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Zoologisch-Botanische Datenbank/Zoological-Botanical Database

Digitale Literatur/Digital Literature

Zeitschrift/Journal: Carolinea - Beiträge zur naturkundlichen Forschung in Südwestdeutschland

Jahr/Year: 2017

Band/Volume: 75

Autor(en)/Author(s): Herrmann Rene, Trusch Robert

Artikel/Article: Verbreitung und Lebensweise des Purpurweiden- Jungfernkindes touranginii (Berce, 1870) am südbadischen Oberrhein und seine Abgrenzung zu B. notha (Hübner, 1803) (, Geometridae) 107-127 Carolinea 75 (2017): 107-127, 13 Abb.; Karlsruhe, 27.12.2017 107

Verbreitung und Lebensweise des Purpur­ weiden-Jungfernkindes Boudinotiana touranginii (Berce, 1870) am südbadischen Oberrhein und seine Abgrenzung zu B. notha (Hübner, 1803) (Lepidoptera, Geometridae)

René Herrmann & Robert Trusch

Kurzfassung des risques et des mesures de protection de B. touran- Nach der späten Entdeckung von Boudinotiana touran- ginii sont également apportées. ginii (Berce, 1870) im Jahr 2015 in Deutschland wird nun die Verbreitung und Ökologie des so genannten Autoren „Purpurweiden-Jungfernkindes“ beschrieben, das in René Herrmann, Kapellenweg 38, D-79100 Freiburg Deutschland nur am badischen Oberrhein vorkommt Dr. Robert Trusch, Staatliches Museum für Naturkunde und eine stenöke Reliktart der dynamischen Strom- Karlsruhe, Erbprinzenstraße 13, D-76133 Karlsruhe; talauen ist. Die morphologische Abgrenzung zur E-Mail: [email protected] Schwesterart B. notha (Hübner, 1803), die sich im DNA-Barcoding (COI-Sequenzen) nicht separiert, so- Inhalt wie die Gefährdung und der Schutz von B. touranginii 1 Einleitung ...... 107 sind ebenfalls Thema dieser Arbeit. 2 Material ...... 108 2.1 Untersuchte Falter von B. touranginii . . . . 109 Abstract 2.2 Untersuchte Falter von B. notha ...... 109 Distribution and life history of the Boudinotiana 2.3 Unterscheidung von B. touranginii touranginii (Berce, 1870) on the southern Upper und B. notha ...... 110 Rhine and its differentiation from B. notha 3 Verbreitung in Baden-Württemberg ...... 110 (Hübner, 1803) (Lepidoptera, Geometridae) 3.1 Kartierung am Oberrhein in den After the recent discovery of Boudinotiana touranginii Jahren 2015-2017 ...... 111 (Berce, 1870) in 2015 in Germany, the distribution and 3.2 Einfluss des Lokalklimas ...... 112 ecology of the species is described. In Germany it is 3.3 Hypothese zur Einwanderung der Art restricted to the areas along the Upper Rhine river in nach Baden-Württemberg ...... 113 Baden-Wuerttemberg, where it is a stenoecious relict 4 Ökologie ...... 114 species of the dynamic river floodplains. The morpho- 4.1 Lebensraum ...... 114 logical differentiation from the sister species B. notha 4.2 Phänologie ...... 116 (Hübner, 1803), which does not separate in the DNA 4.3 Verhalten ...... 117 barcoding (COI sequences), and threats and protection 4.4 Neue Erkenntnisse aus Zuchten von of B. touranginii are also the subject of this article. B. touranginii und B. notha ...... 119 5 Zur morphologischen Abgrenzung von Résumé B. touranginii und B. notha ...... 121 Distribution et écologie de Boudinotiana 6 Gefährdung und Schutz von B. touranginii touranginii (BERCE, 1870) dans le cours supérieur am Oberrhein ...... 125 méridional du Rhin et différenciation d’avec Dank ...... 126 B. notha (HÜBNER, 1803) (Lepidoptera, Geometridae) Literatur ...... 126 A la suite de la découverte en Allemagne de Boudi- notiana touranginii (BERCE, 1870), «la Bréphine ligé- 1 Einleitung rienne», en 2015, sa distribution géographique et son Das Purpurweiden-Jungfernkind Boudinotiana écologie sont discutées. Cette espèce y est unique- touranginii (Berce, 1870) (Lepidoptera, Geo- ment connue du Bade-Wurtemberg, le long du cours metridae, ) ist eine west- und süd- du Rhin supérieur. Elle présente le caractère d’une es- westeuropäisch verbreitete Schmetterlingsart, pèce relicte sténoèce, des plaines inondables du lit du die biogeografisch dem atlantomediterranen fleuve. Une comparaison morphologique d’avec l’es- Verbreitungstyp (de Lattin 1967) zugeordnet pèce sœur B. notha (HÜBNER, 1803), est proposée, bien que les deux entités ne soient pas séparées par werden kann. Die Art war bereits im 19. Jahr- l’analyse de l’ADN moléculaire (CO1). Une évaluation hundert in Frankreich entdeckt worden, ihr Nach- 108 Carolinea 75 (2017) weis aus Spanien gelang jedoch erst sehr spät ling manchmal mehrere Wochen dauern, bis sich (Redondo & Gaston 2002, 2004). Im Jahr 2015 die gewünschte Witterung für eine erfolgverspre- wurde sie erstmals aus Deutschland gemeldet chende Exkursion einstellt. Am erfolgreichsten (Pressemitteilung des Staatlichen Museums für verliefen die mehrwöchigen Kartierungsarbeiten Naturkunde Karlsruhe vom 25. März 2015). Ein- von R. Herrmann, der in den vergangenen drei zelne Exemplare waren jedoch, zunächst uner- Jahren über zweihundert Exemplare dieser frü- kannt, schon früher gefunden worden, so 2005 her übersehenen tagaktiven Schmetterlingsart durch J. Asal (vgl. Trusch et al. 2016) sowie im beobachten, protokollieren und mit einzelnen Jahr 2014 durch R. Herrmann. Im Grundlagen- Sammlungsbelegen dokumentieren konnte. Die werk „Die Schmetterlinge Baden-Württembergs“ im Folgenden mitgeteilten neuen Erkenntnisse (Hrsg. G. Ebert 1991-2005) sowie in den Bestim- aus der Natur stützen sich im Wesentlichen auf mungs- oder Handbüchern über die Schmetter- seine Aufzeichnungen und die zugehörige Be- linge Deutschlands (z.B. Koch 1984, 1988, 1991, legsammlung. Segerer & Hausmann 2011, Steiner et al. 2014) ist B. touranginii nicht enthalten. Weil B. touranginii, manchmal auch „Französi- 2 Material sches Jungfernkind“ genannt, auf Grund seiner Für diese Studie wurden die Beobachtungen aus verborgenen Lebensweise früher selbst in sei- den jährlichen Feldtagebüchern von R. Herrmann nem Urbeschreibungsland Frankreich äußerst von 2014-2017 ausgewertet. In diesem Zeitraum selten gefunden wurde und weil es durch seine konnten durch ihn von den Arten der Unterfa- Behandlung als Varietät des Auen-Jungfern- milie Archiearienae im Gebiet des südlichen kindes Boudinotiana notha (Hübner, 1803) im badischen Oberrheins über 240 Exemplare von „Staudinger-Katalog“ (Staudinger & Rebel 1900) B. touranginii, über 100 von B. notha und über 50 als Art unterdrückt wurde, lag lange Zeit die Auf- des Birken-Jungfernkindes parthenias merksamkeit der Schmetterlingskundler nicht auf (Linnaeus, 1761) dokumentiert werden. Darüber dieser Art. hinaus stützt sich diese Arbeit auf die Aufzeich- Man sieht eben nur, was man auch kennt: Erst nungen des zweiten Autors sowie auf Beleg­ seit der Veröffentlichung von Bérard (2000), exemplare aus den weiter unten angegebenen welcher als erster die spezifischen Unterschie- Sammlungen. de zu B. notha klar darstellte, wurde B. touran- Wegen der, im Vergleich zu den beiden ande- ginii als eigenständige Art anerkannt und „aus ren Jungfernkinder-Arten, geringeren Größe dem Friedhof der Synonymie“ ausgegraben. Zur und intensiveren Färbung der Imagines von B. schnellen Verbreitung dieser Erkenntnis trug das touranginii ließ sich mit zunehmender Erfahrung unmittelbar danach erschienene Standardwerk diese Art schon bei der Beobachtung im Flug von von Hausmann (2001) bei, der als erster Autor B. notha und A. parthenias unterscheiden (vgl. eines Bestimmungsbuches B. touranginii als ei- Kap. 2.3). Dies gilt besonders für jene Beobach- gene Art aufführt (l.c.: 89 und 214f.: 3A, als Ar- tungen, die in einem Sichtfeld von etwa einem chiearis touranginii Berce). bis dreieinhalb Meter um den Beobachter herum Seit der Entdeckung des Purpurweiden-Jung- erfolgten. Diese Determinationen aus der Ferne fernkindes in Deutschland wird hierzulande in- wurden, wann immer möglich, durch Kontrollfän- tensiv danach gesucht. Der Nachweis in der be- ge überprüft, wobei sich die Bestimmung stets nachbarten Schweiz steht noch aus, ebenso wie bestätigte. Weiter entfernt beobachtete Jungfern- aktuelle Wiederfunde im Elsass, obgleich gerade kinder, bei denen keine sichere Zuordnung mög- diese historischen Funde ausschlaggebend für lich war, wurden nicht berücksichtigt. die intensive Suche auf der deutschen Rhein- seite waren. Der Nachweis von B. touranginii ist Akronyme der Sammlungen und Abkürzungen jedoch nach wie vor nicht einfach, da sich die Art AT = coll. Joachim Asal, Todtnau durch ihr Verhalten und auch durch ihre relative MK = coll. Jörg-Uwe Meineke, Kippenheim Seltenheit leicht der Beobachtung entzieht (vgl. HF = coll. René Herrmann, Freiburg Trusch et al. 2016: 74-75). Es erfordert viel Zeit SMNK = Staatliches Museum für Naturkunde und ungeteilte Aufmerksamkeit, damit es gelingt, Karlsruhe die Tiere in der Natur aufzuspüren; auch das GU = Genitaluntersuchung Glück, sonniges Wetter zur Nachsuche zu ha- id. = ibidem, ebenda, hier in der Bedeutung ben, ist entscheidend. Leider kann es im Vorfrüh- von „am identischen Fundort“ Herrmann & Trusch: Das Purpurweiden-Jungfernkind am südbadischen Oberrhein 109

Abbildung 1. Das zweite in Deutschland gefundene Weibchen von Boudinotiana touranginii wurde am 17. März 2017 von Daniela Warzecha nachmittags an einer Purpurweide (S. purpurea) schwirrend entdeckt. Dies ist eine der sehr seltenen Beobachtungen eines aktiven weiblichen Tieres in der Natur. – Studiofoto: R. Trusch.

2.1 Untersuchte Falter von B. touranginii reich, 17.3.2017, leg. Daniela Warzecha & R. Trusch; alle in coll. SMNK. In den Kapiteln 2.1 bis 2.2 werden die Daten der 2)) S-Baden, Lkr. BHS, Grissheimer Rheinaue, Tro­ Fundortetiketten der untersuchten Tiere wie dort ckenwald/-rasen, Kiesloch (südlicher Fundort), 22.3.2016, angegeben zitiert. leg. J.-U. Meineke, C. Widder & M. Reusch, in coll. MK. 3)) Baden-Württemberg, Südliche Oberrheinebene, 1) Germania, Baden-Württemberg, Grißheim, Weich- Grißheim a. Rhein,18.3.2005; 2)) Deutschland, Baden- holzaue, 9.3.2014; 1) id., 14.3.2016; 3)) Germania, Württemberg, Südliche Oberrheinebene, Grißheim a. Baden-Württemberg, Steinenstadt, Weichholzaue, Rhein, 28.3.2017 tags/215 m; 2)) Deutschland, Baden- 11.3.2017; 1) id., 17.3.2016; 2)) id., 18.3.2016; 1) Württemberg, Südliche Oberrheinebene, Bremgarten id., 28.3.2015; 1) Germania, Baden-Württemberg, (Hartheim), tags 13.3.2017/196 m; 5)) Deutschland, Hartheim-Bremgarten, Weichholzaue, 12.3.2017 (die- Baden-Württemberg, Südliche Oberrheinebene, Stei- ses Tier überlebte 31 Tage im Kühlschrank bis zum nenstadt (Neuenburg), tags 14.3.2017/215 m; alle leg. 12.4.2017); 1) id., 12.3.2017; 3)) 14.3.2017; 1) id., J. Asal, alle in coll. AT. 21.3.2016; 1) id., 26.3.2017; 1) Germania, Baden- 1) Baden-Württemberg, südliche Oberrheinebene, Württemberg, Rheinweiler, Weichholzaue, 10.3.2017; Grißheim, 17.3.2015, leg. R. Trusch; 1( id. 23.3.2015, alle leg. R. Herrmann; alle in coll. HF. leg. M. Falkenberg (GU 696/2016 R. Trusch); 2)) id. 23.3.2015 (1) davon GU 695/2016 R. Trusch); leg. 2.2. Untersuchte Falter von B. notha ) R. Trusch; 1 DEU/Baden-Württemberg, Südliche Darüber hinaus wurden hier Exemplare von Oberrheinebene, O 7° 33‘52“; N 47°53‘9“, 210 m NN, B. notha untersucht, die syntop an den badischen Grißheim-Rheinufer, 27.2.2017, leg. M. Falkenberg, SMNK E-Lep 328; 1) Germania, Baden-Württem- Fundorten von B. touranginii sowie im Zeitraum berg, Steinenstadt, Weichholzaue, 17.3.2016; 2)) des Auftretens der Falter dieser Art gesammelt id., 18.3.2016; 1) id., 20.3.2017; 1) id., 22.3.2016; 1) wurden. Das syntope und gleichzeitige Vorkom- id., 3.4.2015, alle leg. R. Herrmann; 1( Deutschland, men der drei Archiearinae-Arten am badischen Baden-Württemberg, südlicher Oberrhein, Hartheim- Südlichen Oberrhein war bereits von Trusch et Bremgarten, 197 m NN, Rheinübergang nach Frank- al. (2016) dokumentiert worden. 110 Carolinea 75 (2017)

1) Deutschland, Baden-Württemberg, Markgäfler Männchen von B. touranginii auf der Hinterflügel- Rheinebene, Grißheim a. Rh., 18.3.2017 tags/208 m; Oberseite der nach innen zeigende, halbrunde 5)) Deutschland, Baden-Württemberg, Südliche Randfleck am Hinterrand der Hinterflügel fast im- Oberrheinebene, Grißheim (Neuenburg), 11.3.2017 mer ein klar begrenztes Halbrund ohne Ausza- tags/208 m; alle leg. J. Asal, alle in coll. AT. ckungen nach innen. Bei B. notha ist dieser Fleck ) 1 Germania, Baden-Württemberg, Grißheim, oft höher, oder es sind entlang der Adern dunkle, Weichholzaue, 22.2.2016; 1) id., 10.3.2016; 3)) id., 27.2.2017; 1) id., 10.3.2013; 1) id., 10.3.2015; 1) id., nach innen weisende Auszähnungen vorhanden. 22.3.2013; 3 )) Germania, Baden-Württemberg, Stei- B. notha hat außerdem auf der Oberseite der nenstadt, Weichholzaue, 3.3.2017; 1) id., 4.3.2013; 1) orangeroten Hinterflügel (fast) immer einen iso- id., 10.3.2017; 1( id., 16.3.2017; 3)) id., 16.3.2017; 1) lierten, kommaförmig aufrecht stehenden Mittel- id., 17.3.2016; 1) id., 18.3.2016; 1) id., 3.4.2015; alle punkt. Isoliert bedeutet, dass der Punkt in den leg. R. Herrmann; alle in coll. HF. allermeisten Fällen nicht mit dem Vorderrand des 4 )) Baden, Lkr. BHS, Grissheimer Rheinaue, Kiesloch Hinterflügels verbunden, sondern durch einen (südlicher Fundort), 23.2.2016; 6)) id., 27.2.2016; alle orangeroten Bereich von ihm getrennt ist. In den leg. J.-U. Meineke, alle in coll. MK. Fällen, wo dieses Merkmal bei B. notha nicht zu- 12)) DEU/Baden-Württemberg, Südliche Oberrhein­ ebene, O 7°34‘13“; N 47°52‘21“, 205 m NN, Grißheim- trifft, helfen die anderen Merkmale (Größe, Füh- Schutzbrettköpfle, 27.2.2017, leg. M. Falkenberg, lermerkmale oder im Zweifelsfall die Genitalun- SMNK E-Lep 328; 1) Baden-Württemberg, Südliche tersuchung), um eine Determination zweifelsfrei Oberrheinebene, O 7°34‘13“; N 47°52‘21“, 205 m NN, vorzunehmen. Grißheim-Schutzbrettköpfle, 17.3.2015; 7)) DEU/ Darüber hinaus erscheinen uns die folgenden, Baden-Württemberg, Südliche Oberrheinebene, auch am lebenden Tier mit Hilfe einer guten Lupe O 7°34‘13“; N 47°52‘21“, 205 m NN, Grißheim-Schutz- (z.B. Einschlaglupe Carl Zeiss Jena, 3 x 6 x 9) im brettköpfle, 3.3.2017; 1(, 2)) DEU/Baden-Württem- Gelände erkennbaren Fühlermerkmale zur Dia­ berg, Südliche Oberrheinebene, Hartheim a. Rhein, gnose geeignet zu sein (vgl. Abb. 2): Baggersee Friessee, 15.3.2017; alle leg. R. Trusch, SMNK E-Lep 328; alle in coll. SMNK. – stets helle Färbung der Fühler bei B. touranginii – etwas längere Kammzähne der männlichen 2.3 Unterscheidung von B. touranginii Fühler bei B. notha und B. notha Beide Arten lassen sich anhand äußerer Merk- male relativ leicht unterscheiden. Mit einiger 3 Verbreitung in Baden-Württemberg Übung gelingt die Determination von B. touraninii Im Gegensatz zu den erst in jüngerer Zeit in auf den ersten Blick anhand der geringeren Grö- unser Faunengebiet von Süden her neu einge- ße und wegen des intensiveren Farbeindrucks wanderten Schmetterlingsarten wie z.B. dem bereits im Flug. Eine Ausnahme bilden sehr klei- Karstweißling Pieris mannii (Mayer, 1851), dem ne Exemplare von B. notha. Brombeer-Perlmutterfalter Brenthis daphne Beim präparierten Tier ist die geringere Grö- (Bergsträsser, 1780) oder die Brombeer- oder ße von B. touranginii im Vergleich zu B. notha Maghreb-Linieneule Dysgonia algira (Linnaeus, ebenfalls am auffälligsten. Außerdem ist bei den 1767) (vgl. Herrmann et al. 2000, Fritsch 2005a,

Abbildung 2. Ausschnitt aus je einem Fühler von B. touranginii (links) und B. notha (rechts). Schon am lebenden Tier ist mittels einer guten Lupe im Gelände erkennbar, dass die Fühler von B. touranginii (links) heller sind und kürzere Kammzähne besitzen als jene von B. notha (rechts). – Fotos: R. Trusch. Herrmann & Trusch: Das Purpurweiden-Jungfernkind am südbadischen Oberrhein 111

b, Herrmann 2008) handelt es sich bei B. tou- 3.1 Kartierung am Oberrhein in den ranginii um ein stenökes Relikt der südwest- bis Jahren 2015-2017 mitteleuro­päischen Stromauen-Landschaften. Weil sich die tagsüber fliegenden Imagines des Die Art ist vermutlich seit sehr langer Zeit, wohl Purpurweiden-Jungfernkindes schwierig beob- Jahrtausende, in der südlichen Oberrheinebene achten lassen (vgl. Trusch et al. 2016: 70, 75) heimisch und wird in dieser Arbeit und auch von und wegen der verborgenen Lebensweise der Trusch et al. (2016) als Relikt der dynamischen Präimaginalstadien, die bei uns bis heute nicht Stromtalauen angesehen. Für diese Hypothese in der Natur gefunden werden konnten, blieb die spricht die geringe Mobilität der Weibchen, die Art in Deutschland lange unentdeckt. Auch stan- in den Zweigen der Weiden sitzen, nur äußerst den die Buhnenfelder am südbadischen Ober- selten fliegen und deswegen auch besonders rhein in der Vergangenheit, z.B. im Vergleich zur schwer zu finden sindC ( laude Tautel in litt. gut erforschten so genannten Trockenaue, ver- 21. März 2015). Diese Einschätzung unseres hältnismäßig wenig im Mittelpunkt lepidopterio- französischen Kollegen können auch wir bestä- logischer Untersuchungen. Nachdem B. touran- tigen: Auf 278 von uns im Freiland beobachtete ginii erstmals 2015 in Deutschland zweifelsfrei Imagines von B. touranginii kommen nur zwei erkannt und publiziert wurde (Trusch et al. 2016), weibliche Exemplare. erfolgten durch mehrere Lepidopterologen (vgl.

Abbildung 3. Aktuelle Verbreitung des Purpur- weiden-Jungfernkindes Boudinotiana touranginii (Berce, 1870) in Baden- Württemberg und damit in Deutschland. Die Vor- kommen von Nord nach Süd sind: Bremgarten, Grißheim, Neuenburg, Steinenstadt und das NSG Kapellengrien. Sie bilden die östliche Arealgrenze in der Ge- samtverbreitung der Art. Sowohl nördlich davon bei Hartheim als auch südlich bei Märkt/Weil am Rhein war es bis- lang trotz Nachsuche nicht möglich, B. touran- ginii nachzuweisen. 112 Carolinea 75 (2017)

Dank) bis 2017 flächenhafte Kartierungen im hingegen, trotz geeignet erscheinender Habitat- Gebiet der südbadischen Rheinaue zwischen strukturen, im Bereich des Stauwehrs Weil am Märkt im Süden (als nördlichstem Stadtteil von Rhein/Märkt (236 m NN), welches nur 4 km von Weil am Rhein) und rheinabwärts bis zur Höhe der Landesgrenze zur Schweiz entfernt liegt. von Hartheim am Rhein (Gemeinde Breisgau- Ab Steinenstadt flussabwärts lebt B. touranginii Hochschwarzwald). Darüber hinaus gab es wei- in einem verhältnismäßig großflächigen Buhnen- ter nördlich stichprobenhafte Nachsuchen in ge- feld, welches sich nur wenig nördlich von Neuen­ eignet erscheinenden Habitaten in Rheinnähe, burg (209 m NN) rechtsrheinisch erstreckt. Die so an mehreren Stellen im Bereich Taubergie- bislang nördlichsten bekannten Vorkommen in ßen (Rheinhausen bis Nonnenweier, zwischen unserem Untersuchungsgebiet befinden sich dem Polder Altenheim und dem Kehler Rhein- zum einen in den Buhnenfeldern westlich von vorland; Ortenaukreis) sowie am nordbadischen Neuenburg-Grißheim (199 m NN) sowie etwas Oberrhein in der Gemeinde Elchesheim-Illingen weiter flussabwärts, im Umfeld des Rheinüber- (Landkreis Rastatt) und auch direkt südlich von gangs nach Frankreich, nahe der Gemeinde Karlsruhe. Alle zuletzt genannten Kartierungen Hartheim-Bremgarten (197 m NN). Noch etwas in den nördlichen Gebieten blieben jedoch bisher weiter nördlich fanden wir dagegen in einem für erfolglos. B. touranginii potenziell geeigneten flussnahen Die faunistischen Untersuchungen im Süden des Gelände nahe dem Rheinwärterhaus Hartheim Untersuchungsgebietes beschränkten sich bis- (193 m NN) noch keine Hinweise auf ein weiteres her fast ausschließlich auf die rezente flussnahe Teilvorkommen der Art. (rechtsrheinische) Weichholzaue, welche sich Sämtliche oben mitgeteilten Bereiche, in denen in einem mehr oder weniger schmalen Streifen B. touranginii sehr lokal nachgewiesen werden entlang des so genannten Restrheins und des konnte, bilden die gegenwärtig bekannte nord- angrenzenden „Leinpfades“ hinzieht. Die tiefer östliche Arealgrenze im Gesamtverbreitungs- gelegenen, nassen Lokalitäten im Bereich der gebiet der Art (vgl. Abb. 3). Sie liegen alle im Trockenwaldzone mit Weidengebüsch, wie z.B. Bereich der Wechselwasserzone der Rheinaue aufgelassene Kiesgruben in der Markgräfler und umgreifen einen Bereich mit einer Nord-Süd- Rheinebene oder andere ähnlich strukturierte Ausdehnung von ca. 30 km entlang des südwest- Sonderstandorte, wurden bisher kaum unter- lichen Teils des Rheins auf deutscher Seite. sucht. Wir nehmen allerdings an, dass in der südbadischen Rheinebene zukünftig auch an ei- 3.2 Einfluss des Lokalklimas nigen dieser anthropogen geprägten Lokalitäten Das südliche oberrheinische Tiefland mit seiner weitere Vorkommen von B. touranginii entdeckt Lage nahe dem 48 Grad nördlicher Breite, in werden können, weil die Art bereits in einem dem sich das flussnahe, von B. touranginii be- solchen Habitat gefunden wurde (vgl. Trusch et siedelte Areal befindet, ist durch ein Klima mit al. 2016: 70-72, Abb. 10a, b). Darüber hinaus er- milden Wintern und warmen, sonnenstundenrei- scheint es uns möglich, dass das Purpurweiden- chen Sommern gekennzeichnet. Insbesondere Jungfernkind auch noch weiter rheinabwärts, im Sommer kommt es häufig zu lang anhalten- in der nördlich anschließenden Offenburger den schwülen Perioden. Bedingt durch seine Rheinebene, gefunden werden kann. Zumindest Lage im Lee der Vogesen im Westen des Un- befinden sich dort mancherorts für die Art geeig- tersuchungsgebietes gehört der hier behandelte net erscheinende Lebensräume. Raum mit durchschnittlich 650 mm Jahresnie- Durch gezielte Nachsuche in den unmittelbar am derschlag und häufig auftretenden Föhnlagen zu Fluss gelegenen potenziellen Larval- und (durch den trockensten Regionen Mitteleuropas. Infolge Beobachtung bestätigten) Imaginalhabitaten ließ der häufig aus dem Südwesten über die Burgun- sich B. touranginii bereits im Frühjahr 2015 – ne- dische Pforte einströmenden milden Luftmassen ben den beiden von Trusch et al. (2016) publizier- wird eine Jahrestemperaturmittel von + 9 °C bis ten Fundstellen des Erstnachweises – im Bereich + 10 °C erreicht, mit Mittelwerten von 0 bis 1 °C eines Buhnenfeldes südwestlich von Neuen­burg- im Januar und solchen von + 18 °C bis 19 °C im Steinenstadt (215 m NN) nachweisen. Eine wei- Juli (Reif et al. 2013). Auf Grund dieser Tempe- tere Teilpopulation konnte im Folgejahr im südlich raturen lassen sich Züge eines submediterranen davon gelegenen NSG Kapellengrien (224 m NN) Lokalklimas erkennen, welches insbesondere in bei Rheinweiler (Bad Bellingen) entdeckt werden. der so genannten Markgräfler Trockenaue die re- Bislang keine Hinweise auf Vorkommen gab es zente Flora und Fauna prägt. Durch seine Lage Herrmann & Trusch: Das Purpurweiden-Jungfernkind am südbadischen Oberrhein 113

Abbildung 4. Der Blick vom Isteiner Klotz rheinaufwärts in Richtung Basel um das Jahr 1800 zeigt die natür- liche Flusslandschaft vor der Begradigung des Rheinstroms im 19. Jahrhundert. – Gemälde von Peter Birmann (*24.12.1758, Basel, †18.7.1844, Basel), gemeinfrei (Original im Kunstmuseum Basel). im tiefsten Bereich der Ebene erfährt das Ge- neuen rechtsrheinischen Fundort Steinenstadt biet durch Kaltluftkonzentrationen insbesondere entfernt. in klaren Nächten zusätzlich eine kontinentale Die Fließgewässersysteme sind als natürliche ­Tönung. Ausbreitungswege bei dieser Art deshalb wahr- scheinlich, weil es mit dem Wasser zu einer Ver- 3.3 Hypothese zur Einwanderung der driftung von Holzstücken gekommen sein kann, Art nach Baden-Württemberg welche die Puppen von B. touranginii enthielten. Wir nehmen an, dass B. touranginii im Zuge Die aktive Ausbreitung durch die Falter selbst seiner postglazialen Einwanderung nach der wird hingegen von uns wegen der Eigenschaft Würm-Eiszeit von Südwesten her aus einem der Weibchen, fast nicht zuf liegen – zumindest atlanto-mediterranen Refugium über die Ein- nach gegenwärtigem Kenntnisstand – als ge- flussbereiche der innerfranzösichen Fließge- ringer eingeschätzt. Eine Rolle spielt die aktive wässersysteme (Loire, Rhône, Doubs) bis zum Ausbreitung durch weibliche Imagines allerdings Oberrhein vorgedrungen ist, wo die Art heute doch, denn sonst wäre ein Vordringen in neue noch in geeigneten Lebensräumen vorkommt. Gewässersysteme nicht möglich. Aus der rezen- Für diese Annahme spricht, dass die nächst- ten Verbreitung ist zu folgern, dass dies in der gelegenen (historischen) Funde im benachbar- Vergangenheit geschah. ten Elsass an dem Flüsschen Doller (welches In diesem Zusammenhang ist die Geografie der in die Ill mündet) bei Lutterbach (Lévêque et al. Gewässersysteme von Südwestdeutschland in 2006) und bei Muhlhouse (Leraut 2002) liegen. Richtung Südwesteuropa von Interesse. So be- Sie sind gerade einmal 20 km Luftlinie von dem findet sich die europäische Hauptwasserscheide 114 Carolinea 75 (2017)

Abbildung 5. Lebensraum von B. touranginii – Flugzeitaspekt. Buhnenfeld beim Rheinübergang nach Frankreich, Hartheim-Bremgarten, 197 m NN, 29. März 2016. – Foto: R. Herrmann. zwischen dem Mittelmeer und der Nordsee nur 4 Ökologie rund 20 km südlich von Mulhouse (Mülhausen), 4.1 Lebensraum und die noch junge Ill bei Carspach (Départe- Im 19. Jahrhundert kam es infolge der Rheinbe- ment Haut Rhin) und Montreux (Territoire Bel- gradigung von 1817 bis 1876 unter Johann Gott- fort) liegt von dieser bedeutenden Scheidelinie fried Tulla (*20. März 1770, Karlsruhe, † 27. nur 14 km entfernt. Zwischen den oberelsässi- März 1828, Paris) am Oberrhein zu einschnei- schen Vorkommen und den südlich am nächsten denden ökologischen Eingriffen. Sie beseitigten gelegenen rezenten Fundstellen von B. touran- das prägende Landschaftsbild der natürlichen ginii am unteren Doubs bei Lays-sur-le-Doubs Wildstromaue (vgl. Abb. 4) mit einer markanten und Fretterans (Département Saône et Loire) Furkationszone und ausgedehnten, gebüschrei- (vgl. Lévêque et al. 2006) beträgt die Distanz chen Auenwäldern. Dazu gehörten zahlreiche etwa 180 km. Der Doubs nähert sich aber aktu- verästelte Flussläufe sowie tausende von Inseln ell in seiner am nördlichsten gelegenen Schleife, (Reif et al. 2013). Vermutlich verschwanden da- dem Kniebogen bei Audincourt (Montbeliard), mit über 90 % der Rheinauenfläche; die Auswir- Mulhouse bis auf 46 km. Es erscheint uns daher kungen dieser Maßnahmen sind bis in unsere wahrscheinlich, dass sich das von B. touranginii Zeit hinein zu spüren. Anderseits wurde durch besiedelte Areal im Gefolge der nacheiszeitli- dieses gigantische Unternehmen die Hochwas- chen Einwanderung während der Warmphasen sergefahr für die Bevölkerung reduziert, das vor etwa 10.000-5.000 Jahren sukzessive über damals weit verbreitete Sumpffieber (Malaria) den Einflussbereich der innerfranzösichen Fließ- besiegt und mehr Platz für landwirtschaftliche gewässersysteme bis in die Rheinauen des süd- Nutzung und Siedlungen geschaffen, um nur ei- lichen Oberrheins ausdehnen konnte. nige Aspekte zu nennen. Herrmann & Trusch: Das Purpurweiden-Jungfernkind am südbadischen Oberrhein 115

Abbildung 6. Lebensraum von B. touranginii – Hochwasseraspekt. Im Bild das identische Buhnenfeld beim Rhein­ übergang nach Frankreich am 17. Juni 2016. – Foto: R. Herrmann.

Um den nun entstandenen so genannten Tulla­ anzunehmen, dass sich in den angrenzenden, rhein auch bei niedrigen Wasserständen für grö- damals noch vorhandenen letzten Resten der ßere Schiffe durchgängig befahrbar zu machen, wilden Rheinaue die Ursprungspopulationen von wurden Buhnenfelder angelegt. Am südlichen B. touranginii befanden. Oberrhein zwischen Istein und Kehl began- Gekennzeichnet ist der Lebensraum des Purpur- nen die Arbeiten hierzu um 1907 und endeten weiden-Jungfernkindes, neben langanhaltenden 1939. Erste Anlandungen mit Kiesflächen und Niedrigwasserphasen (Abb. 5), insbesondere Flachwasserzonen stellten sich ein. Nach der durch die regelmäßig auftretenden Hochwasser- erneuten Absenkung des Rheinwasserspiegels perioden (Abb. 6), welche im Extremfall mehrere in Folge der Errichtung des Rheinseitenkanals Monate andauern können. So war z.B. die von (dem so genannten „Grand Canal d’Alsace“ zwi- B. touranginii besiedelte Rheinaue zwischen schen Village-Neuf und Volgelsheim als Ergeb- Mai und Juli 1999 sehr lange und bis zum Rand nis des Versailler Vertrags) entstanden durch mit Wasser gefüllt; es trat stellenweise bereits natürliche Sukzession in den letzten 60 Jahren in die so genannte „Trockenaue“ über, und erst im Bereich der Buhnenfelder südlich von Brei- im August gingen die Wasserstände langsam sach etwa 200 Hektar neuen Auwaldes mit ge- wieder zurück (Reif et al. 2013). Ursache dieses schlossenen Weichholzbeständen (Reif et al. Hochwassers waren tagelange Regenfälle und 2013). Damit bildeten sich zum Teil auch neue die Schneeschmelze in den Alpen. Die von der Entwicklungshabitate für B. touranginii, welche Schweiz heranrollende Flutwelle hatte am Hoch- die Besiedelung der rezenten Weichholzaue, die rhein bereits am Pegel Hauenstein ein histori- sich heute als sehr schmaler Streifen entlang sches Hoch von 11,20 m erreicht; bei Breisach des Restrheins hinzieht, erst ermöglichte. Es ist lag es noch über fünf Meter, und man rechnete 116 Carolinea 75 (2017) mit einem Anstieg auf 5,60 bis 5,80 m (vgl. „Der in diesen Büschen) beobachtet werden konnten. Spiegel“ vom 14. Mai 1999). Angesichts dieser Wie die Schwesterart B. notha bohrt sich auch Verhältnisse wirft sich zwangsläufig die Frage die Larve von B. touranginii zur Verpuppung in auf, wie die Präimaginalstadien des Purpurwei- morsches Holz ein (vgl. Lévêque 2011: 13, Abb. den-Jungfernkindes diese lang anhaltenden 20c-23d; Trusch et al 2016: 73, Abb. 24a) und Überschwemmungen im Entwicklungshabitat, verschließt das Bohrloch von innen fest mit für das wir schwerpunkthaft die Buhnenfelder „Genagsel“ (Lévêque l.c. Abb. 22a-c), so dass entlang des Rheines halten, überleben können. die Stelle, an der sich die Larve eingebohrt hat, Anhand der Freilandbeobachtungen von 278 kaum noch gefunden werden kann. Imagines von B. touranginii aus unserem Un- Sollten die Buhnenfelder wirklich das Entwick- tersuchungsgebiet, der geringen Mobilität der lungshabitat von B. touranginii sein, müsste die Weibchen und ausgehend von einer relativ en- vermutlich am Fuß der Weidengebüsche im gen ökologischen Valenz der Art nehmen wir abgestorbenen Holz eingebohrte Puppe auch an, dass die regelmäßig überschwemmten Buh- längere Überschwemmungsphasen überstehen nenfelder des Restrheins ein wichtiges (wenn können. Insbesondere zur Zeit der Schnee- nicht das wichtigste) Reproduktionshabitat des schmelze in den Alpen stellt sich im Mai und Purpurweiden-Jungfernkindes bei uns sind. Es Juni oft für längere Zeit Hochwasser ein, so handelt sich bei ihnen – auf Grund der regelmä- dass die Aue und damit auch die potenziellen ßig auftretenden Überschwemmungen – um eine Verpuppungsorte der Art meterhoch unter Was- stark vom Fluss beeinflusste, sedimentreiche ser stehen (Abb. 6). Es besteht jedoch weiterer alluviale Weichholzaue mit charakteristischen, Forschungsbedarf, insbesondere hinsichtlich der hochwüchsigen Beständen von Purpur- und Habitatpräferenz der Raupen, für die noch Frei- Lavendelweide (Salix eleagnos Scop., S. purpu- landfunde zu erbringen sind. Ebenso steht ein rea L.; Salicaceae) und auch Weiden-Bastarden experimenteller Nachweis zur Überflutungstole- (z.B. Rötelweide S. x rubescens, Reif et al. 2013) ranz der Puppen aus dem Labor noch aus. sowie in den höher liegenden Bereichen mit Auf den basen- und nährstoffreichen, sandig- Schwarzpappel und Silberpappel (Populus nigra kiesigen Schwemmböden der Buhnenfelder do- L., P. alba L.; Salicaceae). Auch andere Salica- miniert ab dem Frühsommer eine nitrophytische ceen, wie etwa die Mandel-, Korb- und Salweide Vegetation, die dann für Menschen nahezu un- (Salix triandra L., S. viminalis L. und S. caprea L.; durchdringlich ist. Aspektbestimmend sind im Salicaceae) sind charakteristische, wenn auch Umfeld der Weidengebüsche bis zu zwei Meter seltenere saumbegleitende Elemente der Buh- hohe, dickichtartige Bestände von Großer Bren- nenfelder. Sie sind dem Lebensraum des Purpur- nessel (Urtica dioica L.; Urticaceae), Drüsigem weiden-Jungfernkindes im weiteren Sinne zuzu- bzw. Indischem Springkraut (Impatiens glandu- ordnen. Dieser Lebensraum tritt flussbegleitend lifera Royle; Balsaminaceae), Riesen-Goldrute auf, ist anthropogen entstanden und zumeist nur (Solidago gigantea L.; Asteraceae) und Brom- kleinflächig vorhanden. beeren (Rubus spp.; Rosaceae) sowie Gräsern. Nach unserem gegenwärtigen Wissensstand gibt es eine enge Korrelation zwischen den Stel- 4.2 Phänologie len, an denen häufiger Falter von B. touranginii Die Flugzeit der Imagines von B. touranginii be- beobachtet werden konnten, und offenen und ginnt innerhalb der ersten milden und sonnigen zumindest mäßig sonnenbeschienenen Biotop- Tage im zeitigen Frühjahr, allerdings erst kurz strukturen in diesen Buhnenfeldern mit größeren nachdem die anderen beiden bei uns heimi- Vorkommen der Purpurweide. Diese Weidenart schen Jungfernkinder-Arten bereits aktiv sind wächst als hochwasserresistente Pflanze im (vgl. die blauen und grünen Säulen in Abb. 7 vor niedrigen Uferbereich des Restrheins und wird der Flugperiode von B. touranginii ). So konn- bis zu sechs Meter hoch. ten im Lebensraum von B. touranginii z.B. vom Die Weidenbüsche, unter denen sich oft größere 22.-24. Februar 2017 zwar schon B. notha und Mengen von abgestorbenen Ästen befinden und A. parthenias registriert werden, noch nicht je- unter denen sich auch morsches Schwemmholz doch die Zielart. Deren Falter erschienen erst (in verfängt, dürften unseres Erachtens als larvales mehr als 10 Exemplaren) bei Tagestemperaturen Entwicklungshabitat in Frage kommen – auch von + 18 °C am 27. Februar. wenn bei uns bislang weder Eiablagen der Imagi- Dies unterstreicht, dass es sich bei B. tourangi- nes noch Freilandraupen (trotz Raupenklopfens nii um eine südliche, wärmeliebende Art handelt. Herrmann & Trusch: Das Purpurweiden-Jungfernkind am südbadischen Oberrhein 117

Abbildung 7. Phänologie-Diagramm („Phänogramm“) von B. touranginii (n = 278) am südbadischen Oberrhein auf der Grundlage aller beobachteten Falter. Die geringere Häufigkeit der beiden Arten A. parthenias (n = 55) und B. notha (n = 146) im Phänogramm beruht darauf, dass nur syntop mit B. touranginii beobachtete Falter mit erfasst wurden, insbesondere zum Beginn der Flugzeit (vgl. Text).

Etwa zwischen dem 10. und 25. März stellt sich Falter wurde am 9. April (2015, Steinenstadt, dann in Abhängigkeit von der jeweiligen Früh- R. Herrmann) registriert, was 10 Tage später jahrserwärmung das Aktivitätsmaximum der als l.c. mitgeteilt ist. Es kann von einer relativen Imagines ein, und zum Flugzeitende konnten Langlebigkeit der Imagines von B. touranginii noch einzelne Falter am 7. und 9. April nachge- (wie auch der von B. notha) ausgegangen wer- wiesen werden, beispielsweise im Frühjahr 2015. den: Im Kühlschrank bei + 5 °C ließ sich bei je- Die bisher aus Deutschland bekannte Gesamt- weils einem männlichen Falter beider Arten eine Flugzeit von B. touranginii über alle Beobach- Lebensdauer von etwa vier Wochen feststellen. tungsjahre verlängert sich auf Grund unserer Längere ungünstige Witterungsperioden zur neuen Beobachtungen auf fast 1,5 Monate (42 Flugzeit dürften somit von beiden Arten auch als Tage). Damit ist die Zeitspanne, in der Imagines Imago überdauert werden können. dieser univoltinen Art gefunden werden können, Im Phänologie-Diagramm („Phänogramm“, Abb. 7) deutlich länger als ursprünglich angenommen. sind alle 278 bisher in Deutschland beobach- Allerdings ist sie in einem einzelnen Beobach- teten Falter von B. touranginii aus den Jahren tungsjahr wesentlich kürzer, nämlich 24 Tage im 2005-2017 in der Farbe Rot aufgetragen. Zu- Jahr 2015 (17. März bis 9. April), 17 Tage im Jahr sätzlich sind alle syntop beobachteten Imagines 2016 (10. bis 26. März) und 22 Tage im Jahr 2017 von A. parthenias in Grün und die von B. notha (27. Februar bis 20. März). in Blau dargestellt. Die geringere Häufigkeit die- Extremwerte: Die frühesten Falter wurden am ser beiden Arten im Phänogramm beruht darauf, 27. Februar (2017, Steinenstadt, R. Herrmann) dass sie hier nicht schwerpunkthaft erfasst wur- beobachtet, das ist 18 Tage früher als Trusch den, sondern es sich um „Begleitbeobachtun- et al. (2016: 72) mitteilen konnten; der späteste gen“ bei der Kartierung von B. touranginii han- 118 Carolinea 75 (2017) delt. Auch liegt der Schwerpunkt des Auftretens bereits befruchtet, so dass dieses Verhalten von A. parthenias nicht in dem Habitat, in dem möglicherweise dem Erreichen der Eiablageplät- B. touranginii vorkommt. Ein Einbeziehen sämtli- ze diente. Das zweite Exemplar, welches zwei cher Datensätze von A. parthenias und B. notha Jahre früher am 23. März 2015 gegen 11.00 Uhr aus Baden-Württemberg wäre in diesem Zusam- vormittags von M. Falkenberg gefunden wurde, menhang nicht sinnvoll, da es hier darum geht, saß inaktiv auf einem Zweig oder Purpurweide die gleichzeitig und syntop lebenden Falter der (vgl. Trusch et al. 2016: Abb. 16b). drei Arten miteinander zu vergleichen und in Be- Auch in der Gefangenschaft begann das 2017 ge- ziehung zu setzen. fundene Tier erst nachmittags ab ca. 14.00 Uhr aktiv zu werden. Es wurde regelmäßig mit Honig- 4.3 Verhalten wasser gefüttert und legte die meisten Eier in den Boudinotiana touranginii ist eine tagaktive, helio- Nachtstunden bei künstlicher Beleuchtung ab. Die phile Art, die Imagines fliegen nur im Sonnen- Ablage erfolgte immer in den gereichten Schaum- schein. Bei bedecktem Himmel und Temperatu- stoff hinein (Abb. 8). Das im Jahr 2015 gefundene ren unter +10°C waren keine Beobachtungen Weibchen legte seine Eier ebenfalls nur in den von fliegenden Faltern möglich. Tageszeitlich Schaumstoff des Transportgefäßes, nicht jedoch konnte zwischen 13.00 und 16.00 Uhr die größ- an die später angebotenen Purpurweidenzweige. te Abundanz von (männlichen) Faltern registriert Eiablagen direkt an der Purpurweide gelangen werden. An Begleitarten wurden zur Flugzeit von uns unter künstlichen Bedingungen nicht. B. touranginii in der Weichholzaue neben den Wir schlussfolgern aus unseren Beobachtungen beiden anderen Jungfernkindern folgende tag­ im Freiland und im Labor, dass die Weibchen in aktive Schmetterlingsarten beobachtet: der Natur tageszeitlich wohl später aktiv sind als Leptidea sinapis/juvernica-Artengruppe – Pieridae die Männchen. Möglicherweise werden sie des- Gonepteryx rhamni (Linnaeus, 1758) – Pieridae wegen so selten in ihrem Lebensraum gefunden. Pieris rapae (Linnaeus, 1758) – Pieridae Sie sind allerdings nicht nachtaktiv, denn mit ei- Pieris napi (Linnaeus, 1758) – Pieridae nem Lichtfang (durch C. Widder) direkt am Fund- Anthocharis cardamines (Linnaeus, 1758) – Pieridae ort des ersten Weibchens in der Nacht zum 24. Nymphalis polychloros (Linnaeus, 1758) – Nymphalidae März 2015 konnte die Art nicht nachgewiesen Vanessa io (Linnaeus, 1758) – Nymphalidae werden (Trusch et al. 2016: 72). Dies entspricht Vanessa atalanta (Linnaeus, 1758) – Nymphalidae auch unseren Erwartungen hinsichtlich der ta- Aglias urticae (Linnaeus, 1758) – Nymphalidae geszeitlichen Aktivitätsphasen bei den Arten der Polygonia c-album (Linnaeus, 1758) – Nymphalidae Araschnia levana (Linnaeus, 1758) – Nymphalidae Archiearinae. Pararge aegeria (Linnaeus, 1758) – Nymphalidae Die Eiablage in Schaumstoff (Abb. 8a-c) deutet Celastrina argiolus (Linnaeus, 1758) – Lycaenidae darauf hin, dass die Eier auch in der Natur in eine Macroglossum stellatarum (Linnaeus, 1758) – weiche Struktur hinein abgelegt werden könnten. Sphingidae Denn es erfolgt immer erst dann eine Eiablage, wenn das Tier mit dem Ovipositor ein paar Milli- An Raupennachweisen gelangen zur Flugzeit meter in den Schaumstoff eingedrungen ist. Es von B. tourangini an den Weidenbüschen im Ha- scheint also ein gewisser Gegendruck am Ovi- bitat: positor erforderlich zu sein, damit die Eiablage

Proutia betulina (Zeller, 1839) – Psychidae ausgelöst wird. An den relativ glatten Purpurwei- Synanthedon formicaeformis (Esper, 1783) – Sesiidae denzweigen erfolgte bei unseren Tieren jeden- Agrochola lota (Clerck, 1759) – Noctuidae falls nie eine Ablage. Wir vermuten deshalb, dass Operophtera brumata (Linnaeus, 1758) – Geometridae die Eiablage im Freiland in die Weidenkätzchen Erannis defoliaria (Clerck, 1759) – Geometridae hinein erfolgen könnte. Nach der Ablage von reichlich 100 Eiern wurde das o.g. Tier abgetötet Weibchen: Von den beiden im Untersuchungs- und als faunistischer Beleg in der Sammlung des gebiet gefundenen Weibchen war nur eines in SMNK hinterlegt. der Natur aktiv. Es schwirrte am 17. März 2017 Männchen: Die Männchen dieser außerordent- um 14.45 Uhr an einer Purpurweide (beobachtet lich scheuen, dem Netzschlag sofort entflie- von D. Warzecha und den Autoren). Das Tier war, henden Art sind, wie am Fundort bei Steinen- obwohl es sich um ein anscheinend frisch ge- stadt gut zu beobachten war, in reißendem und schlüpftes Exemplar handelte (vgl. Titelbild des scheinbar ziellosem Flug entlang des Saumes vorliegenden Carolinea-Bandes 75 und Abb. 1), der Weidenbüsche unterwegs. Allem Anschein Herrmann & Trusch: Das Purpurweiden-Jungfernkind am südbadischen Oberrhein 119

Abbildung 8. Das am 23. März 2015 gefundene Weibchen von B. touranginii legte unter künstlichen Bedingungen (Wärme, Licht) auch noch zwischen 23.00 Uhr und Mitternacht Eier ab. Links: ( von hinten mit ausgestülptem Ovi- positor; rechts: Eiablagen. Sie wurden sowohl einzeln (die Mehrzahl) als auch in Gruppen von bis zu drei Eiern in den Schaumstoff hinein platziert. – Fotos: R. Trusch. nach stand dieses Flugverhalten nicht in einem Beschreibungen und Fotos der Präimaginalstadi- Zusammenhang mit der Suche nach Nahrung, en wurden schon von Lévêque (2011: 10-14, Abb. denn die Kätzchen der Büsche wurden nicht 2-25) aus Frankreich sowie Abbildungen von angeflogen. Es ist daher anzunehmen, dass Trusch et al. (2016: Abb. 18-24) aus Deutsch- dieses Flugverhalten der Partnersuche dient. land veröffentlicht, so dass wir hier auf erneute Zu beobachten war auch, dass sich die meisten Illustrationen aus den Laborzuchten (M. Leipnitz, Falter von B. touranginii nicht über die Höhe der R. Herrmann) verzichten. Gebüsche hinaus bewegten. In größerer Höhe Bei R. Herrmann schlüpften aus den Eiern konnten hingegen manchmal die beiden ande- zwischen 1.-3. April 2017 die Räupchen, die ren Archiearinae-Arten beobachtet werden. Ins- sich nach etwa 48 Stunden in den beigelegten besondere dann, wenn die Falter aus Sicht des Blättern von Purpurweide in kleinen Gruppen Beobachters in das gleißende Gegenlicht der zu einspannen. Die Eiraupen nahmen die relativ dieser Jahreszeit tiefstehenden Sonne geraten, harten Blätter der Purpurweide (S. purpurea) entziehen sie sich oft dem Betrachter. zunächst schlecht an. Vielmehr bevorzugten sie Blütenbesuche und Saugverhalten: Hinsicht- zunächst die zarten, frisch entwickelten Blätter lich der Nahrungspflanzen der Imagines kommt von Zitterpappel (P. tremula), welche ebenfalls zu den beiden, bereits bei Trusch et al. (2016) gereicht wurden. Mit dem Wachstum der Raupen genannten Arten Salix purpurea und S. eleag- wurde dann zunehmend auch Purpurweide ge- nos, welche hier durch mehrfache Beobachtun- fressen. Ab dem 22. April 2017 wurden den fast gen bestätigt werden, die Salweide (S. caprea) erwachsenen Raupen neben Purpurweide und hinzu. An ihren Weidenkätzchen wurde einmal Zitterpappel die Blätter folgender Populus- und ein Blütenbesuch im Buhnenfeld bei Neuenburg Salix-Arten als Futterpflanzen angeboten, um beobachtet (R. Herrmann). ihre Nahrungsspezifität zu testen: Silberpappel Bislang wurden Imagines von B. touranginii nie (P. alba), Schwarzpappel (P. nigra), Echte Trauer­ saugend am Boden angetroffen, so wie dies die weide (S. babylonica; Salicaceae), Silberweide Falter von B. notha und A. parthenias regelmäßig (S. alba; Salicaceae), Korbweide (S. viminalis), tun. Ebenso wenig konnte B. touranginii an der Lavendelweide (S. elaeagnos) und Salweide Salzlecke eines Jägers (bei Grißheim) beobach- (S. caprea). tet werden, welche jedoch von A. parthenias be- Bei all diesen Fütterungsversuchen der Larven sucht und zum Saugen genutzt wurde. von B. touranginii erfolgte der Wechsel auf die neue Fraßflanze erstaunlich schnell. Dieses fast 4.4 Neue Erkenntnisse aus Zuchten von polyphage Verhalten unter Laborbedingungen ist B. touranginii und B. notha im Freiland wohl unwahrscheinlich, denn dann Das am 17. März 2017 bei Bremgarten eingetra- müsste die Eiablage auch an diesen Pflanzen- gene Weibchen von B. touranginii begann noch arten erfolgen. Ein aktives Wechseln der in den am gleichen Abend mit der Eiablage (vgl. Kap. frühen Stadien in einem Gespinst zwischen 4.3 und Abb. 8). Damit war es möglich, die Art den Weidenblättern lebenden Raupen (vgl. unter Laborbedingungen zu züchten. Detaillierte Lévêque 2011: 11, Abb. 10, Trusch et al. 2016: 73, 120 Carolinea 75 (2017)

Abb. 20a, b) dürfte in der Natur nicht vorkommen. abgeschlossen ist. Denn wenn die Entwicklung Gäbe es einen solchen Wechsel, dann wäre eine der Larven entsprechend schnell erfolgen kann, weitere Verbreitung der Art die Folge, was jedoch ist zu postulieren, dass die Hochwässer der al- nicht der Fall ist. pinen Schneeschmelze ab Juni (vgl. Kap. 4.1 Ab dem 26. April 2017 begannen sich die aus- und Abb. 6) der Art in ihrem Entwicklungshabitat gewachsenen Larven, deren Länge nun etwa nichts anhaben können. 20 mm betrug (n = 6), rotbräunlich zu verfärben, Folgende Entwicklungszeiten teilte uns Leipnitz und sie bohrten sich in den folgenden Tagen bis (in litt. 27. September 2017) aus seiner Zucht von zum 8. Mai 2017 in morsches Holz ein, worin 2015 mit: Schlupf aus dem Ei und Eiraupen 1.-6. dann auch die Verpuppung erfolgte. Die Entwick- April, L2 ca. 10. April, L3-L4 15. April, 23. April aus- lungszeit bis zur Verpuppung betrug somit bei gewachsene Raupen (vermutlich L5) und schon dieser Zucht im Maximum 52 Tage. braun verfärbte, 25. April Raupen beim Einboh- Während des gesamten Zeitraumes der Labor- ren. Auch wenn alle Tiere aus einem Eigelege zucht waren die Larven, tags wie nachts, Tem- stammten, entwickelten sie sich bei Raumtem- peraturen zwischen 18 °C bis 20 °C ausgesetzt. peratur nicht gleich schnell. Abweichungen vom Darüber hinaus wurden sie im Abstand von drei Eischlupf bis zur Verpuppung von ca. 8 Tagen Tagen leicht mit Wasser besprüht. Ein extremer wurden zwischen der schnellsten und der lang- Klammerreflex der Raupen an den Ästchen und samsten Raupe beobachtet. Der Entwicklungs- Blättern der Futterpflanzen war auffallend. Dies zeitraum von der Eiablage bis zum Einbohren der scheint für eine baumbewohnende Art, die sich Raupe zur Verpuppung lag bei Zimmertempera- aller Wahrscheinlichkeit nach in einer Über- tur bei 26-33 Tagen. Im Vergleich mit den parallel schwemmungsaue entwickelt, von existenzieller durchgeführten Zuchten von B. puella und B. no- Bedeutung zu sein und ist vermutlich Grund da- tha war B. touranginii die schnellste – sicherlich für, dass wir im Freiland die Larven nicht durch auch, weil dies die kleinste der drei Arten ist. Raupenklopfen nachweisen konnten. Der Entwicklungszeitraum der B. touranginii liegt Leipnitz (in litt. 4. Mai 2017) berichtet, dass sei- folglich unter Laborbedingen, in Abhängigkeit ne Zucht nicht ganz verlustfrei verlief. Vor allen von der Temperatur, zwischen 26 und bis zu 52 Dingen bereitete den B. touranginii-Raupen das Tagen. Unter Freilandbedingungen könnte der sehr schlecht haltbare und schnell welkende Zeitraum vermutlich noch etwas länger sein. Die (und schwarz werdende) Futter Salix purpurea Zeitspanne bis zu den Hochwässern Anfang Probleme. Er reichte daraufhin den Raupen im Juni beträgt von der Flugzeit der Imagines (Mitte

L2-L3-Stadium andere Futterpflanzen. Bei ihm bis Ende März) an gerechnet allerdings über 60 war es vor allem die Silberpappel (Populus alba), Tage, so dass davon ausgegangen werden kann, welche problemlos angenommen wurde. Sie ist dass das Gros der Raupen dann verpuppt sein überdies ein besseres und sehr haltbares Futter. dürfte. Damit führte er nun seine parallelen Zuchten von Boudinotiana puella (Esper, 1787), Kleines Jung- Boudinotiana notha: Etwa zeitgleich mit B. tou- fernkind, B. notha und auch B. touranginii erfolg- ranginii schlüpften bei R. Herrmann Raupen von reich zu Ende. B. notha zwischen dem 1. und 4. April. Die Eier Nach dem bräunlichen Verfärben der B. touran- stammten vom 16. März 2017 von einem Weib- ginii-Raupen wurden diese zur Verpuppung in chen von Steinenstadt, an dem Fundort leben mehrere 1.000 ml Polyethylen-Plastikeimerchen beide Arten. Das Tier begann erst nach einer gesetzt. Diese waren unten mit trockenem Torf Woche mit der Eiablage, sie dauerte drei Tage. ca. 1-2 cm hoch gefüllt. Darin steckten senkrecht, Nach einer Woche schlüpften die Räupchen, die eng geschichtet, unterschiedlich dicke, sehr mür- sich nach etwa 48 Stunden in frischen Zitterpap- be Holz- und Aststücke, die vorher leicht ange- pelblättchen (P. tremula) eingesponnen hatten. feuchtet wurden. Im Gegensatz zu den früher Auch diesen, von Anfang an gesellig lebenden gereichten, härteren Rindenstücken, waren die Raupen, wurden Blätter der o.g. Populus- und Raupen innerhalb kürzester Zeit darin einge- Salix-Arten gegeben, um ihre Nahrungsspezifität bohrt. zu testen. Wie bei B. touranginii zeigte sich auch Interessant für die Biologie der Art im Freiland hier, dass ein Wechsel der Fraßpflanzen völlig ist es nun zu wissen, ob die präimaginale Ent- problemlos möglich war. Zwischen dem 23. April wicklung vom Ei bis zum Einbohren der Rau- und 10. Mai bohrten sich die dunkel verfärbten, pen vor den ersten Frühsommerhochwässern ca. 25 mm langen Raupen (n = 6) in beigelegtes, Herrmann & Trusch: Das Purpurweiden-Jungfernkind am südbadischen Oberrhein 121

Abbildung 9. In doppelter natürlicher Größe links im Bild der einzige hier bekannt gewordene Falter von B. notha (Spannweite 32 mm) mit stark asymmetrischen Fühlern; links 47, rechts 42 Glieder (Grißheim, 22. März 2013, leg. R. Herrmann). Rechts ist jenes Exemplar von B. touranginii (Spannweite 23 mm) abgebildet, das die höchste Anzahl Fühlerglieder aufweist; links 48, rechts 47 (Steinenstadt, 11. März 2017, leg. R. Herrmann). – Fotos: R. Trusch. morsches Holz ein. Abgesehen von der Größe im Gegensatz zu den beiden anderen Arten, die konnten keine nennenswerten Unterschiede zwi- sich an Birke (Betula pendula Roth; Betulaceae) schen beiden Arten beobachtet werden. bzw. Pappel ( L.; Salicaceae) ent­ wickeln. Trotzdem wurden B. notha und B. touran- ginii bis zur Jahrtausendwende nicht als getrennte 5 Zur morphologischen Abgrenzung von Arten angesehen. Manifestiert wurde dies durch B. touranginii und B. notha den weit verbreiteten „Staudinger-Katalog“ (Stau- Boudinotiana touranginii wurde vor nunmehr fast dinger & Rebel 1900), der B. touranginii ebenfalls 150 Jahren in Frankreich entdeckt. Allerdings als Varietät unter B. notha führt. wurde die Art damals nur als Varietät von B. no- Erst Bérard (2000) veröffentliche spezifisch ge- tha beschrieben. Die Autorenschaft von B. tou- wertete morphologische Unterschiede zwischen ranginii wird allgemein Jean-Étienne Berce (*24. beiden Taxa, anhand derer sich B. touranginii April 1803, Saint-Dié-des-Vosges, † 29. Dezem- zweifelsfrei bestimmen lässt, und erkannte das ber 1879, Paris) zugeschrieben, welcher als Prä- Taxon als eigene Art an. Zur schnellen Verbreitung sident der „Société entomologique de France“ dieser Erkenntnis trug wiederum ein Standard- Verfasser jenes sechsbändigen Werkes ist, in der werk bei, diesmal der erste Band der „Geometrid die Urbeschreibung der „Var. Touranginii“ durch of Europe“ von Hausmann (2001). Trotzdem Maurice Sand abgedruckt wurde. Berces Werk werden bis heute immer wieder Zweifel an der behandelt die französische Schmetterlingsfauna Artberechtigung geäußert, und man kann z.B. im in der Reihe „Faune entomologique Francaise“ Internet lesen, dass der Status von B. touranginii und erschien von 1867 bis 1878. unklar sei, weil das Taxon einen identischen Bar- Maurice Sand, Sohn der berühmten Schriftstel­ code mit B. notha besitzt (Prpic-­Schäper 2017 mit lerin George Sand, eigentlich Jean-François-­ Bezug auf Hausmann et al. 2013). Maurice-Arnauld Baron Dudevant (*30. Juni Diese Zweifel sind jedoch keineswegs begrün- 1823, Paris, † 4. September 1889, Nohant-Vic, det, denn auch Hausmann et al. (2013) schreiben, Département Indre, Centre-Val de Loire), war ein dass auf Grund der deutlichen Unterschiede in französischer Schriftsteller und Illustrator (SDEI, der Morphologie die Artabgrenzung nicht in Fra- Wikipedia). Er widmete die Art dem Entdecker ge gestellt wird. Sie untersuchten 219 (88 %) des Purpurweiden-Jungfernkindes, dem „ange- der 249 europäischen Spannerarten aus den sehenen Entomologen“ Gustave Tourangin (Sand fünf Unterfamilien Archiearinae, Desmobathri- in Berce 1870: 169-170). Dem war bereits auf- nae, Orthostixinae, Geometrinae und Sterrhinae gefallen, dass die Raupen seiner Tiere an Pur- darauf, ob sich ihre „Barcode-Indexnummern“ purweide (Salix purpurea, in der Urbeschreibung (BINs in „BOLD Systems“, vgl. Ratnasingham & unter dem alten Namen S. monandra) fressen – Hebert 2007) für die Re-Identifikation der nach 122 Carolinea 75 (2017)

Abbildung 10. Die Anzahl der Fühlerglieder ist ein gutes Argument dafür, dass es sich bei B. touranginii und B. notha um verschiedene Arten handelt. Auch wenn sie bei beiden Arten variabel ist und Bereiche von 7 (touranginii) bzw. 10 (notha) Fühlergliedern überstreicht, ist in den allermeisten Fällen eine eindeutige Zuordnung zu einer der beiden Merkmalswolken möglich. Sie unterliegen der Normalverteilung und besitzen nur einen kleinen Überlappungsbe- reich. Der einzelne Wert von 42 Fühlergliedern bei einem Falter von B. notha bezieht sich auf das Exemplar mit stark asymmetrischen Fühlern (vgl. Text und Abb. 9, links).

aktuellem Erkenntnisstand identifizierten Arten Lévêque et al. (2006), Lévêque & ­Faucheux (2010), (Hausmann 2001, 2004) eignen. Die beiden ande- Lévêque (2011) und Trusch et al. (2016) zu ent- ren Unterfamilien der Geometridae, Larentiinae nehmen ist. Vielmehr sind die beiden Arten ein und Ennominae, umfassen weitere 733 Arten, Beispiel dafür, dass der Barcode eben nicht in al- die in dieser Arbeit nicht betrachtet wurden. (Das len Fällen für die Identifikation von Arten geeignet BIN-System ist ein Online-Werkzeug, das COI- ist. Denn er stellt nur einen (weiteren) Merkmals- Barcode-Sequenzen algorithmisch gruppiert und komplex dar, der – so wie alle anderen Merkmals- so eine Webseite für jeden Cluster (= potenzielle muster in der Biologie auch – interpretiert werden Art) erzeugt.) muss. Es ist für die jüngere Wissenschaft eher Hausmann et al. (l.c.) fanden in ihrer Studie nur ein Glücksfall, dass der COI-Barcode in so vielen acht Artenpaare, deren DNA-Barcode-Sequen- Fällen das gleiche Muster widerspiegelt, was wir zen nicht unterscheidbar waren. Von diesen gab aktuell als Arten zu erkennen glauben. es wiederum nur drei Artenpaare, die sympatrisch Im Folgenden haben wir uns dem Merkmalskom- vorkommen und damit für eine molekulare Be- plex „Anzahl der Fühlerglieder“ (Abb. 11) noch stimmung nicht zugänglich sind; zu diesen gehört einmal näher gewidmet. Bei diesem distinkten B. notha & B. touranginii. Die anderen beiden sind morphologischen Merkmal wurde jeder Füh- Cyclophora punctaria (Linnaeus, 1758) & C. quer- ler als ein Datensatz betrachtet und die Anzahl cimontaria (Bastelberger, 1897) sowie Chlorissa der Fühlerglieder von 175 vollständig erhalte- viridata (Linnaeus, 1758) & C. cloraria (Hübner, nen Fühlern beider Arten ermittelt (nFühler von 1813), welche hier keine Rolle spielen. B. touranginii = 64, nFühler von B. notha = 111; Die beiden Arten B. notha und B. touranginii sind vgl. Tab. 1). Im Diagramm (Abb. 10) sind auf der auf Grund zahlreicher Merkmale, von der Mor- y-Achse die Anzahl der untersuchten Fühler phologie über die Ökologie bis zur Ethologie, gut aufgetragen und an der x-Achse die Anzahl der getrennt, wie den Arbeiten von Bérard (2000), Fühlerglieder. Herrmann & Trusch: Das Purpurweiden-Jungfernkind am südbadischen Oberrhein 123

Abbildung 11. Ansichten von Fühlern der beiden Arten B. touranginii und B. notha mit Nennung der Anzahl der Fühlerglieder (l = linker Fühler, r = rechter Fühler). Im Durchschnitt haben die Falter von B. notha neun Glieder mehr. – Linke Seite B. touranginii, von oben nach unten: a. l = 44 (Rheinweiler, 10. März 2017, coll. HF), b. l = 44 (Stei- nenstadt, 11. März 2017, coll. HF), c. l = 48 (Steinenstadt, 11. März 2017, coll. HF), d. l = 42 (Bremgarten, 12. März 2017, coll. HF), e. l = 41 (Bremgarten, 12. März 2017, coll. HF) und f. l = 44 (Steinenstadt, 26. März 2017, coll. HF). Rechte Seite B. notha: g. r = 47 (Grißheim, 10. März 2013, coll. HF), h. l = 53 (Grißheim, 22.2.2016, coll. HF), i. r = 56 (Grißheim, 27. Februar 2017, coll. SMNK), j. r = 55 (Steinenstadt, 3. März 2017, coll. HF), k. l = 52 (Steinenstadt, 4. März 2017, coll. HF) und l. r = 51 (Steinenstadt, 16. März 2017, coll. HF). – Fotos: R. Trusch.

Tabelle 1. Minimal- und Maximalwerte der Anzahl der hier untersuchten Fühlerglieder von B. touranginii und B. notha. Es sind r = rechter Fühler und l = linker Fühler unterschieden. Durchschnittlich haben die Falter von B. notha neun Fühlerglieder mehr als jene von B. touranginii. B. touranginii (n = 64) l r B. notha (n = 111) l r Min. 41 40 Min. 46 42 Max. 48 47 Max. 56 56 Mittelwert 43,0 43,0 Mittelwert 52,4 52,3 124 Carolinea 75 (2017)

Abbildung 12. Im Rahmen des IRP hergestellte Auskiesungsfläche bei Efringen-Kirchen mit dem Initialstadium einer Weichholzaue. Eine aspektbildende Weidenverjüngung hat sich in den tieferen Bereichen des Beckens aus- gebildet. Ob zukünftig hier ein Lebensraum von B. touranginii entstehen wird, ist noch nicht abzusehen. – Foto: 28.9.2017, R. Herrmann.

Bérard (2000: 142) hatte, basierend auf Mate­ Maximal erreicht bei dem hier untersuchten Ma- rial aus Frankreich, angegeben, dass die Männ- terial B. touranginii 48 Fühlerglieder (das Mini- chen von B. touranginii 43 Fühlerglieder hätten mum ist 40), die minimale Zahl bei B. notha be- und jene von B. notha 53, mithin der Unter- trägt 46 (Maximum 56). Bei einem einzigen Falter schied zwischen beiden Arten zehn Fühlerglie- von B. notha (Abb. 9, links) mit stark asymmetri- der betragen würde. Wir stellten bei unserem schen Fühlern beträgt sie sogar nur 42 bei dem umfangreichen Material fest, dass die Anzahl kürzeren der beiden Fühler. Wir vermuten, dass der Fühlerglieder bei beiden Arten variabel ist es sich bei diesem Exemplar um einen Freiland- und bei beiden Arten ungefähr einer Normal- hybriden zwischen B. touranginii und B. notha verteilung unterliegt (Abb. 10). Im Durchschnitt handeln könnte. Auch die oben beschriebenen, pendelt sich die Differenz zwischen beiden relativ seltenen Überlappungen bei der Anzahl Arten auf neun Fühlerglieder ein, wobei sich der Fühlerglieder beider Arten im Diagramm bei unseren Untersuchungen­ mit zunehmen- (Abb. 10) könnten auf Freilandhybridisationen­ de Anzahl untersuchter Fühler diese Differenz zwischen B. touranginii und B. notha hindeuten. von acht (n­Fühler = 107) auf neun (nFühler = 175) Dies bleibt für den Moment allerdings als Hypo­ erhöhte. Beide ­Glockenkurven der Normalver- these stehen, der in Zukunft weiter nachge- teilungen bilden im Bereich von 46-49 Fühler- gangen werden sollte. Alle bislang gefundenen gliedern ­einen Überlappungsbereich, der zwei Falter ließen sich jedoch an Hand ihrer äußeren Fühler (von 64 = 3 %) bei B. touranginii und acht Merkmale eindeutig einer der beiden Arten zu- Fühler (von 102 = 8 %) bei B. notha betrifft. ordnen, auch wenn die Anzahl der Fühlerglieder Herrmann & Trusch: Das Purpurweiden-Jungfernkind am südbadischen Oberrhein 125

Abbildung 13. Im südlichen Abschnitt der Auskiesungsfläche bei Efringen-Kirchen finden sich auf dem stellenweise noch anzutreffenden Kies-Rohboden erste Pionierarten, die die Entwicklung einer Weichholzaue zumindest in Teil- bereichen erkennen lassen. Auf den südwestexponierten Böschungen hingegen hat sich eine xerotherme, lückige Hundsbraunwurzflur eingestellt, welche wärmeliebenden Insektenarten als zukünftiger Lebensraum dienen kann. – Foto: 28.9.2017, R. Herrmann. die Determination ausnahmsweise einmal nicht Fragestellung in den kommenden Jahren nach- unterstützt (Abb. 9, rechts). zugehen. Die Überschwemmungsaue besitzt eine hohe ökologische Wertigkeit. Grundsätzlich wäre es 6 Gefährdung und Schutz von B. touranginii naturschutzfachlich sinnvoll, jene Buhnenfelder, am Oberrhein die von B. touranginii besiedelt sind, zu sichern Für die Rote Liste ist das Purpurweiden-Jung- und vor größeren Eingriffen zu verschonen. Da fernkind von Trusch et al. (2016: 76) in der Ka- der Rhein eine Bundeswasserstraße ist, sollte die tegorie „R“ (extrem selten) für Deutschland so- zuständige Bundesbehörde (WSD Bund) durch wie in der Kategorie „R!“ (reliktäres Vorkommen die Naturschutzverwaltung über die Vorkommen oder isolierter Vorposten, es besteht besondere von B. touranginii informiert und, vor dem Hinter- Verantwortung des Landes) für Baden-Würt­ grund der besonderen Verantwortung des Lan- temberg eingestuft worden. Diese Einstufung des Baden-Württemberg für den Erhalt der Art in bestätigt sich auch im Licht der hier vorgelegten Deutschland, auf die Anforderungen zum Schutz ersten Kartierung im deutschen Verbreitungsge- ihrer Lebensstätten hingewiesen werden. Denn biet der Art. Man kann aber fast mit Sicherheit diese würden z.B. bei Ausbaggerungen, wie sie davon ausgehen, dass die hier dokumentierte auch für das Integrierte Rheinprogramm (IRP) er- Metapopulation­ auch auf der westlichen Rhein- folgen, in ihrem Fortbestand gefährdet sein. seite und darüber hinaus vertreten ist. Es wäre Ein bereits seit 1994 realisiertes Naturschutz- interessant für die französische Faunistik, dieser gebiet, in dem die Art nachgewiesen werden 126 Carolinea 75 (2017)

konnte, ist das NSG Kapellengrien (Kerkhoff Möglichkeit, einen NJ-Tree auf der Basis der COI aus 2010). Die hier vorhandenen Anlandungsflächen ihrem Datensatz im „Barcode of Life Datasystem“ des Restrheins sind in diesem NSG nach unse- (BOLD) durch Dr. Hossein Rajaei (Stuttgart) generieren ren Erkenntnissen das Entwicklungshabitat von zu lassen, dem ebenfalls gedankt sei, und damit ihre unpublizierten DNA-Daten vorab ansehen zu dürfen. B. touranginii, selbst wenn die Untersuchungen Auch danken wir Claude Tautel (Paris) für hilfreiche zu den Biotopansprüchen der Art erst am Anfang E-Mail-Kommunikation sowie Axel Steiner für biogra- stehen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass phische Angaben. Eric ­Drouet (Gap) besorgte die die Buhnenfelder entlang des Restrheins aktuell Übersetzung der französischen Kurzfassung, Stefan das wichtigste Reproduktionshabitat der Art in Scharf (Karlsruhe) bearbeitete die Abbildungen, Dr. unserem Gebiet darstellen (vgl. Kap. 4.1). Jörg-Uwe Meineke und Günter Ebert (Stutensee) lasen Um die Lebensräume von B. touranginii am badi- und diskutierten mit uns das Manuskript – auch ihnen schen Oberrhein zu erhalten, müssen biotopzer- danken wir sehr für die uns gewährte Hilfe. Schließ- störende Eingriffe in den Buhnenfeldern unter- lich sei den zahlreichen Schmetterlingssammlern und bleiben. Dazu zählt, außer den o.g. Bagger- oder Lepidopterologen gedankt, die ihre Beobachtungen für die Faunistik (d.h. die Wissenschaft, die sich mit der Erdarbeiten, beispielsweise auch das Entfernen Verbreitung der Arten in Raum und Zeit beschäftigt) von Weidengebüschen. Aus heutiger Sicht bein- und den Natur- und Artenschutz bereitwillig und oft halten die aktuell von B. touranginii besiedelten selbstlos zur Verfügung stellen. Auch danken wir den Buhnenfelder die letzten Populationen, welche zuständigen Behörden, die unsere faunistische For- für zukünftige Neubesiedelungen der im Rah- schung durch die Erteilung der juristisch notwendigen men des IRP neu geschaffenen Überflutungsflä- Ausnahmegenehmigungen legalisieren. chen in Frage kämen. Ein besonderes Augenmerk sollte auf die im Literatur Rahmen des IRP bereits fertig gestellten, rest­ Bérard, R. (2000): Archiearis tourangini Sand [1880], rheinnahen Auskiesungsflächen gelegt werden, nouvelle espèce distincte d’ Hübner. wie jene bei Kleinkems (Abb. 12, 13). Dort hat – Bulletin mensuel de la Société Linnéenne de Lyon sich in den vergangenen sechs Jahren eine 69(6): 142-144. durch anthropogene Einflüsse geprägte Weich- Berce, J.-É. (1870): Lépidoptères. Faune entomolo- holzaue entwickelt. Sie ist, hervorgerufen durch gique française. Description de tous les papillons natürlichen Sämlingseintrag, von einem Massen- qui se trouvent en France. Quatrième volume: Hé- bestand der Silberweide und einigen Schwarz- térocères Noctuae. Deuxième et dernière partie. – pappel- und Purpurweidebeständen gekenn- 263 S., Taf. 39-46; Paris (Deyrolle Fils). de Lattin, G. (1967) Grundriß der Zoogeographie. – zeichnet (vgl. Thiess et al. 2015). 602 S.; Jena (Gustav Fischer). Eine ähnliche Situation lässt sich im Bereich des Ebert G. (Hrsg.) (1991-2005): Die Schmetterlinge Ba- Hochwasser-Rückhaltebeckens bei Efringen-Kir- den-Württembergs. Bände 1-10. – 5.535 S.; Stuttgart chen feststellen, wo sich ebenso die Entstehung (Eugen Ulmer). einer Weichholzaue beobachten lässt. Ob diese Fritsch, D. (2005a): Der Brombeer-Perlmutterfalter künstlich geschaffenen Überflutungsauen für (Brenthis daphne) – in Baden-Württemberg boden- eine Besiedelung durch B. touranginii in Frage ständig. – In: Ebert G. (Hrsg.): Die Schmetterlinge kommen, werden erst die nächsten Jahre zeigen. Baden-Württembergs. Ergänzungsband 10: 47-48; Stuttgart (Eugen Ulmer). Fritsch, D. (2005b): Weitere Funde von Dysgonia algi- ra im Südwesten Baden-Württembergs. – In: Ebert Dank G. (Hrsg.): Die Schmetterlinge Baden-Württem- Für die Mitarbeit bei der Kartierung der Jungfernkinder bergs. Ergänzungsband 10: 71-73; Stuttgart (Eugen in der Oberrheinebene in den letzten Jahren sagen Ulmer). wir Dankeschön: Joachim Asal (Todtnau-Schlechtnau), Hausmann, A. (2001): Introduction. Archiearinae, Ortho- Hans Dezulian (Waldkirch), Michael Falkenberg (Karls- stixinae, Desmobathrinae, Alsophilinae, Geometri- ruhe), Dr. Jörg-Uwe Meineke (Kippenheim), Manfred nae. – In: Hausmann, A. (ed.): The Geometrid Moths Reusch (Britzingen) und Claudia Widder (Neuenburg of Europe, vol. 1. – 282 S.; Stenstrup (Apollo Books). am Rhein). Besonders danken wir Daniela Warzecha Hausmann, A. (2004): Sterrhinae. – In: Hausmann, A. (Karlsruhe) für den Fang des zweiten in Deutschland (ed.): The Geometrid Moths of Europe, vol. 2. – gefundenen Weibchens. Michael Leipnitz (Stuttgart) 600 S.; Stenstrup (Apollo Books). übermittelte uns die Daten seiner erfolgreichen Jung- Hausmann, A., Godfray, H. C. J., Huemer, P., Mutanen, fernkinder-Zuchten aus den Jahren 2015-2017, dafür M., Rougerie, R., van Nieukerken, E., Ratnasingham, herzlichen Dank. Unser Dank geht auch an Antoine S. & Hebert, P. (2013): Genetic Patterns in European Lévêque (Paris) und Axel Hausmann (München) für die Geometrid Moths Revealed by the Barcode Index Herrmann & Trusch: Das Purpurweiden-Jungfernkind am südbadischen Oberrhein 127

Number (BIN) System. – PLOS ONE 8(12): 1-11; doptera: Geometridae, Archiearinae). – SHILAP Re- e84518. doi.org/10.1371/journal.pone.0084518 vista de Lepidopterologia 30(117): 27-32. Herrmann, R. (2008): Der Karstweißling Pieris mannii Redondo, V. M. & Gastón, F. J. (2004): Catalogus: LE- (Mayer, 1851) erstmals im Breisgau. – Atalanta 39(1- PIDOPTERA: Familia 13. Catálogo de los Geome- 4): 233-234. tridae de Aragón. – Catalogus de la Entomofauna Herrmann, R., Meineke, J.-U. & Schanowski, A. (2000): Aragonesa 30: 3-47. Die Großschmetterlinge (Macrolepidoptera) der Reif, A., Gärtner, S., Zimmermann, R., Späth, V. & Lange, Markgräfler Trockenaue. – In: LfU (Hrsg.): Vom I. (2013): Auenentwicklung am südlichen Oberrhein Wildstrom zur Trockenaue: Natur und Geschichte – „Trockenaue“ und rezente Rheinaue. – Tuexenia der Flusslandschaft am südlichen Oberrhein. – Na- Beiheft 6: 125-169. turschutz Spectrum Themen 92: 461-481; Ubstadt Segerer, A. H. & Hausmann, A. (Hrsg.) (2011): Die ­(Regionalkultur). Großschmetterlinge Deutschlands. The Macrolepi- Kerkhoff, U. (2010): NSG Kapellengrien. – In: Regie- doptera of Germany. – 308 S.; Budapest (Heterocera rungspräsidium Freiburg (Hrsg.): Die Naturschutzge- Press). biete im Regierungsbezirk Freiburg. 3. Auflage: 456- Staudinger, O. & Rebel, H. (1900): Catalog der Lepido- 458; Ostfildern (Thorbecke). pteren des palaearctischen Faunengebiets. 3. Aufla- Koch, M. (1984): Wir bestimmen Schmetterlinge. Be- ge. I. Theil: Famil. Papilionidae-Hepialidae. – 334 S.; arbeitet von Wolfgang Heinicke. Ausgabe in einem Berlin (Friedländer & Sohn). Band, 1. Aufl. – 729 S.; Radebeul (Neumann). Steiner A., Ratzel, U., Fibiger, M. & Top-Jensen, M. Koch, M. (1988): Wir bestimmen Schmetterlinge. Be- (2014): Die Nachtfalter Deutschlands. Ein Feldführer. arbeitet von Wolfgang Heinicke. Ausgabe in einem – 878 S.; Østermarie (Bugbook Publishing). Band, 2. Aufl. – 729 S.; Radebeul (Neumann). Thiess, L., Zimmermann, R. & Reif, A. (2015): Von der Koch, M. (1991): Wir bestimmen Schmetterlinge. Be- „Kieswüste“ zum Auenwald: Gehölzentwicklung auf arbeitet von Wolfgang Heinicke. Ausgabe in einem einer Auskiesungsfläche am südlichen Oberrhein. – Band, 3. Aufl. – 729 S.; Radebeul (Neumann). Mitteilungen des badischen Landesvereins für Na- Leraut, P. (2002): Contribution à l’étude des Archiearis turkunde und Naturschutz, N.F. 21(4): 635-658. Hübner et genres apparentés (Lepidoptera, Geome- Trusch, R., Asal, J., Falkenberg, M., Leipnitz, M., tridae). – Bulletin de la Société entomologique de ­Reusch, M., Widder, C. & J.-U. Meineke (2016): Ent- France 7(4): 349-358. deckung des Purpurweiden-Jungfernkindes Bou- Lévêque, A. & Faucheux, F. (2010): Mise à jour de la ré- dinotiana touranginii (Berce, 1870) in Deutschland partition de Boutinotiana touranginii (Berce, 1870) (Lepidoptera: Geometridae, Archiearinae). – Ento- en région Centre: nouvelles stations pour le Loiret et mologische Zeitschrift 126(2): 66-76. découverte de l’espèce dans le Loir-et-Cher, l’Indre et l’Indre-et-Loire (Lep. Geometridae). – Oreina 8: 17-21. Internetquellen Lévêque, A. (2011): Contribution à la connaissance des Pressearchiv des Staatlichen Museums für Naturkun- premiers états de Boutinotiana touranginii (Berce, de Karlsruhe: „Neuer Schmetterling in Deutschland: 1870), la Bréphine ligérienne (Lep. Geometridae). – Purpurweiden-Jungfernkind“ – www.smnk.de/infor- Oreina 15: 10-14. mation/presse/pressearchiv (Pressemitteilung vom Lévêque, A., Faucheux, F., Fournier, F. & Hervillard, 25.03.2015) ­J.-F. (2006): Redécouverte de Boudinotiana touran- Prpic-Schäper, N. M. (2017): Zoographia Germaniae. ginii (Berce, 1870) en région Centre et présence de – Online publication currently at http://wwwuser. l’espèce en Auvergne (Lepidoptera Geometridae gwdg.de/~nprpic/webrepository. Seite besucht am Archiearinae). – L’Entomologiste 62(5-6): 161-165. 20.11.2017. Ratnasingham, S. & Hebert, P. (2007): BOLD The Bar- SDEI Biographies of the Entomologists of the World. code of Life Data System (www.barcodinglife.org). – http://sdei.senckenberg.de/biographies. Seite be- – Molecular Ecology Notes, doi: 10.1111/j.1471- sucht am 20.11.2017. 8286.2006.01678.x Wikipedia-Eintrag zu Maurice Sand – https:// Redondo, V. M. & Gaston, F. J. (2002): Presencia de Ar- de.wikipedia.org/wiki/Maurice_Sand. Seite besucht chiearis touranginii (Berce, 1870) en España (Lepi- am 20.11.2017 128 Carolinea 75 (2017)