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Nyctalus (N.F.), Berlin 17 (2012), Heft 3-4, S. 306-318

Zum Zustand der Breitflügelfledermaus,Eptesicus serotinus (Schreber, 1774), im Norden von Niedersachsen – Resultate nach 35 Jahren Bestandsaufnahme im Landkreis *

Von Wo l f g a n g Ku r t z e , Stade

Mit 5 Abbildungen

Abstract durch Windkraftanlagen sind ebenfalls anzunehmen. Die vielen antibiotisch wirkenden Faktoren lassen den Schluss Population changes in the Serotine bats, Eptesicus zu, dass E. serotinus innerhalb der „Roten Liste“ zumin- serotinus (Schreber, 1774), in the northern part of dest in die Kategorie 2 (stark gefährdet) aufzunehmen ist. Lower-Saxony – results of 35 years of monitoring in Der Eingliederung der Breitflügelfledermaus unter „V“ the district Stade (Vorwarnliste) in die bundesweite „Rote Liste“ kann nicht ansatzweise zugestimmt werden. The population of Eptesicus serotinus seems to be endan- gered. Probably since 1978 a continuous decline has to Keywords be noticed. Additionally the number of nursery colonies has decreased. The article postulates that the decrease Eptesicus serotinus, northern Lower-Saxony, population, is caused by the synanthrope habits of Serotine bats. population trend, results of 35 years of monitoring, re- Serotine bats live in urban regions and hence damages asons for threats, Red Data Book, new proposal: category and accidents as well as infections by EBLV arise. More 2 (critically endangered) for all of . over thermal insulations of roofs reduce possibilities for nursery colonies. Damages by wind turbines reduce the Eptesicus serotinus, Nordniedersachsen, Bestand, Be- population further on. Since these factors will retain also standsentwicklung, Ergebnis 35-jähriger Untersuchungen, in future, we suggest to classify E. serotinus in the “Red Gefährdungsursachen, Rote Liste, Neuer Vorschlag: Kate- Data Book” – index “2”. gorie 2 (stark gefährdet) für ganz Deutschland.

Zusammenfassung 1 Einleitung Viele Daten zeigen, dass im Landkreis Stade (Nordnieder- sachsen) Breitflügelfledermäuse (Eptesicus serotinus) seit Viele Jahre war die Breitflügelfledermaus 1978 in ihrem Bestand stark abgenommen haben. Im Frei- das bestimmende Faunenelement in Nordnie- land werden deutlich weniger Tiere registriert. Die Anzahl dersachsen. Bestandsaufnahmen von Ha v e k o s t der Wochenstuben ist drastisch eingebrochen. Die Bestände der wenigen Wochenstuben stagnieren oder nehmen stark (1955, 1960) ergeben erste Befunde über Bio- ab. Als Gründe für die erheblichen Einbußen werden Fak- topbindung, Überwinterung und Bestand der toren angenommen, die mit dem synanthropen Verhalten Art. Jedoch wurde schon frühzeitig auf Be- der Art zusammenhängen. Die urbane Angepasstheit lässt standsabnahmen hingewiesen (Ha v e k o s t 1960, viele Verletzungen der Tiere (Haustierbisse, Prellungen, o e r Flughautverletzungen) entstehen, auch die Infektion der R 1979). Diese Entwicklung verstärkte sich Bestände mit EBLV kann damit in Verbindung gebracht deshalb, weil die Breitflügelfledermaus als syn- werden. Durch die starken Isolierungen und Ausbauten anthrope Art auf Siedlungen angewiesen ist, in der Dachgeschosse fehlen Hangplätze besonders für Wo- denen eine hohe Diversität an Struktur und Ar- chenstuben. Die Monotonisierung der Stadtlandschaft und a a g e der enorme Rückgang naturnaher Areale im städtischen tenbestand vorhanden ist (B ø 2001). Weite- Raum reduzieren die Individuenzahl, und es finden sich re Untersuchungen gaben Anlass zur Hypothese, immer weniger geeignete Habitate. Erhebliche Verluste dass massive Veränderungen in der ökologischen

* Diese Arbeit ist Kl a u s El m e n d o r f († 2004), Re i n h a r d Sc h ö n h o ff († 2003) und Wi e n k e Th u r a u gewidmet. Kl a u s El m e n d o r f und Re i n h a r d Sc h ö n h o ff waren Gründungsmitglieder der ÖFLAG. Ihre unermüdliche Arbeit für den Fledermausschutz und Artenschutz im Landkreis Stade war und ist uns bis heute Vorbild. Wi e n k e Th u - r a u pflegte 25 Jahre lang Fledermäuse. Sie verzichtete in dieser Zeit auf Schlaf, Urlaub und Freizeit, war immer für „ihre“ Fledermäuse da. Ihre vielfältige Erfahrung teilt sie bis heute anderen Fledermauskundigen mit. W. Ku r t z e : Zum Zustand der Breitflügelfledermaus im Norden von Niedersachsen 307

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Abb. 1. Im Monat Mai fliegende Breitflügelfledermäuse (Eptesicus serotinus) im südlichen Bereich der Stadt Stade (Zentrum der Ortschaft Hagen) von 1991-2012. Daten von 1994-1998 sowie 2002-2008 sind unsicher, 2012 war kein Artvertreter zu beobachten. Verändert nach Ku r t z e (2012).

Struktur der Dörfer und Städte zur Abnahme fig einen mit größeren Bäumen bestandenen führten (Ku r t z e 1991, 2012). Es stellt sich nun- Ortskern, in dem sich vielfach Altbauten be- mehr die Frage, ob anthropogene Ursachen für finden. Die Stader Geest ist im Vergleich zum den Rückgang entscheidend sind oder ob mehr Marschenbereich reicher an Waldbeständen biogene Faktoren die Population wesentlich be- und weist vielfach Alleen und Baumgruppen einflussen (We i s h a a r 1995, Ba a g ø e 2001). auf. Auffallend sind hier die zahlreichen ein- zeln stehenden Eichen und Eichenhaine, die 2 Beschreibung des vielen Dorfzentren noch einen prägenden Cha- Untersuchungsgebietes rakter verleihen.

Der Landkreis Stade umfasst eine Fläche 3 Methode von 1266 km2. Er wird im Norden von der Elbe, im Westen vom Fluss Oste begrenzt. Alle Daten beziehen sich – wenn nicht anders Östlich schließt sich die Region von Harburg vermerkt – auf fliegende Tiere, die mit dem an, im Süden der Landkreis Rotenburg. Eine Einsetzen der Dunkelheit 15 min lang beobach- große Fläche wird von Altmoränen-Böden ein- tet wurden (Abb. 1). Da Breitflügelfledermäuse genommen (Rote-Liste-Region und Naturraum bald nach Sonnenuntergang ausfliegen und der „Stader Geest“). Im Norden und Westen ist der Ausflug nach etwa 45 min abgeschlossen ist Kreis Stade durch Moor- und Marschland- (De g n 1983, Ku r t z e 1982), sind bei genügender schaften geprägt. Der Landkreis ist wegen der Stichprobenzahl derartige Kontrollen ausrei- ausgedehnten Marschenbereiche mit ca. 8700 chend. Zusätzlich wurden Detektor-Nachweise ha Waldfläche (6,8 %) relativ waldarm (Land herangezogen. Die Bestandsaufnahme im Dorf Niedersachsen gesamt: 24 %). Die Dörfer im Bargstedt (1978, 1988, 2012) erfolgte unter Bereich der Altmoränen (Geest) besitzen häu- gleichen Bedingungen: Es wurden in allen 308 W. Ku r t z e : Zum Zustand der Breitflügelfledermaus im Norden von Niedersachsen

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Abb. 2. Entwicklung eines Wochenstuben-Bestandes der Breitflügelfledermaus (E. serotinus) in (Landkreis Stade) von 1990-2012. Zählungen jeweils vor der Geburt der Jungen im Juni.

Jahren die in der Dämmerung sichtbaren Tiere meinschaft“ (ÖfLAG). In den Jahren 2004, gezählt. Zusätzlich werden Resultate einbezo- 2007, 2010 und 2011 wurden uns die Daten von gen, die mit Hilfe des bat-loggers (Fa. elecon) der Familie des Hausbesitzers, Herrn Me h m e d ermittelt wurden. Öz k ö k , übermittelt. Die Wochenstuben (Abb. 2) konnten mit Hilfe von Fragebögen und Aufrufen in der 4 Ergebnisse heimischen Presse ermittelt werden. Die Zäh- lungen erfolgten jeweils im Juni vor der Ge- 4.1 Beobachtung von Einzeltieren burt der Jungen. Die Daten sind jedoch mit geringen Unsicherheiten behaftet. Während Von 1978-2012 wurden im Landkreis Stade des Ausflugs aus dem Dachbereich nutzen die (Gemeinde Bargstedt, Samtgemeinde Harse- Weibchen nicht immer die gleichen Öffnun- feld) acht Hangplätze und deren Biotope im gen. Besonders nach Tagen mit sehr hohen Umkreis von 200 m intensiv untersucht. An Temperaturen verteilen sich die Tiere über den allen Hangplätzen ist ein signifikanter Rück- gesamten Dachraum und suchen stets neue gang zu verzeichnen (Tab. 1). Die drastische Ausflug-Möglichkeiten. Gelegentlich kehren Abnahme der beobachteten Tiere erfolgte zwi- sie nach der Nahrungsaufnahme schnell zum schen 1978 und 1988. Seit dieser Zeit pendelt Säugen der Jungtiere zurück. So können man- sich die Population auf ein niedriges Niveau che Individuen während der Zählung nicht ein, auf dem sie bis 2012 bleibt. Sie hat somit bemerkt werden. Da die Fehler ähnlich sind, 2012 etwa 6 % des Ausgangswertes von 1978 können sich über den langen Zeitraum hinweg erreicht. die Daten nur unwesentlich verändern. Die An- Eine analoge Entwicklung zeichnet sich im gaben in Abb. 2 stammen von Mitgliedern der Rahmen kontinuierlich durchgeführter Beob- „Ökologisch-fledermauskundlichen Arbeitsge- achtungen in der Nähe der Stadt Stade ab. Hier W. Ku r t z e : Zum Zustand der Breitflügelfledermaus im Norden von Niedersachsen 309 wurden immer im Monat Juni alljährlich die ab- Tabelle 1. Anzahl fliegender Breitflügelfleder- fliegenden Tiere gezählt. Die Zählungen began- mäuse im Bereich unterschiedlicher Habitate im südlichen Teil des Landkreises Stade (Bargstedt nen erst ab 1990. Hier wird sichtbar, dass nach bis ). dem Jahr 2000 drastische Abnahmen erfolgen. Hangplatz / Habitat 1978 1988 2012 4.2 Anzahl der Wochenstuben Brest, Kirchbülten 6 0 - Brest, Zentrum 20 0 - Zwischen 1977 und 2012 ließen sich 15 Wo- Bargstedt, Heckenweg 5 2 2 Bargstedt, Hanfberg 12 2 0 chenstuben ermitteln. Sie befinden sich sämt- Bargstedt, Kirche 8 0 0 lich auf der Stader Geest oder am Geestrand Stühkamp 8 0 - (Abb. 3). Viele Wochenstuben brechen bis zum Ohrensen, Walkmühle 5 0 0 Jahr 2000 zusammen und werden danach nicht Klein Hollenbeck 4 0 - mehr aufgesucht. Zugleich erfolgen vielfach Dachausbau und hermetische Abdichtungen durch Isolierungsmaßnahmen und Verschmie- rung der Dachziegel (Tab. 2; 6 von 10 Wochen- Massive Veränderungen der umgebenden Ha- stuben). Bei 3 Wochenstuben war die Ursache bitate wie Umwandlung der Wiesen in Mais- der Nichtbesetzung nicht genau auszumachen. flächen, Fällung größerer Baumbestände oder

Abb. 3. Verteilung der Breitflügelfledermaus-Wochenstuben im Landkreis Stade. Gelb: erloschene Wochenstu- ben seit 1985. Rot: aktuelle Wochenstuben. Erfassung: K. El m e n d o r f , U. Ke l m , W. Ku r t z e , R. Sc h ö n h o ff . 310 W. Ku r t z e : Zum Zustand der Breitflügelfledermaus im Norden von Niedersachsen Beseitigung von Gehölz-Bereichen konnten im- Stade (Abb. 3, B). Das Haus ist intensiv began- mer festgestellt werden (sehr deutlich: Standor- gen und von Straßenverkehr und Verlärmung te 8, 9). Lediglich die größeren Wochenstuben beeinflusst. Lediglich sehr gering ausgeprägtes in Horneburg und nahe haben bis Splittergrün mit wenigen Gehölzen umgibt das heute Bestand. In den letzten Jahren wurden Haus. Die Wochenstube besteht nach Auskunft durch Mithilfe des Landkreises Stade und auf- der Anwohner mindestens seit dem Jahr 1975. grund eines Flyers (2012) zwei Wochenstuben In Zusammenhang mit Verkauf und Umbau neu entdeckt. des Wohnhauses wurden wir auf deren Beste- hen aufmerksam. Nur mit sehr großem Auf- 4.3 Entwicklung eines wand konnte die Wochenstube gerettet werden. Wochenstuben-Bestandes Gemeinsam gelang es dem Amt für Ökologie (heute NLWKN, Hannover), der ÖFLAG und Die Wochenstube befindet sich inmitten des dem Naturschutzamt des Landkreises Stade Ortes Horneburg im Norden des Landkreises den Käufer davon zu überzeugen, den Dach-

Tabelle 2. Zustand und Entwicklung der Breitflügelfledermaus-Wochenstuben im Landkreis Stade.

Ort der Wochenstube Kurzbeschreibung, Zeitraum der Beobachtung, Veränderung/Störung Anzahl (A) Dachbereich zwischen 2011-2012 (ca. 20) Isoliermaterial Horneburg (B) freier Dachraum 1990 (74), stetige Abnahme bis 2012 (22) Buxtehude (C) freier Dachraum ab 1977, gleichbleibend (ca. 30) Himmelpforten (1) freier Dachraum, 1980 1979 (ca. 35) bis 1980 Dachausbau Düdenbüttel (2) freier Dachraum, 1980 (ca. 20) bis 1982 Dachausbau 1982 Stade-Hagen (3) freier Dachraum, 1990 (ca. 15) bis 1995 Baumaßnahmen (ca. 12) (4) freier Dachraum, Dach- 1980 (ca. 20) bis 1983, bis Isolierung u. Brand (1983) 2012 episodisch besetzt Stade-Hagen (5) freier Dachraum, Bau- 1980 (ca. 10) bis 1985 maßnahmen im Schornstein- bereich 1984 Elm (6) Dach-Abseite, 1982-1985 Störungen Mulsum (7) freier Dachraum, 1978-1986? Störungen u. Baumaßnahmen Bargstedt- freier Dachraum, 1960 (ca. 35) bis 1989 (8) Frankenmoor (8) Störung unklar Bargstedt (9) freier Dachraum, 1977 (ca. 25) bis 1985 Störung unklar (ca. 12) Bargstedt-Ortsteil freier Dachraum, 1983 (25) bis 1989 Knüll (10) Dachausbau (1989) Harsefeld-Zentrum freier Dachraum, Verfugung 1980 (ca. 40) bis 1985 (11) der Dachziegel (12) Rollladen-Kasten nur 2011 genutzt W. Ku r t z e : Zum Zustand der Breitflügelfledermaus im Norden von Niedersachsen 311 boden weiterhin für die Breitflügelfledermäu- auf. Diese Hangplätze sind in Bezug auf ihre se frei zu halten. Seit 1989 beobachten wir die Individuenzahl wenig spektakulär. Entwicklung der Wochenstube, die bis heute von Breitflügelfledermäusen aufgesucht wird. Durch umfangreiche Begehungen der Dach- Das ursprüngliche Vorkommen wurde von böden nach dem Ausfliegen der Tiere (Tab. 2, Nachbarn mit ca. 100 Tieren (1975) geschätzt. mehrfache Kontrollen in B, C, 3, 7, 8, 11) zei- Der ab 1989 gesicherte Bestand von 74 Weib- gen die Kotmengen, welche Präferenzen in Be- chen wird seitdem nicht mehr erreicht, obwohl zug auf den Hangplatz bestehen. Die Weibchen eine Störung während Geburt und Aufzucht der beziehen innerhalb des Dachraums immer den Jungen ausgeschlossen ist. Ein drastischer Ein- Schornsteinbereich. Andere Angebote wie z. bruch erfolgte um das Jahr 2000, von dem sich B. zwischen den Dachlatten angebrachte Ni- die Population nicht mehr erholte. Eine stetige schen oder Kanzeln und Höhlen innerhalb des Abnahme des Wochenstuben-Bestandes kann Dachraumes (Tab. 2: Versuche in B) werden festgestellt werden (Abb. 2). ausnahmslos gemieden.

4.4 Struktur und Zustand der 4.5 Verletzungen Wochenstuben Zwischen den Jahren 1984 und 2008 pflegte Zwischen 1978 und 2012 wird der Zustand Frau Wi e n k e Th u r a u in Buxtehude 367 Fle- von 15 Wochenstuben registriert (Tab. 2). Die dermäuse. Die ihr übergebenen Tiere stamm- meisten Wochenstuben befinden sich im Be- ten mit mehr als 90 % aus dem Landkreis reich von frei zugänglichen Dachböden, in Stade. Darunter waren auffallend viele „Haus- denen Weibchen und Jungtiere die Möglich- fledermäuse“, unter ihnen zu etwa 65 % Zwerg- keit zum Aufsuchen von ihnen präferierten und Breitflügelfledermäuse. Zwergfledermäuse Temperaturbereichen haben. Hier können die überwiegen mit 177 Pfleglingen. Die Breitflü- Fledermäuse je nach Witterung extremen Mit- gelfledermaus tritt als subdominante Art auf, tagstemperaturen oder großer Kälte auswei- 59 Tiere mussten versorgt werden (Abb. 4). Un- chen. Sie bilden bei niedrigen Temperaturen ter diesen 59 Breitflügelfledermäusen befanden im Dachbereich Cluster oder suchen vereinzelt sich 34 adulte Männchen und 18 Weibchen so- Hangplätze mit entsprechenden Temperaturop- wie 7 männliche Jungtiere. Juvenile Weibchen tima auf (Ku r t z e 1991, We i d n e r 1995, Ba a g øe wurden nie in die Pflegestation gebracht. Die 2001). Frühzeitig geht eine Reihe derartiger Verletzungen sind unterschiedlich. Vielfach Dachböden und dort angesiedelter Wochen- versorgte W. Th u r a u in der Pflegestation unter- stuben verloren. Wenn die Zahl von 8-12 In- ernährte und schwache Tiere (24 Individuen). dividuen erreicht wird, ist der Hangplatz nicht Noch häufiger sind schwere Verletzungen wie mehr attraktiv und wird verlassen. Der Ausbau Flughauteinrisse, Prellungen, Brüche, Quet- der Dachböden und deren Versiegelung sind schungen, Bisse und Verbrennungen mit insge- die Hauptursache (Tab. 2). In drei Fällen ist samt 31 Fällen (Abb. 5). die Aufgabe der Wochenstuben nicht genau zu klären. Nachdem wir eine Zeitlang keine Zum Vergleich sollen die Daten von Pipi- neuen Wochenstuben entdeckt hatten, wurden strellus nathusii, einer „Waldfledermaus“, dar- uns 2011 zwei neue Hangplätze gemeldet. Die gestellt werden. Unter den 42 Tieren befanden Tiere hielten sich in uns vorher nicht bekannten sich 35 Weibchen, die vielfach tragend waren Bereichen auf. Als Wochenstuben wurden uns oder zusammen mit den Jungtieren zur Pflege enge Hangplätze zwischen Dach-Dockenpappe bei Frau W. Th u r a u gebracht wurden. Die Be- und Mineralwolle sowie in einem Rollladen- einträchtigungen und Verletzungen waren im kasten gezeigt. Die flugunfähigen Jungtiere Gegensatz zur Breitflügelfledermaus anderer verließen im Juli während der Mittagszeit und Art. Vielfach wurden Anomalien und Schäden bei großer Hitze den Dachbodenbereich und an Nägeln und Knochen festgestellt. Befall mit hielten sich außerhalb der üblichen Hangplätze Ektoparasiten trat in sehr großer Zahl auf; die 312 W. Ku r t z e : Zum Zustand der Breitflügelfledermaus im Norden von Niedersachsen

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Abb. 4. Anzahl der Pfleglinge in der Pflegestation von W. Th u r a u von 1984-2008. „Rest“: je ein Individuum der Zweifarbfledermaus (Vespertilio murinus), der Bechsteinfledermaus (Myotis bechsteinii), des Kleinabendseglers (Nyctalus leisleri) und von drei Fransenfledermäusen (Myotis nattereri).

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Abb. 5. Verletzungen und Symptome der in die Pflegestation von W. Th u r a u eingebrachten Breitflügelfledermäu- se (E. serotinus) von 1984-2008. W. Ku r t z e : Zum Zustand der Breitflügelfledermaus im Norden von Niedersachsen 313 Jungtiere waren sämtlich parasitiert. Offene in den von der ÖFLAG seit 1978 betreuten und Wunden, Flughauteinrisse und Brandverlet- jährlich kontrollierten Kästen (ca. 540 Stk.) zungen konnte W. Th u r a u nicht registrieren. Breitflügelfledermäuse gefunden werden. Der Prozentsatz schwacher Tiere war aber ähn- lich wie bei E. serotinus. Männliche Breitflügelfledermäuse finden noch ausreichend Hangplätze. Trotz Versie- 5 Diskussion gelungen, dickerer Steinwoll-Isolierungen im Dachbereich oder zusätzlicher Fassaden-Iso- 5.1 Zustand und Entwicklung der lierungen finden sie zum Schlafen Spalten oder Population Öffnungen in Jalousiekästen, unter Dachzie- geln oder in Holzstapeln. Im Überblick ergibt sich in jeder Hinsicht ein problematisches Bild. Die früher häufige Die Wochenstuben befinden sich im Land- Art (E. serotinus wurde in Nordniedersachsen kreis Stade stets im Bereich von Dachböden. früher als „Dorffledermaus“ bezeichnet) zeigt Fast identische Angaben macht Pe l z (2002) in allen Befunden deutliche Tendenzen expo- für das Land Brandenburg. Zum Schutz vor nentieller Abnahme. Die Anzahl der Wochen- Schleiereule, Hauskatze und Steinmarder pfle- stuben nimmt von 1977-2012 ab. Auffällig ist, gen und säugen die Weibchen ihre Jungen im dass die zu Beginn der Bestandsaufnahmen Bereich der Firstregion eines Daches. Doch relativ häufigen und flächendeckend verteil- derartig ausgeprägte Dachböden sind rar, zu- ten Wochenstuben besonders in den 1980er mal in den letzten Jahren Dachbereiche durch Jahren drastisch abnehmen. Von vor dem Jahr Isolierungen versiegelt und verschlossen wur- 2000 besetzten 15 Wochenstuben werden heu- den (Ku r t z e 2012). Tab. 2 belegt, dass mehr- te lediglich drei beflogen und sind produktiv. fach Dachböden ausgebaut wurden (7 von 12, Davon sind nur zwei Wochenstuben auf nied- d. h. 58 %) und in Folge dessen nicht mehr zur rigem Niveau als stabil zu bezeichnen. Die kri- Aufzucht der Jungen genutzt werden konnten tische Zahl von weniger als zehn Weibchen pro (s. auch Pe l z 2002). Alternative Hangplätze Wochenstube könnte auch innerhalb der Hor- werden wohl genutzt (Tab. 2), doch es erscheint neburger Wochenstube bald erreicht werden. fragwürdig, ob in Bezug auf die Ansprüche der Die Anzahl im Flug beobachteter Tiere nimmt Weibchen und deren Jungtiere solche Hang- im Verlauf mehrerer langjähriger Stichproben plätze den Fortbestand der Art sichern kön- ebenfalls deutlich ab. Die Befunde verletzter nen. Das Verhalten der Tiere deutet an, dass und schwacher Tiere weisen nach, dass schwe- das Aufsuchen der Temperatur-Optima z. B. in re Verletzungen bei dieser Art häufig registriert Rollladen-Kästen oder zwischen Isolierungen werden können. Schwierigkeiten bereitet, so dass die Hangplät- ze vorübergehend verlassen werden. 5.2 Bewertung der anthropogenen Es entstehen zusätzliche Barrieren, wenn Faktoren die Lücken zwischen den Dachziegeln verfugt 5.2.1 Gebäudestrukturen werden und damit Möglichkeiten zum Ein- und Ausfliegen fehlen. Auch diese Situation E. serotinus ist extrem an den Siedlungsbe- lässt sich an einem Beispiel belegen (Tab. 2, reich des Menschen gebunden. Sie verhält sich Kolonie 11). Sämtliche Neubauten bieten oh- im Sinne der Definition von Ti s c h l e r (1980) nehin keine Möglichkeiten zur Entwicklung synanthrop. Die Individuen dieser Art nutzen einer Wochenstube, weil Bauvorschriften eine in der Regel Schlaf- und Hangplätze im Bereich hermetische Trennung von Außenwelt und In- von Gebäuden (Ko w a l s k i & Le s i ń s k i 1995, nenraum vorschreiben. Im Bereich von Neu- We i d n e r 1995). Nur in Ausnahmefällen nutzen bau-Siedlungen lassen sich deshalb Breitflügel- die Tiere Hangplätze außerhalb von Siedlun- fledermäuse kaum nachweisen (exemplarische gen (Eb b i n g h a u s et al. 2012). Niemals konnten Belege s. Ku r t z e 2012), stabile Wochenstuben 314 W. Ku r t z e : Zum Zustand der Breitflügelfledermaus im Norden von Niedersachsen sind schon gar nicht zu erwarten. Deshalb ge (Ku r t z e 2012), in deren Verlauf Inselbiotope ist nicht überraschend, dass Wi e r m a n n et al. aufgesucht wurden. Die Nahrungssuche unter- (1995) in keine Wochenstuben nach- bleibt (Eb b i n g h a u s et al. 2012). Dieses Phä- weisen konnten. nomen zeigt, dass durch die Vermaisung der Landschaft die Population wenig Nahrung fin- 5.2.2 Habitat-Veränderungen det. Im Landkreis Stade ist inzwischen (2012) etwa 50 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche Im Umfeld der Hangplätze sind Nahrungsha- mit Maisschlägen belegt. bitate von Bedeutung (De g n 1983). Je geringer die Distanz zum Nahrungshabitat, desto güns- 5.2.3 Störungen im Bereich der tiger fällt für die Tiere die Energiebilanz aus. Quartiere Es überrascht, dass im Bereich der Wochen- stube in Horneburg (vgl. Abb. 3, Tab. 2, B) der Bei massiven Störungen reagieren Wochen- zum Nahrungserwerb geeignete Bereich etwa stubengesellschaften mit Flucht (Tab. 2, Stand- 300 m entfernt liegt. Dies belegen visuelle und ort 6). Allerdings wird auf manche Eingriffe Detektor-bezogene Beobachtungen (Sc h ö n h o ff erstaunlich flexibel reagiert. Eine Dachdeckung & El m e n d o r f mündl., Ke l m mündl. Mitt.). Der in den Sommermonaten und während der Auf- Befund macht deutlich, dass traditionelle Bin- zucht der Jungtiere kann dann toleriert werden, dungen gegenüber vielfältigen antibiotischen wenn die Jungtiere schon älter sind und diese Faktoren (Verlärmung, Isolation, Nahrungs- mit den Müttern unter den belassenen Ziegel- mangel im Umfeld, Gefahr von Kollisionen) flächen bleiben können (Tab. 2, Kolonie 8). überwiegen, dass der über lange Zeiträume ge- Bedeutsam scheint zu sein, die neue Deckung nutzte Wochenstuben-Platz beibehalten wird. nicht ganzflächig, sondern nur partiell erfolgen zu lassen und eine Zeitlang Ruhezonen unter Der Beflug von Flächen, die zum Beutefang dem Dach anzubieten (Mö l l e r , mündl. Mitt.). genutzt werden können, wird dann eingestellt, Die inzwischen verbliebenen und langfristig wenn ein Erwerb von Nahrung aussichtslos anscheinend sicheren Wochenstuben befinden erscheint. So werden ökologisch wertlose Are- sich auf Dachböden, die nicht begangen wer- ale innerhalb der Stadt gemieden (Ra h m e l et den, hermetisch verschlossen sind und vor an- al. 1995, Ku r t z e 2012). Im Bereich invasiver thropogen bedingten Störungen absolut sicher und nicht heimischer Gehölze (z. B. Platanen, sind (Tab. 2, Standort B, C). Amerikanische Spitzeichen) suchen die Tiere nicht oder kaum nach Nahrung (Ku r t z e 1988). 5.2.4 Windparks Andererseits wird in den Habitaten intensiv gejagt, die in großen Mengen Nahrung anbie- Systematische und auf diese Region bezoge- ten. Eichenhaine und solitäre Eichen z. B. sind ne Untersuchungen fehlen. Allerdings wird in Areale, die bevorzugt zum Nahrungsflug auf- der Literatur vielfach nachgewiesen, dass sich gesucht werden (Ku r t z e 1988, 1991). unter den Totfunden Breitflügelfledermäuse befinden (z. B. Dü r r 2002, Pi e l a 2010). Als Ob die Aufgabe der Wochenstuben mit Ha- Kurzstreckenzieher ist E. serotinus nicht so bitat-Veränderungen korreliert, kann nicht be- extrem gefährdet wie Nyctalus noctula oder antwortet werden. Bei 6 von 12 Wochenstuben Pipistrellus nathusii. Günstig ist es, dass Breit- ging deren Verlust bzw. Abnahme der Indivi- flügelfledermäuse keine ausgeprägten Wip- duen mit einer Veränderung der Habitatstruk- felflieger sind. Flughöhen zwischen drei und tur einher. Die Aussage ist wenig erhellend, da 15 m werden präferiert. Diese Eigenschaft lässt in den meisten Dörfern und deren naturnahen dennoch auch diese Art zu Opfern der Rotoren Arealen problematische Veränderungen wie von Windkraftanlagen (WKAs) werden (Pi e- Vermaisung oder Abholzungen massiv um sich l a 2010). Die bundesweit angelegte Datenbank griffen. Die Nutzung landwirtschaftlich extrem macht deutlich, dass E. serotinus unter den Op- überformter Biotope erfolgt nur durch Überflü- fern zwar als subdominant eingestuft werden W. Ku r t z e : Zum Zustand der Breitflügelfledermaus im Norden von Niedersachsen 315 muss, dass aber die Verlustrate dazu beiträgt, häufig von Endoparasiten befallen sind, und die Population deutlich zu minimieren. Die- weisen nach, dass große Arten wie die Breitflü- se Todesursache muss deshalb berücksichtigt gelfledermaus eine höhere Befallsrate aufwei- werden, weil im Landkreis Stade besonders sen. Der vergleichsweise hohe Wert an Tieren, viele WKAs stationiert sind, die vielfach in der die durch Ektoparasiten geschwächt sind, fällt Nähe von Siedlungen stehen. Heute laufen in 14 auf (Abb. 5). Diese Phänomene erklären die WKAs 220 Rotoren (Stand 06.12.2012). Aller- gleichen Autoren damit, dass E. serotinus häu- dings ist der Tod von Breitflügelfledermäusen fig mit Haustieren in Kontakt steht. durch Rotoren nicht allein der Faktor, um die langfristigen Einbußen innerhalb der Populati- Virologische Untersuchungen bestätigen, on zu erklären, weil eine Zunahme der WKAs dass Lyssaviren (European Bat Lyssavirus, etwa ab dem Jahr 2000 erfolgte. EBLV 1a, 1b) besonders häufig unter E. sero- tinus auftreten. Die Virusinfektion muss nicht 5.2.5 Überwinterungsplätze letal ausfallen, sie vermag auch still und unent- deckt innerhalb der Population zu grassieren. Vereinzelt konnten Breitflügelfledermäuse Die Tiere verhalten sich dann nicht auffällig. während ihrer Überwinterung gefunden wer- Th u r a u (mündl.) bestätigt dies indirekt, denn den. Der Autor sah in einem Kirchenschiff in sie wurde von 1984-2008 von keiner Breitflü- Stade mehrfach Breitflügelfledermäuse fliegen. gelfledermaus gebissen. Mü l l e r (2011) hebt Es muss in solchen Fällen davon ausgegangen ebenfalls hervor, dass E. serotinus ein ent- werden, dass die Tiere aus der Kirche kei- scheidendes Reservoir für EBLV in Europa ne Ausflugmöglichkeiten finden und sterben. darstellt. Der Absturz der Population von 1978 Mehrfach wurden auch im Winter umherflie- bis zum Jahr 2000 könnte andeuten, dass sich gende Breitflügelfledermäuse in einem Kino bei der bis dahin starken Population das Virus (Harsefeld) gefunden. Die Einzelfunde machen gut ausbreiten konnte. deutlich, dass die Überwinterung in der Regel in Verstecken innerhalb von Gebäuden erfolg- Abb. 5 weist nach, dass Breitflügelfledermäu- te (Ku r t z e 1991). Auch berichten Be r g (2009) se häufig schwere Verletzungen wie Flughaut- und Ha e n s e l (1982, 1989), dass Breitflügelfle- einrisse, offene Wunden, Bisse oder Prellungen dermäuse trockene Verstecke aufsuchen und aufweisen. Im Vergleich zu anderen Arten ist im Gegensatz zu vielen anderen Arten im Win- E. serotinus davon häufiger betroffen. Auch ter feuchte Keller oder Höhlen meiden. Prob- dieser Befund lässt die Deutung zu, dass eine lematisch erscheint, dass sich die Tiere dabei synanthrope Art weitaus mehr räuberischen verfliegen können oder nicht mehr aus dem Haustieren ausgesetzt ist. Ähnliche Angaben Versteck herausfinden. Die Beobachtung von liefert auch Be r g (2009). Die Kollisionsge- Be r g (2009), nach der im Frühjahr mehrfach fahr ist im Siedlungsbereich ebenfalls höher stark verletzte Individuen aufgefunden werden, (Ba a g øe 2001, Ra c k o w & Sc h l e g e l 1994). scheint den Sachverhalt zu bestätigen. Eine ähnliche Tendenz zeichnet sich innerhalb der Schließlich ist anzumerken, dass Breitflü- Befunde in der Pflegestation von M. Th u r a u gelfledermäuse aufgrund der synanthropen ab, obwohl die Pfleglinge am häufigsten zur Bindung besonders intensiv Schwermetalle Zeit der Jungenaufzucht gebracht wurden. und andere Summationsgifte speichern können (Ha r t m a n n 2003). So ließe sich auch deuten, 5.3 Bewertung der biogenen weshalb so viele schwache Individuen (Abb. 5) Faktoren gepflegt werden mussten.

5.3.1 Krankheiten und Verletzungen 5.3.2 Verfügbarkeit der Nahrung

Mü h l d o r f e r et al. (2011) zeigen im Über- Das Vorkommen der Breitflügelfledermaus ist blick, dass Breitflügelfledermäuse besonders an einen reichhaltigen Insektenbestand gebun- 316 W. Ku r t z e : Zum Zustand der Breitflügelfledermaus im Norden von Niedersachsen den (Ku r t z e 1991, 2012, Be i l s t e i n 1994). Aber von der Außenwelt dazu führen, dass Breitflü- die Entomofauna hat sich im Siedlungsbereich gelfledermäuse keine Hangplätze und Räume des Menschen in qualitativer und quantitativer für Wochenstuben finden. Zählungen der Indi- Hinsicht erheblich geändert. Im Überblick und viduen innerhalb der bestehenden Wochenstu- mit vielen Beispielen aus dem Grünlandbereich ben und im Freiland deuten darauf hin, dass macht dies Hi l d e b r a n d t (1995) sehr deutlich. eine synanthrope Art wie E. serotinus unter den Er verweist auf qualitative Veränderungen. Flä- Veränderungen des sie umgebenden Ökosys- chenverbrauch und Versiegelungen ließen den tems zu leiden hat. Eingriffe wie z. B. vermehrt Bestand an Insekten auch qualitativ massiv zu- auftretende Monokulturen und Versteppung rückgehen. Auf solche Verluste reagiert die Art der Agrarlandschaft beeinflussen E. seroti- empfindlich (Ku r t z e 1991, 2012). Der Umstel- nus schon ab den 1980er Jahren im Landkreis lung der Rinderhaltung von der Beweidung im Stade. Die Art der Verletzungen sowie Todes- Freiland hin zur Haltung in Laufställen folgte ursachen zeigen, dass die stark an Siedlungen eine völlige Veränderung der landwirtschaft- gebundene Population durch Kollisionen oder lichen Nutzflächen. Statt artenreicher Wiesen Haustier-Bissen geschwächt wird. Negative entstanden Maisschläge oder Flächen mit ein- Einflüsse wirken sich aus durch eine weitere gesätem Silo-Schnittgras. Die von E. serotinus ökologische Entwertung der Stadtlandschaft, bejagten und gefressenen Käfer wie Aphodius in deren Verlauf Versiegelungen und Eliminie- ssp. (Dungkäfer) oder Geotrupes spp. (Mist- rungen des Insektenbestandes entstanden. Die käfer) wurden rar (zur Nahrungs-Präferenz s. Infizierungen mit dem ELBV-Virus schwächen Ro b i n s o n & St e b b i n g s 1993). Auf derartigen die Bestände ebenfalls. Der starke Rückgang Flächen lebten auch die häufig gejagten Noc- bis etwa zum Jahr 2000 könnte dadurch erklärt tuiden (Ku r t z e 1988, La b e s 1991). Auf diese werden. Der negative Einfluss von WKAs er- Entwicklung wies auch He y d e m a n n (1983) hin. fasst die Population später und trägt zur weite- Die Situation hat sich weiter verschärft, viele ren Ausdünnung bei. Es ist abzusehen, dass die Hoffnungen durch Vertrags-Naturschutz oder Population weiter geschwächt wird, weil in den Sonderprogramme erfüllten sich nicht (Ko e - nächsten Jahren noch mehr WKAs entstehen n i e s et al. 2005). Im Siedlungsbereich sind werden (ROP-Entwurf 1012 des Landkreises analoge Prozesse auszumachen (Ku r t z e 1991, Stade), eine weitere Monotonisierung der Ag- 2012). Die spärliche Bepflanzung der Gärten rarlandschaft um sich greifen und die Entwer- und Vorgärten bringt keinen hohen Insekten- tung urbaner Ökosysteme fortschreiten wird. bestand hervor, die Fledermäuse bleiben aus. 5.5 Einstufung in die Rote Liste Durch die vielen Straßenlaternen mit hohem UV-Anteil wurden die Areale entwertet, Un- Insgesamt lässt sich belegen, dass die Breit- mengen an Insekten abgefangen und ihnen die flügelfledermaus-Population im Landkreis Sta- Möglichkeit zur Fortpflanzung genommen (Ei- de seit den 1980er Jahren kontinuierlich und s e n b e i s 2000). In den letzten Jahren wurden zur drastisch abnimmt. Ähnliches berichtet auch Reduzierung der Energiekosten zunächst Natri- Bo r k e n h a g e n (2011 u. mündl.) aus Schleswig- um-Lampen, später LEDs genutzt. Diese Um- Holstein. Schon länger wird auf die extreme stellung erhöht den Insektenbestand in der freien Ausdünnung der Bestände hingewiesen (z. B. Landschaft (Ei se n be i s & Ei c k 2011) und ermög- Wi e r m a n n et al. 1995, Ku r t z e 1991). Als Hilfe licht auch Breitflügelfledermäusen einen etwas für Schutz und Beurteilung der Bestandsdichte besseren Zugriff auf das Nahrungspotenzial. einer Art sollen „Rote Listen“ Auskunft geben. Jedoch wird der nötige Schutz der Art dadurch 5.4 Rückgang der Art – erschwert, dass die Populationsdichte regional ein Faktoren-Komplex unterschiedlich ist und dementsprechend be- wertet wird. Dazu ein Beispiel: E. serotinus Es bestehen deutliche Hinweise darauf, dass wird bundesweit (1998) in die „Vorwarnliste“ Versiegelung und Abschottung der Gebäude eingestuft, 1994 wurde die Art noch als „ge- W. Ku r t z e : Zum Zustand der Breitflügelfledermaus im Norden von Niedersachsen 317 fährdet“ klassifiziert. Demnach hat sich der die die Notizen von Re i n h a r d Sc h ö n h o ff (†) und Kl a u s Bestand erhöht oder er wurde nach Ansicht El m e n d o r f (†) an mich weitergaben. So konnten längere Datenreihen erstellt werden. In diesem Zusammenhang e i n i g o y e u t t e r e r der Autoren (M , B & H 2008) danke ich auch Herrn Uw e Ke l m (Buxtehude) für weitere nicht korrekt eingeschätzt. Im Bundesland Nie- Daten. Ein Dank geht auch an die Herren He l m u t Be r g - dersachsen besteht die „Rote Liste“ seit 1993, m a n n und Sö r e n Fr i s c h m u t h (Untere Naturschutzbehörde eine aktuelle Überarbeitung erfolgte bisher des Landkreises Stade), die mir weitere Hinweise gaben. Frau Ja n e t t e He g d o o r n förderte und forcierte immer nicht (Überblick in Th e u n e r t 2008). Darin wieder die den Naturschutz betreffende Öffentlichkeitsar- wird angenommen, dass der Bestand als „stark beit im Landkreis Stade. Schließlich geht ein Dankeschön gefährdet“ einzustufen ist. Es ergibt sich der an Familie Öz k ö k aus Horneburg. Sie behandelte die in Eindruck, dass landesweite „Rote Listen“ nicht ihrem Haus ansässige Wochenstube immer pfleglich und gab ihre Beobachtungen an die ÖFLAG weiter. Frau immer hilfreich sind, zumal sich Bestandsgren- Wi e n k e Th u r a u zeigte über viele Jahre hinweg einen mit zen verschieben, Biotopveränderungen oder vielen Entbehrungen verbundenen, enormen Einsatz für kurzzeitige Schwankungen innerhalb der Po- die Pflege verletzter und schwacher Fledermäuse. Diese vorbildliche Arbeit machte es möglich, viele detailreiche pulation häufig sind. Das veranlasste Ha e n s e l Angaben über Verletzungen von Breitflügelfledermäusen & Ra c k o w (2002) zu der Aussage, dass trotz zu erhalten. Für ihre Daten bedanke ich mich besonders der vielfältigen und mühsamen Arbeit von nachdrücklich. Faunisten innerhalb der „Roten Listen“ keine Tendenzen abzulesen sind. Die Arbeit an der bundesweiten „Roten Liste“ war mangelhaft. Schrifttum So verwundert es nicht, dass auf regionaler Ba a g øe, H. J. (2001): Eptesicus serotinus (Schreber) Ebene „Rote Listen“ entstanden (z. B. Harzre- – Breitflügelfledermaus. In: Kr a p p , F. (Hrsg.): gion, Sachsen-Anhalt). Handbuch der Säugetiere Europas. Bd. 4/1 – Fle- dermäuse 1. AULA Verlag. Wiebelsheim. Be i l s t e i n , K. (1994): Linientransekt-Kartierung zum Es liegt eine besondere Gefährdung der Art Vorkommen von Fledermäusen an der schleswig- vor, weil eine Monotonisierung der Agrar- und holsteinischen Westküste. Nyctalus (N. F.) 5, 227- Urbanlandschaft zugenommen hat und eine 233. Verbesserung nicht ansatzweise zu erken- Be r g , J. (2009): 30 Jahre Fledermauserfassung im Land- 14 nen ist. Ein weiterer zunehmender Mangel an kreis Wittenberg/Sachsen-Anhalt. Ibid. , 27-46. Bo r k e n h a g e n , P. (2011): Die Säugetiere Schleswig-Hol- Hangplätzen ist ebenfalls absehbar. Eine Ge- steins. Hrsg.: Faun.-ökol. AG Schleswig-Holstein. fährdung der Population durch Windkraftan- Husum. lagen liegt ebenfalls vor. Diese in Kürze vor- De g n , H. J. (1983): Field Activity of a Colony of Serotine Bats (Eptesicus serotinus). Nyctalus (N. F.) 1, 521- gebrachten Gründe müssen dazu führen, dass 520. die Breitflügelfledermaus als „stark gefährdet“ Dü r r , T. (2002): Fledermäuse als Opfer von Windkraft- (Rote Liste Kategorie 2) eingestuft werden anlagen in Deutschland. Ibid. 8, 115-118. muss. In der jüngsten Ausgabe der Roten Lis- Eb b i n g h a u s , W., Ke u s e m a n n , A., Ku r t z e , W., & Vö g e , B. (2012): Zur Verbreitung und Ökologie der Fle- te für das Bundesland Nordrhein-Westfalen dermäuse im Bereich des Dolmen-Grab-Waldes (Me i n i g et al. 2011) ist dies begründetermaßen bei Grundoldendorf unter Berücksichtigung sowohl für das Tiefland als auch für das Berg- ökologisch-planerischer Empfehlungen. Gutach- land bereits erfolgt. Denn es ist realistisch, dass terliche Stellungnahme für den Landkreis Stade. E. serotinus in einigen Jahrzehnten (wenn es Buxtehude. Ei se n be i s, G. (2000): Zur Anziehung nachtaktiver Insek- überhaupt so lange dauern wird) vom Ausster- ten durch Straßenlaternen. Natur u. Landschaft ben bedroht sein wird. 75(4), 145-156. -, & Ei c k , K. (2011): Studie zur Anziehung nachtaktiver Insekten an die Straßenbeleuchtung unter Einbe- Danksagung ziehung von LEDs. Ibid. 86(4), 298-306. Ha e n s e l , J. (1982): Weitere Notizen über im Berliner Ich bedanke mich bei den vielen Personen im Landkreis Stadtgebiet aufgefundene Fledermäuse (Zeitraum Stade, die der ÖFLAG (Ökologisch-fledermauskundliche 1972-1979). Nyctalus (N. F.) 1, 425-444. AG) und mir Fledermaus-Vorkommen meldeten. Nur so - (1989): Vorkommen und Geschlechter-Verhältnis über- war es möglich, Wochenstuben von E. serotinus zu er- winternder Breitflügelfledermäuse (Eptesicus mitteln und langjährig zu beobachten. Besonders danke serotinus) in Unter-Tage-Quartieren des Berliner ich Frau Em m y Sc h ö n h o ff (†) und Hi l d e g a r d El m e n d o r f , Raumes. Ibid. 3, 61-66. 318 W. Ku r t z e : Zum Zustand der Breitflügelfledermaus im Norden von Niedersachsen

-, & Ra c k o w , W. (2002): Fledermäuse auf der Achterbahn! Mü h l d o r f e r , K., Sp e c k , S., Mü l l e r , T., Ku r t h , A., & Anmerkungen zu alten und neuen „Roten Listen“ Wi b b e l t , G. (2011): Die Krankheiten und Todes- für Deutschland. Teil 1: Die bundesweite „Rote ursachen von Fledermäusen aus Deutschland. Liste“. Ibid. 8, 345-358. Nyctalus (N. F.) 16, 159-171. Ha r t m a n n , R. (2003): Untersuchungen zum Schwerme- Pe l z , G. (2002): Zur Fledermausfauna des Landkreises tallgehalt im Fledermauskot. Ibid. 9, 105-109. Dahme-Spreewald (Land Brandenburg). Ibid. 8, Ha v e k o s t , H. (1955): Bisherige Ergebnisse der Fleder- 262-287. mausforschung im Oldenburger Land. Beitr. Na- Pi e l a , A. (2010): Tierökologische Abstandskriterien bei turkd. Niedersachs. 8, 98-102. der Errichtung von Windenergieanlagen in Bran- - (1960): Die Beringung des Breitflügelfledermaus (Epte- denburg (TAK). Ein Beitrag zur Konfliktbewälti- sicus serotinus Schreber) im Oldenburger Land. gung im Spannungsfeld Vogel- und Fledermaus- Bonn. zool. Beitr. 11, Sonderh., 222-233. schutz – Windenergie. Natur u. Landschaft 85(2), He y d e m a n n , B. (1983): Aufbau von Ökosystemen im Ag- 51-60. rarbereich und ihre langfristigen Veränderungen. Ra c k o w , W., & Sc h l e g e l , D. (1994): Fledermäuse (Chi- Daten und Dokumentation. Umweltschutz 35, 53- roptera) als Verkehrsopfer in Niedersachsen. 83. Nyctalus (N. F.) 5, 11-18. Hi l d e b r a n d t , J. (1995): Erfassung von terrestrischen Wir- Ra h m e l , U., Ba c h , L., Ro d e , M., Ro s c h e n , A., & Kl ö s e r , bellosen in Feuchtgrünlandflächen im norddeut- H. (1995): Zur Verbreitung der Fledermäuse in der schen Raum – Kenntnisstand und Schutzkonzep- Stadt Bremen. Abh. Naturwiss. Ver. Bremen 43, te. Z. Ökologie u. Naturschutz 4(4), 181-201. 141-163. Ko e n i s , H., Fr ü h a u f , S., Kr e t t e k , R., Bo r n h o d t , G., Ro b i n s o n , M. F., & St e b b i n g s , R. E. (1993): Food of the Ma i w a l d , S., & Lu c a n , V. (2005): Biotopverbund Serotine Bat, E. serotinus. J. Zool., Lond., 231, – eine sinnvolle Naturschutzstrategie in der Ag- 239-248. rarlandschaft? Erfahrungen mit einem E+E-Vor- Ro e r , H. (1979): Zur Bestandsentwicklung der Breitflü- haben in Nordhessen. Natur u. Landschaft 80(1), gelfledermaus (Eptesicus serotinus Schreber) und 16-21. des Mausohrs (Myotis myotis Borkhausen) im Ol- Ko w a l s k i , M., & Le s i ńs k i , G. (1995): Species compositi- denburger Land. Myotis 17, 23-30. on and shelter preference of bats in the Kampinos Th e u n e r t , R. (2008): Verzeichnis der in Niedersachsen Forest. Przegl. Przyr. VI(2), 99-108. besonders streng geschützten Arten. Informati- Ku r t z e , W. (1982): Beobachtungen zur Flugaktivität der onsdienst Naturschutz Niedersachsen 28(3), 69- Breitflügelfledermaus Eptesicus serotinus. Drose- 141. ra 82, 39-46. Ti s c h l e r , W. (1980): Biologie der Kulturlandschaft. Stutt- - (1988): Die Ernährung der Fledermäuse. Natursch. gart. Landschaftspfl. Niedersachs. 17, 51-52. We i d n e r , H. (1995): Zur Hangplatzwahl der Breitfügel- - (1991): Die Breitflügelfledermaus Eptesicus serotinus in fledermaus, Eptesicus serotinus (Schreber, 1774). Nordniedersachsen. Ibid. 26, 63-94. Nyctalus (N. F.) 5, 469-472. - (2012): Die Einwirkung urbaner Strukturen auf Fleder- We i s h a a r , M. (1995): Ergebnisse der Fledermauswinter- mäuse, dargestellt am Beispiel der Stadt Stade. kontrollen 1994/95 im Regierungsbezirk Trier. Nyctalus (N. F.) 17, 46–60. Dendrocopos 22, 10-11. La b e s , R. (1991): Zu den Beutetieren der Breitflügelfleder- Wi e r m a n n , A., & Re i m e r s , H. (1995): Zur Verbreitung maus (Eptesicus serotinus). Ibid. 4, 79-84. der Fledermäuse in Hamburg. Nyctalus (N. F.) 5, Landkreis Stade (2012): Fledermäuse. Flyer. Stade. 509-528. Me i n i g , H., Bo y e , P., & Hu t t e r e r , R. (2008): Rote Liste der Säugetiere (Mammalia) Deutschlands. Stand: Oktober 2008. Naturschutz u. Biol. Vielfalt 70(1), 115-153. -, Vi e r h a u s , H., Tr a p p m a n n , C., & Hu t t e r e r , R. (2011): Rote Liste und Artenverzeichnis der Säugetiere – Mammalia – in Nordrhein-Westfalen. In: Rote Liste der gefährdeten Pflanzen, Pilze und Tiere in Nordrhein-Westfalen, 4. Fassung. Bd. 2 – Tiere. LANUV-Fachbericht 36, 51-78. Recklinghausen.

Dr. Wo l f g a n g Ku r t z e , Neue-Stücken-Feld 9, D-21684 Stade