Berliner Beiträge zur Archäometrie Seite 101-116 1999

Untersuchungen an holsteinischen Glashüttenfunden des 17. und 18. Jahrhunderts

HEIKE BRONK UND GERHARD ScHULZE

Abstract

Mit Hilfe einer quasi-zerstörungsfreien Mikroprobenahme- und Analysentechnik wurden Untersuchungen zur Materialzusammensetzung von Hohlglasfunden des 17./18. Jhs. aus der Region Holstein in Norddeutschland durchgeführt. Neben Rückschlüssen auf die Art und Reinheit der verwendeten Glasrohstoffe wird am Beispiel eines Römers unbekannter Herkunft die Möglichkeit der Provenienzzuweisung von deutschem "Waldglas" auf chemisch-analy­ tischer Basis diskutiert.

Einleitung

Neben Sand bildete Holz, zum einen für die Feuerung der Öfen, zum anderen als Flußmittel in Form von Asche, bis in Jas ausgehende 18. Jh. die essentielle Voraussetzung für den Betrieb einer Glashütte. Im Gegensatz zum heutigen landschaftlichen Erscheinungsbild Norddeutsch­ lands waren die Regionen Schleswig und Holstein noch vor 300 Jahren von großen zusammen­ hängenden Waldgebieten bedeckt. Die erste Kunde von Glashütten in Holstein, zunächst Iandes-, später gutsherrliehen Gründungen, stammt aus dem Jahre 1436 [Pöhls 1956, Hucke 1976]. Im 16. und besonders 17. Jh. erlebte die Glasmacherkunst nördlich der Eibe eine Blüte• zeit- der allgemeine Aufschwung von Wirtschaft und Wissenschaft, einhergehend mit einem verfeinerten Lebensstil, führte zu einer gesteigerten Nachfrage an Glas, z.B. für höfisches und bürgerliches Trinkgeschirr, Fensterscheiben und Laboratoriumsgeräte. So kam es zum Ende des 16. Jhs. in Holstein zur Gründung von zahlreichen Waldglashütten, deren enormer Holz­ verbrauch die Wälder lichtete, gleichzeitig damit aber auch Ländereien urbar machte [Hucke 1954, Richert 1979].

Arbeitskräfte, die zur Herstellung von Glas spezielles Wissen mitbringen mußten, kamen vor­ rangig aus Hessen und dem Harz- die Auflösung des hessischen Glasmacherbundes zwang viele der dortigen Glasmacherfamilien zur Umsiedlung. Zu diesen Einwanderern gehörte auch der aus dem Kaufunger Wald stammende Franz Kunckel, der 1575 seine erste Glashütte in Holstein anlegte. Einer seiner Nachfahren, der um 1683 im Kirchspiel Plön geborene Johann Kunckel, gelangte als Alchimist und Glastechnologe, Erfinder des Goldrubin-Hohlglases und Verfasser der Ars vitraria experimentalisoder vollkommene Glasmacher-Kunst zu Berühmt• heit.

Als um etwa 1700 die Holzvorräte in Holstein zu Ende gingen, behalf man sich zum Teil noch mit Torf als Brennmaterial, bis 1730 waren jedoch die meisten Glasmacher in das benachbarte Mecklenburg abgewandert.

101 Beschreibung des Mikroprobenahme- und Analysenverfahrens (DIAM-Verfahren)

Archäometrische Untersuchungen an Gläsern werden häufig mit Hilfe der Elektronenstrahl­ mikroanalyse (ESMA) oder der Röntgenfluoreszenzanalyse (RFA) vorgenommen, also Me­ thoden, die Probemengen von üblicherweise einigen mg benötigen. Alternativ dazu wurde von Horn [Horn 1998] und der Autorin [Bronk 1998] eine quasi-zerstörungsfreie Mikroprobenahmetechnik entwickelt, die mit nur einigen Hundert J..lg Glasmaterial auskommt und es zudem ermöglicht, Glasobjekte direkt im Museum zu beproben, so daß ein Transport des fragilen Gegenstandes entfällt. Alle anderen Arbeitsschritte, also Aufschluß und Analy­ sen, können dann im Labor vorgenommen werden. Mikroprobenahme (6 - 12 Abstriche a 100 - 150 !Jg)

Bestimmung der Probemasse durch Differenzwägung (Uitramikrowaage)

Flußsäure- oder Schmelzaufschluß

• Ionenchromatographie (Na, K, Ca und Mg simultan) • Fließinjektionsanalyse mit photometrischer Detektion von Molybdänblau (Si, P) • Graphitrohr-Atomabsorptionsspektrometrie (Al, Pb, Fe, Mn, As, Cu, Co u.a.)

Abb. 1: Arbeitsschritte des DIAM-Verfahrens.

Die Vorgehensweise des DIAM-Verfahrens ist in Abbildung 1 schematisch dargestellt. Die Vorteile des Verfahrens liegen in seiner Mobilit'ät, der einfachen Handhabung und dem gerin­ gen instrumentellen Aufwand. Der für größere Untersuchungsserien nachteilige hohe zeitli­ che Aufwand (etwa 1 Arbeitstag pro vollständig quantifizierter Probe) wird dadurch bei weitem ausgeglichen.

Der Abstrich von nur 100 bis 150 J..lg Glasmasse wird mit diamantbeschichteten Feinschleif­ feilen ausgeführt. Die Oberfläche des Glases wird zuvor mit Ethanol von Staub und Fett gereinigt, eine eventuell vorhandene Verwitterungsschicht muß, soweit vertretbar, durch lo­ kales Anschleifen entfernt werden.

102 Die Masse der in den Schründen der Feile haftenden Probe wird durch Differenzwägung der leeren und beladenen Feile ermittelt. Mit einer Ultramikrowaage (Ab Iesbarkeit 0, l 11g) wur­ de durch Konstruktion eines speziellen Wägegestells eine Reproduzierbarkeit der Wägung bei Probenahme im Labor von± I ,9f.lg erreicht. Im Falle einer externen Beprobung verringert sich die Reproduzierbarkeit durch luftfeuchtigkeitsbedingte Schwankungen der Feilenmasse auf ± 8 f.lg. Der Aufschluß der Glasproben wird für die Bestimmung des Elementes Silicium nach Ablösen der Proben von den Feilen in einem Ultraschallbad in einer Schmelze aus Soda/Pottasche bei 1000°C vorgenommen. Für alle weiteren Elemente eignet sich ein Aufschluß mit 400 f.!l Flußsäure und ggf. Zusatz von I 00 f.!l Perchlorsäure. Die Feilen werden dazu für ca. 60s in die in einem I ,5 ml-Mikroreaktionsgefäß vorgelegte Säure getaucht. Nach Überführen in einen Platin- oder PTFE-Tiegel werden die Lösungen unter einem Oberflächenstrahler bis zur Trockne ein­ gedampft und dann auf ein für die analytische Methode und die Glaszusammensetzung opti­ miertes Volumen aufgefüllt (in der Regel 2 bis 10 ml).

Die analytischen Methoden wurden im Hinblick auf ausreichende Empfindlichkeit, hohe Selek­ tivität, geringen Probenverbrauch und geringe Matrixeinflüsse ausgewählt. Die Bestimmung von Silicium wurde nur in einigen Fällen vorgenommen, da der Gesamtfehler des Verfahrens von 5 bis 10% für die Hauptkomponente in vielen Fällen zu hoch für eine archäometrischeAussa• ge war. Diese Reproduzierbarkeit istjedoch für die Bewertung aller weiteren Elemente zu ver­ treten. Durch simultane bzw. sequentielle Bestimmung von drei bis vier Elementen aus einer aufgeschlossenen Probe konnten alle glasrelevanten Elemente aus sechs (zweifache Messung ohne Si) bis maximal zwölf Abstrichen (dreifache Messung inklusive Si) pro Objekt bestimmt werden. Die daraus entstehende Beschädigung, ein kleiner Kratzer, ist minimal und kann ver­ deckt am Fuß oder einer Bruchkante angebracht werden.

Das DIAM-Verfahren wurde durch Analysen von Standardgläsern bekannter Zusammenset­ zung und Referenzmessungen mittels ESMA verifiziert. Eine detaillierte Beschreibung aller verwendeten Parameter, Verifizierungsmessungen und Nachweisgrenzen ist den Publikatio­ nen [Schulze 1997], [Horn 1998] und [Bronk 1998] zu entnehmen.

Beschreibung des Probenmaterials

Aus dem Bestand des Museums des Kreises P1ön in Holstein konnten Hohlgläser von 14 ver­ schiedenen Hüttenplätzen dieser Region untersucht werden. Der Produktionszeitraum der Funde liegt zwischen l 630 und 17 45. Bei der Mehrzahl der Objekte handelt es sich um grü• nes Gebrauchsglas, sogenanntes "Waldglas".

Die Numerierung der Proben, wie sie für Tabelle 1 verwendet wurde, ist jeweils fettgedruckt in Klammern angegeben.

Möhlenschar, um 1630, 1 Flaschenhalsabschlag (FH), dunkelgrün (H 1) Deeschenhörn, um 1630, 1 FH mittelgrün (H 2), 1 FH bläulich-grün (H 3) Rixdorf/Gläserk, um 1630, Produktionsahfall, mittelgrün (H 4) , 1630 bis 1640, 1 FH dunkelgrün (H 5) Plötzenkate, Gründung 1640, l FH, mittelgrün (H 6) , Gründung 1669, l FH, mittelgrün (H 7) Haßberg, l680er Jahre, 1 FH, mittelgrün (H 8), I FH, bläulich-grün (H 9)

103 Timmerhorst, 1690er Jahre, 1 FH, mittelgrün (H 10) Bergfeld, 1690er Jahre, Produktionsabfall, bläulich-grün (H 11) Wensin, Gründung 1696, I FH, dunkelgrün (H 12), 1 FH, bräunlich-grün (H 13) Testorf, 1700 bis 1715, 1 FH, dunkelgrün (H 14) Hüttenberg (D), 1 FH, dunkelgrün (H 15), 1 FH, bräunlich-grün (H 16) Muggesfelde (Torfglashütte), 1729 bis 1745, 1 FH, dunkelgrün (H 17), 1 FH, mittelgrün (H 18), 1 FH, bräunlich-grün (H 19)

Zum Probenmaterial gehörten weiterhin zwei blaue Fragmente, ein opak-weißes Glasstück, zwei Beerennuppen von Römern und der Fuß eines Römers mit dem Fundort Amsterdam. Für die­ sen bestand die Vermutung, daß er in der Glashütte Lammershagen gefertigt worden sei, da Holstein in der zweiten Hälfte des 17. Jhs. in großem Stil Flaschen und eventuell auch anderes Glas in die Niederlande verschiffte [Kruse 1994]. hellblaues Fragment von einer runden Wandung, Dicke des Glases 3 mm, Lammershagen, 1680er Jahre (H 20) hellblaues Flachglasfragment, Glasdicke 3 bis 5 mm, Bergfeld, 1690er Jahre (H 21). kleines Fragment aus Milchglas, im Auflichtopal weiß bis bläulich, im Durchlicht orange bis bräunlich, Bergfeld, 1690er Jahre (H 22) Beerennuppe eines Römers, hellgrün, Lammershagen, 1680er Jahre (H 23) Beerennuppe eines Römers, hellgrün, Haßberg, 1680er Jahre (H 24)

1 Fragment eines kleinen, hellgrünen Römers mit Beerennuppen und gesponnenem Fuß , Amsterdam, Höhe 5,5 cm, Durchmesser 3,4 cm (H 25), siehe Abbildung 2

Abb. 2: Fragment des Fußes eines Römers (H 25), Fundort Amsterdam.

104 Ergebnisse der Analysen Na K MgO Fe MnO Probe Si02 Al203 20 20 CaO P20s 203 H1 n.b. 3,72 2,78 3,80 18,0 3,21 1,98 0,95 0,61 H2 n.b. 3,29 2,58 5,58 17,7 3,54 2,31 0,77 0,64 H3 n.b. 2,95 3,25 4,18 17,8 2,81 1,29 0,69 0,55 H4 n.b. 3,54 3,44 5,28 15,2 2,92 1,41 0,83 0,55 H5 n.b. 3,51 3,04 3,23 17,2 3,08 0,99 0,94 0,63 H6 n.b. 3,21 2,71 6,00 18,3 2,88 1,98 0,97 0,58 H7 56,1 3,87 1,95 6,86 18,7 3,10 2,20 0,94 0,59 HB n.b. 3,00 2,68 3,61 18,2 2,62 1,76 1,06 0,69 H9 n.b . 1,89 4,18 5,42 18,0 3,38 2,14 0,49 0,85 H 10 n.b. 3,60 1,65 3,24 17,6 2,24 1,64 1,16 0,4 H 11 60,0 2,32 3,50 5,33 17,9 3,07 2,46 0,42 0,38 H 12 n.b. 3,29 3,71 2,83 17,9 2,74 2,49 1,11 0,63 H 13 n.b. 3,01 3,48 2,89 18,2 2,79 2,11 1,27 0,56 H 14 n.b. 3,56 2,99 3,48 21 ,8 2,57 1,84 1,05 0,38 H 15 n.b. 4,18 2,88 3,79 20 ,7 2,81 0,82 1,76 0,39 H 16 n.b. 4,13 3,72 3,35 19,7 2,80 2,45 2,03 0,29 H17 n.b. 4,12 4,18 1,67 19,5 3,10 0,87 1,92 0,44 H 18 n.b. 3,83 3,26 2,42 18,9 2,71 2,03 1,54 0,43 H 19 n.b. 3,97 3,14 1,46 19,3 2,71 2,43 1,70 0,37 H 20 n.b. 2,31 2,73 12,1 16,4 2,41 2,04 0,43 0,53 H 21 n.b. 3,19 2,77 6,01 15,1 2,28 2,62 0,44 0,56 H 22 n.b. 1,58 3,44 16,8 7,76 0,30 4,38 0,22 0,10 H 23 61,0 3,93 4,13 4,90 16,3 2,37 1,47 0,42 0,54 H 24 n.b. 2,62 4,35 4,60 16,8 3,28 1,23 0,41 0,93 H 25 n.b. n.b. 0,70 7,39 18,6 4,38 1,44 0,30 1,31

Tabelle 1: Chemische Zusammensetzung von Hüttenfunden des 17./18. Jhs. aus Holstein, alle Angaben in Massen-% (n.b. nicht bestimmt).

In Tabelle 1 sind die nach dem DIAM-Verfahren erhaltenen Zusammensetzungen der Holstei- ner Gläser aufgeführt. Der Berechnung der angegebenen Mittelwerte liegen jeweils drei Einzelbestimmungen zugrunde. In keiner der Proben konnten Blei und Arsen oberhalb der

Bestimmungsgrenze (0, 104% PbO bzw. 0,038% Asp3 für eine Einwaage von 100 fJg) nach- gewiesen werden. Die Quantifizierung von Si02 wurde wegen der einem großen Arbeitsauf- wand gegenüberstehenden geringen archäometrischen Aussagekraft nur stichprobenartig vor- genommen. Der SiO?-Anteilläßt sich aus der Summe dieser Elemente und ihrer Differenz zu 100% auf etwa 60 b-is 65 %abschätzen.

105 Auswertung und Diskussion der Ergebnisse Die Proben aus grünem Flaschenglas weisen eine sehr homogene Zusammensetzung auf. Als Mittelwerte und Standardabweichungen der quantifizierten Elemente in den Proben H I bis H 16 wurden berechnet:

3,32 ± 0,60% Alp3 18,3 ± 1,5% CaO 1,03 ± 0,41% Fep3 3,03 ± 0,66% Nap 2,91 ± 0,32 % MgO 0,55 ± 0,14 % MnO

4,30 ± 1,25 % Kp 1,87±0,52 % Pp5

Für den Gemengesatz dieser Gläser lassen sich anhand der Zusammensetzung neben dem Glassand mindestens drei weitere Rohstoffe ausmachen: Zum einen wurde, wie in Deutsch­ land zu dieser Zeit für einfaches Gebrauchsglas allgemein üblich, mit Holzasche als Flußmittel gearbeitet. Aus den hohen Ca0/K20-Verhältnissen kann auf die Verwendung von Kalk neben Holzasche geschlossen werden. Zusätzlich wurde ein natriumreiches Flußmittel verwendet­ die Kp!Nap-Verhältnisse sind mit Werten zwischen 0,4 und 2,2 (Ausnahme Probe H 7 mit 3,5) so klein, daß sie nicht aus der Holzasche resultieren können. Wie Abbildung 3 deutlich macht, sind die Natrium- und Kalium-Anteile der Gläser nicht miteinander korreliert. Drei mittels Elektronenstrahlmikroanalyse analysierte Proben zeigten einen Zusammenhang von

• Milchglas 15

Lammershagen, blau • 0~ c 10 Römer, 0 Amsterdam :::s:::"' • 5 • • • - • • • ...... • • • • • o+-~--~--~~--~==~~~~--~~ 0 1 2 3 4 5

Na20 in%

Abb. 3: Nap!Kp-Korrelationsdiagramm holsteinischer Gläser des 17. und 18. Jhs.

106 Natrium undChlor(H7 0,10% Cl, H 110,48 %,H23 0,59 %). BeideEiementescheinen durch einen Rohstoff in das Glas eingetragen worden zu sein, vermutlich in Form von Kochsalz oder Salzsiederasche, letztere ein mit NaCI angereichertes Abfallprodukt der Kochsalzgewinnung aus Salinen [Loibl 1996]. Der Grundtyp des zwischen 1630 und 1745 in Holstein produzierten Flaschenglases entspricht demnach einem natriumreichen Holzasche-Kalk-Glas. Nur Probe H 7 ist als reines Holzasche­ Kalk-Glas einzustufen. Eine Änderung der Nap- und Kp-Gehalte, wie sie in Brandenburger Gläsern für die Zeit um 1700 auftritt [Bronk 1998], wurde nicht festgestellt. Der signifikante MnO­ Anteil gelangte mit der Asche ins Glas, ist hier also kein Indiz für eine angestrebte Entfärbung mit Braunstein (Giasmacherseife). Kürzlich publizierte Analysen von 25 grünen Flachgläsern aus holsteinischen Glashütten des gleichen Zeitraums [Kuisma-Kursula 1997] wiesen weitestgehende Ähnlichkeiten der Zusam­ mensetzung auf. Die Mittelwerte und Standardabweichungen dieser Proben berechnen sich wie folgt:

, , 61,1 ± 2, I % Si02 2,6 ± 0,6 % Alp3 2,9 ± 0,6 % Na20, 4,8 ± 0,7 % Kp, 19,5 ±I ,4 % CaO, , , 4,4 ± 0,4% MgO, 2,6 ± 0,3% Pp5 0,8 ± 0,2% FeO, 0,6 ± 0,2 % MnO, 0,3 ± 0,1 % S03 0,3 , ± 0, I % Ti02 0,2 ± 0,1% BaO (Quantifizierung durch Elektronenstrahlmikroanalyse). Bis auf etwas höhere Magnesium- und Phosphoranteile stimmen diese Angaben sehr gut mit dem oben angegebenen Zusammensetzungsbereich überein. Mittels Protonen-induzierter Röntgenemission (PIXE) wurden von Kuisma-Kursula, Räisänen und Matiskainen auch die Anteile einiger Spurenelemente bestimmt: 60 ± 18 ppm CuO, 160 (I ± 65 ppm ZnO, 30-1300 ppm PbO, 0-120 ppm Asp3 Probe mit 1600 ppm), 130 ± 30 ppm . RbO, 720 ± 100 ppm SrO und 250 ± 80 ppm Zr02 In den grünen Gläsern aus Holstein ist die Summe der Alkalioxide, die zwischen nur 4,6 und 9,6 % liegt, generell sehr gering. Trotz des sichtbar guten Erhaltungszustandes könnte eine Zer­ setzung in folge der Bodenlagerung der Funde eine drastische Senkung der Oberflächengehalte an Natrium- und Kaliumoxid verursacht haben. Die als Referenzmessungen durchgeführten Mikrosondenmessungen, für die Proben aus dem Inneren von drei Gläsern verwendet wurden, ergaben jedoch im Vergleich zum DIAM-Verfahren keine abweichenden Alkalioxid-Anteile. Die drei Proben aus der Torfglashütte Muggesfelde (H 17 bis H 19) weisen mit 1,5 - 2,4% Kp gegenüber dem Mittelwert etwas niedrigere Kalium-Anteile auf, wahrscheinlich infolge eines reduzierten Holzasche-Anteils im Gemenge. Die Glashütte Muggesfelde war die erste in Hol­ stein, die aus Mangel an Holz ihre Öfen mit Torf befeuerte (etwa ab 1730). Hucke berichtet zu diesem Thema, daß viele holsteinische Glashütten nach 1700 kaltgelegt wurden, da die Guts­ herren zum Verkauf des erforderlichen Brennholzes nicht bereit waren2 [Hucke 1974]. Das neue Brennverfahren mit dem ausreichend verfügbaren Torf hatte der Glasmeister der Muggesfelder Hütte, Benjamin Gundelach, vermutlich in Mecklenburg kennengelernt Bei geeigneter Ofen­ konstruktion und gut getrockneten Torfsoden war es möglich, trotzdes an sich geringeren Brennwertes ausreichende Temperaturen und ein raucharmes Feuer zu unterhalten. In der Färbung der Holsteiner Flaschengläser Lritl eine Besonderheit auf: Sie sind von einer transparenten, mittelgrünen Farbe, werdenjedoch gegen Ende des 17. Jhs. dunkelgrün und er­ scheinen im Auflicht sogar schwarz. Wie Poser berichtet, bildete sich für dieses Glas eine markante Flaschenform heraus [Poser 1989]. Ein Holsteiner Glasmeister, Jürgen Gundeiach (geb. 1620), trug den Beinamen des

107 "Schwarzmeisters". Anhand der chemischen Analysen konnte diesem Effekt nachgegangen werden, für den als Ursache entweder eine Änderung der Schmelzatmosphäre oder die Verwen­ dung anderer Ausgangsmaterialien in Frage kam. Der Vergleich der Färbung mit den Analysedaten ergab, daß die Farbintensität wie zu erwar­ ten direkt vom Fe,0 0-Gehalt des Glases (und natürlich außerdem von seiner Dicke) abhängt.

So erscheint ein 1 -c~ starkes Glas mit weniger als 0,5% Fep3 hellgrün und wird mit steigen­ dem Eisen-Anteil dunkler, bis es ab etwa 1,5% Fe20 3 nahezu undurchsichtig und schwarz wird.

I I

2,0 • - • dunkelgrün bis schwarz • • ______~!~! ___ _ 1,5 0~ c tiefgrün (") • 0 C\J • Q) • • • LL 1,0 ----•------• mittelgrün 0,5------· ------

hellgrün

0,0~----r----.----~------~----~----.-----r----.----~~---.--__, 1620 1640 1660 1680 1700 1720 1740 Herstellungszeit

Abb. 4: Zeitliche Entwicklung des Fep3-Anteils im Holsteiner Flaschenglas.

In Abbildung 4 ist die Änderung des Fep3-Anteils der untersuchten Gläser in Abhängigkeit von ihrer Herstellungszeit graphisch dargestellt. Aus dieser Darstellung wird etwa ab 1700 eine Tendenz zu höheren Eisen-Gehalten ersichtlich.

Die Fep3-Anteile der ab 1715 hergestellten Flaschen steigen sprungartig auf über 1,5% an, deshalb erscheinen diese Gläser schwarz. Diese Veränderung des Anteils der farbgebenden Komponente ist nicht mit einer Änderung der sonstigen Glaszusammensetzung verbunden, so daß geschlußfolgert werden kann, daß der höhere Eisengehalt aus der Verwendung einer an­ deren, weniger reinen Quarzkomponente resultierte. Die Vermutung von Poser dazu erscheint richtig, daß anfangs verwendeter sehr reiner Flintstein, der die hohe Qualität des holsteinischen Waldglases ermöglichte, selten wurde und durch eisenreichere Sande ersetzt werden mußte [Poser 1989].

108 Die Zusammensetzung der blauen Gläser H 20 und H 21 unterscheidet sich von den bisher besprochenen nur durch einen höheren Kp-Anteil (H 20 6,0 %, H 21 l2, I %) und einen etwas niedrigeren Caü-Anteil (15- l6 %). Eine Laugung des Flußmittels ist nicht erkennbar, da die , Gehalte an Pp5 MgO und Fep3 nicht verringert sind. Als farbgebende Komponente der beiden blauen Glasproben kommen entweder Kupfer oder Cobalt in Frage. Die Absorptionsspektren beider Glasproben sind gleich. In Abbildung 5 ist das Spektrum des Fragmentes aus Lammers­ hagen dargestellt. Neben der breiten Fe2+-Bande im beginnenden IR (900 bis I 100 nm) zeigt

1,25

c 0 :;::::; .Y c 1,00 w-><

0,75

300 400 500 600 700 800 900 1000 1100 Wellenlänge in nm

Abb. 5: Absorptionsspektrum des blauen Glases aus der Hütte Lammershagen (H 20) im Wellenlängenbereich von 250 bis II 00 nm.

das Spektrum ein TripJett bei ca. 530, 590 und 650 nm. Diese Feinstruktur läßt sich nach Weyl in Kaliumsilicaten zweiwertigem Cobalt zuordnen, der von vier Sauerstoffatomen umgeben ist [Weyl 1992].

Aus 20 mg der gemahlenen Probe H 20 wurden mittels Graphitrohr-Atomabsorptions­ spektrometrie die Elemente Cobalt und Kupfer bestimmt. Das Glas enthält 258 ppm Co und 189 ppm Cu. Die Farbwirkung von Cobalt ist etwa lOOx intensiver als die von Kupfer, deshalb trägt hier ausschließlich Cobalt zur Blaufärbung der untersuchten Stücke bei . Allerdings ist der Cobalt-Anteil gering, und durch die gleichzeitige Anwesenheit von Kupfer entsteht eine hel­ le, wasserblaue Farbe und nicht das für Cobalt sonst typische violettstichige Blau.

109 Die Verwendung von Cobaltoxid für die Blaufärbung von Gläsern läßt sich bereits in der 18. bis 20. Dynastie Ägyptens nachweisen. In Europa sind cobaltblaue Gläser beispielsweise aus der Latene-Zeit (300 v.Chr.), der keltischen Kultur und auch aus dem Deutschland des l . bis 4. Jhs. bekannt. [Bezborodov 197 5] In der Neuzeit, besonders im 17. Jh ., fand Cobalt nicht nur für das Färben von Glas, sondern auch als Pigment in der Wand-, Glas- und Porzellanmalerei Verwendung. Die bedeutendsten Vorkom­ men von Cobalterzen lagen im Erzgebirge. Das Element tritt meist in Vergesellschaftung mit Arsen und Schwefel als Speiskobalt, Kobaltglanz oder Kobaltkies auf. Johann Kunckel beschreibt die Aufbereitung des Cobalterzes in der Ars vitraria experimentalis [Kunckel1689, S.45- 48]: Das Erz wurde zuerst geglüht, dabei wurde Arsenik freigesetzt, das als weißer Rauch sublimierte und aufgefangen wurde. Das geröstete Erz wurde dann gepocht und als Zaffera oder, mit Kieselsteinen, Pottasche und Arsenik verschmolzen, als Smalte ver­ kauft. Von Riederer stammt eine ausführliche Darstellung der Geschichte, Gewinnung und Verwendung von Smalte [Riederer 1968]. Ebenfalls durch Johann Kunckel erfahren wir etwas über die Herstellung von Milchglas im 17. Jahrhundert. Kunckel führt in der Ars vitraria experimentalis zwei Rezepturen auf, die ihm von Daniel Krafft (in Diensten des Mainzer Erzbischofs tätig) mitgeteilt worden waren. Das erste davon lautet: "Das schöne Parcellein-Glas z. u bereiten! .. Nim weisen Kießling oder schönen Sand 60. Pfund gereinigte Pott-Asche 40. Pfund gebrandte Knochen oder Hirschhorn I 10. Pfund I dieses wohl gemischt und geschmolzen. Es hat zwar dieses Glas die Art I daß es erstlieh klar und hell aus dem Feuer kommt; wann man es aber einwärmet und verarbeitet I so wird es entweder gleich den Opael, oder aber ganz. Bein- oder Milchweis I alles nachdeme man es oft einwärmet I und viel oder wenig gebrandt Hirschhorn oder Knochen da zu getan hat." [Kunckel 1689, S. 57f.] Im zweiten Gemengesatz wird statt der Pottasche Salpeter, Borax, Weinstein und außerdem Arsenik empfohlen. Aber auch bei dieser Rezeptur beruht die Trübung auf dem Zusatz von Knochenasche, die sich in der mineralischen Trockenmasse aus etwa 80 % Tricalciumphosphat

) , , ) Ca/ P04 2 6,6 % CaC03 1,4 % Mg3(P04 2 und 0,5 % CaF2 zusammensetzt [Römpp 1996]. Ehe Johann Böttger im Jahre L708 in Dresden die Erfindung des europäischen Hartporzellans gelang, versuchte man, das begehrte chinesische Porzellan auch mit dem Material Glas zu imitieren. Eine lichtundurchlässige Wirkung kann entweder durch feste, nicht aufgelöste Teil­ chen (z.B. SnO,) oder, wie im Falle des Tricalciumphosphats, durch Tröpfchenbildung in ei­ ner Emulsion vÖn zwei Glasphasen begrenzter Löslichkeit erzielt werden. Die opake Farbe bil­ det sich beim durch Knochenasche getrübten "Beinglas" erst beim nachträglichen Erwärmen, dem "Anlaufen", heraus. Die Trübungsstärke hängt vom Grundglas, dem Trübungsrohstoff, der Anzahl und Grösse der lichtstreuenden Teilchen sowie der Differenz der Brechzahlen beider Phasen ab [Lange 1980.]. Für das Milchglas aus Bergfeld läßt sich eine Trübung durch Knochenasche aufgrund des außergewöhnlich hohen P20 5-Anteils von 4,4 % sicher nachweisen. Seine Zusammensetzung entspricht in etwa der ersten von Kunckel aufgeführten Rezeptur, aus der sich eine Glas­ , zusammensetzung von ca. 67,5 % Si02 23,0 % Kp, 5,3 % CaO, 4,2 % Pp5 und 0,1 % MgO abschätzen läßt. Das Milchglas aus Holstein enthält im Vergleich dazu etwas weniger Kp (16,8 %), dafür einen signifikanten Nap-Anteil (3,44 %).

110 Herkunftseingrenzung des Amsterdamer Römers Abschließend soll der Frage der Provenienz des Amsterdamer Römerfragmentes nachgegangen werden. Bereits aus der Auftragung von Nap vs. Kp (Abbildung 3) wurde deutlich, daß die Zusammensetzung des Römers deutlich von den aus Holstein stammenden Funden abweicht. Der Nap-Anteilliegt unter 1 %, das Glas gehört zum Typ des reinen Holzasche-Kalk-Glases (kein natriumhaltiges Flußmittel). Die MgO- und MnO-Gehalte des Römers sind signifikant höher als die der Holsteiner Gruppe (siehe Abbildung 6).

• Römer Amsterdam 4 • • • • 3 • • •• 1- ~ • ~ • 0 •• • c ...

1

• Milchglas 0+-----~----.-----~----~----~------~ 0,0 0,5 1,0 1,5 MnO in%

Abb. 6: MnO/MgO-Korrelationsdiagramm der holsteinischen Gläser.

Die beiden einzelnen hellgrünen Beerennuppen aus Lammershagen und Haßberg weichen dagegen bis auf einen etwas geringeren Eisen-Gehalt in keinem der analysierten Elemente von den übrigen grünen Gläsern aus Holstein ab. Unterscheidungen zwischen Gläsern verschie­ dener Hütten waren nicht zu treffen. Der Vergleich der Analysenergebnisse läßt demnach die Schlußfolgerung zu, daß der Amster­ damer Römer entgegen der ursprünglichen Annahme nicht in der Region Holstein hergestellt wurde. Die Provenienz des Römers kann durch einen Vergleich mit Gläsern anderer Regionen noch etwas eingegrenzt werden: Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind neben den vorgestellten Holsteiner Gläsern Analysen von Gebrauchsglas des 16. bis 18 . Jhs. aus Brandenburg [Bronk 1998], Nordhessen/Süd-

111 niedersachsen (Kaufunger Wald, Reinhardswald, Hils u.a.) [Wegstein 1995 und 1995/2], dem Harz [Wegstein 1995], dem Spessart [Sellner 1979], dem Eichsfeld (Thüringen) [Hm1mann 1994] und dem Schwarzwald [Maus 1997] verfügbar. Eine vergleichende Studie über europäisches Wald­ glas, die Proben aus dem Spessart, dem Kaufunger Wald, Höxter, Holstein, Lübeck, Hils und dem Schwarzwald (sowie der Toskana, Hiiumaa und Amsterdam (letztere keine Grabungsfunde)) um faßt, liegt von Kuisma-Kursula, Räisänen und Matiskainen [Kuisma-Kursula 1997] vor. Damit sind noch nicht alle größeren glasproduzierenden Regionen Deutschlands erfaßt. So fehlen z.B. Bayerischer Wald, Thüringer Wald und Erzgebirge. Wegen der geographischen Nähe können auch Analysen an neuzeitlichem Glas aus Ostfrankreich (Argonne, Metz, Chälons-sur-Marne) [Barrera 1989] in einen Vergleich einbezogen werden.

Auf die Erörterung der jeweils autorenspezifischen Einteilungen und Klassifizierungen soll an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden- die Betrachtung aller Analysendaten von nicht entfärbtem Gebrauchsglas machtjedoch deutlich, daß generell zwischen natriumreichen und natriumarmen Holzasche-Kalk-Gläsern unterschieden werden kann. Das Hauptunterschei­ dungsmerkmal der zwei Glastypen sind die unterschiedlichen Nap- und Kp-Gehalte, die durch die Verwendung unterschiedlicher Flußmittel variieren. Reine Holzasche-Kalk-Gläser (Nap < 1 %) zeigen im Vergleich zu den natriumreichen Vertretern neben höheren Kp-Antei­ len zudem einen höheren Gehalt der Elemente Magnesium, Phosphor und Mangan (höherer

• ausschließlich reines Brandenburg vor 1700 Holzasche-Kalk-Glas Osttrankreich (Typ I) Na20 < 1 %

• Typ I und Typ II Spessart (überwiegend Typ I) treten parallel auf Schwarzwald (Typ I zu > 2/3) Nordhessen/Südniedersachsen (Typ II zu ca. 90 %)

• ausschließlich natrium­ Holstein reiches Holzasche-Kalk­ Harz Glas (Typ II) Brandenburg nach 1730 2-4% Na 0 2 Eichsfeld/Thür. K20 I Na20 < 2

Abb. 7: Geographische Verteilung der beiden Grundtypen von Holzasche-Kalk-Gläsern des 16. bis 18. Jahrhunderts innerhalb Deutschlands nach dem derzeitigen Forschungsstand (für Regionen, in denen beide Typen gefunden wurden, unter Angabe der ungefähren Häufigkeits• verteilung).

112 Holzasche-Anteil im Gemenge). Über diese beiden Varianten der Holzasche-Gläser hinaus sind anhand der Haupt- und Nebenkomponenten keine weiteren Charakteristika zu erkennen. Es konnte jedoch festgestellt werden, daß diese beiden Zusammensetzungsklassen nicht will­ kürlich auftreten, sondern daß innerhalb einer Region ausschließlich oder zum überwiegenden Tei I nur eine der beiden unterschiedlichen Varianten anzutreffen ist. Diese Tatsache ist im Zusammenhang mit der offensichtlich regional spezifischen Verfügbarkeil des notwendigen Flußmittels zu sehen. In Abbildung 7 ist die Verteilung der natriumarmen (Typ 1) und natriumreichen (Typ 2) Holz­ asche-Kalk-Gläser in den verschiedenen glasproduzierenden Gegenden Deutschlands noch einmal zusammengefaßt. Die Gesamtzusammensetzung des Römers entspricht dem Typ des reinen Holzasche-Kalk­ Glases. Sie zeigt damit die größte Ähnlichkeit mit Funden aus dem Spessart sowie grünen Gläsern aus dem Schwarzwald und Lothringen. In allen drei Regionen ist die Herstellung von Römern belegt. Mit einiger Sicherheit als Provenienz auszuschließen sind Holstein, Hessen, der Harz und das Eichsfeld. Brandenburg käme zwar von materialwissenschaftlicher Seite in Frage, exportierte jedoch keine Römer in die Niederlande. Denkbar wäre auch eine Herstellung in den Niederlanden selbst - beispielsweise beschäftigte eine Glashütte in Lüttich auch deutsche Arbeiter und betrieb eine verrerie des allemands. Hier ist zur Zeit nur ein unzureichender Vergleich möglich, da keine Hüttenfunde vorliegen. Aus dem Studienglasbestand des Rijksmuseums Amsterdam wurden folgende fünf Waldglasfragmente des 16./17. Jhs. mit Hilfe des DIAM-Verfahrens untersucht ( Grabungsfunde aus dem urbanen Bereich): Fuß eines Berkemeiers3 mit tropfenförmigen Nuppen und gesponnenem Fuß, Färbung hellgrün bis bläulich, I. Hälfte des J 7. Jhs. (A I) Fuß eines Berkemeiers mit tropfenförmigen Nuppen und glattem Fuß, Färbung hellgrün bi s bläulich, 1. Hälfte des 17. Jhs. (A 2) Wandung einer Flasche, mittelgrün bis bläulich, leicht korrodiert, Wandstärke 2 mm (A 3) viereckiger Boden eines kleinen Fläschchens, ca. 5 x 5 cm, I ,5 -2 mm stark, hellgrüne (halb­ weiße) Glasmasse (A 4) Fragment eines mehrkantigen Paßglases mit bl auer Fadenauflage, in die Form geblasen, hellgrün bis bräunlich, sehr dünnwandig (0,5 mm) (A 5)

Die in Tabelle 2 aufgeführten Zusammensetzungen der untersuchten Amsterdamer Waldgläser schwanken im Vergleich zum holsteinischen Glas relativ stark. Nur das Paßglas (A 5) ist dem Typ des natriumreichen Holzasche-Kalk-Glases zuzuordnen, die beiden Berkemeier und das

Probe Si0 MgO 2 Al 203 Na20 K20 CaO P20s Fe203 MnO PbO As203 A 1 n.b. 2,02 0,98 10,6 16,7 3,82 2,55 0,61 1,47 n.g. n.g. A2 n.b. 2,97 0,48 10,7 14,5 3,16 2,84 0,77 1,15 0,55 n.g. A3 n.b. 2,85 0,30 7,51 21 ,4 3,50 4,73 1,42 1,18 1,37 n.g. A4 n.b. 2,08 n.g . 10,7 13,5 2,59 1,21 0,57 0,94 0,16 n.g . A5 n.b . 3,20 1,97 4,22 22,8 3,09 4,39 1,24 1,30 0,21 0,02

Tabelle 2: Chemische Zusammensetzung von niederländischen Waldgläsern des 16./17. Jhs., Studienglasbestand des Rijksmuseums Amsterdam, alle Angaben in Massen-% (n.b. nicht bestimmt, n.g. nicht gefunden).

113 Flaschenglas gehören zu den reinen Holzasche-Kalk-Gläsern wie der fragliche Römer. Jedoch stimmt keins dieser vier Gläser exakt mit der Zusammensetzung des Römers überein. Deutli­ - che Abweichungen gibt es beim MgO-Anteil (4,38% im Römer) und dem niedrigeren Fep3 Anteil (0,30 %). In vier der fünfniederländischen Gläser wurde ein signifikanter PbO-Anteil nachgewiesen, der im Amsterdamer Römer nicht auftrat. Überdies war das optische Erschei­ nungsbild der niederländischen Gläser mit einer als charakteristisch zu bezeichnenden bläulich• grünen Färbung deutlich verschieden vom rein hellgrünen Farbton des untersuchten Römerfusses. Mit Vorbehalt aufgrund des geringen Datensatzes wird deshalb eine niederlän• dische Provenienz flir unwahrscheinlich gehalten.

Was ergibt sich nun der Vergleich mit schriftlichen Quellen über den Export von Römern in die Niederlande?

Der Römer, die typische Form des deutschen Weißweinglases, entwickelte sich aus den For­ men mittelalterlicher Nuppenbecher im 15 . Jh . am Niederrhein. Im Zuge der Eigenständigkeits• tendenzen der Niederlande gegenüber der spanischen Vorherrschaft und der Entwicklung zu einer fUhrenden Wirtschaftsmacht stieg auch der Bedarf an Glas vornehmlich in der bürgerli• chen Schicht des Landes. Der überwiegende Teil der Römer wurde aus Deutschland importiert. In archivalischen Quellen ist von sogenannten Frankfurter und Heilbronner Römern die Rede, beide Städte liegen auf Transportrouten nach Holland [Baart 1984]. So wurde Glas aus den Hütten des Spessarts über Frankfurt gehandelt; Heilbronn war Umschlagplatz von Glas aus dem württembergischen Dreieck zwischen Stuttgart, Heilbronn und Ellwangen (aus diesem Gebiet liegen zur Zeit keine chemischen Analysen von Hüttenfunden vor). Der Transport erfolgte mit Karren auf den Hessenwegen oder zu Schiff auf Weser und Rhein.

Besonders die Glasmacherei im Spessart erlebte im 16. Jh. durch die steigende Nachfrage aus den Niederlanden eine Renaissance, die bis zum allgemeinen Niedergang der Waldglashütten im 18. Jh. anhielt. Gleichzeitig fiel die hessische und Iothringische Konkurrenz durch Einfüh• rung einer Waldschutzkonzeption in Hessen bzw. ein durch die Hugenottenkriege in Frankreich verursachtes Konjunkturtief aus.

Der Vergleich von archivalischen Quellen und den vorliegenden chemischen Daten deutet auf eine Herstellung des Römers im Spessart oder im Schwarzwald hin. Als mögliche Herkunft käme ebenfalls die Gegend von Heilbronn in Frage, doch fehlen hierzu analytische Vergleichs­ daten. Aus diesem Beispiel kann das Fazit gezogen werden, daß eine chemisch-analytische Provenienzzuordnung von frühneuzeitlichem Waldglas nur in gewissen Grenzen möglich ist. Im 16. bis 18. Jh. waren in Deutschland für die Herstellung von Flaschen- und einfachem Trinkglas im wesentlichen zwei Gemengesätze aus Sand, Holzasche und Kalk üblich, die sich nur durch den, allerdings regional nahezu einheitlichen, Zusatz von natriumreicher Salzsieder­ asche oder Na Cl unterschieden. Das Ausschließen bestimmter Provenienzen ist daher leichter als die eindeutige Zuordnung zu einer bestimmten Herkunftsregion.

1 Zur Form und Entw icklung des Römers sieh e [Theuerkauff 1968). 2 Ein Kontrakt von 1724 gibt den Holzbedarfeiner Saison von 30 bis 36 Arbeitswochen mit wenigstens 200 Bäumen flir eine Hütte an. Zur Formenentwicklung des Berkemeiers siehe [H enkes 1996].

114 Literatur [Baart 1984] J. M. Baart. Der Gebrauch von Glas in Amsterdam im 17. Jh. in: Glück und Glas­ Zur Kulturgeschichte des Spessartglases. C. Grimm, Haus der Bayerischen Geschichte (Hrsg.), Verlag Kunst & Antiquitäten, München 1984, S. 34-47 [B arrera 1989] J. Barrera und B. Velde. A study offrench medieval glass composition. Archeo­ logie Medievale 19 ( 1989), S. 81-130 [Bezborodov 1975] M. A. Bezborodov. Chemie und Technologie der antiken und mittelalter­ lichen Gläser. Verlag von Zabern, Mainz 1975, S. 65 [Bronk 1998] H. Bronk. Chemisch-analytische Untersuchungen frühneuzeitlicher Gläser Mit­ tel- und Südeuropas unter Anwendung einer quasi-zerstörungsfreien Mikroprobenahme­ technik. Dissertation TU Berlin, Mensch & Buch Verlag, Berlin 1998 [Hartmann 1994] G. Hartmann. Late-rnedieval Glass Manufacture in the Eichsfeld Region (Thmingia, ). Chemie der Erde 54 ( 1994), S. 103-128 [Henkes 1996] H. E. Henk es. The metamorphosis of the Berkemeier. Annales du 13

115 [Theuerkauff 1968] A.-E. Theuerkauff-Liederwald. Der Römer, Studien zu einerGlasform I+ 11. Journal ofGlass Studies X I XI 1968/69, S. 114- 153 (X) und 43-69 (XI) [Wegstein 1995] M. Wegstein. Dissertation, Universität Frankfurt/Main, 1995 [Wegstein 1995/2] M. Wegstein, H. -G. Stephan und H. Urban. Chemische Untersuchungen an frühneuzeitlichen Glashüttenfunden des nordhessischen und südniedersächsischen Rau­ mes. Tagungsband Archäometrie und Denkmalpflege, Bochum, 1995, S. 33-35 [Weyl1992] W. A. Weyl. Coloured Glasses. Society ofGlas Technology, Sheffield, 5. Reprint, 1992,S. 174ff. .

Danksagung Unser Dank gilt Herrn Dr. Kruse vom Museum des Kreises Plön in Holstein und Herrn Ritsema van.Eck vom Rijksmuseum Amsterdam für die Bereitstellung des Probenmaterials. Frau Adam (Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung, Berlin) danken wir für die Durchführung der Messungen an der Mikrosonde.

Adresse der Aut6ren Technische Universität Berlin Institut für Anorganische und Analytische Chemie Sekr. C2 Str. des 17 . Juni 135 10623 Berlin

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