Schweizer Avantgarde
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Schweizer Avantgarde Christian Wiggenhauser Der Schweizer Thomas Gabriel Fischer hatte mit seinen Bands ‚Hellhammer‘, ‚Celtic Frost‘ und neu mit ‚Tripty- kon‘ weltweiten Erfolg und unzählige berühmte Musikerinnen und Musiker inspiriert. In der Schweiz wurde er paradoxerweise aus ganz anderen Gründen bekannt. Das hätte sich Tom Fischer am Anfang seiner Karriere in den frühen 80er Jahren in seinen kühnsten Träumen wohl nicht vorstellen können - und dieser Mann verfügt über sehr viel Phantasie -: dass er aus seinem Werk ein Requiem veröf- fentlichen könne, begleitet von einem waschechten Orches- ter! Aber genau das hat er getan. Denn sowohl Hellhammer als auch Celtic Frost knallten mit derart ungestümem und hartem Heavy Metal in die Szene, dass dafür Namen für ein neues Subgenre erfunden werden mussten: ‚Extreme Metal‘ etwa, oder ‚Black Metal‘ oder ‚Doom Metal‘. Trotz dem Hang zum Dilettantischen des Punk und dessen Hochgestreckter-Mittelfinger-Attitüde war die Musik deutlich dem Heavy Metal zuzuordnen. Basslastig und verzerrt kam sie völlig neuartig daher, mit dem Gesang von Tom Fischer voller Nachhall und anderen Effekten. Und sie war absolut kompromisslos. Begleitet wurde sie von ok- kulten und misanthropischen Songtexten, die für den Black Metal prägend sein sollten. Und ihr Äusseres unterstrich die Ambition, die Nähe von Menschen meiden zu wollen: viel schwarzes Leder, Nieten- und Patronengürtel, allerlei okkul- ten Schmuck, selbstredend langes Haar und schwarz/weiss geschminkte Gesichter. Die Schlagzeuger wechselten rasch, aber Gitarrist und Sänger Tom Fischer hatte unter seinem Pseudonym ‚Satanic Slaughter‘ beziehungsweise später ‚Tom G. Warrior‘ in Martin Stricker (bzw. ‚Slayed Necros‘ oder ‚Martin Eric Ain‘) am Bass einen wahren Mitstreiter gefunden. Auch wenn Tom Fischer die allermeisten Stücke und Texte selber schrieb. Mit Martin Stricker zusammen löste er Hell- hammer auf, weil sie sich in der einfachen Spielweise der Mu- sik von Hellhammer künstlerisch zu limitiert gefühlt hätten. Für das erste Werk von Celtic Frost konnten die musikalischen Vordenker für die Cover-Gestaltung 1985 bereits den Schweizer Phantasten und Oscar-Preisträger (für den hervorragenden Science Fiction-Film ‚Alien‘) H.R. Giger gewinnen. Diese Verbun- denheit sollte über den Tod H.R. Gigers im Jahr 2014 hinaus Bestand haben. Das zweite Album beeinflusste die Entwicklung des europäischen Heavy Metal, insbesondere den Black Metal in Skandinavien, gewaltig. Danach folgte ein kreativer Ausrut- scher und alsbald die erste Auflösung der Band. Schweizer Verhältnisse und ein komplett verwahrloster Bub Es dauerte beinahe sieben Jahre bis zur Wiedervereinigung und nochmals sechs Jahre, bis sie das Album ‚Monotheist‘ ver- öffentlichten und auf Welttournee gingen. Sie führte in grosse Säle und Festivals im Ausland und in kleine Schuppen in der Schweiz. Die Band verkaufte einige Millionen Tonträger im Ausland und hatte just mit dieser Platte die einzige Hitparaden-Plat- 20 TAXI Nr. 175 zierung in hiesigen Gefilden. 2008 lösten sich Celtic Frost erneut auf. Martin Stricker war damals schon längst Kult-Beizer und wurde eine mitbestimmende Grösse im originellen Zürcher Nachtleben. Er verstarb mit 50 Jahren im Oktober 2017 an einem Herzinfarkt. Tom Fischer gründete Triptykon und spielte fortan in komplett anderer Besetzung eine, wenn man so sagen darf, sanftere Spielweise. Der Sound wurde schleppend, träg wie flüssiges Blei, und fand sich im Doom Metal wieder, welchen Tom Fischer 25 Jahre vorher massgeblich mitprägte. Und es muss im Jahre 2014 gewesen sein, als er zur Promotion des zweiten, grossartigen Werkes ‚Melana Chasmata‘ eine Intervieweinladung für DRS3 annahm. Anna Maier ist eine gestandene, profes- sionelle Radiojournalistin mit langer Erfahrung, aber als Tom Fischer das erste Mal schonungslos erzählte, wie er seine Kindheit und Jugend verbringen musste, kamen der Moderatorin die Tränen bei laufendem Mikrophon. Und in der Folge breitete sich die Geschichte im Nu in der ganzen Schweiz aus, dass er in Nürensdorf, einem Kaff im Bezirk Bülach, meist alleine aufwuchs, weil sein Vater abhaute und seine Mutter auch keine Verantwortung übernahm. Sie war Schmugglerin und kaum zu Hause. Als sie es war, schaffte sie an die 100 Katzen an, welche das Haus vollkoteten und mit ihm das Futter teilten („im Essen hätte es Flöhe gehabt“). Alle im Dorf hätten Bescheid gewusst, die Jungs hätten ihn verprügelt und die Lehrer angeschnauzt („er soll endlich etwas gegen seinen Katzengestank tun“) – aber niemand hat etwas gegen die Missstände unternommen. Filmisches Orchesterwerk Seither arbeitete Tom G. Warrior an ‚Requiem‘, einer Totenmesse. Wer nun ein höllisches Donnerwetter erwartet, wird arg ent- täuscht werden. Zwar ist der 1. Akt das Stück ‚Rex Irae‘ vom oben erwähnten zweiten Album, aber in Begleitung des holländi- schen ‚The Metropole Orkest‘ fügt es sich live aufgenommen nahtlos und ohne Applaus in das eigentliche Kernwerk ein: ‚Grave Eternal‘ dauert stattliche 32 Minuten und wurde, das hört man dem Stück an, für Orchesterbegleitung komponiert. Es erinnert an klassische Musik. Es ist Musik ähnlich einer Zeichnung von Ennio Morricone, dem Maestro der filmischen Soundtracks, welche Geschichten ohne Worte erzählt und dabei viel Geigenklänge, Percussions und Geräusche einsetzt. Möglicherweise hat Tom Fischer Frieden gefunden. Er verwaltet mit Herzblut und ohne Kommerz das Erbe von H.R. Giger. Der 57-Jährige hat ein Häuschen, ist verheiratet und hat Kinder. Und Tom G. Warrior hat immer noch eine sehr lebhafte Phantasie. Die Kritiken in der Szene für sein neues Werk ‚Requiem‘ sind hervorragend. Und das Album hat mit seinen stillen Klängen die Hitparaden geentert – auch in der Schweiz! Triptykon: Requiem, Century Media / Sony Music TAXI Nr. 175 21.