Grizzly Bear
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GRIZZLY BEAR GEMEINSAM STARK Chris Taylor, Daniel Rossen, Christopher FOTO: IGOR MOUKHIN IGOR FOTO: Bear, Ed Droste (v. l.) 60 | Rolling Stone | September 2012 Brooklyns hippe Bärchen Sie sind die Zauberkünstler des Indie-Rock. Sie versöhnen die Beach Boys mit Radiohead. Sie heißen Grizzly Bear und erfinden sich (und die Popmusik) gerade mal wieder neu Text von CHRISTOPH DORNER • Fotos von Barbara ANastacio he Toddies nennen sie Viel fehlt nicht, und die beiden Sauf- sondern auch mit eben jener vogelwil- sich jetzt einfach mal (die brüder rezitieren Bob Dylans rausch- den Betitelung gegen einen Leak im hafte Ballade vom dünnen Mann: „But Internet gesichert. Denn, mal ehrlich, englische Variante eines something is happening here/ And you wer zieht sich einfach so ein Album aus Grog-Getränks). Und ihr don’t know what it is/ Do you, Jim Chi- dem Netz, das „False Salmon“ heißt? co.“ Stattdessen seufzt Rossen plötz- Mit Songs wie „The Ballad Of Jim neues Album „False Sal- lich auf, kneift die Augen zusammen Chico“, „Mango Lassi“ oder „Quantos mon“ (falscher Lachs). und wechselt demonstrativ in eine hö- Tacos“? here Tonlage: „Tja, tatsächlich heißt Grizzly Bear haben seit dem meis- Man könnte meinen, Gi- der Song ‚Sleeping Ute‘ und ist nach terhaften „Veckatimest“ tatsächlich so tarrist Daniel Rossen und einem Gebirge in Colorado benannt. etwas wie einen heiligen Gral zu hü- Bassist Chris Taylor seien Langweilig, oder?“ ten, gelten sie mit ihrer postmoder- Rossen und Taylor gucken nun er- nistischen Synthese aus Radiohead, wahrlich etwas groggy, nüchtert drein wie zwei ehemalige Genesis und den Beach Boys, aus wie sie so rumsitzen und Hogwarts-Schüler, die sich nicht er- Rufus Wrainwright und Phil Spector, klären können, warum ihre alten Zau- aus den Sozialfiguren des Williams- den ersten Songtitel dieses wohl hochprozentigen Band- bersprüche nicht mehr funktioniert ha- burger Hipsters und des Regensbur- projekts erklären - „The Ballad Of Jim Chico“. ben. Immerhin war da eine gemachte ger Domspatzen doch als die neuen TTaylor, glucksend: „Wir waren also in Texas, nahe an der Band aus New York in die texanische Super-Eklektiker des Indie-Rock. Die Wüste gefahren, um nach drei Wochen Band selbst geht mit einem solchen Grenze zu Mexiko. Dort gab es ein spritziges Mineralwasser bei 40 Grad und Buschbränden mit pop-historischen Referenzrahmen namens ‚Topo Chico‘. Aus einer solchen Flasche trinkt man einem Album zurückzukehren. Oder natürlich nicht d’accord. Rossen be- zumindest mit ein paar heißen Songs. zeichnet ihn dann aber doch scherz- einen großen Schluck und füllt sie danach mit Jim Beam auf. But all they got was a lousy drink – so haft als „Van-Dyke-gram“ mit Groß- Dann steckt man eine Limettenscheibe an den Flaschenhals. scheint es zumindest auf den ersten meister Van Dyke Parks als kreativer Das mit der Flasche ist wichtig, es soll ja kein Cocktail sein, Blick. In Wahrheit haben Grizzly Bear Schnittmenge der Band. nach zwei wahrlich bärenstarken Al- Zugleich bilden Ed Droste, Christo- sondern ein billiger Redneck-Drink. Und wir haben ihn er- ben für „Shields“ einen etwas längeren pher Bear, Daniel Rossen und Chris funden.“ Rossen, seinem Habitus nach sonst eher grimmiges Anlauf gebraucht – und dabei so ei- Taylor – mittlerweile alle knapp jen- niges über die Funktionsweise ihrer seits der 30 – auch eine hemdsärmelige Wunderkind mit ständigen Selbstzweifeln, springt ihm mit Band herausgefunden. Quadriga, die sich trotz ihrer individua- der Gestik eines Märchenonkels bei: „Jetzt stell dir dazu einen The Toddies sind natürlich nur eine listischen Songwriting-Talente explizit Schnapsidee. Die Promo-Kopie von als binnendemokratische Schwarm- Cowboy vor, der lässig durch die staubige Prärie reitet. In der „Shields“ wurde nicht nur mit obliga- intelligenz versteht. Den Frontmann, Rechten die Zügel, in der Linken einen eiskalten ‚Jim Chico‘.“ torischem digitalen Wasserzeichen, diesen mythologisch überhöhten, vor- Rolling Stone | September 2012 | 61 GRIZZLY BEAR dersten Bühnenkrieger des Rock’n’Roll, MEISTENS HARMONISCH hat sich der Bandgründer Ed Droste Die etwas andere Boyband, Quartier der schon vor Jahren ausgestopft über nicht ganz ohne Hierarchien das Bett gehängt (Interviews gibt die Kreativen Band deshalb konsequenterweise in zwei Zweiergruppen, die sich unterein- Williamsburg ist ander jeweils einen Tick näher stehen: die Heimat der Droste und Bear, Rossen und Taylor). agilen Indie-Szene Stattdessen postieren sich Grizzly Bear auf der Bühne nahezu auf einer Linie. um Bands wie Wie ein vierköpfiges Vokalensemble The NAtiONAL oder eine – freilich dadurch nicht hie- rarchielose – Boygroup. Nur ihr kna- Williamsburg ist nicht bloß ein benhafter Harmonie-Gesang, der hat Standort, sondern ein Gütesiegel. etwas von einem Surround-System. Trotz der Klagen über die Gen- Auf „Shields“ zelebrieren Grizzly trifizierung in diesem nördlichen Bear nun auch den Tod des Autors, Teil von Brooklyn, trotz des haben sie doch – gänzlich uneitel – Hipster-Bashings, dem sich seine jegliche Form urheberrechtlicher Zu- „Es ist fantastisch, drei Menschen Bewohner (nicht zu Unrecht, wie schreibung aus dem Werk verbannt. ein Gang über die Brick Lane Hinter Bärenmasken verschwinden zu haben, die eine vermeintlich offenbart) ausgesetzt sehen – das Grizzly Bear deshalb noch lange nicht. überkreative Viertel exportiert Die Verwechslungsgefahr wäre bei der grandiose Idee ablehnen und sagen: geschmackssichere Musik. Grizzly anhaltenden Maskenparade im Pop Bear natürlich, Dirty Projectors, wohl auch ziemlich groß. Wie Open- ,Das kannst du noch besser!‘“ The National, The Yeah Yeah Source-Entwickler haben sie die Songs Yeahs, Friends, Sharon van Etten, von „Shields“ als eine Art Quellcode torischen Imperativ sind jedoch längst „Zurück in die Zukunft“. Grizzly Bear Telepathe, Yeasayer, TV On The angelegt, zu dem alle vier Bandmit- unübersehbar – zumal der Aufstieg haben sich schlichtweg noch gar nicht Radio bzw. Dave Sitek (der dort glieder Arrangements, Instrumental- einiger „The“-Bands in den fürstlich weiter in die Gegenwart vorgearbeitet bis 2009 das Stay-Gold-Studio spuren oder Lyrics beisteuern konn- alimentierenden Mainstream insbe- als bis zur Methodik von Kirchenmusik, betrieb – und wegen der zu hohen ten. Das wirkt wie ein Bekenntnis zum sondere in New York bloß noch einen Prokofijew und Sixties-Psychedelik, zu Mieten kündigte). Zeitgeist, wurde auf der TED-Konfe- hemmungslos abkupfernden Under- Paul Simons „Graceland“ und „Owner Zwei, die großen Anteil daran renz (kurz für „Technology, Entertain- ground zurücklässt. Of A Lonely Heart“ von den Artrockern haben, sind die Zwillingsbrüder ment, Design“) doch zuletzt hinauspo- Eine Gegenbewegung formiert sich Yes, die sie beide covern. Aaron und Bryce Dessner von The saunt, Ideen seien der neue Rock’n’Roll. in jener Zeit entlang der traditiona- Bemerkenswert ist, dass sich die Mu- National. Ersterer sieht in den „Unsere Songs wollen kein individu- listischen Formensprache des Folk, sikalität des zweiten Albums, „Yellow Brooklyner Bands das Zentrum elles Statement sein, sondern eher ei- allerdings als exzentrische, hippies- House“, das 2006 vom einmal mehr einer neuen Szene: „Was Arcade ne Gruppenmeditation. Deshalb er- ke Parodie eben jener weißen, linken hellseherisch veranlagten Elektronik- Fire für Montreal geschafft ha- geben Song-Credits auch keinen Sinn, Rootsmusik. Zumindest in den USA Label Warp veröffentlicht wird, be- ben, scheint nun auch in unserem so funktioniert diese Band nicht“, sagt feiern Kritiker die Alben von Joanna reits vervierfacht zu haben scheint. Teil von Brooklyn zu passieren.“ Rossen. Grundlage für einen solch offe- Newsom, Sufjan Stevens, Devendra Aufgenommen im Wohnzimmer von Damit meint Dessner den großen nen Kooperationsstil ist dabei weniger Banhart und Animal Collective wegen Drostes Mutter in Massachusetts, ist Erfolg von The National ebenso ein ausgeklügeltes System aus Checks der eigenwilligen Gesangsästhetik und es bereits eine Koproduktion zweier wie die kreativen Impulse, die sie and Balances als vielmehr: Freund- versponnenen Arrangements sofort als unterschiedlicher Songwriter-Identi- aus einem Loftbüro in Williams- schaft. Und genau dafür war er dann künstlerischen Befreiungsschlag. Da- täten: der eher intuitive Droste trifft auf burg mit ihrem Label Brassland doch gut, der Trip nach Marfa, Texas. vid Keenan hat im britischen Magazin den rationalen Statiker Rossen. Schlag- aussenden. Dort versammeln sich „The Wire“ da bereits den Begriff „New zeuger Bear und Taylor – Multiinstru- spannende Künstler wie Buke & Weird America“ geprägt, dem später mentalist, Produzent – sind da eher die Gase, der Songwriter Doveman auch der Queer-Folk von Antony & The Maschinisten an ihrer Seite. In seiner und die Instrumentalband Clogs Johnsons und CocoRosie zugeschlagen Unentschiedenheit zwischen verlau- um Padma Newsome – der wiede- wird. Das vor sich hin schrubbende, fener elektroakustischer Collage und rum Mitglied der Live-Besetzung knarzende und bimmelnde „Horn Of kammermusikalischer Komposition, von The National ist. Fragt man Plenty“ kann mit dieser Strömung as- zwischen dröhnendem Neo-Folk und Dessner nach der Platte, die Wil- soziiert werden, deutet aber in seinem dunklem Baroque-Pop wird „Yellow liamsburg am besten trifft, nennt Hang zu mehrspurigen Harmonien House“ zu einem Gesellenstück eines er die erste EP der Yeah Yeah auch an, dass es auf lange Sicht mehr intellektuell berechneten Indie-Eklek- Yeahs, die zu großen Teilen in sein will als verrauschter Pro-Tools-