler Bestandteil aller Politikbereiche sein! 1997 Amsterdamer Vertrag: „Nachhaltige Entwicklung“ gemäß Brundtland-Definition ist das Ziel der Europäischen Union, dem sich die Instrumente wie gemeinsamer Binnenmarkt, gemeinsame Agrarpolitik etc. unterordnen müssen! CLAUS MAYR: FFH-Richtlinie aus Sicht der Naturschutzverbände 27

Tabelle 2. Stand der Ausweisung von Europäischen Vogelschutzgebieten (SPA´s) in den Bundesländern

Quellen: Mayr 1991, Mayr 1993, Natura-Barometer der EU (02/98), aktuelle Recherchen des NABU; Stand Mai 1998

Bundesland Fläche IBA´s SPA´s SPA : IBA SPA (% (qkm) (N) (ha) (N) (ha) (Fläche, %)Landesfl.)

BW 35.751 18 49.956 317 23.394 46,8 0,7 47 14.988 (1) 30,0 0,4 BY 70.554 24 232.971 8 3.560 1,5 < 0,1 BL 883 - - - - - 0,0 BB 29.060 15 278.289 10 166.809 (2) 59,9 5,7 HB 404 (3) 8 7.195 17,8 HH 755 3 9.648 6 1.615 16,7 2,1 HE 21.114 3 3.167 (4) 12 4.040 127,6 0,2 MV 23.835 16 456.399 14 423.511 92,8 17,8 NI 47.349 21 333.040 50 267.745 80,4 5,7 NW 34.068 12 258.350 6 30.430 (5) 11,8 0,9 RP 19.848 3 3.068 6 421 13,7 < 0,1 SL 2.600 1 230.000 - - 0,0 0,0 SN 18.300 10 67.310 10 62.264 92,5 3,4 ST 20.445 10 51.217 9 27.720 54,1 1,4 SH 15.700 29 417.192 (6) 36 13.518 3,2 0,9 TH 16.251 5 18.292 8 23.470 128,3 1,4 Summe D 356.917 169 2.408.899 1.047.286 43,5 2,9

Anmerkungen: 1) Davon sind nur 47 Gebiete mit 14.988 ha für den Vogelschutz relevant, die anderen Flächen wurden aus allgemeinen Naturschutzgründen ausgewiesen.

2) Exakte Größe und flächenmäßige Abgrenzung der SPA´s in Brandenburg liegen noch nicht vor. 2 von 12 geplanten Gebieten (Döberitzer Heide, Unteres Elbtal) sind vom BMU noch nicht nach Brüssel weitergeleitet worden. Die IBA´s 015 (Naturpark Mecklenburgi- sches Elbtal) und 019 (Untere Havel) umfassen grenzüberschreitend Flächen in BB sowie MV bzw. ST.

3) Die IBA´s wurden seinerzeit für NI und HB gemeinsam abgegrenzt und berechnet.

4) Das IBA 063 (Rheinaue Eltville - Bingen, 475 ha) wurde zu gleichen Teilen auf Hessen und Rheinland-Pfalz aufgeteilt.

5) Hierbei ist das SPA Unterer Niederrhein mit 25.000 ha (Größe des Ramsar-Gebietes) ein- gerechnet. 1996 wurde das Gebiet seitens des Landes auf 27.000 ha erweitert; eine ge- naue kartenmäßige Abgrenzung liegt aber noch nicht vor.

6) Nicht erfaßt sind 455 km Küstenlinie, insbesondere an der schleswig-holsteinischen Ost- seeküste. 28 Insecta, Berlin, 6 (2000) wie besonders gefährdeter Tier- und Pflan- lichen Einflüssen, den Umgebungsschutz zenarten (Anhang II), etwa Auwälder und (Pufferzonen!), den Schutz ökologischer Moore, verschiedene Fledermausarten, Korridore (Biotopverbund) und eine generell Braunbär, Luchs, Hirschkäfer und Alpen- nachhaltige Nutzung. Sie ist damit ein wich- bockkäfer. In dieses Netzwerk sollen aus- tiges Instrument zur Umsetzung der 1992 in drücklich auch die Schutzgebiete gemäß der Rio verabschiedeten Konvention über biolo- EG-Vogelschutzrichtlinie 79/409/EWG (die gische Vielfalt, die sowohl die Mit- sogenannten Europäischen Vogelschutzge- gliedstaaten der EU als auch die Europäische biete, SPA‘s) integriert werden. Die Richtli- Union unterzeichnet haben. nie verlangt aber auch den Schutz vor stoff-

Tabelle 3. Stand der Ausweisung von FFH-Gebieten in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union – 11/98

Mitgliedstaat Anzahl Gebiete Gesamtfläche AnteilLandes- Anteil Land- (km2) fläche (%) fläche (%) Dänemark 194 11.000 25,0 13,1 (1) Griechenland 230 26.590 20,0 17,0 Italien 2.480 46.074 15,3 15,3 Portugal 65 11.940 12,9 12,6 Österreich (vorläufig) 91 8.871 13,1 13,1 Schweden (vorläufig) 1.449 42.517 10,0 9,3 Irland (vorläufig) 48 5.530 0,8 0,8 Finnland (vorläufig) 415 25.599 7,6 7,6 Niederlande (vorl.) 76 2.820 + ? 19,0 6,7 (1) Großbritannien 331 15.268 6,3 3,4 Belgien 101 903 2,9 2,4 Frankreich 543 10.581 1,9 1,6 Spanien 588 8.015 + ? 13,9 ? Deutschland (vorl.) 597 3.746 (1) 2,5 1,0 (1) Luxemburg 0 0 0 0

(Quellen: Natura-Barometer der EU (Ausgabe 7, 11/98), Übersicht des BMU (11.11.98), eigene Recherchen von NABU und BirdLife International)

Anmerkungen:

(1) Jeweils ohne Wasserflächen der Nationalparke. (2) Bereits Ende 1996 hatte Bayern 3 Gebiete (Unteres Isartal, Sandgrasheiden bei Vol- kach, Benninger Ried) über das BMU nach Brüssel gemeldet, um die LIFE-Förderung zu ermöglichen; inzwischen sind es 80 bayerische Gebiete. Zwischenzeitlich sind bis aus Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen und Sachsen aus allen Bundesländern Vorschläge für FFH-Gebiete über Bonn nach Brüssel gemeldet worden. (3) Die größten Fortschritte gegenüber 11/96 erzielten Finnland (von 370 auf 415 Gebie- te), Schweden (von 563 auf 1449), Griechenland (von 164 auf 230), Irland (von 0 auf 48) und Portugal (von 30 auf 65, große Flächen auf dem Festland). Frankreich hat seit Ende 1997 die ersten 543 von vorgeschlagenen 1.300 Gebieten gemeldet; Österreich hat die Flächengröße wesentlich erhöht. CLAUS MAYR: FFH-Richtlinie aus Sicht der Naturschutzverbände 29

3. Umsetzung von Vogelschutz- und zwischen Bund und Ländern, Koalition und FFH-Richtlinie in Deutschland Opposition, Naturschutz und Landwirt- schaftslobby, endlich im März 1998 umge- Wie bereits dargestellt, liegt Deutschland setzt wurde. bei der Umsetzung beider Richtlinien im EU- Ergebnis dieses schleppenden Prozesses Vergleich weit zurück. Die rechtliche Umset- und des „Schwarze-Peter-Spiels“ zwischen zung der FFH-Richtlinie war – insbesondere Bund und Ländern: Nach den neuesten In- aus Sicht unserer europäischen Nachbarn – formationen des BMU sind bisher erst 291 ein Trauerspiel. Es bedurfte erst eines Urteils potentielle FFH-Gebiete nach Brüssel weiter- des EuGH (11.12.97) und der Androhung gemeldet worden (0,6 % der Fläche), weite- massiver Zwangsgelder, ehe die Richtlinie re 258 (1,2 %) liegen zur internen Abstim- nach jahrelangen Auseinandersetzungen mung in Bonn vor (Tabelle 4). Der Mel-

Tabelle 4. Stand der Anmeldung von FFH-Gebieten in den Bundesländern – September 1998

Bundesland Anzahl Gebiete Gesamtfläche [ha] Anteil Landesfläche [%] Baden-Württemberg 151 52.892 1,5 (1) Bayern 80 119.000 1,7 Berlin 10 1.500 1,7 (1) Brandenburg 91 39.769 1,3 (1) Bremen 1 445 1,1 (1) Hamburg 3 1.689 2,2 Hessen 8 962 0,05 Mecklenburg-Vorp. 39 34.343 1,5 (1) Niedersachsen 84 94.617 (2) 2,0 (1),( 2) Nordrhein-Westfalen 207 45.412 1,3 (1) Rheinland-Pfalz 78 (81) 19.935 1,0 Saarland 13 2.913 1,1 Sachsen 64 47.168 2,6 (1) Sachsen-Anhalt 78 (86) 56.193 2,7 Schleswig-Holstein 93 32.249 (2) 2,0 (2) Thüringen 1. Tr. 16 (18) 3.801 0,2 (0,7) 2. Tr. 23 4.932 0,3 (1) Summe Deutschland 1052 575.311 (2) 1,6 davon nach Brüssel 369 236.673 (2) 0,66 gemeldete Gebiete

(Quellen: Übersicht des BMU (31.08.98), Recherchen des NABU) Anmerkungen: (1) Meldungen liegen dem BMU vor; wurden aber noch nicht nach Brüssel weitergeleitet. (2) Ohne Wasserflächen der Nationalparke. (3) Zweite Zahl in Klammern: ursprünglich gemeldeter Umfang; vom BMU nicht akzeptiert. Generell: Für alle Bundesländer handelt es sich nur um sog. „erste Tranchen“, die nur bereits ausgewiesene Schutzgebiete umfassen. Im Vergleich zum Mai 1998 kamen im Sommer die Meldungen von Brandenburg (31.07.98), Bremen (22.06.98), NRW (25.06.98), Sachsen (24.07.98) und Thüringen (2. Tranche, 10.08.98) hinzu. 30 Insecta, Berlin, 6 (2000) dungsstand hinsichtlich der Vogelschutz- und FFH-Gebiete in den Listen, obwohl nach richtlinie ist gut nur in Thüringen, Hessen Vogelschutz- und FFH-Gebieten und ihren und Bremen; weitgehend vollständig in spezifischen Schutzzwecken unterschieden Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und werden muß, was in der öffentlichen Diskus- Niedersachsen; unvollständig in Schleswig- sion (Bsp. Niederrhein, Medebacher Bucht, Holstein, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Ba- NRW; Rheiderland, Nds) bislang nicht er- den-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, folgte. Für ein FFH-Gebiet mit z. B. seltenen Hamburg, Rheinland-Pfalz und Bayern; Ber- Orchideen oder einem kleinen Quellsumpf lin und Saarland haben bisher noch gar keine ist Überbauung natürlich nicht akzeptabel; SPA´s ausgewiesen (Tabelle 2). Wegen bei- rastende Wildgänse im Vogelschutzgebiet der Defizite sind Vertragsverletzungsverfah- wird die Erweiterung einer Scheune nicht ren der EU-Kommission beim EuGH anhän- beeinträchtigen. In jedem Fall bleibt die gig – und bezahlen sollen laut Bundesum- Planungshoheit bei der zuständigen staatli- weltministerin Merkel im Zweifelsfall die chen Stelle (Kommune, Land etc.). Die kom- Länder. Hieraus sind folgende Feststellun- munale Planungshoheit in Baugebieten gen abzuleiten: bleibt also erhalten, selbst privilegierte land- 1. Die FFH-RL ist genügend bestimmt, so wirtschaftliche Vorhaben nach § 35 Bauge- daß ihre Rechtswirkungen für ausgewiesene setzbuch sind nicht gefährdet. Prioritäre Le- (z.B. EU-Vogelschutzgebiete, SPA´s ) – und bensräume und Arten, bei deren Beeinträch- nach ständiger Rechtsprechung des EuGH – tigung unter bestimmten Umständen die auch potentielle (Vogelschutz- (IBA´s) und Stellungnahme der Kommission (auch nur FFH-Gebiete (pSCI´s)) schon seit 1994 (!) als Empfehlung) eingeholt werden muß, unmittelbar gelten. Die Umsetzung in deut- kennt ohnehin nur die FFH-Richtlinie; sches Recht diente damit in erster Linie der Vogelschutzgebiete und Vogelarten sind Rechtssicherheit für nachgeordnete Behör- nicht prioritär. den, die dieses auch für sie verbindliche 4. Schuld tragen aber auch die Kommu- Recht bis heute mißachten (A 20-Urteil, nen und ihre Spitzenverbände sowie die EuGH-Urteile zu Santona und Lappel-Bank Landwirtschaftsverbände, v.a. in NRW: Die u.a., s. Anhang). überarbeitete Kulisse der Vogelschutzgebie- 2. Zudem ist die FFH-Richtlinie nicht te in NRW, u.a. mit Medebacher Bucht und 1992 „vom Himmel gefallen“ oder von den Wäldern um Burbach, lag schon 1992 (!) bösen Brüsseler Bürokraten erfunden wor- vor, wurde publiziert und auch Kreisen und den, sondern eine Übersetzung der soge- Kommunen mitgeteilt. Andere Vogel- nannten „Berner Konvention“ von 1979 (!) schutzgebiete, wie der Untere Niederrhein in EU-Recht. Sie wurde von den Mitglied- oder die Weserstaustufe Schlüsselburg, wur- staaten nach mehrjährigen Planungen und den bereits 1983 offiziell gemeldet. Desin- Diskussionen beschlossen; Verhandlungs- formationspolitik und Klagegeschrei gegen führer für die BRD waren die jeweiligen ein „Übermaß des Naturschutzes“ setzten Außen-, Umwelt- und Agrarminister aus aber erst Anfang 1997 bei Bekanntwerden FDP, CDU und CSU. Auch die Länder waren der FFH-Listen ein. Offenbar hatten sich in diesen Prozeß involviert; wußten also, daß Kommunen und Landnutzer bis dahin ohne die RL bis 1994 in nationales Recht um- Probleme im europäischen Vogelschutzge- zusetzen ist und die Länder bis 1995 Schutz- biet arrangieren können – oder den europä- gebiete vorzuschlagen haben! ischen Naturschutz nicht ernst genommen. 3. Bund und Länder müssen sich den Vor- 5. Insbesondere sind die Bedeutung und wurf gefallen lassen, nicht genügend über die Chancen für die Landwirtschaft nicht die Richtlinien und ihre Bedeutung infor- kommuniziert worden: Die Umsetzung der miert zu haben. Drastische Beispiele sind FFH-Richtlinie zieht in der Regel keine NRW und Niedersachsen: unkommentiert Nutzungseinschränkungen der Land- und und undifferenziert erschienen Vogelschutz- Forstwirtschaft nach sich, die über die Be- CLAUS MAYR: FFH-Richtlinie aus Sicht der Naturschutzverbände 31 stimmungen etwa in Naturschutz- oder lein die in der FFH-Richtlinie vorgegebenen Landschaftsschutzgebieten oder für gefähr- fachlichen Kriterien sind entscheidend. Dies dete Biotoptypen gemäß § 20 c BNatSchG hat der EuGH hinsichtlich der Vogelschutz- hinausgehen. Die Richtlinie verlangt ledig- gebiete sowohl im Lappel-Bank-Urteil als lich die Sicherung des Status quo, „den Fort- auch im Urteil gegen die Niederlande aus- bestand oder gegebenenfalls die Wie- drücklich betont (Tabelle 5). derherstellung eines günstigen Erhaltungs- 3. Einige Länder weigern sich immer zustandes“ (Art. 3). Die Richtlinie überläßt noch, fachlich geeignete Gebiete anzumel- zudem ausdrücklich dem Mitgliedstaat die den, weil Projekte gefährdet werden könn- Wahl der geeigneten Mittel „rechtlicher, ten: S-H und MV das Wakenitz-Tal wegen administrativer oder vertraglicher Art“ (Art. der A 20; Sachsen-Anhalt die Saale-Elster- 6), um die genannten Ziele zu erreichen. In Aue wegen der ICE-Trasse Nürnberg-Berlin; vielen Fällen, v.a. in den Vogelschutz- NRW den Naturpark Maas-Schwalm-Nette gebieten, ist also gar keine Verordnung not- wegen des Braunkohletagebaus „Garzweiler wendig; die Ziele können durch Vertrags- II“. Positiv ist dagegen das Beispiel Ham- naturschutz geregelt werden – und dienen burg: HH will die vom NABU vorgeschla- damit gerade wieder den Interessen der genen FFH-Gebiete melden. Das Ramsar- Landwirtschaft. Zudem stehen für Kompen- Gebiet „Mühlenberger Loch“ wurde als sationszahlungen hunderte Millionen DM Vogelschutzgebiet gemäß EG-Vogelschutz- aus den Agrarumweltprogrammen der EU, richtlinie gemeldet, obwohl hier die Erweite- den Strukturfonds und im Rahmen der rung der Dasa-Flugzeugwerft geplant ist. „Agenda 2000“ zur Verfügung. Dies ist ge- Nur dies entspricht EU-Recht: Fachlich ge- rade für kleine und mittlere LW-Betriebe auf eignete Gebiete ausweisen, dann die Ver- ökologisch interessanten Grenzstandorten träglichkeit von Projekten gemäß Art. 6 der interessant, für die Naturschutz-Leistungen FFH-Richtlinie prüfen. Bayern meldete als ein immer wichtigeres wirtschaftliches erstes Bundesland ein Gebiet an, das zum Standbein sind. großen Teil (950 ha) noch nicht als Natur- oder Landschaftsschutzgebiet gesichert ist, den Unteren Inn. 4. Forderungen des NABU für die be- 4. Nach Schätzungen des NABU (shadow schleunigte Umsetzung von Vogel- list von 1996 sowie detaillierte Listen einiger schutz- und FFH-Richtlinie: NABU-Landesverbände) erfordert eine adä- 1. Mit dem Beschluß der sogenannten quate Umsetzung der FFH-Richtlinie die Be- „Kleinen“ Novelle des Bundesnaturschutz- nennung von ca. 10 bis 15 % der jeweiligen gesetzes (BNatSchG) vom März 1998 wur- Landesfläche als Vogelschutz- oder poten- den die FFH-Richtlinie und die zum 1. Juni tielle FFH-Gebiete. Dies entspricht auch den 1997 geänderte EU-Artenschutzverordnung Erfahrungen aus anderen Mitgliedstaaten, in deutsches Recht umgesetzt. Damit sind die etwa 15 bis 25 % ihrer jeweiligen Lan- die Bundesländer jetzt endgültig in der desfläche genannt haben (z. B. Dänemark, Pflicht, endlich Schutzgebiete zu benennen. Griechenland, Italien, Tabelle 3). Die mei- Auch das BMU betont – wie der NABU und sten dieser Flächen sind jedoch bereits durch andere Umweltverbände seit vielen Jahren – § 20 c BNatSchG oder die Biotopkartierun- , daß die Länder schon viel früher hätten gen der Länder als Vorrangflächen für den melden müssen, und daß der 1995er UMK- Naturschutz erfaßt. Die größten Lücken – Beschluß unnötig war. und hier sind insbesondere auch die Bundes- 2. Die „Kriterien“ der Länder sind nicht fachausschüsse des NABU wie der BFA Ento- richtlinienkonform: Weder darf man erst mologie gefordert – liegen derzeit in der Er- Schutzgebiete ab 75 ha Größe melden, noch fassung von Lebensräumen der in Anhang II darf, wie in Hessen, die Frage der der FFH-Richtlinie aufgelisteten Arten (z. B. Eigentumsverhältnisse eine Rolle spielen. Al- fast alle Fledermausarten, Fischotter, Luchs, 32 Insecta, Berlin, 6 (2000)

Sumpfschildkröte, Kammolch), insbesondere Flächen (= 500 Vollerwerbsbetriebe a 50 ha) der prioritären Arten (bei den Insekten Cara- durch Straßenbau und Gewerbegebiete ver- bus menetriesi, Osmoderma eremita, Rosa- loren (am Niederrhein auch durch Kiesab- lia alpina und Callimorpha quadripuncta- bau). Ein besserer Schutz vor solchen Projek- ria), deren wichtigste Vorkommen erfaßt ten wäre also nicht gegen -sondern vehe- und für die Aufnahme in das Netz Natura ment im Interesse der Landwirtschaft und 2000 vorgeschlagen werden müssen. dem gesellschaftlich akzeptierten Ziel des Er- 5. Zudem liegt – neben Empfehlungen haltes der Biodiversität! z. B. des Sachverständigenrates für Umwelt- fragen und der LANA – ein Beschluß der Raumordnungsministerkonferenz vom März 5. Weiterführende Literatur (Stand 10/98) 1995 über die Ausweisung von Vorrangflä- Bundesamt für Naturschutz (Hrsg., 1998): Das europäi- chen in dieser Größenordnung vor. Auch der sche Schutzgebietssystem NATURA 2000. BfN- neueste „Entwurf eines umweltpolitischen Handbuch zur Umsetzung der Fauna-Flora-Ha- Schwerpunktprogramms“ des BMU vom bitat-Richtlinie (92/43/EWG) und der Vogel- schutzrichtlinie (79/409/EWG). Schriftenreihe April 1998 nennt als Ziel „Sicherung von 10- für Landschaftspflege und Naturschutz, Heft 53. 15 % der nicht besiedelten Fläche als ökolo- Landwirtschaftsverlag, Münster. gische Vorrangflächen“ bis zum Jahr 2020. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reak- Entsprechend den obigen Ausführungen be- torsicherheit (1997): Natura 2000. Schutz, Pfle- ge und Entwicklung des europäischen Naturer- deutet dies aber weder, daß diese Flächen bes. Broschüre, 16 Seiten, Bonn. als Schutzgebiete nach deutschem Recht Europäische Kommission, DG XI (1996): Natura 2000 ausgewiesen werden müßten, noch „au- Interpretation Manual of European Union Habi- tomatisch“ Nutzungseinschränkungen. So tats, Version Eur 15, Brüssel. Europäische Kommission, DG XI (1996 ff.): Natura kommt Deutschland beispielsweise eine 2000. Naturschutz-Infoblatt der GD XI, 1. Aus- wichtige Rolle bei der Erhaltung mitteleuro- gabe, Mai 1996. Jew. 8 Seiten. Brüssel. päischer Laubwaldgesellschaften zu. Ent- Europäische Kommission, DG XI (1997): Natura 2000. sprechend nehmen diese Lebensraumtypen Erhaltung unseres Naturerbes. Broschüre, 16 Seiten, Luxembourg. in den „shadow lists“ für NRW und Hessen MAYR, C. (1993): Vierzehn Jahre EG-Vogelschutzrichtli- mehr als die Hälfte der vorgeschlagenen nie. Bilanz ihrer Umsetzung in der Bundesrepu- Flächen ein. Hier wird es lediglich darum ge- blik Deutschland. Berichte zum Vogelschutz 31, hen, den naturgemäßen Waldbau gesetzlich 13 – 22. MAYR, C. (1997): FFH-Richtlinie: Schlußlicht Deutsch- und in der Praxis zu verankern. land. Chronik fortgesetzten Nichtstuns des poli- 6. Schließlich: Die Erschwernis für die Pla- tischen Naturschutzes. Naturschutz und Land- nung von Infrastrukurprojekten ist natürlich schaftsplanung 29, 56 – 57. MAYR, C. (1998): Europäischer Gerichtshof stärkt den gewollt und notwendig – sonst würden die Naturschutz. Naturschutz und Landschaftspla- Richtlinien – wie auch nationales Natur- nung 30, 332 – 333. schutzrecht – ihren Sinn verfehlen. Laut SRU Naturschutzbund Deutschland (Hrsg., 1996): Vor- und Biodiversitätsbericht der Bundesregie- schlagsliste für Schutzgebiete von gemein- schaftlicher Bedeutung gemäß Fauna-Flora-Ha- rung ist die noch nicht gelungene „Abkop- bitat-Richtlinie der Europäischen Union (SAC´s). pelung von Wirtschaftswachstum und Vervielf. Manuskript, 54 Seiten, Bonn. Flächenverbrauch“ eines der gravierendsten RÖDIGER-VORWERK, T. (1998): Die Fauna-Flora-Habitat- Umweltprobleme. Wenn der Flächenfraß Richtlinie der Europäischen Union und ihre Um- setzung in nationales Recht – Analyse der Richt- von derzeit wieder bis zu 120 Hektar/Tag linie und Anleitung zu ihrer Anwendung. Reihe nicht gestoppt wird, kann das Artensterben „UmweltRecht“, Band 6, Erich Schmidt-Verlag, nicht aufgehalten werden. Und hier liegen Berlin. auch die wahren Ursachen der örtlichen Pro- SSYMANK, A. (1994): Neue Anforderungen im europäi- schen Naturschutz. Das Schutzgebietssystem bleme der Landwirtschaft: 1997 gingen al- Natura 2000 und die FFH-Richtlinie der EU. Na- leine in NRW 25.000 ha landwirtschaftlicher tur und Landschaft 69, 395 – 406. CLAUS MAYR: FFH-Richtlinie aus Sicht der Naturschutzverbände 33

6. Anhang: Wichtige Entscheidungen Grund: Nichtausweisung einer innerhalb des EuGH zur Vogelschutz-Richtlinie eines SPA und Ramsar-Gebietes gelegenen Fläche, um Hafenerweiterungen des Port of 1. Leybucht-Urteil vom 28.02.1991 Sheerness zu ermöglichen (Themsemün- (Rechtssache C-57/89) dung in Kent, Großbritannien). Grund: Deichbau in der Leybucht (Nie- Ergebnis: Der Klage wurde stattgegeben. dersächsisches Wattenmeer). Leitsätze: Die Ausweisung von SPA´s und Ergebnis: Die Klage wurde abgewiesen. SAC´s muß sich an fachlichen Kriterien orien- Leitsätze: Öffentliche Sicherheit (durch tieren. Die Nicht-Ausweisung von potentiel- Deichbau) ist ein höheres Schutzgut als die len SPA-Gebieten aus wirtschaftlichen Grün- Ziele des SPA, nicht jedoch wirtschaftliche den ist unzulässig. Erst nach ihrer Anmel- oder freizeitbedingte Erfordernisse. In jedem dung sind Verfahren gemäß Art.6 FFH-RL Fall gilt jedoch das Eingriffs-Minimierungs- möglich. Das Verfahren muß ausgewogen gebot. sein und eine spezielle UVP beinhalten 2. Santona-Urteil vom 02.08.1993 (Alternativenprüfung/Eingriffsminimierung/ (Rechtssache C-355/90) Kompensationspflicht). Grund: Zerstörung der Marismas von 4. Niederlande – Urteil vom 19.05.1998 Santona (Kantabrien, Spanien). (Rechtssache C-3/96) Ergebnis: Der Klage wurde stattgegeben. Grund: Unzureichende Ausweisung von Leitsätze: Gehört ein Gebiet zu den SPA´s. flächenmäßig für den Schutz der Vogelwelt Ergebnis: Der Klage wurde stattgegeben. geeignetsten Gebieten eines Mitgliedsstaa- Leitsätze: Der EuGH schließt sich der Auf- tes, so besteht Ausweisungspflicht als SPA fassung der EU-Kommission an, daß die Nie- gem. Art. 4 VSchRL und die Pflicht, negati- derlande zu wenige SPA´s ausgewiesen hät- ven Beeinträchtigungen entgegenzuwirken. ten. Mangels anderweitiger Unterlagen des IBA´s sind im genannten Sinne rechtlich Mitgliedstaates hätte sich die Ausweisung gleich SPA´s, da ansonsten Mitgliedstaaten, von SPA´s an dem IBA-Verzeichnis von Bird- die RL-konform ausgewiesen haben, be- Life von 1989 orientieren müssen. nachteiligt würden. 3. Lappel Bank-Urteil vom 11.07.1996 (Rechtssache C-44/95)

Anschrift des Verfassers: CLAUS MAYR, NABU-Naturschutzreferent EU/Internationales, NABU, Herbert-Rabius-Straße 26, D-53225 Bonn, email: [email protected] Insecta, Berlin, 6 (2000), Seite 34-44

GERD MÜLLER-MOTZFELD, Greifswald

Auswahlkriterien für FFH-Arten aus der Sicht der Entomologie

1. Einleitung – daß bestimmte Lebensraumtypen und Ar- ten prioritär sind, das heißt: Maßnahmen Die Richtlinie „Zur Erhaltung der natürli- zu ihrer Erhaltung müssen zügig durchge- chen Lebensräume sowie der wildlebenden führt werden. Tiere und Pflanzen“ (FFH-Richtlinie) der EG Als Hauptziel wird die Schaffung eines vom 21. Mai 1992, sowie ihre Novellierung Netzes europäischer Schutzgebiete gefor- vom 27. Oktober 1997 zählen heute zu den dert: NATURA 2000. Damit soll die Erhal- wichtigsten internationalen Instrumenten tung der Biologischen Vielfalt unter Berück- des modernen Naturschutz. sichtigung wirtschaftlicher, sozialer, kulturel- Als Begründung werden genannt: Erhal- ler und regionaler Anforderungen ermög- tung, Schutz und Verbesserung der Umwelt- licht werden (inklusive nachhaltiger Entwick- qualität, inklusive Schutz der natürlichen Le- lung und Förderung bestimmter Tätigkeiten bensstätten, sowie der wildlebenden Tiere des Menschen). und Pflanzen sind wesentliches Ziel der Eu- In den Anhängen zur FFH-Richtlinie (Tab. ropäischen Gemeinschaft (EG) und von all- 1) werden dann jene Habitate (I) Tiere und gemeinem Interesse. Dabei wird davon aus- Pflanzen (II) genannt, zu deren Schutz das gegangen: Ausweisen spezieller Schutzgebiete erforder- – daß sich der Zustand der natürlichen Le- lich ist. Es werden Kriterien für die Auswahl bensräume im Gebiet der Mitgliedstaaten der Schutzgebiete genannt (III) und jene Tie- unaufhörlich verschlechtert, re und Pflanzen genannt, die strengen – wildlebende Tiere und Pflanzen in zuneh- Schutzbestimmungen unterliegen (IV), bzw. mender Zahl ernsthaft bedroht sind, daß die nur unter strengen Reglementierungen die Bedrohung grenzübergreifend und genutzt werden dürfen (V). der Schutz daher Gemeinschaftsaufgabe Dieser gesamte Ansatz ist deshalb so be- ist, deutungsvoll, weil erstmals länderübergrei-

Tabelle 1. Die Anhänge der FFH-Richtlinie I Natürliche Habitattypen von gemeinschaftlichem Interesse, zu deren Schutz die Aus- weisung Spezieller Schutzgebiete (SAC) erforderlich ist. II Tiere und Pflanzen von gemeinschaftlichem Interesse, zu deren Schutz die Auswei- sung Spezieller Schutzgebiete (SAC) erforderlich ist. III Kriterien für die Auswahl der Speziellen Schutzgebiete (SAC). IV Tiere (IVa) und Pflanzen (IVb), die strengen Schutz bedürfen. V Tiere und Pflanzen, die nur im Rahmen von Managementmaßnahmen genutzt werden sollten. VI Verbotene Fang- und Tötungsmethoden. (SAC: Special Areas for Conservation) GERD MÜLLER-MOTZFELD: Auswahlkriterien für FFH-Arten aus der Sicht der Entomologie 35 fend nicht nur Schutzziele definiert werden, dann die Zerstörung eines Biotops relativ sondern auch anhand konkreter Arten über- einfach ersetzbar (ausgleichbar!) durch die prüft werden kann, ob durch den realisierten Schaffung eines neuen. Genau hier liegt die Schutz von Territorien auch wirklich jene ge- Gefahr. Es ist sicher definitiv nicht zu be- fährdeten und schützenswerten Arten (Ziel- zweifeln, daß ein frisch geschaffener Stein- arten des Schutzes) gefördert oder erhalten haufen, eine Ansammlung toter Stämme werden. Dieses System mit „doppeltem Bo- oder ein neu angelegtes Wasserbecken den“ – Lebensräume und Arten – läßt uns wirklich irgendwann ein Biotop sein wird – einen wirklichen Schutz auch für jene weni- also die Lebensstätte einer Biozönose, aber ger auffälligen Arten erhoffen, die, wie viele ehe es ein schützenswertes Biotop sein wird, Insektenarten, nicht zu den Flaggschiffen ausgestattet mit exklusiven Arten etc., das des Naturschutz gehören (MÜLLER-MOTZFELD kann entsprechend lange dauern. 1997). Die Verselbständigung des Biotop- Die Entomologen begrüßen daher dieses schutzes birgt die Gefahr, daß ein als richtig neue Instrument „FFH“ und sind überall ak- erkannter Weg (oder eine Methode) mit tiv an dessen Umsetzung beteiligt, denn dem Ziel verwechselt wird (MÜLLER-MOTZ- hierbei gibt es in Deutschland erhebliche De- FELD 1997a). Insofern ist auch an der FFH- fizite (SSYMANK et al. 1998). Trotzdem soll Ideologie Kritik zu üben, richtiger wäre sie nicht verkannt werden, daß die FFH-Richtli- als HFF-Richtlinie zu benennen. Genau gele- nie gerade bezüglich der enthaltenen Insek- sen haben sich hier ganz im Gegensatz zur tenarten nachbesserungsbedürftig ist. Diese Berner Konvention bereits im Titel die „Bio- Nachbesserung sollte langfristig gesehen tope“ verselbständigt. Es geht also nicht und behutsam vorgenommen werden, dafür mehr um die Erhaltung der europäischen die Voraussetzungen zu schaffen, sollte Ziel wildlebenden Tiere und Pflanzen und ihrer einer offenen Diskussion unter den Fachleu- natürlichen Lebensräume, sondern um die ten sein, zu der hier ein Beitrag geleistet Erhaltung der natürlichen Lebensräume, so- werden soll. wie wildlebender Tiere und Pflanzen. Es soll- te nicht als „kleinlich“ abgetan werden, dar- auf hinzuweisen. Auch die Probleme um die 2. Biotopschutz/Habitatschutz als Ziel Erhaltung der globalen Biodiversität werden Die theoretischen Grundlagen dafür, daß zunehmend durch Vorstellungen verwässert, ein wirksamer Schutz der gefährdeten Orga- daß es nur machbar sei, Biodiversität auf Sy- nismenarten nicht allein durch jene auf ein- stem-Ebene zu sichern und des Weiteren zelne Arten fokussierten Schutzprogramme muß man die genetischen Grundlagen der realisiert werden kann, sondern daß hier Evolution untersuchen. Aber diese ganze Ar- dem Schutz der Lebensstätten (Habitat: Le- tenvielfalt genau erforschen, das schafft bensstätte der Art; Biotop: Lebensstätte der man ja sowieso nicht, man denke nur an die Biozönose) größte Bedeutung beigemessen vielen Millionen Insektenarten, die zum werden muß, werden in den Lehrbüchern Glück gar keiner kennt und die offenbar von BLAB (1984) und KAULE (1986) umfas- auch niemand kennenlernen will, schlimmer send dargestellt. Seither hat sich der Begriff noch: man braucht sie gar nicht zu kennen. „Biotop“ so verselbständigt, daß bereits Einige der „modernen Biodiversitätsfor- wieder aufgepaßt werden muß, ob das, was scher“ weisen ganz andere Wege: bioche- heute Landschaftsplaner und Naturschutzm- mische Diversität, Diversität der Stoffwech- anager unter Biotopschutz verstehen, noch selwege etc. Dies ist eine für den Natur- mit den ursprünglichen Zielvorstellungen schutz gefährliche und zutiefst wissen- des Naturschutzes vereinbar ist. Da werden schaftsfeindliche Vorstellung – die von den sehr schnell auf dem Papier neue Biotope führenden Biodiversitätsforschern der Ento- geplant, mehr „Biotope“ pro Fläche – das ist mologie (WILSON 1992) natürlich nicht ver- natürlich besser als nur wenige usw., da ist treten wird. Unter diesem Gesichtspunkt 36 Insecta, Berlin, 6 (2000) sollte auch die Bedeutung der Auswahl der lität der Informationen bezüglich der An- FFH-Arten gesehen werden. wendbarkeit für Mitteleuropa ist sehr unter- schiedlich, je nachdem, ob bei der Bearbei- tung auch führende mitteleuropäische Ento- 3. Die Insektenarten der FFH-Anhänge mofaunisten beteiligt waren, wie z.B. bei ei- In der Tabelle 2 werden alle 74 Insekten- nigen Tagfaltern und Käfern. arten der novellierten FFH-Richtlinie aufge- Aus diesen Informationen und entspre- führt. Gleichzeitig ist aus der Liste zu ent- chenden Zuarbeiten einzelner Kollegen wer- nehmen, in welchem Anhangsteil (II, IV, V) den grobe Angaben zur Anspruchlage der die betreffende Art aufgeführt wird, ob sie einzelnen Arten (Endemismus, Seltenheit, bereits in der Berner Konvention (1979) ent- Höhenstufung, Biotopansprüche, Verbrei- halten war und in welche Kategorie der Ro- tung) mitgeteilt. ten Liste der BRD (BINOT et al. 1998) sie ein- 53 % dieser Arten sind in der Roten Liste gestuft wurde. Für die Mehrzahl der Arten der IUCN (1996) aufgeführt; 44,5 % in der existieren umfangreiche Hintergrundinfor- Roten Liste der BRD. mationen zur Verbreitung, Biologie und Ge- Die besondere Verantwortung Deutsch- fährdung (HELSDINGEN et al. 1996). Die Qua- lands, bedingt durch seine geographisch

Tabelle 2. FFH-Arten – Insecta

(in der BRD vorkommende Arten in Fettdruck) BfN EIS-Daten- Tabelle 2. Nr. Ord. Gattung/Art II IV V B RLD Sammlung Verbreitung 1 Odo. Aeshna viridis * * 1 s, Stratiotes no-euro balt./w.-sib.(Ob) 2 Odo. Coenagrion hylas * * 0 es, subalpin C-Alpen disjuncte VK:Polarural,Fernost/Japan 3 Odo. Coenagrion mercuriale * * 1 s, rheophil atlantomedit. disjuncte VK in so-euro 4 Odo. Cordulegaster trinacriae * * * E, ss S-Italien/Sizil. 5 Odo. Gomphus graslinii * * * E,ss franco-iber. disjunct in sw-euro 6 Odo. Leucorrhina albifrons * * 1 ss, Moore c/o-euro euro-sib. 7 Odo. Leucorrhina caudalis * * 1 ss, mesotroph c/o-euro euro-w.sib.(Ob) 8 Odo. Leucorrhina pectoralis * * * 2 s, euro euro-sib.(Mongolei), außer w/s-euro 9 Odo. Lindenia tetraphylla * * * ? s-euro,disjc.t o-medit./turan.(Kyrgyztan) 10 Odo. Macromia splendens * * * E, thermophil s-franco-iber. disjunct auf iber.HI. 11 Odo. Ophiogomphus cecilia * * * 2 s, Ströme euro euro-sib.(?Jenissej),außer so-euro, 12 Odo. Oxygastra curtisii * * * 0 ? atlantomedit. Marokko,Iber.HI,Frankreich 13 Odo. Stylurus flavipes * * G s, Ströme euro-turan. außer: sw/s-euro 14 Odo. Sympecma braueri * * 2 s, See/Fluß o-euro,kontin. euro-sib.(Japan), in ME:disjunct 15 Odo. Brachythemis fuscopalliata * 16 Odo. Calopteryx syriaca * 17 Col. Agathidium pulchellum * Pilzkäfer no-euro. 18 Col. Boros schneideri * Urwaldrelikt no-euro. 19 Col. Buprestis splendens * * * 0 es, Altholz balt./o-euro. isol.VK:submer. 20 Col. Carabus menetriesi pacholei P 1 ER, Moor no-euro. 21 Col. Carabus olympiae P * * E, s Piemont Val de Sessera, Italien 22 Col. Cerambyx cerdo * * * 1 ss, Eiche w.-/c.-euro. 23 Col. Corticaria planula * saprophag n-euro. USA,w. 24 Col. Cucujus cinnaberinus * * * 1 es,Totholz (c-)/no-euro 25 Col. Dytiscus latissimus * * * 1 ss, Seen c./n.-euro 26 Col. Graphoderus bilineatus * * * 1 ss, Seen c./n.-euro isol.VK: o-euro 27 Col. Limoniscus violaceus * 1 es, Altholz w./c.-euro isol.VK: submer. 28 Col. Lucanus cervus * * 2 ss, Eiche euro.-cauc. außer:boreoarct. 29 Col. Macroplea pubipennis * ss, submers n-euro Finnland 30 Col. Mesosa myops * s, Totholz n-euro eurosib. 31 Col. Morimus funereus * s, polyphag so-euro. türk.-iran. 32 Col. Osmoderma eremita P * * 2 s, Altholz europ. außer:boreoarct. 33 Col. Oxyporus mannerheimii * s, Pilze n-euro 34 Col. Pytho kolwensis * s, Altholz n-euro 35 Col. Rosalia alpina P * * 2 ss, Altholz s/c.-euro o-medit. 36 Col. Stephanopachys linearis * ss, Nadelholz boreomontan in ME: Austria 37 Col. Stephanopachys substriatus * ss, Nadelholz holarktisch GERD MÜLLER-MOTZFELD: Auswahlkriterien für FFH-Arten aus der Sicht der Entomologie 37 zentrale Lage in der Mitte Europas kommt der BRD zeigt Abb. 2. Es ist zu sehen, daß al- u. a. darin zum Ausdruck, daß von den sechs len drei Dokumenten offenbar unterschiedli- biogeographischen Regionen (atlantisch, che Auswahlkriterien zugrunde liegen, so kontinental, alpin, mediterran, boreal, ma- daß die Anteile der genannten Insekten- karonesisch), die als Bearbeitungsräume für gruppen sehr unterschiedlich ausfallen. Natura 2000 festgesetzt wurden, drei das Noch deutlicher wird dies in Abb. 3, die Territorium Deutschlands betreffen: atlan- nach grober Differenzierung die entspre- tisch/kontinental/alpin. chenden Anteile der Habitate der Insekten Eine grobe Analyse der Verbreitungsty- der FFH-Richtlinie ausweist. Dies verstärkt pen der FFH-Insekten zeigt, daß nordeu- sich noch, wenn die einzelnen Insekten- ropäische und südeuropäische Arten (etwa Ordnungen betrachtet werden; es wäre si- im Vergleich zu zentraleuropäisch) sehr stark cher banal, hier mit den Libellen (Odonata) vertreten sind, ganz besonders durch ent- zu beginnen. sprechende iberische oder westmediterrane Auffallend ist, daß z. B. 77,3 % der Käfer- Endemiten (Abb. 1). Einen Vergleich der An- arten „Waldarten“ sind, die in und an To- teile der FFH-Arten aus den Gruppen der tholz (inklusive Pilzen) leben, zwei Laufkäfer Schmetterlinge, Käfer und Libellen in den und drei wasserlebende Käfer runden das entsprechenden Listen der Berner Konventi- Bild ab. Es ist offensichtlich, daß diese Aus- on, der FFH-Richtlinie und der Roten Liste wahl für die artenreiche Insekten-Ordnung

(in der BRD vorkommende Arten in Fettdruck) BfN EIS-Daten- Tabelle 2. Nr. Ord. Gattung/Art II IV V B RLD Sammlung Verbreitung 38 Col. Xyletinus tremulicola * s, Altholz n-euro. 39 Man. Apteromantis aptera * * * E, xerotherm S-Spanien 40 Ort. Baetica ustulata * * * E, xerotherm S-Spanien Sierra Nevada 41 Ort. Saga pedo * * s, thermophil s-euro disjunct, bis w-China, ME: Austria 42 Het. Aradus angularis * s, Rindenwanze n-euro n-paläarktisch (Sibirien) 43 Lep. Agriades glandon aquilo * an Astr.alpinus n-euro arktische Rasse, arktisch-alpin 44 Lep. Apatura metis * * ss, Ufer so-euro euro-sib./japon. 45 Lep. Callimorpha quadripunctaria P V E, Rhodos ssp.rhodosensis ! 46 Lep. Clossiana improba * Felsen n-scandinav. holarktisch, ? sibirisch 47 Lep. Coenonympha hero * * 1 ss, Wälder euro-sib. 48 Lep. Coenonympha oedippus * * 0 es, Feuchtw. s-euro euro-sib. 49 Lep. Erebia calcaria * * * E, subalpin O-Alpen Karawanken/ Venet.-/Jul.Alpen 50 Lep. Erebia christi * * * E, subalpin C-Alpen Simplon-Geb.Schweiz/Italien 51 Lep. Erebia medusa polaris * alpin Norwegen Artisch-alpin, circumpolare Rasse 52 Lep. Erebia sudetica * * alpin/subalpin temp.euro disjuncte VK von Frankr.-Rumänien 53 Lep. * * * 1 s, xerotherm w-paläarkt. disjunct 54 Lep. Euphydryas aurinia * * 2 polytyp.Art euro, disjunct euro-sib. 55 Lep. Fabriciana elisa * * E, mont.Wald Cors./Sardin. 56 Lep. Graellsia isabellae * * * s, Kiefernw. Span./Frankr disjuncte VK 57 Lep. Hesperia comma catena * kaltstenotherm Finnland nur Kältevariante, eurosib 58 Lep. Hyles hyppophaes * * polytyp.Art disjunct euro-sib. 59 Lep. Hypodryas maturna * * * 1 boreomontan disjunct euro-sib.(Altai) 60 Lep. Lopinga achine * * 1 therm.Wald euro-sib.(Japan) 61 Lep. Lycaena dispar * * * 2 s, Seggen euro-sib. 62 Lep. Maculinea arion * * 2 s, myrmeko. disjunct euro-sib. 63 Lep. Maculinea nausithous * * * 3 s, Feuchtwiesen c-euro euro-cauc.(?sib.) 64 Lep. Maculinea teleius * * * 2 s, Feuchtwiesen c-euro euro-sib.(Japan) 65 Lep. Melanargia arge * * * E, Steppen S-Italien M-Italien/Sizilien 66 Lep. Papilio alexanor * * s, thermophil s-euro o-medit./c-asiat. 67 Lep. Papilio hospiton * * * E,montan Cors./Sardin. 68 Lep. Parnassius apollo * * 1 s, boreoalpin disjunct euro-sib.(Baikal) 69 Lep. Parnassius mnemosyne * * 1 ss, boreomont. disjunct euro- ? 70 Lep. Plebicula golgus * * * E, alpin S-Spanien Sierra Nevada 71 Lep. Proserpinus proserpinus * * V s, montan s./c.-euro medit.-turan.(Afghanistan) 72 Lep. borealis * circumpolar euro-sib. 73 Lep. Xestia brunneopicta * nur Finnland holarktisch 74 Lep. Zerynthia polyxena * * sporadisch pontomedit. 38 Insecta, Berlin, 6 (2000)

25

Verbreitung von FFH-Insekten weit verbreitet 20 disjunkt/endemisch

15 Artenzahl

10

5

0 eurosib. w-paläarkt. pontomed. c-europ. n-europ. s-europ. sw-europ.

Abb.1. Anteile weitverbreiteter und endemischer (incl. disjunkt verbreiteter) Arten der entsprechenden Areal-Typen bei Insekten der FFH-Richtlinie

80

70 Geschützte Insektenarten

Übrige Insecta Lepidoptera 60 Coleoptera Odonata

50

40 Artenzahl

30

20

10

0 Bern-Konv. FFH RL-BRD

Abb. 2. Repräsentanz der FFH-Insektenarten in der Berner Konvention und in der Roten Liste der BRD GERD MÜLLER-MOTZFELD: Auswahlkriterien für FFH-Arten aus der Sicht der Entomologie 39

Coleoptera irgendwie nicht repräsentativ ist. Konkrete Angaben, wie nun die Auswahl Andere bedeutende Insektengruppen, erfolgte, lassen sich nicht aufzeigen. wie Hymenoptera, Diptera, Neuroptera sind Auch in der FFH-Richtlinie werden keine überhaupt nicht vertreten. Auswahl-Kriterien direkt genannt. Es wird Es ist die Frage, welche Kriterien wurden zunächst unterschieden zwischen prioritären für die Auswahl benutzt? Arten und Arten von gemeinschaftlichem In- teresse. Zu den prioritären Arten kann als Definiti- 4. Kriterien für die Auswahl von Insekten on und Begründung folgendes zitiert wer- für die FFH-Anhänge den: Die FFH-Richtlinie gilt allgemein als In- *„... bestimmte Arten sind angesichts der strument für die Umsetzung der Berner Kon- Bedrohung, der sie ausgesetzt sind, als prio- vention (1979), also des Übereinkommens ritär einzustufen, damit Maßnahmen zu ih- über die Erhaltung der europäischen wildle- rer Erhaltung zügig durchgeführt werden benden Pflanzen und Tiere und ihrer natürli- können... chen Lebensräume. Auf der Suche nach Kri- *...für bestimmte Arten sind Regelungs- terien für die Auswahl von Arten findet man maßnahmen vorzusehen (z.B.: Verbot be- dort: stimmter Fang- und Tötungsmethoden) * insbesondere die Arten und Lebensräu- *...prioritäre Arten: die unter Buchstabe me, deren Erhaltung die Zusammenarbeit g) Ziffer i) genannten Arten, für deren Erhal- mehrerer Staaten erfordert, zu erhalten... tung der Gemeinschaft aufgrund ihrer * besondere Aufmerksamkeit gilt den ge- natürlichen Ausdehnung im Verhältnis zu fährdeten und empfindlichen Arten, einsch- dem in Artikel 2 genannten Gebiet besonde- ließlich der gefährdeten und empfindlichen re Verantwortung zukommt; diese wandernden Arten... prioritären Arten sind in Anhang II mit ei- * wobei vor allem endemischen Arten be- nem Sternchen (*) gekennzeichnet. sondere Aufmerksamkeit gewidmet wird. Als „Arten von gemeinschaftlichem Inter-

Habitate von FFH-Insekten

Pilz Pflanze 4% Ufer/Gewässer 3% 22% Holz 18%

Moore/Feuchtgebiete 8% Wald 8%

alpine Fluren/Felsen xerotherm/Offenstandorte 22% 15%

Abb. 3. Anteil (in Prozent) der Insektenarten der FFH-Richtlinie, die bestimmte Habitate präferieren 40 Insecta, Berlin, 6 (2000) esse“ werden in der FFH-Richtlinie unter g) – groß, auffallend gefärbt, Aufmerksamkeit jene Arten bezeichnet, die im Gebiet der EU erregend, i) bedroht sind, außer denjenigen, de- – stenök, daher Umweltveränderungen an- ren natürliche Verbreitung sich nur auf zeigend. Randzonen des vorgenannten Gebietes er- Von den Lepidopterologen werden u.a. auf- streckt und die weder bedroht noch im Ge- geführt: biet der westlichen Paläarktis potentiell be- – Arten mit eingeschränkter Verbreitung, droht sind, oder – Arten von landwirtschaftlichen Flächen. ii) potentiell bedroht sind, d. h. deren Dem allgemeinen Dilemma der Kriterien- baldiger Übergang in die Kategorie der be- losigkeit stellte dann W. ERZ (1997) auf eine drohten Arten als wahrscheinlich betrachtet Anfrage des NABU (C. MAYR) folgende Vor- wird, falls die ursächlichen Faktoren der Be- stellung entgegen: drohung fortdauern, oder „..... genaue Auswahlkriterien relativ iii) selten sind, d. h. deren Populatio- kompliziert“: nen klein und, wenn nicht unmittelbar, so * Arten des Anhangs II sind komple- doch mittelbar bedroht oder potentiell be- mentär oder ergänzend zur droht sind. Diese Arten kommen entweder Schutzgebietsausweisung in Anhang I, in begrenzten geographischen Regionen d.h. Arten, die bereits durch einen Lebens- oder in einem größeren Gebiet vereinzelt raumtyp abgedeckt sind, wurden nicht in vor, oder Anhang II aufgenommen (Beispiel: Dyschiri- iv) endemisch sind und infolge der be- us extensus – Salzwiesen), sonderen Merkmale ihres Habitats und/oder * also keine Kennarten für bestimmte Le- der potentiellen Auswirkungen ihrer Nut- bensräume, zung auf ihren Erhaltungszustand besondere * vielmehr Arten, die bestimmte Qualitä- Beachtung erfordern. ten/Parameter anzeigen, die allein durch Diese Arten sind im Anhang II und/oder den Schutz der Lebensraumtypen nicht ge- Anhang IV oder V aufgeführt bzw. können währleistet sind (z. B. Totholz-Käfer). dort aufgeführt werden. Zweifelsohne handelt es sich dabei nicht Zum Tier-Artenschutz werden in Artikel um ein in offiziellen Papieren festgelegtes 12 entsprechende Ausführungen gemacht, Konzept, sondern eher um eine zur Hand- die die Länder verpflichten, Maßnahmen lungsempfehlung vorgeschlagene private strengen Schutzes für die in Anhang IVa ge- Meinung. nannten Tierarten zu ergreifen, dies schließt Zumindest das Beispiel des Laufkäfers Dy- entsprechende Fangverbote, Störungen des schirius extensus regt zum Nachdenken an: Lebensraumes und das Verbot der Aneig- Nach dem derzeitigen Kenntnisstand nung und des Handels ein. müßte diese europäische Art als prioritär ein- Vorschlags- oder Auswahlverfahren für gestuft werden, da sie extrem selten und nur die auf die Listen zu setzenden Arten wer- punktuell verbreitet ist, in einem bedrohten den aber nicht mitgeteilt. Bezeichnend ist, Habitat (Binnenlandsalzstellen) vorkommt daß auch die Bearbeiter der vom Council of und die Bestände derart rückläufig sind, daß Europe herausgegebenen „Background In- die Art als akut vom Aussterben bedroht gilt formations...“ (HELSDINGEN et al. 1996) mit (TRAUTNER et al. 1998). Das Areal von Dy- der getroffenen Auswahl der Arten unzufrie- schirius extensus reicht von der südengli- den waren und diese als unausgewogen schen Kanalküste über Deutschland, Öster- empfanden. Daraus resultierte dann die reich, Slowakei, Ungarn, die nordadriatische Feststellung, daß es besser sei, nach den bis- Insel Arbe bis Südrußland (Krim) und Bulga- her üblichen Kriterien auszuwählen, als gar rien (CSIKI 1946, FEDERENKO 1996, HIEKE & keine Kriterien anzuwenden. So werden WRASE 1988, HORION 1941, HURKA 1996, TU- dann von den Coleopterologen als Kriterien RIN 1981). Die Art ist im ganzen Gebiet stark angeführt: rückläufig, ihre stabilsten Vorkommen be- GERD MÜLLER-MOTZFELD: Auswahlkriterien für FFH-Arten aus der Sicht der Entomologie41 fanden sich ehemals am Neusiedler See und Holz. Es genügt hier nicht, diverse Waldge- an den thüringisch/anhaltinischen Binnen- sellschaften pauschal unter Schutz zu stellen landsalzstellen (HORION 1941). In den Roten und dann Haufen toten Holzes auf dem Bo- Listen und Checklisten Deutschlands wird sie den zu belassen. Die Struktureigenschaften nur noch in Thüringen und Sachsen-Anhalt der Wälder und die damit verbundene Di- geführt (HARTMANN 1993, SCHNITTER et al. versität an Totholz-Angebot vom dürren Ast 1994, TRAUTNER & MÜLLER-MOTZFELD 1995) , über Stangenholz und anbrüchigen Stäm- doch nur aus Thüringen sind noch vier ge- men bis zum sich zersetzenden Totholz in trennte aktuelle Vorkommen bekannt der bodenaufliegenden Streuschicht werden (SPARMBERG et al. 1997). durch die Habitat-Typisierung unzureichend Die Annahme, daß es sich um eine halobi- erfaßt. Gerade jene exklusiven Elemente der onte Art handeln muß (BURMEISTER 1939, Fauna könnten diese Lücke schließen; ihr KOCH 1989, HURKA 1996) beruht auf dem Vorhandensein wäre als ein qualitätsbestim- ausschließlichen Vorkommen an Salzstand- mendes Merkmal für die betreffenden Habi- orten, direkte autökologische Untersuchun- tate/Biotope zu werten. In den FFH-Anhän- gen über die Ansprüche dieser Art sind nicht gen drückt sich dies in dem hohen Anteil der bekannt. Die bisherigen Vorkommen lagen Holz- und Wald-gebundenen Käferarten aus alle im Binnenland, mit Ausnahme der engli- (78%). Doch diese Qualitätsunterschiede schen und bulgarischen Küstenfunde. Nach- nur im Wald zu berücksichtigen, das ist weise aus Deutschland waren nur von den natürlich eine sehr einseitige Betrachtung. durch extrem hohe Salzgehalte ausgezeich- Ganz ähnlich müßte diese zusätzliche Quali- neten klassischen Salzstellen vom Salzigen fizierung durch Arten auch bei allen anderen See bei Eisleben, dem Numburger Salzbach, FFH-Habitaten erfolgen. Ein weiteres Bei- von Artern, Stotternheim und Sülldorf (bei spiel bilden Ufertiere, diese können im Of- Magdeburg) bekannt; vom Neusiedler See fenland oder unter Beschattung leben und (Austria) wurden sogar regelrechte Massen- zeigen vor allem spezielle Habitat-Kombina- vorkommen am Anfang des 20. Jahrhun- tionen oder Faktorengradienten an. derts gemeldet (HORION 1941). Drei der vier Leider wurde von dieser Möglichkeit, neuen thüringischen Funde liegen auf Er- über das Vorkommen exklusiver Elemente satzstandorten (Kalihalden-Vorland), alle mit eine stärkere Differenzierung der Habita- sehr hohen osmotischen Werten im Ober- te/Biotope im Sinne einer Wertbestimmung boden; einziger aktueller Fund auf einer für den Naturschutz zu erreichen, auch in klassischen Salzstelle: Schönfelder Solgraben dem sonst sehr gehaltvollen FFH-Handbuch bei Artern (SPARMBERG et al. 1997). Über die des BfN (SSYMANK et al. 1998) nicht Ge- wirkliche Habitatbindung wissen wir nur brauch gemacht. Eine Zusammenfassung sehr wenig. Es fällt daher schwer anzuneh- der Kriterien, die für die Einstufung einer Art men, daß es für den Schutz dieser Art ausrei- in die beiden Kategorien „prioritär“ oder chend sei, sie formal durch die Zuordnung „von gemeinschaftlicher Bedeutung“ An- zu irgendeinem FFH-Habitat-Typ zwischen wendung finden könnten, wird in Abb. 3 ge- 1310 und 1340 (SSYMANK 1998) geschützt geben. zu wissen. Es ist eher die Frage, warum diese Eine der wichtigsten Voraussetzungen für Art eben nicht überall an den Küsten und eine qualifizierte Liste der FFH-Insekten wä- den zahlreichen Salzstellen des Binnenlandes re eine wirkliche europaweite Raumbedeut- vorkommt. Offenbar gibt es weitere Um- samkeits-Analyse (MÜLLER-MOTZFELD et al. weltgrößen, die das Vorkommen dieser Art 1997). Damit könnten zumindest jene Un- begrenzen. ausgewogenheiten beseitigt werden, die Ganz ähnlich bestimmt sich die Qualität den Fachentomologen natürlich (bei allem von Wäldern für „Totholz-Käfer“ eben Respekt vor umweltpolitischen Entscheidun- durch das Vorhandensein (quantitativ) und gen) sofort zur Konfrontation nötigen. So die Beschaffenheit (Qualität) von totem war zunächst als einziger Laufkäfer Carabus 42 Insecta, Berlin, 6 (2000) olympiae, ein extrem lokaler Endemit aus ne extrem seltene, grabende Art, von der FE- Piemont, in der FFH-Liste. Die Art ist nach DORENKO (1996) ganze 16 Fundorte aus Mit- Ansicht der Carabidologen keinesfalls akut tel-, Westeuropa und Nordafrika zusam- vom Aussterben bedroht oder stark rückläu- mentragen konnte; es existiert auch ein um- fig, sie war schon immer nur im italienischen strittener deutscher Fund (Hessen). Die Art Valle de Sessera zu Hause, ist inzwischen in sucht man vergeblich in den Roten Listen, Nachbartälern mehr oder weniger erfolg- offenbar denken die Länderbearbeiter alle, reich angesiedelt worden (sogar in Frank- daß es sich bei den spärlichen Nachweisen reich) und ist im Labor züchtbar. Es bedarf im eigenen Land um Vorposten-Vorkom- keines Netzwerkes Natura 2000, um diese men einer Art der Nachbarländer handelt. Art an ihrem einzigen natürlichen Vorkom- Nach BURMEISTER (1939) lebt die Art an san- menspunkt zu sichern. Das Ernennen zur pri- digen Fluß- und Bachufern in Wäldern. Als oritären Art hat hier vor allem historische Beispiel für zentraleuropäisch-endemische Gründe, die Art galt als einziges Musterbei- Arten, die einen speziellen Lebensbereich spiel dafür, wie durch entomologisches Sam- abdecken, wären auch eine Reihe von meln eine Art ausgerottet werden kann; dies höhlen-lebenden Trechinen zu nennen. Dy- war ein weit verbreiteter Irrtum, wie heute schiriini und Trechiini sind aber sehr klein die Fachwelt weiß und so könnte dies als na- und unauffällig – sie entsprechen also nicht turschutzpolitischer Modellfall verstanden unseren Anforderungen an Naturschutz- werden – aber dem Anliegen der FFH-Richt- Flaggschiffe: groß, bunt, schön oder bizarr. linie entspricht es eigentlich nicht so ganz. So bleibt aus der Gruppe der Laufkäfer als Nun wäre nichts dagegen zu sagen, lieber Nachfolge-Kandidat für eine eventuelle No- eine Art mehr zu schützen, zumal diese wirk- vellierung der FFH-Liste ernstlich nur Calo- lich groß, bunt, schön und selten ist, gäbe es soma (Callisphaena) reticulatum F. übrig. nicht unter den europäischen Laufkäfern Diese Puppenräuber-Art ist von Mitteleuro- wirklich vom Aussterben bedrohte Arten, pa bis in die Waldsteppenzone Kasachstans wie der o. g. extensus PUTZ, oder verbreitet und im gesamten Areal extrem der Puppenräuber Calosoma reticulatum, rückläufig und nur noch punktuell nachweis- die nur durch ein internationales Netzwerk bar. Aktuelle deutsche Funde sind aus der von Schutzgebieten dauerhaft zu erhalten Lausitz, aus der Dübener Heide und von ei- sind, aber nicht in den FFH-Anhängen ste- nem Militärgelände an der Grenze von Bran- hen. denburg und Sachsen-Anhalt bekannt. Bei Durch die Novellierung der Liste 1997 der Vorbereitung des „Red book of the wurde mit Carabus menetriesi HUMM. ssp. USSR“ wurde die Art für einen sehr seltenen pacholei SOK. ein weiterer Laufkäfer als prio- Endemiten Kazachstans gehalten (TANASIJT- ritär eingestuft, dessen boreo-russische No- SCHUK 1981). In der Tschechischen und Slo- minatrasse bisher ungefährdet große Teile wakischen Republik (HURKA 1996) ist die Art Nordosteuropas bewohnt, während die mit- seit 65 Jahren verschollen, in Österreich wird teleuropäischen Rassen: pacholei SOKOLAR, sie als aussterbende Art geführt (FRANZ knabli MANDL, pseudogranulatus NÜSSLER 1984). Im Gegensatz zu anderen Puppen- und eine noch nicht taxonomisch bearbeite- räubern jagt die Art am Boden, sie bevorzugt te Lokalform in Vorpommern (MÜLLER- ganz offenbar sandige, trockene Kiefernhei- MOTZFELD 1994), alle als postglaziale Kalt- den und dringt von dort auch auf benach- zeitrelikte und Bewohner kaltstenothermer barte Ackerflächen (z. B. Rübenäcker) vor, Moorstandorte hochgradig gefährdet sind. wo sie den Raupen von Schmetterlingen (z. Doch auch dieses Modellobjekt ist im Ver- B. Eudia pavonia) nachstellt. Die Art gilt als gleich zu anderen Arten und bei strenger außerordentlich gefräßig und wird bis zu Anwendung der Kriterien eher ein Grenzfall. drei Jahre alt (BURMEISTER 1939). Die Tiere Es soll hier noch auf Dyschirius semistria- sind dämmerungsaktiv und verbringen den tus DEJEAN aufmerksam gemacht werden, ei- Tag in selbstgegrabenen Erdhöhlen, wo sie GERD MÜLLER-MOTZFELD: Auswahlkriterien für FFH-Arten aus der Sicht der Entomologie 43 auch überwintern. Die Ursachen für den BfN (unter Berücksichtigung exklusiver starken Rückgang dieser Art im 20. Jh. sind Arten als besondere Qualitätszeiger) noch unklar, hängen aber offenbar mit der – Nationale Vorschläge für eine Überarbei- Intensivierung der Landnutzung durch den tung der Roten Liste der IUCN-Insecta. Menschen zusammen (z. B. Nahrungsman- gel infolge Biozid-Einsatz). 5. Literatur

5. Fazit BERNER KONVENTION (1979): Übereinkommen über die Erhaltung der europäischen wildlebenden Pflan- Bei einem Vergleich der in offiziellen in- zen und Tiere und ihrer natürlichen Lebensräu- ternationalen und nationalen Naturschutz- me vom 19. Sept. 1979. – Bundesgesetzblatt Instrumentarien aufgelisteten Laufkäfer-Ar- 1984 II, 618. ten, die als in besonderer Weise gefährdet BINOT, M., BLESS, R., BOYE, P., GRUTTKE, H., & PRETSCHER, P. (1998): Rote Liste Gefährdeter Tiere Deutsch- oder schützenswert ausgewiesen werden lands. – Schriftenr.f.Landschaftspfl. u. Natursch. (FFH-Richtlinie, Rote Liste der IUCN, Rote 55, 1-434. Liste der BRD u. a.) ist festzustellen, daß der BLAB, J. (1984): Grundlagen des Biotopschutzes für Tie- Grad der Übereinstimmung irgendwie man- re. – Kilda-Verlag Greven (4. erw.Auflg. 1993), 479 S. gelhaft ist. Dies ist sicher zum Teil den unter- BURMEISTER, F. (1939): Biologie, Ökologie und Verbrei- schiedlichen Auffassungen der Bearbeiter tung der europäischen Käfer. I. Bd. Adephaga. – geschuldet, die den Entscheidungsrahmen Goecke-Verlag Krefeld, 307 S. der betreffenden Instrumentarien prägten. FEDORENKO, D. N. (1996): Reclassification of world Dy- schiriini, with a revision of the palaearctic fauna Bemängelt werden muß aber in jedem Fall, (Coleoptera, Carabidae). – Pensoft Publishers daß bei der Erarbeitung der Grundlagen für Sofia/Moscow/St. Petersburg, 224 S. die o. g. Instrumente mitteleuropäische Spe- FFH-RICHTLINIE DER EG (1992): Richtlinie 92/43/EWG zialisten kaum zu Rate gezogen wurden, ob- des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildleben- wohl Mitteleuropa eindeutig als das ento- den Tiere und Pflanzen. – Amtsbl. D. EG L 206 mofaunistisch am besten untersuchte Terri- vom 22 Juli 1992. torium gilt. Die Entomofaunistik hat in allen FRANZ, H. (1984): Rote Liste der in Österreich gefährde- ten Käferarten (Coleoptera). In: GEPP, J.: Rote Li- Ländern Mitteleuropas eine große Tradition. sten gefährdeter Tiere Österreichs. – Bundesmi- Ganz dringlicher Überarbeitung bedarf z. B. nist. F. Gesundheits- u. Umweltsch. 2. Aufl. Wi- die Rote Liste der IUCN (1996), die nicht nur en, 85-122. bei Laufkäfern gravierende Lücken und di- HARTMANN, M. (1993): Rote Liste der Laufkäfer (Col. Carab.) Thüringens. 1. Fassung 1992 in: RL aus- verse Ungereimtheiten aufweist. gewählter Pflanzen- und Tierartengruppen so- Hinsichtlich der FFH-Richtlinie ist klar wie Pflanzengesellschaften des Landes Thürin- festzustellen, daß hier die entscheidenden gen. – Naturschutz-Report 5, 78-86. Defizite bei der Umsetzung durch die Bun- HELSDINGEN, P. J. VAN, WILLEMSE, L., & SPEIGHT, M. C. D. (Hrsgb.) (1996): Background informations on desrepublik Deutschland liegen, so wird auf the invertebrates of the Habitat Direktive and Länderebene bereits verzögert und jede Ge- the Bern Convention. Part I – Crustacea, Cole- legenheit genutzt, die FFH-Beschlußlage zu optera and Lepidoptera. – Nature and environ- unterlaufen. ment No. 79, 1-217. Part II- Mantodea, Odona- ta, Orthoptera, Arachnaea. – Nature and envi- Trotzdem muß auch klar festgestellt wer- ronment No. 80, 218-398. den, daß die bisherige Auswahl der FFH-In- HIEKE, F., & WRASE, D. (1988): Faunistik der Laufkäfer sekten die Fachleute nicht zufrieden stellen Bulgariens (Coleoptera, Carabidae). – Dtsch. kann und hier langfristig eine Überarbeitung Ent. Z., N. F. 35, 1-171. HORION, A. (1941): Faunistik der deutschen Käfer Bd. I: angestrebt werden muß. Für Deutschland ist Adephaga – Caraboidea. – Goecke-Verlag Kre- ein dreistufiges Verfahren vorzuschlagen: feld, 463 S. – Herausgabe eines Informationsmaterials HURKA, K. (1996): Carabidae of the Czech and Slovak zu den FFH-Arten (unter Beteiligung der Republics. – Kabourek-Verl. Zlin, 565 S. IUCN: BAILLIE, J., & GROOMBRIDGE, B. (Hrsgb.) (1996): Fachspezialisten) IUCN Red List of Threatened . – Gland – Überarbeitung des FFH-Handbuchs des (Schweiz), 448 S. 44 Insecta, Berlin, 6 (2000)

KAULE, G. (1986): Arten- und Biotopschutz. – Ulmer- M. (1997): Die Käferfauna ausgewählter natur- Verlag Stuttgart, 461 S. naher und anthropogener Binnenlandsalzstellen KRYZHANOVSKIJ, O. L., BELOUSOV, I. A., KABAK, I. I., KATA- Nord- und Mittelthüringens (Insecta: Coleop- EV, B. M., MAKAROV, K. V., & SHILENKOV , V. G. tera). – Veröff. Naturkundemus. Erfurt 16, 78- (1995): A checklist of the Ground- of 137. Russia and adjacent Lands (Insecta, Coleoptera, SSYMANK, A., HAUKE, U., RÜCKRIEM, C., & E. SCHRÖDER Carabidae). – Pensoft Publishers Sofia/Moscow, (1998): Das europäische Schutzgebietssystem 271 S. Natura 2000. – Schriftenr. F. Landschaftspfl.u MÜLLER-MOTZFELD, G. (1994): Ein Käfer gegen die Auto- Natursch. 53, 1-560. bahn? – Insecta 3, 51-65. TANASIJTSCHUK, V. N. (1981): Materials for the „Red – (1997): Die Bedeutung der Insekten für den Natur- Book“ of the USSR (Insecta). – Ent. Obosr. 60 und Umweltschutz. – BIUZ 27, (5), 330-339. (3), 699-711. – (1997a): Biodiversität und Landwirtschaft. Insecta 5, TRAUTNER, J., & MÜLLER-MOTZFELD, G. (1995) Fauni- 5-15. stisch-ökologischer Bearbeitungsstand, Gefähr- MÜLLER-MOTZFELD, G., SCHMIDT, J., & BERG, C. (1997): dung und Checkliste der Laufkäfer. – Natursch. Zur Raumbedeutsamkeit der Vorkommen ge- u. Landschaftspl. 27 (3), 96-105. fährdeter Pflanzenarten in Mecklenburg-Vor- TURIN, H. (1981): Provisional checklist of the European pommern. – Natur u. Natursch. In M-V. 33, 42- Ground-Beetles (Coleoptera, Cicindelidae und 70. Carabidae). – Monogr. Nederl. Ent. Ver. 9, 1- SCHNITTER, P., GRILL, E. & TROST, M. (1994): Checklist der 250. Laufkäfer (Col. Carabidae) des Landes Sachsen- WILSON, E. O. (1992): Ende der Biologischen Vielfalt? – Anhalt. – Ent. Nachr. Ber. 38, 81-93. Spectrum-Verl. Heidelberg/Berlin/New York, SPARMBERG, M., APFEL, W., BELLSTEDT, R., & HARTMANN, 557 S.

Anschrift des Verfassers: Prof. Dr. GERD MÜLLER-MOTZFELD, Zoologisches Institut u. Museum der Ernst-Moritz-Arndt- Universität, Bachstaße 11/12, D-17489 Greifswald Insecta, Berlin, 6 (2000), Seite 45-53

OTAKAR KUDRNA, Schweinfurt

Die „deutschen“ Schmetterlingsarten der FFH-Richtlinie der EU

1. Einleitung se Tatsache bedeutet einen großen Fort- schritt im Vergleich mit dem in Deutschland Die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie noch immer üblichen Naturschutz. Die Mit- 92/43/EWG (im folgenden FFH-Richtlinie) gliedstaaten der EU sind verpflichtet im Rah- vom 21. Mai 1992 dient u. a. dem Schutz men des Vorhabens „Natura 2000“ die der einheimischen Schmetterlingsarten von wertvollsten Lebensraumtypen unter Schutz gemeinschaftlichen Interesse (vgl. Definitio- stellen und besondere Schutzgebiete für die nen im Kap. 3) und stellt damit eine wichtige in der FFH-Richtlinie genannten Arten von Säule im EU-Vorhaben „Natura 2000“ dar. gemeinschaftlichen Interesse auszuweisen. Informationen über den Stand der Umset- Die FFH-Richtlinie regelt darüber hinaus zung bzw. Nichtumsetzung der FFH-Richtli- auch den direkten Schutz der FFH-Richtlinie- nie in Deutschland findet man bedauerli- Arten (im folgenden: FFH-Arten); dabei wird cherweise nur allzu oft in der naturschutz- das in der EU-Vogelschutzrichtlinie und im orientierten Presse. Kritische Stimmen zur Berner Übereinkommen festgelegte Tö- FFH-Richtlinie haben auch KUDRNA & KÜH- tungs-, Fang- und Störungsverbot bürokra- LING (1996) geäußert. tisch auch auf die FFH-Arten übertragen. Dieser Artikel zielt in erster Linie darauf Die Namen der durch die FFH-Richtlinie ab, eine Übersicht relevanter Aspekte der geschützten und in Deutschland vorkom- FFH-Richtlinie unter dem Gesichtspunkt des menden Schmetterlingsarten sind in den An- Schutzes der FFH-Schmetterlingsarten in hängen II und IV aufgelistet: Deutschland zusammenzufassen und dabei Anhang II beinhaltet Tier- und Pflanzen- einige Beiträge und Wege zur Umsetzung arten von gemeinschaftlichem Interesse, für einschlägiger Schutzaufgaben aufzuzeigen. deren Erhaltung besondere Schutzgebiete ausgewiesen werden müssen. Anhang IV beinhaltet streng zu schützen- 2. Inhalt, Hintergrund und Ziele der FFH- de Tier- und Pflanzenarten von gemein- Richtlinie schaftlichem Interesse. Die FFH-Richtlinie entwickelt die in der Unter diesen beiden Gruppierungen wer- EU-Vogelschutzrichtlinie und im „Berner den ferner einige Arten mit „prioritärem Sta- Übereinkommen“ festgelegten Schutzprin- tus“ (in korrektem Deutsch: Prioritätssta- zipien weiter und steht im engen Zusam- tus!) höher bewertet. Bei den Schmetterlin- menhang mit dem „Übereinkommen über gen kommt dieser Status nur einer Art zu, die biologische Vielfalt“ (Rio de Janeiro, die zufälligerweise auch in Deutschland lebt: 1992). Der Schwerpunkt der FFH-Richtlinie Callimorpha quadripunctaria. liegt dabei eindeutig im Schutz der Lebens- Gemäß des Umsetzungszeitplanes der räume und einiger ausgewählter Arten von FFH-Richtlinie sollten die folgenden Aufga- gemeinschaftlicher Bedeutung . Der Begriff ben bereits abgeschlossen sein: „gemeinschaftlich“ bezieht sich dabei auf Mai 1992Beschluß der FFH-Richtlinie die Europäische Union bzw. deren Mitglied- 92/43/EWG. staaten. Auch im Artenschutz werden über- Juni 1992 Bekanntgabe der FFH-Richtlinie. wiegend die Erhaltung und der Schutz der Juli 1992 Veröffentlichung im Amtsblatt Lebensräume (Habitate) der entsprechenden der Europäischen Gemeinschaft Arten in den Mittelpunkt gestellt. Allein die- (L206). 46 Insecta, Berlin, 6 (2000)

Juni 1994 Umsetzung in nationales Recht der Natur entnommenen Exemplaren. Aus- abgeschlossen. genommen sind allerdings alle vor dem Be- Juni 1995 Gebietsvorschlagsliste der Mit- ginn der Anwendbarkeit dieser Richtlinie gliedstaaten; Beginn der Siche- rechtmäßig aus der Natur entnommenen Ex- rungspflicht. emplare. Juni 1996 Erstes Protokoll über die Aus- Betroffen durch diese Regelung sind in nahmeregelungen der Mitglied- Deutschland nach der gegenwärtigen Ver- staaten; danach alle zwei Jahre breitungssituation folgende Schmetterlings- ein neues Protokoll. arten: Coenonympha hero, Eriogaster catax, Juni 1998 Auswahl der Gebiete von ge- Euphydryas maturna, Lasiommata achine, meinschaftlicher Bedeutung ab- Lycaena dispar, Maculinea arion, M. nau- geschlossen. sithous, M. teleius, Parsnassius apollo, P. In Deutschland hat die Umsetzung der mnemosyne, Proserpinus proserpina. FFH-Richtlinie ins nationale Recht auf star- Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet ein ken Widerstand vor allem (aber nicht nur) System fortlaufender Überwachung des un- des Landwirtschaftsministeriums gestoßen; beabsichtigten Fangs oder Tötens dieser Ar- die notwendige Novellierung des Bundesna- ten einzuführen. Anhand der gesammelten turschutzgesetzes wurde immer wieder ver- Informationen leiten die Mitgliedstaaten schoben (KUDRNA & KÜHLING 1996) und im- weitere Untersuchungs- und Erhaltungsmaß- mer weiter verwässert. Es soll jedoch nicht nahmen ein, um sicherzustellen, daß der un- das Ziel dieser Arbeit sein, die Ursachen der beabsichtigte Fang oder das unbeabsichtigte politisch motivierten, indirekten Ablehnung Töten keine signifikanten negativen Auswir- bzw. die schleppende Umsetzung der FFH- kungen auf die betreffenden Arten hat. Richtlinie zu analysieren und zu bewerten. Die maximale potentielle Größe der Be- Die wichtigsten weiteren Daten im Zeit- stände dieser (und anderer) Schmetterlings- plan der Umsetzung der FFH-Richtlinie sind: arten hängt (bekanntlich) von der Trag- Juni 2000 Erster Durchführungsbericht der fähigkeit des jeweiligen Biotops ab; die Mitgliedstaaten. tatsächliche Größe der Bestände ändert sich Juni 2002 Vollständiger Bericht der EU- mehr oder weniger von Jahr zu Jahr in Ab- Kommission. hängigkeit mit den Auswirkungen von wei- Juni 2004 Ausweisung der „Besonderen teren Umweltfaktoren wie z. B. dem Verlauf FFH-Schutzgebiete“ abge- der Witterung während bestimmter Ent- schlossen. wicklungsphasen der Arten und der Einwir- Die im Anhang IV aufgelisteten Schmet- kung von Parasitoiden sowie Prädatoren. terlingsarten unterliegen einem strengen Dem Autor dieses Beitrag erscheint es daher Schutzsystem (vgl. Artikel 12). In den Mit- sehr rätselhaft, wie die im Anhang IV aufge- gliedstaten, in deren diese Arten ihre natürli- listeten Arten durch das Verbot des direkten che Verbreitungsgebiete haben, sind gesetz- Zugriffs gerettet bzw. langfristig geschützt lich verboten: werden sollen und mit welcher wissen- 1. alle absichtlichen Formen des Fangs oder schaftlich ernst zu nehmenden Methode das der Tötung von aus der Natur entnom- Monitoring des unbeabsichtigten Fangs menen Exemplaren; oder Tötens zu erfolgen hat. 2. jede absichtliche Störung dieser Arten; Zur Erhaltung natürlicher Lebensräume 3. jede absichtliche Zerstörung oder Entnah- und Habitate der im Anhang II aufgelisteten me von Eiern aus der Natur; Arten sind die Mitgliedstaaten, in denen die- 4. jede Beschädigung oder Vernichtung der se Arten ihre natürliche Verbreitungsgebiete Ruhe- und Fortpflanzungsstätten. haben, verpflichtet, besondere Schutzgebie- Ferner sind gesetzlich verboten: Besitz, te auszuweisen. Diese Mitgliedstaaten sind Transport, Handel oder Austausch und An- ferner verpflichtet, die Lebensräume und gebot zum Verkauf oder Austausch von aus Habitate dieser Arten im günstigen Zustand OTAKAR KUDRNA: Die „deutschen“ Schmetterlingsarten der FFH-Richtlinie der EU 47 zu bewahren oder solchen günstigen Zu- „Arten von gemeinschaftlichem Interes- stand wiederherzustellen. Die Schutzgebiete se“ sind bedroht, potentiell bedroht, selten dieser Arten bilden dabei einen Teil eines oder endemisch. Diese Arten kommen in be- kohärenten europäischen Netz besonderer grenzten geographischen Regionen vor oder Schutzgebiete, „Natura 2000“. erfordern infolge ihrer Habitatansprüche be- Betroffen durch diese Regelung sind in sonderer Beachtung. Ausgenommen sind Deutschland nach der gegenwärtigen Ver- Arten, deren Verbreitung sich nur auf Rand- breitungssituation die folgenden Schmetter- zonen der EU erstreckt. Als potentiell be- lingsarten: Callimorpha quadripunctaria, Er- droht werden die Arten betrachtet, deren iogaster catax, Euphydryas aurinia, E. ma- baldiger Übergang in die Kategorie der be- turna, Lycaena dispar, Maculinea nau- drohten Arten erfolgt, falls die ursächlichen sithous, M. teleius. Faktoren der Bedrohung fortdauern. Der Be- Sollten die Habitate dieser Arten tatsäch- griff „bedrohte Art“ wird bedauerlicher wei- lich im günstigen Zustand bleiben oder sollte se nicht ausreichend exakt definiert. der günstige Zustand der Habitate wieder- „Prioritäre Arten“ sind die Arten, für de- hergestellt werden, müssen nach Ansicht ren Erhaltung der EU aufgrund ihrer natürli- des Autors zumindest folgende Aufgaben chen Ausdehnung besondere Verantwor- schleunigst durchgeführt werden: tung zukommt. Nur Callimorpha quadri- 1. Vollständige Erfassung der gegenwärti- punctaria wird derzeit (aus völlig unbegreif- gen Verbreitung dieser Arten, lichen Gründen) als „prioritäre Art“ ausge- 2. Entwicklung effektiven artspezifischen wiesen. Biotopmanagements für diese Arten, 3. Durchführung artspezifischer Maßnah- 4. Anmerkungen zu den in Deutschland men zur Optimierung der Habitate dieser festgestellten FFH-Schmetterlingsarten Arten, 4. Einführung eines langfristigen effektiven MADE & WYNHOFF (1996) haben über die Monitoring der Bestände dieser Arten un- Schmetterlingsarten der FFH-Richtlinie und ter Berücksichtigung artspezifischen Bio- des Berner Übereinkommen unter Mitarbeit topmanagements. einiger Lepidopterologen umfassende Da- Voraussetzung für die Einleitung dieser tenblätter herausgegeben; diese Arbeit gilt Maßnahmen ist allerdings die vorherige voll- als offizielle Grundlage für den Schutz der ständige Erforschung der Autökologie dieser von Berner Übereinkommen und FFH-Richt- Arten, die jedoch in vielen Fällen noch nicht linie berücksichtigten Arten. Im folgenden einmal begonnen ist; sie dürfte jeweils min- Text wird auf die wichtigsten die Verbrei- destens zwei bis drei Jahre dauern. tungssituation, Bestandsentwicklung und Erforderliche Änderungen zur Anpassung Gefährdung betreffenden Aspekte hinge- der Anhänge der FFH-Richtlinie an den wis- wiesen; der entsprechende Bearbeiter wird senschaftlichen Fortschritt werden vom Rat dabei immer im Bezug auf MADE & WYNHOFF auf Vorschlag der Kommission (bis auf den (1996) namentlich erwähnt. Da diese Da- Anhang IV) mit qualifizierter Mehrheit be- tenblätter nicht nach einem ganz gleich- schlossen; für eine Änderung des Anhangs mäßigen Muster bearbeitet sind, kann auch IV ist ein einstimmiger Beschluß erforderlich. die Zusammenfassung nicht immer die glei- chen bzw. mit den übrigen Arten vergleich- baren Gesichtspunkte wiedergeben. Die Ge- 3. Definitionen fährdungssituation berücksichtigt noch nicht „Habitat“ einer Art ist durch spezifische die neuen IUCN-Kategorien (nach Meinung abiotische und biotische Faktoren bestimm- dieses Autors ist das ein Vorteil); die engli- ter Lebensraum, in dem die entsprechende schen Bezeichnungen der Gefährdungskate- Art in mindestens einem der Stadien des Le- gorien werden hier im Originalwortlaut (d. benskreislaufs vorkommt. h. nicht übersetzt) in Anführungstrichen 48 Insecta, Berlin, 6 (2000) wiedergegeben. Das Niveau der einzelnen T. mit Fragezeichen) „extinct“ in Nordrhein- Beiträge ist sehr unterschiedlich; einige der Westfalen, Saarland und Hessen. Wir ken- Beiträge lassen sehr viel zu wünschen übrig. nen darüber hinaus starke Bestände dieser Der Autor dieses Beitrags teilt nicht im jeden Art in Bayern, z. B. in Mittelfranken und Einzelfall die Meinung der hier zitierten Be- Oberbayern, deren Habitate von gemein- arbeiter. schaftlicher Bedeutung sind und für die Er- haltung dieser Art als besondere Schutzge- Callimorpha quadripunctaria (PODA, biete ausgewiesen werden müßten – d. h., 1761) wenn C. hero zu den Arten im Anhang II A. LEGAKIS (in MADE & WYNHOFF 1996) be- gehören würde. Dies ist leider nicht der Fall; zieht sich nur auf Callimorpha quadripunc- der Schutz vor direkter Nachstellung ist für taria rhodosensis DANIEL, 1953 – eine ende- die Erhaltung dieser Art sinnlos. mische Unterart von der griechischen Insel Rhodos – und liefert keine Angaben über die Coenonympha oedippus (FABRICIUS, 1787) übrigen Gebiete. Nach der Meinung des Au- J. LHONORE (in MADE & WYNHOFF 1996) tors dieses Beitrags macht der EU-weite betrachtet diese Art als in Deutschland „pro- Schutz von Callimorpha quadripunctaria bably extinct“; C. oedippus ist in Deutsch- quadripunctaria keinen Sinn, obwohl diese land tatsächlich seit Jahrzehnten ausgestor- Art (aus fachlich unbegreiflichen Gründen) ben. Ein Versuch C. oedippus in Deutsch- eine Prioritätsart ist. Es erscheint daher sehr land wieder anzusiedeln wäre in Anbetracht sinnvoll, diese von MADE & WYNHOFF (1996) der Verbreitungs- und Gefährdungssituation adoptierte Interpretation der FFH-Richtlinie dieser Art in der EU sinnvoll. zu akzeptieren, C. quadripunctaria außer- halb von Rhodos nicht zu berücksichtigen. Eriogaster catax (LINNAEUS, 1758) Nach J.J. DE FREINA (in MADE & WYNHOFF Coenonympha hero (LINNAEUS, 1761) 1996) sind aus Deutschland in den letzten Nach M. MEYER (in MADE & WYNHOFF Jahrzehnten nur zufällige Fänge von weni- 1996) ist diese Art in Baden-Württemberg gen Einzelexemplaren bekannt (vgl. auch die und Rheinland-Pfalz „endangered“ und (z. umfangreichen Ausführungen von BOLZ

Tabelle 1. Übersicht der in Deutschland vorkommenden Schmetterlingsarten der FFH-Richtlinie Art Anhang Anmerkung Callimorpha quadripunctaria II als Callimorpha quadripunctata Coenonympha hero IV Coenonympha oedippus II+IV in Deutschland ausgestorben Eriogaster catax II+IV Euphydryas aurinia II Euphydryas maturna II+IV als Hypodryas maturna Hyles hippophaes IV in Deutschland ausgestorben Lasiommata achine IV als Lopinga achine Lycaena dispar II+IV Maculinea arion IV Maculinea nausithous II+IV Maculinea teleius II+IV Parnassius apollo IV Parnassius mnemosyne IV Proserpinus proserpina IV OTAKAR KUDRNA: Die „deutschen“ Schmetterlingsarten der FFH-Richtlinie der EU 49

1998) während im östlichen Teil Mitteleuro- schungsvorhaben stellt J. R. HASLETT keine pas (z. B. Niederösterreich, Burgenland, konkreten Schutzvorhaben vor. Nach unse- Tschechien, Slowakei, Ungarn) diese Art rer Ansicht gehört E. maturna zu den in häufiger vorkommt. Als Gefährdungsursa- Deutschland direkt vom Aussterben bedroh- che wird vor allem die Anwendung von Che- ten Tagfalterarten und bedarf sehr dringend mikalien, insbesondere von Dimilin, zur der Erarbeitung und Umsetzung eines Ar- Bekämpfung von Lymantria dispar in Gebie- tenhilfsprogramms, das auf die Optimierung ten mit Vorkommen von E. catax genannt. der Habitate der noch vorhandenen Popula- Als Schutzmaßnahme wird Biotopmanage- tionen abzielt. Angesichts des langjährigen ment und gegebenenfalls Wiederansiedlung Rückganges dieser Art fast überall in Europa (beides leider ohne genauere Angaben) müßten die Habitate dieser Art im südlichen empfohlen. Steigerwald und bei Leipzig als besondere FFH-Schutzgebiete ausgewiesen und ent- Euphydryas aurinia (ROTTEMBURG, 1775) sprechend gemanagt werden. Als Hauptur- M.S. WARREN (in MADE & WYNHOFF 1996) sache des Rückganges sind Änderungen von stellt fest, daß E. aurinia mit der Ausnahme Waldnutzung, insbesondere der Verzicht auf von zwei (namentlich nicht erwähnten) Bun- die Mittelwaldwirtschaft, zu nennen. In Un- desländern im übrigen Deutschland je nach garn wurde heuer nach vielen Jahren E. ma- Bundesland als „extinct“, „endangered“ turna unerwartet in einigen Fundorten wie- oder „vulnerable“ eingestuft ist. Die von der gefunden, wo diese Art zuvor als ausge- ihm unterbreiteten Empfehlungen zum Bio- storben galt (Z. BALINT pers. Mitt.). topmanagement beziehen sich auf die engli- schen Verhältnisse und befürworten Bewei- Hyles hippophaes (ESPER, [1793]) dung der Biotope. Nach unserer Erfahrung Nach J.J. DE FREINA (in MADE & WYNHOFF aus der Rhön ist Schafbeweidung für E. auri- 1996) ist diese Art in Deutschland heimisch, nia sehr gefährlich und kann schnell zur Aus- kann jedoch nur in seltenen Fällen im Süd- rottung ganzer Populationen führen. Aller- westen von Baden-Württemberg in Einzele- dings betont M. S. WARREN gleichzeitig die xemplaren gefunden werden. Nach H. HAR- Notwendigkeit weiterer autökologischer und BICH (pers. Mitt.) ist die einzige dauerhafte molekularbiologischer Erforschung dieser in Population dieser Art im Rheintal ausgestor- Europa sehr weit verbreiteten und in mehre- ben. Dieser Fundort liegt allerdings am ren regional taxonomisch stark voneinander äußersten Rande des Areals von H. hippo- unterschiedlichen Formen vorkommenden phaes. Art; einige dieser Formen verdienen zumin- dest den Status einer Semispezies (sensu E. Lasiommata achine (LINNAEUS, 1763) MAYR) innerhalb der Superspezies E. aurinia. Nach M. MEYER (in MADE & WYNHOFF 1996) ist diese Art in Deutschland „endan- Euphydryas maturna (LINNAEUS, 1758) gered“ und dabei seit Jahrzehnten ausge- J.R. HASLETT (in MADE & WYNHOFF 1996) storben in Nordrhein-Westfalen, Rheinland- berichtet nur sehr oberflächlich und unvoll- Pfalz, Saarland, Hessen und Brandenburg. ständig über die Verbreitungssituation dieser M. MEYER kennt L. achine nur aus Baden- Art in Deutschland, die er als „endangered“ Württemberg; diese Art kommt allerdings betrachtet. Die von ihm erwähnte Daten- auch in Bayern (die besten deutschen Popu- bank des Bayerischen Landesamtes für Um- lationen leben wahrscheinlich im südlichen weltschutz verfügt zwar über viele Daten, Steigerwald) und in Sachsen vor (Umgebung die Richtigkeit dieser Daten ist jedoch sehr von Leipzig). Der langjährige Rückgang die- fraglich, da alle erhaltenen Daten ohne ser Art betrifft fast die gesamte europäische Überprüfung akzeptiert und in Datenbanken Verbreitung und ist auf die Veränderungen eingegeben werden. Außer allgemeiner Rat- der Waldnutzung, vor allem auf den Ver- schläge und einigen Empfehlungen zu For- zicht auf Mittelwaldwirtschaft zurückzu- 50 Insecta, Berlin, 6 (2000) führen. Die FFH-Richtlinie verordnet für die- nem Bericht fest, daß der Fang bzw. die se Art nur den strengen Schutz gemäß An- Sammelaktivitäten für den Rückgang von hang IV; dies muß als eine sinnlose Maßnah- M. arion unbedeutend waren, während fast me betrachtet werden. Nur die Wiederher- alle Fälle des Aussterbens von lokalen Popu- stellung bzw. Optimierung und nachfolgen- lationen dieser Art auf die Zerstörung der des artspezifisch gerechtes Mangement der Habitate zurückzuführen sind. Habitate der noch erhaltenen Populationen dieser Art kann mittelfristig zum Erfolg Maculinea nausithous (BERGSTRÄSSER, führen. Für die Aufstellung eines Artenhilfs- 1779) programms muß die Autökologie dieser Art Nach I. WYNHOFF (in MADE & WYNHOFF vor Ort genauer erforscht, die aktuelle Ver- 1996) liegt der Schwerpunkt der deutschen breitung genauer erfaßt und ein Monitoring Verbreitung dieser Art im Süddeutschland, eingeführt werden. Dies schreibt die FFH- vor allem in den Flußauen in Bayern und Ba- Richtlinie bedauerlicherweise nicht vor. den-Württemberg. Die Größe der Populati- on von M. nausithous hängt in erster Linie Lycaena dispar (HAWORTH, 1803) von der Dichte und Stärke der Wirtsameise Nach F.A. BINK (in MADE & WYNHOFF Myrmica rubra ab, was bei Schutzmaßnah- 1996) kommt L. dispar in den folgenden men berücksichtigt werden muß. Darüber Bundesländern vor: Baden-Württemberg, hinaus darf die Wiesenmahd nicht zwischen Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Nord- Juni und Mitte September stattfinden, damit rhein-Westfalen, Brandenburg, Sachsen-An- die blühende Nahrungspflanze Sanguisorba halt und Sachsen und wird teils als „endan- officinalis vor und während Eiablage und gered“ und teils als „vulnerable“ betrachtet. Raupenzeit nicht abgemäht wird. M. nau- Im Westen sind die Bestände von Baden- sithous hat eine sehr komplizierte Biologie, Württemberg (EBERT 1991) wohl die stärk- ist aber nicht derzeit in der EU stark gefähr- sten. Die nordostdeutschen Populationen det. Die Erhaltung dieser Art hängt vollkom- bilden einen Übergang zur univoltinen no- men von der Erhaltung der Biotope dieser minotypischen in den Niederlanden vertre- Art ab; der „strenge Schutz“ nach Anhang tenen und in Nordostpolen weit verbreiteten IV ist völlig sinnlos. Unterart. F.A. BINK betrachtet L. dispar in Deutschland insgesamt als „vulnerable“. Als Maculinea teleius (BERGSTRÄSSER, 1779) Schutzmaßnahmen schlägt F.A. BINK die Er- Nach I. WYNHOFF (in MADE & WYNHOFF haltung, Optimierung oder Wiederherstel- 1996) liegt der Schwerpunkt der deutschen lung der Habitate dieser Art vor, und zwar Verbreitung dieser Art im Süddeutschland, unter Berücksichtigung von konkretem vor allem in den Flußauen in Bayern und Ba- artspezifischen Biotopmanagement. den-Württemberg. Die Größe der Populati- on von M. teleius folgt in erster Linie der Maculinea arion (LINNAEUS, 1758) Dichte und Stärke der Wirtsameise Myrmica Nach J.A. THOMAS (in MADE & WYNHOFF scabrinodis, was bei Schutzmaßnahmen 1996) ist diese Art weltweit gemäß IUCN als berücksichtigt werden muß; darüber hinaus „vulnerable“ zu betrachten; sein Bericht be- darf die Wiesenmahd nicht zwischen Juni zieht sich hauptsächlich auf Großbritannien und Mitte September stattfinden, um die und seine Angaben über die weitere eu- blühende Nahrungspflanze Sanguisorba of- ropäische Verbreitung dieser Art sind sehr ficinalis zur Eiablage und Raupenzeit nicht unvollständig. M. arion unterliegt nur in der abzumähen. M. teleius hat eine sehr kompli- FFH-Richlinie erstaunlicher weise dem An- zierte Biologie, ist aber derzeit in der EU hang IV; außer eines „Sammelverbots“ sind nicht stark gefährdet, allerdings nach Mei- daher zunächst keine EU-weite Schutzmaß- nung des Autors dieses Beitrags deutlich nahmen vorgesehen. J. A. THOMAS – der empfindlicher als M. nausithous. Die Erhal- führende Maculinea Experte – stellt in sei- tung von M. teleius hängt vollkommen von OTAKAR KUDRNA: Die „deutschen“ Schmetterlingsarten der FFH-Richtlinie der EU 51 der Erhaltung der Biotope dieser Art ab, der kommt aber zumeist lokalisiert vor. P. pro- strenge Schutz nach Anhang IV ist völlig serpina ist nicht immer bodenständig; daher sinnlos. darf es nicht überraschen, wenn diese Art über mehrere Jahr nicht auf einer bestimm- Parnassius apollo (LINNAEUS, 1758) ten Stelle gefunden wird. Die Erhaltung die- Nach I.W. NIKUSCH (in MADE & WYNHOFF ser Art kann nur über die Erhaltung der Ha- 1996) ist diese Art in Deutschland auf den bitate erfolgen. Hierfür werden weitere In- meisten Stellen ihrer Vorkommen ausgestor- formationen über Verbreitung und Autöko- ben, obwohl seit 1936 gesetzlich geschützt. logie erforderlich. Der strenge Schutz nach Die noch übrig gebliebenen Populations- Anhang IV ist daher für die Erhaltung dieser gruppen im Moseltal (Rheinland-Pfalz), in Art bedeutungslos und behindert sogar die Schwaben (Baden-Württemberg), in Fran- Erfassung von für den Schutz notwendigen ken und in den Alpen (Bayern) sind dabei Daten. zumeist stark „endangered“. Die wichtigste Ursache des Rückganges von P. apollo ist 5. Schlußfolgerungen die Zerstörung des Habitats; die wichtigste Schutzaufgabe ist Habitatmanagement. Es Der von MADE & WYNHOFF (1996) heraus- ist bekannt, daß P. apollo erfolgreich wieder gegebene Bericht zeigt, daß im Bezug auf angesiedelt werden kann und starke Popula- die Verbreitungs- und Bestandssituation so- tionen durch das entsprechende Biotopma- wie Autökologie für die meisten Schmetter- nagement erhalten werden (KUDRNA, LUKA- lingsarten der FFH-Richtlinie in Deutschland SEK & SLAVIK 1994). Gemäß der FFH-Richtli- erhebliche Defizite vorliegen. Für keine der nie ist P. apollo nur streng geschützt vor di- Schmetterlingsarten der FFH-Richtlinie liegt rekter Nachstellung; das für die Erhaltung ein auf Deutschland bzw. das entsprechende dieser Art unverzichtbare Habitatmanage- Bundesland bezogene Artenhilfsprogramm ment ist leider nicht vorgesehen. vor. Einige Naturschutzverbände haben dennoch versucht, die Verbreitung der Arten Parnassius mnemosyne (LINNAEUS, 1758) und andere schutzrelevante Informationen Nach I.W. NIKUSCH (in MADE & WYNHOFF zu erfassen, und zwar z. T. mit Erfolg (z. B. in 1996) ist diese Art auf vielen Stellen ihrer Nordrhein-Westfalen). In der stark föderali- Vorkommen ausgestorben und die übrig ge- sierten deutschen Situation wäre es sehr bliebenen Populationen sind meistens stark sinnvoll, die gesamtdeutsche Verbreitung gefährdet: Harz, Vogelsberg [bereits ausge- der FFH-Schmetterlingsarten zu erfassen. storben?], Rhön, Alpen in Bayern Schwäbi- Diese Aufgabe könnten die Lepidopterolo- sche Alb und Schwarzwald. Die Ausführun- gen der BAG Schmetterlinge übernehmen. gen von I.W. NIKUSCH zeigen, daß artspezifi- Es wäre sehr sinnvoll, wenn die Aktivität sches Biotopmanagement für die Erhaltung in eine grobe Erfassung der gegenwärtigen dieser Art notwendig ist; konkrete Empfeh- Verbreitung aller Tagfalterarten Deutsch- lungen werden jedoch nicht gemacht und lands übergehen könnte. Als eine schnelle die Habitatbeschreibung ist nicht gerade zu- vorläufige (und dabei ziemlich genaue) Me- treffend. P. mnemosyne wird durch die FFH- thode bietet sich die Erfassung der Arten Richtlinie nur vor direkten Nachstellungen nach den Meßtischblättern TK25 oder TK50 geschützt (Anhang IV); das ist für die Erhal- durch regionale Teams von Lepidopterolo- tung dieser Art bedeutungslos und er- gen an. Die Ergebnisse dürften ziemlich ex- schwert die Erforschung der Autökologie akt und dabei bereits binnen eines oder zwei und Populationsbiologie. Jahren als provisorischer kommentierter Ver- breitungsatlas verfügbar sein. Die Erstellung Proserpinus proserpina (LINNAEUS, 1758) einer „Entomofauna Germanica“ hatte sich Nach H. HARBICH (in MADE & WYNHOFF ursprünglich als Aufgabe die Entomofauni- 1996) ist diese Art in der EU weit verbreitet, stische Gesellschaft vorgenommen. Nach 52 Insecta, Berlin, 6 (2000) mehreren Jahren liegen leider noch keine Europäische Gemeinschaft, Generaldirek- ernstzunehmenden Ergebnisse vor (es ist tion XI, Blvd. de Triomphe, B-1160 Bruxel- fraglich, ob brauchbare Ergebnisse in abseh- les. barer Zeit überhaupt erwartet werden kön- Der Umweg über eine deutsche Behörde nen!). ist (nach langjährigen Erfahrungen mit dem Es wäre sehr wünschenswert, daß die im Schutz deutscher Schmetterlinge) unbedingt NABU organisierten Lepidopterologen sich zu vermeiden. Antwortet die Behörde nicht, mehr der Erforschung der Autökologie ist eine Kopie des Schreibens an den für den schutzwürdiger Schmetterlingsarten wid- entsprechenden Wahlkreis zuständigen Eu- men. Einige der FFH-Arten haben dabei ho- ropaabgeordneten mit einer Bitte um Unter- he Priorität. Diese zumeist sehr zeitaufwen- stützung zu senden. Der Autor dieses Bei- dige Aufgabe kann jedoch nur durch enga- trags würde sich über die Zusendung von In- gierte Teams vor Ort erfolgen. formationen über diesen Weg bzw. über Er- Alle in Deutschland vorkommenden gebnisse der Anträge und für Kopien der Schmetterlingsarten der FFH-Richtlinie kön- Korrespondenz sehr freuen. nen nach Ansicht der entsprechenden Ex- In Zukunft müßte der „strenge Schutz“ perten (vgl. MADE & WYNHOFF 1996) nur nach Anhang IV nur für die Arten gewährlei- durch Habitatmanagement (s. l.) geschützt stet werden, die durch den „direkten Zu- werden; für keine der Arten wird strenger griff“ in ihrer Existenz EU-weit bedroht sind. Schutz vor direkter Nachstellung gefordert Uns ist allerdings keine solche Schmetter- (dies wurde von einigen der Experten aus- lingsart bekannt. Denn: Die potentielle ma- drücklich betont). Außerhalb Deutschlands ximale Stärke einer Schmetterlingspopulati- ist die Situation nicht unterschiedlich. Daher on hängt immer nur von der Tragfähigkeit müßten alle Schmetterlingsarten aus dem des Biotops ab. Anhang IV gestrichen und, soweit noch Die Zusammensetzung der Schmetter- nicht berücksichtigt, in den Anhang II über- lingsarten der FFH-Richtlinie erscheint einem führt werden, um sie zu erhalten. Ein ent- Fachwissenschaftler als ein sehr merkwürdi- sprechender Antrag, gegebenenfalls als Be- ges, willkürlich zusammengewürfeltes Sam- schluß des Deutschen Entomologentags, melsurium (KUDRNA & KÜHLING 1996). Der müßte an die Kommission in Brüssel gerich- Autor dieses Beitrag hat die über mehrere tet werden. Besonders dringend erforderlich Jahre angesammelten Protokolle der diesbe- ist die Ausdehnung des Anhangs II zumin- züglichen Verhandlungen der EU analysiert. dest um Coenonympha hero, Lasiommata Die Liste der Arten hat sich mehrmals gründ- achine, Parnassius apollo und P. mnemosy- lich geändert, wohl je nach dem, welcher ne, die tatsächlich gefährdet sind und durch Biobürokrat aus welchem EU-Staat auch im- den Anhang IV nicht wirkungsvoll geschützt mer sich gerade durchsetzen konnte. Im sind. Hinblick auf die Schmetterlinge wurden kei- Der Autor dieses Beitrags bittet alle Lepid- ne international anerkannten Experten zu opterologen, die seine Meinung teilen, daß Rat gezogen; natürlich betrachten sich viele die im Anhang IV geführten Arten durch den Biobürokraten aus den verschiedensten Äm- „strengen“ Schutz gar nicht geschützt sind tern als Experten! Mittelfristig ist es daher und daher schleunigst in den Anhang II unbedingt notwendig, die Zusammenset- überführt werden müssen, dies schriftlich zung der Arten der FFH-Liste so zu ändern, entweder individuell oder für Lepidopterolo- daß Arten mit hoher Schutzpriorität aufge- gen-Gruppen bzw. als Resolutionen von nommen und Arten mit niedriger Schutzpri- Entomologentagungen, der zuständigen Be- orität gestrichen werden, womit die FFH- hörde in Brüssel direkt mitzuteilen und un- Richtlinie dem Schutz der schutzwürdigen bedingt gleichzeitig eine Antwort bzw. Stel- Schmetterlingsarten (bzw. der schutzwürdi- lungnahme der Behörde zu verlangen (vgl. gen Insektenarten) auch tatsächlich dienen Anhang 1). Die Adresse ist: könnte. Diese Aufgabe – eine Revision der OTAKAR KUDRNA: Die „deutschen“ Schmetterlingsarten der FFH-Richtlinie der EU 53

Anhänge – müßte so bald wie nur möglich Anhang 1. Entwurf eines Briefes an die Eu- von einem Team international anerkannter ropäische Gemeinschaft. Experten in Angriff genommen werden. Der Europäische Gemeinschaft BFA Entomologie könnte in diesem interna- Generaldirektion XI tionalen Vorhaben federführend werden. Blvd. de Triomphe B-1160 Bruxelles Fax 0032 2 296 9556 5. Danksagung Sehr geehrte Damen und Herren, OLFRAM Herrn Dr. E. M. W danke ich für die Richtlinie 92/43/EWG stellt einen wichtigen er- die Durchsicht der Korrekturen. Den im Text sten Beitrag zum Schutz der Fauna und Flora der Eu- erwähnten Kollegen danke ich für einige In- ropäischen Gemeinschaft dar. Bedauerlicherweise sind formationen und Hinweise. die durch die Anhänge II und IV geschützten Schmet- terlingsarten ein willkürlich zusammengewürfeltes Sam- melsurium. Es ist deutlich, daß keine Beratung durch Postscriptum (7. Oktober 1999) Fachwissenschaftler in Anspruch genommen wurde, was offensichtlich auch die übrigen Insektengruppen Das Bundesamt für Naturschutz hat in- betrifft. Insgesamt ist zu sagen: zwischen mit der Erstellung eines Berichtes 1. Die Berücksichtigung einer beliebigen Nominalart über die „deutschen“ FFH-Schmetterlings- durch den Anhang II kann der Erhaltung dieser Art nicht schaden. Allerdings die Nichtberücksichtigung einer in arten zwei Planungsbüros beauftragt. Unab- den Anhang II gehörenden Art schadet und schwächt hängig davon bemühen sich einige Bundes- das Potential der Richtlinie. Die Wahl von Callimorpha länder um ähnliche Berichte. Zumindest für quadripunctaria zur „prioritären“ Art ist aus wissen- Hessen liegt ein unveröffentlichter Bericht schaftlicher Sicht absurd. vor. 2. Schmetterlingsarten können nur durch den kon- sequenten Schutz ihren Biotope (d. h. Habitate im Sinne der Richtlinie) geschützt werden. Der Schutz vor direk- 6. Literatur ter Nachstellung (d. h. vor Fangen, Stören, Töten etc.) hilft keiner gefährdeten Schmetterlingsart. Daher müs- BOLZ, R. (1998): Zur Biologie und Ökologie des Hecken- sen alle im Anhang IV aufgelisteten Schmetterlingsarten wollfalters Eriogaster catax (Linnaeus, 1758) in schleunigst gestrichen und in den Anhang II überführt Bayern. – Nachr. ent. Ver. Apollo (N.F.) 18, werden, um sie effektiv zu schützen. Übrigens: Das an- 331-340. gestrebte Monitoring des unbeabsichtigten Tötens der KUDRNA, O., & KÜHLING, M. (1996): Informationen zum im Anhang IV aufgelisteten Schmetterlingsarten ist Stand der Umsetzung der Richtlinie 92/43/EWG nicht wissenschaftlich realisierbar. des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der 3. Mittelfristig ist eine vollständige Revision der FFH- natürlichen Lebensräume sowie der wildleben- Arten unumgänglich. Die zu schützenden Arten müssen den Tiere und Pflanzen. – MittBl. BFA Entomo- nach biogeographischen Kriterien (aus europäischer logie 1996, (1), [1-6]. Sicht betrachtet!) durch anerkannte Fachwissenschaft- KUDRNA, O., LUKASEK, J., & SLAVIK, B. (1994): Zur Erfolg- reichen Wiederansiedlung von Parnassius apol- ler ausgewählt werden. lo (Linnaeus, 1758) in Tschechien. – Oedippus Bitte teilen Sie mir umgehend mit, welche von die- 9, 1-37. sen Empfehlungen Sie realisieren werden, und wann es MADE, J. VAN DER, & WYNHOFF, I. (1996): Lepidoptera – dazu kommt. Fall Sie eine andere Meinung haben, bitte butterflies and . In: Background informati- ich Sie diese wissenschaftlich zu begründen. Vielen on on the invertebrates of the Habitat Directive Dank im voraus. and the Bern Convention. – Nature Environ. 79, 75-217. Hochachtungsvoll, Dr. O. Kudrna

Anschrift des Verfassers: Dr. O. KUDRNA, Mapping European Butterflies (MEB), Brombergstr. 6, D-97424 Schweinfurt Insecta, Berlin, 6 (2000), Seite 54-56

RONALD SCHILLER & MARIO GRAUL, Leipzig

Zur Situation von Euphydryas maturna, Maculinea nausithous und M. teleius in der Region Leipzig – Ein Zwischenbericht

Einleitung mologen gefunden (REINHARDT 1983). Die Angaben dokumentieren ein konstantes Alle drei Tagfalterarten, Euphydryas ma- Vorkommen, das sich auf wenige, mehr turna, Maculinea nausithous und M. teleius, oder weniger dicht beieinander liegende, werden sowohl im Anhang II als auch im Gebiete konzentrierte. In den übrigen Ge- Anhang IV der sogenannten „FFH-Richtli- bieten Nordwestsachsens ist der Eschen- nie“ (Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom scheckenfalter seit Jahrzehnten nicht mehr 21. Mai 1992) aufgelistet, für sie sind also beobachtet worden. Schutzgebiete auszuweisen, außerdem gel- Seit 1982 werden die Bestandssituation ten Artenschutzmaßnahmen. Seit Mitte der regelmäßig erfaßt und Beobachtungsdaten 80er Jahre werden im Naturkundemuseum anderer Leipziger Entomologen gesammelt. Leipzig zum Vorkommen dieser Arten im Mitte der 80er Jahre waren zwei eng be- Leipziger Raum gezielt Erhebungen durch- grenzte, individuenreiche Flugplätze be- geführt, um die aktuelle Verbreitung und kannt, an denen auch erwachsene Raupen Bestandsentwicklung im Leipziger Raum zu und Puppen gefunden wurden. Außerhalb dokumentieren und Beobachtungen zur Le- dieser Flächen lagen nur vereinzelte Falter- bensweise zu sammeln. Da diese Vorhaben beobachtungen vor. Anfang der 90er Jahre noch nicht abgeschlossen sind, werden die gab es nur noch Einzelbeobachtungen in bisher vorliegenden Erkenntnisse zusam- verschiedenen Gebietsteilen. Im Frühsom- mengefaßt und der aktuelle Kenntnisstand mer 1997 fanden die Autoren mehrere bis dargestellt. dahin unbekannte Flugplätze. Dort konnten auch Eigelege und die Entwicklung der Rau- pennester beobachtet werden. Auch für Eschenscheckenfalter – 1998 gibt es von diesen Standorten Falter- Euphydryas maturna nachweise, die Individuenzahlen lagen über Bereits seit dem 19. Jahrhundert wird der denen von 1997. Allerdings fehlen von den Eschenscheckenfalter aus der Umgebung in den 80er Jahren bekannten Standorten Leipzigs mehr oder weniger regelmäßig ge- Funde. meldet. Um die Jahrhundertwende besiedel- Die Falter fanden wir 1997 zwischen dem te er, betrachtet man die Sammlungsbelege 17. und 25. Juni, im folgenden Jahr ca. 14 im Naturkundemuseum Leipzig, die Lokal- Tage früher, vorwiegend auf Zaungiersch faunen und die Tagebücher des Leipziger (Aegopodium podagraria) und anderen Entomologen Alexander REICHERT, anschei- Apiaceen entlang von Waldwegen und nend alle größeren Waldgebiete in Nord- Waldsäumen und im Randbereich von Wie- westsachsen entlang der Weißen Elster, sen. Mehrere Männchen besetzten einzeln- Pleiße und Parthe, im Süden bis nach stehende Eschen und andere Büsche in An- Thüringen, im Nordwesten bis in die Umge- pflanzungen oder Waldmänteln, zu denen bung von Merseburg in Sachsen-Anhalt. sie immer wieder zurückkehrten. Nach einer starken Vermehrung in den 50er Die Eiablage erfolgte auf südexponierten Jahren unseres Jahrhunderts wurde die Art Eschenblättern in einer Höhe zwischen 2 in der Folgezeit nur noch von wenigen Ento- und 4 m an Wegrändern und in Waldmän- R. SCHILLER & M. GRAUL: Situation von Euphydryas maturna, Maculinea nausithous und M. teleius 55 teln. Die Standorte müssen luftfeucht, son- Wiesenknopf-Ameisenbläulinge – nenbeschienen und warm sein. Die ersten Maculinea nausithous und M. teleius Raupen schlüpften Anfang Juli. Am 30. Juli Der Leipziger Raum ist auch einer der waren die Nester nahezu vollständig verlas- Verbreitungsschwerpunkte beider Wiesen- sen. Allerdings ließen auch danach die gut knopf-Ameisenbläulinge in Sachsen. Hier ist kenntlichen und charakteristischen Nester M. nausithous in geeigneten Lebensräumen eine weitere Suche zu. Nach starken Regen- häufig, insgesamt sind ca. 20 aktuelle Vor- fällen im Juni 1998 waren allerdings keine kommen nachgewiesen, wobei die Art zwi- besetzten Raupennester mehr zu finden. schen Mulde und Elbe deutlich seltener wird. Aussagen über das Verhalten der über- Für M. teleius sind dagegen nur 3 Standorte winterten Raupen sowie die Verpuppung bekannt. Im Vergleich zu den 40er und 50er lassen sich bisher nur an Hand der Beobach- Jahren hat es bei diesen beiden Arten an- tungen aus den 80er Jahren machen. Da- scheinend einen Häufigkeitswechsel gege- mals wurden die Raupen in der letzten April- ben. Damals war M. teleius deutlich häufi- und der ersten Maidekade, vor dem Austrieb ger (SCHELLHAMMER mdl.). der Gehölze, gefunden. Auffällig war, daß Beide Arten besiedeln in Nordwestsach- viele Raupen auf besonnten Stammstücken sen nasse bis wechselfeuchte Wiesen mit Be- oder Baumstubben beobachtet wurden. Als ständen des Wiesenknopfes. M. nausithous Habitate kamen sowohl Wegränder mit älte- lebt darüber hinaus auch auf relativ trocke- ren Eschen als auch Schonungen in der Nähe nen Wiesenbrachen, sofern der Wiesen- der Falterhabitate in Frage. Die Verpuppung knopf vorkommt. erfolgte an Jungbäumen (Esche und Ahorn) Typische Habitate in Deutschland sind an- in ca. 1m Höhe. Unter Zuchtbedingungen scheinend Feuchtwiesenkomplexe. Je nach fraßen die Raupen an Ehrenpreis und Witterungsverlauf fliegen die Falter von Juli Spitzwegerich. bis August. Die Blütenköpfe des Wiesen- Diese Beobachtungen decken sich im we- knopfes sind Schlafplatz, Nektarquelle und sentlichen mit denen anderer Autoren, bei- Eiablagemedium. Auch die Paarung findet spielsweise BOLZ (1995), EBERT & RENNWALD hier statt. Die Jungraupen bohren sich in die (1991) und WEIDEMANN (1995). Auch im Lei- Blüten ein und fressen sie aus. Im Herbst pziger Raum neigt der Eschenscheckenfalter verlassen sie die Blütenköpfe und werden zu starken Häufigkeitsschwankungen, besie- von den Wirtsameisen in die Nester ge- delt Habitate nur einen begrenzten Zeitraum bracht. Die Verpuppung erfolgt im Nest, das und stellt hohe Ansprüche an das Mikrokli- der Falter im folgenden Sommer verläßt. Die ma des Eiablageortes. vorhandenen Erkenntnisse sind durchaus wi- Es gibt Bestrebungen, für das Gebiet, in dersprüchlich und es besteht noch erhebli- dem die Vorkommen liegen, eine umfassen- cher Forschungsbedarf (vgl. beispielsweise de Pflegekonzeption zu erarbeiten. Dabei EBERT & RENNWALD 1991a und WEIDEMANN sind die Forstämter einbezogen, mit denen 1995). enger Kontakt besteht, und die, wie die Na- Primäre Gefährdungsursachen sind mit turschutzbehörden, über das Vorkommen der Veränderung oder Beseitigung der Le- informiert sind. Nachfragen ergaben, daß in bensräume verbunden, dazu zählen die der Region keine Insektizide eingesetzt wer- Trockenlegung von Feuchtwiesenkomple- den sollen. Außerdem sind Flächen für klein- xen, die Bebauung oder Aufforstung von Le- flächige Eschenanpflanzungen und Mittel- bensräumen, die Aufgabe der Steuwiesen- waldbewirtschaftung vorgesehen. In abseh- nutzung und die Nutzungsintensivierung barer Zeit sind durch die in den letzten Jah- durch vermehrte Düngung und Mahd. Ein ren erfolgten Anpflanzungen genügend ge- nicht zu unterschätzender Faktor ist die eignete Strukturen vorhanden, ob und wie falsche Bewirtschaftung der Flächen. Ein zu sie von der Art angenommen werden, ist al- später Beginn der Mahd im Frühsommer lerdings noch offen. 56 Insecta, Berlin, 6 (2000) verzögert das Aufwachsen des Wiesenknop- mehr stabile Populationen existieren, als uns fes, so daß blühende Pflanzen zur Flugzeit bekannt sind. Es drängt sich die Vermutung fehlen (siehe Lebenszyklus). Im August oder auf, das geeignete Strukturen vor allem zur Anfang September würden bei der Mahd Eiablage nur einen begrenzten Zeitraum exi- Blütenköpfe mit Eiern und Jungraupen ent- stieren und deshalb die Art innerhalb des fernt und damit das Eintragen der Jungrau- Gebietes ständig nachwachsende Junge- pen in Ameisennester verhindert werden. schen benötigt. Wir sind noch zu keinem ab- Pflegemaßnahmen in Schutzgebieten, aus schließenden Urteil über die effektivste denen die Art nachgewiesen ist, müssen sich Schutzstrategie gekommen, halten aber unbedingt an den Lebensansprüchen dieser Plänterwirtschaft mit anschließender Wie- Art orientieren. Dazu gehören frühzeitige deraufforstung mit Eschen, simulierte Mit- Mahd (spätestens am 15. Juni) oder nur telwaldbewirtschaftung sowie Erhalt oder kleinflächige Eingriffe in den Sommermona- Einbringen von Jungeschen in Waldmänteln ten, keine schwere Technik, keine Herbizide. für günstig. Notwendige Eingriffe im Spätsommer oder Auf absehbare Zeit stabil dürften die Le- Herbst sollten nicht vor dem 15. September bensbedingungen für Maculinea nausithous und möglichst kleinflächig mit stark wech- sein, denn es gibt genügend Flächen mit selnden Schnitterminen erfolgen. Wiesenknopf, die nicht oder nur sporadisch Alle Vorkommen von M. teleius im Leip- gemäht werden. Wir streben an, daß überall ziger Raum liegen in Schutzgebieten, eines dort wo der Naturschutz Einfluß nehmen wird von M. GRAUL betreut, die beiden an- kann, zumindest Teile der Fläche mit Wie- deren von NABU-Mitgliedern, wobei eine senknopf nicht oder entsprechend des o. g. Fläche als Orchideenstandort bekannt ist Regimes gemäht werden. und entsprechend gepflegt wird. M. nau- sithous ist aus mehreren FND und NSG be- kannt, soweit es möglich ist, wird versucht Literatur auch hier Einfluß auf die Pflegemaßnahmen BOLZ, R.: Bestandsentwicklung der Tagfalter in den Jah- zu nehmen, allerdings stehen dem Förder- ren 1993/1994 in Dimilin- und Btk-behandelten Eichenwäldern Mittelfrankens nach einer richtlinien im Wege (Wiesenpflege wird erst Schwammspinner-(Lymantria dispar) kalamität, ab! dem 15. Juni gefördert). dargestellt am Beispiel NSG „Gräfholz-Dachs- berge“ und dessen Umgebung (Lepidoptera: Diurna). – Beitr. z. bayrischen Entomofaunistik Ausblick 1, 63 – 75. EBERT, G., & RENNWALD, E. (1991): Die Schmetterlinge Nach unserer Ansicht ist Maculinea telei- Baden-Württembergs, Bd. 1: Tagfalter I. – Stutt- us auf Grund der geringen Dichte aktueller gart (Ulmer), 552 S. Flugplätze im Leipziger Raum am stärksten EBERT, G., & RENNWALD, E. (1991a): Die Schmetterlinge Baden-Württembergs, Bd. 1: Tagfalter II. – gefährdet. Zumindest einer der Standorte ist Stuttgart (Ulmer), 535 S. so isoliert und von Straßen umgeben, daß REINHARDT, R. (1983): Beiträge zur Insektenfauna der die Population durch äußere Einflüsse jeder- DDR: Lepidoptera – Rhopalocera et Hesperi- zeit zusammenbrechen kann. idae. Teil II.- Ent. Nachr. Ber. Beiheft Nr. 2 WEIDEMANN, H.-J. (1995): Tagfalter: beobachten, be- Für Euphydryas maturna kann man nur stimmen, 2. Aufl..- Augsburg (Naturbuchver- hoffen, daß im Gesamtverbreitungsgebiet lag), 659S.

Anschrift der Verfasser: RONALD SCHILLER & MARIO GRAUL, Naturkundemuseum Leipzig, Lortzingstraße 3, D-04105 Leipzig Insecta, Berlin, 6 (2000), Seite 57-58

JENS KLEINEKUHLE, Oldenburg

Zur Großschmetterlingsfauna (Macrolepidoptera) einer intensiv ge- nutzten Agrarlandschaft im Emsland (südwestliches Niedersachsen)

Weite Bereiche einer ehemals durch der Fläche als weitgehend natürlich (vgl. Feuchtgebiete geprägten Naturlandschaft NIEDRINGHAUS 1997). im nordwestdeutschen Raum werden heute In dem 825 Hektar großen, fünf Kilome- intensiv landwirtschaftlich genutzt und de- ter östlich der Stadt Lingen (Emsland) gele- ren naturnahe Reste sind zumeist nur noch genen, ehemals durch naturnahe Feuchtge- fragmentarisch und isoliert vorhanden. Zu- biete geprägten Bereich, wurde u.a. die dor- nehmende Intensivierung der Landwirt- tige Zusammensetzung der Lepidopterenzö- schaft (Düngung, Flächenverbrauch, Melio- nose untersucht. Die qualitative und quanti- rationsmaßnahmen usw.), aber auch der tative Erfassung der tagaktiven Arten be- Forstwirtschaft (Hochwaldwirtschaft, An- schränkte sich auf vier komplette Begehun- pflanzungen von standortfremden Gehöl- gen des Untersuchungsgebietes bei weitge- zen, Beseitigung von Rand- u. Saumstruktu- hend optimalen Bedingungen pro Jahr. Die ren usw.) spiegelt sich in der Zusammenset- nachtaktiven Arten wurden mit unterschied- zung der Lepidopterenzönose wider und licher Intensität (vor allem während der Re- äußert sich häufig in einem dramatischen naturierungsmaßnahmen) an 10 verschiede- Rückgang spezialisierter Arten und zugun- nen Probepunkten, an vier bis fünf Leucht- sten weniger Ubiquisten. tagen pro Jahr erfaßt (vgl. KLEINEKUHLE Im Rahmen des Entwicklungs- und Erpro- 1997). bungsprojektes „Wiederherstellung regions- In der ersten Stufe des Projektes (Inventa- typischer Biotope in der Agrarlandschaft“ risierungsphase) von 1989 bis zum Beginn sollte in einer solchen intensiv genutzten der ersten Renaturierungsmaßnahmen 1995 Agrarlandschaft bei Lingen an der Ems an- wurden 17 Rhopaloceren-, drei Hesperiiden- hand mehrjähriger, umfangreicher Erfassun- arten und von 1990 bis 1995/96 wurden gen zunächst die Bestandssituation der Flora 282 (inklusive 3 unsicherer Artnachweise) und ausgewählter Tiergruppen dokumen- Heteroceren-Arten nachgewiesen. tiert werden. Die dortige Tagfalterzönose setzt sich Gesamtziel des Projektes ist es mittels ei- überwiegend aus Ubiquisten und Wander- nes ökologischen Entwicklungskonzeptes die faltern zusammen, und entspricht weitest- charakteristischen, naturnahen Landschafts- gehend der einer intensiv landwirtschaftlich elemente zu erhalten, die Leistungsfähigkeit genutzten Agrarlandschaft. des Naturhaushalts zu stärken, so daß sich Die Heteroceren-Gemeinschaft hingegen die Lebensbedingungen für die Flora und besitzt ein großes Potential an gefährdeten Fauna in diesem Landschaftsausschnitt und/oder feuchtgebietstypischen Arten. nachhaltig und dauerhaft verbessern (vgl. Knapp ein Drittel des im Gebiet festgestell- JANIESCH et al. 1997). ten Arteninventars (79 Arten = 28 %) wird Zu Beginn der Untersuchung stellte sich auf der Roten Liste Niedersachsens geführt. die Nutzung des Gebietes wie folgt dar: Insgesamt wurden dort 72 feuchtgebietsty- 15% Siedlungsflächen, 80% landwirtschaft- pische oder für Erlen-Bruchwälder als Indika- liche Nutzflächen (davon 60% Ackerland torarten zu bezeichnende Nachtfalterarten von dem 70% mit Mais bestellt war), 7% nachgewiesen. Nur 11 der nachgewiesenen der Fläche konnte noch im weitesten Sinne Heterocerenarten, die überwiegend an Na- als naturnah bezeichnet werden und nur 1% delgehölze gebunden sind, müssen als na- 58 Insecta, Berlin, 6 (2000) turraumfremd bezeichnet werden (vgl. bislang noch in keinem anderen Teil des Un- KLEINEKUHLE 1997). tersuchungsgebietes nachgewiesen wurden. Die zweite Stufe des Projektes von 1995 Dennoch ist es fraglich, ob diese Maß- bis 1999, eingeleitet durch die ersten gestal- nahmen für einige im Gebiet vorkommende terischen Maßnahmen auf einer angekauf- stark gefährdete oder vom Aussterben be- ten Fläche von ca. 110 Hektar, kann als Effi- drohte Arten, wie z. B. Thetea ocularis L., zienzkontrolle bezeichnet werden. Epicnaptera tremulifolia HBN. und Spudea Von 1995 bis 1998 wurden 20 Rhopalo- ruticilla ESP., nicht zu spät kamen. Weiterhin ceren- und drei Hesperiiden-Arten nachge- ist es fraglich, ob das Potential der Umge- wiesen, alle Arten der vorherigen Erfas- bung ausreicht, um einen Zuzug weiterer sungsjahre konnten bestätigt werden. Es Arten zu diesen optimierten Biotopen zu ge- wurde festgestellt, daß die wenigen Arten, währleisten. Besonders augenscheinlich wird denen eine Indikatorfunktion im weitesten dieses Problem anhand der Tagfalterfauna. Sinn zuzuordnen ist, quantitativ stark zuge- Mittlerweile weisen große Flächenanteile nommen haben. des nordwestdeutschen Flachlandes eine Art Nach bisheriger Auswertung wurden in „Einheitstagfalterfauna“ auf, die ungefähr diesem Zeitraum 267 Nachtfalterarten, von der des Untersuchungsgebietes entspricht. denen 74 Arten auf der Roten Liste geführt Anspruchsvolle und besonders spezialisierte werden im Untersuchungsgebiet nachge- Arten kommen meist nur noch in kleinräu- wiesen. migen verinselten Lebensräumen vor, die Über den gesamten Zeitraum (1990 bis häufig von „Agrarsteppen“ umgeben sind. 1998) wurden somit 303 Heterocerenarten Ohne Vernetzung dieser verinselten Lebens- erfaßt; 36 Arten, die in der Inventarisie- räume kann es nur schwerlich zum Individu- rungsphase belegt wurden, davon 22 Arten enaustausch zwischen verschiedenen Popu- der Roten Liste, wurden bislang nicht wieder lationen und zur Ausbreitung dieser Arten bestätigt. kommen. Während der Inventarisierungsphase Obwohl kurz nach Einleitung der Maß- (1989 bis 1996) hat sich gezeigt, daß auch nahmen die ersten Erfolge des Projektes ein stark anthropogen gestörter und intensiv sichtbar wurden, sollte nicht über die Tatsa- landwirtschaftlich genutzter Lebensraum ein che hinweggesehen werden, daß im glei- großes Artenpotential beherbergen kann. chen Atemzug intakte Feuchtgebiete im In den Jahren von 1997 bis 1998 haben Nordwesten Niedersachsens und anderswo die feuchtgebietstypischen Arten quantitativ großflächig zerstört werden. zugenommen, hingegen die Ubiquisten Literatur quantitativ stark abgenommen. Es ist daher davon auszugehen, daß sich für viele JANIESCH, P., VON LEMM, R., & NIEDRINGHAUS, R. (1997): Feuchtgebietsarten, die sich im Untersu- Das biotische Potential einer intensiv genutzten Agrarlandschaft in Nordwestdeutschland – Leit- chungsgebiet halten konnten, der Lebens- bildorientierte Bewertung des Status quo an- raum durch einschneidende Renaturierungs- hand der Flora und Fauna. – Abh. Westf. Mus. maßnahmen erheblich verbessert hat. Auch Naturkunde 59(4), 237-255. wurden neue Lebensräume geschaffen wie KLEINEKUHLE, J. (1997): Die Großschmetterlingsfauna (Macrolepidoptera) einer intensiv genutzten z. B. die Trockenrasen im Randbereich des Agrarlandschaft in Nordwestdeutschland. – neu angelegten ca. 30 Hektar großen Abh. Westf. Mus. Naturkunde 59(4), 147-164. Großen Brögberner Teiches. In diesem Be- NIEDRINGHAUS, R. (1997): Die Bestandssituation der Fau- na einer intensiv genutzten Agrarlandschaft in reich sind offensichtlich zahlreiche Arten zu- Nordwestdeutschland – Konzept, Zielrichtung gewandert (u. a. Zygaena filipendulae L., und Ablauf des Untersuchungsprogramms. – Procris statices L., Lythria purpurata L.), die Abh. Westf. Mus. Naturkunde 59(4), 75-88.

Anschrift des Verfassers: JENS KLEINEKUHLE, Rauhenorst 130, D-26127 Oldenburg Insecta, Berlin, 6 (2000), Seite 59-60

KARL-HEINZ JELINEK, Erftstadt

Callimorpha quadripunctaria – eine geeignete FFH-Art?

Callimorpha quadripunctaria ist bekannt Eichen-Hainbuchenwälder auf pseudover- als Bewohner von Felsformationen (KINKLER, gleyten Böden mit einem teilweise erheb- 1997) und kommt im Rheinland in Mosel-, lichen Anteil an Winterlinde im Ahr- und Rheintal vor. In den vergange- In diesen Wäldern auf nährstoffreichen nen Jahren wurden Tendenzen zur Ausbrei- Böden, die durch die Lage im Lee der Eifel tung in die nördlichen (felslosen) Teile des besonders warm und trocken sind (Jahres- Rheinlandes beobachtet. So wurden 1997 niederschlag nur wenig über 600 mm) tritt Einzelfunde in Erftstadt-Bliesheim westlich als charakteristischer Tagfalter besonders von Köln und bei Neuss am Niederrhein ge- Pyronia tithonus in Erscheinung. Weitere macht. Die Beobachtung von über 40 Fal- typische Arten sind Apatura iris und Limeni- tern im August 1998 auf einem relativ klei- tis camilla, lokal auch Apatura ilia und Clos- nen Areal im Braunkohletagebau Bergheim siana euphrosyne. Bei den nachtaktiven Ar- westlich von Köln wirft nun eine Reihe von ten fallen besonders Selenia lunaria und Fragen auf: Drepana harpagula auf. – Welche Arten sollten im Anhang der FFH- Richtlinie aufgeführt werden? Rotbuchenmischwalder mit größeren Be- – Welche Funktion soll die Artenliste im ständen von Ilex in der Strauchschicht FFH-Anhang haben? In diesen Wäldern konnten in den letzten – Ist es möglich, für alle FFH-Biotoptypen Jahren keine für den Waldtyp charakteristi- Charakterarten festzulegen? schen Schmetterlinge beobachtet werden. – Welche Biotoptypen wollen wir über- haupt schützen? Für einige feuchte Bereiche einiger Wälder – Welche Relevanz sollten Sekundärbiotope ist Callimorpha dominula darüber hinaus bezüglich ihrer Schutzwürdigkeit erhal- charakteristisch. ten? Sicherlich handelt es sich bei diesen Wäl- dern um Reste des Naturerbes der Region Die Region westlich von Köln ist geprägt westlich von Köln, selbst wenn man berück- durch ertragreiche Lößböden, die überwie- sichtigt, daß die Wälder seit über tausend gend intensiv durch Ackerbau genutzt wer- Jahren schon stark durch menschliche Wirt- den. Bei den Flächen, die als Schutzgebiete schaftsweisen geprägt wurden. Es sollte ein nach der FFH-Richtlinie in Frage kommen, Ziel des Naturschutzes sein, diese Relikte zu handelt es sich fast ausschließlich um natur- erhalten. Unter den typischen Schmetter- nahe Wälder. lingsarten dieser Wälder befindet sich keine FFH-Art. Ehemalige Hartholzauen, die durch die Grundwasserabsenkung infolge der Braun- Neben der intensiven landwirtschaftlichen kohletagebaue keinen wesentlichen Über- Nutzung hat die Ausbeutung der Braun- schwemmungen mehr ausgesetzt sind kohlevorräte in Großtagebauen im Laufe In solchen eutrophierten Biotopen finden dieses Jahrhunderts immer größere Aus- wir keine charakteristischen Schmetterlinge maße angenommen. Dem Tagebau Ham- der Auengebiete mehr. bach fällt denn auch mit dem Bürgewald der 60 Insecta, Berlin, 6 (2000) bedeutendste Flachlandwald der Niederrhei- besonders zu schützen, würde aber wenig nischen Bucht zum Opfer. In den Tagebauen Sinn machen. entstehen temporär Landschaften, die Fels- – Wenn durch den Anhang der FFH-Richtli- formationen durchaus ähnlich sind. Am nie besondere Arten geschützt werden Westhang eines Vorgebirges der Eifel, dem sollen, dürfen nur Raritäten der europäi- etwa 60 Meter über die Flußauen aufragen- schen Fauna in dieser Liste enthalten sein. den Höhenzug der Ville, liegt der Tagebau – Der Gedanke an einen Schutz von regio- Bergheim. Oberhalb des eigentlichen Tiefta- nal typischen Sekundärbiotopen, z. B. gebaues, wo durch Gräben und Tümpel Nie- ehemaligen Braunkohletagebauen im derschlagswasser vor dem Eindringen in tie- rheinischen Revier, sollte nicht wegen fere Bereiche des Tagebaues gehindert wird, tagesaktuellen Naturschutzideologien fand ich überwiegend an Wasserdost mehr verworfen werden. als 40 Falter von Callimorpha quadripuncta- ria. Grundsätzlich sind die Elemente, die die Literatur Art scheinbar benötigt, dort vorhanden: ,,Felsformationen“, Wasser und Wald – nur KINKLER, H. (1997): Felsformationen, in: LÖBF (Hrsg.): Praxishandbuch Schmetterlingsschutz. – LÖBF- in anderer Anordnung als in den natürlichen Reihe Artenschutz, Band 1, S. 96-101. Lebensräumen. Das Wasser befindet sich EBERT, G. (Hrsg.) (1991-1998): Die Schmetterlinge Ba- nicht ganz unten im Tal, sondern oberhalb den-Württmbergs. – Eugen Ulmer, Stuttgart. der Ersatzfelsen. Callimorpha quadripunctaria ist also in der Lage sich ähnlich wie eine Pionierart auszubreiten und Sekundärbiotope zu besie- deln. Dies zeigt sich um so mehr in klima- tisch wärmeren Regionen. In Baden-Würt- temberg findet man die Art in ihren Verbrei- tungsgebieten häufig an Wegrändern. Sie wird dort folglich auch nicht auf der Roten Liste geführt.

Folgerungen

– Arten mit Pioniercharakter sollten grundsätzlich nicht in den Anhang der FFH-Richtlinie aufgenommen werden. – Wenn durch den Anhang der FFH-Richtli- nie Charakterarten für jeden FFH- Biotoptyp festgelegt werden sollen, könn- te die Liste verwendet werden, um die Entscheidung über den Wert eines Gebie- tes zu erleichtern. Die Arten müssen dann noch nicht einmal extrem selten sein. Wichtig ist die klare Biotopbindung. Dies herauszufinden ist mit Sicherheit ein schwieriges Vorhaben. Solche Arten dann

Anschrift des Verfassers: KARL-HEINZ JELINEK, Zehntwall 3, D-50374 Erftstadt Insecta, Berlin, 6 (2000), Seite 61-96

PETER SPRICK, Hannover

Eignung einer Insektengruppe für die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der EU (92/43/EWG, 21. Mai 1992) am Beispiel der Rüsselkäfer- Unterfamilie Bagoinae (Col., ) (Beiträge zur Ökologie phytophager Käfer III)1

1. Einleitung doch sind Schmetterlinge völlig anders an Lebensräume gebunden als Käfer. So kön- Aufgrund der Unausgewogenheit der nen sich bei Tag- und Nachtfaltern Imaginal- Auswahl der Insekten der Fauna-Flora-Habi- und Larvalhabitat voneinander unterschei- tat-Richtlinie (FFH-Richtlinie) wurde der den (Sommerlebensräume), während diese Versuch unternommen, Kriterien zu finden bei den phytophagen Rüsselkäfern identisch und ein Prüfschema zu entwickeln, um die sind: Ursache ist die im Vergleich zu vielen Aufnahme einer Wirbellosen-Art in die FFH- Lepidopteren vergleichsweise geringe Mobi- Richtlinie auf eine gut begründete Basis zu lität phytophager Käfer, die oft im Zusam- stellen. Für Insektenarten allgemein gültige menhang mit einem geringen Wiederbe- Kriterien werden in dem Beitrag von MÜLLER- siedlungspotential steht. Durch die Prüfung MOTZFELD (siehe Seite 34 ff.) diskutiert. Im der Bagoinae auf ihre Eignung als FFH-Arten vorliegenden Beitrag wird eine solche Prü- sollen die oft vernachlässigten phytophagen fung am Beispiel der Rüsselkäfer-Unterfami- Käfer nicht zuletzt auch mehr in den Blick- lie Bagoinae exemplarisch erläutert. punkt des Naturschutzes gerückt werden. Bei der Analyse der Artenzusammenset- Die Prüfung einer Eignung als FFH-Art zung der Käfer in der FFH-Richtlinie fällt auf, umfaßt als einen wesentlichen Teil die Ana- daß dort vor allem große holzbewohnende lyse von Raumrelevanz und Risikopotential. Arten, ein Laufkäfer sowie drei gewässerbe- Dazu werden Verbreitung, Gefährdung, Le- wohnende Arten aufgenommen worden bensweise, Habitat- bzw. Biotopbindung sind (vgl. SSYMANK et al. 1998). Phytophage näher betrachtet (s. auch MÜLLER-MOTZFELD Käferarten, die einen großen Teil der heimi- et al. 1997). Bei phytophagen Formen ste- schen Tierarten bilden und mit den Rüssel- hen auch die Wirtspflanzenbindung und die und Blattkäfern über zwei der vier arten- Larvalentwicklung als wesentliche Kom- reichsten Käferfamilien verfügen (vgl. KÖH- ponenten der trophischen Nische im Blick- LER & KLAUSNITZER 1998) und einen durchaus punkt. Lebensweise, Flugaktivität, Aus- nennenswerten Anteil an der Biodiversität breitungsvermögen bzw. Neubesiedlungsra- Deutschlands haben, sind dagegen nicht te sowie Gefährdungsursachen sind wichtige berücksichtigt. In einem der Nachträge zur Kenngrößen zur Einschätzung des Risikopo- FFH-Richtlinie findet sich lediglich der nur in tentials. Nordeuropa vorkommende aquatische Blatt- Bevor bestimmte Arten als FFH-Arten käfer Macroplea pubipennis. Zwar sind die vorgeschlagen werden können, wird ge- gleichfalls phytophagen Lepidopteren mit prüft, ob die Schwerpunktlebensräume der mehreren Arten aufgenommen worden, Arten durch die FFH-Lebensraumdefinitio- nen ausreichend abgedeckt sind; des weite- ren sollen die Schwerpunktlebensräume po- 1 Beiträge zur Ökologie phytophager Käfer II vgl. tentieller FFH-Arten mit den erfolgten SPRICK (1997) Gebietsmeldungen verglichen werden. Die 62 Insecta, Berlin, 6 (2000) wichtigsten Inhalte des gesamten Prüfver- Arten sind Stillgewässer, und zwar vor allem fahrens sind in Tabelle 1 zusammengefaßt. pflanzenreiche (oligo-), meso- bis eutrophe Anhand dieses Verfahrens werden alle Ar- Altarme, Weiher, Kolke, Teiche, Teichgrä- ten der Rüsselkäfer-Unterfamilie Bagoinae ben, langsam fließende Gewässer, Seen und daraufhin untersucht, ob sie für eine Auf- große Flüsse, nasse Wiesen und in Einzelfäl- nahme in die FFH-Richtlinie geeignet sein len auch dystrophe Gewässer, Moore, Salz- könnten. Dabei werden die Inhalte der Prü- sümpfe und Trockenrasen. Schwerpunkte fung näher erläutert. Auf die Monitoring- des Vorkommens liegen in den Strom- und Fähigkeit der Arten (Bestimmbarkeit, Nach- Flußtälern, in ausgedehnten Feuchtgebieten weismethodik) wird ebenfalls eingegangen. (z. B. Drömling), Teichgebieten (z. B. Lausit- Die Bagoinae sind mit 26 Arten in zer Teichgebiet) und Seenlandschaften, wie Deutschland vertreten. Lebensräume dieser sie in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpom-

Tabelle 1. Ablaufschema zur Prüfung von Insekten hinsichtlich ihrer Eignung zur Aufnahme in den Anhang II der FFH-Richtlinie

1. Raumrelevanz Liegt der Verbreitungsschwerpunkt der betreffenden Art in Europa? Kann durch den Schutz in Europa ein wesentlicher Beitrag zum Fortbestand der Art im Gesamtareal gelei- stet werden? Besteht eine „Besondere Schutzverantwortung“? ➪➪➪

2. Risikopotential/ Gefährdung Ist aufgrund der Lebensweise oder der Bindung an spezielle Habitate/Biotope/Son- derstrukturen bzw. Standortfaktoren eine besonders hohe Gefährdung aktuell oder po- tentiell gegeben? Wichtige Kriterien zur Beurteilung des Risikopotentials sind: Ausbrei- tungsfähigkeit, Flugvermögen und -aktivität, Neubesiedlungsrate, Habitatbindung, Wirtspflanzenbindung (vor allem bei phytophagen Arten), Häufigkeit/Seltenheit, Gefähr- dungsursachen, Reaktion auf anthropogene Umweltveränderungen

3. Abdeckung durch die Lebensraumtypen der FFH-Richtlinie Ist der Schwerpunktlebensraum der betreffenden Art durch die FFH-Lebensraumtypen (bzw. die Definition der Lebensraumtypen) ausreichend berücksichtigt?

4. Vergleich der gemeldeten FFH-Gebiete mit den bekannten Fundorten potentieller FFH-Arten Sind die Fundorte der betreffenden Art durch die bereits erfolgten Gebietsmeldungen in ausreichendem Umfang geschützt? PETER SPRICK: Eignung einer Insektengruppe für die FFH-Richtlinie am Beispiel der Bagoinae 63 mern, Schleswig-Holstein oder Bayern vor- 2. Gesamtverbreitung der in Deutschland handen sind. In Gebirgen sind nur wenige vorkommenden Bagoinae Arten vertreten; aus dem Harz sind beispiels- weise überhaupt keine Bagous-Arten be- Zur Prüfung der Raumrelevanz wird im kannt (SCHNEIDER 1997). Die Arten sind in Folgenden die Verbreitung der 26 deutschen der Regel mono- oder oligophag, besitzen Arten der Unterfamilie Bagoinae vorgestellt. ein geringes Ausbreitungs- bzw. Wiederbe- Die Verbreitungsangaben sind SILFVERBERG siedlungsvermögen und sind empfindlich (1979), DIECKMANN (1983), HYMAN (1992), gegen Umweltverschmutzungen. Sie sind HEIJERMAN (1993), MORRIS (1993), LUNDBERG darüber hinaus an Lebensräume gebunden, (1995), HANSEN (1996), JEGOROV et al. die für große Teile Deutschlands charakteri- (1996), TELNOV et al. (1997), CALDARA & stisch sind. Dadurch erfüllen sie eine Reihe O'BRIEN (1998) und PALM (schriftl. Mittei- von Voraussetzungen, die sie als phytopha- lung 1999) entnommen. Die Anordnung der ge Käfergruppe für eine nähere Prüfung zur Arten und die Nomenklatur folgen CALDARA Aufnahme in die FFH-Richtlinie oder zur & O'BRIEN (1998). Charakterisierung natürlicher Lebens- Die Gattungen Dicranthus MOTSCHULSKY raumbedingungen (innerhalb der von ihnen und Hydronomus SCHÖNHERR wurden mit bewohnten Biotoptypen) besonders ge- Bagous GERMAR synonymisiert, da die Arten eignet erscheinen lassen. offenbar monophyletisch sind. Verwandt-

Abb. 1. Die potentielle FFH-Art Bagous frivaldszkyi (Körperlänge: 4,6 mm, ohne Rüssel) (Zeichnung PETER SCHÜLE) 64 Insecta, Berlin, 6 (2000) schaftlich nahestehende Arten werden zu 6. Bagous glabrirostris (HERBST, 1795) Artengruppen desselben systematischen Ni- Verbreitung europäisch sowie in südli- veaus zusammengefaßt, eine Errichtung von chen und südöstlichen Randgebieten: Euro- Untergattungen soll ggf. zu einem späteren pa (Schwerpunkt: Mitteleuropa), Kaukasus, Zeitpunkt vorgenommen werden, wenn die Nordafrika. Aus folgenden Ländern angege- weltweite Bearbeitung dieser Gruppe abge- ben: SF, N, S, RUS (Karelien), DK, IRL (1 schlossen ist. Fundort), GB, NL, D, PL, EST, LAT, LIT, SLK, H, CH, A, I, BOH, UKR, ARM, ALG. Bagous alismatis-Gruppe 1. Bagous alismatis (MARSHAM, 1802) (= Bagous binodulus-Gruppe Hydronomus alismatis (MARSHAM, 1802)) 7. Bagous binodulus (HERBST, 1795) Verbreitung paläarktisch: Europa, Vorder- Verbreitung europäisch (ohne die südli- asien, Sibirien bis zur Pazifikküste. Aus mehr chen Teile): Mittel- und Nordeuropa; von als 25 Ländern angegeben. den Baltischen Republiken im Osten bis Nordwest-Frankreich im Westen, Südgrenze Bagous bipunctatus-Gruppe in Nord-Italien. Aus folgenden Ländern be- 2. Bagous puncticollis BOHEMAN, 1845 kannt: S, RUS (Karelien), DK, GB (seit 1861 Verbreitung europäisch: SF, S, DK, GB verschollen), F (Nordwesten), NL, B, D, PL, (Süden), F, B, NL, D, PL, CZ, SLK, A (Salz- EST, LAT, LIT, CZ, SLK, H, CH, A, I (Nor- burg), H, I, BOH, ROM, RUS (Moskau). den). 3. Bagous lutulentus (GYLLENHAL, 1813) Bagous tempestivus-Gruppe Verbreitung europäisch-ostmediterran- 8. Bagous czwalinai SEIDLITZ, 1891 kaukasisch: Europa, Anatolien, Kaukasus. Verbreitung europäisch (ohne die südli- Aus folgenden Ländern angegeben2: SF, S, chen Teile): Europa von Schweden im Nor- N, DK, IRL, GB, F, NL, D, PL, EST, LAT, LIT, den bis Nord-Italien im Süden (Romagna), H, SLK, CZ, A, I, ALB, ROM, BG, RUS (Ka- von der Slowakei im Osten bis Nordwest- relien), TR, GEO. Italien (Piemont) im Westen. Aus folgenden Ländern angegeben: SF, S, DK, GB (South 4. Bagous robustus H. BRISOUT de BARNE- Hampshire), D, PL, RUS (Ostpreußen), SLK, VILLE, 1863 A, I (Norden). Verbreitung europäisch-mediterran: Eu- ropa, Anatolien, Nordafrika. Aus folgenden 9. Bagous tempestivus (HERBST, 1795) Ländern angegeben: SF, DK (1 Exemplar, Verbreitung paläarktisch (Schwerpunkt nach PALM), F, NL, D, PL, CZ, SLK, H, CH, A westpaläarktisch). In Europa vor allem im (Niederösterreich), E, I, SLV, CRO, BOH (Sü- Norden, in der Mitte und im Südosten; Ana- den), ALB, GR, BG, GEO, ROM, UKR, RUS tolien, Sibirien. Aus folgenden Ländern an- (Sarepta), TR, MAR, TN, ALG. gegeben: SF, S, DK, GB, F, NL, D, PL, EST, LAT, CZ, SLK, H, A, BOH, BG, RUS (östl. 5. Bagous subcarinatus GYLLENHAL, 1836 Baikalregion), TR, GEO. Verbreitung süd- bis westpaläarktisch: Europa, Anatolien, Kaukasus, Mittelasien, Bagous biimpressus-Gruppe Nordafrika. Aus folgenden Ländern angege- 10. Bagous petro (HERBST, 1795) ben: S, DK, GB, F, NL (2 Fundorte), D, PL, Verbreitung: Nord- und Mitteleuropa, EST, CZ, SLK, H, CH, A, I, CRO, TR, GEO, auch lokal in West-Frankreich und Südeuro- ARM, IRN, UZB, MAR. pa (Nord-Italien, Mazedonien). Aus folgen- den Ländern angegeben: SF, S, DK, GB (ver- schollen), F (Westen), NL, D, PL, EST, LAT, CZ, SLK, A, H, I (Norden), MAK. 2 Abkürzungen der Ländernamen siehe Anhang PETER SPRICK: Eignung einer Insektengruppe für die FFH-Richtlinie amBeispiel der Bagoinae 65

Bagous argillaceus-Gruppe Aus folgenden Ländern nach KODADA et al. 11. Bagous argillaceus GYLLENHAL, 1836 (1992), CALDARA & O'BRIEN (1998) sowie Verbreitung zentral- und südpaläarktisch: PALM (schriftl. Mitteilung 1999) angegeben: Mittel-, Süd-, und selten in Nordwest- und S (1 Exemplar, nach PALM), DK, F, NL, D, PL, im südlichen Nordeuropa; Vorder- und Mit- H, ROM, RUS, KAZ, TAD, KIR. telasien, Sibirien, Mongolei; im Osten vom südlichen zentralen Sibirien über die Mon- 16. Bagous majzlani (KODADA, HOLECOVA golei und Afghanistan durch Europa (im & BEHNE, 1992) (= Dicranthus majzlani KO- Norden südliches und östliches Großbri- DADA et al., 1992) tannien, Süd-Schweden und Baltikum) bis Verbreitung europäisch: Nord-, Mittel- zum Mittleren Osten und Nordafrika bis und Südosteuropa. Nach KODADA et al. Marokko (Angaben aus über 25 Staaten); (1992) sowie CALDARA & O'BRIEN (1998): NL, aktuelle Vorkommen in Nordwest-, Nord- D (Hamburg, Rostock, Magdeburg), PL, und Mitteleuropa nur in GB (East Kent), EST, SLK, H, I (Norden), ROM (1 Fundort), RUS CZ, SLK und A; in D seit 1929 verschollen. (Sarepta).

Bagous lutosus-Gruppe Bagous nodulosus-Gruppe 12. Bagous lutosus (GYLLENHAL, 1813) 17. Bagous nodulosus GYLLENHAL, 1836 Verbreitung europäisch-vorderasiatisch: Verbreitung paläarktisch: Europa, Ana- Europa, Anatolien und selten in Mittelasien. tolien, Mittlerer Osten, Kaukasus, Sibiri- Aus folgenden Ländern angegeben: SF, N, S, en (bis in den Norden). Aus folgenden Län- DK, GB (letzter Fund 1964), F, NL, D, PL, dern angegeben: S, DK, GB (nur noch 1 ak- EST, LAT, LIT, CZ, SLK, H, A, I, CRO, SER, tueller Fundort), NL, D, PL, EST, SLK, H, A, I, ALB, ROM, TR, AZB, RUS, UKR, KAZ (1 CRO, SER, ROM, TR, UKR, RUS; in allen Fundort). Ländern Mitteleuropas vorkommend, übe- rall selten. Bagous tubulus-Gruppe 13. Bagous tubulus CALDARA & O'BRIEN, Bagous collignensis-Gruppe 1994 (= B. angustus SILFVERBERG, 1977) (= B. 18. Bagous rotundicollis BOHEMAN, 1845 cylindrus (PAYK., 1800)) Verbreitung osteuropäisch(-vorderasia- Verbreitung westeuropäisch-sibirisch: tisch) sowie ein isoliertes Vorkommen in Nord-, West-, Mittel-, Südosteuropa, nördli- Westeuropa: Osteuropa, Niederlande, Itali- ches Südeuropa; Vorderasien, Sibirien. Aus en, Anatolien. Aus folgenden Ländern ange- folgenden Ländern angegeben: S, DK, GB geben: NL, D (Osten), PL (Schlesien), RUS (Südosten und Osten), F, NL, D, PL, EST, (Ostpreußen), LIT, CH, A (Niederösterreich), LAT, SLK, H, A, I (Norden), ROM, TR, RUS H, CRO, BOH, ALB, I (Lombardei, Veneti- (Sibirien: Irkutsk). en), TR (Nordwesten); in den meisten Län- dern weniger als 5 Vorkommen, sehr seltene 14. Bagous frivaldszkyi TOURNIER, 1874 bis extrem seltene Art. (Abb. 1) Verbreitung mittel- und osteuropäisch. 19. Bagous longitarsis THOMSON, 1868 Aus folgenden Ländern bekannt: S, RUS Verbreitung paläarktisch: von Sibirien bis (Karelien), D, PL, EST, CZ, SLK, H, ROM; nach Frankreich und England, Südgrenze in seltene Art. Europa in Süd-Frankreich und Nord-Italien. Aus folgenden Ländern angegeben: SF, S, Bagous elegans-Gruppe RUS (Karelien), DK, GB (1 aktueller Fun- 15. Bagous elegans (F., 1801) (= Dicran- dort), F, NL, D, PL, EST, CH, A, CZ, SLK, I thus elegans (F., 1801)) (Südtirol), RUS (Sibirien: Chabarowsk); zwei Verbreitung europäisch-mittelasiatisch: Exemplare aus AZB könnten eine eigene Un- Nord-, Mittel- und Südeuropa, Mittelasien. terart oder eine neue Art repräsentieren, die 66 Insecta, Berlin, 6 (2000) zwischen B. longitarsis und B. rufimanus te), F (Lille), NL (CUPPEN & HEIJERMAN 1995), PÉRICART steht (CALDARA & O'BRIEN 1998). D (4 Fundorte), PL, CZ (1 Fundort), A, RUS/Baltikum (1 Fundort; Twer: in LIT oder 20. Bagous collignensis (HERBST, 1797) bei Moskau); die Exemplare von der Insel Verbreitung europäisch-vorderasiatisch: Zakynthos könnten eine eigene Unterart Europa (ohne die südlichen Teile), Anatolien, oder eine neue Art repräsentieren, die zwi- Kasachstan; von Nord-Kasachstan bis Nord- schen B. brevis und B. revelieri TOURNIER west-Frankreich, Südgrenze in Nord-Italien. steht (CALDARA & O'BRIEN 1998). Aus folgenden Ländern angegeben: SF, S, DK, IRL (2 Fundorte), GB(?), F, NL, D, PL, Bagous transversus-Gruppe CZ, SLK, H, CH, A, I, TR, KAZ (Norden). Die 25. Bagous limosus (GYLLENHAL, 1827) Angabe von HYMAN (1992) für GB ist frag- Verbreitung paläarktisch: Europa, Sibirien, lich und teilweise oder ausschließlich auf B. Vorderasien (Anatolien, Kaukasus), Mittela- claudicans zu beziehen, da als Wirtspflanze sien, Nordafrika. Aus folgenden Ländern an- Equisetum fluviatile angegeben wird (B. gegeben: SF, N, S, DK, IRL, GB, F, NL, D, PL, collignensis lebt an Myriophyllum); B. clau- EST, H, A, I, CRO, BOH, SER, ALB, GR, AZB, dicans wird als Synonym unter B. collignen- IRN, AFG, KAZ, E, MAR, ALG, RUS (Sibirien: sis geführt. Irkutsk, Jakutien).

21. Bagous claudicans BOHEMAN, 1845 Bagous frit-Gruppe Verbreitung nord-, west- und mitteleu- 26. Bagous frit (HERBST, 1795) ropäisch (nur aus Europa bekannt). Aus fol- Verbreitung nord- und mitteleuropäisch. genden Ländern angegeben: GB(?: siehe vo- Von der Slowakei und Polen bis Nord-Frank- rige Art), S (1 Exemplar nach PALM), F (Nor- reich, Südgrenze in Tirol. Aus folgenden den und Allier), D, PL. Extrem seltene Art, Ländern angegeben: SF, N, S, RUS (Kareli- die meisten deutschen Fundorte liegen in en), DK, GB, F (Pas-de-Calais), NL, D, PL, Ostdeutschland (vgl. DIECKMANN 1990). EST, CZ, SLK, A (Tirol).

22. Bagous diglyptus BOHEMAN, 1845 Der Verbreitungsschwerpunkt eines ver- Verbreitung nord-, west- und mitteleu- gleichsweise großen Teils der deutschen Ar- ropäisch. Aus folgenden Ländern angege- ten der Unterfamilie Bagoinae liegt in Euro- ben: S, DK, GB (seit 1906 verschollen), F, B, pa, einige strahlen noch in angrenzende D, PL (Schlesien), EST, CZ, SLK, H, I (Lom- Nachbargebiete aus. Allein 10 Arten sind bardei). rein europäisch verbreitet, davon sechs mit- tel- und nordeuropäisch. Zwei Arten sind bis Bagous brevis-Gruppe Nordafrika verbreitet, drei bis Vorder- und 23. Bagous lutulosus (GYLLENHAL, 1827) drei bis Mittelasien; eine weitere Art reicht Verbreitung europäisch-südwestmediter- bis Nordafrika und Vorderasien. Nur sieben ran-nordafrikanisch: Europa (vor allem Mit- Arten haben ein paläarktisches Verbrei- tel- und Südwest-), Nordafrika. Aus folgen- tungsbild. Dies ist sicher bemerkenswert für den Ländern angegeben: SF, N, S, RUS (Ka- prinzipiell flugfähige, vorwiegend an Stillge- relien), DK, GB (nur noch aus 3 Grafschaften wässer und nasse Wiesen gebundene Arten bekannt), F, NL, D, PL, LAT, I, E, MAR, TN, (zwei Arten sind flugunfähig). Zwar kann bei ALG. einigen Arten der genaue Verlauf der Ost- grenze nicht angegeben werden; dies zeigt 24. Bagous brevis GYLLENHAL, 1836 z. B. ein Vergleich der aus der östlichen Slo- Verbreitung europäisch: Nord- und Mit- wakei und der aus der benachbarten Ukrai- teleuropa, Griechenland (Insel Zakynthos). ne gemeldeten Arten. Allerdings erreichen Aus folgenden Ländern angegeben: SF, S, N, nur wenige Arten die außereuropäischen DK, IRL (1 Fundort), GB (2 aktuelle Fundor- Gebiete östlich des Urals. Im östlichen Ruß- PETER SPRICK: Eignung einer Insektengruppe für die FFH-Richtlinie am Beispiel der Bagoinae 67 land sind noch 7 Arten vorhanden, aber kei- (vgl. CALDARA & O'BRIEN 1995, JEGOROV et al. ne der 18 aus China bekannten oder dort zu 1996); auch mit den japanischen Bagous- erwartenden Arten kommt in Europa vor Arten gibt es keinerlei Überschneidungen

Tabelle 2. Vorkommen der Bagoinae in ausgewählten Bundesländern Deutschlands (nach KÖHLER & KLAUSNITZER 1998) By: Bayern; Bw: Baden-Württemberg; Rp: Rheinland-Pfalz; Nw: Nordrhein-Westfalen; Hs: Hessen; Ni: Niedersachsen; Sh: Schleswig-Holstein; Th: Thüringen; Sn: Sachsen; St: Sachsen- Anhalt; Br: Brandenburg; Mv: Mecklenburg-Vorpommern; +: aktuelles Vorkommen (ab 1950); -: nur ältere Funde zwischen 1900 und 1950; A: Altfund (vor 1900); .: kein Nachweis

Bundesland/Art By Bw Rp Nw Hs Ni Sh Th Sn St Br Mv Bagous alismatis ++++++++++++ Bagous argillaceus -....-.A.A.. Bagous binodulus -. .+.+++A-++ Bagous brevis -.-....A.... Bagous claudicans +...... +--+. Bagous collignensis +-+++++++++. Bagous czwalinai ...A..+...+. Bagous diglyptus -++-.A+A+-++ Bagous elegans ....+..*..+++ Bagous frit ++- - . -+- - . ++ Bagous frivaldszkyi .....+?A..-. Bagous glabrirostris + . ++A+++++++ Bagous limosus +-++-+++++-+ Bagous longitarsis +-+ . +A++++++ Bagous lutosus +++A. -- -+- . . Bagous lutulentus ++++ . +++++++ Bagous lutulosus ++-+A++-+++- Bagous majzlani .....++..... Bagous nodulosus -. .+.+++-+-A Bagous petro ....A.-...+- Bagous puncticollis - . . - . +++++++ Bagous robustus + . . - . +++++++ Bagous rotundicollis ...... +- Bagous subcarinatus -++++++-++++ Bagous tempestivus ++++++++++++ Bagous tubulus ++-+ . +++++++ aktuelle Nachweise 13 9 10 11 6 15 18 13 14 14 19 14 Nachweise insgesamt 20 12 14 17 10 20 20 21 18 19 22 18

*: B. elegans kommt nicht in Schleswig-Holstein vor (GÜRLICH, mündl. Mitteilung 1999) 68 Insecta, Berlin, 6 (2000)

(O'BRIEN et al. 1994 et 1995). Dagegen sind Deutschlands, z.B. in Dänemark in Nordost- z.B. einige Vertreter der ebenfalls vorwie- Seeland oder in den verschiedenen Regio- gend in Sümpfen lebenden Phytobiini bis nen Jütlands (vgl. HANSEN 1996). Auf die nach China oder Japan verbreitet (vgl. Gründe wird in den folgenden Abschnitten DIECKMANN 1972). noch näher einzugehen sein. An Alt- und Seitenarmen des Flusses La- torica in der östlichen Slowakei bei Leles, na- 3. Biologie, Wirtspflanzenbindung he der ukrainischen Grenze, wo sich die Areale zahlreicher Arten überschneiden, Zur Abschätzung des Risikopotentials konnten im Rahmen einer Exkursion zwölf wird die Biologie der Arten hier eingehender Bagous-Arten nachgewiesen werden (GRÄF behandelt, insbesondere trophische Nische, & BEHNE 1994). Hinzu kommt noch der von Habitat- und Wirtspflanzenbindung, Flug- hier 1992 neu beschriebene B. majzlani (KO- vermögen und -aktivität bzw. Neubesied- DADA et al. 1992). Im mehr kontinentalen lungsrate sowie besondere Anpassungen Seeland (Dänemark) kommen 21 Bagous- stehen hier im Mittelpunkt. Arten vor (davon nur B. argillaceus nicht ak- tuell belegt), während aus dem westlicher 3.1. Plastronatmung gelegenen Jütland nur 15 Arten (14 aktuell) Die submerse Lebensweise der Gattung bekannt sind (HANSEN 1996). Bagous, d. h. die Überwindung der Barriere Die Prüfung der Verbreitung (bzw. der Süßwasser durch die Plastronatmung, mit ei- Raumrelevanz) hat somit ergeben, daß nach ner Streuung der Arten (einer Gattung) über gegenwärtigem Kenntnisstand nur sieben das gesamte Spektrum Höherer Pflanzen in Arten als eurosibirisch verbreitet anzusehen einer ansonsten vorwiegend terrestrisch le- sind. Dies sind Bagous alismatis, B. argilla- benden Tiergruppe (Rüsselkäfer), ist als eine ceus, B. elegans, B. limosus, B. nodulosus, hohe Anpassungsleistung zu sehen, da die B. subcarinatus und B. tempestivus. Darun- Wirtspflanzenbindung bei mono- oder oli- ter sind so seltene Arten wie Bagous elegans gophagen Rüsselkäfergruppen in der großen oder Bagous nodulosus sowie der in Mehrzahl der Fälle durch die Fähigkeit des Deutschland verschollene, nur von primären effizienten Abbaus bestimmter toxischer Salzstellen bekannte Bagous argillaceus. Die Pflanzeninhaltsstoffe (bzw. durch die Aufhe- 7 eurosibirisch verbreiteten Arten scheiden bung ihrer Barrierefunktion) erklärt werden für eine Aufnahme in die FFH-Richtlinie im kann (vgl. SPRICK 1997). Die Beschränkung Prinzip aus. Sie werden hier jedoch in den verwandter Käferarten auf verwandtschaft- weiteren Prüfschritten mit berücksichtigt, lich nahestehende Wirtspflanzengruppen, weil sie nur einen relativ kleinen Teil der Ar- die bei den Rüsselkäfern verbreitet ist, ist bei ten der Unterfamilie darstellen, und weil erst den Bagous-Arten nicht zu beobachten. Dies nach der Zusammenschau aller Prüfschritte verdeutlicht den erheblichen Fortschritt eine Entscheidung vorgenommen werden durch die Entstehung der Plastronatmung soll. Tabelle 2 zeigt die Verbreitung der Ba- (Schlüsselereignis), durch die sich die Tiere goinae in größeren Teilen Deutschlands. einen Lebensraum erschließen konnten, der Aus Tabelle 2 geht hervor, daß die mei- arm an spezialisierten Phytophagen ist. sten Arten sehr unregelmäßig in Deutsch- Die Bagous-Arten sind durch die Plastron- land verbreitet sind. Nur 5 Arten sind aus al- atmung in der Lage, sich längere Zeit unter len hier aufgetragenen Regionen bekannt. Wasser aufzuhalten. Sie verfügen über sehr Auch wenn es in einigen Gebieten noch dicke Elytren, die im Dienst der Atmung ste- Nachweislücken geben mag, fällt auf, daß hen: Auf ihrer Oberfläche sowie auf Kopf ein ungewöhnlich hoher Anteil an Arten in und Prothorax befinden sich pilzförmige vielen Regionen in letzter Zeit nicht mehr Haare; diese sind für das Festhalten einer gefunden werden konnte. Dieselbe Tendenz dünnen Luftschicht, des Plastrons, verant- zeigt sich auch in vielen Gebieten außerhalb wortlich. Das Plastron steht über die seitliche PETER SPRICK: Eignung einer Insektengruppe für die FFH-Richtlinie am Beispiel der Bagoinae 69

Elytrenlängsspalte mit einem subelytralen geführt wird. In dieser Weise wurde die Luftraum in Verbindung. Auf der Oberseite Funktion dorsal dachförmig überwölbter der Deckflügel finden sich des weiteren Borstenränder gedeutet. B. elegans und „dreikantige Kegel“, die über das Niveau wahrscheinlich auch B. majzlani sind im der Plastronhaare hinausragen. Es handelt Unterschied zu den übrigen Bagous-Arten sich dabei um Sekretausführgänge. Elytren- nicht an stehendes, sondern an fließendes querschnitte haben gezeigt, daß intraelytral Wasser angepaßt. Lebensräume von B. ele- 6 Tracheenstränge verlaufen, die sich mit 5 gans sind nach MESSNER & DIECKMANN (1987) „Lufträumen“ abwechseln und über Sei- sowie KODADA et al. (1992) Flüsse (Warnow tenäste miteinander verbunden sind. Diese bei Rostock), Seeausflüsse (Fährsee bei „Lufträume“ verfügen über ein dichtes Drü- Templin), durchflossene Seen (Griebnitz-See senepithel, das dem den pilzförmigen Haar- bei Potsdam) oder regelmäßigen Winden borsten aufgelagerten Sekret gleicht. Es ent- ausgesetzte Uferbereiche von Binnenseen hält Mucopolysaccharide und ist für die Hy- (Ostküste des Templiner Sees); B. majzlani drophilie der Käfer verantwortlich (LANGER & wurde in tidebeeinflußten, von Schilf domi- MESSNER 1984). nierten Röhrichten der Unterelbe gefunden Auf der Unterseite des Kopfes, des Hals- (KODADA et al. 1992 bzw. GÜRLICH, mündl. schildes (Meso- und Metathorax), an den Mitteilung). Bei dem niederländischen Fun- Fühlern und an der Abdomenspitze befinden dort 'Kanal von Steenenhoek' konnte nicht sich büschelförmige Haare, hydrophobe ermittelt werden, um welche Art der Bagous Strukturen, mit denen z.B. von den Pflanzen elegans-Gruppe es sich handelt. abgegebene Luftblasen festgehalten wer- den. Eine Ventilation dieser Luftblasen ist zu 3.2. Bemerkungen zur Flugfähigkeit und beobachten. Auf dem Abdomen sind die zum Ausbreitungsvermögen Haare verklebt und für eine hydrophile Re- Während die beiden Arten der Bagous aktion dieses Körperbereiches verantwort- elegans-Gruppe vollkommen flugunfähig lich. Die Luftblasen stehen mit dem Plastron sind (KODADA et al. 1992), kann wohl bei in Verbindung. Durch die Kombination von den meisten Bagous-Arten von Flugfähigkeit hydrophoben und hydrophilen Körperberei- ausgegangen werden. So wurde Bagous ar- chen können die Tiere relativ rasch in ste- gillaceus von LOHSE an Lichtquellen gefan- hendes Wasser abtauchen, sich dort längere gen, und B. frit, B. subcarinatus und B. ro- Zeit aufhalten und rasch wieder auftauchen bustus wurden „weit entfernt“ von ihren (MESSNER & LANGER 1984). Bei einer Störung Wirtspflanzen bzw. Reproduktionsorten ge- dieser Balance, z.B. durch oberflächenaktive funden (PALM, schriftl. Mitteilung 1999). Stoffe wie Öle oder Reinigungsmittel, wird Auch BEHNE kennt vier Arten, von denen die Funktion der hydrophoben Körperpartien Lichtfänge vorliegen (B. glabrirostris, B. beeinträchtigt und ein Auftauchen erschwert puncticollis, B. subcarinatus und B. tempe- oder verhindert. Auch die Atmung der Tiere, stivus; schriftl. Mitteilung 1999). PALM hat die auf dieser Balance beruht, kann dadurch aber nie eine Bagous-Art in einer Lichtfalle schwerwiegend gestört werden. gefangen, obwohl in dem Gebiet bei Ve- Im Unterschied zu den übrigen Bagous- sterlyng in Dänemark mehr als sieben Arten Arten wurde bei Arten der Bagous elegans- vorkommen und die Falle seit mehreren Jah- Gruppe, zumindest Bagous elegans, der von ren betrieben wird. Mit dem Autokescher MESSNER & DIECKMANN (1987) näher unter- hat KÖHLER im Rheinland keine Bagous-Ar- sucht wurde, keine Ventilation von Luftbla- ten gefangen, während GÜRLICH Kenntnis sen beobachtet. Es wird davon ausgegan- von einem auf diese Weise gefangenen Ex- gen, daß neben der normalen Plastronat- emplar von B. subcarinatus hat (KÖHLER, mung auch eine solche mit erleichterter Dif- mündl. Mitteilung 1999; GÜRLICH, mündl. fusion unter Ausnutzung des im fließenden Mitteilung 1999). Wasser entstehenden Unterdruckes durch- Für sieben Arten ist belegt, daß diese flie- 70 Insecta, Berlin, 6 (2000) gen können. Flugaktivität tritt vor allem „Die Larven scheuen das Wasser nicht und dann auf, wenn es zur Austrocknung eines gehen, um von einem Blatte der schwim- besiedelten Gewässers kommt (und, als Fol- menden Pflanze zum anderen zu gelangen, ge, zur Wiederbesiedlung nach der Über- unter Umständen freiwillig ins Wasser, auf winterung). Dagegen ist kaum zu beobach- dessen Oberfläche sie sich schlängelnd fort- ten, daß das Flugvermögen dazu genutzt bewegen. Ist das Wasser indessen nicht voll- wird, um während der Reproduktionsphase ständig ruhig, so sind sie hilflos auf demsel- zwischen verschiedenen Wirtspflanzen zu ben und müssen sich treiben lassen, wobei wechseln. Insgesamt ist die Flugaktivität, vor sie sich zusammenkrümmen. Wenn sie mal allem während der Reproduktionsphase, als im Wasser untergesunken sind und nicht zu- (sehr) gering einzuschätzen. Auch die Über- fällig an eine Pflanze geraten, sind sie verlo- winterung des größten Teils der Arten und ren“. Auch VAN DER VELDE et al. (1989) ge- Individuen findet in unmittelbarer Nähe der ben für Bagous rotundicollis an, daß die Art Reproduktionsorte statt (Laubstreu, Bulte, in den Niederlanden in einem windgeschütz- trockene Stellen der Ufer) (DIECKMANN ten Gewässer gefunden wurde, „so daß die 1983); schnellfließende Gewässer werden schwimmenden Blätter (der Seerose) flach vollständig gemieden und mäßig schnell auf der Wasseroberfläche bleiben“. Fließge- fließende Gewässer werden aufgrund der wässer mit deutlicher Strömung sind auf- geringen Mobilität bzw. hohen Verdrif- grund der Verdriftungsgefahr für Bagous- tungsgefahr von den an submersen Pflan- Arten nicht geeignet – eine Ausnahme stellt zen(teilen) lebenden Arten nicht besiedelt. der auch an Sagittaria lebende B. alismatis In Fließgewässern mit deutlicherer Strö- dar. Stillgewässer mit unruhiger Wasser- mung, in der Wellen- oder Durchströmungs- oberfläche sind als Lebensraum für die Ba- zone von Seen oder in Ästuarien leben die gous-Arten der Schwimmblattzone nicht (B. Arten der Bagous elegans-Gruppe B. ele- binodulus, B. rotundicollis) oder wenig ge- gans und B. majzlani. Der Verlust der Flug- eignet (Bagous puncticollis, B. glabrirostris). fähigkeit dieser beiden Arten ist eine Folge Die Larvalentwicklung der Arten erfolgt der Anpassung an über lange Zeiträume im Sommerhalbjahr. Die aquatischen oder konstante Lebensraumbedingungen, wie sie semiaquatischen Reproduktionsorte werden in großen Stillgewässern und Flußsystemen im Frühjahr, überwiegend im Mai und Juni, (Strömen) gegeben sind (oder waren). Eine aufgesucht und spätestens gegen Ende des Ausbreitung ist hier nur zwischen Seen mög- Sommers wieder verlassen. lich, die durch Fließgewässer miteinander verbunden sind. Die Vorkommen an isolier- 3.3. Wirtspflanzenbindung ten Seen sind auf lange zurückliegende Be- Die Erschließung des vorwiegend submer- siedlungen zurückzuführen. Verschleppun- sen Lebensraumes durch die Nutzung der gen sind jedoch nicht auszuschließen, wie modifizierten Plastronatmung ermöglichte aufgrund des Vorkommens im Kanal von den Bagoinae die Nutzung bisher nicht von Steenenhoek (Niederlande) vermutet wer- spezialisierten Phytophagen besiedelten sub- den kann. mersen oder halbsubmersen Pflanzen und Stehende oder langsam fließende Gewäs- führte hier offenbar zu einer adaptiven Ra- ser sind der Lebensraum der meisten Ba- diation mit einer engen Bindung an zahlrei- gous-Arten. Typische Lebensräume sind che stillgewässertypische Wasserpflanzen- saubere, meso- bis eutrophe pflanzenreiche gattungen bzw. -arten (vgl. SPRICK 1997). Gewässer wie z. B. breite Gräben, Tümpel, Keine weitere vorwiegend an aquatische Stillgewässer oder Altarme. URBAN (1923) Pflanzen angepaßte, submers lebende Grup- hat zur Bindung an Stillgewässer einige in- pe mit spezialisierten Phytophagen hat, mit teressante Beobachtungen gemacht und Ausnahme der Donaciinae, einen ähnlichen führt dazu bei den ektophag an Krebsschere Artenreichtum aufzuweisen wie die Ba- lebenden Larven von Bagous binodulus aus: goinae. – Die Schilfkäfer (Fam. Chrysomeli- PETER SPRICK: Eignung einer Insektengruppe für die FFH-Richtlinie am Beispiel der Bagoinae 71 dae, Subfam. Donaciinae), deren Larven ben als plausibel angesehen werden können. submers ektophag leben und vorwiegend an Auch wurden bisher offenbar keine gravie- monokotyle Ufer- und Wasserpflanzen ge- renderen Unterschiede bei den biologisch bunden sind, sind in Deutschland nach aktiven Pflanzeninhaltsstoffen zwischen den KÖHLER & KLAUSNITZER (1998) mit 27 Arten jeweils zu vergleichenden Gattungen gefun- vertreten. den (s. Tabelle 3), so daß auch aus dieser Die meisten Bagoinae halten sich Sicht kaum Argumente gegen eine Wirtseig- während des Tages als Imago unter Wasser nung der genannten Pflanzen vorgebracht auf und klettern vorwiegend abends oder werden können. Die beiden Arten sind somit nachts zur Auffrischung ihrer Sauerstoff- oligophag und nicht polyphag, wie bisher vorräte an ihren Wirtspflanzen hoch (BEHNE, immer angegeben wird. Während die Larve mündl. Mitteilung, CALDARA & O'BRIEN von Bagous alismatis in Stengeln und Blät- 1995). Ein weiteres Indiz für die Nachtak- tern miniert (DIECKMANN 1983, KOCH 1992, tivität der Arten ist ihre Lichtorientierung. PALM & NILSSON 1996, CALDARA & O'BRIEN Nur für Bagous binodulus berichtet GADEAU 1998), gibt es nach der Literatur keine Beob- DE KERVILLE (1886), daß sich die von ihm ge- achtungen zur Larvalentwicklung von Bago- haltenen Tiere während der Nacht zwischen us puncticollis. den nicht überfluteten Blättern der Krebs- Es ist zu vermuten, daß die Larven endo- schere versteckt hielten. Obwohl sich die phag submers leben, eben weil ihre Entwick- meisten Arten tagsüber unter Wasser auf- lung bisher nicht beobachtet werden konn- halten und an ihren Wirtspflanzen nicht gut te, und weil die potentiellen Ernährungsni- zu beobachten sind, ist die Wirtspflan- schen der Larven, die mit 'ektophag sub- zenbindung bei der überwiegenden Anzahl mers' bzw. 'ektophag emers'3 umschrieben der Arten geklärt. In der Regel liegt bei den werden können, bereits von zwei weiteren Bagous-Arten Monophagie 1. oder 2. Ord- Bagous-Arten, nämlich B. glabrirostris (s. u.) nung vor; einige sind oligophag (z. B. Bago- und B. binodulus, besetzt sind. us tubulus), während eine kleinere Gruppe eingeschränkt polyphag zu sein scheint. Bagous glabrirostris Aufgrund der zentralen Bedeutung der Sehr interessant sind die Verhältnisse bei Wirtspflanzenbindung für den Schutz der Bagous glabrirostris. Die Wirtseignung von Arten werden diese Fälle im Folgenden Stratiotes aloides für diese Art ist gut belegt. näher untersucht. Meist ältere Angaben, die Doch DIECKMANN (1964) und andere haben von vornherein als sehr unwahrscheinlich festgestellt, daß B. glabrirostris auch in Ge- bzw. unglaubwürdig anzusehen sind wie z. wässern oder in Gebieten vorkommt, in de- B. Tussilago farfara als Wirtspflanze von Ba- nen weit und breit keine Krebsscheren vor- gous glabrirostris (REITTER in DIECKMANN handen sind. DIECKMANN (1983) hat durch [1983]), werden hier nicht mehr be- gezielte Nachsuche ermitteln können, daß rücksichtigt. Ceratophyllum submersum wahrscheinlich auch zu den Wirtspflanzen gehört, da er bei Bagous alismatis und Bagous puncticollis Leipzig Tiere aus Laub am Ufer eines Teiches Bei Bagous alismatis und Bagous punc- gesiebt hat, in dem (offensichtlich) nur diese ticollis werden zwei (Alisma, Sagittaria) Pflanze vorhanden war. bzw. drei (Stratiotes, Elodea, Hydrocharis) Kann es aber nun sein, daß bei einer Pflanzengattungen von mehreren Autoren Gruppe, in der nur mono- oder oligophage als Wirtspflanzen angegeben. Nach HYMAN (1992) wurde B. alismatis „auf dem Konti- nent“ auch auf Luronium natans gefunden. Die genannten Pflanzengattungen gehören 3 ektophag: auf der Oberfläche bzw. außen an den jeweils zur selben Familie (Alismataceae Pflanzen fressend; emers: oberhalb der Wasserober- bzw. Hydrocharitaceae), so daß die Anga- fläche 72 Insecta, Berlin, 6 (2000)

Tabelle 3. Toxische bzw. biologisch aktive Pflanzeninhaltsstoffe bei Wirtspflanzen- familien der Bagoinae mit vorwiegend hydrophytischen (aquatischen) Arten (nach HEGNAUER 1963, 1964, 1966, 1986 und 1989) Laichkrautgewächse (Potamogetonaceae): Potamogeton Flavonoide Verbindungen/ Polyphenole: häufig (3-4 flavonoide Verbindungen), u.a. Rutin, Isoscoparin (P. natans), Rhodoxanthin; Gerbstoffe Fehlend: Alkaloide, Saponine, cyanogene Verbindungen, Iridoide, Proanthocyanidine, An- thocyane, Anthocyanpseudobasen, CaCO3 (selten bei 1 Art) ferner: aromatische Aldehyde (regelmäßig vorkommend?) und etherische Öle (offenbar sel- ten vorkommend, z.B. bei P. pusillus) Froschlöffelgewächse (Alismataceae): Alisma, Sagittaria Flavonoide Verbindungen/ Polyphenole: Rutin, Glykoflavone, Flavonglykoside und ver- wandte polyphenolische Verbindungen; Proanthocyanidine Terpene/ Polyisoprene: Diterpene (Sagittariol, Hentriacontan), tetracyclische Triterpene (Alisol-A, Alisol-B, Alismol: ein Guaianderivat), Sesquiterpene; Kautschuk (im Milchsaft) CaCO3: vorhanden (nur Sagittaria, in Drusen) Fehlend: Alkaloide, Saponine, cyanogene Verbindungen, Iridoide, Anthocyane, typische Gerbstoffe; Anthocyanpseudobasen(?): Aussagen widersprüchlich ferner: Fähigkeit zu MnO2-Einlagerung (Elodea), Mg-Akkumulation (Stratiotes) Froschbißgewächse (Hydrocharitaceae): Elodea, Hydrocharis, Stratiotes Flavonoide Verbindungen/ Polyphenole: Quercetin- und Cyanidinglykoside (in Form von Anthocyanpseudobasen), Pelargonidin(?), ein flavonoides Glykosid (wohl Rutin); Kaffee-, Chlorogensäure; bei Elodea auch Apigenin, Luteolin, Chrysoeriol-7-diglucuronid Fehlend: Alkaloide, cyanogene Verbindungen, Iridoide, Saponine, Gerbstoffe i.e.S., CaCO3 Hornblattgewächse (Ceratophyllaceae): nur Ceratophyllum demersum untersucht? Flavonoide Verbindungen/ Polyphenole: Delphinidin, Malvidin, Cyanidin; Glykoside des Quercetins, Chlorogen- und Kaffeesäure, Sinapin- und Ferulasäure, Myriophyllin (in Gerb- stoffzellen): Catechine, Proanthocyanidine Fehlend: Alkaloide, cyanogene Verbindungen, Saponine, Iridoide, Lignin, CaCO3 ferner: Membranen verkorkt; labile Schwefelverbindungen kommen vor (werden mit Epiphytenarmut in Zusammenhang gebracht) Tausendblattgewächse (Haloragaceae): Myriophyllum Flavonoide Verbindungen/Polyphenole: Cyanidinglykoside, Proanthocyanidin-Derivate; Quercetin; Ellagsäure, Myriophyllin in Trichomen (Gerbstoff-, Heterosid- und Ei- weißstruktur) und diffus verteilte Gerbstoffe Cyanogenese: fehlend bis stark CaCO3: häufig (in Drusen) Fehlend: Alkaloide, Saponine, Iridoide ferner: Praephytoenalkohol (M. verticillatum) Fettkrautgewächse (Lentibulariaceae): Utricularia, meist U. vulgaris Flavonoide Verbindungen/Polyphenole: Flavonole fehlen, wohl ersetzt durch Flavone, Fla- vanone, Flavanonole: Apigenin, Luteolin, 6-OH-Luteolin, Diosmetin; Hydroxyzimtsäure we- nig vorhanden; Cyanidinglykoside (in Form farbloser Pseudobasen) CaCO3: selten Iridoide/ Seco-Iridoide: Aucubin, Gardosid, Mussaenosidsäure, 6-Desoxyca- talpol Fehlend: Alkaloide, Saponine, cyanogene Verbindungen, Gerbstoffe, p-Cumarsäure, Kaf- feesäure, Proanthocyanidine ferner: Al-Akkumulation Bemerkungen: Spektrum sehr ähnlich dem der Scrophulariaceae PETER SPRICK: Eignung einer Insektengruppe für die FFH-Richtlinie am Beispiel der Bagoinae 73

Arten vorkommen, einerseits eine Monoko- schlusses eine endophag submerse Entwick- tyle und andererseits eine Dikotyle Wirts- lung erfolgen dürfte. pflanzen derselben Käferart sein können? Offenbar wurden bisher nur die Pflanzen- Dieser sehr unwahrscheinlich erscheinende inhaltsstoffe von Ceratophyllum demersum Fall ist hier offenbar eingetreten: Nach den untersucht (vgl. HEGNAUER 1964 und 1989). bisher vorliegenden Ergebnissen zeigt sich Aufgrund der nicht unerheblichen Ähnlich- eine große Übereinstimmung bei den wich- keit der Spektren sekundärer Pflanzenin- tigsten Pflanzeninhaltsstoffen (Fraßschutz- haltsstoffe bei mehreren Familien mit vor- stoffen) beider Pflanzenfamilien (s. Tabelle wiegend aquatischen Sippen wird hier da- 3). von ausgegangen, daß an C. demersum Aufgrund der ähnlichen Spektren sekun- erarbeitete Befunde im wesentlichen auch därer Pflanzeninhaltsstoffe bei Stratiotes auf C. submersum zutreffen. Ähnlichkeiten aloides und Hydrocharis morsus-ranae sollte bestehen bei diesen Familien nämlich vor al- auch die Wirtspflanzenangabe „?Hydrocha- lem im Fehlen hochwirksamer (toxischer) ris“ von PALM & NILSSON (1996) in weiteren Pflanzeninhaltsstoffe (vgl. Tabelle 3). Zwar Studien zur Biologie der Art berücksichtigt unterscheiden sich die beiden Ceratophyl- werden; nach SUIKAT (mündl. Mitteilung lum-Arten morphologisch erheblich vonein- 1999) kommt auch Elodea als mögliche ander, C. submersum ist biegsam und fein- Wirtspflanze in Betracht. blättrig, C. demersum dagegen von starrem Aufgrund des Ortes der Larvalent- Habitus und + dickblättrig, doch kann dies wicklung ist Bagous glabrirostris gut von Ba- als Erklärung für eine Meidung von C. de- gous binodulus, der monophag an Krebs- mersum im Falle von Bagous glabrirostris schere lebt, separiert: Die Larven von B. bi- nicht überzeugen, weil diese Art auch an der nodulus fressen die Mitteladern der Blätter morphologisch stark abweichenden Krebs- in den Teilen der Pflanze, die sich über (oder schere lebt. Für C. demersum werden von nahe) der Wasseroberfläche befinden. Sie HEGNAUER (1964) „verkorkte Membranen“ bohren sich zuweilen auch in die dicken Rip- genannt. Ob eine Suberinisierung in diesem pen der Blätter hinein und kommen auf der Zusammenhang eine Rolle spielen könnte, anderen Seite wieder heraus (URBAN 1923). ist unbekannt. Die Larven von B. glabrirostris ernähren sich Es fällt auf, daß die in Tabelle 3 aufge- vor allem ektophag unterhalb der Wasser- führten Gattungen vor allem durch das Feh- oberfläche; man findet sie am ehesten an len wirksamer Insekten-, Kleinsäuger- und oder in den Vermehrungsknospen, aber anderer Gifte gekennzeichnet sind. Die typi- auch an den Mittelrippen (URBAN 1923). B. schen Stoffklassen vieler Land- und Sumpf- glabrirostris kann als oligophag (bzw. bei pflanzen wie Alkaloide, Saponine, Iridoide, stärkerer Gewichtung der biochemischen Terpenoide und cyanogene Verbindungen Verhältnisse auch als monophag 2. Ord- oder gar Polyacetylene fehlen diesen Pflan- nung) eingestuft werden; vgl. Definition bei zen mit wenigen Ausnahmen. Dies ist ein SPRICK (1997). Die Larvalentwicklung erfolgt sehr deutlicher Hinweis auf den geringen sehr wahrscheinlich – wie an Stratiotes aloi- Fraßdruck durch spezialisierte Phytophage: des – submers ektophag, während bei Ba- Unter Wasser (im Süßwasser) ist es offenbar gous subcarinatus, bei dem wiederum keine nicht erforderlich, das große Arsenal toxi- Beobachtungen zur Larvalentwicklung vor- scher Pflanzeninhaltsstoffe bereitzuhalten, liegen (vgl. Tabelle 4), aus Gründen der Ni- wie es beispielsweise bei den hochent- schenaufteilung4 bzw. des Konkurrenzaus- wickelten insektenanlockenden Pflanzenfa- milien wie Asteraceae (Compositae) oder Apiaceae (Umbelliferae) zu finden ist. Es ist wohl auch kaum ein Zufall, daß ge- 4 Der Begriff 'Nische' wird hier nur im Sinne der trophischen Nische, nicht der abstrakteren Fundamen- rade die Kleintiere fangende Gattung Utri- talnische benutzt (vgl. SCHAEFER 1992) cularia eine besondere Ausnahme darstellt: 74 Insecta, Berlin, 6 (2000)

Tabelle 4. Wirtspflanzenbindung und Angaben zur Larvalentwicklung der deut- schen Bagous-Arten (nach DIECKMANN 1983, KOCH 1992, PALM & NILSSON 1996, CALDARA & O'BRIEN 1998 und weiteren Autoren)

(Anordnung der Arten systematisch; Verwandtschaftsgruppen sind jeweils durch einen Doppelstrich voneinander getrennt) Bagous alismatis oligophag an Alismataceae: Alisma spp.; Sagittaria sagittifolia; Luroni- um natans; Larval-Entwicklung: in emersen Pflanzenteilen (Blättern und Stengeln) über der Wasser- oberfläche minierend

Bagous puncticollis oligophag an Hydrocharitaceae: Stratiotes aloides, Elodea canadensis und Hy- drocharis morsus-ranae; Larval-Entwicklung unbekannt (wahrscheinlich endo- phag submers) Bagous lutulentus Equisetum fluviatile: monophag 1. Ordnung; Larval-Entwicklung im Juni und Juli in den oberen Stengelteilen (vgl. URBAN 1922) Bagous robustus Alisma plantago-aquatica: monophag 1.(?) Ordnung; in Betracht zu ziehen sind auch die anderen oft sehr ähnlichen Alisma spp.; Larval-Entwicklung unbekannt

Bagous subcarinatus Ceratophyllum submersum (zahlreiche Autoren), nach GRUSCHWITZ (schriftl. Mitteilung 1999) auch an C. demersum: monophag 2. Ordnung; Larval-Ent- wicklung unbekannt, nach DIECKMANN (1983) wahrscheinlich im Stengel Bagous glabrirostris Stratiotes aloides und Ceratophyllum submersum (oligophag): Larval-Entwick- lung ektophag an den submersen Pflanzenteilen

Bagous binodulus Stratiotes aloides: monophag 1. Ordnung, Larval-Entwicklung ektophag an den über oder an der Wasseroberfläche befindlichen Pflanzenteilen

Bagous czwalinai Wirtspflanze unbekannt, nach HYMAN (1992) und PALM (schriftl. Mitteilung 1999) in Sphagnum-Mooren zu suchen Bagous tempestivus Ranunculus repens; weitere Ranunculus-Arten? (monophag 1. oder 2. Ord- nung); Larval-Entwicklung in den unteren Stengelteilen

Bagous petro in Deutschland an Utricularia vulgaris (HENDRICH & UNMÜSSIG 1997), in anderen Gebieten (Polen) sehr selten auch an Elodea oder Ceratophyllum submersum: regional monophag 1. oder 2. Ordnung (s. Text); Larval-Entwicklung unbe- kannt

Bagous argillaceus Wirtspflanze unbekannt; wahrscheinlich ein Halophyt, da nur an salzhaltigen Gewässern vorkommend

Bagous lutosus Potamogeton gramineus (HANSEN et al. 1991); Larval-Entwicklung unbekannt; monophag 1. oder 2. Ordnung

Bagous tubulus oligophag an 3 Arten aquatischer Poaceae: Alopecurus aequalis, Glyceria nota- ta (= Gl. plicata), Gl. fluitans (DIECKMANN 1983); Larval-Entwicklung in den Stengeln (RIEDEL 1989: Zucht aus Alopecurus aequalis), nach GÜRLICH (mündl. Mitteilung 1999) wahrscheinlich auch an Agrostis stolonifera und Alopecurus geniculatus

Bagous frivaldszkyi Phalaris arundinacea; Larval-Entwicklung im Stengel (PALM & NILSSON 1996)

Bagous elegans Phragmites australis; Larval-Entwicklung in den unter Wasser befindlichen In- ternodien (POOT 1972); monophag PETER SPRICK: Eignung einer Insektengruppe für die FFH-Richtlinie amBeispiel der Bagoinae 75

Bagous majzlani Glyceria maxima und ?Phragmites australis; Larval-Entwicklung wahrscheinlich ähnlich wie bei B. elegans (KODADA et al. 1992); oligophag?

Bagous nodulosus Butomus umbellatus; Larval-Entwicklung monophag in den unteren Stengel- teilen und in dickeren Blattadern

Bagous rotundicollis in Deutschland monophag an Nymphaea alba, in anderen Regionen auch an Nuphar lutea (allerdings könnte es sich dabei nach CALDARA & O'BRIEN (1998) um eine andere Unterart handeln): regional monophag bzw. oligophag; Larval- Entwicklung in den Stielen der Schwimmblätter (DIECKMANN 1983, HEINIG 1985)

Bagous longitarsis Myriophyllum spp., nach CALDARA & O'BRIEN (1998) Präferenz für Myriophyl- lum verticillatum; nach SUIKAT bzw. GRUSCHWITZ (mündl. bzw. schriftl. Mittei- lung 1999) ist diese Präferenz jedoch zweifelhaft; Larval-Entwicklung unbe- kannt

Bagous collignensis Myriophyllum spp., nach CALDARA & O'BRIEN (1998) Präferenz für Myriophyl- lum spicatum; auch auf einer eingeschleppten Myriophyllum-Art häufig gefun- den7; Larval-Entwicklung unbekannt

Bagous claudicans Equisetum fluviatile: monophag 1. Ordnung; Larval-Entwicklung in den oberen Stengelteilen (Sonderung zu B. lutulentus unklar: Entwicklung möglicherweise 4 Wochen früher als die von B. lutulentus, vgl. DIECKMANN [1983])

Bagous diglyptus Saxifraga granulata: monophag 1. Ordnung, Larval-Entwicklung in den Brut- knollen (PRENA 1985)

Bagous lutulosus J. bufonius und J. subnodulosus(?); nach PALM (mündl. Mitteilung 1999) an kleinen Juncus-Arten: monophag 2.(?) Ordnung; Larval-Entwicklung in den basalen Stengelblättern

Bagous brevis Ranunculus flammula (HYMAN 1992): monophag 1. Ordnung; Larval-Entwick- lung ektophag emers an Blättern und Stengeln (CUPPEN & HEIJERMAN 1995)

Bagous limosus Potamogeton lucens, P. natans, P. crispus; monophag 2. Ordnung(?); Fraß (und Entwicklung?) auch an weiteren Familien: Hydrocharis, Myriophyllum; Larval- Entwicklung unbekannt

Bagous frit Menyanthes trifoliata: monophag 1. Ordnung; Larval-Entwicklung vor allem in den unteren Stengelteilen zwischen Blattscheide und Blattstiel, bis hinab zum Wurzelstock; Larven z.T. zeitweise auch auf der Oberfläche (LEILER 1987)

7 nach DIECKMANN (1990) „Zahlreiche Käfer mehrfach bei Leipzig aus dem Wasser und am Ufer eines Kanals ge- sammelt, in dem das aus Australien importierte Myriophyllum elatinoides DAUDICH in großen Mengen wächst“. CALDARA & O'BRIEN (1998) haben diese Angabe offensichtlich übernommen, da sie als Autor ebenfalls DAUDICH (und nicht den korrekten Namen GAUDICHAUD) angeben. Nach CASPER & KRAUSCH (1981) wurde bei Leipzig das aus Nordamerika eingeschleppte Myriophyllum heterophyllum MICHAUX gefunden, eine genauere Fundortbe- schreibung ist aber nicht enthalten. Die aus Australien stammende Aquarienpflanze M. elatinoides GAUDICHAUD ist nach KORNECK et al. (1996) in Deutschland nicht eingebürgert. Aus diesen Gründen wird davon ausgegangen, daß M. heterophyllum (und nicht M. elatinoides) als fakultative Wirtspflanze für B. collignensis angegeben werden sollte. 76 Insecta, Berlin, 6 (2000)

Die hier vorkommenden iridoiden Verbin- goinae sowie einzelnen Vertretern aus wei- dungen gehören zu den wirksamsten natür- teren Unterfamilien. lichen Insektengiften (HEGNAUER 1973). Utri- Pflanzen terrestrischer und auch semi- cularia-Arten haben große, gelbe, in den aquatischer Lebensräume müssen einem Luftraum hineinragende Blüten: Sie nutzen wesentlich höheren Fraßdruck standhalten, die Insekten (bzw. kleine wirbellose Wasser- der hier von einer Vielzahl spezialisierter so- lebewesen) in zweifacher Hinsicht: Mit den wie einiger polyphager Arten aus zahlrei- optisch wirksamen Blüten werden Insekten chen Gruppen ausgeübt wird. Zu nennen angelockt, und mit den Fangschläuchen der sind u.a. Fransenflügler (Thysanoptera), Blätter werden vor allem kleine Krebstiere als Blattläuse (Aphidina), Schildläuse (Coccina), Stickstoffquelle für den eigenen Stoffwech- Wanzen (Heteroptera), Zikaden (Cicadina), sel genutzt. Da die Pflanzen aufgrund dieser Heuschrecken (Saltatoria), mehrere Käferfa- Lebensweise häufiger als viele andere milien (Coleoptera), Blattwespen (Hyme- Wasserpflanzen auch mit „unerwünschten“ noptera: Symphyta), Schmetterlinge (Lepi- Tieren, d. h. mit Tieren, die die Pflanze als doptera) und Schnecken (Gastropoda) sowie Nahrungsquelle nutzen wollen, in Kontakt auch Vögel (Aves) und Säugetiere (Mamma- kommen, benötigen sie einen wirksamen lia). Insbesondere der Fraßdruck, der von Fraßschutz. spezialisierten Phytophagen durch den effi- Weitere Ausnahmen finden sich bei den zienten Abbau (bzw. die Verwertung) der heimischen Myriophyllum-Arten (cyanoge- Fraßschutzstoffe ausgeübt wird, ist für den ne Verbindungen), an denen immerhin 6 Ar- co-evolutiven Wettlauf und die große Viel- ten phytophager Blatt- und Rüsselkäfer le- falt an „sekundären“ Pflanzeninhaltsstoffen ben sowie bei den halbsubmersen Alismata- verantwortlich zu machen. ceae (terpenoide Verbindungen). Allerdings Schließlich sei noch darauf hingewiesen, verfügt keine dieser Pflanzengruppen über daß HEGNAUER (1963ff.) bei allen hier mehr als eine zusätzliche Stoffklasse. aufgeführten Pflanzenfamilien immer wieder Eine vergleichbare Co-Evolution wie in betont, daß diese noch schlecht bzw. nicht terrestrischen Ökosystemen hat hier offen- ausreichend untersucht seien; er begründet sichtlich nicht stattgefunden. Die Fraß- dies mit ihrer geringen Bedeutung als Medi- schutzstoffe gehen bei den Hydrophyten zinal- und Nutzpflanzen. Hier schließt sich meist über eine Grundausstattung aus Poly- ein Kreis: Einerseits hat die geringe medi- phenolen bzw. flavonoiden Verbindungen zinische Bedeutung das Interesse an einer (in allerdings vielfältiger Abwandlung) nicht Erforschung nicht gerade befördert, ande- wesentlich hinaus. Typische Wirkungen der rerseits ist die geringe Vielfalt an sekundären flavonoiden Stoffe und Polyphenole sind Ei- Pflanzeninhaltsstoffen das Ergebnis eines weißfällung bzw. Adstringierung. Das ge- geringen Selektionsdruckes, wodurch der nügt offensichtlich in den meisten Fällen als geringe Anteil an medizinisch verwertbaren Schutz gegen Mikroorganismen und die Stoffen (und damit das geringe Interesse an kleine Gruppe phytophager Formen aus der Erforschung) zu erklären ist. Nicht aus- „höher entwickelten“ Taxa: Im wesentli- reichend untersucht zu sein scheinen bei- chen treten hier als polyphage Pflanzenver- spielsweise die Potamogetonaceae. Ob es zehrer die Schnecken (Gastropoda), manche Unterschiede bei der Ausstattung mit Pflan- Krebstiere (Crustacea: z.B. Amphipoda), ei- zeninhaltsstoffen gibt, die zur Erklärung der nige Dipteren und vielleicht noch einige Fi- Wirtspflanzenspektren von B. limosus oder sche (Pisces) in Erscheinung. Und unter den B. lutosus oder für ihre Ressourcenauftei- spezialisierten Phytophagen sind neben lung herangezogen werden könnten, ist un- wenigen Zünslern (Lepidoptera, Pyralidae) bekannt. nur zwei Käferfamilien von Bedeutung: die Aus diesen Zusammenhängen wird im Chrysomelidae mit den Donaciinae (Schilf- übrigen auch deutlich, wie stark der (indirek- käfer) und die Curculionidae mit den Ba- te) Einfluß phytophager Tiere, vor allem der PETER SPRICK: Eignung einer Insektengruppe für die FFH-Richtlinie am Beispiel der Bagoinae 77

Insekten und anderer Pflanzenverzehrer, auf kannt ist U. vulgaris (HENDRICH & UNMÜSSIG das Leben des Menschen ist, durch deren 1997, CALDARA & O'BRIEN 1998). Ob weitere Einwirkung sowohl eine große Anzahl an der teilweise schwer bzw. nur im blühenden Medizinal- als auch einige Giftpflanzen evo- Zustand gut unterscheidbaren Utricularia- luiert sind. Arten noch als Wirtspflanzen genutzt wer- den, ist unbekannt. DIECKMANN (1983) Bagous subcarinatus nimmt an, daß noch weitere Gattungen aus CALDARA & O'BRIEN (1998) geben an, daß anderen Familien Wirtspflanzen sein müs- die Wirtspflanze normalerweise Ceratophyl- sen, da die Art (in Polen) auch in Gewässern lum submersum ist, daß die Art wahrschein- ohne Utricularia gefunden wurde; genannt lich aber auch auf anderen Pflanzen, wahr- werden Elodea und Ceratophyllum, die scheinlich Myriophyllum, leben müsse, da auch in Fraßversuchen verzehrt wurden sie ebenfalls in Gewässern gefunden wor- (HOFFMANN 1954, CALDARA & O'BRIEN 1998). den sei, in denen C. submersum nicht vor- Die Gattung Utricularia verfügt als Verteter komme. GRUSCHWITZ hat die Art auch in Ge- der entomophagen Lentibulariaceae im Ge- wässern mit Ceratophyllum demersum ge- gensatz zu Elodea oder Ceratophyllum über funden (schriftl. Mitteilung 1999). Diese sehr wirksame Insektengifte aus der Klasse Angabe paßt auch gut zu der relativ großen der Iridoide. Toleranz dieser Art gegenüber Nährstoffein- Die weite Verbreitung von Elodea cana- trägen (vgl. Abschnitt 4). Die Wirtspflan- densis und von Ceratophyllum submersum zenangabe Myriophyllum erscheint dage- stehen in krassem Gegensatz zur großen Sel- gen unwahrscheinlich. Zum einen leben auf tenheit von Bagous petro. Es kann sich bei Myriophyllum schon zwei weitere Bagous- diesen Gattungen nur um sehr selten ge- Arten, und zum anderen wird Myriophyl- nutzte Wirte handeln; vielleicht nur in Ge- lum weder von DIECKMANN (1983) noch von bieten (oder ggf. Gewässern?), in denen die KOCH (1992) genannt. Bei PALM & NILSSON an Ceratophyllum und Elodea lebenden Ba- (1996) ist die Angabe „?Ceratophyllum, gous-Arten nicht vorkommen. Für die Exi- Myriophyllum“ zu finden; sie geben aber stenz von Konkurrenzbarrieren bei Bagous keine Hinweise zur Lebensweise der Larven gibt DIECKMANN (1983) selbst ein Beispiel: wie bei vielen anderen Arten. Die Angabe Bagous longitarsis, der an Myriophyllum Myriophyllum sollte bis zum Beweis des lebt, ernährt sich in der Gefangenschaft Gegenteils in Frage gestellt oder ignoriert stark an Ceratophyllum submersum, das in werden, wie dies CALDARA & O'BRIEN (1998) der Natur vollständig gemieden wird. Auch in ihrer Übersichtstabelle auch tun. Die An- die Verhältnisse bei Stratiotes, an der drei gabe könnte auf eine Verwechslung der Bagous-Arten leben können, weisen deut- feinblättrigen Gattungen Myriophyllum lich auf die Gültigkeit des Prinzips der Ni- und Ceratophyllum zurückgehen. Falls die schentrennung (s.o. unter Bagous alismatis Art tatsächlich in Gewässern ohne Cerato- und Bagous puncticollis). phyllum lebt, sollten beispielsweise auch die In Gebieten, in denen die trophischen Ni- Hydrocharitaceae aufgrund des ähnlichen schen Ceratophyllum und Elodea bereits Spektrums an sekundären Pflanzeninhalts- von Arten wie Bagous subcarinatus bzw. B. stoffen bei Ceratophyllum und dieser Fami- puncticollis besetzt sind, könnte B. petro lie in die Untersuchungen zur Klärung der den beiden Arten unterlegen sein, weil diese Wirtspflanzen einbezogen werden (vgl. die den wahrscheinlich hohen Syntheseaufwand Ausführungen zu Bagous glabrirostris und zur Bereitstellung eines die Barriere Iridoid weiter unten). überwindenden Enzymsystems nicht auf- bringen müssen. Dagegen kann B. petro Bagous petro auch an Ceratophyllum fressen (und sich Die Art lebt in Deutschland ausschließlich möglicherweise sogar vermehren), weil die- an Utricularia-Arten. Als Wirtspflanze be- se Gattung als Polyphenol-/Flavonoidpflan- 78 Insecta, Berlin, 6 (2000) ze nur über eine „Grundausstattung“ an debeeinflußten Süßwasserröhrichten (GÜR- Fraßschutzstoffen verfügt, die wahrschein- LICH, mündl. Mitteilung 1999); auch KODADA lich von den meisten phytophagen Käfern nimmt an, daß eine Entwicklung in Phragmi- überwunden werden können, weil sie offen- tes möglich ist (BEHNE, schriftl. Mitteilung bar in allen oder einer großen Zahl (?) an 1999). Ein ökologischer Unterschied zwi- Pflanzen vorhanden sind. schen beiden Arten könnte darin bestehen, daß B. majzlani größere Wasserstands- Bagous lutosus schwankungen als B. elegans erträgt. Dar- Nach HANSEN et al. (1991) ist die Wirts- über hinaus lebt B. elegans in nährstoffar- pflanzenangabe von B. lutosus Potamoge- men Gewässern mit Kies- oder Sandgrund, ton gramineus und nicht Sparganium erec- B. majzlani dagegen in nährstoffreichen Ge- tum. EIVIND PALM hat dies auch durch Frei- wässern mit Schlammgrund. Allerdings sol- landbeobachtungen und Fraßversuche un- len bei Aalsmeer (Niederlande) beide Arten termauert (schriftl. Mitteilung 1999). Dieses (sympatrisch?) vorkommen. Die Anpassung Ergebnis zeigt deutlich, daß Wirtspflanzen- an größere Gewässer kommt auch dadurch nennungen ohne nähere Angaben (Kopu- zum Ausdruck, daß diese Arten im Gegen- lation, Fraßspuren, Fraßversuche, Zucht) kri- satz zu den übrigen Bagous-Arten über tisch zu betrachten sind. Die auf HOFFMANN zugespitzte Elytren verfügen, was als (1954) zurückgehende Angabe, der Sparga- Schutzvorrichtung gegen Prädation durch nium erectum (= Sp. ramosum) allerdings Fische interpretiert wird. nur als wahrscheinliche Wirtspflanze nennt, wurde des öfteren von nachfolgenden Au- Bagous lutulosus toren übernommen. Während bei DIECK- Trotz relativ weiter Verbreitung sind die MANN (1983) die Unsicherheit der Angabe Wirtspflanzen- und Biotopbindung dieser erkennbar ist, findet sich ein solcher Hinweis Art nur wenig bekannt. Unzweifelhaft ist, bei HYMAN (1992) oder CUPPEN & HEIJERMAN daß es sich bei der Wirtspflanze um eine (1995) nicht mehr oder – wie bei CALDARA & Juncus-Art handeln muß. Das ist aber auch O'BRIEN (1998) – nicht durchgehend: Im schon alles, was an gesicherten Erkenntnis- Text ist er vorhanden, in der Übersichts- sen vorliegt. Als eine Wirtspflanze genannt tabelle fehlt er dagegen. Bagous-Arten, die wird Juncus subnodulosus (bzw. J. obtusi- an submersen Pflanzen leben, nutzen häufig florus), des weiteren auch Juncus bufonius, Helophyten bzw. halbsubmerse Pflanzen, jedoch keine weiteren Juncus-Arten. J. sub- um an die Wasseroberfläche zu gelangen, nodulosus ist eine Art der Kalkflachmoore; in weshalb sie nicht selten an Nichtwirtspflan- Schleswig-Holstein wurde die Art aber vor zen zu beobachten sind. allem in kalkarmen Habitaten gefunden (SUI- KAT, mündl. Mitteilung 1999, ZIEGLER, mündl. Bagous elegans und Bagous majzlani Mitteilung 1999). BEHNE kennt die Art aus B. elegans ist als Bewohner größerer Flüs- abgelassenen Teichen (mündl. Mitteilung se und der sauerstoffreichen Wellenzone 1999). Nach PALM (mündl. Mitteilung 1999) von Seen mit Sand- oder Kiesgrund aus- handelt es sich bei der Wirtspflanze um eine schließlich an Phragmites australis gebun- niedrigwüchsige Juncus-Art, dies könnte als den. Die Larvalentwicklung vollzieht sich ein Hinweis auf J. bufonius gedeutet wer- endophag submers in den unter der Wasser- den, zumal die Art auch auf wechseltrocke- linie befindlichen Internodien von Schilfhal- nem Sand wächst und B. lutulosus des öfte- men. B. majzlani wurde dagegen am 'locus ren in trockeneren Lebensräumen gefunden classicus' in der Ostslowakei an Glyceria ma- wurde. HYMAN (1992) beschreibt den Le- xima gefunden. KODADA et al. (1992) gehen bensraum für Großbritannien mit „Feuchte, von einer ähnlichen Lebensweise der Larven sandige Gebiete. Gelegentlich in sehr nassen wie bei B. elegans aus. Bei Hamburg lebt B. Situationen“. Es muß damit gerechnet wer- majzlani allerdings in schilfdominierten ti- den, daß das vollständige Wirtspflanzen- PETER SPRICK: Eignung einer Insektengruppe für die FFH-Richtlinie am Beispiel der Bagoinae 79 spektrum oder – falls Monophagie 1. Ord- ektophag submerse Lebensweise unter den nung vorliegt – die Wirtspflanze noch nicht näher betrachteten Arten nur jeweils einmal bekannt ist. Eine Bindung an die einjährige J. vorkommen. In allen Fällen, in denen die bufonius wäre für eine Bagous-Art bemer- Larven bisher nicht gefunden worden sind, kenswert. Da J. bufonius regelmäßig und in wird eine endophag submerse Entwicklung hohen Dichten in Auen- bzw. Seenland- angenommen; mindestens für zwei Arten ist schaften vorkommt, kann eine solche Bin- diese Lebensweise (sehr) wahrscheinlich: Bei dung aber durchaus gegeben sein. Bagous subcarinatus äußert bereits DIECK- MANN (1983) diesen Verdacht, und bei B. Bagous rotundicollis puncticollis sind die anderen Nahrungs- B. rotundicollis ist eine weitere ausge- nischen durch weitere Arten besetzt. Eine sprochen seltene Art mit einer interessanten Klärung durch Zucht steht aber vielfach Wirtspflanzenbindung. Die Art lebt mono- noch aus. phag an Nymphaea alba. Obwohl zuweilen Bisher ist die endophag submerse Lebens- auch Nuphar lutea als Wirtspflanze genannt weise nur im Falle des großen Bagous ele- wird (CALDARA & O'BRIEN 1998), betonen so- gans und des mittelgroßen Bagous rotundi- wohl VAN DER VELDE et al. (1989) als auch collis (4-4,7 mm) näher untersucht oder be- HEINIG (1985), daß in ihren Untersuchungs- schrieben worden (vgl. DIECKMANN 1983 gebieten (Voorste Choorven/Niederlande bzw. HEINIG 1985). Weitere Informationen bzw. Bauersee/Berlin-Müggelheim) aus- zu B. rotundicollis gibt HEINIG (schriftl. Mit- schließlich die Seerose (Nymphaea) besiedelt teilung 1999): In einer Tiefe von 25-30 cm wird, während im selben Lebensraum vor- unterhalb der Wasseroberfläche wird der kommende Teichrosen (Nuphar) vollständig Stengel der Schwimmblätter von Seerosen gemieden werden. Die (in anderen Regio- (Nymphaea) angebohrt und ein Ei hineinge- nen) an Nuphar lebenden Tiere wurden von legt. Die Larven fressen sich im Innern nach manchen Autoren einer eigenen Art oben, und ca. (2-) 5-10 cm unterhalb des zugerechnet. CALDARA & O'BRIEN (1998) ha- Blattes erweitert sich dieser zu einer größe- ben jedoch B. nupharis APFELBECK mit B. ro- ren Kammer, der Puppenwiege. Die Imago tundicollis synonymisiert und würden der verläßt die Puppenwiege über ein Bohrloch aus Deutschland nicht nachgewiesenen, an und frißt an der Unterseite des Schwimm- Nuphar lebenden Form bestenfalls den Sta- blattes oder über Wasser an dessen Rand. tus einer Unterart zubilligen. Am 31. August 1985 wurden im Bauersee in den 100 – 150 untersuchten Seerosensten- Weitere Anmerkungen zur Lebensweise geln zwei Larven und 15 – 20 Puppen von Bagoinae gefunden; darüber hinaus 37 Imagines, Abbildung 2 zeigt die Ressourcenauftei- überwiegend auf der Unterseite oder am lung von zehn Bagous-Arten. Ergänzend zu Rand der Blätter; seltener sind die Imagines den bei einzelnen Arten bereits mitgeteilten auch auf der Blattoberseite zu beobachten. Zusammenhängen wird deutlich, daß die In Phasen starker Sonneneinstrahlung zieht trophische Nische der Larven prinzipiell sich B. rotundicollis wie die meisten Vertre- durch die Wirtspflanze(n) bzw. deren sekun- ter der Bagoinae von lichtexponierten Ober- däre Pflanzeninhaltsstoffe und durch die flächen zurück und hält sich auf Blattunter- Bindung an über oder unter Wasser befind- seiten oder zwischen aufgewölbten ver- liche Pflanzenteile (emers/ submers) sowie trocknenden Blatteilen auf (BEHNE, mündl. eine Entwicklung innerhalb der Pflanzenor- Mitteilung 1999). gane oder auf deren Oberfläche (endophag/ Da Bagous glabrirostris an zwei phyloge- ektophag) beschrieben werden kann. Die netisch weit auseinanderstehenden, aber Abbildung zeigt, daß alle 4 möglichen biochemisch äußerst ähnlichen Pflanzengat- Kombinationen realisiert sind, wobei die en- tungen lebt, ist es auch nicht auszuschlie- dophag emerse, die ektophag emerse und ßen, daß Bagous subcarinatus (an Cerato- 80 Insecta, Berlin, 6 (2000) L: Bagous robustus L: submers endo- halbsubmers submers endophag (?) TERPENOIDE VERBINDUNGEN Bagous subcarinatus phag ? Alisma spp. Ceratophyllaceae Ceratophyllum Hydronomus alismatis submers L: emers endophag Alismataceae L: Bagous glabrirostris submers ektophag halbsubmers sagittifolia Sagittaria L: Stratiotes aloides Bagous binodulus emers ektophag halbsubmers FLAVONOIDE VERBINDUNGEN/ POLYPHENOLE L: Bagous longitarsis Myriophyllum submers endo- verticillatum CYANOGENE VERBINDUNGEN submers phag ? L: submers endophag (?) Bagous puncticollis Hydrocharitaceae Haloragaceae

? morsus-ranae schwimmend Hydrocharis ? Bagous collignensis L: Myriophyllum submers endo- ? spicatum submers phag ? Elodea canadensis ? submers ?? IRIDOIDE VERBINDUNGEN L: submers endophag Lentibulariaceae Bagous petro Utricularia L: ? submers vulgaris submers - schwimmend submers endophag ? Potamogeton Potamogetonaceae (+ etherisches Öl?) Bagous limosus

? spp.

Abb. 2. Ressourcenaufteilung einiger an Wasser- oder Sumpfpflanzen nasser Standorte lebender Bagous-Arten PETER SPRICK: Eignung einer Insektengruppe für die FFH-Richtlinie am Beispiel der Bagoinae 81 phyllum submersum) und Bagous puncticol- te Pflanzenarten gebundenen Phytophagen lis (an Hydrocharitaceae) in Gebieten, in de- sehr gut möglich, auch wenn die Datenlage nen die jeweils andere Bagous-Art fehlt, ein hier insgesamt deutlich schlechter ist als bei jeweils um deren Wirtspflanze(n) erweitertes den Höheren Pflanzen. Durch vergleichende Wirtspflanzenspektrum aufweisen. Betrachtungen, insbesondere die Berück- Fragliche Wirtspflanzenangaben können sichtigung der Habitatbindungen, der Fund- innerhalb der Flavonoid-/ Polyphenol- dichten und der weiteren hier mitgeteilten pflanzengruppe aufgrund der sekundären Informationen kann auch recht zuverlässig Pflanzeninhaltsstoffe nicht mit Sicherheit auf die Gefährdung von Arten geschlossen ausgeschlossen werden (z.B. die Angabe werden, die nicht an gefährdete Pflanzen von Bagous limosus für Hydrocharis). Auch gebunden sind. können Angaben von Arten für Polyphenol- Der Tabelle 2 war bereits zu entnehmen, /Flavonoidpflanzen, die sich normalerweise daß die Arten teilweise sehr unregelmäßig in auf Pflanzen mit wirksameren Insektengiften Deutschland verbreitet sind, und es hat sich entwickeln, nicht ausgeschlossen werden, auch gezeigt, daß zahlreiche Arten in vielen weil deren Wirtspflanzen ebenfalls über Regionen nur durch ältere Funde belegt Polyphenole/ Flavonoide verfügen, die so sind. Die aktuelle Gefährdungssituation wird etwas wie eine Grundausstattung an aus Tabelle 5 ersichtlich; allerdings mit der Abwehrstoffen darstellen (z.B. Bagous petro Einschränkung, daß neuere Rote Listen – ne- für Elodea oder Ceratophyllum); in Abbil- ben einer Liste für das Gesamtgebiet – nur dung 2 sind diese beiden Fälle durch gestri- aus den östlichen Bundesländern sowie chelte Linien dargestellt. Schleswig-Holstein verfügbar sind. Dagegen erscheint eine Angabe einer an Die Tabelle 5 zeigt den überdurchschnitt- Polyphenol-Pflanzen lebenden Art für eine lich hohen Anteil gefährdeter Arten in dieser Pflanzengruppe mit wirksameren Fraß- Tiergruppe sowohl in Deutschland als auch schutzstoffen unwahrscheinlich (z. B. Ba- in Europa, wie die Listen aus Großbritannien gous limosus für Myriophyllum-Arten). Al- und Schweden zeigen. Es gibt keine Art, die lerdings fanden sich bei HEGNAUER (1966 nicht in irgend einem deutschen Bundesland bzw. 1989) keine Angaben darüber, ob als gefährdet eingestuft wäre, obwohl nur möglicherweise einer der heimischen fünf Bundesländer berücksichtigt werden Myriophyllum-Arten cyanogene Verbindun- konnten. Dies ist eine Folge ihrer hohen An- gen fehlen, die nicht bei allen Arten vorkom- fälligkeit gegenüber negativen anthropoge- men sollen; in Abbildung 2 ist die mögliche nen Einflüssen. Zu nennen sind vor allem die Beziehung als gepunktete Linie dargestellt. Verfüllung von Stillgewässern, die Trocken- Die von CALDARA & O'BRIEN (1998) ange- legung und Melioration feuchter Wiesen, gebene Präferenz von Bagous longitarsis für Grundwasserabsenkungen, die Beeinträch- Myriophyllum verticillatum wird sowohl tigung/ Entwertung von Stillgewässern von SUIKAT (mündl. Mitteilung 1999) als durch Umweltverschmutzung, die Eutro- auch von GRUSCHWITZ (mündl. Mitteilung phierung von Fließgewässern und Seen, 1999) für Schleswig-Holstein bzw. Sachsen- Herbizid- und Insektizidanwendungen in der Anhalt angezweifelt, da sie B. longitarsis je- Nähe von bzw. an Gewässern und in weils in Gewässern fanden, in denen nur M. Feuchtwiesen, Schiffsverkehr, Bade- oder spicatum vorkommt. Angelnutzung (insbesondere das Einsetzen von Fischen), die Abnahme der Wirtspflan- zen (vielfach liegt eine Bindung an gefährde- 4. Gefährdungssituation te Pflanzenarten vor) sowie auch Formen in- Da wir über die Gefährdung Höherer tensiver Gewässerunterhaltung wie jährliche Pflanzen gut informiert sind (vgl. KORNECK & Grabenräumung (insbesondere in Gräben SUKOPP 1988), ist eine Gefährdungseinschät- mit Stratiotes aloides, Ceratophyllum sub- zung insbesondere bei den eng an gefährde- mersum oder Butomus umbellatus). 82 Insecta, Berlin, 6 (2000)

Eine wesentliche Rückgangsursache für viele Gewässer verloren (KORNECK & SUKOPP die Bagous-Arten liegt in der Abnahme ge- 1988); dadurch wird auch einer Art wie B. eigneter Stillgewässer bzw. von Stillgewäs- binodulus zunehmend die Lebensgrundlage serverbundsystemen mit ausreichenden Be- entzogen. Die gesamte Lebensgemeinschaft ständen der jeweiligen Wirtspflanzen. Nach der Krebsschere, die in manchen Gebieten DALHOFF (1999) verringerte sich beispiels- vor allem an Gräben gebunden ist, ist durch weise die Anzahl an Kleingewässern bei intensive (jährliche) Grabenräumung akut Lippstadt/Nordrhein-Westfalen zwischen gefährdet (vgl. SENATOR FÜR FRAUEN, GESUND- 1919 (> 900) und 1983 um 75% (> 300) HEIT, JUGEND, SOZIALES UND UMWELTSCHUTZ und auf dem Meßtischblatt Wadersloh in 1998). Dadurch werden z.B. Arten wie B. bi- der Nähe von Lippstadt zwischen 1897 und nodulus, B. nodulosus oder B. glabrirostris, 1997 um 66%. Offenbar sind Ausbrei- die an Krebsschere (Stratiotes aloides), tungsvermögen bzw. Neubesiedlungsrate Schwanenblume (Butomus umbellatus) oder auch der flugfähigen Arten nur sehr gering Zartes Hornblatt (Ceratophyllum submer- (vgl. Abschnitt 2). So wurde etwa bei Ba- sum) gebunden sind, beeinträchtigt oder gous argillaceus, einer salzgebundenen Art ausgeschlossen. mit Schwerpunkt im kontinentalen Raum, in Auch Gewässer, in denen auf den Was- Deutschland noch nie eine Neuansiedlung serpflanzen Kalkablagerungen (von Kieselal- an einem sekundären Salzlebensraum fest- gen?) zu finden sind oder die über ein star- gestellt – im Gegensatz etwa zu manchen kes Aufkommen fädiger Grünalgen (Chloro- anderen halobionten Insektenarten. Und B. phyceae) verfügen, sind für die meisten Ba- argillaceus gehört zu den wenigen Arten, gous-Arten nicht mehr nutzbar (BEHNE, bei denen bereits mehrfach Flugaktivität be- mündl. Mitteilung 1999). So ist der an Schilf obachtet wurde. gebundene Bagous elegans bereits von drei Bei Austrocknung der Wirtsgewässer oder der vier in Abschnitt 3.1. genannten ost- im Zusammenhang mit einem Wechsel ins deutschen Fundorte verschwunden; und in Winterlager sind zwar auch Entfernungen dem Teil des Templiner Sees (Uckermark/ bis zu einigen Kilometern nachweisbar Brandenburg), in dem es infolge des Zu- (PALM, schriftl. Mitteilung 1999); die Flugak- stroms kontaminierten Wassers aus dem tivität der Bagous-Arten während der 'umgekippten' Fährsee zu einem vermehr- Reproduktionsphase ist jedoch wesentlich ten Auftreten fädiger Grünalgen gekommen geringer als z.B. die Aktivität vieler der in ist, ist die Art ebenfalls nicht mehr nach- ähnlichen Lebensräumen vorkommenden zuweisen (BEHNE, mündl. Mitteilung 1999). Donacia-Arten. BEHNE führt dies u.a. darauf zurück, daß ein Mit der beschleunigt ablaufenden Ge- verschlammter Gewässergrund für die kaum wässereutrophierung wurde und wird der zum Schwimmen befähigten Tiere ein Lebensraum vieler Bagoinae weiter einge- schwer überwindbares Hindernis darstellt, engt. Neben den unmittelbaren Auswir- wie er aus Beobachtungen des Verhaltens kungen von Verschmutzungen bzw. Eutro- von B. elegans im Aquarium abgeleitet hat. phierungen auf die Tiere erfolgt dies auch Um die Wirtspflanze zu wechseln, bewegen mittelbar durch die Zurückdrängung sich die Tiere über den festen Gewässer- nährstoffmeidender Wirtspflanzen wie z.B. grund. Die Wirtspflanze ist am Templiner Utricularia vulgaris (Bagous petro). Im Falle See nach wie vor in großen Beständen ver- von Menyanthes trifoliata (B. frit) und treten. POOT (1972) hat andererseits festge- wahrscheinlich auch Ranunculus flammula stellt, daß dicke Schilfhalme (die bei Eutro- (B. brevis) werden nur Standorte mit gerin- phierung zunehmen dürften) nicht von Lar- gen Trophieverhältnissen besiedelt. Aber ven besiedelt waren, weil die Imagines of- auch eine Art wie Stratiotes aloides, die in fenbar Mühe haben, sich daran festzuklam- meso- bis schwach eutrophen Gewässern ihr mern. Optimum hat, hat durch die Eutrophierung Zurückzuführen sind Verschmutzung PETER SPRICK: Eignung einer Insektengruppe für die FFH-Richtlinie am Beispiel der Bagoinae 83 bzw. Eutrophierung von Gewässern auch trophierung zurück. In Deutschland ist nur auf die mangelhafte Ausbildung von Gewäs- ein aktueller Fundort von B. petro bekannt. serschutzstreifen in intensiv genutzten Gefährdungsursachen für die Arten der Agrarlandschaften um langsam fließende Schwimmblattzone, insbesondere Bagous Gewässer und zuführende Gräben, Kolke, rotundicollis, bestehen u.a. im (motorisier- Teichgräben, Einsenkungstrichter. Hier ten) Schiffsverkehr sowie einer Zunahme der kommt es beispielsweise regelmäßig zu ei- Freizeitnutzung. Diese Arten sind an wenige, nem Zustrom von düngemittel- oder meist kleinere Seen gebunden, wo sie durch pestizidkontaminiertem Oberflächenwasser Wellenschlag bzw. mechanische Zerstörung insbesondere bei Starkregenfällen. Ange- ihrer Wirtspflanzen, z. B. der Seerose (Nym- zeigt wird dies oft durch eine Urtica dioica- phaea alba), wie auch durch Öle und Faziesbildung („Verbrennesselung“) in der Schmierstoffe aus Schiffsmotoren gefährdet Ufervegetation. Schließlich können auch werden. Die Imagines von B. rotundicollis größere Weiher oder Seen betroffen sein, halten sich meist auf der Unter- (und wenn kontaminiertes Wasser über zuströ- Ober)seite der Seerosenblätter auf. Die ex- mende Fließgewässer aufgenommen wird. trem seltene Art unterliegt zudem einer ho- Bei der Untersuchung der Trophieverhältnis- hen potentiellen Gefährdung im gesamten se an nährstoffarmen Seen konnte auch eine Verbreitungsgebiet. Zwei der vier Fundorte Kontaminierung über zuströmendes Grund- in Deutschland und den Niederlanden sind wasser von intensiv genutzten Äckern (z.B. kleine, weitgehend von Erlenbruchwald um- Maisfelder) nachgewiesen werden (PUST & gebene Seen. Auch in dem Teil des Rüders- POTT 1998). Nur dort, wo ein breiter Erlen- dorfer Sees, in dem B. rotundicollis vor- bruchwaldgürtel vorhanden war, erwies sich kommt, gibt es einen Windschutz durch die oligotraphente Flora als ausreichend ge- Bäume; nur am Oderberger See ist ein sol- schützt. cher Schutz nicht vorhanden. VAN DER VELDE Die Anreicherung eines Gewässers mit et al. (1989) betonen, daß sie B. rotundicol- Nährstoffen (Eutrophierung) ist im Grunde lis in einer großen Anzahl an Gewässern mit genommen ein natürlicher Vorgang, der al- Nymphaea alba nicht nachweisen konnten. lerdings in Naturlandschaften Jahrhunderte In dem wenig ausgedehnten, inzwischen und mehr benötigt; in intensiv genutzten durch Faulschlammbildung und intensive Landschaften mit ihren hohen Nährstoffein- Freizeitnutzung (häufiges Befahren mit Ka- trägen wird dieser Vorgang dagegen in einer nus) belasteten Bauersee war B. rotundi- Weise beschleunigt, die sowohl die Arten- collis bei einer Anfang der 90er Jahre durch- spektren oligotropher als auch eutropher geführten Bestandskontrolle nicht nachzu- Gewässer an den Rand ihrer Überlebens- weisen (WINKELMANN, mündl. Mitteilung fähigkeit bringen. Besonders gravierend ist, 1999). Teile des Ufergürtels sind durch daß die Auswirkungen des hohen Dünge- Ferienwohnungen bzw. Wochenendhäuser mitteleinsatzes auf intensiv genutzten in Anspruch genommen worden. Flächen nicht auf diese begrenzt bleibt. Durch Gewässerverschmutzung, in die- Durch die beschleunigt ablaufenden Eutro- sem Falle das illegale Anzapfen einer ukraini- phierungsprozesse wird die Lebensraumeig- schen Ölpipeline, wurde das Vorkommen nung vieler Gewässer für die Arten der Un- von 13 Bagous-Arten in der östlichen Slowa- terfamilie Bagoinae vermindert oder ganz in kei bei Leles am Latorica-Fluß inzwischen Frage gestellt. zerstört oder schwerwiegend beeinträchtigt HENDRICH & UNMÜSSIG (1997) führen das (BEHNE, mündl. Mitteilung 1999). Verschwinden von Bagous petro und Utricu- Zwar sind wohl alle Bagoinae, insbeson- laria vulgaris aus einem Gewässer bei Briese- dere die Fließwasserart Bagous elegans und lang (Brandenburg) sowie dem NSG Teufels- die Arten oligo- bis mesotropher Stillgewäs- bruch (Berlin) auf Bebauung bzw. Grund- ser, als Reinwassertiere und Qualitätsindika- wasserabsenkung mit einhergehender Eu- toren einzustufen, die Verschmutzungen 84 Insecta, Berlin, 6 (2000) durch oberflächenaktive Stoffe oder Pestizi- cherten Gewässern noch eine Zeitlang über- de nicht tolerieren und sich aus eutrophier- leben können. So wurde beispielsweise B. ten Gewässern mit starkem Wachstum fädi- subcarinatus in einem Teich gefunden, der ger Algen zurückziehen. Es ist aber darauf infolge der sommerlichen Austrocknung aus hinzuweisen, daß es offenbar auch Arten einem wenig ansehnlichen Gewässer gibt, die in stärker mit Nährstoffen angerei- stammte (KATSCHAK 1994). Auch ein eigener

Tabelle 5. Gefährdungssituation der Bagoinae in Deutschland und ausgewählten Ländern Europas

RL: Rote Liste; nach GEISER (1998) für Deutschland (D), BEHNE (1992) für Brandenburg (BB), BEHNE (1996) für Thüringen (TH), SCHNEIDER et al. (1995) für Sachsen-Anhalt (ST), WINKEL- MANN (1991) für Berlin (BE), ZIEGLER & SUIKAT (1994) für Schleswig-Holstein (SH), HYMAN (1992) für Großbritannien (GB) und LUNDBERG (1995) für Schweden (S); NE-D: Neuein- stufung für Deutschland (Vorschlag)

D NE-D SH TH ST BB BE GB S Bagous alismatis - (V) 3 V V 2 3 * - Bagous argillaceus 0 (0) . 0 0 . . 2 1 Bagous binodulus 3 (2)122100P Bagous brevis 0 (1).0.1.1P Bagous claudicans 2 (1) . . 1 1 . 3? ** Bagous collignensis 2 (2)13121?P Bagous czwalinai 3 (2) 2 . . 0 . 1 2 Bagous diglyptus 2 (2)211101P Bagous elegans 2 (1) . . 1 1 0 Bagous frit 2 (2)100103- Bagous frivaldszkyi 2 (1) ? 0 . 0 0 Bagous glabrirostris - (3)33121*- Bagous limosus 3 (V) 1 . 1 0 0 * - Bagous longitarsis 3 (3) 1 V 3 0 . 1 P Bagous lutosus 3 (2)031101 . Bagous lutulentus - (3)33222* . Bagous lutulosus 3 (2)13111* . Bagous majzlani 2 (2) 2 . . ? . Bagous nodulosus 3 (2)1320 . 12 Bagous petro 0 (1) 0 . . 0 1 0 - Bagous puncticollis 2 (2)231201- Bagous robustus 3 (2)P3110- i Bagous rotundicollis 0 (1) . . . 1 1 Bagous subcarinatus 3 (V) 1 V 2 2 2 * P Bagous tempestivus - (V) 2 V V 3 . * - Bagous tubulus - (3)3333323

*: bemerkenswerte Art mit eingeschränkter Verbreitung; **: nur aus einer Provinz (Skåne) bekannt. – Gefährdungsstufen: 0: ausgestorben oder verschollen, 1: vom Aussterben be- droht, 2: stark gefährdet, 3: gefährdet, P: potentiell (aufgrund der Seltenheit) gefährdet, V: Art der Vorwarnliste, .: nicht in der Roten Liste enthalten (nicht vorkommend oder nicht ge- fährdet), -: nicht gefährdet, ?: Gefährdungsstatus unklar; i: Vorkommen nicht indigen PETER SPRICK: Eignung einer Insektengruppe für die FFH-Richtlinie am Beispiel der Bagoinae 85

Fund dieser Art aus dem Marzahner Fenn den, aufgrund der hohen potentiellen und (Brandenburg) stammt aus einem eutro- aktuellen Gefährdung zahlreicher Arten un- phierten Stillgewässer: Die gesamte Senke befriedigend, in mehreren Fällen um eine war durch das von den umliegenden, inten- Stufe zu niedrig. So sind beispielsweise Ba- siv genutzten Flächen zuströmende Wasser gous claudicans oder B. frivaldszkyi bundes- erheblich mit Nährstoffen angereichert. weit extrem seltene Arten, die entweder in Auch B. tubulus könnte eine Ausnahme dar- die Kategorie 'P' oder '1' eingestuft werden stellen: Die Art lebt unter anderem an müßten; B. frivaldszkyi ist so selten, daß Alopecurus aequalis, einer Charakterart der dessen Wirtspflanze erst kürzlich aufgeklärt Zweizahnfluren, die höhere Trophiestufen werden konnte (PALM & NILSSON 1996). kennzeichnen. Sehr wahrscheinlich müssen Mehrere mit '3' eingestufte Arten gehören die Tiere unter den sauerstoffzehrenden sicher eher in die Kategorie '2', so z.B. der Bedingungen häufiger an die Wasser- überall seltene B. binodulus von Stratiotes oberfläche kommen, um ihren O2-Bedarf aloides, da schon die Wirtspflanze als ge- decken zu können. Darauf deuten z.B. eige- fährdet eingestuft ist (KORNECK et al. 1996); ne Funde der nachtaktiven B. subcarinatus auch Bagous robustus, B. lutosus oder B. und B. tubulus während des Tages an nicht- czwalinai sind eher in Kategorie '2' als in '3' submersen Uferpflanzen hin. Dennoch han- einzuordnen, und Bagous glabrirostris delt es sich auch bei diesen keinesfalls um gehört sicher auch zu den bundesweit häufig und verbreitet auftretende Arten. gefährdeten Arten (Kategorie '3'). Dagegen Auch die Tatsache, daß Individuen der liegen von drei mit '0' eingestuften Arten meisten Arten bereits während des Sommers aktuelle Funde vor, so daß diese Arten in die ihre Wirtsgewässer verlassen und an den Kategorie '1' zu stellen sind (s. Tabelle 5). Ufern durch Sieben nachgewiesen werden Des weiteren müßte auch die Rote Liste können (BEHNE, mündl. Mitteilung), könnte Brandenburgs (BEHNE 1992) überarbeitet ein Indiz dafür sein, daß die Tiere unter werden, da die Kategorie 'P' (= potentiell sauerstoffzehrenden Bedingungen ihren gefährdet aufgrund großer Seltenheit) nicht submersen Lebensraum häufiger oder voll- von der Kategorie 'V' (= Art der Vorwarnli- ständig verlassen müssen. Der Aufenthalt ste) unterschieden wurde, was zu Ver- am Ufer während der Reproduktionsphase wechslungen Anlaß gibt (in Tabelle 5 mußte könnte allerdings auch durch Überliegen er- deshalb die Kategorie 'P' in allen Fällen klärt werden, d.h. daß nicht alle Tiere einer durch 'V' ersetzt werden). Population in einem bestimmten Jahr ihre Manche Bagous-Arten sind auch an ihren Wirtspflanzen aufsuchen. Eine solche Strate- Lebensorten ausgesprochen selten: So gie zum Überleben in Auenbiotopen setzte konnte Bagous brevis im niederländischen allerdings eine mehrjährige Lebensdauer Schutzgebiet Brecklenkampse Veld (81 ha) voraus (Daten zur Lebensdauer von Bagoi- nur an einer einzigen Stelle gefunden wer- nae liegen nicht vor). den, obwohl die Wirtspflanze, Ranunculus Wenn selbst in den besonders gewässer- flammula, an flachen Gewässerufern ziem- reichen Bundesländern Brandenburg und lich verbreitet ist und in großen Beständen Schleswig-Holstein jeweils über 50% der Ar- vorkommt (CUPPEN & HEIJERMAN 1995). Die ten in eine Gefährdungskategorie aufge- Gründe für dieses Verhalten der in ihrem ge- nommen werden mußten, darf durchaus der samten Areal extrem seltenen Rüsselkäfer- Schluß gezogen werden, daß auch in den Art sind unbekannt. weniger gewässerreichen Bundesländern Zahlreiche Arten der Rüsselkäfer-Unterfa- keine günstige Situation für die Arten dieser milie Bagoinae weisen ein hohes Risikopo- Gruppe besteht. tential gegenüber negativen Umwelteinflüs- Die Einstufungen von GEISER (1998) für sen auf. Dies ist zurückzuführen auf ihre Bin- Deutschland erscheinen bei vielen Arten, die dung an eine oder wenige, oft bundes- oder in die Kategorien '3' oder '2' eingestuft wur- landesweit gefährdete Wirtspflanzen (vgl. 86 Insecta, Berlin, 6 (2000)

Tabelle 6), auf ihre geringe oder mangelnde gedeckt. Im Falle des allerdings paläarktisch Flugaktivität bzw. ihre geringe Neubesied- verbreiteten B. tempestivus sind die nassen lungsrate, die vielleicht auf die Schwierigkeit Auenwiesen (Überschwemmungswiesen) des Auffindens von Gewässern mit geeigne- und Flutrasen nur bedingt berücksichtigt, ten (submersen) Wirtspflanzen zurück- weil nur die Brenndolden-Auenwiesen der zuführen ist, insbesondere in Gebieten mit Stromtäler dieser Lebensraumangabe nahe- isolierten Gewässern; des weiteren auf die kommen (FFH-Lebensraumtyp 6440). Empfindlichkeit gegenüber Verschmutzun- Auch das Vorkommen von Bagous majz- gen durch oberflächenaktive Stoffe, durch lani im Elbe-Ästuar in den tidebeeinflußten Herbizide und Insektizide sowie durch Eutro- Süßwasserwatten ist über die FFH-Richtlinie phierung, vor allem bei den Arten dystro- offenbar nicht zu schützen. In der Definiton pher, oligo- und mesotropher Gewässer so- heißt es beim Lebensraumtyp Ästuarien, wie bei der Fließwasserart Bagous elegans. „Flußmündungen ins Meer, solange noch Und bei den monophagen Arten sind alle regelmäßig Brackwassereinfluß und Tideein- Faktoren, die für die Rückgänge der Wirts- fluß besteht,...“ (vgl. SSYMANK et al. 1998). pflanzen verantwortlich sind, den Faktoren, Durch die Und-Verknüpfung wären dem- die eine unmittelbare Beeinträchtigung der nach die tidebeeinflußten Süßwasserröh- Tiere bedeuten, hinzuzuzählen. richte nicht ausreichend abgedeckt. Unter den innerhalb der Ästuarien vorkommenden Biotoptypen wird dann zwar das „Süß- 5. Vergleich der Lebensräume der Bagoinae wasserwatt im Tideeinfluß der Nordsee“ mit den nach der FFH-Richtlinie schutz- aufgeführt, so daß dadurch eine Berücksich- würdigen Lebensraumtypen tigung gegeben wäre. Allerdings findet sich im Handbuch zur Umsetzung der FFH-Richt- Um zu prüfen, ob die Lebensräume der linie auf S. 550 der Hinweis, daß alle Subty- Bagous-Arten in ausreichendem Maße pen des Anhangs I im Rahmen des durch die FFH-Richtlinie berücksichtigt sind, Novellierungsverfahrens gestrichen werden wurden die Schwerpunktlebensräume der sollen (vgl. SSYMANK et al. 1998). Hinzu Arten benannt. Diesen gegenübergestellt kommt, daß auch Vorkommen in Röhrichten werden die in der FFH-Richtlinie aufgeführ- an Flüssen durch die FFH-Lebensraumtypen ten Biotope, die diesen Beschreibungen na- nicht zu schützen sind. Eine Aufnahme der hekommen oder entsprechen (vgl. Tabelle Röhrichte bewohnenden Bagous-Arten Ba- 6). Auf dieser Basis wird geprüft, ob die von gous majzlani, Bagous elegans und Bagous den Bagoinae besiedelten Lebensraumtypen frivaldszkyi erscheint daher zwingend gebo- (Schwerpunkte) durch FFH-Lebensraumty- ten. Eine Aufnahme des monophagen Ba- pen potentiell geschützt sind. Informationen gous binodulus ist ebenfalls besonders zu zur Gefährdung der jeweiligen Wirts- empfehlen, weil die Art in zahlreichen Ge- pflanzen werden ebenfalls mitgeteilt. bieten ihren Schwerpunkt in extensiv Es zeigt sich, daß die Schwerpunkt- unterhaltenen Krebsscherengräben hat (z.B. lebensräume der Bagous-Arten in den mei- im Niedervieland oder im Hollerland), die in sten Fällen durch die in der FFH-Richtlinie der FFH-Richtlinie ebenfalls nicht berück- berücksichtigten Lebensräume erfaßt sind. sichtigt sind. Allerdings sind die Röhrichte (ohne emerse Eine Berücksichtigung in der FFH-Richtli- oder submerse Begleitvegetation), die nicht nie ist auf den ersten Blick für die meisten zur Vegetation des Magnopotamion oder übrigen Arten nicht zwingend erforderlich. Hydrocharition gehören, in der FFH-Richtli- Allerdings bleibt zu prüfen, ob die von den nie unverständlicherweise nicht berücksich- potentiell gefährdeten, sehr seltenen, ex- tigt. Deshalb sind die Lebensräume von Ba- trem seltenen oder vom Aussterben bedroh- gous frivaldszkyi, B. elegans und von B. ten und vorwiegend europäisch verbreiteten majzlani durch die FFH-Richtlinie nicht ab- Bagous-Arten bewohnten Gewässer tat- PETER SPRICK: Eignung einer Insektengruppe für die FFH-Richtlinie am Beispiel der Bagoinae 87 sächlich durch die bisher gemeldeten und genannten Gebiete stellen nur einen Teil der akzeptierten Gebietsmeldungen berücksich- bisher gemeldeten dar (SSYMANK, mündl. tigt sind. Dies ist zur Zeit nicht ohne weiteres Mitteilung 1999). Sollte dies nicht in ausrei- zu ermitteln; die bei SSYMANK et al. (1998) chendem Maße der Fall sein, wäre eine Auf-

Tabelle 6. Vergleich der Lebensräume der deutschen Bagous-Arten (Schwerpunkt- lebensräume) mit den in Anhang I der FFH-Richtlinie berücksichtigten Lebensraumtypen, die diesen nahekommen oder entsprechen

Arten Schwerpunktlebensräume der Bagoinae und Gefährdung der Wirtspflanze* FFH-Lebensraumtypen** (nach KORNECK et al. 1996) Bagous alismatis (Meso- bis) eutrophe Weiher mit Alisma ungefährdet plantago-aquatica oder langsam fließende Gewässer mit Sagittaria FFH-Lebensraumtyp: 3150 Bagous argillaceus Primäre Salzstellen ? FFH-Lebensraumtyp: 1340 Bagous binodulus Extensiv unterhaltene Gräben ("Krebs- in allen 9 Bundesländern, in scherengräben"), meso- bis eutrophe Alt- denen sie indigen ist wässer mit Stratiotes aloides FFH-Lebensraumtyp: 3150 (v. all. 240305) Bagous brevis Oligotrophe Stillgewässer mit zeitweilig nur in Mecklenburg-Vor- trockenfallenden Sand- oder Schlamm- pommern flächen mit Ranunculus flammula FFH-Lebensraumtyp: 3130 (240804, 240805) Bagous claudicans Meso- bis eutrophe Stillgewässer, Ufer und ungefährdet nasse Wiesen mit Equisetum fluviatile FFH-Lebensraumtypen: 3130, 3150 Bagous collignensis Eutrophe Teiche, Weiher und Seen mit in 4 Bundesländern Myriophyllum spicatum FFH-Lebensraumtyp: 3150 Bagous czwalinai Moore (Hochmoore) ? FFH-Lebensraumtyp: 7110(?) Bagous diglyptus Trockenhänge, wechseltrockene Wiesen mit in 2 Bundesländern Saxifraga granulata FFH-Lebensraumtypen: 6214, 6510 Bagous elegans Phragmites-Röhrichte an Seen (Wellenzone) ungefährdet und größeren Flüssen FFH-Lebensraumtyp: --- Bagous frit Moorgewässer, dystrophe Seen und Zwi- in 11 Bundesländern schenmoore mit (Sphagnum und) Meny- anthes trifoliata FFH-Lebensraumtypen: 3160, 7140 Bagous frivaldszkyi Röhrichte an eutrophen Auengewässern mit ungefährdet Phalaris arundinacea FFH-Lebensraumtyp: --- Bagous glabrirostris Meso- bis eutrophe Stillgewässer mit Stra- in 7 Bundesländern sind beide tiotes aloides oder Ceratophyllum submer- Wirtspflanzen gefährdet sum FFH-Lebensraumtyp: 3150 Bagous limosus Meso- bis eutrophe Stillgewässer mit Po- tamogeton crispus, natans oder lucens FFH-Lebensraumtyp: 3150 Bagous longitarsis Mesotrophe Auengewässer mit Myrio- in 9 Bundesländern phyllum verticillatum (oder M. spicatum) FFH-Lebensraumtyp: 3150 88 Insecta, Berlin, 6 (2000) nahme von Bagous rotundicollis, Bagous (z.B. HYMAN 1992). Dies liegt jedoch vor al- petro, Bagous claudicans und Bagous brevis lem an der großen Seltenheit vieler Arten; unbedingt zu befürworten. Die Bestimmung der Aufbau einer für die Bestimmung von Bagous-Arten gilt zuweilen als schwierig unerläßlichen Vergleichssammlung kann hier

Bagous lutosus Mesotrophe Stillgewässer mit Potamogeton in 12 Bundesländern, minde- gramineus stens Kategorie '2' FFH-Lebensraumtyp: 3130 Bagous lutulentus Sümpfe, Naßwiesen und meso- bis eutrophe ungefährdet Stillgewässer mit Equisetum fluviatile FFH-Lebensraumtypen: 3130, 3150 Bagous lutulosus Heideweiher (und feuchte Heiden?) mit ungefährdet Juncus bufonius; auch in Lebensräumen mit anderen Juncus-Arten, z.B. J. subnodulosus? FFH-Lebensraumtyp: 3130 (vor allem 240804) Bagous majzlani Glyceria maxima- und Phragmites-(?)Röh- ungefährdet richte an Flüssen, in Ästuarien (und Seen?) FFH-Lebensraumtyp: 1130? (s. Text) Bagous nodulosus Eutrophe Stillgewässer und langsam in 6 Bundesländern fließende Gewässer mit Butomus umbel- latus FFH-Lebensraumtyp: 3150 Bagous petro Dystrophe sowie meso- bis eutrophe U. australis in allen Bun- Stillgewässer mit Utricularia vulgaris desländern; U. vulgaris s.str. nur in Hessen und Bayern un- gefährdet FFH-Lebensraumtypen: 3150, 3160 Bagous puncticollis Meso- bis eutrophe Stillgewässer mit einzelne Arten gefährdet Hydrocharitaceae FFH-Lebensraumtyp: 3150 Bagous robustus Eutrophe Stillgewässer und nasse Ufer mit ungefährdet Alisma plantago-aquatica FFH-Lebensraumtyp: 3150 Bagous rotundicollis Windgeschützte Stillgewässer mit in 7 Bundesländern Nymphaea alba FFH-Lebensraumtyp: 3150 Bagous subcarinatus Meso- bis eutrophe Stillgewässer mit in 8 Bundesländern Ceratophyllum submersum FFH-Lebensraumtyp: 3150 Bagous tempestivus Auenwiesen, Röhrichte, Seggenwiesen, ungefährdet Flutrasen und Ufer von Stillgewässern mit Ranunculus repens FFH-Lebensraumtypen: 3150, 6440 Bagous tubulus Flache Ufer bzw. eutrophe Stillgewässer mit ungefährdet Alopecurus aequalis, Glyceria fluitans oder Gl. notata; wahrscheinlich noch weitere Gräser FFH-Lebensraumtyp: 3150

*: Maximum 13 Bundesländer (nur Flächenländer berücksichtigt) **: FFH-Lebensräume: 1130: Ästuarien; 1340: Salzwiesen im Binnenland; 3130: Mesotrophe Gewässer des mitteleuropäischen und perialpinen Raumes; 3150: Natürliche eutrophe Seen mit einer Vegetation vom Typ Ma- gnopotamion oder Hydrocharition incl. Altwasser, Weiher und Tümpel (240305: Altwasser; 240804 bzw. 240805: zeitweilig trockenfallende Sand- bzw. Schlammfläche an stehenden Gewässern); 3160: Dystrophe Seen; 6214: Subkontinentale Halbtrockenrasen sandig-lehmiger basenreicher Böden; 6440: Brenndolden-Auenwiesen der Stromtäler; 6510: Extensive Mähwiesen der planaren bis submontanen Stufe; 7110: Naturnahe lebende Hochmoo- re; 7140: Übergangs- und Schwingrasenmoore PETER SPRICK: Eignung einer Insektengruppe für die FFH-Richtlinie am Beispiel der Bagoinae 89 einige Zeit in Anspruch nehmen. Ist diese je- Bagous elegans, eine seltene Art, die trotz doch vorhanden, ist die Bestimmung von weiterer Verbreitung, die deutlich über die Bagous-Arten kaum schwieriger als die vieler Grenzen Europas hinausgeht, aufgenommen anderer Insekten wie z.B. der FFH-Arten Li- werden sollte, da es sich um eine flugunfähi- moniscus violaceus, Graphoderus biline- ge Art mit hoher Habitatspezifität handelt. atus, Maculinea spp. oder der meisten Moo- Bagous binodulus, eine seltene Art größe- se. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Exper- rer alter Krebsscherenbestände, die in man- ten, die eine zuverlässige Bestimmung von chen Gebieten nur noch in Grabensystemen Bagous-Arten zum Aufbau einer Arbeits- vorkommt (s. u.). sammlung übernehmen können. – Und im Falle der hier vorgeschlagenen habituell gut Potentielle FFH-Arten, die aufgenommen unterscheidbaren FFH-Arten ist die Bestim- werden sollten, falls ihre Fundorte nicht mung sogar weitgehend unproblematisch; durch die gemeldeten Gebiete abgedeckt lediglich Bagous brevis und B. claudicans sind sind bestimmungskritische Arten, die jedoch Bagous brevis und Bagous claudicans, bei Fang von der Wirtspflanze – bei B. brevis beide extrem selten. ohnehin die einzige gut einsetzbare Nach- Bagous petro, nur ein aktueller Fundort in weismethode – ebenfalls gut anzusprechen Deutschland: NSG Ferbitzbruch in der Döbe- sind. Aufgrund des dargelegten (hohen) Ri- ritzer Heide (HENDRICH & UNMÜSSIG 1997). sikopotentials, der Verbreitung der Arten, Bagous rotundicollis, nur zwei oder drei ihrer Gefährdung in Deutschland und der aktuelle Fundorte im östlichen Deutschland gegebenen oder anzunehmenden Ge- (s.o.). fährdung in Europa werden mehrere Arten Bagous binodulus ist ggf. dieser Gruppe als potentielle FFH-Arten vorgeschlagen. zuzuordnen, falls es sich herausstellen sollte, Bei vier Arten wird eine Aufnahme unmit- daß es sich bei dem Schwerpunktlebens- telbar empfohlen, bei vier weiteren Arten raum dieser Art eindeutig um Teiche oder sollte die Entscheidung über eine Aufnahme Altwässer (und nicht um extensiv unterhal- auf der Basis eines Vergleichs zwischen den tene Grabensysteme) handelt. gemeldeten FFH-Gebieten und den bekann- Bis auf Bagous elegans sollten alle hier ten Fundorten dieser Arten erfolgen. Die vorgeschlagenen Arten als prioritäre Arten5 meisten Arten sind empfindliche Bioindikato- in Anhang II6 der FFH-Richtlinie aufgenom- ren für saubere Gewässer bzw. ursprüngliche men werden. Biotopsituationen und sollten zur Charakteri- Auch wenn die Anzahl vorgeschlagener sierung von FFH-Lebensräumen herangezo- Arten (8) auf den ersten Blick relativ hoch gen werden. Für eine Aufnahme in die FFH- erscheint, handelt es sich hier doch um ex- Richtlinie sind besonders geeignet: treme Spezialisten, die in kaum einer Inven- tarliste vertreten und in mehreren Fällen nur Potentielle FFH-Arten, die aufgrund der mangelnden Berücksichtigung ihrer Le- bensräume aufgenommen werden sollten 5 Prioritäre Arten sind Arten, für deren Erhaltung der Bagous frivaldszkyi (vgl. Abb. 2), überall Gemeinschaft eine besondere Verantwortung zufällt sehr selten oder extrem selten, in der Slo- 6 Anhang II der FFH-Richtlinie umfaßt Tier- und wakei z.B. erst kürzlich nach 50 Jahren am Pflanzenarten von gemeinschaftlichem Interesse, für Morava-Fluß in einem Exemplar wieder- deren Erhaltung besondere Schutzgebiete ausgewiesen werden müssen. Im Gegensatz dazu sind im Anhang IV gefunden, in einem benachbarten Schutzge- lediglich „streng zu schützende Tier- und Pflanzenarten biet ausgestorben [MAJZLAN 1993]). von gemeinschaftlichem Interesse“ enthalten. Da der Bagous majzlani, eine flugunfähige, in Schutz von Individuen im Sinne von Anhang IV einen Deutschland extrem seltene Art, von der ak- Lebensraumschutz nicht beinhaltet, Insekten wirksam aber nur durch Lebensraumschutz geschützt werden tuelle Funde nur aus der Hamburger Gegend können, wird hier in allen Fällen ausschließlich eine Auf- vorliegen. nahme in Anhang II empfohlen. 90 Insecta, Berlin, 6 (2000) noch mit ein bis drei Fundorten aus Deutsch- Stellvertretend für die gesamte Vielfalt land bekannt sind. sollte es genügen, aufgrund bestimmter Voraussetzungen Vertreter aus Gruppen mit besonders auffallenden Spezialisierungen 6. Abschließende Bemerkungen sowie hohem Risikopotential auszuwählen. Die Bagous-Arten sind aufgrund ihrer Bei den vor allem an Stillgewässer und aus- Spezialisierung und des damit einherge- reichend vernäßte Niederungswiesen ge- henden Risikopotentials an Landschaften bundenen Bagoinae sind diese Vorausset- gebunden, die durch intakte, meso- bis eu- zungen durch enge Wirtspflanzenbindung, trophe, pflanzenreiche Stillgewässer geprägt geringes Wiederbesiedlungspotential, Pla- sind, wie sie für große Teile des eiszeitlich stronatmung und hohe Empfindlichkeit ge- geprägten Deutschland charakteristisch sind. genüber Gewässerverschmutzungen wei- Auch die beiden flugunfähigen, an fließen- testgehend erfüllt. des Wasser angepaßten Arten, insbesondere Biotopschutz und Pflanzenartenschutz B. elegans als Reinwasserart, sind sehr gute sind zuweilen unzureichende Maßnahmen, Qualitätsindikatoren für ursprüngliche weil seltene und gefährdete Tierarten nicht Gewässerlebensräume. an gefährdete Pflanzen gebunden sein müs- Viele Bagous-Arten sind relativ klein (2,2 sen, und diese dann weder bei Pfle- – 6 mm, meist 2,6 – 4 mm) und unscheinbar gemaßnahmen noch im Zusammenhang mit gefärbt; es herrschen braune und graue einem Gebietsmonitoring besonders berück- Farbtöne vor. Auffallender sind vor allem die sichtigt würden. 4 – 6 mm großen Bagous binodulus, B. Die kontinuierliche Erhaltung ausrei- nodulosus, B. rotundicollis und B. frivaldsz- chend großer Wirtspflanzenbestände von je- kyi sowie die 6 – 8 mm großen B. elegans weils mehreren hundert oder besser noch und B. majzlani (alle Längenangaben, wie mehreren tausend Exemplaren an jeweils bei Rüsselkäfern üblich, ohne den Rüssel). räumlich getrennten Stellen eines Lebens- Unscheinbarkeit kann jedoch kein Argument raumkomplexes bzw. eines Schutzgebietes gegen eine Aufnahme in die FFH-Liste sein, sowie die sachgerechte Behandlung der weil z.B. viele Pflanzenorgane für die sich Pflanzenbestände sind wesentliche Voraus- überwiegend endophag entwickelnden setzungen für den erfolgreichen Schutz der Rüsselkäfer strenge Größenlimitierungen betreffenden Arten. Die Wirtspflanzenbe- vorgeben. Darüber hinaus liegt ein we- stände müssen in mehreren voneinander ge- sentliches Ziel der FFH-Richtlinie im Schutz trennten Gewässern oder in verschiedenen der für Europa typischen Arten und Lebens- Teilen eines größeren Gewässers vor- gemeinschaften (SSYMANK et al. 1998): Als kommen, so daß nach einem lokalen Aus- Grundbausteine der Biodiversität sind die sterbeereignis in einem Gewässer durch eine besonders gefährdeten Erscheinungsformen Verschmutzung oder eine andere Rück- der Enden des digitalen Flusses (im Sinne gangsursache bei Wiederherstellung der von DAWKINS 1996) mit vorwiegend europäi- Ausgangsbedingungen eine Wiederbesied- scher Gesamtverbreitung unabhängig von lung (zumindest für die flugfähigen Arten) ihrem jeweiligen Phänotyp zu erhalten und möglich ist. ggf. zu schützen. Zur Sicherung des europäi- schen Naturerbes liegt das wesentliche Ziel 7. Nachweismethoden für Bagous-Arten der Richtlinien (FFH- und Vogelschutzrichtli- nie) – neben konkreten Artenschutzbestim- Der gezielte Nachweis der Arten setzt mungen – in der Ausweisung und dauerhaf- gute Pflanzenkenntnisse voraus, zumindest ten Sicherung eines europäischen kohä- sollte man in der Lage sein, die Wirtspflan- renten ökologischen Netzes von besonderen zengattungen im Gelände anzusprechen. In Schutzgebieten (NATURA 2000; vgl. SSY- einem auf Bagoinae zu untersuchenden Ge- MANK et al. 1998). wässer sind zunächst Wasserqualität und PETER SPRICK: Eignung einer Insektengruppe für die FFH-Richtlinie am Beispiel der Bagoinae 91

Vorkommen der Wirtspflanzen zu begut- ders im Falle von Utricularia ist aber zu achten. So lassen sich z.B. submerse Pflan- beachten, daß alle 7 Arten bundesweit zen wie Potamogeton-, Myriophyllum-, Ce- gefährdet sind und die Bestände nicht maß- ratophyllum- oder Utricularia-Arten recht geblich reduziert werden dürfen; auch zuverlässig in Spülsäumen auffinden. Bei Myriophyllum verticillatum ist in den mei- den weniger feinblättrigen bzw. nicht sub- sten Bundesländern gefährdet. Die Pflanzen mersen Pflanzengattungen sollte generell sollten anschließend wieder ins Gewässer auch auf Fraßspuren (Loch- oder Minierfraß) zurückgesetzt werden. geachtet werden. Das gezielte Aufsuchen Zum Nachweis von Bagous binodulus und Absuchen der Wirtspflanzen an geeig- sollte die Oberseite von Stratiotes aloides neten Standorten und zur richtigen Jahres- sorgfältig nach Fraßspuren von Imagines zeit ist eine wichtige Nachweismethode. oder Larven abgesucht werden. Die Imagi- Durch den Nachweis über die Wirtspflanze, nes halten sich gern an der Basis zwischen insbesondere bei häufigem Vorkommen den Blättern von Pflanzen mit augenschein- oder Nachweis von Fraßspuren, ist bei den lich eingeschränkter Vitalität bzw. hellerer meisten Arten auch die Artansprache erheb- Färbung auf. Die Einzelpflanzen sollten dann lich erleichtert. Arten wie Bagous rotundi- herausgenommen, ausgeschüttelt und wie- collis oder B. brevis sind ohne gezieltes Auf- der zurückgesetzt werden. suchen/Untersuchen ihrer Wirtspflanzen Bagous brevis ist durch Absuchen der praktisch nicht nachweisbar. Stengel und Blätter von Ranunculus flam- Begehungen zum Nachweis von Bagous- mula an den Ufern oligotropher (bis me- Arten sollten auf jeden Fall im Juni statt- sotropher) Gewässer zu finden. Insbeson- finden. Im (Mai-) Juni (und Juli) findet bei dere sollten auch Vorkommen ektophager den meisten Arten erst die Eiablage statt. Larven und von Fraßspuren eine gezielte Aufgrund ihrer abendlichen und nächtlichen Nachsuche nach den Imagines erleichtern Aktivität können viele Bagous-Arten der (Mai bis Mitte Juli). Stillgewässer und feuchten Wiesen am Zum Nachweis des seltenen Bewohners frühen Abend und nachts von ihren Wirts- des Teich-Schachtelhalms, Bagous claudi- pflanzen oder anderen aus dem Wasser cans, sollten die Pflanzen im Mai (und Juni) herausragenden Pflanzen abgestreift wer- abgekeschert werden. den. Der sehr seltene Bagous frivaldszkyi ist Nach dem tagaktiven B. binodulus, dem am ehesten durch Abklopfen von Phalaris an Ranunculus flammula lebenden B. arundinacea an nassen Standorten in Auen brevis, dem an Teich-Schachtelhalm leben- im Juni zu fangen. den B. claudicans, den in Schilf- bzw. Was- Um Bagous rotundicollis aufzufinden, ist serschwaden-Halmen lebenden B. elegans in der Regel ein Boot erforderlich, um die und B. majzlani sowie dem in der Schwimm- Seerosenblätter erreichen und deren Ober- blattzone von Seen lebenden B. rotundicol- bzw. Unterseiten und ggf. die oberen Sten- lis sucht man allerdings zweckmäßigerweise gelteile nach Fraßspuren bzw. Imagines die- tagsüber (bzw. in den frühen Abendstun- ser Bagous-Art absuchen zu können (Juni bis den). Ansonsten ist auch das Abstreifen der Anfang September). Auch zum Nachweis untergetauchten Pflanzenteile mit einem von B. elegans ist der Einsatz eines Bootes Wasserkescher eine gut einsetzbare Metho- oder von Wathosen anzuraten. de. Bagous elegans und Bagous majzlani sind Bestände submerser Wirtspflanzen kön- am besten durch Aufschneiden der submers nen herausgezogen, vorsichtig ausgewrun- wachsenden Teile der Halme von Phragmi- gen und bei sonnigem Wetter auf einem tes australis und von Glyceria maxima zu weißen Tuch ausgebreitet werden. Neben finden (August). Bagous petro können B. collignensis und B. Eine weitere Nachweismethode ist das longitarsis so nachgewiesen werden. Beson- Durchsieben ufernaher Laublagen und an- 92 Insecta, Berlin, 6 (2000) gespülter Pflanzenreste im Winterhalbjahr, tere 9 sind europäisch-vorder-asiatisch, eu- insbesondere nach Hochwasser. Die meisten ropäisch-mittelasiatisch oder europäisch- Individuen überwintern oberflächennah und nordafrikanisch und nur 7 paläarktisch ver- ohne größere Strecken zurückzulegen. Hier breitet. wurden einige Arten an geeigneten Stellen Alle Arten sind in mindestens einem auch zuweilen in größerer Anzahl gefunden. Bundesland gefährdet, von vielen Arten exi- Viele Arten können bis in den Frühsommer stieren in zahlreichen Regionen Deutsch- hinein durch Sieben nachgewiesen werden. lands nur alte Nachweise. Die Rüsselkäfer der Unterfamilie Bagoinae sind in besonde- rer Weise an ihre Umwelt angepaßt. Bei fast 8. Zusammenfassung allen Arten ist ein hohes Risikopotential ge- Angesichts einer Unausgewogenheit bei geben, das auf ihr geringes Ausbreitungs- den Insektenarten in der FFH-Richtlinie wur- vermögen, die submerse Lebensweise sowie de ein Prüfschema für die Aufnahme von ihre enge Habitat- und Wirtspflanzenbin- Wirbellosenarten in die FFH-Liste entwickelt dung zurückzuführen ist (ausschließlich mo- und am Beispiel der Rüsselkäfer-Unterfami- no- und oligophage Arten); häufig liegt eine lie Bagoinae getestet. Wesentliche Inhalte Bindung an gefährdete Pflanzenarten und in der Prüfung sind Raumrelevanz, Risikopo- allen Fällen an gefährdete Biotoptypen vor. tential und ein Vergleich der Lebensräume Es handelt sich überwiegend um verschmut- der Bagoinae mit den nach der FFH-Richt- zungsempfindliche Plastronatmer, deren Le- linie schutzwürdigen Lebensraumtypen. Die bensraum saubere, insbesondere meso- und Raumrelevanz wird anhand der Verbreitung eutrophe (nicht durch Umweltverschmut- der Arten überprüft, das Risikopotential an- zungen bzw. Düngemittel belastete), pflan- hand ihrer Empfindlichkeit gegenüber an- zenreiche Stillgewässer verschiedenen Typs thropogenen Beeinträchtigungen und Bela- darstellen. Einige wenige Arten leben in stungen (Gefährdungsanalyse); des weiteren wechselnassen, im Frühjahr längere Zeit werden die aus der Biologie der Arten abzu- überschwemmten Wiesen, in Sphagnum- leitenden Risikofaktoren einbezogen. Wich- Mooren, an zeitweilig trockenfallenden tige Kenngrößen sind hier Wirtspflanzen- Ufern oligotropher Gewässer, eine Art in bindung (incl. Gefährdung der Wirtspflan- Salzsümpfen und in der Umgebung von zen und der Lebensräume), Larvalentwick- Salzquellen, eine weitere in trockenen Wie- lung, trophische Nische, Plastronatmung, sen; zwei Arten leben in größeren Fließge- Flugfähigkeit bzw. Ausbreitungs- und Neu- wässern oder Stillgewässern mit Strömung besiedlungsvermögen. oder Wellenzone. Es handelt sich überwie- Der Vergleich zwischen den Lebensräu- gend um wichtige Qualitätsindikatoren für men von Bagous-Arten und FFH-Lebens- ursprüngliche bzw. weitgehend unbelastete raumtypen umfaßt zwei Schritte: Zunächst Stillgewässerlebensräume. wird geprüft, ob die Schwerpunktlebensräu- Erstmals wird die Wirtspflanzenbindung me der Bagous-Arten durch die FFH-Le- der mono- und oligophagen Bagous-Arten bensraumdefinitionen abgedeckt sind. Da- unter besonderer Berücksichtigung sekundä- nach bleibt noch zu prüfen, ob die bekann- rer Pflanzeninhaltsstoffe sowie der Larval- ten Lebensräume potentieller FFH-Arten entwicklung unter ökologischen Gesichts- durch die gemeldeten Lebensräume ge- punkten diskutiert. Wirtspflanzenbindung schützt sind. bzw. Larvalentwicklung sind wesentlich für Die Daten zu Verbreitung, Biologie und die Erklärung der Einnischung der Arten, An- Gefährdung der in Deutschland vorkom- satzpunkt für den gezielten Nachweis sowie menden Bagous-Arten wurden durch Litera- für die besondere Berücksichtigung in turrecherche und Expertenumfrage ermit- Pflegekonzepten und Monitoringprogram- telt. 10 Arten sind rein europäisch, davon 6 men. Hinweise zur Monitoringeignung der mittel- und nordeuropäisch verbreitet; wei- Arten werden gegeben. PETER SPRICK: Eignung einer Insektengruppe für die FFH-Richtlinie am Beispiel der Bagoinae 93

Aufgrund ihrer Habitatbindungen, ihrer II of the Directive are proposed and tested Gefährdungssituation und der vorwiegend for weevils of the subfamily Bagoinae. The europäischen Verbreitung besteht eine distribution of 11 species is confined to besondere Verantwortung der EU für den Europe, the range of 9 species also extends Schutz mehrerer Arten der Unterfamilie Ba- into the Near East or North Africa, and only goinae. Ohne besondere Schutzbemühun- 6 species have a wider (Palearctic) distributi- gen bzw. eine Berücksichtigung in Schutz- on. Therefore, the protection of many Ba- konzepten drohen viele der Arten in großen goinae is primarily a European responsibility. Teilen Europas mittel- bis langfristig auszu- In Germany, all Bagoinae species are vulne- sterben. rable in at least one 'Bundesland'; several Der Vergleich der Lebensräume der Ba- species have not been recorded in the past goinae mit den in der FFH-Richtlinie erfaß- 50 years. ten Biotoptypen ergab, daß die meisten Ar- The interaction of the beetles with their ten in Lebensräumen zu erwarten sind, die host plants, including their larval develop- bereits in der FFH-Richtlinie berücksichtigt ment and secondary plant metabolites, is sind. Den Aufnahmekriterien hohes Risiko- found to be a key factor in the niches of Ba- potential, europäische Gesamtverbreitung, goinae species. It is concluded that the main Gefährdung in Europa sowie nicht ausrei- reasons for threat in Bagoinae are their high chende Berücksichtigung durch die FFH-Le- degree of ecological and trophic specialisati- bensraumtypendefinitionen genügen vier on, low dispersal power, and their sensitivity Arten. Dies sind Bagous binodulus, Bagous to pollution. Some species only occur in un- elegans, Bagous frivaldszkyi und Bagous polluted, meso- to eutrophic lakes and majzlani. Für diese vier Arten erscheint eine ponds with dense vegetation, others are Aufnahme in die FFH-Richtlinie geboten, da confined to rivers, to periodically flooded ihre Schwerpunktlebensräume, Röhrichte meadows, bogs, and saline habitats; one bzw. in einem Fall extensiv unterhaltene species is restricted to sun-exposed dry Grabensysteme, durch die FFH-Lebens- grassland. Consequently, the protection of raumtypen nicht bzw. nicht ausreichend ab- such habitats is essential for the conservati- gedeckt sind. on of Bagoinae. Vier weitere Arten werden für den Fall als Four species meet the admission criteria FFH-Arten vorgeschlagen, sofern die be- European distribution, risk potential and vul- kannten Fundorte dieser Arten durch die bis- nerability in Europe, and also insufficient her erfolgten Gebietsmeldungen nicht be- protection by the habitat definitions of the rücksichtigt sind. Dies sind Bagous brevis, Habitats Directive: Bagous binodulus, Ba- Bagous claudicans, Bagous petro und Ba- gous elegans, Bagous frivaldszkyi and Ba- gous rotundicollis. Da eine solche Prüfung gous majzlani. These species are proposed zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht möglich to be included in the Annex II of the Direc- ist, kann für diese Arten derzeit nur eine vor- tive. läufige Empfehlung ausgesprochen werden. If the localities with known Bagoinae po- Alle Arten werden für eine Aufnahme in pulations are not protected by the Habitats Anhang II der FFH-Richtlinie vorgeschlagen, Directive, also the following four species are und bis auf B. elegans alle als prioritäre Ar- proposed for Annex II: Bagous brevis, Ba- ten. gous claudicans, B. petro and Bagous rotun- dicollis. These recommendations, however, are preliminary, because a comparison of the Summary localities relevant for endangered Bagoinae In view of some discrepancies regarding with the sites already proposed for the Habi- the list of insect species in the Habitats Di- tats Directive is not yet possible. rective, suitable criteria and a procedure for the admission of species to Annex 94 Insecta, Berlin, 6 (2000)

Danksagungen Aquatic weevils of China (Coleoptera). – In: JÄCH, M.A. & L. JI (Hrsg.): Water Beetles of Chi- Allen Kollegen, die mich bei der Exper- na 1, 389-408, Wien. CALDARA, R., & O'BRIEN, C.W. (1998): Systematics and tenumfrage durch mündliche und schriftli- evolution of Weevils of the genus Bagous. VI. che Mitteilungen mit ihren Anmerkungen, Taxonomic treatment of the species of the Wes- Anregungen und Hinweisen unterstützt ha- tern Palearctic Region (Coleoptera Curcu- ben, sei herzlich gedankt! Schriftliche Mittei- lionidae). – Mem. Soc. entomol. Ital. 76, 131- 347. lungen haben beigesteuert: CHRISTOPH BAYER CASPER, S. J., & KRAUSCH, H.-D. (1981): Pteridophyta (3/99), LUTZ BEHNE (1/99), CLEMENS M. und Anthophyta. 2. Teil: Saururaceae bis Aste- BRANDSTETTER (7.3.99), WOLFGANG GRUSCH- raceae. – In: ETTL, H., J. GERLOFF, & HEYNIG, H. WITZ (17.2.99), STEPHAN GÜRLICH (2/99), (Hrsg.): Süßwasserflora von Mitteleuropa, 942 pp., Stuttgart, New York. THEODOOR HEIJERMAN (2.3.99), UWE HEINIG CUPPEN, J. G. M., & HEIJERMAN, T. (1995): A description (7.2.99), STIG LUNDBERG (3/99), M.G. MORRIS of the larva of Bagous brevis GYLLENHAL, 1836 (4.2.99), GERD MÜLLER-MOTZFELD (2/99), EI- (Coleoptera Curculionidae) with notes on its VIND PALM (1/99 und 10.2.99), AXEL SSYMANK biology. – Elytron 9, 45-63. DALHOFF, B. (1999): Schutzmaßnahmen für Amphibien. (1/99), HERBERT WINKELMANN (28.1.99). – Unterricht Biologie 23, 45-50. Mündliche Mitteilungen stammen von: DAWKINS, R. (1996): Und es entsprang ein Fluß in Eden. – SANDRA BALZER, CHRISTOPH BAYER, LUTZ BEHNE, Das Uhrwerk der Evolution, 190 pp., München. STEPHAN GÜRLICH, KLAUS & PIA HANDKE, FRANK DIECKMANN, L. (1964): Die mitteleuropäischen Arten aus der Gattung Bagous GERM. – Entomol. Blätter 60 KÖHLER, ALBERT MELBER, EIVIND PALM, LUDGER (2), 88-111. SCHMIDT, AXEL SSYMANK, ROLAND SUIKAT, PETER DIECKMANN, L. (1972): Beiträge zur Insektenfauna der STÜBEN, HERBERT WINKELMANN und WOLFGANG DDR: Coleoptera – Curculionidae: Ceuto- 22 ZIEGLER. rhynchinae. – Beitr. Entomol. (1/2), 3-128. DIECKMANN, L. (1983): Beiträge zur Insektenfauna der Besonders bedanken möchte ich mich für DDR: Coleoptera – Curculionidae (Tanyme- alle umfangreicheren Beiträge; so bei Uwe cinae, Leptopiinae, Cleoninae, Tanyrhynchinae, HEINIG, der mir bisher unveröffentlichte Da- Cossoninae, Raymondionyminae, Bagoinae, Ta- ten zur Biologie von Bagous rotundicollis zur nysphyrinae). – Beitr. Entomol. 33(2), 257-381. DIECKMANN, L. (1990): Revision der mitteleuropäischen Verfügung gestellt hat, bei LUTZ BEHNE für Arten der Bagous collignensis-Gruppe (Insecta, seine Hinweise zur Flugaktivität und zum Coleoptera, Curculionidae: Bagoinae). – Rei- Nachweis vieler Arten sowie seine aus- chenbachia 27(27), 141-145. führlichen Informationen zur Gefährdung, GADEAU DE KERVILLE, M.H. (1886): Bagous binodulus HERBST et Galerucella nymphaeae L. – Ann. Soc. ganz besonders auch bei EIVIND PALM für sei- ent. Fr. 55, 423-430. ne Angaben zur Biologie von Bagous lutosus GEISER, R. (1998): Rote Liste der Käfer (Coleoptera). – sowie zur Flugaktivität, zur Verbreitung und In: BINOT, M., R. BLESS, P. BOYE, GRUTTKE, H., & PRETSCHER, P. (Hrsg.): Rote Liste gefährdeter Tie- zum Nachweis vieler Arten, bei STEPHAN GÜR- re Deutschlands. Schriftenr. Landschaftspfl. Na- LICH für seine Diskussionsbeiträge zur FFH- turschutz 55, 168-230. Thematik und seinen Vorschlag für ein Prüf- GRÄF, H., & BEHNE, L. (1994): Interessante Käferfunde schema, bei PETER SCHÜLE für die Zeichnung aus der Nordostslowakei (Dryop., Bupr., En- domych., Curc.). Kleine Mitteilungen 2142. – von Bagous frivaldszkyi und bei URSULA Entomol. Blätter 90, 125-126. BAUR für ihre Hilfe beim Korrekturlesen des HANSEN, M. (1996): Katalog over Danmarks biller. – En- Textes. tomol. Meddelels. 64(1-2), 1-231. HANSEN, M., JRUM, P., MAHLER, V., & VAGTHOLM-JENSEN, 9. Literatur O. (1991): Niende tillaeg til „Fortegnelse over Danmarks biller“ (Coleoptera). Entomol. Med- BEHNE, L. (1992): Rote Liste Rüsselkäfer (Curculionidae). delels. 59, 5-21. – In: Ministerium für Umwelt, Naturschutz und HEGNAUER, R. (1963): Chemotaxonomie der Pflanzen 2. Raumordnung des Landes Brandenburg (Hrsg.): Monocotyledoneae. – Basel, Stuttgart, 540 pp. Gefährdete Tiere im Land Brandenburg, 195- HEGNAUER, R. (1964): Chemotaxonomie der Pflanzen 3. 214. Dicotyledoneae: Acanthaceae – Cyrillaceae. – BEHNE, L. (1996): Rote Liste der Rüsselkäfer (Curculio- Basel, Stuttgart, 743 pp. noidea) Thüringens. – Landschaftspfl. Natur- HEGNAUER, R. (1966): Chemotaxonomie der Pflanzen 4. schutz Thüringen 33(3), 68-72. Dicotyledoneae: Daphniphyllaceae – Ly- CALDARA, R., & O'BRIEN, C.W. (1995): Curculionidae: thraceae. – Basel, Stuttgart, 551 pp. PETER SPRICK: Eignung einer Insektengruppe für die FFH-Richtlinie am Beispiel der Bagoinae 95

HEGNAUER, R. (1973): Chemotaxonomie der Pflanzen 6. LEILER, T.-E. (1987): Entwicklung und Lebensweise des Dicotyledoneae: Rafflesiaceae – Zygo- Rüsselkäfers Bagous frit HBST. (Col.). Entomol. phyllaceae. – Basel, Stuttgart, 882 pp. Blätter 83(1), 13-16. HEGNAUER, R. (1986): Chemotaxonomie der Pflanzen 7. LUNDBERG, S. (1995): Catalogus Coleopterorum Sueciae. Nachträge zu Band 1 und 2. – Basel, Boston, – Naturhistor. Riksmus. & Entomol. Föreningen, Stuttgart, 804 pp. Stockholm. HEGNAUER, R. (1989): Chemotaxonomie der Pflanzen 8. MESSNER, B., & DIECKMANN, L. (1987): Die Plastronstruk- Nachträge zu Band 3 und 4 (Acanthaceae bis turen des submers an Schilf lebenden Rüsselkä- Lythraceae). – Basel, Boston, Berlin, 718 pp. fers Dicranthus elegans (FABRICIUS, 1801) HEIJERMAN, T. (1993): Naamlijst van de snuitkevers van (Coleoptera, Curculionidae). – Zool. Jb. Anat. Nederland en het omliggende gebied (Curculio- 115(1), 115-125. noidea: Curculionidae, Apionidae, Attelabidae, MESSNER, B., & LANGER, C. (1984): Atmungsfähige Deck- Urodontidae, Anthribidae en Nemonychidae). – flügel als Anpassung an die submerse Lebens- Nederl. Faunist. Mededel. 5, 19-46. weise bei Käfern. – Zool. Jb. Anat. 111, 469-484. HEINIG, U. (1985): Bagous rotundicollis BOHEM. – ein MORRIS, M. G. (1993): A critical review of the weevils seltener Rüsselkäferfund in Berlin. – Novius 4 (Coleoptera, Curculionoidea) of Ireland and (I/1985), 47-48. their distribution. – Biol. Env.: Proc. Roy. Ir. HENDRICH, L., & UNMÜSSIG, B. (1997): Erneuter Nachweis Acad. 93B(2), 69-84. des aquatischen Rüsselkäfers Bagous petro MÜLLER-MOTZFELD, G., SCHMIDT, J., & BERG, C. (1997): (Herbst, 1795) in Ostdeutschland (Col., Curcu- Zur Raumbedeutsamkeit der Vorkommen ge- lionidae). – Entomol. Nachr. & Ber. 41(3),197- fährdeter Tier- und Pflanzenarten in Mecklen- 198. burg-Vorpommern. – Natur und Naturschutz in HOFFMANN, A. (1954): Coléoptères Curculionides. Deu- Mecklenburg-Vorpommern 33, 42-70. xième Partie. – Faune de France 59, Paris. MÜLLER-MOTZFELD, G. (2000): Auswahlkriterien für FFH- HYMAN, P.S. (1992): A review of the scarce and threate- Arten aus der Sicht der Entomologie. – Insecta, ned Coleoptera of Great Britain. Part 1. UK Na- Berlin 6 (2000), 33-44. ture Conservation 3. Revised and updated by O'BRIEN, C.W., ASKEVOLD, I.S., & MORIMOTO, K. (1994): M.S. PARSONS. – The UK Joint Nature Conser- Systematics and evolution of weevils of the ge- vation Committee Peterborough, 484 pp. nus Bagous GERMAR (Coleoptera: Curculio- JEGOROV, A.B., SCHERICHIN, V.V., & KOROTYAEV, B. A. nidae). II. Taxonomic treatment of the species of (1996): 1126. Sem. Curculionidae. – In: LER, Japan. – Esakia 34, 1-73. P.A.: Key to the insects of Russian Far East III. O'BRIEN, C.W., ASKEVOLD, I.S., & MORIMOTO, K. (1994): Coleoptera, Part 3, 556 pp., Vladivostok. Systematics and evolution of weevils of the ge- KATSCHAK, G. (1994): Die Käferfauna der Wisseler Dü- nus Bagous GERMAR (Coleoptera: Curculio- nen im Niederrheinischen Tiefland bei Kalkar nidae). IV. Three new species from Japan. – (Ins., Col.). – Mitt. AG Rhein. Koleopt. 4(3), Esakia 35, 1-15. 131-152. PALM, E., & NILSSON, A.N. (1996): Coleoptera Curculio- KOCH, K. (1992): Die Käfer Mitteleuropas. Ökologie 3. – nidae, Aquatic weevils. – In: NILSSON, A.N. (Ed.): Krefeld. Aquatic Insects of North Europe 1, Stenstrup, KODADA, J., HOLECOVA, M., & BEHNE, L. (1992): The ge- 217-222. nus Dicranthus. I. Taxonomic revision, ka- POOT, P. (1972): Dicranthus elegans F. Kleine Mitteilun- ryology and notes on the biology (Coleoptera: gen 1910. – Entomol. Blätter 68(3), 188-189. Curculionidae). – Koleopterolog. Rundschau 62, PRENA, J. (1985): Zur Biologie von Bagous diglyptus BO- 195-211. HEMAN (Col., Curculionidae). – Entomol. Nachr. KÖHLER, F., & KLAUSNITZER, B. (1998): Verzeichnis der & Ber. 29(6), p. 282. Käfer Deutschlands. Entomol. Nachr. & Ber., PUST, J., & POTT, R. (1998): Gewässerentwicklung und - Beih. 4, 1-185. Entomofauna Germanica. eutrophierung. – Naturschutz u. Land- KORNECK, D., SCHNITTLER, M., & VOLLMER, I. (1996): Rote schaftsplanung 30(8/9), 258-263. Liste der Farn- und Blütenpflanzen (Pteri- RIEDEL, A. (1989): Zur Biologie des Rüsselkäfers Bagous dophyta et Spermatophyta) Deutschlands. – cylindrus (Payk.) (Curc.). – Kleine Mitteilungen Schr.-R. Vegetationskde. 28, 21-187. 2084. Entomol. Blätter 85(1-2), 115. KORNECK, D., & SUKOPP, H. (1988): Rote Liste der in SCHAEFER, M. (1992): Wörterbücher der Biologie. – Jena, der Bundesrepublik Deutschland ausgestor- 433 pp. benen, verschollenen und gefährdeten Farn- SCHNEIDER, K. (1997): Rüsselkäfer (Curculionidae) Ge- und Blütenpflanzen und ihre Auswertung für samtartenliste (Stand: 31.12.96). – In: Land- den Arten- und Biotopschutz. – Schrift.-R. schaftsraum Harz. Arten- und Biotopschutzpro- Vegetationskde. 19, Bonn-Bad Godesberg, gramm. Ber. Landesamt Sachs.-Anh., Sonder- 210 pp. heft 4, 360-361. LANGER, C., & MESSNER, B. (1984): Rasterelektronenmi- SCHNEIDER, K., SCHOLZE, P., BEHNE, L., & JUNG, M. (1995): kroskopische Untersuchungen des Plastrons Rote Liste der Rüsselkäfer des Landes Sachsen- submers lebender Rüsselkäfer der Gattungen Anhalt. -Ber. Landesamt Umweltschutz Sachs.- und Bagous (Coleoptera, Curcu- Anh. 18, 13-23. lionidae). – Zool. Jb. Anat. 111, 155-174. SENATOR FÜR FRAUEN, GESUNDHEIT, JUGEND, SOZIALES UND 96 Insecta, Berlin, 6 (2000)

UMWELTSCHUTZ (1998): Die Krebsschere. – Slovenien, TAD: Tadschikistan, TN: Tunesien, TR: Tür- Schützenswerte Natur Nr. 5, Bremen, 9 pp. kei, UKR: Ukraine, UZB: Usbekistan SILFVERBERG, H. (1979): Enumeratio Coleopterorum Fen- noscandiae et Daniae. – Helsingfors Entomol. Bytesförening, Helsinki, 79 pp. Im Text vorkommende Pflanzennamen Agrostis stolonifera L. – Weißes Straußgras SPRICK, P. (1997): Plausibilitätsprüfungen von Wirts- pflanzenangaben bei phytophagen Käfern unter Alisma L. – Froschlöffel besonderer Berücksichtigung sekundärer Pflan- Alisma plantago-aquatica L. – Gewöhnlicher zeninhaltsstoffe. Beiträge zur Ökologie phy- Froschlöffel tophager Käfer (Col., Chrysomelidae, Curculio- Alopecurus aequalis SOBOLEWSKI – Gelbrotes Fuchs- noidea) II. – Mitt. AG Rhein. Koleopterol. 7(2), schwanzgras 73-104. Alopecurus geniculatus L. – Knick-Fuchsschwanzgras SSYMANK, A., HAUKE, U., RÜCKRIEM, C., & SCHRÖDER, E. Butomus L. – Schwanenblume (1998): Das europäische Schutzgebietssystem Butomus umbellatus L. – Schwanenblume NATURA 2000. BfN-Handbuch zur Umsetzung Ceratophyllum L. – Hornblatt der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (92/43/EWG) Ceratophyllum demersum L. – Rauhes Hornblatt und der Vogelschutzrichtlinie (79/409/EWG). – Ceratophyllum submersum L.- Zartes Hornblatt Sch.-R. Landschaftspfl. Naturschutz 53, 560 pp. Elodea L.C. RICHARD in MICHAUX fil. - Wasserpest TELNOV, D., BARSEVSKIS, A., SAVICH, F., KOVALEVSKY, F., Elodea canadensis L.C. RICHARD in MICHAUX fil. – Ka- BERDNIKOV, S., DORONIN, M., CIBULSKIS, R., & RAT- nadische Wasserpest NIECE, D. (1997): Check-List of Latvian Beetles Equisetum fluviatile L. em. EHRH. (= E. limosum L.) – (Insecta: Coleoptera). – Mitt. Int. Ent. Ver., Teich-Schachtelhalm Suppl. 5, 1-140. Glyceria fluitans (L.) R. BROWN – Flutender Schwaden URBAN, C. (1922): Zur Entwicklung des Bagous nigritar- Glyceria maxima (HARTMAN) HOLMBERG – Wasser- sis THOMS. – Entomol. Blätter 18(1), 18-19. Schwaden URBAN, C. (1923): Zur Lebensweise von Bagous binodu- Glyceria notata CHEVALL. (= Gl. plicata (FRIES) FRIES) – lus HBST. und B. glabrirostris HBST. – Entomol. Falt-Schwaden Blätter 19, 125-126. Hydrocharis L. – Froschbiß VAN DER VELDE, G., KOK, C. J., & VORSTENBOSCH, H.J.W.T. Hydrocharis morsus-ranae L. – Froschbiß (1989): Bagous rotundicollis, new for The Juncus L. – Binse Netherlands, feeding on water lily leaves Juncus bufonius L. – Kröten-Binse (Coleoptera: Curculionidae). – Entomol. Ber., Juncus subnodulosus SCHRANK – Stumpfblütige Binse Amsterdam 49, 57-60. (= J. obtusiflorus EHRH.) WINKELMANN, H. (1991): Liste der Rüsselkäfer (Col.: Luronium natans (L.) RAFIN. – Froschkraut Curculionidae) von Berlin mit Angaben zur Ge- Menyanthes trifoliata L. – Fieberklee fährdungssituation („Rote Liste“). – In: AUHA- Myriophyllum L. – Tausendblatt GEN, A., R. PLATEN & H. SUKOPP (Hrsg.): Rote Li- Myriophyllum elatinoides GAUDICHAUD – Tännelarti- sten der gefährdeten Pflanzen und Tiere in Ber- ges Tausendblatt lin. Landschaftsentwicklung und Umweltfor- Myriophyllum heterophyllum MICHAUX – Verschie- schung S 6, 319-357. denblättriges Tausendblatt ZIEGLER, W. , & SUIKAT, R. (1994): Rote Liste der in Myriophyllum spicatum L. – Ähriges Tausendblatt Schleswig-Holstein gefährdeten Käferarten. – Myriophyllum verticillatum L. – Quirlblättriges Tau- Landesamt für Naturschutz u. Landschaftspfl. sendblatt Schlesw.-Holst., Kiel, 96 pp. (incl. von Nachträ- Nuphar lutea (L.) J.E. SMITH in SIBTHORP et J.E. SMITH – gen und Korrekturen Stand August 1994). Gelbe Teichrose Nymphaea alba L. – Weiße Seerose Anhang Phalaris L. – Rohrglanzgras Phalaris arundinacea L. – Rohrglanzgras Phragmites ADANSON – Schilf Im Text verwendete Abkürzungen von Phragmites australis (CAVANILLES) TRINIUS ex STEUDEL- Ländernamen Schilf A: Österreich, AFG: Afghanistan, ALB: Albanien, Potamogeton L. – Laichkraut ALG: Algerien, ARM: Armenien, AZB: Aserbaidschan, B: Potamogeton crispus L. – Krauses Laichkraut Belgien, BG: Bulgarien, BOH: Bosnien-Herzegowina, Potamogeton gramineus L. – Gras-Laichkraut CH: Schweiz, CRO: Kroatien, CZ: Tschechische Repu- Potamogeton lucens L. – Glänzendes Laichkraut blik, D: Deutschland, DK: Dänemark, E: Spanien, EST: Potamogeton natans L. – Schwimmendes Laichkraut Estland, F: Frankreich, GB: Großbritannien, GEO: Geor- Potamogeton pusillus L. – Kleines Laichkraut gien, GR: Griechenland, H: Ungarn, I: Italien, IRL: Ir- Ranunculus L. – Hahnenfuß land, IRN: Iran, KAZ: Kasachstan, KIR: Kirg(is)istan, Ranunculus flammula L. – Brennender Hahnenfuß LAT: Lettland, LIT: Litauen, MAK: Makedonien, MAR: Ranunculus repens L. – Kriechender Hahnenfuß Marokko, N: Norwegen, NL: Niederlande, PL: Polen, Sagittaria L. – Pfeilkraut ROM: Rumänien, RUS: Rußland, S: Schweden, SER: Sagittaria sagittifolia L. – Gewöhnliches Pfeilkraut Serbien, SF: Finnland, SLK: Slowakische Republik, SLV: Saxifraga granulata L. – Knöllchen-Steinbrech PETER SPRICK: Eignung einer Insektengruppe für die FFH-Richtlinie am Beispiel der Bagoinae 97

Sparganium erectum L. em. REICHENBACH – Aufrechter Igelkolben (= Sp. ramosum HUDS.) Stratiotes L. – Krebsschere Stratiotes aloides L. – Krebsschere Tussilago farfara L. – Huflattich Utricularia L. – Wasserschlauch Utricularia vulgaris L. – Gewöhnlicher Wasser- schlauch Utricularia australis R. BR. – Südlicher Wasser- schlauch

Anschrift des Verfassers: Dr. PETER SPRICK, Weckenstraße 15, D-30451Hannover Insecta, Berlin, 6 (2000), Seite 98-114

LARS HENDRICH UND MICHAEL BALKE, Berlin

Verbreitung, Habitatbindung, Gefährdung und mögliche Schutzmaßnahmen der FFH-Arten Dytiscus latissimus LINNAEUS, 1758 (Der Breitrand) und Graphoderus bilineatus (DE GEER, 1774) in Deutschland (Coleoptera: Dytiscidae)

Einleitung dern, so auch in Deutschland, ist allerdings der Kenntnisstand um die aktuelle Verbrei- Das in den letzten 15 Jahren in ganz Euro- tung, Habitatbindung und die Ursachen der pa stark gestiegene Interesse an Wasserkä- Gefährdung beider Arten leider noch sehr fern hat dazu geführt, daß diese Tiergruppe, lückenhaft. Die Gründe hierfür sind vielfäl- neben Schmetterlingen und Libellen, die tig. Gezielte Erfassungen und ein Monito- dritte Insektenguppe ist, die mit einer Spe- ring-Programm wurden und werden bisher zialistengruppe in der Species Survival Com- nur in Dänemark durchgeführt. Die hier vor- mission des IUCN vertreten ist (HENDRICH & liegende Arbeit basiert daher weitgehend BALKE 1993). Europaweite Aktionspläne zum auf den von HOLMEN (1993) und später von Schutz ausgewählter Taxa sind bereits in FOSTER (1996a/b) zusammengetragenen Er- Vorbereitung (Iberische Halbinsel, Kanari- gebnissen. Sie soll einen kurzen Überblick sche Inseln). Wasserkäfer, insbesondere die über den Kenntnisstand der Habitatbindung noch am besten untersuchten Schwimmkä- und die aktuelle Verbreitung beider Arten in fer (Dytiscidae), sind mit einer beträchtlichen der Bundesrepublik geben. Besonderes Au- Artenzahl (auch tropische Vertreter) auch im genmerk wurde dabei auf den Osten IUCN Red Data Book (IUCN 1996) enthal- Deutschlands gelegt. Weiterhin werden die ten. Besonderes Augenmerk haben die bera- Schwierigkeiten diskutiert, die mit einer tenden Spezialisten dabei auf Inselendemi- flächendeckenden Erfassung und eines ten gelegt, da der Kenntnisstand um die möglichen daraus resultierenden Schutzes Verbreitung und Häufigkeit vieler kontinen- beider Taxa verbunden sind. taler Arten noch sehr lückenhaft ist. Mitglieder des Balfour-Browne-Clubs, ei- Dytiscus latissimus LINNAEUS, 1758 (Abb. 1) nes Vereins aller in Europa und zum Teil auch in Übersee arbeitenden Wasserkäfer- Allgemeines: Dytiscus latissimus LINNAE- spezialisten, haben unter der Leitung von US, 1758 (Der Breitrand), Familie Dytiscidae Prof. Dr. GARTH N. FOSTER (Ayr, Schottland) (Schwimmkäfer), ist von allen anderen Arten alle relevanten Daten über die Schwimmkä- der Gattung Dytiscus (Gelbrandkäfer) leicht ferarten Dytiscus latissimus LINNAEUS, 1758 durch seine lateral tragflächenartig erweiter- (Der Breitrand) und Graphoderus bilineatus ten Elytren zu trennen. Es ist auch die einzi- (DE GEER, 1774) – die nach der Bern Conven- ge Dytiscus-Art bei der ausschließlich ge- tion auch die einzigen in ganz Europa ge- furchte Weibchen vorkommen (ROUGHLEY schützten aquatischen Käferarten darstellen 1990). Zudem handelt es sich beim Breitrand – zusammengetragen und veröffentlicht um den mit bis zu 44 mm Länge größten (FOSTER 1996a/b). Auf Initiative dieses Ver- Schwimmkäfer Europas und den zweitgröß- eins sind beide Taxa auch in die Artenliste ten in der Welt. Außerhalb Deutschlands hat der Flora-Fauna-Habitatrichtlinie übernom- die Art nur noch in Dänemark einen volks- men worden. In einigen europäischen Län- tümlichen Namen: Bred Vandkalv. Der Käfer LARS HENDRICH & MICHAEL BALKE: Dytiscus latissimus und Graphoderus bilineatus 99 ist bis in die 20er Jahre unseres Jahrhunderts Norden Fennoskandiens überwiegend eu- als Aquarientier sehr begehrt gewesen trophe Seen, wohingegen sie im Süden eher (SCHAEFLEIN 1989) und wurde unter anderem dystrophe Gewässer bevorzugt. STANÉK auch im Berliner Aquarium gezeigt (BLUNCK (1984) berichtet, daß der Breitrand in der 1918). Tschechischen Republik (Südböhmen) bis in Habitatwahl: Der Breitrand besiedelt die 30er Jahre beim herbstlichen Ablassen größere Stehgewässer im Binnenland. Nach von Fischteichen alljährlich in großer Zahl GALEWSKI (1971) ist D. latissimus einer der gefangen wurde. Bei neuesten Erhebungen wenigen Schwimmkäfer, der ausschließlich in Dänemark (HOLMEN 1993) konnte die Art große und dauerhaft wasserführende Seen ausschließlich in sauberen Klar- und Braun- und Teiche besiedelt. Solche stenotopen Ar- wasserseen, die einen hohen Huminsäure- ten werden nur sehr selten, und dann meist gehalt aufwiesen, nachgewiesen werden. Es nur in einzelnen Exemplaren, in kleinen und werden dort sowohl natürliche als auch an- temporären Gewässern nachgewiesen, die thropogen entstandene Seen besiedelt, die für die Reproduktion der meisten mitteleu- durch Anstauung entstanden sind. Sehr häu- ropäischen Wasserkäferarten jedoch von fig liegen diese in Waldgebieten. Ferner größerer Bedeutung sind. NILSSON & PERSSON konnte die Art in größeren Torfstichen (1989) beschreiben die Art als einen Bewoh- (STEINHÄUSER 1935) sowie Kies- und Kohle- ner von Seen und Teichen (auch Fischtei- grubengewässern nachgewiesen werden chen) mit dichtem Pflanzenbewuchs an (HOLMEN 1993). RAU (1888) erwähnt, daß Ufern und in der Flachwasserzone. Funde die Art auch in langsam fließenden Flüssen aus Lettland (TELNOV unveröff.) und Be- gefangen wurde. So melden GALEWSKI & lorußland (MOROZ & SHAVERDO in litt.) schei- TRANDA (1978) alte Funde auch aus der nen dies ebenfalls zu bestätigen. Nach NILS- Weichsel. MOROZ (in litt.) sowie das COMMI- SON & HOLMEN (1995) besiedelt die Art im TEE FOR ECOLOGY OF THE REPUBLIC OF BELARUS

Abb. 1. Dytiscus latissimus LINNAEUS, 1758 (Männchen). (Foto Dr. MOGENS HOLMEN, Hillerod, Dänemark) 100 Insecta, Berlin, 6 (2000)

(1993) geben für Weißrussland neben zonen mit dichter emerser Vegetation (z. B. größeren Seen auch Altwässer der noch Carex, Schoenoplectus), in einer Wassertiefe weitgehend naturbelassenen Beresina als von 30-100 cm auf. Einige Tiere wurden Fundorte an. TELNOV (in litt. an BELLSTEDT) be- auch entlang von Steilufern (in Torfstichge- richtet von Funden aus küstennahen größe- wässern) ohne jeden Pflanzenwuchs ren Flachseen Lettlands, z. T. ebenfalls in un- schwimmend angetroffen (HOLMEN 1993). mittelbarer Nähe größerer Flüsse. HOLMEN Wie alle anderen Schwimmkäfer auch, so (1993) bemerkt weiterhin, daß kleinere, iso- kommt D. latissimus zur Erneuerung seines liert liegende Stehgewässer in agrarisch in- Luftvorrats unter den Flügeldecken regel- tensiv genutzten Gebieten nicht die Bedin- mäßig an die Wasseroberfläche. Im Winter gungen erfüllen, die für die Reproduktion ist dies allerdings nicht möglich und die Tiere von D. latissimus nötig sind. Die Art toleriert überwintern in tiefem Wasser unter dem Eis sehr saures Wasser, benötigt aber dichte Be- (BLUNCK 1918). Nicht selten wird der Käfer stände von Unterwasserpflanzen, Moosen deshalb im Winter beim Reusenfang oder und/oder Charophyceaen in Ufernähe. Es sogar beim Eisangeln gefangen (RAU 1888, scheint sehr wichtig zu sein, daß die Brutge- SCHAEFLEIN 1989, SHAVERDO mündl.). Im wässer auf einer größeren Fläche minde- Frühjahr sollen die Männchen zuerst wieder stens einen Meter tief sind. Auch die Größe aktiv sein, die Weibchen erscheinen acht bis des Gewässers sollte einen Hektar nicht un- vierzehn Tage später (ALTUM 1865). terschreiten. Besonnte Uferabschnitte in Die Imagines können wie die meisten Ar- Teilbereichen eines Gewässers sind insbe- ten der Gattung auch, älter als ein Jahr wer- sondere für die Larven sehr wichtig. In der den und sind in der Lage, fliegend neue Ge- sehr ausführlichen Arbeit von HOLMEN wässer aufzusuchen. Dabei werden sie auch (1993) findet sich erstmals auch ein Habitat- von künstlichem Licht angelockt, wie zahl- photo, welches einen See auf Bornholm reiche, auch neuere Nachweise durch Ento- zeigt. mologen aus der Tschechischen Republik Nahrungs- und Beutespektrum: Als Ima- (Raum Trebon) und Lettland belegen. Wie go frißt der Breitrand bevorzugt aquatische viele andere Dytisciden auch, so sind die Insekten, z. B. Wasserwanzen (Corixidae) Imagines des Breitrands in der Nacht im (BLUNCK 1923), im Wasser liegendes Aas und Wasser besonders aktiv. Sie können dann an kranke Fische. Daß die Art, analog zum geeigneten Stellen mit Hilfe von Taschen- Gelbrand (Dytiscus marginalis) ein Fischräu- lampen leicht beobachtet werden (BILTON ber ist, wird bereits von BLUNCK (1918) be- und HOLMEN in litt.). zweifelt und später (BLUNCK 1923) durch Entwicklungszyklus: Die Entwicklung des Aquarienversuche widerlegt. Imagines wur- Eies, der Larve und der Puppe sind von den auch des öfteren in Krebsreusen gefan- BLUNCK (1923) und von BLUNCK & KLYNSTRA gen und dabei beobachtet, wie sie den (1929) genau untersucht worden. Niedrige Fischköder fraßen. Mit Schweineleber be- Temperaturen verlängern die Entwicklung, stückte Reusen werden ebenfalls aufgesucht höhere fördern sie. Die Eibablage findet von (VOLPE in litt.). Die Larve ist dagegen auf die Ende März bis Mitte Mai statt. Die zylindri- Jagd nach Larven und Puppen von Köcher- schen, 7-8 mm langen weißlichen Eier wur- fliegen (Trichoptera) spezialisiert (BLUNCK den im Aquarium am Boden auf das Substrat 1923, HOLMEN 1987). Neuere Laboruntersu- gelegt. In einem natürlichen Lebensraum chungen von JOHANSSON & NILSSON (1992) werden sie jedoch höchstwahrscheinlich in haben dies bestätigt und außerdem gezeigt, noch lebende Blätter und Stengel von stark daß die Larven von D. latissimus auch assimilierenden Wasserpflanzen gelegt, wie Isopoden und Nymphen von Eintagsfliegen dies auch bei anderen Arten der Gattung der fressen. Fall ist (vgl. WESENBERG-LUND 1912, BLUNCK Bionomie: Außerhalb des Winters halten 1923). Nach wenigen Wochen schlüpfen sich die Imagines bevorzugt in Flachwasser- aus den Eiern die Larven (BLUNCK 1923). Sie LARS HENDRICH & MICHAEL BALKE: Dytiscus latissimus und Graphoderus bilineatus 101 durchlaufen drei Stadien, in einer Zeitspanne (1941) und SCHAEFLEIN (1971) melden die Art von April bis Mitte Juli, in Dänemark zumeist noch für ganz Deutschland, allerdings nach Mai/Juni (HOLMEN in litt. an FOSTER). Die Ent- Süden und Westen seltener werdend. ZIEG- wicklung dauert ungefähr 1 bis 1½ Monate. LER (1986) nennt einen alten Fund bei Flens- Die Larven finden sich an den selben Plätzen burg. ALFES & BILKE (1977) geben 15 Mel- wie die Imagines; sie sind jedoch wesentlich dungen für Westfalen an, davon sind ledig- stärker an vegetationsreiche und exponierte lich zwei neueren Datums (Erdfallsee/Ibben- Standorte gebunden. Auf eine negative Ver- büren 1966, Dülmen 1971). Alte Funde lie- änderung ihres Lebensraums (Veralgung ei- gen aus der Weseraue, der Westfälischen nes Gewässers, Beschattung) reagieren sie Bucht und vom Niederrhein vor. Nachweise außerdem wesentlich empfindlicher als die aus dem Bergland fehlen. HOFMANN (1997) Imagines, was sicherlich auch mit der höhe- erwähnt einen Fund aus Hessen aus dem ren Spezialisierung beim Nahrungserwerb Jahre 1957. In der Sammlung Hahlbohm zusammenhängt. Die Verpuppung erfolgt (Rodewald) befindet sich ein Exemplar aus wie bei allen anderen Dytiscus-Arten in einer dem Jahre 1957 aus Burgwedel bei Hanno- Erdhöhle unter Moosen, Hölzern und Stei- ver. SCHAEFLEIN (1983) nennt Funde aus Bay- nen an Land. Die Larve verbleibt für eine ern: Galla-Weiher/Bernried 1951 und Mai- Woche in der Erdhöhle, um sich dann zu singer See/Starnberg 1976. Weitere Mel- verpuppen. Die Puppenruhe dauert unge- dungen der Art aus Niederbayern meldet er- fähr zwei Wochen. Die frisch geschlüpften neut SCHAEFLEIN (1989). Der letzte Fund da- Imagines verbleiben dann noch bis zur völli- tiert aus dem Jahre 1993, aus einem Fisch- gen Aushärtung einige Tage in der Zelle. Ge- teich in Willerszell bei Ascha/Niederbayern legentlich werden die Imagines von D. latis- (Belege im Naturkundemuseum Stuttgart). simus von ektoparasitischen Larven der Nach KÖHLER & KLAUSNITZER (1998) liegen Wassermilbe Hydracarina geographica be- aus der Pfalz lediglich Nachweise vor 1900 fallen, die sich im Sommer an ungeschützten vor. KOCH (1974) meldet die Art allerdings Stellen, bevorzugt an der Brust und auf dem aus dem Laacher See bei Andernach und FI- Rücken unter den Flügeldecken festsetzt SCHER (in litt. an SONDERMANN) erwähnt einen (BLUNCK 1918, WESENBERG-LUND 1912). aktuellen Fund aus Rheinland-Pfalz aus dem Verbreitung allgemein: Westpaläarkti- Dreifelder Weiher/Westerwald. Aus Baden- sche Art. Das Areal erstreckt sich von Ost- Württemberg (Winkelmühle, 1927, 1 Exem- frankreich im Westen bis nach Westsibirien plar, Rudis leg., coll. Fichtner; Zellersee bei im Osten (ROUGHLEY 1990, FOSTER 1996a). Schussenried, V.D. TRAPPEN 1923), Sachsen- Europäische Union: Belgien (nur alte Funde Anhalt und aus Thüringen (KÖHLER & KLAUS- aus dem letzten Jahrhundert), Dänemark, NITZER 1998) gibt es nur Funde, die vor 1950 Deutschland, Finnland, Frankreich (nur alte getätigt wurden. Aus dem Saarland, dem Funde), Italien (nur alte Meldungen), Lu- Weser-Ems-Gebiet und dem Niederelbege- xemburg (?), Niederlande (nur alte Meldun- biet liegen sogar überhaupt keine Nachwei- gen), Österreich und Schweden. Außerhalb se vor. der Europäischen Union: Belorussland, Bos- Alle den Verfassern bekannt gewordenen nien-Herzegowina, Estland, Kroatien, Lett- Funde des Breitrands aus Ostdeutschland land, Litauen, Südostnorwegen, Polen, werden nachfolgend genauer aufgeführt Rumänien, Russische Föderation, Schweiz und nach Nachweisen vor und nach 1960 (nur alte Funde), Slowenien (nur alte Fun- geordnet. Auf einer Karte (Abb. 2) werden de), Tschechische Republik, Ukraine, Un- alle bisher veröffentlichten deutschen Nach- garn. weise zusammengestellt. Umfangreiche Angaben zur aktuellen und zur historischen Verbreitung der Art in ganz Nachweise vor 1960: Europa finden sich bei FOSTER (1996a). Berlin: Nebengewässer des Müggelsees, Verbreitung in Deutschland: HORION ca. 1910 (ANONYMUS 1918); Berlin-Tegel, 102 Insecta, Berlin, 6 (2000)

Tegeler See, 1947, Weinhold leg. (BALKE & 1910 (ANONYMUS 1918); Dreetzsee bei Ora- HENDRICH 1991). nienburg, ca. 1910 (AHLWARTH 1913); Kö- Brandenburg: Groß-Machnow, 15.8. nigs Wusterhausen, 12.9.1937, 1 Exemplar, 1934, Steinhäuser leg. (STEINHÄUSER 1935); Neresheimer leg. (FICHTNER 1983); Birken- Brandenburg an der Havel, Quenzsee, ca. werder bei Berlin, Jung leg. (FICHTNER 1983);

Abb. 2: Verbreitung von Dytiscus latissimus LINNAEUS, 1758 in Deutschland. Kreise = Funde vor 1960; Punkte = Funde nach 1960; Gepunktete Linien = Grenzen der einzelnen Naturräume Deutschlands. LARS HENDRICH & MICHAEL BALKE: Dytiscus latissimus und Graphoderus bilineatus 103

Potsdam Nuthewiesen, ca. 1900, 1 Exem- 1963, Schieferdecker leg. (SCHIEFERDECKER plar, in Coll. Eckartsberg (Museum Pots- 1963 & 1967). Die Fundorte, zwei ehemali- dam); Cottbus, Peitzer Teiche, ca. 1920, 1 ge größere Torfstiche im Ried, liegen heute Exemplar (Sammlung der Verfasser); Nieder- in der Kernzone des Nationalparks. lausitz, 2 Exemplare, coll. Heidenreich (Mu- Nach 1960 ist D. latissimus lediglich an seum für Tierkunde, Dresden). 11 Fundorten in sechs Bundesländern nach- Mecklenburg-Vorpommern, Umgebung gewiesen worden. Demgegenüber stehen Rostock, Clasen leg. (FICHTNER 1983). 53 Meldungen aus fast allen Bundesländern Sachsen-Anhalt: Dessau, Heidenreich vor 1960. Viele dieser Funde, insbesondere leg.; Mosigkau, Schreiber leg.; Blanken- aus dem Westen und Süden Deutschlands burg/Harz, Hornung leg. (FICHTNER 1983). (HORION 1941, ALFES & BILKE 1977) stammen Thüringen: Mühlhausen (Popperöder allerdings noch aus dem vorigen Jahrhun- Teich), Gera, Erfurt (im früheren Wallgraben dert. am alten Bahnhof), Gotha (Siebleber Teich), Die Funde zeigen, daß der „Breitrand“ Rudolfstadt, Hildburghausen, Meilschnitz, einst im Norden und Osten Deutschlands Meiningen (RAPP 1933); Suhl, Georgenthal, weit verbreitet war. Aus dem Südosten der Neuroda (Egelsee), 13.10.1907, Bundesrepublik ist die Art anscheinend erst 14.10.1907, 13.9.1908, 17.10.1909, in den letzten Jahrzehnten völlig verschwun- 16.10.1910, Liebmann leg. (LIEBMANN 1955); den. Leider konnten jedoch viele Altfunde Pöritzsch bei Saalburg, 1942, 1 Exemplar aus Museumssammlungen keinen Bundes- (PAPPERITZ 1958); Altenburg, Windischleuba, ländern zugeordnet werden, da sie entwe- Henkes leg. (NAUMANN 1977). der mangelhaft oder gar nicht etikettiert wa- Sachsen: Eschefeld, Otto leg.; Mühltroff, ren, oder die spärlichen Fundortzettel erga- Schultheiss leg. (BELLSTEDT in litt.); Dübener ben nur Hinweise auf ein Vorkommen in den Heide: Zadlitzbruch, Dietze & Krüger leg.; ehemaligen deutschen Ostgebieten. Nach Leipzig-Kleinzschocher, Leipzig Stadtzen- der Durchsicht zahlreicher Instituts- und Pri- trum, Reichert leg.; Dahlener Heide, Pause vatsammlungen hat es den Anschein als sei leg.; Naunhof, Reichert leg.; Waldheim, gerade diese Art bis in die 20er Jahre von Detzner leg.; Dehles b. Chemnitz, Schilde & verschiedenen Insektenhändlern (z. B. REIT- Wetzel leg.; Moritzburg, Hänel leg.; Dres- TER, STAUDINGER und BANG-HAAS) aus Ost- den, Commerau, Fuchs leg.; Deutschbase- oder Westpreußen (Rosenberg) in den Rest litz, Schmidt leg.; Guttau, Dauban, Lehmann von Deutschland verschickt worden. Dieses leg. (FICHTNER 1983, FICHTNER unveröff., BELL- Material, wie auch das nicht etikettierte, ak- STEDT in litt.); Dübener Heide, Zadlitzbruch, kumulierte sich über die Jahrzehnte in vielen 8.1925, 1 Exemplar, coll. Linke, idem, Zad- Museen, so daß ein Bearbeiter bei einer er- litzbruch, 7.7.1958, 1 Exemplar, Stieler leg.; sten Durchsicht größerer Sammlungen den Ahrenshain in der Lausitz, 1 Exemplar (Mu- Eindruck gewinnt, als sei D. latissimus in der seum für Tierkunde, Dresden, JÄGER in litt.). Vergangenheit überall in Deutschland häu- Nachweise nach 1960: fig gewesen. Tatsächlich sind jedoch Mas- Brandenburg: Liebenberg, Gransee, 1 Ex- senfunde, die von Entomologen gerne dis- emplar, Stöckel leg. (FICHTNER 1983); östlich kutiert werden, auf dem Gebiet der heutigen des Unterspreewaldes im Dürrenhofer Bundesrepublik immer die Ausnahme gewe- Moor, Zwischenmoorgewässer, 1 Exemplar, sen (vgl. HORION 1941, SCHAEFLEIN 1989). 7.9.1983, Donath leg. (DONATH in litt.); Krs. Trotz der nur mangelhaften Kenntnis um Eisenhüttenstadt, Trautzke-Seen, 1 Larve die rezente Verbreitung des Breitrands in (LA 1), 5.-7.5. 1989, Braasch leg. (BRAASCH Deutschland kann wohl davon ausgegangen et al. 1990 und mündl.). werden, daß die Art ihre Schwerpunktver- Mecklenburg-Vorpommern: Natur- breitung in der heutigen Bundesrepublik in schutzgebiet „Ostufer der Müritz“, Müritz- Mecklenburg-Vorpommern und im Norden Nationalpark, mehrere Reusenfänge, Mai und Osten des Landes Brandenburg hat. Nur 104 Insecta, Berlin, 6 (2000) in diesen Bundesländern finden sich noch durch Zugabe von Kraftfutter für Zuchtfi- ausreichend viele Gewässer, die den Stan- sche, sowie eine regelmäßige Entkrautung dortansprüchen dieser Art genügen (vgl. der Gewässer sollen zum Verschwinden der Habitatwahl). Zu nennen seien hier nur die Art geführt haben (HOCH 1938, SCHAEFLEIN Mecklenburgische Seenplatte; das Rheins- 1989). berger Seengebiet und insbesondere der Dies mag sicherlich zum Teil richtig sein, Müritz-Nationalpark. doch erklärt es nicht das fast völlige Ver- schwinden der Art in fast allen Gegenden Schutzstatus Deutschlands. Außerdem gilt es hier zu be- Da die Art in den meisten europäischen denken, daß Fischzuchtgewässer wahr- Ländern in ihrem Bestand stark zurückge- scheinlich nur als sekundäre Lebensräume gangen ist, gilt sie in Europa als stark gefähr- für diese Art in Frage kommen, da diese an- det. Dytiscus latissimus ist im Anhang II der thropogenen Gewässer den natürlichen Le- Bern Convention, in den Anhängen II und IV bensräumen des Breitrands (Flachwasser- der Habitatrichtlinie und in der Roten Liste seen, Auengewässer, s.a. Habitatwahl) in ih- des IUCN (IUCN 1996) genannt. In fast allen rer Ausstattung noch am nähesten kommen. Ländern der Europäischen Union – bis auf In Dänemark macht HOLMEN (1993), der Finnland und Schweden – ist der Art ein Ge- über viele Jahre einige Populationen beob- fährdungsstatus zuerkannt worden. Außer- achtete, unter anderem die schleichende Eu- halb der EU ist die Art in der Schweiz in der trophierung und Beschattung vieler Gewäs- Kategorie 1 zu finden (BRANCUCCI 1990), in ser und den häufig zu hohen Fisch- und En- Belorussland gilt sie als selten (Kategorie 3), tenbesatz für den lokalen Rückgang der Art in der Tschechischen Republik als gefährdet. in einigen Seen verantwortlich.

Bundesrepublik (GEISER 1998, HESS & al. 1959): 1 Vom Aussterben bedroht Bayern (HEBAUER 1994): 2 Stark gefährdet Berlin (BALKE & HENDRICH 1991): 0 Ausgestorben Brandenburg (BRAASCH et al. im Druck): 1 Vom Aussterben bedroht Niedersachsen, Flachland (HAASE 1996): 1 Vom Aussterben bedroht Niedersachsen, Hügelland (HAASE 1996): 0 Ausgestorben Sachsen-Anhalt (SPITZENBERG 1993): 1 Vom Aussterben bedroht Thüringen (BELLSTEDT 1993): 0 Ausgestorben

Sehr genaue Angaben zu diesem Thema fin- Von HOCH (1938), HOLMEN (1993) und den sich bei FOSTER (1996a). FOSTER (1996a) wird das Verschwinden der In Deutschland ist die Art in nachfolgend Art in weiten Teilen Europas seit Beginn un- genannten Roten Listen zu finden: seres Jahrhunderts auch als verspätete Ant- wort auf die Klimaveränderung nach der Gefährdungsursachen letzten Eiszeit gesehen. Menschliche Einflüs- Über den Rückgang dieses imposanten se, wenn auch nicht für den generellen Käfers ist in der Vergangenheit bereits viel Trend verantwortlich, haben diese Arealre- spekuliert worden. Schon HORION (1941) gression nach Osten und Norden und das lo- schrieb: „Allerdings hat es den Anschein, als kale Erlöschen der Art in vielen Teilen Mitte- ob die Art infolge der „rationellen“ Bewirt- leuropas dann beschleunigt. schaftung der Fischteiche allüberall in Tatsache ist aber auch, daß mit zuneh- Deutschland in ihrem Bestand stark zurück- mender Intensivierung der Landwirtschaft, gegangen ist“. Dytiscus latissimus wurde in Begradigung von Flußläufen und der Degra- der Vergangenheit häufig beim herbstlichen dierung der Potamalbereiche vieler Ströme Ablassen der Fischteiche gefangen (LIEBMANN zu verspundeten Fahrrinnen seit dem Beginn 1955). Kalkung und Düngung des Wassers unseres Jahrhunderts, potentielle Lebensräu- LARS HENDRICH & MICHAEL BALKE: Dytiscus latissimus und Graphoderus bilineatus 105 me für den Breitrand, wie z. B. nährstoffar- vorgeschädigten Gewässern in unserer Kult- me Flachseen und Weiher, großflächig über- urlandschaft ist aufwendig und äußerst zeit- staute Feuchtwiesen und Altarme immer sel- intensiv (Reuseneinsätze, nächtliche Bege- tener wurden. hungen); doch auch in optimalen Lebens- Gehalten hat sich die Art dann folgerich- räumen sind Nachweise nicht immer einfach tig auch nur in weiträumigen unzersiedel- und nur nach mehreren Begehungen eines ten Landschaften mit niedrigem Trophieni- Gewässers zu erbringen (HOLMEN 1993). veau, in denen nährstoffarme strukturrei- Als erster Schritt müssen alle noch zu er- che Seen und Weiher noch vorhanden sind mittelnden historischen Fundorte überprüft (Mecklenburgische Seenplatte, Müritz-Na- werden. Gewässer in denen die Art dann er- tionalpark) bzw. in denen noch eine tradi- neut nachgewiesen wird, sollten, sofern dies tionelle Bewirtschaftung von Teichen auf nicht längst geschehen ist, kompromißlos großer Fläche praktiziert wird (Branden- unter Schutz gestellt werden. burg: Raum Cottbus, Tschechische Repu- Von großem Vorteil wäre es, lokale Fi- blik: Trebon, Wittingauer Seenplatte). Ein- schereibehörden und private Teichbesitzer zelfunde aus den letzten Jahren aus dem für ein solches Projekt zu gewinnen. Eine süddeutschen Raum sind in diesem Kontext entsprechende Aufklärungskampagne über zu sehen. den vermeintlichen „Fischräuber“ ist hier er- forderlich. Termine, die das herbstliche Ab- Maßnahmen zur Erfassung und zum Schutz lassen von Gewässern betreffen, müssen er- Um den Schutz des Breitrands voranzu- fragt und wenn möglich vor Ort genutzt treiben reicht es nicht aus, ihn auf alle Roten werden. Einer der letzten Nachweise der Art Listen zu setzen und ein allgemeines Sam- aus Bayern stammt von einem Fischwirt, der melverbot zu erlassen. Unter all den namen- diese Tiere seinem käferkundigen Enkel in haften, ernsthaft mit dieser Tiergruppe ar- München vorlegte (SCHAEFLEIN 1989). Diese beitenden, noch lebenden deutschsprachi- Funde aus einem Fischteich können zumin- gen Coleopterologen ist den Verfassern (sie dest Aufschluß darüber geben, ob die Art eingeschlossen) niemand bekannt, der diese noch im Gebiet vorkommt, auch wenn die Art jemals lebend zu Gesicht bekommen hat, Reproduktion nicht unbedingt im betreffen- weder in Deutschland noch bei Reisen in das den Fundgewässer erfolgte. benachbarte Ausland! Wie bei keinem anderen aquatischen Kä- Aus der Tatsache, daß die Art einst in fer ist man bei einer bundesweiten Kartie- Deutschland fast flächendeckend verbreitet rung des Breitrands auf o. g. Zufallsfunde war und die heutige Bundesrepublik die angewiesen, die nicht nur von Fischereiwir- westliche Arealgrenze der Art markiert, er- ten, sondern auch von Odonatologen, Lepi- gibt sich für Deutschland eine besondere dopterologen etc. gemacht werden können. Verantwortung beim Schutz des Breitrands Eine zentrale Sammelstelle für diese Daten in Europa. Es ist daher unbedingt notwen- ist daher dringend erforderlich. In entomolo- dig, die rezente Verbreitung in der Bundes- gischen Fachzeitschriften und im Internet republik durch Initiierung eines entsprechen- (HENDRICH & BALKE in Vorb.) sollte für ein sol- den Monitoringprogramms aufzuzeigen. Ba- ches Projekt geworben werden. sierend auf diese Resultate kann dann ein In Brandenburg ist D. latissimus bereits in entsprechendes Artenschutzprogramm ent- das Leit- und Zielartenkonzept aufgenom- wickelt werden. Die dabei durchzuführen- men worden. Die Art wird hier für den Bio- den Freilanduntersuchungen müssen eng toptyp 6: Flachgewässer, Weiher und Altar- mit anderen limnologisch arbeitenden Wis- me genannt. Der Art wird außerdem das At- senschaftlern abgestimmt werden, um po- tribut „silvicol“ zuerkannt (LUA unveröff. tentiell geeignete Gewässer bereits im Vor- Manuskript). Dies dürfte für Brandenburg feld zu erkennen. Gerade der Nachweis von auch zutreffen, da nährstoffarme, macro- kleinen Restpopulationen in anthropogen phytenreiche Flachseen mit breitem Verlan- 106 Insecta, Berlin, 6 (2000) dungsgürtel fast nur noch in größeren Wald- Habitatwahl: Wie der Breitrand, so besie- gebieten zu finden sind. delt auch Graphoderus bilineatus größere Ob eine solche Maßnahme die Erfor- Stehgewässer im Binnenland. Nach GALEWSKI schung und den Schutz des Breitrands aller- (1971) ist G. bilineatus einer der wenigen dings voranbringen wird, bleibt abzuwarten. Schwimmkäfer, der fast ausschließlich große Solange aquatische Käfer im Verhältnis zu und dauerhaft wasserführende Seen und Tei- Libellen, Amphibien und Fischen bei um- che besiedelt. Solche Arten werden nur sehr weltrelevanten Untersuchungen nur eine selten, und dann zumeist nur in einzelnen untergeordnete Rolle spielen und selbst bei verflogenen Exemplaren, in kleinen und tem- aufwendig angelegten Forschungsvorhaben porären Gewässern nachgewiesen (siehe z. (z. B. Seenkataster Brandenburg, vgl. MIETZ B. WOLF 1998), die jedoch für die Reproduk- et al. 1994) gar nicht oder nur als „Beifän- tion der meisten anderen mitteleuropäischen ge“ aufgeführt werden, ist damit sicherlich Wasserkäferarten von größerer Bedeutung nicht zu rechnen. Eine äußerst umständliche sind. GALEWSKI (1975) führt diese Bindung Genehmigungspraxis (Begehungs- und auf die Morphologie der Art zurück, die den Fanggenehmigungen) in vielen Bundeslän- Käfer zu einem sehr gewandten Schwimmer dern erschwert eine mögliche Erfassung die- macht. NILSSON & PERSSON (1989) beschrei- ses Käfers zusätzlich. Im speziellen Fall wird ben die Art als einen Bewohner von verschie- dies noch durch den strengen Schutzstatus denen Stehgewässern mit mehr permanen- der Art verstärkt. ten Charakter und dichtem Pflanzenwuchs Wie bei kaum einem anderen Käfer wird an Ufern und Flachwasserzonen. Funde aus bei der Diskussion um den Erhalt des Lettland (TELNOV unveröff.) scheinen dies Breitrands in Mitteleuropa deutlich, daß dies ebenfalls zu bestätigen. Nach NILSSON & – analog zu vielen Wirbeltieren – nur mög- HOLMEN (1995) besiedelt G. bilineatus im Sü- lich ist, wenn es gelingt, großflächig unzer- den Fennoskandiens eher flache, besonnte siedelte Landschaftsbestandteile zu erhalten, und dystrophe Gewässer. Bei neuesten Erhe- die sich noch auf einem relativ niedrigem bungen in Dänemark (HOLMEN 1993) wurde Trophieniveau befinden. Für den erfolgrei- die Art zumeist in sauberen, flachen Klar- chen Schutz wird es nicht ausreichen, einzel- und Braunwasserseen nachgewiesen. Es wer- ne weit voneinander entfernt liegende den dort sowohl natürliche als auch anthro- Feuchtgebiete unter Schutz zu stellen. Viel- pogen entstandene Seen und Torfstiche be- mehr müssen verschiedene Seentypen und siedelt. Diese liegen sehr häufig in Wald- Weiher unterschiedlicher Sukzessionsstufen oder Moorgebieten. Ferner konnte die Art in eng miteinander verzahnt in einem Gebiet größeren Kesselmooren, Torfstichen (TO- vorhanden sein. LASCH in litt.), Kies- und Kohlegrubengewäs- sern und Lobelia-Seen (Seen mit Lobelia dortmanna) nachgewiesen werden. HOLMEN Graphoderus bilineatus (DE GEER, 1774) (1993) bemerkt weiterhin, daß kleinere, iso- (Abb. 3, siehe vordere Umschlagseite) liert liegende Stehgewässer in agrarisch in- Allgemeines: Innerhalb der holarktisch tensiv genutzten Gebieten nicht die Bedin- verbreiteten Gattung Graphoderus (NILSSON gungen erfüllen, die für die Reproduktion & HOLMEN 1995) ist Graphoderus bilineatus von G. bilineatus nötig sind. Die Art toleriert leicht durch seine abgeflachte, leicht verbrei- schwach saures Wasser. Weiterhin scheint es terte Körpergestalt und eine sehr breite, gel- sehr wichtig zu sein, daß die Brutgewässer be Binde auf dem Halsschild von allen ande- auf einer größeren Fläche nur maximal einen ren Vertretern der Gattung zu unterschei- Meter tief sind. Ausgedehnte besonnte Ufer- den. Die Art hat in keinem europäischen abschnitte in Teilbereichen eines Gewässers Land einen volkstümlichen Namen und ist mit ausgedehnten Sphagnum-Beständen daher zumeist nur coleopterologisch interes- und Kleinseggenrieden sind ebenfalls sehr sierten Personen bekannt. wichtig. Trotz ähnlicher Habitatansprüche LARS HENDRICH & MICHAEL BALKE: Dytiscus latissimus und Graphoderus bilineatus 107 scheint G. bilineatus in Hinsicht auf die Die Imagines werden wahrscheinlich nur Größe eines Gewässer nicht so anspruchsvoll in Ausnahmefällen älter als ein Jahr. Sie sind zu sein wie der Breitrand, der nur in Ausnah- in der Lage, fliegend neue Gewässer aufzu- mefällen Gewässer unter einem Hektar suchen und werden dabei auch von künstli- Fläche besiedelt. In Dänemark wurden beide chem Licht angelockt, wie Lampenfänge Arten sogar oft vergesellschaftet nachgewie- durch Lepidopterologen in Frankreich bele- sen. In der Arbeit von HOLMEN (1993) findet gen. Populationsdynamische Untersuchun- sich auch ein Habitatphoto, welches einen gen von BRANCUCCI (1979) in mehreren be- See auf Bornholm zeigt. nachbarten Teichen am Lac de Neuchâtel in Nahrungs- und Beutespektrum: Larven der Schweiz, ergaben für Imagines dieser Art und Käfer leben räuberisch, wobei über eine eine zweigipfelige Aktivitätskurve. Zum ei- Spezialisierung der Art bisher nichts bekannt nen im Frühling von Ende April bis in den wurde. Zu vermuten ist, daß die Art analog späten Mai und zum anderem von Anfang zu Graphoderus cinereus (LINNAEUS) Crusta- Juli bis Mitte August. Dies gilt, allerdings re- ceen, Larven von Ephemeriden, Larven und gional etwas verschoben, auch für die ande- Imagines von Chironomiden, Chlorophycea- ren Vertreter der Gattung. Bei den von en und Bacillariaphyceaen frißt (DEDING BRANCUCCI (1979) durchgeführten Markie- 1988). Die Larvalmorphologie der Art läßt rungs- und Wiederfangexperimenten war G. nach GALEWSKI (1975 & 1990) darauf bilineatus die am dritthäufigsten markierte schließen, daß sie sich nahe der Wasserober- Schwimmkäferart, die Wiederfangrate war fläche speziell von planktonischen Crusta- jedoch äußerst niedrig. Dies läßt auf eine ho- ceen ernährt. he Populationsdichte, eine ausgedehnte Bionomie: Außerhalb des Winters finden imaginale Aktivitätsphase und/oder eine ho- sich die Imagines bevorzugt in Flachwasser- he Dispersionsrate der Art schließen. zonen mit dichter emerser Vegetation (z. B. Entwicklungszyklus: Die Entwicklung Sphagnum, Carex, Schoenoplectus). Hin- vom Ei über die Larve zur Puppe dauert 2 bis sichtlich der Wassertiefe haben sie nicht so 2 ½ Monate (GALEWSKI 1990, HOLMEN 1993, große Ansprüche wie der Breitrand und wer- WESENBERG-LUND 1912). Niedrige Tempera- den deshalb wesentlich häufiger auch mit turen verlängern die Entwicklung, höhere dem Kescher und ufernah angebrachten fördern sie. Die zylindrischen, ungefähr 2 Reusen nachgewiesen. Wie alle anderen mm langen weißlichen Eier werden nach Schwimmkäfer auch, so kommt Graphode- WESENBERG-LUND (1912) oberhalb des Was- rus bilineatus zur Erneuerung seines Luft- sers in Blütenstiele von Hottonia palustris vorrats unter den Flügeldecken regelmäßig (LINNAEUS) gelegt. Sicherlich kommen auch an die Wasseroberfläche. Über die Art der andere luftgefüllte Pflanzenteile verschiede- Überwinterung gibt es unterschiedliche Aus- ner Macrophyten in Betracht. Die Inkubati- sagen. Nach FOSTER (1996b) überwintert der onszeit der Eier beträgt ungefähr zwei Wo- Käfer, wie alle anderen Vertreter der Gat- chen. Obwohl die Larvalentwicklung noch tung auch, an Land unter Moos, Laub und nicht eingehend untersucht wurde, hat es Holz. NILSSON & HOLMEN (1995) vermuten den Anschein, als finden sich die Larven an hingegen eine aquatische Überwinterung, den selben Plätzen wie die Imagines. Wie da von dieser Art noch keine überwintern- andere Larven größerer Wasserkäfer auch, den Imagines an Land gefunden wurden. so muß die Larve von G. bilineatus regel- Dafür spricht auch, daß Imagines von G. bi- mäßig an die Oberfläche um ihrem Luftvor- lineatus bis in den Oktober hinein im Wasser rat zu erneuern. Die Verpuppung erfolgt bei angetroffen wurden (TOLASCH mündlich), allen Graphoderus-Arten in einer Erdhöhle wohingegen die anderen Vertreter der Gat- unter Moosen, Hölzern und Steinen an tung bereits von Anfang bis Mitte Septem- Land. Die Larve verbleibt für einige Tage in ber das Wasser verlassen, um ihre Überwin- der Erdhöhle, um sich dann zu verpuppen. terungsverstecke aufzusuchen. Die Puppenruhe dauert ungefähr zehn Tage. 108 Insecta, Berlin, 6 (2000)

Die frisch geschlüpften Imagines verbleiben en, Slowakei, Turkestan (?), Tschechische dann noch einige Tage in der Zelle, um dann Republik, Ukraine. Umfangreiche Angaben im Spätsommer oder Herbst zu schlüpfen. zur aktuellen und historischen Verbreitung Nach WESENBERG-LUND (1919) wird die Art der Art in ganz Europa finden sich bei FOSTER gelegentlich von ektoparasitischen Wasser- (1996b). milben (Hydracarina) der Gattung Eylais be- Verbreitung in Deutschland: HORION fallen. (1941) und SCHAEFLEIN (1971) melden die Art Verbreitung allgemein: Westpaläarkti- für ganz Deutschland, allerdings nach Süden sche Art. Das Areal erstreckt sich von West- und Westen seltener werdend. In einem bis- frankreich bis nach Westsibirien (ZAITZEV her unveröffentlichten Manuskript einer 1953, FOSTER 1996B, NILSSON & HOLMEN Neufassung seiner Arbeit von 1941 gibt HO- 1995). RION aus dem Niederrheinischen, der Pfalz, Europäische Union: Belgien (nur alte Fun- Hessen, Franken und Bayern Funde aus den de aus dem letzten Jahrhundert), Dänemark, Jahren 1958 bis 1963 an (FOSTER 1996b). Deutschland, England (nur wenige alte ZIEGLER (1986) meldet zwei Nachweise aus Nachweise aus Norfolk), Finnland (nur im Schleswig-Holstein: Rissen, 1946 und Bul- Süden), Frankreich (neuere Funde nur im lenhausen, 1968. TOLASCH (in litt.) berichtet Südwesten), Italien (nur alte Meldungen), von Funden aus den Jahren 1997 und 1998 Niederlande (nur wenige neue Meldungen), aus einem Moor bei Ratzeburg (Abb. 4). Österreich und Schweden. JÄKEL (1985) meldet den Käfer aus der Um- Außerhalb der Europäischen Union: Be- gebung von Lüneburg und SONDERMANN lorussland, Bosnien, Estland, Kroatien, Lett- (1990) erwähnt einen alten Fund aus dem land, Litauen, Südostnorwegen, Polen, Rickmers Park/Bremen. ALFES & BILKE (1977) Rumänien (?), Russische Föderation, geben lediglich 12 alte Meldungen für Schweiz (nur alte Funde), Serbien, Sloweni- Westfalen an. Sie schreiben weiterhin: „An

Abb. 4. Moorgewässer bei Ratzeburg, Lebensraum von Graphoderus bilineatus. Aufnahme TILL TOLASCH (Wentorf). LARS HENDRICH & MICHAEL BALKE: Dytiscus latissimus und Graphoderus bilineatus 109 die Stelle von Graphoderus bilineatus ist in Deutschlands sollte dies auch einmal über- den Moorgebieten des Münsterlandes und prüft werden. Eine neue Meldung aus Bay- des Emslandes Graphoderus zonatus getre- ern findet sich bei SCHAEFLEIN (1968): Donau- ten, der offenkundig in seinem Bestand zu- aue, Naturraum Gungau, Straubing-Gstütt, genommen hat.“ Für andere Regionen 1963. Dort wurde sie auch später von Hans

Abb. 5. Verbreitung von Graphoderus bilineatus (DE GEER, 1774) in Deutschland. Kreise = Funde vor 1960; Punk- te = Funde nach 1960; Gepunktete Linien = Grenzen der einzelnen Naturräume Deutschlands. 110 Insecta, Berlin, 6 (2000)

Hebauer gefangen: Juli bis September 1973. dorf, MTB 3850/II, Kesselmoor 2 km OSO, Das Vorkommen ist heute jedoch erloschen 24.8.1986, 1 Exemplar, idem, 11.9.1986, 1 (HEBAUER in litt.; HECKES & HESS in litt.). Nach Exemplar, D. Beutler leg. (Deutsches Ento- KÖHLER & KLAUSNITZER (1998) liegen aus Hes- mologisches Institut, Eberswalde). sen und Westfalen nur Nachweise vor 1900 Mecklenburg-Vorpommern: Müritz-Na- vor, aus dem Nordrheinischen, Hannover, tionalpark: NSG Ostufer der Müritz, 1967 dem Weser-Ems-Gebiet und aus Thüringen (SCHIEFERDECKER 1967); Müritz-Nationalpark, nur Funde, die vor 1950 getätigt wurden. NSG Serrahn (Serrahnluch), 1989, 1 Exem- Alle dem Verfasser bekannt gewordenen plar, Braasch leg. (BRAASCH in litt.); Wendorf Funde aus Ostdeutschland werden nachfol- bei Baumgarten, Feldpfuhl, 20.6.1996, 1 Ex- gend genauer aufgeführt und nach Nach- emplar, Wolf leg. (WOLF 1998). weisen vor und nach 1960 geordnet. Auf ei- Sachsen: Großenhain, 4.1964, Ressler ner Karte (Abb. 5) werden alle bisher veröf- leg. (FICHTNER 1983); Friedersdorf 2 km NW fentlichten deutschen Nachweise zusam- Pulsnitz, Sondermann leg.; Erlichter Heide II mengestellt. 2,5 km NO Rietschen-Daubitz, Sondermann leg. (SONDERMANN in litt.). Nachweise vor 1960: Die Verteilung der Fundmeldungen zeigt, Mecklenburg-Vorpommern: Wustrow, daß Graphoderus bilineatus in Deutschland Torfstich bei Dierhagen, 7. 1920, 8 Exem- einst weit verbreitet und nicht selten war. plare, Liebmann leg. (LIEBMANN 1955). Nach 1960 ist G. bilineatus lediglich an 13 Brandenburg: Rüdersdorf bei Berlin, ca. Fundorten in sechs Bundesländern nachge- 1920-1930, 1 Exemplar, Sammlung der Ver- wiesen worden. Demgegenüber stehen 45 fasser; Großmachnow, 15.4.1934, 4 Exem- Nachweise aus fast allen Bundesländern (bis plare; Potsdam-Wildpark, 27.3.1921, 1 Ex- auf das Saarland) vor 1960. Viele dieser Fun- emplar; Potsdam-Wildpark, 2.9.1923, 2 Ex- de, insbesondere aus dem Westen und Sü- emplare, Neresheimer leg. (FICHTNER 1983). den Deutschlands (HORION 1941, ALFES & Sachsen-Anhalt: Dessau, 2.7.1933, 2 Ex- BILKE 1977) stammen allerdings noch aus emplare, Heidenreich leg.; Großkühnau, dem vorigen Jahrhundert. Rezente Nach- Köller leg.; Naumburg, Wasik leg.; Halle, Ni- weise gibt es im Osten Deutschlands nur aus colai leg.; Aschersleben, Hornung leg.; Mo- den drei Bundesländern: Brandenburg, sigkau, Schreiber leg.; Schönebeck, Borchert Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen. leg. (FICHTNER 1983). Trotz der nur mangelhaften Kenntnis um die Thüringen: Meiningen, Erfurt, Sonders- rezente Verbreitung der Art in Deutschland, hausen (RAPP 1933); Oberlödla, Grüntal, kann davon ausgegangen werden, daß G. Drescha, Windischleuba (NAUMANN 1977). bilineatus seine Schwerpunktverbreitung in Sachsen: Dübener Heide: Wildenhainer der heutigen Bundesrepublik im Norden und Bruch, 18.9.1960, 1 Exemplar, Fichtner leg.; Osten des Landes hat. Altenburg, 1870, Apetz leg.; Milkeler Moor nahe Milkel, 8.1956, 2 Exemplare, Krüger Schutzstatus leg.; Lömischau, 8.1956, 2 Exemplare, Krü- Da die Art in den meisten Ländern der Eu- ger leg. (FICHTNER 1983); Leipzig, 2 Exempla- ropäischen Union in ihrem Bestand stark re, coll. Felsche; Moritzburg, 2 Exemplare, v. zurückgegangen bzw. bereits verschollen ist, Minckwitz leg.; Zaithain/Sa., 1 Exemplar, gilt sie in Europa als stark gefährdet. Auf In- coll. Detzner; Milkel, 1.6.1942, 2 Exemplare, itiative des Balfour-Browne-Clubs (FOSTER Jordan leg.; Lömischau, Oberlausitz, 1986) wurde Graphoderus bilineatus in den 4.10.1944, 2 Exemplare, Jordan leg. (Muse- Anhang II der Bern Convention, in die An- um für Tierkunde, Dresden). hänge II und IV der Habitatrichtlinie und in die Rote Liste des IUCN (IUCN 1988 und Nachweise nach 1960: 1996) aufgenommen. Nur in Finnland, Brandenburg: Umgebung Wittmanns- Schweden, Russland, Belorussland und in LARS HENDRICH & MICHAEL BALKE: Dytiscus latissimus und Graphoderus bilineatus 111 der Ukraine scheint die Art noch stabile Vor- Wasser besonder aktiv zu sein scheint (TO- kommen zu haben. In vielen Ländern der LASCH mündl.). Europäischen Union ist der Art in nationalen Auch beim Schutz von G. bilineatus wird Roten Listen ein Gefährdungsstatus zuer- deutlich, daß dies nur möglich ist, wenn es kannt worden. Außerhalb der EU ist die Art gelingt, großflächig unzersiedelte Land- in der Schweiz in der Kategorie 3 (gefährdet) schaftsbestandteile zu erhalten, die sich

Bundesrepublik (GEISER 1998, HESS & al. 1999)) 1 Vom Aussterben bedroht Bayern (HEBAUER 1994) 2 Stark gefährdet Brandenburg (BRAASCH et al. im Druck) 1 Vom Aussterben bedroht Niedersachsen, Flachland (HAASE 1996) 1 Vom Aussterben bedroht Niedersachsen, Hügelland (HAASE 1996) 0 Ausgestorben Sachsen-Anhalt (SPITZENBERG 1993) 1 Vom Aussterben bedroht Thüringen (BELLSTEDT 1993) 0 Ausgestorben zu finden (BRANCUCCI 1990). Genauere An- noch auf einem relativ niedrigem Trophieni- gaben zu diesem Thema finden sich bei FO- veau befinden. Für den erfolgreichen Schutz STER (1996b). dieser Art in Deutschland wird es nicht aus- In Deutschland ist die Art in nachfolgend reichen, einzelne, weit voneinander entfernt genannten Roten Listen zu finden: liegende Feuchtgebiete unter Schutz zu stel- len. Vielmehr müssen verschiedene Seenty- Gefährdungsursachen pen und Weiher unterschiedlicher Sukzessi- Die Ursachen für den Rückgang dieser Art onsstufen eng miteinander verzahnt im sel- sind ähnlich gelagert wie bei D. latissimus. ben Gebiet vorhanden sein. Meliorative Maßnahmen, Eutrophierung und Beschattung der Brutgewässer, zu ho- Danksagung her Fisch- und Wasservogelbesatz in den wenigen noch verbliebenen Habitaten (HOL- Für die Überlassung von Funddaten, Fo- MEN 1993) sind wahrscheinlich auch hier, ne- tos, Literaturangaben und der Möglichkeit ben den schon diskutierten klimatischen Ur- zur Literaturrecherche sind die Autoren den sachen, für den Rückgang der Art verant- nachfolgend genannten Kollegen und Insti- wortlich. Im Gegensatz zum Breitrand ist al- tutionen zu großem Dank verpflichtet: R. lerdings das Verschwinden von G. bilineatus BELLSTEDT (Museum der Natur, Gotha), L. nur wirklich wenigen Spezialisten aufgefal- BEHNE (Deutsches Entomologisches Institut, len. Eberswalde), D. BRAASCH (Potsdam), H. DO- NATH (Görlsdorf), Prof. Dr. G.N. FOSTER (Ayr, Maßnahmen zur Erfassung und zum Schutz Schottland), S. GOTTWALD (Berlin), U. HECKES Auch hier kann im Wesentlichen auf das & M. HESS (München), Dr. M. HOLMEN (Hel- verwiesen werden, was schon über den singe, Dänemark), O. JÄGER (Museum für Breitrand gesagt wurde. Tierkunde, Dresden), Prof. H. KORGE (Berlin), Ein Monitoring-Projekt für diese Art ist Dr. M. D. MOROZ (Minsk, Belorussland), Dr. aber etwas einfacher durchzuführen als A.N. NILSSON (Umea, Schweden), H. SHAVER- beim Breitrand, da Graphoderus bilineatus DO (Minsk, Belorussland), W. SONDERMANN auch flache, etwas kleinere Gewässer besie- (Marburg), G. STACKEBRANDT (Heimatmuse- delt und dann mit dem Kescher sowie ufer- um Potsdam), T. TOLASCH (Wentorf), Dr. L. nah ausgebrachten Reusen gefangen wer- ZERCHE (Deutsches Entomologisches Institut, den kann. Nächtliche Begehungen von po- Eberswalde) und W. ZIEGLER (Rondeshagen). tentiell besiedelbaren Gewässern mit Stirn- und Taschenlampe sind ebenfalls sinnvoll, Summary: The present paper summarises da die Art nach Einbruch der Dunkelheit im our knowledge on the distribution, life hi- 112 Insecta, Berlin, 6 (2000) story, habitat requirements and major (1990): Wasserkäfer (Dytiscidae, Gyrinidae, Ha- liplidae, Hydraenidae, Hydrophilidae, Sperchei- threats of the two predacious diving beetles dae).- Novius 10, 213-216. Dytiscus latissimus LINNAEUS, 1758 and Gra- BRANCUCCI, M. (1979): Considérations sur la faune des phoderus bilineatus (DE GEER, 1774) listed in Dytiscidae da la grève de Cudefrin (VD) (Insec- the EU Habitats Directive, with special em- ta: Coleoptera).- Bulletin de la Société vaudoise des Sciences naturelles 74, 301-311. phasis on Eastern Germany. In the past de- BRANCUCCI, M. (1990): Rote Liste der gefährdeten Was- cades both species have shown a marked serkäfer (nur Hydradephaga) der Schweiz, pp. decline in Germany, and from many Districts 60-63 in DUELLI, P. (Hrsg.): Rote Liste der ge- (Bundesländer) there are no recent records. fährdeten Tierarten in der Schweiz.- Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft, Bern. The urgency and difficulties of carrying out Committee for Ecology of the Republic of Belarus monitoring programmes for both species are (1993): Black Book of the Belarus Republic.- discussed. Minsk „Belaruskaya Encyclopaedia“, Petrus Brouki. DEDING, J (1988): Gut content analysis of diving beetles (Coleoptera: Dytiscidae). - Natura Jutlandica 11: Literatur 177-184. AHLWARTH K. (1913): Eine neue Form von Haliplus li- FICHTNER, E. (1983): Beiträge zur Insektenfauna der neatocollis MARSHAM und weitere Beiträge zur DDR: Coleoptera, Dytiscidae (Insecta).-Faunisti- Kenntnis der Wasserkäferfauna der Mark Bran- sche Abhandlungen des Museums für Tierkunde denburg (Coleoptera).- Deutsche Entomologi- in Dresden 11 (1), 1-46. sche Zeitschrift 1913, 89-91. FICHTNER, E. (1984): Neufunde von Halipliden und Dy- ALFES, C., & BILKE, H. (1977): Coleoptera Westfalica: Fa- tisciden aus dem Bezirk Cottbus.- Entomologi- milia Dytiscidae.- Abhandlungen aus dem Lan- sche Nachrichten und Berichte 28 (5), 221. desmuseum für Naturkunde zu Münster in FOSTER, G.N. (HRSG.) (1986): Rare and endangered wa- Westfalen 39, 3-109. ter beetles in Europe.- Balfour-Browne Club ALTUM, D. (1865): Die Arten der Gattung Dytiscus.- Newsletter 37, 1-12. Stettiner Entomologische Zeitschrift 26: 346- FOSTER, G.N. (1996a): Dytiscus latissimus LINNAEUS, 352. 1758. In: HELSDINGEN, P.J. VAN, WILLEMESE. L. & ANONYMOUS (1918): Sitzungsberichte der Deutschen SPEIGHT, M.C.D. (Hrsg.): Background Informa- Entomologischen Gesellschaft.- Deutsche Ento- tion on Invertebrates of the Habitats Directive mologische Zeitschrift 1918, 383. and the Bern Convention. Part 1, 31-39. Euro- ANONYMOUS (1997): Leit- und Zielartenkonzept des pean Invertebrate Survey. Landes Brandenburg, aquatischer Teil – Inverte- FOSTER, G.N. (1996b): Graphoderus bilineatus (DE GEER, brata.- LUA Brandenburg (unveröff. Manus- 1774). In: HELSDINGEN, P.J. VAN, WILLEMESE. L. & kript), 1-53. SPEIGHT, M.C.D. (Hrsg.): Background Informati- BALKE, M., & HENDRICH, L. (1991): Rote Liste der Was- on on Invertebrates of the Habitats Directive serkäfergruppen Hydradephaga und Hydrophi- and the Bern Convention. Part 1, 40-48. Euro- loidea von Berlin (West).- Landschaftsentwick- pean Invertebrate Survey. lung und Umweltforschung S 6, 359-372. GALEWSKI, K. (1971): A study on morphobiotic adapta- BELLSTEDT, R. (1993): Rote Liste der Wasserkäfer (aqua- tions of European species of the Dytiscidae (Co- tische Coleoptera) Thüringens.- Naturschutz re- leoptera).- Polskie Pismo Entomologiczne 41, port 5: 87-91. 487 – 702. BLUNCK, H. (1918): Dytiscus latissimus L., der GALEWSKI, K. (1975): Descriptions of the unknown lar- „Breitrand“.- Blätter für Aquarien- und Terrari- vae of the genus Hydaticus LEACH and Grapho- enkunde 9, 1-5. derus DEJEAN (Coleoptera, Dytiscidae) with some BLUNCK, H. (1923): Zur Kenntnis des „Breitrands“ Dytis- data on their biology.- Annales Zoologici, Wars- cus latissimus L. und seiner Junglarve.- Zoologi- zawa 32, 249-268. scher Anzeiger 57, 157-168. GALEWSKI, K. (1990): The larvae of Central European BLUNCK, H., & KLYNSTRA, B. H. (1929): Die Kennzeichen species of Graphoderus Dejean (Coleoptera, der Jugendstände in Deutschland und Holland Dytiscidae).- Polskie Pismo Entomologiczne 60, vorkommender Dytiscus-Arten.- Zoologischer 25-54. Anzeiger 81, 114-140. GALEWSKI, K., & TRANDA, E. (1978): Chrzaszcze (Coleop- BRAASCH, D., HENDRICH, L. & BALKE, M. (2000): Verzeich- tera). Rodziny Plywakowate (Dytiscidae), Flia- nis der Wasserkäfer des Landes Brandenburg, kowate (Haliplidae), Mokzelikowate (Hygrobi- mit Kennzeichnung der verschollenen und ge- idae), Kretakowate (Gyrinidae). Fauna Slodko- fährdeten Arten (Rote Liste) (Coleoptera: Hyd- wodna Polski 10.- Polska Akademia Nauk Insty- radephaga, Hydrophiloidea und Dryopoidea).- tut Ekologii Zaklad Biologii Rolnej, Warschau. Naturschutz und Landschaftspflege in Branden- GEISER, R. (1998): Rote Liste Käfer (Coleoptera), Hydra- burg (Im Druck). dephaga & Palpicornia (Wasserkäfer s.l.), pp. BRAASCH, D., HEILMANN D., KEMPF, L. & BERNDT, K. P. 175-178 in Bundesamt für Naturschutz (Hrsg.): LARS HENDRICH & MICHAEL BALKE: Dytiscus latissimus und Graphoderus bilineatus 113

Rote Liste gefährdeter Tiere Deutschlands.- LIEBMANN, W. (1955): Käferfunde aus Mitteleuropa Schriftenreihe für Landschaftspflege und Natur- einschließlich der österreichischen Alpen. Arn- schutz 55. stadt, 165 S. HAASE, P. (1996): Rote Liste der in Niedersachsen und MIETZ, O., KNUTH, D., KOSCHEL, R., MARCINEK, J., & MA- Bremen gefährdeten Wasserkäfer mit Gesamt- THES, J. (1994): Beiträge zur angewandten Ge- artenverzeichnis. - Informationsdienst Natur- wässerökologie Norddeutschlands 94 (1), 1- schutz Niedersachsen 16 (3), 81-100. 169; Natur & Text GmbH, Rangsdorf. HEBAUER, F. (1992): Rote Liste gefährdeter Wasserkäfer NAUMANN, E. (1977): Fauna Coleoptera des Kreises Al- (Hydradephaga, Palpicornia, Dryopoidae) Bay- tenburg.- Abhandlungen und Berichte des Na- erns.- Schriftenreihe des Bayerischen Landesamt turkundlichen Museums „Mauritianum“ Alten- für Umweltschutz 111: 110-115. burg 9, 275-304. HENDRICH, L., & BALKE, M. (1991): Beiträge zur Tierwelt NILSSON, A. N., & PERSSON, S. (1989): The distribution of von Berlin, Teil V: Schwimmkäfer (Coleoptera: predaceous water beetles (Coleoptera: Noteri- Dytiscidae).- Berliner Naturschutzblätter 35 (2): dae, Dytiscidae) in Sweden.- Entomologica Basi- 65-75. liensia 13, 59-146. HENDRICH, L., & M. BALKE (1993): Bewertungsschema NILSSON, A. N. & HOLMEN, M. (1995): The aquatic Ade- zur Eignung einer Insektengruppe als Bioindika- phaga (Coleoptera) of Fennoscandia and Den- tor/ Indikator/ Zielgruppe für Landschaftspla- mark. II. Dytiscidae.- Fauna Entomologica Scan- nung und UVP (in Deutschland) – „Wasserkä- dinavica Vol. 32, 1-192; Brill, Leiden, Copenha- fer„.- Insecta 1 (2), 147-154. gen. HESS, M., SPITZENBERG, D., BELLSTEDT, R., HECKES, U., PAPPERITZ, R. (1958): Zur Faunistik Ost-Oberfrankens HENDRICH, L. & W. SONDERMANN (1999): Arten- und des sächsisch-thüringischen Vogtlands.- bestand und Gefährdungssituation der Wasser- Entomologische Blätter 54, 177-184. käfer Deutschlands. - Naturschutz und Land- RAPP, O. (1933): Die Käfer Thüringens unter besonderer schaftsplanung 31 (7): 197-211. Berücksichtigung der faunistisch-ökologischen HOCH, K. (1938): Ist der Breitrand (Dytiscus latissimus) Geographie, Band I, Erfurt, 159-199. im Rheinland ausgestorben ? – Rheinischer Na- RAU, A. (1888): Handbuch für Käfer-Sammler.- Creutz´- turfreund 2, 62-63. sche Verlagsbuchhandlung, Magdeburg, 1-494. HOFMANN, G. (1997): Die Schwimmkäfer der Sammlung ROUGHLEY, R. E. (1990): A systematic revision of species des Naturwissenschaftlichen Museums der Stadt of Dytiscus LINNAEUS (Coleoptera: Dytiscidae). Aschaffenburg.- Nachrichten des Naturwissen- Part 1. Classification based on adult stage.- schaftlichen Museums Aschaffenburg 104, 71- Quaestiones Entomologicae 26, 383-557. 107. SCHAEFLEIN, H. (1968): Neue Halipliden- und Dytisciden- HOLMEN, M. (1987): Dytiscus latissimus – en truet funde für die Umgebung von Straubing (Cole- vandkalv (Coleoptera: Dytiscidae).- Entomolo- optera).- Nachrichtenblatt der Bayerischen Ent- giske Meddelelser 55, 29-30. omologen 17, 55-59. HOLMEN, M. (1993): Fredede insekter i Danmark Del 3: SCHAEFLEIN, H. (1971): 4. Familie: Dytiscidae. – In: FREU- Biller knytter til van.- Entomologiske Meddelels- DE, H., HARDE, K. W. & G. A. LOHSE (1971): Die er 61, 117-134. Käfer Mitteleuropas, Band 3. Adephaga 2, Pal- HORION, A. (1941): Faunistik der deutschen Käfer. I. picornia, Histeroidea, Staphylinoidea 1.- Goecke Adephaga-Caraboidea.- Goecke, Krefeld, S.1- & Evers, Krefeld, 16-89. 464. SCHAEFLEIN, H. (1983): Zweiter Beitrag zur Dytisciden- International Union for Conservation of Nature & Natu- fauna Mitteleuropas (Coleoptera) mit ökologi- ral Resources (1988): 1988 IUCN Red List of schen und nomenklatorischen Betrachtungen.- Threatened Animals.- IUCN, Gland, Switzerland. Stuttgarter Beiträge zur Naturkunde, Serie A International Union for Conservation of Nature & Natu- (Biologie) 361, 1-41. ral Resources (1996): 1996 IUCN Red List of SCHAEFLEIN, H. (1989): Dritter Beitrag zur Dytiscidenfau- Threatened Animals.- IUCN, Gland, Switzer- na Mitteleuropas (Coleoptera) mit ökologischen land, 368 S. und nomenklatorischen Anmerkungen.- Stutt- JÄKEL, B. (1985): Wasserkäfer (Adephaga, Palpicornia) garter Beiträge zur Naturkunde, Serie A (Biolo- schutzwürdiger Acker-Kleingewässer im Land- gie) 430, 1-39. kreis Lüneburg 37, 99-116. SCHIEFERDECKER, H. (1963): Über den Fang von Wasser- JOHANSSON, A., & NILSSON, A. N. (1992): Dytiscus latissi- insekten mit Reusenfallen.- Entomologisches mus and Dytiscus circumcinctus (Coleoptera, Nachrichtenblatt 5, 60-64. Dytiscidae) larvae as predators on three case- SCHIEFERDECKER, H. (1967): Faunistisch-ökologische Un- making caddis larvae. - Hydrobiologia 248, 201- tersuchungen an aquatilen Käfern im Natur- 213. schutzgebiet „Ostufer der Müritz“ (Coleoptera: KOCH, K. (1974): Erster Nachtrag zur Käferfauna der Haliplidae, Dytiscidae, Gyrinidae, Hydrophili- Rheinprovinz.- Decheniana 126 (1/2), 191-265. dae).- Natur und Naturschutz in Mecklenburg 5, KÖHLER, F., & KLAUSNITZER, B. (Hrsg.) (1998): Entomofa- 15-31. una Germanica. Verzeichnis der Käfer Deutsch- SONDERMANN, W. (1990): Zur Ökologie und Faunistik lands.- Entomologische Nachrichten und Berich- der in der Umgebung von Bremen vorkommen- te, Beiheft 4, 185 S. den Schwimmkäfer (Dytiscidae) und Hygrobia 114 Insecta, Berlin, 6 (2000)

tarda.- Abhandlungen des Naturwissenschaftli- ledge of the postembryonal developement of chen Vereins Bremen 41(2), 131-152. the Hydracarina.- Videnskabelige Meddelelser SPITZENBERG, D. (1993): Rote Liste der wasserbewohnen- fra Dansk Naturhistorisk Forening 70, 5-57. den Käfer des Landes Sachsen-Anhalt.- Berichte WOLF, F. (1998): Funde neuer und seltener Wasserkäfer des Landesamtes für Umweltschutz Sachsen- s. l. (Col.) in Mecklenburg-Vorpommern nebst Anhalt 9, 35-39. einem Aufruf zur Mitarbeit.- Entomologische STANÉK, V.J. (1984): Das farbige Buch der Käfer.- Han- Nachrichten und Berichte 42 (1/2), 101-102. au/Main, Dausien, 352 S. ZAITZEV, F. A. (1953): Coleoptera. Volume IV. Amphi- STEINHÄUSER, R. (1935): Von Blutegeln und seltenen zoidae, Hygrobiidae, Haliplidae, Dytiscidae, Gy- Wasserkäfern b. Berlin.- Blätter für Aquarien- rinidae.- Fauna of the U.S.S.R. Moscow (In Rus- kunde 46, 208-209. sisch – übersetzt ins Englische – Israel Program TELNOV, D. (1996): Check-List of Aquatic Coleoptera of for Scientific Translations, 1972. Jerusalem). the Fauna of Latvia (unveröff. Manuskript). ZIEGLER, W. (1986): DIE SCHWIMMKÄFER (Hygrobiidae, WESENBERG-LUND, C. (1912): Biologische Studien über Haliplidae, Dytiscidae und Gyrinidae) des Nie- Dytisciden.- International Revue der gesamten derelbegebietes und Schleswig-Holsteins. - Ver- Hydrobiologie und Hydrogeographie, Biol. Sup- handlungen des Vereins für naturwissentschaft- pl. 5, 1-129. liche heimatforschung, Hamburg 39: 99-109. WESENBERG-LUND, C. (1919): Contribution to the know-

Anschrift der Verfasser: LARS HENDRICH, Berlin-Forschung, Freie Universität Berlin, Gärtnerstraße 3, D-12207 Berlin, Water Specialist Group/SSC/IUCN, (e-mail: [email protected]) MICHAEL BALKE, Institut für Zoologie, Freie Universität Berlin, Königin-Luise-Straße 1-3, D-14195 Berlin, Water Beetle Specialist Group/ SSC/IUCN, (e-mail: [email protected] und [email protected]) GEORG MÖLLER: Totholz lebt; MARTIN WIEMERS: Insektenhandel 115

Totholz lebt – Bäume im Spannungsfeld zwischen Wegesicherung, Denkmalpflege und Naturschutz1

Baumveteranen und Baumruinen sind ur- Abfallverwerter in den Nestern höhlenbrü- sprüngliche Bestandteile der Kulturland- tender Vögel, Jäger in den Bauten der Holz- schaft. Wegen ihrer Stärke und ihres Alters ameisen und zahllose Arten, die von Frucht- konzentrieren die mehrhundertjährigen körpern und Myzelien der Holzpilze abhän- Stämme eine Fülle von Kleinlebensräumen. gig sind. Jedoch, trotz seiner zentralen Be- Das Spektrum reicht von Stammhöhlen über deutung für die Sicherung der Biodiversität Mulmtaschen bis zu ausgedehnten Kluft- unserer Fauna und Pilzflora nimmt der Alt- und Gangsystemen. Ihre Nischenvielfalt und baumbestand kontinuierlich ab. Der Vortrag ihre Beständigkeit machen alte Bäume zu „Totholz lebt – Bäume im Spannungsfeld sprichwörtlichen „Häusern der Natur“ und zwischen Wegesicherung, Denkmalpflege damit zu den artenreichsten Biotopen über- und Naturschutz“ beleuchtete die Hinter- haupt. In Deutschland bewohnen allein bei gründe dieser negativen Entwicklung und den Käfern mit rund 1300 Arten etwa 20% zeigt Wege auf, die zur Integration eines der des Gesamtbestandes Alt- und Totholz. Des- wichtigsten Zentren der Biodiversität in un- sen Lebensgemeinschaften zeichnen sich sere Kulturlandschaft führen. durch eine Fülle faszinierender Wechselwir- kungen und Abhängigkeiten aus. So gibt es GEORG MÖLLER, Berlin

Insektenhandel – ein Beitrag zum Naturschutz? – Die Insect Farming & Trading Agency (IFTA) in Papua-Neuguinea2

Neuguinea, die zweitgrößte Insel der Er- begehrt, und für seltene Arten wurden hor- de, ist bekannt als Heimat der Paradiesvögel. rende Summen auf Auktionen erzielt. Der Unter Entomologen ist sie berühmt für ihre Handel mit den Vogelflüglern, die anfangs z. farbenprächtigen Vogelflügler. Die 11 Arten T. nur mit Schrotflinten gefangen werden der Gattung Ornithoptera sind in ihrer Ver- konnten, lag in der Hand einiger weniger breitung auf Neuguinea und die umliegen- Ausländer. den Inseln beschränkt, nur die weitverbreite- Als Papua-Neuguinea, das den Ostteil der te Ornithoptera priamus kommt auch im Insel umfaßt, im Jahre 1976 unabhängig tropischen Norden Australiens (Queensland) wurde, stellte die Regierung einen Großteil vor. Während der Kolonialzeit waren die Vo- der Vogelflüglerarten unter Artenschutz, gelflügler bei europäischen Sammlern heiß gleichzeitig erfolgte die Gründung der IFTA (Insect Farming & Trading Agency, Bulolo) mit dem Ziel, den Export von Insekten unter 1 Kurzfassung eines Lichtbildervortrages von Herrn GEORG MÖLLER auf der Tagung „Insekten der nationale Kontrolle zu bringen und die Profi- FFH-Richtlinie und ihr Schutz“ in Hannover im Okto- te der heimischen Dorfbevölkerung zu Gute ber 1998. kommen zu lassen. Die IFTA förderte insbe- 2 Kurzfassung eines Lichtbildervortrages von sondere das Farmen von Vogelflüglern mit Herrn MARTIN WIEMERS auf der Tagung „Insekten der FFH-Richtlinie und ihr Schutz“ in Hannover im Okto- großem Erfolg. Diese Erfolge bewirkten ei- ber 1998. Mit Hilfe deutscher Entwicklungshilfegelder nen Einbruch der Preise und damit das Aus- (über CIM) konnte für drei Jahre ein deutscher Ento- trocknen des illegalen Marktes (sämtliche mologe angeworben werden, um beim Aufbau des In- Vogelflüglerarten unterliegen inzwischen sektenzuchtzentrums mitzuhelfen. Diese Stelle wur- de von MARTIN WIEMERS von November 1994 bis Ja- dem Washingtoner Artenschutzabkommen nuar 1998 ausgefüllt. [CITES]). Die Stagnation des Marktes für 116 Insecta, Berlin, 6 (2000)

Sammler und Dekorationszwecke konnte die reich gefarmten Vogelflüglern auch nicht IFTA z. T. nur durch den Verkauf von selbst farmbare Schmetterlingsarten anzubieten. hergestellten Insektenrahmen an Touristen Zu diesem Zweck begann die IFTA 1994 auf ausgleichen. Ein neuer Markt eröffnete sich dem Gelände der University of Technology durch die Zunahme von Schmetterlingshäu- in Lae neben dem Bau des Rainforest Habi- sern in Europa und Nordamerika, die auf ei- tats (einer begehbaren Voliere für Paradies- ne regelmäßige Belieferung mit lebenden vögel und andere einheimische Vogellarten) exotischen Schmetterlingspuppen angewie- auch mit dem Bau eines Insektenzuchtzen- sen sind. Um diesen Markt bedienen zu kön- trums. nen, war es jedoch nötig, neben den erfolg- MARTIN WIEMERS, Münster

Teilnehmerliste der 4. Tagung des Bundesfachausschusses Entomolo- gie „Insekten der FFH-Richtlinie und ihr Schutz – Ein Beitrag zum Netzwerk NATURA 2000 und eine Herausforderung für die Entomologie“ (Hannover 2. bis 4. Oktober 1998)

Thomas Behrends, Norddeutsche Straße 14, Stefan Heitz, Ludwig-Bruns-Straße 9, 24143 Kiel 30175 Hannover Wolfgang Beier, Universität Potsdam Karl-Heinz Jelinek, Zehntwall 3, Dr. Ortwin Bleich, Griesbergstraße 1 B, 50374 Erftstadt, 02235/67043 31162 Bad Salzdetfurth, 05063/ 5459 David Jutzeler, Rainstraße 4, Ralf BoIz, Bergstraße 80, 91083 Aurachtal, CH-8307 Effretikon, 0041/52-3437381 09132/40386 Jens & Ines Kleinekuhle, Arbeitsgemein- Hans-Joachim Clausnitzer, Eichenstraße 11, schaft BFFW, Rauhehorst 130, 29348 Eschede 26127 Oldenburg, Klaus-Jürgen Conze, Listerstraße 13, 0441/6640488 (Tel. und Fax) 45147 Essen Brigitta Köther, Heinrichstraße 1, Dr. Jürgen Deckert & Dr. Cornelia Deckert, 30855 Langenhagen, 0511/722279 Hahns Mühle 13, 12587 Berlin, Dr. Otakar Kudrna, Brombergstraße 6, 030/6411511 97424 Schweinfurt, 09721/805200 Michael Eifler, Beim Ratsberg 1 2a, Dr. Matthias Kühling, Willy-Schiller-Weg 7, 25421 Pinneberg 14480 Potsdam bzw. Zentrum fur Um- Thomas Forcke, Eckerstraße 6, weltwissenschaften, Postfach 601553, 30161 Hannover, 0511/3180230 14415 Potsdam, 0331/610858 Dietrich Gantzhorn, Packhusweg 24, Klaus Liebenow, Dosseweg 8, 26386 Wilhelmshaven 14770 Brandenburg Mario Graul, Naturkundemuseum Leipzig, Thomas Lübcke, Sohlweg 24, Lortzingstraße 3, 04105 Leipzig, 30880 Laatzen 0341/ 982210 Thomas Martschei, Pestalozzistraße 9, Günter Grein, Ulmenweg 31, Greifswald 31139 Hildesheim, 051 21/509-0 Claus Mayr, NABU, Bundesgeschäftsstelle, Stephan Gürlich, Am Salhop 5, Herbert-Rabius-Straße 26, 53225 Bonn, 21244 Buchholz, 04181/39729 0228/97561-24 Hans-H. Hahlbohm, Hauptstraße 84a, Heinrich Meybohm, Bardenweg 82, 31637 Rodewald, 05074/411 21435 Stelle Volker Hampe, Eichstraße 40, Georg Möller, Kolberger Straße 6, 30161 Hannover, 0511/ 344991 13357 Berlin, 030/4655580 Dr. Klaus Handke, Delmestraße 28, Prof. Dr. Gerd Müller-Motzfeld, 27777 Ganderkesee, 04222/70173 Zool. Museum der EMAU, Teilnehmerliste der 4. Tagung des Bundesfachausschusses Entomologie 117

Joh.-Seb.-Bach-Straße 11/12, Dr. Peter Sprick, Weckenstraße 15, 17489 Greifswald, 03834/86-4272 30451 Hannover, 0511/2101996 Wolfgang Nässig, Postfach 3063, Dr. Axel Ssymank, BfN, Bonn, 63158 Mühlheim/Main, 069/7542-23 0228/9543-427 (d), 06108/69111 (p) Roland Suikat, Ahornweg 19, Bernd Naumann, Leonhardsruhstraße 17d, 24211 Preetz, 04342/3243 91710 Gunzenhausen Jochen Tänzer, Sensburger Ring 42, Ulrike Prüß, Bezirksregierung Hannover, 31141 Hildesheim Obere Naturschutzbehörde, Dr. Rainer Theunert, Rosenstraße 6, Postfach 203, 30002 Hannover 31228 Peine Dr. Klaus Renner, Naturkunde-Museum, Till Tolasch, Blautannenweg 20, Kreuzstraße 38, 33602 Bielefeld, 21465 Wentorf, 040/72047 58 0521/883679 Volker Wachlin, Karrendorfer Straße 3, Frank Rosenbauer, Donaustraße 112, 1 17498 Leist 1, 03834/891922 2043 Berlin, 030/6234590 Dr. Ulrich Wasner, Riedweg 19, Petra Salm, Büro Stelzig, Aldegreverwall 1, 48249 Dülmen 59494 Soest, 02921/361912 Roland Weber, Dorfstraße 1, Ronald Schiller, Naturkundemuseum, 17237 Georgenhof Lortzingstraße 3, 04105 Leipzig, Herr Wegener, Hasenheide 5, 0341/982210 21365 Adendorf Jürgen Schmidl, Großgeschaidt 21, Prof. Dr. Klaus-Werner Wenzel, 90562 Heroldsberg Terrassenstraße 48, 14129 Berlin Ludger Schmidt, Kirchstraße 10, Martin Wiemers, Kleikamp 13, 30449 Hannover, 0511/441406 48153 Münster, 0251/7841-21 und -20, Michael Schmitz, Amt für Umweltschutz der Fax -24 Stadt Hannover, Prinzenstraße 4, Helfried Wölkerling, Burgdorfer Straße 20, 30159 Hannover 31275 Lehrte, 05132/ 2233 Dr. Roland Schultz, Wolfgang Ziegler, Gartenstraße 12, Franz-Mehring-Straße 45, 23919 Rondeshagen, 04544/584 17489 Greifswald Wilfried Schulz, Roseggerstraße 14, bioform, Großgeschaidt 21, 30173 Hannover, 0511/8093633 90562 Heroldsberg Werner Schulze, Samlandweg iSa, dialobis edition, Ebereschenallee 11, 33719 Bielefeld, 0521/336443 12623 Berlin Holger Sonnenburg, Burlagerort 29A, Martin Franke und Katrin Schumann, 49597 Rieste, 05464/3537 Hannover (NABU-LV Niedersachsen), Andrea Sörens, Stoltenstraße 44, 0511/91105-0 22119 Hamburg 118 Insecta, Berlin, 6 (2000)

Buchbesprechung

ROLAND GERSTMEIER : Checkered Beetles – Stück auf jeder Seite. Es folgen Hinweis zur Illustrated Key to the Cleridae of the Bestimmung, Bestimmungstabellen der Fa- Western Palaearctic Buntkäfer – milien, Unterfamilien, Gattungen und Arten, Illustrierter Schlüssel zu den Cleriden der die mit vielen sehr guten Zeichnungen ver- West-Paläarktis sehen sind. So kommt auch ein Nicht- Margraf Verlag, 1998, 241 Seiten, 8 spezialist schnell zum Ziel. Schwierigkeiten Farbtafeln und 304 Abbildungen im Text wird man nur bei großen Gattungen z. B. und Verbreitungskarten, Hardcover. ISBN- Trichodes mit 49 abgehandelten Arten Nr. 3-8236-1175-5, Preis 99,50 DM. bekommen, vor allem, wenn nicht genü- gend Vergleichsmaterial vorliegt. So wird Die Buntkäfer (Cleridae), die nicht zuletzt man vielleicht besser vorankommen, wenn wegen ihrer meist auffallenden Farben in bei Punkt 13 zur Bestimmung von Trichodes vielen Sammelausbeuten enthalten sind, („Halsschild fein punktiert – Halsschild grob konnten bisher nur sehr schwer bestimmt punktiert“) eine Zeichnung vorhanden werden. Das galt besonders für Arten aus wäre. Südeuropa. Das lag nicht nur daran, daß es Den Abschluß des Buches bilden ein aus- zu wenig Spezialisten gibt, sondern auch führliches Literaturverzeichnis, welches auch daran, daß die Literatur über Cleridae ver- alle neuen Arbeiten seit dem Katalog von streut ist und es kaum zusammenfassende CORPOORAL (1950) aufführt und ein Index. Arbeiten gab. Der „REITTER“ ist schon lange Bei einer Neuauflage wäre eine Tabelle mit veraltet, im „WINKLER“ und „FREUDE-HARDE- der Verbreitung der Arten in den einzelnen LOHSE“ werden nur die Arten aus Mit- Ländern als Anhang sehr wünschenswert. teleuropa behandelt. Aus diesem Grund Trichodes irkutensis LAXM., der noch im wurden die Cleridae in den meisten „REITTER“ und im „HORION“ aus Bayern an- Sammlungen zu den Supplementen ge- geführt wird, fehlt in diesem Band. Es gibt steckt. auch keinen Hinweis im Text, warum er Das wird sich nun ändern. ROLAND nicht erwähnt worden ist. Die Farbtafeln mit GERSTMEIER legte uns mit dem Band Fotos von fast allen Arten beenden diesen „Buntkäfer-Illustrierter Schlüssel zu den Band. Informative Strichzeichnungen der Cleridae und Thanocleridae der West- Ober- und Unterseite mit genauen Bezeich- Paläarktis“ ein neues und empfehlenswertes nungen der einzelnen Körperteile auf der Werk vor. Umschlagseite und vom Ovipositor, dem Nach einer Einführung wird die Aedoeagus und der inneren Kopulations- Systematik besprochen. 1950 wurden im organe mit den Bezeichnungen der einzel- Katalog von CORPOORAL weltweit 3366 nen Teile auf der letzten Umschlagseite bil- Arten erwähnt. Die alten „Cleridae“ sind den wichtige Ergänzungen zu den Bestim- jetzt in die Cleridae und Thanocleridae auf- mungstabellen. geteilt. Aufgrund ökologischer Ansprüche Dieses Buch wurde in Englisch und in werden die Buntkäfer außerdem in fünf Deutsch gedruckt, jeweils auf der linken Gruppen eingeteilt: Blütenbesucher, Baum- Seite in Deutsch und rechts in Englisch. bewohnende Arten, Nesträuber, Aasbesu- Vielleicht ist in dieser Darstellungsweise ein cher, synanthrope Arten. Diese Einteilung ist preiswerterer Druck möglich, als bei zwei hilfreich, wenn man diese Käfer im Felde fin- unabhängigen Auflagen, jeweils in Englisch den will. Es folgen Hinweise zu den etwas und in Deutsch. Es ist sicherlich ein Versuch, klein geratenen Verbreitungskarten. Es wäre diesem Buch zu einer weiteren Verbreitung durchaus günstiger gewesen, die Karten zu verhelfen, als wenn es nur in einer etwas größer zu drucken, eventuell nur 6 Sprache erschienen wäre. Für den Benutzer Buchbesprechung 119 ist das nicht besonders praktisch, denn er Kritik, ist es ein ausgezeichnetes Buch, das wird kaum das Buch dazu nutzen, seine allen interessierten Entomologen wärmstens Kenntnis über die ihm weniger geläufige empfohlen wird. Vielleicht könnte der Sprache zu verbessern. Außerdem erweitert Verlag dieses Buch auch nur in Deutsch ver- die zweisprachige Aufmachung den Umfang legen, um so den Preis, den sich nicht alle des Buches unnötig. leisten können, zu vermindern. Abgesehen von dieser unbedeutenden JOACHIM SCHULZE (Berlin) Insecta, Berlin, 6 (2000), Seite 120-121

JOACHIM ZIEGLER, Eberswalde

Die Grüne Florfliege – das erste „Insekt des Jahres“

Die Grüne Florfliege mit dem zoologi- schen Namen Chrysoperla carnea (STEPHENS) ist eine zarte Schönheit aus der Insektenord- nung der Netzflügler. Sie gehört zur Familie Chrysopidae, deren Arten auch Goldaugen, Blattlauslöwen oder eben Florfliegen ge- nannt werden. Die erwachsenen Tiere der Grünen Florfliege sind sehr aparte, geradezu filigrane, meist hellgrün gefärbte Geschöpfe. Eine besondere Eigenart ist, daß sie ihre Far- be wechseln können, indem sie sich im Herbst gelblich und im Frühjahr wieder grün charakteristische lange Saugzangen, mit de- färben. Sie haben eine Körperlänge von 10- ren Hilfe Beutetiere, vor allem Blattläuse, 15 mm und besitzen etwa ebenso lange fei- ausgesaugt werden. Die Florfliege durch- ne Fühler. Bemerkenswert sind ihre vier läuft drei Larvenstadien; somit sind zwei großen netzartig gezeichneten Flügel, die sie Häutungen in dieser Periode erforderlich. in Ruhestellung dachförmig über dem Kör- Lebhaft und immer hungrig hat sie am Ende per tragen. Auch ihre goldglänzenden des Larvenlebens wie ein „Blattlauslöwe“ bis Komplexaugen sind charakteristisch. zu 500 Blattläuse oder andere kleine Insek- Die erwachsenen Florfliegen sind eigent- ten vertilgt und spinnt sich dann einen Ko- lich überall in Feld und Flur zu finden. An na- kon von oval-kugeliger Gestalt. Das Ge- turnahen Waldrändern und in pestizidfreien spinst wird mit zahlreichen weißen Fäden an Gärten können sie besonders häufig sein. Da einer geeigneten Stelle befestigt. In seinem sie auch Nektar und Pollen als Nahrung Schutz erfolgt die komplizierte Metamor- benötigen, kann man sie auf Blüten beob- phose (Umwandlung) der Larve zur Puppe. achten. Bei ihrem Paarungsverhalten spielen In der folgenden Zeit werden innerhalb der Ultraschallaute eine wichtige Rolle, die Puppenhülle die Merkmale des erwachsenen durch Vibrationen des Abdomens erzeugt Insekts ausgeprägt. Die Puppe entläßt zuerst werden. An den „Melodien“ dieser Balz, die eine Nymphe, die sich aus dem Kokon arbei- das menschliche Ohr ohne technische Hilfs- tet. Innerhalb weniger Stunden entwickelt mittel nicht wahrnehmen kann, lassen sich sich dann aus der Nymphe das erwachsene mehrere, äußerlich sehr ähnliche Arten der Insekt, die eigentliche Florfliege. Dieser Zy- Florfliegen unterscheiden. klus wiederholt sich 2- bis 3mal im Jahr. Die Eier werden einzeln oder in Gruppen Die schönen und ungemein nützlichen an Pflanzen abgelegt – gern in der Nähe von Florfliegen sind allgemein viel zu wenig be- Blattlauskolonien. Sie sitzen auf etwa 5 mm kannt. Wir können dem „Insekt des Jahres“ langen Stielchen. Zunächst sind sie hellgrün, helfen, indem wir als Eltern unsere Kinder im später bräunlich gefärbt. Ein Weibchen kann Haus, Garten oder bei Wanderungen auf die im Laufe seines Lebens über 700 Eier able- „Goldaugen„ aufmerksam machen; als Leh- gen. Die jungen Larven sprengen die Eihülle rer die Tiere im Unterricht behandeln und an ihrem oberen Ende. Sie sind ihren Eltern dem „Insekt des Jahres„ Malwettbewerbe ganz unähnlich; haben einen borstenbe- und Projekte widmen oder als Förster, Land- wehrten flügellosen Körper und besitzen wirt oder Gärtner die Florfliegen zum Ge- JOACHIM ZIEGLER: Die Grüne Florfliege – das erste „Insekt des Jahres“ 121 genstand der pädagogischen Arbeit ma- Chance und sollten deshalb in kühle Räume chen. umgesetzt werden. Weiterhin sollten Sie das Erwachsene Florfliegen halten sich tagsü- Herbstlaub im Garten nicht verbrennen und ber an schattigen Stellen auf Bäumen, in Ge- es unter den Büschen bis zum Frühjahr lie- büschen, an Bodenpflanzen und Blüten auf. gen lassen. Es dient den Florfliegen in der Es ist wichtig im Nutzgarten blütenreiche kalten Jahreszeit ebenfalls als Unterschlupf. Randbereiche einzurichten und einen ange- Darüber hinaus können Sie den Goldaugen messenen Anteil von Laubgehölzen zu be- im Garten auch ein Winterhäuschen bauen. lassen sowie auf chemische Pflanzenschutz- In allen landwirtschaftlichen Kulturen, die mittel möglichst zu verzichten. Im Sommer nach umweltschutzgerechten Maßstäben gelangen die Goldaugen oft in unsere Woh- betrieben werden, spielt die Florfliege als nungen, da die dämmerungs- und nachtak- Blattlausvertilger eine bedeutende Rolle. Für tiven Tiere vom Licht magisch angezogen den Einsatz in Gewächshäusern und an Zim- werden und so durch offene Fenster Einlaß mer- und Gartenpflanzen kann man diese finden. Bitte setzen Sie die Tiere in solchen sympathischen Helfer auch in Nützlings- Fällen vorsichtig wieder nach draußen! Auch zuchtbetrieben erwerben. in der kalten Jahreszeit suchen viele Florflie- gen im menschlichen Wohnbereich Unter- Literatur: schlupf. Sie sitzen dann in kühlen Dachbö- FORTMANN, M. (1993): Das große Kosmosbuch der den, Schuppen und Garagen in Spalten, Rit- Nützlinge: neue Wege der biologischen Schäd- zen, hinter Gardinen oder Bildern. Gönnen lingsbekämpfung. Franckh-Kosmos Verlags- GmbH, Stuttgart. Sie den Tieren ihre Schlupfwinkel; lassen Sie WACHMANN, E., & SAURE, C. (1997): Netzflügler, sie in Ruhe „ausschlafen„! In beheizten Schlamm- und Kamelhalsfliegen. Naturbuch Wohnungen haben die Tiere allerdings keine Verlag Augsburg.

Anschrift des Verfassers: Dr. JOACHIM ZIEGLER, Kuratorium „Insekt des Jahres“, c/o Deutsches Entomologisches Institut, Schicklerstraße 5, Postfach 100238, D-16202 Eberswalde Insecta, Berlin, 6 (2000), Seite 122-123

JOACHIM ZIEGLER, Eberswalde

Das Kuratorium „Insekt des Jahres“

Eine Reihe von Fachgesellschaften, Natur- schen Entomologischen Institut mehrere schutzverbänden und engagierten Persön- Persönlichkeiten zu einer konstituierenden lichkeiten hat sich in Gremien zusammenge- Sitzung und gründeten das Kuratorium „In- funden, die jeweils ihr Naturobjekt des Jah- sekt des Jahres“. Das Gremium gab sich eine res küren. Zielstellung ist es, die Öffentlich- Geschäftsordnung und wählte aus seiner keit auf bestimmte Themen und konkrete Mitte für die Dauer von zwei Jahren Herrn Arten aufmerksam zu machen und unter- Prof. Dr. H. H. DATHE als Vorsitzenden, stützende Aktivitäten anzuregen. Bei den Herrn T. SIMON als Stellvertreter und Herrn zahlreichen Bemühungen zum Erhalt der Ar- Dr. J. ZIEGLER als Sekretär. tenvielfalt in der Biosphäre haben die Insek- Die Kuratoren vertreten unterschiedliche ten zur Zeit allerdings nicht den ihnen ge- Institutionen und Fachgesellschaften: bührenden Platz erhalten und so fehlten sie – Deutsche Gesellschaft für allgemeine und bisher auch in der Reihe der Naturobjekte angewandte Entomologie (Dossenheim), des Jahres. Prof. Dr. ERICH DICKLER Häufig wird die Bedeutung der Insekten – Deutsches Entomologisches Institut unterschätzt. Schon ihre Zahl ist immens; sie (Eberswalde), Prof. Dr. HOLGER H. DATHE sind die artenreichste Organismengruppe (Vorsitzender), Dr. JOACHIM ZIEGLER (Se- überhaupt. Von den meisten Insekten wis- kretär), sen wir aber zuwenig und von vielen kennen – Entomofaunistische Gesellschaft (Dres- wir nicht ihre spezifische Funktion. Für zahl- den), Prof. Dr. BERNHARD KLAUSNITZER, reiche andere (in den Tropen sogar für den – Haus des Waldes, Amt für Forstwirtschaft größeren Teil der Arten) haben wir nicht ein- Königs Wusterhausen (Gräbendorf), mal Namen. Die überwältigende Mehrzahl KLAUS RADESTOCK, der Insekten erscheint uns nach den ober- – Landesforstanstalt Eberswalde (Eberswal- flächlichen menschlichen Kategorien als de), Dr. KLAUS HÖPPNER, Ministerium für unnütz. Durch ihre vielfältige Stellung im Be- Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, ziehungsgefüge der Ökosysteme sind sie je- Land Brandenburg (Potsdam), Dr. H.-J. doch keineswegs unbedeutend, sondern ha- WOLF Naturschutzbund Deutschland, ben unverzichtbare regulatorische Funktio- – BFA Entomologie (Bonn/Greifswald), nen, wie zum Beispiel als Blütenbestäuber, Prof. Dr. GERD MÜLLER-MOTZFELD, Humusbildner, Räuber oder Parasitoide. Oft – Waldschule, Amt für Forstwirtschaft werden wir erst durch das Fehlen von Arten Eberswalde (Eberswalde) THOMAS SIMON auf ihre Bedeutung aufmerksam. Ohne den (Stellvertretender Vorsitzender). Beitrag der Insekten wären die natürlichen Als Kontaktadresse fungiert das DEI: Lebensgemeinschaften des Festlandes un- Kuratorium Insekt des Jahres c/o Deut- denkbar. sches Entomologisches Institut, Schickler- So gesehen erscheint die durch Herrn RA- straße 5, Postfach 100238, 16202 Eberswal- DESTOCK (Haus des Waldes) eingebrachte de,Tel. 03334/58980, Fax ~212379, Idee, durch ein „Insekt des Jahres“ die Reihe [email protected] der Naturobjekte zu vervollkommnen, nur Zum „Insekt des Jahres 1999“ wurde folgerichtig. Nach längerer Vorbereitung Chrysoperla carnea, die Grüne Florfliege ge- trafen sich am 22. Oktober 1998 im Deut- wählt. Für die Schirmherrschaft konnte Herr JOACHIM ZIEGLER: Das Kuratorium „Insekt des Jahres“ 123

GUNTER FRITSCH, Minister für Ernährung, soren und Mitarbeiter im Kuratorium zu ge- Landwirtschaft und Forsten des Landes winnen. Brandenburg gewonnen werden. Die Pro- Am 22. Februar 1999 wurde anläßlich ei- klamation erfolgte am 27. November 1998 ner weiteren Pressekonferenz im Potsdam- im Bundespressezentrum in Berlin durch Museum durch Minister FRITSCH und das Ku- Herrn Minister FRITSCH und die Kuratoriums- ratorium ein bundesweiter Mal- und Zei- mitglieder. Das Interesse der Medien war chenwettbewerb unter dem Motto: „Wer groß und die Resonanz auf das „Insekt des malt die schönste oder lustigste Florfliege“ Jahres“ positiv. Der erfolgreiche Start ermu- für Kinder im Alter von 4-14 Jahren ausgeru- tigt das Kuratorium, diese besondere Form fen. Dieser Wettbewerb wird durch die des Engagements für die Entomologie mit Waldschule Eberswalde organisiert, die auch der Nominierung des nächsten „Insekts des das Maskottchen „Florina“ vorstellt (Wald- Jahres 2000“ fortzusetzen. In diesem Zu- schule Eberswalde, Brunnenstraße 25, sammenhang werden in Zukunft weitere 16225 Eberswalde, Kennwort „Florina“). In Persönlichkeiten und überregionale Verbän- der Waldschule kann man gegen Rückporto de angesprochen, um sie für die Unterstüt- auch eine Bauanleitung für Florfliegenhäu- zung des Vorhabens als Schirmherren, Spon- schen erhalten.

Anschrift des Verfassers: Dr. JOACHIM ZIEGLER, Kuratorium „Insekt des Jahres“, c/o Deutsches Entomologisches Insti- tut, Schicklerstraße 5, Postfach 100238, D-16202 Eberswalde