LÄNDERBERICHT Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.

VENEZUELA

1. Dezember 2015 Drohendes Wahldebakel für www.kas.de/ den Chavismus

VENEZUELA BLICKT IN UNGEWISSE ZUKUNFT

Wenige Wochen vor den Parlamentswah- gen, „aufkommende Diktaturen“ zu denun- len herrscht in Venezuela Wechselstim- zieren. mung. Die chavistische Regierung hat es durch Inkompetenz, Verschwendungs- Mit seiner Meinung steht Vargas Llosa bei sucht und Korruption sowie wegen eines weitem nicht alleine da. Es gibt allerhand zum Scheitern verurteilten sozialistischen Indizien für eine anti-demokratische Gesin- Modells vollbracht, ein Land mit großem nung der venezolanischen Regierung, die Potential in den wirtschaftlichen Ruin zu anscheinend nervöser und somit repressiver treiben. Trotz eines hohen Vorsprungs in reagiert, je stärker ihre Macht in Gefahr zu Meinungsumfragen ist der Sieg der Oppo- sein scheint. Um eine drohende Niederlage sition keineswegs gewiss, da die Regie- bei den kommenden Parlamentswahlen am rungspartei PSUV (Vereinte Sozialistische 6. Dezember abzuwenden, greift die Regie- Partei Venezuelas) mit unlauteren Tricks und einem ungerechten Wahlsystem ihre rung zu allerlei unlauteren, plumpen, aber Niederlage zu verhindern versucht. Wäh- auch kreativen Mitteln. rend verschiedene politische Beobachter einen Wahlbetrug erwarten, droht Präsi- Staatsanwalt gibt Unschuld des verurteil- dent Maduro offen mit einem „Chaos“, ten Oppositionspolitikers López zu sollte seine Regierungspartei nicht die Wahlen gewinnen. Die direkteste Art, sich unliebsamer Gegner zu entledigen, ist die juristische Kaltstel- „Putrefacción totál“ – die „totale Verrot- lung. Einer Reihe von Oppositionspolitikern tung“: angesprochen auf die moralische wurde das passive Wahlrecht per Gerichts- Charakterisierung der venezolanischen Re- urteil oder Entscheidung der Nationalen gierung fand der Literaturnobelpreisträger Wahlkommission (CNE) vorenthalten. Welt- Mario Vargas-Llosa heftige Worte. „Die Bos- weit am bekanntesten ist der Fall des Oppo- se in der venezolanischen Regierung sind sitionspolitikers Leopoldo López, der zu Be- Mafia-Bosse. Die Militärs sind alle durch das ginn des Jahres 2014 zu friedlichen De- Mafiageschäft gekauft,“ urteilte der Perua- monstrationen gegen die Regierung aufrief, ner und warnte wie bereits etliche Analysten die schließlich gewaltsam eskalierten. Am zuvor: „Maduro kann die Wahlen nur durch 15. Februar 2014 wurde er von den Behör- eine monströse Fälschung gewinnen.“ Vor den wegen des Verdachts auf Volksverhet- dem Hintergrund der politischen Entwick- zung, Aufruf zu Gewalt und Bildung einer lungen in Venezuela kritisierte Vargas Llosa kriminellen Vereinigung festgenommen und den „fehlenden Mut“ und die „Neutralität“ vom Parlamentspräsidenten Diosdado Ca- der übrigen lateinamerikanischen Regierun- bello persönlich ins Militärgefängnis geleitet.

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Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. Allein die Tatsache, dass der Präsident des lung droht. Dazu zählen etwa der Bürger- höchsten Legislativorgans des Landes meister der Metropolregion Caracas, Anto- VENEZUELA Staatsfeinde mitverhaftet, zeugt von feh- nio Ledezma, der unter Hausarrest steht lender Gewaltenteilung, die sich im Laufe oder auch die Oppositionspolitiker María Co- 1. Dezember 2015 des Gerichtsverfahrens bestätigen sollte. rina Machado und , gegen die

ein Verfahren läuft bzw. ermittelt wird. www.kas.de/venezuela López wurde nach etwa anderthalb Jahren

Untersuchungshaft zu knapp 14 Jahren Haft Das Schema ist immer das gleiche: sobald verurteilt, obwohl im Laufe des Prozesses ein Oppositionspolitiker gegenüber der Re- nie bewiesen werden konnte, dass er jemals gierung zu sehr verbal in die Offensive geht zu Gewalt aufgerufen hat. Selbst eine her- und zudem Erfolg bei den Massen hat oder beigerufene Linguistin im Zeugenstand haben könnte, droht eine Klage mit an- konnte dies nicht bestätigen. Während hun- schließendem Verfahren durch ein Gericht, derte von Zeugen der Staatsanwaltschaft dessen Unabhängigkeit wohl nicht gegeben gehört wurden, ließ man nur wenige Zeugen sein dürfte. der Verteidigung zu. Internationale Beob- achter, etwa von den Botschaften, wurden Schüsse auf im Laufe des Verfahrens ausgeschlossen. Es Die politische Verfolgung und Einschüchte- gab zahlreiche Aufrufe von Menschen- rung findet jedoch nicht nur im Gericht, rechtsorganisationen, internationalen Insti- sondern auch auf der Straße statt. Bei der tutionen, Politikern und Prominenten aus Urteilsverkündung im Fall Leopoldo López der ganzen Welt, man möge Leopoldo López demonstrierten seine Anhänger friedlich und doch frei lassen. Stattdessen sorgte das Re- verfassungsgemäß vor dem Gerichtsgebäu- gime dafür, ihn für lange Zeit in dunkler de, ehe sie von einem organisierten Mob mit Isolationshaft wegzusperren. Gewalt vertrieben wurden. Auch ein Wahl-

Zweifelsohne handelte es sich bei dem Ver- kreiskandidat in einem Stadtteil im Westen fahren um eine Farce. López wurde letztlich von Caracas wurde bei einem Rundgang verurteilt, da er erstens Massen mobilisieren durchs Viertel von einer chavistischen kann und zweitens, um andere Oppositions- Gruppe blutig geschlagen. Der gezielte Ein- politiker abzuschrecken. Nur wenige Wo- satz von Gewalt bleibt ein Mittel, um Oppo- chen nach Prozessende floh der zuständige sitionelle einzuschüchtern und zu vertrei- Staatsanwalt Franklin Nieves über Aruba in ben. Jüngstes Opfer war der ehemalige Prä- die USA, wo er politisches Asyl beantragte. sidentschaftskandidat und Gouverneur von In einem CNN-Interview bestätigte er die Miranda, Henrique Capriles Radonski. In der Unschuld des Oppositionspolitikers und bat Kleinstadt Yare, unweit der Hauptstadt Ca- ihn um Verzeihung. Man habe ihn unter racas gelegen, wurde in seine Richtung Druck gesetzt und er fürchtete um Leib und scharf geschossen, als er der Stadt in seiner Leben, auch um die Unversehrtheit seiner Funktion als Gouverneur einen Besuch ab- Familie. Seine Begründung ist plausibel und statten wollte. für wenige überraschend. Laut Aussagen Ein steiniger Weg zu den Wahlen eines Prozessbeteiligten sollen die Richter des zuständigen Gerichts hinter vorgehalte- Das aktuelle Stimmungsbild ist für die Re- ner Hand zugegeben haben, dass sie von gierungspartei alles andere als positiv. Alle der Regierung angewiesen wurden, Urteile wichtigen Meinungsforschungsinstitute se- entsprechend zu fällen. Neben López gibt es hen einen Wahlsieg des Oppositionsbünd- eine Reihe weiterer Oppositionspolitiker, die nisses „Mesa de Unidad Democrática“ verurteilt wurden oder denen eine Verurtei- (MUD) voraus. Der ermittelte Vorsprung

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Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. schwankt, liegt laut Demoskopen aber meist López, María Corina Machado und Antonio zwischen 20 und 35 Prozent. Es ist daher Ledezma Demonstrationen als legitimes Mit- VENEZUELA nicht verwunderlich, dass das Regime neben tel betrachten, halten Oppositionspolitiker dem repressiven Vorgehen gegenüber Op- wie Henrique Capriles oder der Parteivorsit- 1. Dezember 2015 positionellen auch zu anderen Mitteln greift, zende der sozialdemokratischen Partei Acci-

vor allem zu Ablenkungs- und Manipulati- ón Democrática (AD), Henri Ramos Allup, www.kas.de/venezuela onsmanövern. Außerdem nutzt die Regie- einen moderaten Kurs mit einem Wechsel

rung staatliche Ressourcen für parteipoliti- über Wahlen für zielführend. Die Gruppe um sche Zwecke. López mag zwar konfrontativer und direkter im Diskurs zu sein, jedoch nutzt sie den Großen Unmut hat die starke Verzögerung verfassungsgemäßen Spielraum. Sie aber der Bekanntgabe des Wahldatums verur- als „radikal“ oder „rechtsextrem“ zu be- sacht. Die Nationale Wahlkommission, des- zeichnen, trifft nicht zu, sondern dürfte eher sen fünfköpfiges Führungsgremium mehr- das Ergebnis erfolgreicher Propaganda der heitlich regierungstreu ist, hat noch nie in Regierung sein. der Geschichte des Landes so lange gewar- tet, um das Datum der Wahlen bekanntzu- Geschlechterquote wird instrumentalisiert geben. Da Abstimmungsprozesse innerhalb des Oppositionsbündnisses und daher auch Ein weitere Herausforderung für den MUD die Vorbereitungsprozesse auf die Wahlen war die neu eingeführte „Geschlechterquo- länger dauern, spielte das Hinauszögern des te,“ nach der ein Geschlecht mit mindestens Wahldatums der Regierungspartei in die 40 Prozent der Kandidaten und Stellvertre- Hände. ter einer Partei bzw. Parteienbündnisses re- präsentiert sein muss. Grundsätzlich spricht In der Opposition führte die lange Unge- nichts gegen die Regelung, allerdings wurde wissheit wegen des Wahldatums zu der in- die Quote eingeführt, nachdem das Opposi- ternen Diskussion, wie darauf zu reagieren tionsbündnis in einem komplizierten Verfah- sei. Der inhaftierte Oppositionsführer López ren einen Kompromiss für die Aufteilung der führte aus Protest einen Hungerstreik durch, Kandidatenplätze zu den Parlamentswahlen dem sich andere politische Gefangene und unter den Oppositionsparteien gefunden auch Studenten anschlossen. Nicht abge- hatte. Da es mehr männliche Kandidaten stimmt mit der MUD-Führung rief López zu gab, mussten Änderungen vorgenommen Massendemonstrationen auf. Verärgert über werden, wodurch einige geeignete, in ihrem den Alleingang, doch in der Sache überein- Wahlkreis gut vernetzte Kandidaten nicht stimmend, nahm der gesamte MUD an den zum Zug kamen, Unruhe in das Bündnis ge- Demonstrationen teil. Allerdings offenbarte bracht wurde und erneut Kompromisse ge- der Vorgang die Fragilität innerhalb des Op- sucht werden mussten. Die PSUV konnte positionsbündnisses, die die Regierung ge- sich hingegen zuvor bereits sicher sein, schickt durch derlei Aktionen zu vertiefen dass sie die Quote erfüllte. versucht. Zwietracht in der Opposition kommt der Re- Eine offene Bruchlinie innerhalb der Opposi- gierung gelegen, weshalb es keineswegs tion besteht nicht, da sich alle wichtigen abwegig ist, dass die Frauenquote vor allem Führungsfiguren darin einig sind, dass ein aus politischem Kalkül und nicht aus Grün- politischer Wechsel mit vereinter Stärke am den der Verbesserung der Gleichberechti- wahrscheinlichsten eingeleitet werden kann. gung vorgenommen wurde. Zudem hat die Dennoch bestehen zwei unterschiedliche Nationale Wahlkommission die Quotenregel Auffassungen über die einzuschlagende weniger als sechs Monate vor der Wahl ein- Strategie. Während Politiker wie Leopoldo

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Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. geführt, was nicht verfassungsgemäß und kaufte Fraktionswechsel, wie es sie in der somit nicht rechtens ist. Vergangenheit bereits gegeben hat, möchte VENEZUELA man verhindern, so der Koordinator des Es ist nur schwer vorstellbar, dass es der MUD, Jesús Torrealba, sinngemäß. Wäh- 1. Dezember 2015 Regierung ausgerechnet zu diesem Zeit- renddessen streiten die alte und die neue

punkt in den Sinn kommt, die politische Ad-hoc-Führung der darüber, wer www.kas.de/venezuela Teilhabe von Frauen zu stärken. Bereits bei das Sagen in der Partei hat.

der Einführung der sozialistischen Kommu- nen wurde der Grund vorgeschoben, eine Egal wie der parteiinterne Machtkampf aus- verbesserte Repräsentation und Partizipati- geht, so ist das verantwortungslose Handeln on des Volkes an politischen Prozessen zu der neuen COPEI-Führung so offensichtlich, ermöglichen, obwohl damit unweigerlich ei- dass es Fragen aufwirft. Eine Vielzahl von ne Schwächung der demokratisch legiti- Oppositionspolitikern und Beobachtern der mierten Gemeinderäte einherging, während politischen Szene vermutet hinter dem Ver- es de facto nur regierungsnahen Gruppen such, über ein politisch vereinnahmtes Ge- gestattet wird, eine Kommune zu gründen. richt einen Führungswechsel einer Mit- Die Zerstörung der politischen Institution gliedspartei des MUD zu erwirken, schlicht- der Gemeinde nimmt die Regierung dabei weg ein Manöver der Regierung, um Unruhe ohne weiteres in Kauf. und Misstrauen in den Reihen der Oppositi- on zu säen. Diese Deutung der Vorgänge Wurde COPEI durch die Regierung verein- innerhalb der COPEI mag abenteuerlich nahmt? klingen, doch sind erkaufte Fraktionswech- sel von Abgeordneten und eine damit ver- Viele Maßnahmen und Neuregelungen die- bundene Verschiebung der Mehrheitsver- nen also weniger der Stärkung der Demo- hältnisse im Parlament nicht auszuschlie- kratie, sondern zielen auf mehr Kontrolle ßen. und der Schwächung der oppositionellen

Gruppierungen ab. Der Fall der Oppositions- Außenpolitische Ablenkungsmanöver partei COPEI warf diesbzgl. viele Fragen auf. 27 der 167 Abgeordnetenkandidaten Im Vorfeld der Wahlen griff die Regierung des MUD sollte COPEI stellen. Allerdings zu weiteren ungewöhnliche Mitteln, um von zeigte eine parteiinterne Gruppe den Vorsit- der inneren Krise und den bevorstehenden zenden Roberto Enriquez nur zehn Tage vor Wahlen abzulenken. Im März 2015 erließ Fristende wegen der Kandidateneinschrei- US-Präsident Obama Sanktionen gegen Mili- bung an. Sie klagten, man habe bei der par- tärs und hohe Regierungsbeamte Venezue- teiinternen Ermittlung der Abgeordneten- las mit der Begründung, sie seien für Men- kandidaten die Parteistatuten missachtet. schenrechtsverletzungen bei der Nieder- Der Oberste Gerichtshof, der bekannterma- schlagung der Studentenproteste oder für ßen unter Regierungseinfluss steht, ent- Veruntreuung staatlicher Gelder verantwort- schied in überraschend kurzer Zeit zuguns- lich. Eingeleitet wurde das Dekret allerdings ten der Kläger. Er stellte allerdings nicht nur mit der Feststellung, dass die Situation in eine Verletzung der Parteistatuten fest, Venezuela „eine außergewöhnlichen Bedro- sondern setzte eine neue Parteiführung ein, hung für die Außenpolitik und nationale Si- obwohl dies nicht Sache des Gerichtes ist. cherheit der Vereinigten Staaten“ darstelle. Die Führung des MUD zog daraufhin die Obwohl sich die Sanktionen gegen einzelne Notbremse und schloss die COPEI aus dem Personen richteten, interpretierte die Regie- Wahlprozess aus. Der Schritt wurde damit rung sie als einen Angriff auf die staatliche begründet, dass man den COPEI- Souveränität. Mit Unterschriftenkampagnen Kandidaten nicht mehr trauen könne. Er- forderte man eine Aufhebung der Sanktio-

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Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. nen. Aus Parlamentskreisen erfuhr man, rung in Esequibo durch Guyana befürworte- dass nur ein Bruchteil der angeblich über te. VENEZUELA zehn Millionen Unterschriften zusammenge- tragen wurde. Dessen ungeachtet hielt die Säbelrasseln mit Kolumbien 1. Dezember 2015 Regierung mit Beteiligung von Militär und

Sanitätern Rettungsmanöver ab, um mögli- Nach Abflauen der Grenzstreitigkeiten mit www.kas.de/venezuela Guyana folgte ein Konflikt mit Kolumbien. che Bombenabwürfe der Vereinigten Staa-

Am 19. August ordnete Maduro die Schlie- ten in Venezuelas Städten zu simulieren. ßung der Grenzübergänge zu Kolumbien im Das nationale Fernsehen unterlegte die Be- Bundesstaat Táchira an. Anlass war ein richterstattung mit entsprechenden Explosi- Übergriff einer bewaffneten, kolumbiani- onsgeräuschen, während die Regierung pa- schen Gruppe auf venezolanische Soldaten. thosgeladen mit Kriegsrhetorik den nationa- Die Schließung der Grenze, die in den fol- len Zusammenhalt und die Unbesiegbarkeit genden Monaten auf weitere Bundestaaten der sozialistischen Revolution beschwor. ausgeweitet wurde und nach wie vor an- Obwohl der Vorgang eher an eine schlechte dauert, dient angeblich der Bekämpfung Komödie als an ernstzunehmende Realpoli- rechter Paramilitärs und des Schmuggels. tik erinnerte, konnte die Regierung zumin- Diese Ziele wurden freilich verfehlt. Zum dest für einen Moment den seit vielen Mo- einen ist das Gebiet unübersichtlich und auf naten andauernden Popularitätsverlust auf- beiden Seiten haben staatliche Sicherheits- halten. kräfte wenig Kontrolle oder sind mit den

Grenzkonflikt mit Guyana Machenschaften der Paramilitärs verquickt. Zum anderen sind es meist venezolanische Für autoritäre Regime ist es nicht unge- Generäle und Kommandanten der National- wöhnlich, nationalistische Emotionen ge- garde, die sich am Schmuggel mit billigen, genüber einer angeblichen außenpolitischen weil preislich regulierten venezolanischen Bedrohung zu erzeugen, um von einer inne- Waren nach Kolumbien bereichern. Einer ren Krise abzulenken. Womöglich war es Vielzahl von Augenzeugenberichten zufolge dieses Kalkül, das Staatspräsident Maduro laufen die Schmuggelaktivitäten im großen veranlasste, einen alten Grenzstreit mit Stil weiter. Während zehn Liter Benzin in dem Nachbarland Guyana wieder mit Leben Venezuela nicht einmal einen US-Dollarcent zu füllen. Als die Regierung in Georgetown (sic!) kosten, erhält man in Kolumbien beim ankündigte, man werde in dem auch von Verkauf eines Liters Benzin etwa einen US- Venezuela beanspruchten Gebiet Esequibo Dollar. Lizenzen zur Ölexploration vergeben, mobi- lisierte Maduro ein weiteres Mal den Propa- Traumhafte Margen werden allerdings auch gandaapparat und machte gegen das Nach- mit anderen Gütern des täglichen Bedarfs barland Stimmung. Dieses Mal lief sein Ma- erzielt, die in Venezuela zwar knapp, aber növer ins Leere, da zum einen die Venezo- dank Preis- und Wechselkursbindung bei laner zu Guyana nur eine schwach ausge- gleichzeitiger Inflationsrate von über 180 prägte emotionale Bindung haben und zum Prozent spottbillig sind. Die Versorgungsnot anderen selbst das sozialistische „Bruder- in Venezuela steigt dadurch unweigerlich. land“ Kuba wie auch andere von Venezuela Besonders in der Grenzregion zu Kolumbien abhängige Karibikstaaten Guyana ihre Soli- nimmt die Lage dramatische Ausmaße an. darität aussprachen. Kurioserweise war es Die Grenzschließung erfüllte nicht den er- Maduros Amtsvorgänger und als „Gigant“ hofften Zweck, führte aber dazu, dass über oder „Ewiger Kommandant“ betitelte Hugo 20.000 Kolumbianer, die meist seit vielen Chávez Frías selbst, der einst die Ölförde- Jahren auf venezolanischer Seite gelebt hat- ten, vom Militär der Schmugglerei bezichtigt

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Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. und vertrieben wurden oder präventiv die zu wählen. Ob der Aufruf Wirkung zeigt, Flucht in ihre alte Heimat ergriffen. darf bezweifelt werden. Die PSUV hat über VENEZUELA die Jahre ein ausgeklügeltes System von Stets an nationalistische Gefühle appellie- Stimmeneintreibern aufgebaut, dass die 1. Dezember 2015 rend vertiefte Präsident Maduro die Krise, Wähler am Wahltag an getätigte Wahlge-

indem er in den Grenzgemeinden den Aus- schenke erinnert, sie abholt und zum Wahl- www.kas.de/venezuela nahmezustand ausrief und dem Militär die lokal bis zur Stimmabgabe begleitet. Unter-

Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung stützer findet die PSUV in den von ihr auf- auftrug, die es selbst gefährdete. Es ist gebauten Gruppen bewaffneter Motorrad- wohl kaum ein Zufall, dass ausgerechnet in fahrer, den gefürchteten Colectivos, oder denjenigen Gemeinden der Ausnahmezu- eben jenen sozialistischen Kommunen, die stand ausgerufen wurde, in denen die Op- mittel- bis langfristig die Gemeinderäte er- position laut Umfragen einen Erdrutschsieg setzen sollen. Wo Gutgläubigkeit nicht aus- erwarten kann. Mit der Verhängung des genutzt werden kann, hilft sozialer Druck Ausnahmezustands werden wichtige Grund- oder die Androhung möglicher Folgen. Den rechte empfindlich eingeschränkt, bei- Venezolanern ist in Erinnerung geblieben, spielsweise die Versammlungsfreiheit. Par- dass viele ihren Arbeitsplatz verloren haben, teien ist es in den betreffenden Gemeinden als sie in dem Verfassungsreferendum 2007 untersagt, Wahlkampf zu betreiben. Gleich- gegen den Vorschlag des damaligen Präsi- wohl lassen die Militärs die Wahlkämpfer der denten Chávez stimmten. Die Abstim- Regierungspartei PSUV gewähren. mungslisten waren nicht geheim.

Wahlgeschenke und Stimmenkauf Die wirtschaftliche Krise trifft allerdings nicht nur die Bürger, sondern vor allem Die Verteilung von Wahlpräsenten und der auch die Regierung hart. Für großartige Kauf von Stimmen sind in Lateinamerika Wahlgeschenke scheint nicht viel Geld vor- leider nicht ungewöhnlich. Vergleichsweise handen zu sein. Auch die Enteignung von scheint sich in Venezuela diese Praxis in den Waren in den Geschäften scheint angesichts letzten Jahren ins Extreme entwickelt zu leerer Lagerhäuser auszufallen. Noch bei haben. Es ist dabei kein Geheimnis, dass die den Kommunalwahlen im Dezember 2013 PSUV öffentliche Mittel für Wahlkampfzwe- ordnete die Regierung die große Waren- cke nutzt. In Venezuela ist die Finanzierung hauskette Daka an, ihre Haushaltsgeräte von Parteien und ihren Wahlkämpfen aus und weiße Ware zum „Precio Justo“, einem öffentlichen Mitteln verboten. Die Parteien „gerechten Preis“ zu verkaufen, der nur ei- sind notorisch arm und auf private Spenden nen Bruchteil des handelsüblichen Laden- angewiesen. Eine Ausnahme bildet die Re- preises betrug. Der „“ („großer Da- gierungspartei, die in ihren Wahlkämpfen ka“) sorgte für den entscheidenden Stim- ihren Wählern für gewöhnlich üppige Ge- menzuwachs zugunsten der PSUV. schenke überreicht, zum Beispiel Haus-

haltsgeräte, Baumaterial oder Empfänger Ungerechtes Wahlsystem fürs Kabelfernsehen. Die Not der armen Be- völkerung ist derartig groß, dass die An- Bei den Parlamentswahlen am 6. Dezember nahme der für sie kostspieligen Güter nach- sind die Venezolaner dazu aufgerufen, 167 vollziehbar ist. Der demokratischen Opposi- Volksvertreter für die Nationalversammlung tion, die nicht über die gleichen Möglichkei- zu wählen. Derzeit hält der Polo Patriótico – ten verfügt, bleibt bei diesem ungleichen das Bündnis regierungstreuer Parteien unter Kampf nur die Möglichkeit, die bedürftige Führung der PSUV – eine verfassungsän- Bevölkerung dazu aufzurufen, die Geschen- dernde Mehrheit mit 100 Abgeordneten. Bei ke anzunehmen, jedoch nicht für die PSUV den vergangenen Parlamentswahlen errang

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Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. sie allerdings nicht die Stimmenmehrheit im zu politischer Verfolgung und Repression Land. Ermöglicht wird dies durch ungleich von Oppositionellen, muss die Opposition VENEZUELA große Wahlkreise, gemessen an den regist- mit allem rechnen. Das Misstrauen gegen- rierten Wählern. Venezuela hat, ähnlich wie über einer Regierungspartei, die zum ersten 1. Dezember 2015 Deutschland, ein personalisiertes Verhält- Mal seit 16 Jahren einen herben Machtver-

niswahlrecht. Ein Teil der Abgeordneten lust fürchten muss, ist berechtigt. Zwei Drit- www.kas.de/venezuela wird als Direktkandidat gewählt, der andere tel der Venezolaner misstrauen der Wahl-

Teil durch eine geschlossene Listenwahl auf kommission, wohlwissend, dass diese von Bundesstaatsebene. Drei Abgeordneten- regierungstreuen Funktionären besetzt ist mandate sind indigenen Minderheiten vor- und die logistische Durchführung der Wah- behalten. len dem höchsten Gremium des Militärs ob- liegt, dem Comando Ejecutivo Operacional Die Wahlkreise mit einer höheren Anzahl (CEO), das von dem Verteidigungsminister von Wählern befinden sich in den urbanen und überzeugten Chavist, General Padrino Räumen, während sich kleinere Wahlkreise López, in Personalunion geführt wird. auf dem Land finden. So kommt es, dass beispielsweise Petare, ein Wahlkreis im Os- Eine „wahre Opposition“ verwirrt Wähler ten von Caracas, mehr als eine halbe Million Wähler hat, während in Delta Amacuro im Einfallsreichtum hat das Regierungslager Orinoco-Delta nur rund 50.000 Wähler ei- bewiesen, als eine „Doppelgänger-Partei“ nen Abgeordneten stellen. Als der Senat – zum Oppositionsbündnis MUD zur Wahl zu- die zweite Kammer im Parlament – abge- gelassen wurde. Der MUD macht gemeinhin schafft wurde, wurde die Ungleichheit der von seiner landläufigen Kurzform „Unidad“ Wählerstimmengewichtung aufgrund unter- Gebrauch und wird auch als solche auf dem schiedlich großer Wahlkreise mit dem Feh- Wahlzettel in der linken unteren Ecke dar- len eines föderativen Korrektivs begründet. gestellt. Just neben dem Kästchen der „Uni- Eine angemessene regionale Repräsentation dad“ hat die Wahlkommission die „MIN- sollte durch Bevorteilung ruraler bzw. klei- Unidad“ platziert. Die Kürzel stehen für nerer Wahlkreise gewährleistet werden. „Movimiento Integridad Nacional Unidad“. Zum Vorteil der PSUV befinden sich jedoch Ursprünglich wurde die Partei 1978 gegrün- ihre Hochburgen in kleinen Wahlkreisen. Die det, jedoch hat der Oberste Gerichtshof am Opposition ist hingegen in urbanen Zentren 6. August 2015 die aktuelle Parteispitze ab- des Landes stark, wo die Wahlkreise groß gesetzt und eine neue Führung eingesetzt, und Stimmen hingegen „weniger wert“ sind. von denen einige Mitglieder der Regierung nahestehen. Dank Wahlkampfspenden un- Experten eines technischen Beraterstabes bekannter Herkunft kann die Splitterpartei des MUD haben errechnet, dass bei guter in neun Bundesstaaten antreten. Die MIN- Stimmenverteilung der PSUV womöglich 30 Unidad wählte eine ähnliche Farbe wie der bis 35 Prozent der Stimmen genügen könn- MUD und geht mit dem Motto „Die wahre ten, um die absolute Mehrheit der Mandate Opposition“ auf Stimmenfang. Unlängst hat zu gewinnen. Obwohl eine landesweite Um- der MUD gegen das Vorgehen der MIN- frage des Instituts Datanálisis die Oppositi- Unidad beim nationalen Wahlrat CNE pro- on bei rund 63 Prozent und die Regierungs- testiert, jedoch war der Versuch ebenso er- partei bei etwa 28 Prozent der Wählerstim- folglos wie die Klage darüber, dass in einem men sieht, ist ein Wahlsieg nicht gewiss. Wahlkreis die Kandidaten der MIN-Unidad Angesichts eines ungerechten Wahlsystems, und der MUD den identischen Namen tra- unlauteren Wahlkampfmethoden und stän- gen. Für die Wahlkommission schien es digen Störmanövern der Regierung bis hin ebenso wenig ein Problem zu sein, dass sich die MIN-Unidad nach Fristende zur Wahl

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Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. eingeschrieben hat. Rafael Delgado, Leiter im Zusammenhang stehen, dass das Obers- des Meinungsforschungsinstituts Varianza, te Wahlgericht Brasiliens, das die Mission VENEZUELA geht davon aus, dass der MUD wegen Ver- technisch vorbereitet hätte, von der venezo- wechslungsgefahr bis zu sieben Prozent der lanischen Regierung eine Garantie verlangt 1. Dezember 2015 Wählerstimmen an den unliebsamen Kon- hatte, die Wahlen „objektiv, unparteiisch

kurrenten MIN-Unidad verlieren könnte. und umfassend“ beobachten zu können. www.kas.de/venezuela Zudem gilt Jobim keineswegs als ideologi-

Keine unabhängige internationale Wahl- scher Freund der Regierung in Caracas. beobachtung Nachdem aus Venezuela keine Antwort er- folgte, zog die brasilianische Seite das An- Angesichts der Herausforderungen, unter gebot zurück. diesen Bedingungen allgemeine, geheime,

freie und faire Wahlen durchzuführen, wur- Wenig später wurde dann der ehemalige den Rufe aus dem In- und Ausland nach ei- Präsident der Dominikanischen Republik, ner internationalen Wahlbeobachtungsmis- Leonel Fernández, als Leiter der Wahlbeob- sion immer lauter. Vehement stemmt sich achtermission der UNASUR ins Gespräch die venezolanische Regierung jedoch gegen gebracht. Es ist zum gegenwärtigen Zeit- unabhängige, internationale Wahlbeobach- punkt offen, ob die Mission durchgeführt termissionen und führt somit die seit Jahren wird. In jedem Fall kann in so kurzer Zeit übliche Praxis fort. Dem Vorschlag, die Or- keine umfassende Beobachtermission tech- ganisation Amerikanischer Staaten (OAS) nisch vorbereitet werden. Vor allem wird es oder die Vereinten Nationen die Wahlen be- logistisch schwierig sein, Wahlbeobachter in obachten zu lassen, erteilte Staatspräsident kleine Wahlkreise im Hinterland zu entsen- Maduro im Juli eine energische Absage. Ve- den. nezuela „wird nicht überwacht und wird es

nie werden“, begründete er seinen Stand- Zur Unterstützung der Opposition haben punkt. Als sich bei Hintergrundgesprächen mehr als hundert Politiker angekündigt, sich in den folgenden Wochen abzeichnete, dass am Wahlwochenende in Venezuela aufzuhal- die venezolanische Regierung von ihrer Po- ten. Meist handelt es sich um Abgeordnete, sition nicht abrückt, schrieb der OAS- die dank ihrer diplomatischen Immunität Generalsekretär im November einen scharf weniger mögliche Repressionen fürchten formulierten Brief an die Vorsitzende der müssen. Damit ist zumindest internationale venezolanischen Wahlkommission, Tibisay Präsenz gewährleistet, auch wenn es sich Lucena, in dem er den Vorwahlprozess kriti- nicht um offizielle Beobachtermissionen sierte und die CNE zu sauberen Wahlen auf- handelt. rief. Internationale Drogenschmuggler in der Während Maduro Wahlbeobachtermissionen Präsidentenfamilie? der OAS oder UNO als Einmischung in inne- re Angelegenheiten betrachtet, ist dies im Die Nachricht schlug in Venezuela ein wie Fall der UNASUR anders. Das südamerikani- ein Bombe: zwei Neffen der First Lady Cilia sche Staatenbündnis ist dem Regime in Ca- Flores, die schon lange mit Staatspräsident racas gegenüber freundlich gesinnt. Als je- Nicolás Maduro liiert und seit 2013 verheira- doch die UNASUR den brasilianischen Ex- tet ist, wurden am 11. November von der Verteidigungsminister und ehemaligen Vor- amerikanischen Anti-Drogenbehörde (DEA) sitzenden des Obersten Gerichtshof, Nelson in Haiti bei dem Versuch verhaftet, 800 Ki- Jobim, als Leiter der Mission vorschlug, rea- logramm Kokain in das Zielland USA zu gierte die Regierung nicht und erteilte somit schmuggeln. Die Vereinigten Staaten haben eine indirekte Absage. Diese könnte damit mit Haiti ein Abkommen, das eine schnelle

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Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. Auslieferung ermöglicht. Bei den beiden ranghoher Beamter, Hugo „El Pollo“ Carva- verhafteten Personen handelt es sich um jal, auf Aruba festgesetzt, als er dort sein VENEZUELA Efraín Antonio Campos Flores, der im Hause neues Amt als venezolanischer Botschafter Flores-Maduro aufwuchs, und dessen Cousin antreten wollte. Die zuständigen niederlän- 1. Dezember 2015 Francisco Flores de Freites. US- dischen Behörden ließen ihn aber laufen,

Drogenfahnder ermittelten schon länger ge- nachdem sie die diplomatische Immunität www.kas.de/venezuela gen die beiden, die sich für das Geschäft anerkannten.

ausgerechnet an einen Kontaktmann der DEA in Honduras wandten, der den Privatjet Zu Beginn des Jahres 2015 tauchten dann geschickt nach Haiti lotste. Bei dem Pilot Gerüchte auf, nach denen der Parlaments- soll es sich um einen aktiven Militär der ve- präsident Chef des Dro- nezolanischen Luftwaffe gehandelt haben. genkartells „Cartel de los Soles“ sein soll. Allerdings hatte man keine Anklage vorbe- Im Mai ließ die US-Staatsanwaltschaft ver- reitet, weshalb man nur die beiden Neffen lauten, dass sie gegen Cabello in der Sache Maduros trotz ihrer venezolanischen Diplo- ermittelt. Cabello selbst beteuert stets seine matenpässe festnahm und nach New York Unschuld. Unabhängig von der Schuldfrage ausflog, wo sie dem Richter vorgeführt wur- liegt zumindest eine Mitwisserschaft nahe, den. Die nächste Verhandlung ist für den 2. denn die US-Küstenwache schätzt, dass Dezember angesetzt. Der Gerichtsjournalist über Venezuela jährlich 275 Tonnen Kokain Casto Ocando sagte, die USA ließen den geschmuggelt werden. Verweis auf diplomatische Immunität nicht gelten, da die beiden nicht in diplomatischer Statt Bekämpfung des Drogenhandels steht Mission unterwegs gewesen waren. Wenige die Vermutung der Mittäterschaft der vene- Tage später stellten Drogenfahnder in der zolanischen Regierungsangehörigen im Dominikanischen Republik in einem Haus Raum, so auch im Fall der Präsidentennef- und einer Yacht von Francisco Flores de fen. Einen Grund lieferte jüngst die spani- Freites mindestens weitere 80 Kilogramm sche Tageszeitung ABC. Mit Verweis auf ei- Kokain und zehn Kilogramm Heroin sicher. 1 nen Informanten sollen die Gewinne zur Wahlkampffinanzierung in Venezuela ver-

Schon seit langem bezichtigen US-Behörden wendet worden sein. Selbiger Informant soll die venezolanische Regierung der Duldung weitere Angehörige der Präsidentschaftsfa- oder Verwicklung im internationalen Dro- milie beschuldigt haben, regelmäßige Dro- genhandel und der Geldwäsche. Bereits im genlieferungen mit Unterstützung von Re- letzten Jahr wurde aus diesem Grund ein gierungsressourcen organisiert und dafür

auch den Präsidialhangar am internationa- len Flughafen Maiquetía benutzt zu haben. 1 Kurioserweise erfolgten erste Hinweise auf den Skandal um die Festnahme von Maduros Neffen durch den „Wahrsager“ Místerpopo Ce- Ob die unglaublichen Vorwürfen der Wahr- lestial, der wöchentliche „Vorhersagungen“ heit entsprechen, wird nun ein New Yorker über politische Ereignisse in sozialen Netzwer- ken verbreitet. Der Name geht auf die Figur Gericht versuchen herauszufinden. Laut Fe- „Mr. Popo“ in dem japanischen Comic „Dra- lix Jimenez, einem ehemaligen ranghohen gonball“ zurück. Die Vorhersagungen von Místerpopo Celestial werden in vielen venezo- Mitarbeiter der DEA, sind die Beweise gegen lanischen Medien wiedergegeben und sind vie- lerorts Gesprächsthema. Die Tatsache, dass Maduros Neffen überwältigend. Sie sollen einige seiner Aussagen unglaubliche Volltreffer sogar bereitwillig Auskunft über die Abwick- sind, scheint den Verdacht zu stärken, dass möglicherweise an Místerpopo verdeckt De- lung und Verantwortlichen der Drogenge- nunzierungen gesendet werden, die nicht fern schäfte gegeben haben. Ganz gleich wie das der Wahrheit sind. Obwohl es absurd klingen mag, so ist es nicht abwegig, dass Místerpopo Urteil ausgehen wird, so halten immer mehr die Rolle einer Art venezolanischen WikiLeaks einnimmt. Venezolaner die traurigen Vorwürfe, ihre Regierung könnte in den internationalen

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Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. Drogenhandel verwickelt sein, für möglich. einem Jahr wähnt sich die Regierung in ei- Die Aussagen aus Regierungskreisen ent- nem „Guerra Económica“, einem Wirt- VENEZUELA kräften nicht gerade die Anschuldigungen. schaftskrieg, angeblich angeführt von dem Maduro schweigt bisher zu den Vorwürfen, „Imperium“ der Vereinigten Staaten mit 1. Dezember 2015 wie auch seine Gattin . Diosdado dem Ziel, die sozialistische Revolution in

Cabello beharrt auf dem Standpunkt, die Venezuela zu vernichten. Es werden rhetori- www.kas.de/venezuela beiden seien entführt worden. Der chavisti- sche und mediale Parallelwelten aufgebaut,

sche Abgeordnete wähnt ein die gebetsmühlenartig wiederholt werden. Komplott der USA hinter dem Fall, um der Familie von Cilia Flores zu schaden. Der Ab- Anstatt sich um Amtsgeschäfte zu kümmern geordnete , ein enger Ver- und das erdölreiche Land anständig zu ver- trauter von Maduro, ließ sich im nationalen walten, verschwendet Präsident Maduro un- Fernsehen gar zu der Aussage hinreißen, glaublich viel Zeit damit, seinen Landsleuten dass jeder schon einmal einen derartigen ein anderes Bild von Venezuela weis ma- Vorfall in der Familie hatte und man nicht chen zu wollen, das allerdings nicht der die gesamte Familie für die Tat eines Fami- Realität entspricht. Mal weiht er Häuser des lienmitglieds beschuldigen könne. sozialen Wohnungsbaus, mal eine Schule oder einen Autobahnknoten ein, nicht ohne Die Schaffung einer Parallelwelt den Verweis, die sozialistische Revolution habe diesen Fortschritt gebracht. Während- Die Medienlandschaft Venezuelas ist dabei dessen bricht im Land die verbleibende Inf- geprägt von Zensur, Selbstzensur und Re- rastruktur zusammen: Stromausfälle und pression gegenüber Journalisten, die nicht Unterbrechungen der Wasserversorgung frei berichten können, sowie einer Situation, sind landesweit an der Tagesordnung. Es in der sich vor allem die Politiker auch in- fehlt an Chlor um das kontaminierte Frisch- nerhalb des eigenen Lagers wenig Vertrauen wasser zu reinigen. Die zum Verkauf ste- entgegenbringen und sich gegenseitig de- henden 20-Liter-Kanister sind ebenfalls oft nunzieren. Die politische Kultur wird be- verunreinigt und Trinkwasser im Super- herrscht von permanenter Dauerpropagan- markt ist rar. Es fehlt immer öfter an Er- da der Regierung, mit der sie bewusst Des- satzteilen für Autos oder allerlei Gerätschaf- information betreibt. Noch nie befand sich ten. Die Supermarktregale werden stetig das Land in einer so schweren wirtschaftli- leerer, was auf staatlich verordnete Preis- chen und sozialen Krise. Die Regierung fühlt bindungen zurückgeht, die unterhalb der sich nicht nur nicht verantwortlich, sondern Produktionskosten liegen. So verursachte leugnet die Krise vielmehr. Es kann sich nur der kürzlich erfolgte Beschluss, nach dem um Realitätsverlust oder Zynismus handeln, eine Palette Eier nur noch die Hälfte bzw. wenn eine Regierung, die seit über 16 Jah- ein Drittel des sonst gängigen Ladenpreises ren im Amt ist, sich in keiner Weise für das kosten darf, dass in nur wenigen Tagen die Leid der eigenen Bevölkerung verantwort- Eier aus den Supermärkten verschwanden lich zeigt. Seit Jahren arbeitet die Regierung und seither nur auf dem Schwarzmarkt er- daran, Wahrheiten zu verschleiern, in dem hältlich sind. sie Statistiken fälscht oder schlichtweg nicht veröffentlicht. Bestes Beispiel sind die Infla- Die Wirtschaft wird vollends vernachlässigt. tionszahlen, die seit 11 Monaten nicht mehr Enteignete Betriebe mussten schließen oder von der Zentralbank bekanntgegeben wer- sind unproduktiv. Die nationale Produktion den. Ebenso wenig werden Zahlen und Da- sinkt stetig, Entlassungen oder vorüberge- ten über die Gewaltkriminalität, Ausbreitun- hende Beurlaubungen sind die Folge. Der gen von Krankheiten oder die Wasserquali- staatliche Ölgigant PDVSA, einst eines der tät veröffentlicht. Seit nunmehr weit über

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Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. größten Erdölunternehmen der Welt, ist von Heutzutage darf mit Fug und Recht behaup- der Regierung finanziell geschröpft worden tet werden, dass das chavistische Projekt VENEZUELA und soll nahe der Pleite stehen. Laut Aussa- des „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ ge- ge eines Vorstandsvorsitzenden einer Pri- scheitert ist. Alle Ziele, die man sich auf die 1. Dezember 2015 vatbank stehen die staatlichen Banken, auf roten Fahnen schrieb, wurden verfehlt. Laut

die rund 40 Prozent der Marktanteile im einer Studie der Katholischen Universität www.kas.de/venezuela Bankensektor entfallen, kurz vor dem Bank- Andres Bello (UCAB) gibt es heute mehr

rott. Die sozialen Proteste nehmen zu, vor Menschen in Armut bzw. extremer Armut allem wegen der fehlenden öffentlichen Si- als zum Zeitpunkt des Amtsantritts von Hu- cherheit. Lynchmorde an Personen, die des go Chávez. Die Korruption ist endemisch, Raubes oder Diebstahls bezichtigt werden, die Unsicherheit allgegenwärtig. Die Mordra- sind nicht ungewöhnlich. Entführungen sind ten übersteigen teilweise die von Ländern alltäglich und werden oft von kriminellen mit kriegerischen Konflikten. Aufgrund eines Banden verübt, die ihre Basis in so genann- festgesetzten Wechselkurses und der welt- ten „Friedenszonen“ haben. Dabei handelt weit höchsten Inflation, die maßgeblich auf es sich um Zonen, aus denen sich die Polizei ein enormes Haushaltsdefizit und eine Geld- überwiegend zurückgezogen hat und im Ge- schwemme des Bolívar zurückzuführen ist, genzug mittels sozialer Projekte ein sozialer verarmt vor allem die untere wie auch die Frieden geschaffen werden sollte. Folge war Mittelschicht. Schätzungsweise haben 1,5 jedoch Anarchie, eine Verwahrlosung der bis zwei Millionen, zumeist gut ausgebildete, Zonen und verstärkte Aktivitäten organisier- junge Venezolaner das Land verlassen – ter Kriminalität. Tendenz steigend.

„Sozialismus des 21. Jahrhundert“ produ- Das Land ist ungleicher denn je. Es ist ein ziert Armut und Auswanderung zehnfacher Mindestlohn notwendig, um eine Familie zu ernähren. Rechnet man den mo- Immer weniger Venezolaner lassen sich je- natlichen Mindestlohn nach dem Schwarz- doch durch die Propaganda beirren, da sich marktkurs um, so beträgt dieser um die für die meisten die Lebensqualität schlicht- zehn US-Dollar. Außer Erdöl wird im Land weg verschlechtert hat. Die Mär vom „So- immer weniger produziert, da entweder die zialismus des 21. Jahrhundert,“ der mehr Betriebe Opfer der Krise und des Systems einem pervertierten Assistenzialismus als fester Preisbindungen sind oder sich die einem klar definierten, sozialistischen Ent- wirtschaftlichen Aktivitäten auf Geschäfte wicklungs- oder Staatsmodell entspricht, konzentrieren, die Gewinne aus der Diffe- findet immer weniger Fürsprecher. Dafür ist renz zwischen festem Wechselkurs und die Krise für die große Mehrheit der Venezo- Schwarzmarktkurs schöpfen. Besonders laner zu hart und zu allgegenwärtig, als Günstlinge der Regierung, die Zugang zum dass man sie leugnen könnte. Dollar mit Präferenzkurs haben, erzielen un- sittliche Gewinne. Während die Mehrheit der Es wirkt geradezu surreal, wenn Maduro von Bevölkerung in die Armut abdriftet, lebt ei- Wachstum, Wohlstand, Frieden und Ent- ne kleine Schicht in Saus und Braus. wicklung spricht, während das Land in

Anarchie versinkt. Bei einer Rede vor der Einst ist der Chavismus mit der Agenda an- Menschenrechtskommission der Vereinten getreten, Venezuela von dem angeblichen Nationen in Genf behauptete der venezola- Joch des internationalen Finanzkapitalismus nische Präsident gar, man habe die Armut in unter der Führung der USA zu befreien. Seit Venezuela reduziert und schütze Demokra- 16 Jahren bedient sich die chavistische Re- tie wie Menschenrechte. gierung hierfür ihres Vorbildes, dem des la-

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Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. teinamerikanischen Freiheitskämpfers Si- sich nicht nur die Nervosität der Regierung món Bolívar, dessen Wirken sie historisch angesichts einer drohenden Niederlage, VENEZUELA verklärt. Statt Unabhängigkeit hat der Cha- sondern auch die Vielzahl unlauterer Hin- vismus jedoch Venezuela mehr denn je in dernisse und Manöver, die einen Wahlsieg 1. Dezember 2015 die Abhängigkeit anderer Länder geführt: der Opposition unterlaufen sollen.

nur statt an den USA oder am Internationa- www.kas.de/venezuela len Währungsfonds hängt Caracas‘ Zukunft Ungewisser Wahlausgang

nun am Finanztropf von China, das Venezu- ela im Jahr 2015 mit zwei Milliardenkrediten Einerseits deuten Umfrageergebnisse auf vermutlich vor dem internationalen Zah- einen Erdrutschsieg der Opposition hin, an- dererseits bevorteilt das Wahlsystem die lungsausfall gerettet hat. Regierungspartei. Zudem erwarten viele Beobachter einen Wahlbetrug durch die Re- Chavismus verliert an emotionaler Bin- gierung. Sollte die Opposition gewinnen, dung können sich die wenigsten einen geordneten Machtwechsel im Parlament vorstellen. Vor dem Hintergrund der dramatischen Kri- Möglicherweise wird noch im Monat Dezem- se gerät Präsident Maduro paradoxerweise ber, bevor sich die neue Nationalversamm- zum besten Wahlkämpfer der Opposition. lung konstituiert, die chavistische Mehrheit Die gesellschaftliche Realität lässt ihn zuse- genutzt, um eine Reihe von Gesetzen zu hends unglaubwürdiger erscheinen. Das Re- verabschieden, die die Macht der Regierung gierungslager findet ihre Anhänger am stärken und Kompetenzen des Parlaments beschneiden. Andere Gesetzesinitiativen ehesten bei denjenigen Leuten, die in direk- könnten auf eine verstärkte Kontrolle der ter Abhängigkeit des Systems stehen. Meist Zivilgesellschaft abzielen. In diesem Zu- handelt es sich um Angestellte und Beamte sammenhang kann auch die Verabschie- im überbordenden Staatsapparat, deren dung eines sich bereits in zweiter Lesung Stimmabgabe man zurückverfolgen könnte, befindenden Gesetzes über die Internatio- sowie um Günstlinge im staatlichen Vertei- nale Kooperation stehen. Demzufolge müs- lungssystem von Waren oder um die bil- sen bi- und multilaterale Mittel der Entwick- dungsferne, meist rurale Bevölkerung der lungszusammenarbeit in einem staatlichen Peripherie. Fonds zugeführt werden, über dessen Ver- wendung nicht die jeweiligen Organisatio- nen, sondern der venezolanische Staat ent- Einst glühende Anhänger des Revolutions- scheiden soll. führers Chávez kehren der PSUV heute ent- täuscht den Rücken zu, nicht selten mit Im besten Fall ist bei einem Wahlsieg der dem Verweis, Maduro habe die Revolution Opposition „lediglich“ mit einer institutionel- verraten. Der Chavismus stellt sich heute len Auseinandersetzung zwischen Parlament nicht mehr als ein einheitlicher Block dar. und Regierung zu rechnen. Eine besorgnis- Mit Bildern und Reden versucht die PSUV erregendere Entwicklung darf hingegen er- den Geist von Hugo Chávez wiederzubele- wartet werden, wenn Präsident Maduro sei- ne Drohungen wahr macht, und im Fall ei- ben. Doch von der früheren Dynamik einer ner Niederlage „mit dem Volk auf die Stra- linken Bewegung, die die Bevölkerung mit- ße“ geht oder das angekündigte „Chaos“ reißt und emotionalisiert, ist kaum etwas zu anzettelt. Zu seiner Interpretation von spüren. Mehr denn je hat sich die Führungs- „Volk“ dürfte auch das Militär zählen, da die riege der PSUV von der Bevölkerung ent- „zivil-militärische Einheit“ in jeder Rede Er- fernt. Am ehesten manifestiert sich dies wähnung findet. Das Militär scheint gerüstet durch Nachrichten von Veruntreuungen zu sein: auf dem leicht zugänglichen Kaser- staatlicher Mittel durch Regierungsmitglie- nengelände des Fuerte Tiuna in Caracas stehen mehr als zwei Dutzend neu erworbe- der oder eben durch jenen Skandal um die ne Wasserwerfer und Schützenpanzer be- Neffen von Präsident Maduro. So erklärt

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Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. reit, die sich zur Niederschlagung von mög- bleibt fraglich. Bereits 2004 hatte die Oppo- lichen Protesten eignen. sition ein Abwahlreferendum gegen Chávez VENEZUELA initiiert und verloren. Sollte die Regierungspartei die Parlaments- 1. Dezember 2015 wahlen gewinnen, so hängt viel davon ab, Venezuela blickt in eine ungewisse Zukunft. wie sich der MUD verhält. Sollte wider Er- Ganz gleich, welchen politischen Weg das www.kas.de/venezuela warten ein fair erkämpfter Wahlsieg der Land einschlägt, muss es eine historische PSUV erfolgen, so wird sich der MUD wirtschaftliche Krise meistern. Eine schnelle zwangsläufig fügen müssen. Sollte es evi- Erholung der Wirtschaft ist nicht zu erwar- dente Anzeichen eines Wahlbetrugs geben, ten und somit wird die politische Situation so stellt sich für den MUD erneut die Frage, bis auf weiteres von Fragilität gekennzeich- ob sie weiterhin die Strategie eines elekto- net sein. ralen Wandels verfolgen soll oder angesichts eines Regimes, das nie nach demokrati- schen Spielregeln spielt, zum Aufruf von Massendemonstrationen gezwungen wird. Bisher haben sich die moderaten Kräfte im Oppositionsbündnis durchgesetzt. Bereits bei der Präsidentschaftswahl 2013 wurde ein Wahlbetrug vermutet. Zu Beginn hinter- fragte der Maduro unterlegene Präsident- schaftskandidat Capriles das Wahlergebnis, akzeptierte es jedoch letztlich. Sollte er er- neut ein Ergebnis akzeptieren, das durch Betrug zustande gekommen ist, könnte möglicherweise seine Glaubwürdigkeit in- nerhalb der Opposition auf dem Spiel ste- hen. Für die Zukunft des Oppositionsbünd- nisses sind die bevorstehenden Wahlen si- cherlich wegweisend.

Eine weitere Option, die in den letzten Mo- naten immer öfter diskutiert wurde, wäre ein sogenannter „Dritter Weg“. Dabei geht es um die Überlegung, dass moderate Kräf- te der Regierung und des Militärs in Ab- stimmung mit moderaten Kräften der Oppo- sition eine Übergangsregierung installieren und Neuwahlen ausrufen. Es ist zu erwar- ten, dass ein solcher Weg unter Führung einflussreicher Militärs eingeschlagen wird. Ob, wie und wann ein „Dritter Weg“ einge- leitet werden kann, ist völlig offen und vor- erst nur eine theoretische Option.

Abgesehen davon, würde sich der Oppositi- on im nächsten Jahr die Möglichkeit bieten, ein Abwahlreferendum gegen Maduro einzu- leiten. Ein Abwahlreferendum kann gestellt werden, nachdem der Präsident die Hälfte seiner Amtszeit zurückgelegt hat. Ob das vor dem Hintergrund der politischen Situati- on in Venezuela ein gangbarer Weg mit ei- ner fairen Chance für die Opposition wäre,