Eine europäische Bewegung Film

Für Propagandaminister war das Kino eine mächtige und gefährliche Waffe. Er forderte von Regisseuren und Schauspielern nationalsozialistische Unterhaltungsfilme, die ihre Zuschauer möglichst subtil manipulieren sollten. Die braune Traumfabrik

Von Lars-Olav Beier

ndlich bekam Joseph Goebbels den Film, nach NS-Maßstäben „Halbjude“, sah den Film im den er sich seit Langem gewünscht hatte. Herbst 1940 im Hamburger Europa-Palast am Barm - E Am 5. September 1940 wurde das Histo - beker Markt. In seinen „Erinnerungen eines Davon - rienepos „Jud Süß“ auf der Biennale von gekommenen“ schrieb er 2007: „Als nach dem Ab - Venedig uraufgeführt, ein Hetzfilm über einen in - spann das Licht anging, herrschte denn auch große triganten und brutalen Juden. Michelangelo Anto - Stille – als wären die Zuschauer gelähmt. Die Luft nioni, damals 27-jähriger Filmkritiker, später einer war schwer, die mörderische Wirkung des Films der bedeutendsten italienischen Nachkriegsregis - überwältigend präsent. So präsent, dass ich glaubte, seure, schrieb: „Wenn dies Propaganda ist, dann mich nicht erheben zu können, ohne erkannt zu begrüßen wir Propaganda. Dies ist ein überzeugen - werden.“ Ein Freund, mit dem Giordano zusammen der, prägnanter, außerordentlich wirkungsvoller im Kino gewesen war, trat nach dem Krieg im Pro - Film.“ zess gegen den „Jud Süß“-Regisseur Veit Harlan als Knapp drei Wochen später hatte „Jud Süß“ in Zeuge der Anklage auf und beschrieb vor Gericht Berlin Premiere und wurde vom Publikum gefeiert. die demagogische Wirkung des Films. „Ein ganz großer, genialer Wurf. Ein antisemiti - Das Porträt des charmanten, eloquenten und in - scher Film, wie wir ihn uns nur wünschen können“, telligenten Juden Joseph Süß Oppenheimer (ge - schrieb Goebbels in sein Tagebuch. Er schickte SS- spielt von dem Österreicher ), Geheimdienstler in die Kinos, weil er wissen wollte, der im Stuttgart des 18. Jahrhunderts die Gunst ob der Film die gewünschten Reaktionen auslöste. des Herzogs von Württemberg gewinnt, sich mit Im Protokoll des Sicherheitsdienstes über „Jud wachsender Macht aber als Scharlatan erweist, ent - Süß“ steht, es sei „wiederholt während der Vor - sprach genau Goebbels’ Vorstellungen. Kunstvoll führung des Films zu offenen Demonstrationen ge - und kraftvoll in Szene gesetzt, von großen Dar - gen das Judentum gekommen. So kam es zum Bei - stellern mit Leben gefüllt, amüsant, bewegend, tem - spiel in Berlin zu Ausrufen wie ,Vertreibt die Juden poreich – und volksverhetzend. „Jud Süß“ war vom Kurfürstendamm! Raus mit den letz - emotionale Mobilmachung für den Holocaust. 9>;= im Babelsberger ten Juden aus Deutschland!‘“ Goebbels träumte von einem Hollywood unterm Ufa-Studio: Goeb bels (vorn :. v. l.) und Film - Der Schriftsteller Ralph Giordano, Hakenkreuz, aber viele Regisseure, Autoren und star Lilian Harvey Sohn einer jüdischen Klavierlehrerin, Schauspieler, mit denen er eine solche Traumfabrik hätte aufbauen können, waren inzwischen in den USA und machten sich dort zum Kampf gegen die Nazis bereit: Fritz Lang, Regisseur des Science-Fic - tion-Klassikers „Metropolis“ etwa, Billy Wilder, Drehbuchautor des Berlin-Films „Menschen am Sonntag“, oder Marlene Dietrich, Star des Melo - drams „Der blaue Engel“. Seit 1933 hatten die Nazis die deutschen Pro - duktionsfirmen aufgekauft und verstaatlicht und die „Reichskulturkammer“ gegründet, die über die Künste wachen sollte. Ein großer Teil der besten deutschen Filmema - cher, nicht nur Juden, ging deshalb außer Landes. Sie wollten sich nicht den Zwängen der Nazis beu - gen. Goebbels war sich dessen bewusst, neidvoll blickte er immer wieder auf die Filme der Feinde, auf elegante Hollywoodkomödien oder sowjetische Revolutionsfilme. Ständig hielt er seinen Kino -

 #" ! #  $ 3 /2017 vasallen Sergej Eisensteins Meisterwerk „Panzer - Er verfolgte auch das Filmschaffen in Propaganda aus den kreuzer Potemkin“ vor Augen und forderte einen verbündeten Ländern wie Italien. Benito Anfängen der NS-Zeit: „nationalsozialistischen Potemkin“. Mussolini, seit 1922 Ministerpräsident Ita - Jürgen Ohlsen in „Hitlerjunge Quex“ liens, übte eine weit laxere Kontrolle über ilme, die ihr propagandistisches Ziel allzu die Filmindustrie aus als das Naziregime. – offensichtlich verfolgten, hielt Goebbels für Anfang der Dreißigerjahre fing er an, das Vollendet perfide: F missglückt. Er wollte ein aufwühlendes heimische Kino zu fördern, das unter der Veit Harlans „Jud Süß“, mit Hauptdarsteller Kino, das die Zuschauer manipulierte und marktbeherrschenden Dominanz Holly - Ferdinand Marian politisierte, ohne dass sie es bemerkten. „An der woods litt. Er stellte Subventionen zur Spitze des ,Dritten Reiches ‘ standen mit Hitler und Verfügung, ließ im Süd osten Roms den Goebbels zwei Filmverrückte“, sagt die Berliner Studiokomplex Cinecittà bauen und gründete eine Kunst- und Medienwissenschaftlerin Sonja M. Filmschule, das Centro Sperimentale di Cinemato - Schultz. Hitler war ein großer Fan von „King Kong“ grafia. Hier herrschte, so schreiben Enno Patalas und Disney-Filmen. und Ulrich Gregor in ihrer „Geschichte des Films“, Goebbels erklärte das Kino zu einer wichtigen „keineswegs ein faschistischer Geist“. Waffe der Nazis, er schaltete sich in viele der Pro - Umberto Barbaro, Professor am Centro Sperimen - duktionen persönlich ein, schrieb an den Drehbü - tale, war ein Marxist. Er gab Kurse über das sowje- chern mit und forderte Nachbesserungen ein. Er tische Kino und prägte 1942 den Begriff „neo - agierte ähnlich wie die Studiobosse in Hollywood realismo“. Im Jahr darauf publizierte die Zeitschrift und ließ Stars wie Emil Jannings Rollen auf den „Cinema“ bereits eine Art Manifest des Neorealis - Leib schreiben. In den ersten Kriegsjahren ver - mus. Eines der Gebote lautete: „Nieder mit jeder zeichneten die Kinos des Deutschen Reiches zeit - Rhetorik, nach der alle Italiener aus dem gleichen weise über eine Milliarde Besucher pro Jahr. Auch menschlichen Teig bestehen, gemeinsam von den als der Krieg schon so gut wie verloren war, setzte gleichen edlen Gefühlen entflammt und sich glei- Goebbels noch immer auf die Popularität des Ki - chermaßen der Probleme des Landes bewusst sind.“ nos. 1944 ließ er Soldaten von der Front abziehen Dies war eine kaum verhohlene Kampfansage und setzte sie als Statisten in den Schlachtszenen an das faschistische Kino, das vornehmlich leichte des Historienepos „Kolberg“ über den Kampf ge - Komödien und heroische Epen herstellte. Im Mai gen Napoleon ein. 1943 kam das erste neorealistische Meisterwerk

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ins Kino: Luchino Viscontis Film „Ossessione“ tik, obwohl sie die Wehrkraft zersetzt und aus („Besessenheit“). Das Krimidrama spielt in der tapferen Fliegern eitle Gockel macht. Ein einziges Po-Ebene in einer besonders trostlosen Gegend Mal, im Februar 1945, durfte der Regisseur sein und erzählt von der Affäre zwischen einem Wan - Werk öffentlich vorführen, vor handverlesenen derarbeiter und der Frau eines Tankstellenbesitzers. Luftwaffenangehörigen. Wie verloren irren die Figuren durch die karge Ritter war schon 1925 in die NSDAP eingetreten Landschaft, das malerische, quirlige Italien scheint und galt als strammer Nazi. Fast programmatisch auf einem anderen Kontinent zu liegen. Der Film forderte er, die Filme des „Dritten Reiches“ müss - lief nur kurz in den italienischen Kinos und wurde ten davon handeln, wie sich das Individuum der von der Zensur verboten. Volksgemeinschaft unterordnet. Doch den eigenen Parolen zum Trotz nutzte Ritter die Möglichkeiten, enseits der faschistischen Ideologie formier - die ihm das Regime bot, um zwei große Leiden - te sich eine neue Kinobewegung, die ver - schaften auszuleben: die Fliegerei und das Kino. J langte, Lebenswirklichkeit und Alltagspro - Bei rasanten Sturzflügen und eleganten Kamera - bleme einfacher Menschen zu zeigen. Dem fahrten verlor er bisweilen den politischen Auftrag konnte sich Mussolinis Diktatur nicht völlig ver- aus den Augen. weigern. Bald veränderte der italienische Neo- Es gab Regisseure, die im „Dritten Reich“ Kar - realismus das Filmschaffen weltweit. Er prägte deut - riere machten, weil sie ihr Talent in den Dienst sche Nachkriegsfilme wie Wolfgang Staudtes „Die der Nazis stellten wie etwa , die Mörder sind unter uns“ ebenso wie die düsteren vom Regime mit enormen Ressourcen ausgestattet Thriller Hollywoods. wurde, um 1934 den Reichsparteitag der NSDAP Dagegen ließ das gleichgeschaltete deutsche und 1936 die Olympischen Spiele auf Zelluloid zu Kino seinen Künstlern keine Freiräume. Es wurde bannen. Die Dokumentationen, für die Riefenstahl zerrissen zwischen Eskapismus und Propaganda. neue Techniken und eine bis dahin ungekannte Dem zwischen 1942 und 1943 gedrehten Flie - Bildsprache entwickelte, waren im Grunde Werbe - ger film „Besatzung Dora“ von Karl Ritter verwei - filme. Alles, was der Regisseurin vor die Kamera gerte Goebbels die Freigabe. Ritter er - kam, feierte sie, ob Hitler oder Hochsprung. Produktion in zählt von einigen Luftwaffenpiloten, die Es gab auch große Filmemacher wie den Wie - Frankreich: Pause einan der die Frauen abspenstig machen. ner Willi Forst, der seinen virtuosen Inszenierungs - während der Arbeit an „Besatzung Bei diesem Geplänkel in den eigenen stil nach dem Anschluss Österreichs weiterent - Dora“ von 9><;, Reihen wird der Krieg fast zur Neben - wickeln konnte, weil er unpolitische Liebesfilme Regie: Karl Ritter sache. „Besatzung Dora“ feiert die Ero - und Komödien drehte. Unter den Nazis entstanden sogar Meisterwerke wie Josef von Bákys „Münchhausen“ (1943), voller Einfalls - Die Filme reichtum und Esprit. Doch die gute Laune hatte oft einen doppelten Boden. erzählen von Selbst in der Komödie „Die Feuer - den Ängsten, zangenbowle“ (1944) werden junge Män - Begierden und ner mit Bäumen verglichen, die zurecht - gestutzt werden müssen, um eine neue Verbrechen Welt zu erschaffen. der deutschen Goebbels ließ Spionagethriller wie Führung. den antisowjetischen Agitationsfilm „G.P.U.“ (1942), Fliegerfilme wie „Stu - kas“ (1941) oder Historienepen wie „Carl Peters“ (1941) herstellen, die klare Botschaften in sich trugen. Einige Filme, neben „Jud Süß“ vor allem „Ohm Krüger“ oder „Heimkehr“ (beide 1941), propagierten den Hass auf Juden, Engländer oder Polen. Gerade diese Filme verraten mehr über die Nazis als über die Menschen, die sie diffamieren. Sie erzählen von den Ängsten, Begierden und Ver - brechen der deutschen Führung. „Hitlerjunge Quex“ (1933) zielte auf die Arbei - terjugend und sollte helfen, aus Jungkommunisten Hitlerjungen zu machen. Inszeniert vom national - sozialistischen Regisseur Hans Steinhoff, blickt der Film lüstern auf die jungen Kommunistinnen, die selbst in Hosen sexy wirken. Der Regisseur geht mit der Kamera so nah an sie heran, bis nicht mehr zu übersehen ist, dass sie keine BHs tragen. Die Schläge, die Heinrich George als kommunistischer

 #" ! #  $ 3 /2017 Vater seinem Sohn, dem Hitlerjungen gibt, damit in „Ohm Krüger“ den Briten in Südafrika. Antipolnische er die „Internationale“ singt, erlebt der Zuschauer Aus heutiger Sicht wirken diese Filme Propaganda: quasi am eigenen Leib. auch wie Selbstporträts der Nazis. „Heimkehr“ von 9><9, Regie: Gustav Ucicky „Jud Süß“ blickt lange voller Neid auf seinen „Heimkehr“ spielt 1939 und handelt weltgewandten Titelhelden. Die braven Württem - von den sogenannten Wolhyniendeut - berger Bürger wirken so naiv und dumm, als hät - schen, die damals auf polnischem Gebiet lebten. ten sie es im Grunde gar nicht besser verdient, Gleich zu Beginn zeigt der Film, bei dem Gustav als von Süß nach Strich und Faden betrogen zu Ucicky, Sohn einer Prager Mutter, Regie führte, werden. „Jud Süß“ funktioniert nach dem gleichen wie die Polen eine deutsche Schule räumen, die Prinzip wie amerikanische Gangsterfilme, die ihren Schulbänke auf einem Dorfplatz auftürmen und Helden zunächst bewundernd zuschauen und sie anzünden. Bild für Bild inszeniert Ucicky eine Sze - am Ende mit dem Tod bestrafen, weil die konven - ne, die an die Bücherverbrennungen erinnert. tionelle Moral verlangt, dass sich Verbrechen nicht Bereits eineinhalb Jahre vor der Wannseekon - auszahlen darf. ferenz, auf der die Nazis die endgültige Vernich - tung der Juden planten, setzte Hans Steinhoff in arlans „Jud Süß“ fängt etwa ab der Mitte „Ohm Krüger“ ein KZ in Szene. Der Film spielt an, seinen Helden zu diffamieren. Der Ende des 19. Jahrhunderts in Südafrika während H Film zeigt ihn, wie er vergewaltigt, foltert der Burenkriege und zeigt, wie die Engländer die und am Ende jämmerlich feige um sein Zivilbevölkerung deportieren und in Lagern zu - Leben bettelt. Mit brachialer Gewalt tötet der Film sammenpferchen. Die „concentration camps“ hat die anfängliche Faszination für die Figur wieder ab. es wirklich gegeben. So erzählt „Jud Süß“ auch von der Kraftanstrengung, Der Zuschauer sieht Hände, die sich hilfesuchend das eigene Denken und Fühlen mit rassistischen Ste - durch Stacheldraht strecken, und Massengräber, die reotypen zu überformen. sich mit Leichen füllen. Der Film erzählt, wie Typhus Einige der Hetzfilme zeigen sogar die Verbrechen die Gefangenen dahinrafft. Es ist beklemmend, wie der Nazis: Rassenverfolgungen, Pogrome und Mas - nah Steinhoff, wohl ohne es zu ahnen, jenen Schre - senmorde in Vernichtungslagern. Nur schieben sie ckensbildern kam, die alliierte Truppen vier Jahre die Taten, nach altbewährter propagandistischer Stra - später sehen mussten, als sie die Konzentrationslager tegie, den Feinden unter, in „Heimkehr“ den Polen, der Nazis befreiten. [email protected]

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