Gedanken zur Skulptur „Tägliche Mühe“

Zuerst ein Blick in die Geschichte der Willeschen Dampfmühle bis 1918:

Georg Wille war seit der Gründung seiner Mühle bestrebt, technische Neuheiten in der Mühle umzusetzen. Er nutzte als erster in Grabow seit 1886 eine Dampfmaschine. Sein Besuch der Weltausstellung in im Jahre 1900 diente vor allem der Information über technische Weiterentwicklungen auf dem Gebiet des Mühlenwesens. Bei dieser Reise war Georg Wille aber auch beeindruckt von der Vielzahl der Exponate auf künstlerischem Gebiet.

In dem großen Palast des Champs Elysees war das Kostbarste, das die Gäste Frankreichs mitbrachten untergebracht.

In dieser Halle waren 632 Skulpturen ausgestellt.

Georg Wille war von den Leistungen der Künstler beeindruckt. Er nutzte das vielfältige Angebot, kaufte die Skulptur „Tägliche Mühe“ für 1000 Mark (Goldmark), lies sie auf dem Seeweg von Paris über Hamburg und Dömitz nach Grabow bringen und vor der Willeschen Mühle aufstellen.

Der Tafel unter der Skulptur entnehmen wir folgende Informationen:

Tägliche Mühe Entworfen 1892 von Joh. Nejberg

Es handelt sich offenbar um eine Studienarbeit, die bereits acht Jahre vor der Weltausstellung 1900 fertig gestellt wurde.

Über den Künstler Nejberg haben wir lange Zeit trotz umfangreicher Suche im Internet nichts finden können. Die entscheidenden Hinweise gab Dr. Kai-Uwe Thiessenhusen, danke!

Wir haben ursprünglich nach Neiberg und nicht nach Nejberg gesucht.

1. Zum Künstler, bzw. zur Künstlerin:

Auf der Rückseite der Skulptur findet man den Namen „Joh. Nejberg“. Überrascht wird man erst, wenn man weiter nach diesem Namen sucht. Das Internet liefert in einem Verzeichnis der königlichen Akademie der Künste in Kopenhagen aus dem Jahre 1891 folgendes: „Bildhauerkunst Johanne Nejberg, 549 Statue i Gips Anschrift: Nejberg, Frk. Paris“ Die Skulptur wurde also von einer dänischen Künstlerin in Paris geschaffen.

Bei der Aufzählung der Preisträger eines Skulpturenwettbewerbs aus dem Jahre 1893 im Salon des Champs-Elysees in Paris finden wir:

Bei diesem Wettbewerb erhielt  Fräulein Johanne Nejberg eine Anerkennung.

2. Zum Lehrer dieser Künstlerin:

In einem weiteren Ausstellungsverzeichnis aus dem Jahre 1894 für das Palais des Champs-Elysees lesen wir:

Fräulein Jehanne Nejberg aus , Schülerin von Stephan Sinding, wohnhaft in Paris, Boulevard Arago 65. Bezeichnung der Skulptur – Le fardeau quotidien, also „die tägliche Mühe“.

Stephan Abel Sinding (1846 – 1922) war ein dänisch-norwegischer Bildhauer, der außer in seiner Heimat in Paris, und gearbeitet hat. Er fand zu seiner Zeit große Beachtung. Werke von ihm werden gegenwärtig in der Kunsthalle in Bremen ausgestellt.

Die Bezeichnung der Skulptur „Le fardeau quotidien“ finden wir auch auf der Skulptur auf dem Marktplatz in Grabow. Dort in der Übersetzung „Tägliche Mühe“. Offenbar war diese Skulptur bereits 1893 oder 1894 im Palais des Champs-Elysees in Paris ausgestellt.

3. Zur Gießerei der Skulptur „Tägliche Mühe“

Eine Information über die Gießerei findet man an der linken Seite der Skulptur.

Thiébaut Frères Gießerei in Paris war eine der wichtigsten Kunstgießereien zwischen 1890 und 1910 in Frankreich.

Denkmale aus dieser Gießerei befinden sich in sehr großer Anzahl in Frankreich, dort vor allem in Paris. Wikipedia dokumentiert mit sehr vielen Abbildungen diese Kunstwerke.

4. Wo war das Atelier, in dem Johanne Nejberg gearbeitet hat?

Die Anschrift war oben bereits zu lesen: Paris, Boulevard Arago, 65

An diesem Ort wurden Relikte der Weltausstellung von 1878 um einen Garten herum gesammelt. Hier bildete sich nach und nach eine Art von künstlerischem Kloster, an dem sich eine Gemeinschaft vor allem nordischer Bildhauer sammelte. Ein Teil der hier geschaffenen Kunstwerke ist heute in einem Museum an genau diesem Ort in Boulevard Arago, 65 untergebracht.

5. Was ist aus der Johanne geworden?

Trotz längerer Suche haben wir bisher nicht mehr gefunden. Vermutlich hat sie wie Dr. Kai-Uwe Thiessenhusen meint als verheiratete Frau „unter anderem Namen ein wahrscheinlich unkünstlerisches Leben geführt“.

Fazit: Die Skulptur ist ein Andenken von Georg Wille von seiner Reise zur Weltausstellung nach Paris im Jahre 1900. Bestimmt aber nicht nur ein Geschenk für seinen Sohn.

Das Aufstellen dieser Skulptur durch Georg Wille drückt meiner Meinung nach noch etwas anderes aus: Die Entwicklung der Dampfmühle zeigt, dass es der Familie Wille gelungen ist trotz der seit mehreren Jahrhunderten bestehenden Bolbrüggeschen Wassermühle eine zweite Mühle zu gründen. Dabei haben sie als erste die Kraft der Dampfmaschine und einen Windmotor der Firma Carl Reinsch aus Dresden in Grabow eingesetzt.

Mit dem Aufstellen der Skulptur aus Paris wurde zum Ausdruck gebracht: Seht mal, wie gut es der Dampfmühle Wille geht! Wir haben zur Freude der Einwohner in Grabow eine Skulptur aus Paris aufgestellt.

Diese Zeiten sind vorüber. Heute sind die Überreste beider Mühlen ein Schandfleck für die Stadt Grabow. Vermutlich soll mit dem Aufstellen der Skulptur neben dem Rathaus ständig daran erinnert werden, dass auch für diese beiden Objekte eine Lösung gefunden werden muss.

Abschließend noch einmal eine Bemerkung zum Namen „Sackträger“:

Dieser Name für die Skulptur ist falsch und sollte daher auch nicht verwendet werden. Die dargestellte Person versucht einen Sack anzuheben. Mühlenarbeiter werden es auf die dargestellte Art und Weise aber nie versucht haben. Es gab Aufzüge und Sackkarren.

Die älteren Grabower Einwohner wissen: Sackträger gab es beim Kohlehandel. Die Kohlensäcke wurden jedoch nicht vom Erdboden sondern vom Kohlenwagen aus geschultert.