50 Jahre Studio für Elektronische Musik (1959 - 2009)

11.11. - -13. 13. 12. 12. 2009 2009 / Universität Mozarteum 50 Jahre Studio für Elektronische Musik (1959 - 2009)

11. - 13. 12. 2009 / Universität Mozarteum

SEM 50 Jahre.indd 1 02.12.2009 08:39:11 Bret Battey Writing on the Surface

2

SEM 50 Jahre.indd 2 02.12.2009 08:39:17 Univ.Prof. Reinhart von Gutzeit Wir bleiben realistisch und feiern gerne ein halbes Jahr- Rektor der Universität Mozarteum Salzburg hundert mit elektronischer Musik an der Universität Mo- zarteum. Wir danken damit allen, die sich in dieser Zeit- spanne für das Studio für Elektronische Musik eingesetzt 50 Jahre Studio für Elektronische Musik an der Universität haben und wünschen spannende Hörerlebnisse bei den Mozarteum. Das bedeutet, dass das angeblich so tradi- Jubiläumskonzerten. tionalistisch ausgerichtete Mozarteum sich sehr früh an einer „revolutionären“ Entwicklung beteiligt hat: im Jahr 1951 hatte Herbert Eimert in Köln das erste Studio dieser Art begründet, dessen Leitung 12 Jahre später Karlheinz Stockhausen übernahm. Das Studio für elektronische Mu- sik an der Kölner Hochschule, das ich als Student Ende der Sechzigerjahre kennen lernte, beruhte schon auf eine Ent- wicklungszeit von fast zwei Jahrzehnten; aber gemessen am heutigen Stand ähnelte es einem Sputnik im Vergleich zu einem Space Shuttle.

Auch wenn die Handhabung unendlich viel einfacher wur- de und die klanglichen Möglichkeiten sich immer mehr er- weiterten, während aufwändige Apparaturen gewisserma- ßen im Inneren der Laptops verschwanden, wird von den Komponisten, die sich mit elektronischer Musik befassen, sehr viel verlangt. Sie sollen nicht nur Künstler, sondern zugleich auch Wissenschaftler sein – am besten Kompo- nist, Elektrotechniker, Physiker, Tonmeister und Program- mierer in einer Person. Dass sie sich dieser Aufgabe schon weit vor Commodore, Atari und Apple oder Computer- programmen wie Logic, Pro Tools und Co. gestellt haben, lässt sich in einschlägigen Geschichtsbüchern mit Staunen nachlesen. Oder hätten Sie gewusst, dass bereits im Jahr 1885 das erste Patent auf dem Gebiet der elektronischen Klangerzeugung erteilt wurde? Dass manche gar ein Ju- biläum um die „260 oder 280 Jahre Elektronische Musik“ einfordern, da bereits im 18. Jahrhundert elektrifizierte In- strumente erfunden wurden?

3

SEM 50 Jahre.indd 3 02.12.2009 08:39:21 Achim Bornhoeft Stockhausen, der das parametrische Zeit-Klang-Kontinu- os aus der Kompositionsausbildung an den Hochschulen Leiter des Studios für Elektronische Musik um mit elektronischen Mitteln umsetzte und eine Vielzahl mittlerweile nicht mehr wegzudenken ist. neuer Technologien initiierte, sei es Luigi Nono, der sein Schon im Jahr 1916 hatte Edgar Varèse die Bedürfnisse gesamtes Spätwerk im Experimentalstudio Freiburg vor- Als eine der ersten Institutionen seiner Art erkannte das der Komponisten eines neuen Zeitalters formuliert, indem nehmlich der Arbeit mit Live-Elektronik widmete oder Mozarteum früh die Möglichkeiten des neuen Mediums er forderte ”unser musikalisches Alphabet muss erweitert , der visuelle Methoden zur Klangsynthese und begann elektronische Musik in die Ausbildung zu inte- werden. Wir haben auch neue Instrumente bitter nötig... entwickelte und stochastische Algorithmen sowohl zur In- grieren. Wie vieles Andere in der wechselvollen Geschichte In meinen eigenen Werken fühlte ich stets die Notwen- strumentalkomposition als auch zur Genese von Compu- des Studios für Elektronische Musik, lässt sich auch das digkeit neuer Ausdrucksmedien, die sich jedem Ausdruck termusik verwendete. Pierre Boulez seinerseits nahm viele genaue Gründungsdatum nicht eindeutig festlegen. Nach des Denkens fügen und mit dem Denken Schritt halten neu entwickelte Techniken des von ihm geleiteten IRCAM Auskunft der Personalabteilung trat Irmfried Radauer zum können.” 1 und fügte kurze Zeit später hinzu ”Der Kompo- in seine Kompositionen auf, John Cage experimentierte mit 1.10.58 eine Vertragslehrerstelle am Mozarteum an. Das nist und der Elektrotechniker werden zusammenarbeiten verschiedensten elektronischen Klangerzeugern und auch offizielle Jahrbuch verzeichnet seinen Namen unter der müssen, um das zu erreichen.” 2 Diese visionären Partner- Steve Reichs Minimal Music gründet sich vornehmlich auf Überschrift „Abteilungen (Unterrichtsfächer) / Elektro- schaft ist nicht nur real geworden, sondern im Profil eines Experimente mit zwei Tonbandmaschinen, die gleiches akustik” zusammen mit Ing. Josef Adelberger, Ing. Georg modernen Komponisten mittlerweile zu einer Personaluni- Tonmaterial durch minimal unterschiedliche Geschwin- Stefan erst im darauffolgenden Jahr. Häufige Ortswech- on verschmolzen. digkeiten in einem ”graduellen Prozess” 4 auseinander lau- sel und Umstrukturierungen führten dazu, dass uns heute fen lassen. Selbst György Ligeti, der in seinem gesamten nur noch eine geringe Anzahl von Dokumenten und Wer- Um den Vergleich im Grußwort unseres Rektors 3 mit der künstlerischen Leben mit Artikulation nur ein einziges von ken zur Verfügung stehen, die über die Entwicklungen des modernen Raumfahrt weiterzuführen, könnte man in An- ihm autorisiertes Tonbandstück schuf 5 , bezeichnete die Studios in den 50 Jahren seit seiner Gründung Auskunft lehnung an die Worte von Neil Armstrong bei der ersten Erfahrungen im elektronischen Studio des WDR fur seine geben können. 7 Dieses Jubiläum ist für uns Anlass, so- Mondlandung behaupten: Die Gründung des ersten elek- instrumentalen und vokalen Stücke wie Atmosphères oder wohl die Geschichte aufzuarbeiten und zu dokumentieren tronischen Studios war ein kleiner Schritt für die Kompo- Requiem als ”von großer Wichtigkeit” 6 . als auch darüber hinaus Strukturen zu entwickeln, wie die sition aber ein großer Schritt für den Begriff von Musik. noch entstehenden Werke in Zukunft gesichert werden Nur wenige musikalische Neuerungen waren mit einem Die reflexive Eigenschaft des elektronischen Mediums können. ähnlich paradigmatischen Wandel des Denkens und Hö- erlaubt es dem Komponisten, sich in wiederholte Wech- rens verbunden, wie die Erweiterung der zeitgenössischen selwirkung mit der eigenen künstlerischen Produktion zu Seit jeher ist das Studio für Elektronische Musik ein Ort, Komposition durch die Mittel der elektronischen Klang- begeben, innerhalb der er seine Ideen ständig überprüft der die architektonischen und akustischen Voraussetzun- verarbeitung. Seit Mitte des letzten Jahrhunderts ist sie und fortentwickelt. So beginnt schon während des Kom- gen zur Produktion und Rezeption jeglicher, besonders sowohl die geistige Projektionsfläche als auch Produkti- positionsprozesses in der direkten akustischen Rezeption aber mehrkanaliger Musik bereithält. Darüber hinaus dient onsumgebung, die es den Komponisten ermöglicht, ihre eines entstehenden Werkes eine kritische Auseinanderset- es als Treffpunkt ästhetischer Auseinandersetzung inner- experimental-ästhetischen Bedürfnisse zu denken und zu zung, deren Potential zur Entwicklung individueller Vor- halb des Hochschulbetriebs, der es Studenten ermöglicht, realisieren. stellungskraft offensichtlich ist. Die kontinuierliche Klang- untereinander sowohl technische wie auch künstlerische gestaltung, Raumpositionierung und -bewegung sind Fragen zu erörtern, als auch die daraus resultierenden Tatsächlich haben fast alle wegweisenden Komponisten weitere Parameter, deren Entwicklung besonders durch die Projekte zu realisieren. Durch die Entwicklung deutlich des 20. Jahrhunderts entweder elektronische Werke in ihr Elektronische Musik in den letzen Jahren vorangetrieben preiswerterer Studio- und Computertechnik betragen die Oeuvre integriert oder die Erfahrungen damit in ihren in- werden konnte. Dieses sind nur einige der mannigfaltigen Kosten für die Anschaffung und Instandhaltung der dazu strumentalen Kompositionen verarbeitet. Sei es Karlheinz Gründe, warum die Arbeit in den Elektronischen Studi- benötigten Geräte nur noch einen Bruchteil dessen, was

4

SEM 50 Jahre.indd 4 02.12.2009 08:39:21 in den Gründerzeiten ausschließlich für große Universitä- ist, dass der Computer die Musik nicht macht. Wie jedes ______ten und Radioanstalten, häufig nur mit finanzieller Unter- andere Instrument auch, übersetzt er lediglich die Ideen stützung durch die Industrie erschwinglich war. Dadurch und Konstruktionen in akustische Realität. Auch Motivati- 1 Edgar Varèse, in New York Morning Telegraph (1916) können die Studenten auch außerhalb der Institution mit on und Inspiration, Überzeugung und Zweifel ästhetischer 2 Edgar Varèse, Interview mit W. P. Tryon, in: Christian Science eigenem Equipment ihre kompositorische Sprache weiter Entscheidungen verbleiben weiterhin bei den Komponis- Monitor, (8. 7. 1922) entwickeln und vertiefen. Der erleichterte Zugang zu die- ten. 3 Siehe Grußwort von Reinhart von Gutzeit auf S. ? sem Instrumentarium lässt darüber hinaus die Hoffnung 4 Vgl. Steve Reich, Writings about music, New York 1974, S. 9 zu, dass in Zukunft die Ausbildung an den Hochschulen Durch die zunehmende Quantität und auch Qualität der 5 Sofern man das zurückgezogene Glissandi und das Piece Elec- ein zunehmend höheres Niveau erreichen kann. Reproduktion und -archivierung ist die Musiklandschaft tronique No. 3 (beide 1957) außer Acht lässt, das erst 1995-96 geprägt von künstlerischen Erzeugnissen vergangener von Kees Tazelaar und Johan van Kreij realisiert wurde. Annähernd 60 Jahre nach der ersten Euphorie, deren Af- Epochen. Und etwas so explizit Neues wie die Elektroni- 6 György Ligeti, Auswirkungen der elektronischen Musik auf mein firmation sich noch speiste aus dem Glauben daran, dass sche Musik tut sich schwer gegenüber solch einer rezepti- kompositorisches Schaffen, in: Experimentelle Musik, hg. von sich der technische und der künstlerische Fortschritt pro- onellen Übermacht, obwohl gerade in ihr hörbar wird, dass Fritz Winckel, Berlin 1970, S. 73 portional zueinander verhalten, ist die Elektronische Mu- die Koexistenz von Geschichte und Gegenwart kein Aus- 7 s. auch Klaus Ager, 50 Jahre elektronische Musik in Salzburg sik längst in den Niederungen des Kulturalltags angekom- schlusskriterium darstellt. Aber auch schon zu Zeiten von auf S. ? men. Carl Philipp Emanuel Bach war eine avancierte Musik häu- 8 Vgl. Carl Philipp Emanuel Bach. Sechs Sammlungen von So- Aber was ist es, dass ihr noch immer nicht viel mehr als fig ”Kennern und Liebhabern” 8 vorbehalten. Gerade ihre naten, freien Fantasien und Rondos für Kenner und Liebhaber, eine Randexistenz (häufig als ”live-elektronisches Feigen- Originalität aber, die ästhetische Kompromisslosigkeit und 1779-1787 blatt”) eines weitgehend instrumentalen Konzertbetriebs damit der Wille zu handwerklichem Fortschritt ist einer der zuschreibt? Gründe, warum diese Musik bis zum heutigen Tag Bestand Ist die Körperlosigkeit ihres Erscheinens bzw. die Abwe- hat. Natürlich kann die Abwesenheit allgemeiner gesell- senheit eines sichtbaren und damit ”beseelten” Musikers schaftlicher Akzeptanz nicht per se als ein Merkmal äs- der Grund für die mangelnde ästhetische Glaubwürdigkeit thetischer Qualität verstanden werden. Im Umkehrschluss elektronischer Musik. Oder ist es die Vorstellung zahlen- kann diese Art der Alleinstellung jedoch ein Hinweis dar- basierter bzw. automatisierter Abläufe, die in scheinbarem auf sein, dass ihre Inhalte auch zukünftigen Generationen Widerspruch stehen zu der, durch die musikalische Traditi- noch etwas vermitteln können. on selbstverständlich okkupierten Domäne, dem unmittel- baren Ausdruck eines menschlichen Gefühls? In diesem Zusammenhang leistet das Studio für Elekt- Mit Respekt und Bewunderung erkennen wir Symmetrie, ronische Musik als Schaltstelle eines beweglichen Ver- goldenen Schnitt und andere Proportionen in den Werken ständnisses von Musik, gerade an einer Institution wie der großen Komponisten vergangener Zeiten und akzep- dem Mozarteum, dessen Renommee so mit dem Namen tieren die Klarheit ganzzahliger Verhältnisse der Oberton- eines großen Komponisten verbunden ist, nicht nur einen reihe als Grundlage all dessen, was wir unter dem Begriff wichtigen Beitrag für Traditionen in der Zukunft, sondern von Klang subsumieren. Diese als Konstruktionsgrundlage schreibt damit auch den Anspruch fort, der diese Tradition einer mittels Computer realisierten Musik anzuerkennen nicht erst seit fünfzig Jahren begründet. findet bis zum heutigen Tage noch immer keine durch- gehende Akzeptanz. Und das, obwohl allgemein bekannt

5

SEM 50 Jahre.indd 5 02.12.2009 08:39:21 Henry Gwiazda living is ......

6

SEM 50 Jahre.indd 6 02.12.2009 08:39:31 Inhaltsverzeichnis

Grußworte 3 Univ.Prof. Reinhart von Gutzeit, Rektor der Universität Mozarteum Salzburg 3 Achim Bornhoeft, Leiter des Studios für Elektronische Musik 4 Inhaltsverzeichnis 7 Klaus Ager, 50 Jahre Elektronische Musik in Salzburg 9 Veranstaltungen 15 Eröffnungsverantaltung 17 Konzert 1 (1959 - 1969) 19 Vortrag Gottfried Michael Koenig, Komponieren mit Algorithmen 23 Konzert 2 (1969 - 1979) 27 Konzert 3 (1979 - 1989) 31 Vortrag Trevor Wishart, Keynote Address 35 Konzert 4 (1989 - 1999) 39 Konzert 5 (1999 - 2009) 43 Video Installation - Visual Music 47 Barbara Dobretsberger, Bogusław Schaeffer – (Klang)magier 49 Björn Gottstein, Gegenwelten - Die elektronische Musik zwischen Krise und Utopie 55 Der Komponist ist tot. Es lebe der Komponist! - 16 Statements 59 Lebensläufe 71 Impressum 79

7

SEM 50 Jahre.indd 7 02.12.2009 08:39:35 Jean Detheux Liaisons

8

SEM 50 Jahre.indd 8 02.12.2009 08:39:42 Klaus Ager forschung“ führten, das in den Statuten bereits die Wie- Bayle zurückgegangen. Auch nationale und internationale 50 Jahre elektronische Musik in Salzburg dereinrichtung des Studios für Elektronische Musik vor- Kooperationen wurden gesucht und gefunden. Konzerte sah. Als ich 1973 nach meinen Studien am GRM und dem mit Salzburger elektronischer Musik fanden bei IGNM Mu- Pariser Konservatorium als Assistent an das Institut kam, sikfestivals, aber auch anderen Festivals statt. Die wich- Die Anfänge: 1958 – 1963 wurde ich mit der Wiedererrichtung des Studios und der tigsten Komponisten dieser Jahre waren Werner Raditsch- Leitung desselben betraut. nig, Dieter Lehnhof, Martin Schwarzenlander und Klaus Die Geschichte des Studios elektronischer Musik beginnt Die Sichtung der noch existierenden Geräte und Werke Ager. Durch eine enge Zusammenarbeit mit dem ASPEKTE in Salzburg im Herbst 1958, als der damalige Präsident war enttäuschend. Die Geräte (Mono Tonbandmaschinen Festival ergaben sich viele Möglichkeiten der Präsentation der Akademie Eberhard Preußner Räume im Walserfeld für und Sinustongeneratoren) wurden aus dem Walserfeld elektroakustischer Musik sowohl als Präsentationen loka- das Schauspielseminar anmietete und neben dem Schau- in das Haupthaus des Mozarteums an der Schwarzstra- ler Produktion aber es wurden auch immer wieder inter- spielseminar mit der Hilfe des Elektronikkonzerns Philips ße überführt und von mir als Arbeits- und Übungsstudio nationale Studios eingeladen, Werke ihrer Komponisten auch ein Studio für elektronische Musik einrichtete. Leiter für Studierende eingerichtet. Weiters erarbeitete ich Pläne zu präsentieren. So waren in dieser Zeit Komponisten wie des Studios wurde ab 1.10.1958 Irmfried Radauer, der mit zum Aufbau eines modernen Studios. Bernard Parmegiani, Luc Ferrari, Iannis Xenakis, aber auch seiner Schauspielmusik für „Hiob“ bei den Salzburger Fest- Ein Archiv oder ähnliches existierte nicht. Eine Unzahl von Dieter Kaufmann, François Bayle, Mauricio Kagel und viele spielen 1958 wohl das erste elektronische österreichische Tonbändern fand sich in diversen Schachteln, alle nicht andere zu Gast in Salzburg. Werk in den Studios des Radio Salzburg realisiert hatte. beschriftet und keinen Werken zuzuordnen. Anfragen bei Mitte der Siebziger Jahre war aber immer deutlicher ab- Die nächsten Jahre waren eine sehr produktive Zeit des den Komponisten Horvath, Radauer und Losonczy brach- sehbar, dass die Zukunft der elektronischen Musik in der Salzburger Studios, Komponisten wie Horvath, Losonczy, ten keine Ergebnisse, das Anhören bestätigte den Verdacht, Einbeziehung des Computers in Steuerung analoger Ge- Slothower und natürlich Radauer arbeiteten intensiv in dass die Bänder von den diversen Schauspielklassen über- räte oder direkter digitaler Klangerzeugung liegen würde. einem Studio, das für die damalige Zeit nicht schlecht spielt worden und die Originalklänge nicht mehr erhalten In Zusammenarbeit mit dem Institut für Psychologie an ausgestattet war. Durch den Weggang Radauers 1963 ei- waren. der Universität Salzburg entwickelten der Assistent des nerseits und den Tod des Präsidenten Preußner anderer- Ich begann mit dem Aufbau eines Archivs und 1974 mit Instituts Dr. Roland Krysl und ich eine eigene Version von seits klangen die Aktivitäten rapid ab. Die Geräte des Stu- einer Lehrveranstaltung für Studierende, die als Freifach Mathews „MUSIC IV“ für den PDP 11 Computer des dios wurden in erster Linie zur Produktion verschiedenster allen offenstand aber natürlich in erster Linie für die Kom- Instituts, die dann die Basis für mein Werk „Metaboles III“ Schauspielmusiken verwendet. Elektronische Musik oder positionsstudenten vorgesehen war. Es entwickelte sich wurde, das beim Musikprotokoll des Steirischen Herbstes gar Forschung passierte nicht. wieder ein schönes Zentrum für elektroakustische Musik, als erstes österreichisches Computermusikstück uraufge- Durch die personelle Nichtbesetzung des Studios sind lei- das sich bezüglich der technischen Ausstattung sowie führt wurde und das ausschließlich aus digitalen Klängen der auch die meisten Werke, die damals entstanden waren, auch musikalisch stark an den Ideen Pierre Schaeffers und erzeugt worden war. Allerdings wurde uns bald klar, dass nicht mehr auffindbar. des GRM unter der damaligen Leitung von François Bayle MUSIC IV nicht der Weisheit letzter Schluss sein konnte, orientierte. Aus der Mitte der Studierenden kamen inte- da es langsam und in der Berechnung der Klänge und um- ressante Ideen, die sich häufig realisieren ließen: es fan- ständlich in der Eingabe war, und ich entwickelte deshalb Der Wiederbeginn: 1971 – 1978 den Konzerte und Vorträge mit elektroakustischer Musik einen Entwicklungsplan, der ein hybrides analog- digitales in Galerien anderen Sälen und Schulen statt, Zusammen- Studio vorsah, das aber hauptsächlich auf Grund finan- Erst durch die Umwandlung der Akademie Mozarteum in arbeit mit Tanzinstitutionen, einzelnen Tänzern wurden zieller Schwierigkeiten aber auch meiner eigenen dienst- eine Hochschule für Musik und darstellende Kunst wur- angestrebt und auch verwirklicht; Letztlich war auch die rechtlichen Karriere nur mehr rudimentär verfolgt wurde. den neue organisatorische Strukturen möglich, die 1971 erste Ausgabe unseres ASPEKTE Festivals – das bis heu- zur Gründung des „Instituts für musikalische Grundlagen- te existiert – auf eine Einladung des Studios an François

9

SEM 50 Jahre.indd 9 02.12.2009 08:39:46 10

SEM 50 Jahre.indd 10 02.12.2009 08:39:50 Die Klangmobile nach einer Idee Otto Becks André Ruschkowski (1996 – 2006) mäßig stattfindenden Konzerten innerhalb der Hochschu- le konnte sich das Studio auch im Ausland präsentieren, In Zusammenarbeit mit dem Österreichischen Ensemb- Nach der Emeritierung Radauers (1995) übernahm And- so auf dem On/Off Festival Elektroakustischer Musik 2008 le für Neue Musik und seinem damaligen Leiter Herbert ré Ruschkowski sowohl das noch rudimentär existierende in Limburg als auch 2009 beim Internationalen Treffen der Grassl und Klaus Ager verwirklichte Otto Beck seine Idee Analog-Studio als auch das Computerstudio Radauers und elektronischen Hochschulstudios ”Next Generation 3.0” der „Klangmobile“: Fahrrädern, auf denen große Lautspre- baute auf der Basis von IRCAM-Software ein modernes am ZKM in Karlsruhe. cher montiert waren und die speziell der mobilen Präsenta- Studio für Computermusik auf. Besonders im Bereich der tion elektroakustischer Musik gewidmet waren. Spektaku- pädagogischen Arbeit ragte Andre Ruschkowski heraus. läre Auftritte gab es bei der Ankunft John Cages anlässlich Seine Schwerpunkte lagen ganz besonders auch auf der des ASPEKTE Festivals 1991 am Flughafen in Salzburg oder Verbindung zwischen den Künsten. Die Zusammenarbeit auch dem IGNM Musikfestival 1997 in Seoul (Korea). mit dem ASPEKTE Festival wurde wieder aufgenommen, was zu einer Reihe von Konzerten und auch internatio- nalen Kooperationen führte. Auf diese Weise wurde viele Rückkehr Irmfried Radauers (1979 – 1996) Werke Ruschkowskis und seiner Schüler nicht nur in Salz- burg sondern bei verschiedenen Festivals (Bourges, Lüne- Als 1979(?) Irmfried Radauer mit einem Lehrauftrag für burg oder auch den internationalen Computermusikkon- Computermusik an das Mozarteum zurückkehrte schlug ferenzen etc.) präsentiert. er einen neuen Weg ein, der schließlich in Zusammen- arbeit mit der Universität Salzburg zur Gründung eines Computermusikstudios am Institut für Mathematik führ- Achim Bornhoeft (2006 – heute) te. Stephen Travis Pope – noch einer meiner Studenten – entwickelte eine UNIX Version von MUSIC V, die an sich Nach dem Weggang von André Ruschkowski an das Sa- sehr progressiv und leistungsstark war, aber international vannah College of Art and Design in Georgia (USA) wurde einerseits durch das Aufkommen der Real-time Klanger- Achim Bornhoeft im Sommersemester 2006 Leiter des Stu- zeuger (wie z.Bsp. der DMX 1000 Signal-Processing Com- dios für Elektronische Musik. Seine erste Aufgabe bestand puter ) und andererseits durch die Miniaturisierung der darin, den Umzug vom ”Zentrum im Berg” in die grundsa- Computer (PC, Apple, NeXT) schnell überholt war. In mehr nierten Räumlichkeiten am Mirabellplatz zu organisie- oder weniger enger Zusammenarbeit mit S. Pope und I. ren und durchzuführen. Aus Gründen der individuellen Radauer realisierten in erster Linie die Komponisten J.M. Verfügbarkeit und dem damit verbundenen effizienteren Horvath, Herbert Grassl, S. Pope, Klaus Ager und natürlich Einsatz in der Ausbildung wurde die, für den Lehrbetrieb auch Irmfried Radauer Werke an diesem Studio. verwendete Software weitestgehend auf Open Source Pro- dukte umgestellt. Einige der interessanten analogen Inst- rumente wie der Arp 2600, das Polymoog Keyboard oder der EMS Synthi AKS 80 wurden wieder instandgesetzt, um den Studenten die Möglichkeit zu geben, auch weiterhin die spannenden klanglichen Experimente vergangener Epochen nachvollziehen zu können. Neben den nun regel-

11

SEM 50 Jahre.indd 11 02.12.2009 08:39:50 12

SEM 50 Jahre.indd 12 02.12.2009 08:39:59 13

SEM 50 Jahre.indd 13 02.12.2009 08:40:05 Dennis Miller White Noise

14

SEM 50 Jahre.indd 14 02.12.2009 08:40:12 Veranstaltungen

11.12.2009 12.12.2009 13.12.2009

Eröffnungsveranstaltung / 18 Uhr / Solitär Vortrag Gottfried Michael Koenig / 11.30 Uhr / Vortrag Trevor Wishart / 11.30 Uhr/ Studio für Elektronische Musik (Raum 4006) Studio für Elektronische Musik (Raum 4006) Lejaren Hiller / Illiac Suite; Streichquartett Nr. 4 / 1957 / 1. und 2. Satz Konzert 2 (1969 – 1979) / 17 Uhr / Solitär Konzert 4 (1989 – 1999) / 17 Uhr / Solitär Grußwort / Univ. Prof. Reinhart von Gutzeit / Rektor der Universität Mozarteum Steve Reich / Pendulum Music / 1968 Werner Raditschnig / different outputs / 1994 Gottfried Michael Koenig / 60 Blätter / 1992 Iannix Xenakis / Nomos Alpha / 1966 Gerhard Wimberger / Natur Musik / 1975 Ludger Brümmer / De la Nuit / 1999 Gottfried Michael Koenig / Funktion Orange / 1968 Francois Bayle / Arc, pour Gérard Grisey / 1999 Grußwort / Achim Bornhoeft / Leiter des Studios für Joseph Maria Horvath / Verschiebungen / 1974 Elektronische Musik Achim Bornhoeft / Virtual String / 1997 Barry Truax / The Blind Man / 1979 Boguslaw Schaeffer / Duo / 2009 (UA) Lejaren Hiller / Illiac Suite; Streichquartett Nr. 4 / 1957 / Klaus Ager / I remember a bird ... / 1976 Trevor Wishart / VOX-5 / 1997 3. und 4. Satz / Stria / 1977

Konzert 5 (1999 – 2009) / 20 Uhr / Solitär Konzert 1 (1959 – 1969) / 20 Uhr / Solitär Konzert 3 (1979 – 1989) / 20 Uhr / Solitär / Touche pas / 2009 Edgar Varèse / Poème Électronique / 1957-58 Barry Truax / Riverrun / 1987 James Tenney / Arbor Vitae / 2006 Iannis Xenakis / ST/4 / 1956-62 Stephen T. Pope / Bat out of hell. Stories for Dance / 1983 Marco Döttlinger / SKULPTUR I / 2009 (UA) Irmfried Radauer / Clair-obscure / 1960 Jean-Claude Risset / Sud / 1985 Jean-Claude Risset / Resonant Sound Spaces / 2002 Luigi Nono / La fabbrica illuminata / 1964 Andor Losonczy / Schlangengrube / ca. 1980 Dirk Reith / Nested Loops V / 2007 Boguslaw Schaeffer / Symfonia / 1966 Luigi Nono / Omaggio a Gyorgy Kurtág / 1983-86 Barbara Mayer / Complementary Grounds / 2008 Karlheinz Stockhausen / Kontakte / 1964-65 Jonathan Harvey / Mortuos plango Vivos voco / 1980 Trevor Wishart / Imago / 2002

11. - 13.12.2009

Video Installation - Visual Music / Galerie DAS ZIMMER

15

SEM 50 Jahre.indd 15 02.12.2009 08:40:16 Diana Wesser Dancing about Architecture

16

SEM 50 Jahre.indd 16 02.12.2009 08:40:25 11.12.2009 Lejaren Hiller / Leonard Isaacson Iannix Xenakis Illiac Suite: Streichquartett Nr. 4 (1957) Nomos Alpha für Violoncello solo (1966) Eröffnungsveranstaltung / 18 Uhr / Solitär Violine: Johanna Zaunschirm Violoncello: Bernadette Köbele Lejaren Hiller / Illiac Suite; Streichquartett Nr. 4 / Violine: Clemens Flieder 1957 / 1. und 2. Satz Viola: Clemens Gordon Nomos, der Titel von diesem Hauptwerk der gesamten Violoncello: Johanna Furrer Celloliteratur, heißt »Gesetz«, »Regel«, aber auch »Modus«, Grußwort / Univ. Prof. Reinhart von Gutzeit / oder »besondere Melodie«. Das Stück ist dem Gedächtnis Rektor der Universität Mozarteum Einstudierung: Prof. Wolfgang Redik von Aristoxenes von Taranto sowie den Mathematikern Evariste Galois und Felix Klein, den Erfindern der Theorie Iannix Xenakis / Nomos Alpha / 1966 Die „ILLIAC Suite“ (auch „String Quartet No. 4“) ist das ers- der Gruppen, gewidmet. Es bringt sehr viele Neuerungen te von einem digitalen Computer komponierte Musikstück. in der Instrumentaltechnik: Spiel ohne Vibrato (wie in al- Grußwort / Achim Bornhoeft / Leiter des Studios für Sie entstand aus Experimenten der amerikanischen Wis- len späteren Streicherwerken von Xenakis), Vierteltöne, Elektronische Musik senschaftler und Musiker L. A. Hiller und L. M. Isaacson, die rasche, scharf abgerissene Glissandi, Doppelgriffe mit mi- mit Hilfe des Großrechners „ILLIAC I“ untersuchen wollten, krotonalen Schwankungen, die Schwebungen erzeugen. Lejaren Hiller / Illiac Suite; Streichquartett Nr. 4 / inwiefern Komposition als je nach Genre und Stil spezifi- Schließlich wird die vierte Saite (sie muss aus Darm sein) 1957 / 3. und 4. Satz ziertes Regelsystem mittels Computer-Algorithmen imple- im Laufe des Stückes mehrmals, namentlich am Ende, um mentiert werden kann. Hiller dazu: „I observed that if we eine ganze Oktave herunter gestimmt, was bei totaler Ent- could program a computer to simulate a ‚walk‘ through, spannung der Saite höchst eindrucksvolle Brummtöne er- say, ordinary space, we could also simulate a ‚walk‘ through gibt. Das Werk ist ein wahres Kompendium an neuen Klan- a grid defined to represent musical elements such as pitch, geffekten, und hat die Spielweise des Instrumentes auf rhythmic durations and timbre choices.“ Das Streichquar- völlig neue Bahnen gelenkt. Vor so viel Phantasie, vor einer tett beruht in den ersten drei Sätzen auf Implementationen derartigen Ausdrucksstärke, die jede Aufführung, für den herkömmlicher Kompositionsregeln (einfache Mehrstim- Interpreten, wie für den Zuhörer, zu einem Erlebnis macht, migkeit, Kontrapunkt, serielle Reihentechniken), im vierten möchte man fast vergessen, dass das Stück, seinem Titel Satz aber auf sogenannten „Markow-Ketten“ und macht und seiner Widmung treu, zu den strengsten Beispielen damit ein technisch-mathematisches Prinzip zur alleini- der symbolischen Musik gehört, weshalb auf eine regel- gen Grundlage von Musik. Die synthetisch erzeugte Par- rechte Analyse hier auch verzichtet werden muss. titur wurde nach ihrer Errechnung in eine herkömmliche Notation übertragen und mit traditionellen Instrumenten Harry Halbreich (aus: Booklet zur CD iannis xenakis: kammer- musiziert. Die „ILLIAC Suite“ ist nicht die erste algorithmi- musik 1955-1990 für streicher, klavier, streicher und klavier, sche Komposition, sondern hat Vorläufer z.B. im mecha- Montaigne Auvidis, 1994, S. 37) nischen „Componium“ von Dietrich Nicholas Winkel aus dem Jahr 1821 und im „musikalischen Würfelspiel“ von Wolfgang Amadeus Mozart.

17

SEM 50 Jahre.indd 17 02.12.2009 08:40:30 Henry Gwiazda claudia and paul 2:13 a.m.

18

SEM 50 Jahre.indd 18 02.12.2009 08:40:38 11. 12. 2009 Edgar Varèse Das Werk gehört nämlich zu einer Reihe von Stücken, des- Poème Électronique (1957-58) sen gemeinsame Matrix von einem Computer 7090 IBM Konzert 1 (1959 – 1969) / 20 Uhr / Solitär Tonband, Projektionen errechnet wurde. Zu ihr gehören auch ST/10 für zehn In- strumente und ST/48 für Orchester, beide von 1962, At- »Poème électronique« (elektronisches Gedicht) ist das erste rèes für elf Instrumente von 1960, Morsima-Amorsima für Edgar Varèse / Poème Électronique / 1957-58 elektronisch-räumliche Environment, das Architektur, Film, Klavier, Violine, Cello und Kontrabass von 1962 und das Iannis Xenakis / ST/4 / 1956-62 Licht und Musik zu einem Raum und Zeit fusionierenden inzwischen zurückgezogene Amorsima-Morsima. Irmfried Radauer / Clair-obscure / 1960 Gesamterlebnis verbindet. Unter der Leitung von Le Cor- Nach Vollendung seines dritten Opus, Achorripsis [1956- Luigi Nono / La fabbrica illuminata / 1964 busier entwarf Iannis Xenakis Konzept und Geometrie des 1957] war Xenakis zu der Überzeugung gekommen, dass Weltausstellungsgebäudes nach mathematischen Funkti- die Hilfe eines Computers ihm viel Zeit und Mühe zur Boguslaw Schaeffer / Symfonia / 1966 onen, während Edgard Varèse die gemischt konkrete und Errechnung seiner Strukturen ersparen würde. Das dem Karlheinz Stockhausen / Kontakte / 1964-65 vokale Musik zu den von Le Corbusier konzipierten dyna- Computer eingespeicherte Programm bestimmt jede Ein- mischen Licht- und Bildprojektionen komponierte. Varèse zelheit jedes Tones der Komposition: Zeitpunkt des Ein- strebte in seiner Musik schon lange nach abstrakten, z.T. tritts, Klangfarbe, Wahl des Instrumentes und seiner Lage, visuell inspirierten Formkonzepten und räumlichen Bewe- Steilheit des Glissandos, Dauer, Dynamik, usw. gungen. Für »Poème Électronique« verwendete er u.a. Ma- Die in den früheren Orchesterwerken eingeführten Inst- schinengeräusche, transponierte Klavierakkorde, gefilterte rumentaltechniken, einschließlich schlagzeugartiger Ef- Chor- und Solistenstimmen sowie synthetische Klangfar- fekte wie Klopfen auf den Körper des Instrumentes oder ben. Mit Hilfe der von Philips zur Verfügung gestellten col legno battuto, bereichern das Klangbild und stehen im avancierten Technik konnten die Klänge der Tonbandkom- stärksten Gegensatz zu der klanglichen Strenge des Spät- position auf komplexen Bahnen im Raum bewegt werden. werkes (Akea, Tetora...). Aber dieses >errechnete< Früh- werk, in welchem dem Ausdruck im Verhältnis zur Struk- tur gar kein Platz eingeräumt wird, gehört entschieden in eine Entwicklungsphase, in welcher die Musik zwar völlig Iannis Xenakis erdacht, jedoch noch nicht unmittelbar erlebt war. Die Ge- ST/4 (1955-1962) genüberstellung zu den Werken der Reife lässt gar keinen Streichquartett Zweifel darüber bestehen.

Violine: Yuki Janke Harry Halbreich (aus: Booklet zur CD iannis xenakis: kammer- Violine: Fabian Bertoncello musik 1955-1990 für streicher, klavier, streicher und klavier, Viola: Sarah Grubinger Montaigne Auvidis, 1994, S. 38f.) Violoncello: Heike Schuch

Der genaue Titel dieses ersten Streichquartettes von Xena- kis lautet: St/1,080262 und bedeutet »stochastische Kom- position für vier Instrumente, erste ihrer Art, errechnet am 8. Februar 1962.«

19

SEM 50 Jahre.indd 19 02.12.2009 08:40:41 Irmfried Radauer Luigi Nono Boguslaw Schaeffer Clair-obscure (1960) La fabbica illuminata (1964) Symfonia (1966) Tonband Stimme, Tonband Tonband

Leider können an dieser Stelle keine einführenden Bemer- Sopran: Veronika Haller The score, a link between the composer and the realizer, kungen zu Irmfried Radauers Clair-obscure gegeben wer- should be read with a certain degree of freedom. The Sym- den, da weder ein Programmtext des Komponisten erhal- Nonos „fabbrica illuminata“ ist ein Werk, welches aus Refle- phony is represented by a system of signs which are not ten ist, noch anderweitige Informationen zum Stück bei xionen über eine neue gesellschaftliche Funktion der Mu- to be considered an exact graphical representation, but den Recherchen zum Programmheft ausfindig zu machen sik entstanden ist, und um ihr diese zu verleihen, müssen rather an approximation to the musical intention. waren. die gesellschaftlichen Funktionen so intensiv in der Musik The composer does not intend to translate a traditional Generell ergab sich bei der geplanten Einbindung der elek- sein, wie diese innerhalb jener Funktionen zu sein bean- (instrumental and vocal) idea into the idiom of electro- tronischen Stücke Radauers, der als Gründer und langjäh- sprucht. Die 1965 entstandene Komposition macht von nic media; he wishes to come as near as possible to the riger Leiter wohl als eine der wichtigsten Personen in der Geräuschen und Sprachklängen Gebrauch, die in einer Fa- technical world of electronic media, to think in terms of Geschichte des Studios hervortrat, die Schwierigkeit, dass brik aufgenommen worden sind. Diese werden zusammen ; the composer, therefore, places stress on die Tonbänder nicht verfügbar sind. mit elektronischen Klängen verarbeitet und mannigfachen those elements of realization which result from his own So ist beispielsweise im Tonbandarchiv des Studios, das Transformationen unterworfen. Während der Bandvorfüh- representation and the grasping of this representation by ca. 150 Tonbänder mit Stücken von Komponisten aus dem rung singt eine Frauenstimme - live - einen Kommentar the realizer. Umfeld des Studios umfasst, kein Stück von Radauer er- zu den auf Band fixierten klanglichen Ereignissen. Dieser Basic material for this music should not be raw material. halten. Es wurde zwar versucht, auf anderen Wegen an Kommentar bezieht sich unmittelbar auf die Band-Musik, On the contrary, it is an absolute preponderance of mate- seine Stücke zu kommen, der Verbleib des eigentlich recht mit welcher zusammen er eine musikalische Einheit bildet, rial already transformed which is needed here, a material umfangreichen elektronischen Schaffens konnte aber lei- und mittelbar auf die Situation, innerhalb welcher die auf whose most essential trait should be potential variability, der bisher nicht geklärt werden. Es gelang lediglich, das Band fixierten Geräusche entstanden sind: den Arbeits- even though this may be minute, hardly perceptible. Con- hier präsentierte Stück konnte über einen Verlag zu be- prozess in einer Fabrik und die soziale Ungerechtigkeit, sequently: The pitch of a sound (tone) may vary within ziehen. Es bleibt zu hoffen, dass in der Aufarbeitung der die ihn in kapitalistischen Gesellschaftsformen in Gang very narrow limits if the material is rich, and within wider Geschichte des Studios, die anlässlich des Jubiläums in hält. So wird der kritische Reflex auf den gesellschaftli- limits if the material is reduced to a few elements. Angriff genommen wurde, noch weitere Stücke ausfindig chen Zustand zweifach zum Gegenstand der Komposition: The four-movement Symphony has in it‘s concept - and und für zukünftige Veranstaltungen verfügbar gemacht Einerseits drückt er sich unmittelbar in der Konfiguration should have in its realization - a different construction for werden können. Von einem ersten Erfolg in diesem Un- der Klänge aus, und andererseits hat er seine Form als Re- each movement, different technical points of departure, terfangen kann zumindest schon berichtet werden: die flex auf diese Klänge, als ein Reflex, der sprachlich-konkret different transformation devices, and different aesthetic handschriftlichen Originale der instrumentalen Komposi- und doch gleichzeitig musikalisch integriert ist. and audio-receptive problems. The version realized by the tionen Radauers sind in sehr gutem Zustand erhalten und Experimental Studio of the Polish Radio is one possible wurden dem Studio freundlicherweise von den Nachfah- Konrad Boehmer (aus: Booklet zur CD Luigi Nono: La fabbrica version; at the same time, from the composer‘s viewpoint, ren Irmfried Radauers für Forschungszwecke zur Verfü- illuminata/..., Wergo, 1992, S. 19.) it is the main guide for subsequent versions. gung gestellt, wofür wir uns an dieser Stelle noch einmal herzlich bedanken möchten. (aus: Boguslaw Schaeffer, Symfonia – Muzyka Elektroniczna, Partitur , Krakau 1972, S. 3) Achim Bornhoeft

20

SEM 50 Jahre.indd 20 02.12.2009 08:40:42 Karlheinz Stockhausen Momenten und – bei vierkanaliger Lautsprecherwieder- Kontakte (1958-60) gabe – zwischen räumlichen Bewegungsformen gemeint. Klavier, Schlagzeug, elektronische Klänge Fünf räumliche Bewegungsformen kontangieren in diffe- renzierten Geschwindigkeiten und Richtungen auf immer Klavier: Alexandra Helldorf neue Art (Rotation, Schleifenbewegung, Alternation, fixe Schlagzeug: Philipp Lamprecht Quellen getrennt - aus allen Verschiedenes -, fixe Quellen verbunden - aus allen dasselbe -, Raumpunkte vereinzelt). Das Werk Kontakte existiert in zwei Versionen: Eine 4-spu- Die vollkommen gleichberechtigte Einbeziehung der rige für elektronische Klänge […], und eine zweite Version räumlichen Bewegung in die Komposition war nur mög- für elektronische Klänge, Klavier und Schlagzeug, bei der lich mit Hilfe neuer Verfahren. Ohne die Unterstützung der die elektronischen Klänge durch eine vierkanalige Laut- technischen Abteilung des WDR wäre es mir unmöglich sprecheranlage wiedergegeben werden, und gleichzeitig gewesen, diese Vorstellung zu verwirklichen. zwei Instrumentalisten Metall-, Fell-, Holzinstrumente und Klavier spielen. Karlheinz Stockhausen (aus: Karlheinz Stockhausen, Texte 2: Auf- Die elektronischen Klänge wurden erzeugt mit Hilfe eines sätze 1952–1962 zur musikalischen Praxis, Schauberg 1964.) Impulsgenerators (dessen Impulsgeschwindigkeit konti- nuierlich zwischen 16 und 1/16 Impulsen pro Sekunde und dessen Impulsdauern zwischen 1/10000 und 9/10 sec vari- iert werden können), ferner mit Hilfe eines abstimmbaren ‚Anzeigeverstärkers’ (als relativ enges Filter) mit kontinu- ierlich veränderbarer Bandbreite und entsprechend vari- ierten Abklingdauern, und eines gerasterten Bandfilters. Für einige wenige Schallereignisse wurden Sinusgenera- toren und ein Rechteck-Generator verwendet. Die meisten Klänge, Klanggeräusche oder Geräusche entstanden durch vielfache Beschleunigung rhythmisierter Impulsfolgen. Bei bestimmten Klängen wurde eine Nachhallplatte mit konti- nuierlich regulierbarer Nachhallzeit benutzt. Die Skala der elektronisch erzeugten ‚Klangfarben‘ enthält bekannte Töne, Klänge und Geräusche und vermittelt zwi- schen ihnen (metallisch, fellähnlich, holzähnlich etc.); sie ermöglicht Klangtransformationen von jeder dieser Kate- gorien zu jeder anderen und Klangmutationen zu völlig neuen, bisher unbekannten Schallereignissen. Mit dem Titel sind sowohl Kontakte zwischen elektro- nischen und instrumentalen Klang- Gruppen, als auch Kontakte zwischen selbständigen, sehr charakteristischen

21

SEM 50 Jahre.indd 21 02.12.2009 08:40:42 Jean Detheux / Wilfried Jentzsch Mugenkei

22

SEM 50 Jahre.indd 22 02.12.2009 08:40:52 12.12.2009 Gottfried Michael Koenig (allerdings aleatorischen) Permutationen wie ein seriel- Vortrag Gottfried Michael Koenig / 11.30 Uhr / les Musikstück konstruiert; kein Wunder, denn sie sollte Studio für Elektronische Musik (Raum 4006) Komponieren mit Algorithmen Individuelles objektivieren (weil der Komponist als Struk- Meine „Projekte“ gestern und heute turbildner vorgestellt wurde) beziehungsweise (durch va- riable Eingabedaten) Objektives dem Subjekt zugänglich Beim Rückblick auf fünfzig Jahre Entwicklungsgeschich- machen. Variable Eingabedaten gab es allerdings noch te der elektronischen Musik denkt man nicht sofort an kaum, schließlich sollte das Programm nicht komponie- Kompositionsalgorithmen in der Form von Projekt 1 oder ren, sondern Kompositionsregeln testen, und diese Regeln Projekt 2. Dennoch wären diese Programme kaum ohne waren mehr oder weniger bereits im Programm enthalten. den Einfluss der Studioentwicklung entstanden. Es hät- Um es noch einmal kurz zusammenzufassen: Projekt 1 (in ten eigentlich Programme für die Klangerzeugung wer- seiner Urform) berücksichtigte folgende Parameter: Inst- den sollen, nur gab es im Rechenzentrum der Universi- rument (wird durch Zahlen angedeutet, die der Komponist tät Bonn, wo mir eine IBM 7090 zur Verfügung stand, bei der Ausarbeitung der Partitur beliebig interpretieren keinen AD-Umsetzer; daher beschloss ich, zunächst den kann); Einsatzabstand (aufgrund einer vorbereiteten, aber Kompositionsprozess, der später die Voraussetzung für vom Komponisten veränderbaren Liste mit den 13 Brü- die Klangerzeugung werden sollte, algorithmisch in Form chen 1/1, 4/5, 3/4, 2/3, 5/8, 3/5, 1/2, 2/5, 3/8, 1/3, 1/4, 1/5, von Modellen darzustellen. Wir schreiben das Jahr 1964. 1/8); Tonhöhe (durch automatische Reihenbildung auf- Der Hinwendung zum Computer waren in erster Linie grund zweier Intervallpaare), Akkorde (mit den Umfängen Stockhausens Versuche vorausgegangen, Klänge für seine 1 bis 6); vier Register (die vom Komponisten als Oktavla- Kontakte mit Hilfe von Impulsfolgen herzustellen, die erst gen oder Instrumentregister interpretiert werden können); durch Tonbandmontage rhythmisiert und danach stark acht Lautstärkewerte (von ppp bis fff). beschleunigt wurden. Auch Untersuchungen zur intensi- Mithilfe solcher Steuergrößen errechnete das Programm veren Ausnutzung der Studioapparate im Vorfeld meiner eine Partitur, die aus sieben Sektionen bestand. Die Aus- Komposition Terminus 1 haben zu dem Wunsch beige- wahl der Parameterdaten folgte pro Sektion den Prinzipi- tragen, der Klangsynthese die Berechnung von Schwin- en der maximalen bzw. eingeschränkten Regelmäßigkeit gungsformen zugrunde zu legen, statt sie vom Notbehelf (Gruppenbildung durch Wiederholung) und der maxima- der Studioeinrichtung abhängig zu machen. len bzw. eingeschränkten Unregelmäßigkeit (durch varia- Eingedenk der Forderung, Werkstruktur und Klangstruktur bles Wiederholungsverbot) in sieben Stufen, deren Folge in Übereinstimmung zu bringen, fiel der Entschluss, zu- für jeden Parameter dem Zufall unterlag. Die Partitur er- nächst Modelle für die Werkstruktur zu entwickeln, nicht schien, grob gesagt, als rhythmisierte Akkordfolge, wobei schwer. Was in Köln nicht mehr gelang, konnte allerdings jedem Akkord ein Instrument und eine Lautstärke zuge- in Utrecht nach meinem Umzug im Sommer 1964 fort- ordnet waren. Eine Angabe der Akkord- bzw. Tondauer gab gesetzt werden, nachdem ich einen Computer des im es nicht. Dieser Ansatz vereinte strenge Strukturbildung Aufbau begriffenen mathematischen Instituts benutzen mit ziemlich großer Interpretationsfreiheit für den Kom- durfte. Ein Jahr später war die erste Version von Projekt 1 ponisten. lauffähig. Sie war mit vorgegebenen Zahlenverhältnissen Nach zwei Kompositionen für kammermusikalische Be- für Listenumfänge, Reihenlängen, Gruppenbildungen und setzungen (Projekt 1 - Version 1 und Projekt 1 - Version

23

SEM 50 Jahre.indd 23 02.12.2009 08:40:56 3) erwachte der Wunsch nach einem weiteren Programm, Partiturtabelle wurde die Rhythmik durch summierte De- erzeugten Struktur des musikalischen Verlaufs stehen. das einerseits die Formulierung unterschiedlicher Kompo- zimalzahlen (Sekunden) angegeben, in den Stimmen durch Eine Weiterentwicklung in der skizzierten Richtung schei- sitionsregeln ermöglichen und andererseits den Einfluss „metrische“ Ausdrücke, die eine bequeme Notation, auch terte zunächst an der Komplexität des Programms sowie des Benutzers auf den Programmlauf vergrößern sollte. Zu in beliebigen n-tolen, in durchnummerierten Metren er- an der stürmischen Entwicklung der Computertechnolo- diesem Zweck sollten in allen Parametern die Umfänge der möglichen. gie, die häufige Umkodierungen des Programms und seine Datenlisten unbeschränkt sein, Instrumente definiert wer- Diese Aufzählung enthält nur die wichtigsten Stichworte; Anpassungen an verbesserte Hardware in einer Zeit erfor- den können, neben Einsatzabständen auch Dauern berück- die kompositorischen Möglichkeiten von Projekt 2 werden derlich machten, wo die Computer des Instituts für Sono- sichtigt werden, Zeitwerte auch Dezimalform haben, Para- damit nur am Rande gestreift. Ich schrieb mit ihm mei- logie meist von Studenten besetzt waren. meter voneinander abhängig sein können und schließlich ne Übung für Klavier, um die verschiedenen Facetten des Nachdenkend über die oben genannten Fragen begann ich die Akkorde algorithmisch in Stimmen aufgelöst werden. Programms auszuprobieren. Dabei stellte sich heraus, dass Ende der 70er Jahre mit der Planung eines Projekt 3, später Damit entfiele die in Projekt 1 unvermeidliche „Interpreta- die Partiturtabelle nun vieles enthielt, was in Projekt 1 erst unterstützt von Karlheinz Essl, Gerhard Eckel, Ramón Gon- tion“ der Partiturtabelle und das Programm könnte neben in sie hineininterpretiert werden musste, während ande- zález-Arroyo und dem CEM (Contactorgaan Electronische der Partitur auch die Stimmen ausgeben. rerseits manches Neue, nun strukturell verankerte Detail Muziek) in Arnheim. Im Untertitel nannte ich es „Mentor- Die „Interpretation“ war erforderlich, weil es keine Zerle- ein neues Licht auf die vertraute Interpretation warf. Auf programm“, um anzudeuten, dass es dem Komponisten bei gung in Stimmen gab; allenfalls konnte man durch Zu- der einen Seite wurden nun Daten in das strukturelle Kon- der Planung und Ausarbeitung eines Werkes helfen sollte, ordnung von Akkordtönen und Einzelinstrumenten (die zept einbezogen, die bislang kontextabhängig eingefügt sei es instrumental oder elektronisch. Projekt 3 sollte da- Instrumentziffer in der Partiturtabelle konnte auch eine werden konnten, während auf der anderen Seite dem her eher einer Werkstatt gleichen als einer Maschine. Vor Instrumentengruppe bezeichnen) so etwas wie melodische Komponisten wenig Freiheit gelassen wurde, das Resul- allem sollte die für Projekt 2 entworfene „Tendenz“-Maske Linien konstruieren oder den Akkord als harmonisches Feld tat dort zu „glätten“, wo der algorithmisch bedingte Rigor universale Bedeutung als eine Art Schiene erlangen, auf auffassen, dessen Einzeltöne frei in der Zeit verteilt werden sozusagen Schweißnähte verursacht hatte. Die in Projekt dem die in benutzerdefinierten Bibliotheken gespeicher- können. Bei Konflikten zwischen Parametern musste der 2 enthaltenen Ergänzungen zu Projekt 1 hatten zwar zu ten statischen Momente („Zustände“) auf verschiedenen, Komponist ad hoc-Entscheidungen treffen, wo eine struk- einem reicher ausgestatteten und versatileren Kompositi- definierbaren Trajekten verbunden werden konnten. Die turbestimmte Präponderanz erwünscht gewesen wäre. onsinstrument geführt, die algorithmischem Komponieren Zusammenarbeit mit dem CEM, das hauptsächlich koor- Die siebenstufige Gliederung zwischen Regelmaß und Ab- inhärenten Probleme aber nur teilweise gelöst. dinierend auftrat und zwei internationale Kongresse or- wechslung wurde als zu starr oder zu einseitig erfahren, Das Problem algorithmischer Komposition könnte man ganisierte, scheiterte schließlich an der Finanzierung, als obwohl es dem Komponisten freistand, die entsprechende etwa so formulieren: Wie viel Freiheit lässt die regelbe- die ministeriellen Mittel nach einem neuen Schema auf Tabelle nach eigenem Gutdünken auszufüllen. dingte Struktur dem Komponisten bei der Ausarbeitung die Musikinstitute des Landes verteilt wurden. Damit ist Das neue Programm erhielt in der Nachfolge von Projekt 1 der Partitur? Resultieren spontane, überraschende, den die Arbeit an Projekt 3 zunächst zum Erliegen gekommen, (ursprünglich nur ein Arbeitstitel) die Bezeichnung Projekt Fluss vorantreibende Momente aus der Struktur oder die ihm zugrunde liegenden Ideen leben jedoch weiter und 2 und bot dem Benutzer nun unbeschränkte Listenumfän- müssen sie durch Zufallsentscheidungen hineingetragen beeinflussen gegenwärtig die als definitiv geplante Neu- ge für alle Parameter und Definitionen für Tonhöhenum- werden? Wo verläuft die Demarkationslinie zwischen al- gestaltung von Projekt 2. (Einzelheiten zu Projekt 3 findet fang, Akkordumfang, Tondauer und Dynamikbereich der gorithmisch erzeugter Struktur und der Erfahrungskom- man in meiner „Ästhetischen Praxis“, Bd. 3, S. 313-331, Bd. Instrumente. Außerdem gab es sechs verschiedene Aus- petenz des Komponisten, die vom Algorithmus noch nicht 4, S. 171-175.) wahlmodi für Listenelemente, darunter eine benutzerbe- eingeholt ist oder nicht eingeholt werden kann? Die von In Zusammenarbeit mit dem Institut für Sonologie am Kö- stimmte und eine zeitgerichtete („Tendenzmaske“), neben mir „Interpretation“ genannte Editionsphase scheint un- niglichen Konservatorium in Den Haag wird zur Zeit an Einsatzabständen auch Dauern sowie drei harmonische vermeidlich, nur sollte sie in einem angemessenen, vom einer endgültigen Version von Projekt 2 gearbeitet, die Prinzipien statt der vorigen Intervallkonstruktion. In der Komponisten abschätzbaren Verhältnis zur mechanisch nicht nur das auf die 60er Jahre zurückgehende Konzept

24

SEM 50 Jahre.indd 24 02.12.2009 08:40:56 in vollem Umfang repräsentiert, sondern darüber hinaus Formulierung erfahren haben, „einfrieren“ (d.h. von wei- um Züge erweitert wird, die sich aus den bisher mit dem teren Kompositionsprozessen ausnehmen) und die Daten Programm gemachten Erfahrungen sowie dem für Projekt oder Auswahlprozesse (oder beide) für die übrigen Para- 3 konzipierten „Mentor“-Aspekt ergeben. 1983 kam ich meter so oft verändern, betrachten oder abhören, bis eine in einem Aufsatz über Probleme bei der Anwendung von Lösung gefunden ist. Ebenso ist es möglich, „eingefrorene“ Kompositionsalgorithmen (in „Ästhetische Praxis, Bd. 3, Parameter wieder „aufzutauen“, um sie ihrer Umgebung, S. 270) zu dem Schluss, Form (als Resultat ihrer algorith- die zu diesem Zweck eingefroren wird, anzupassen. So mischen Beschreibung) sei „nicht länger die persönliche kann der Komponist die oben erwähnte „Interpretation“ Manier, das musikalische Material zu präsentieren oder über mehrere Arbeitsgänge verteilen, schrittweise ausfüh- die Wahrnehmung des Hörers zu leiten; vielmehr ist sie ren. Er interpretiert nicht das Resultat, sondern passt das der vom Komponisten abgelöste, rational erkennbare und Ergänzende bzw. Erweiternde interpretierend und experi- reproduzierbare Effekt eines organisierten Systems auf mentierend dem bereits Gegebenen an. willkürliches Material.“ Hiermit wird auf den Konflikt hin- gewiesen, der immer dann zwischen Komponist und Kom- position entsteht, wenn der Komponist mit dem Ziel der expliziten Darstellung einer anvisierten Struktur das Ver- langen nach persönlicher, kontextbezogener Detailarbeit verbindet. Kreativität kann sich in spontanen Akten, aber auch in logischer Planung äußern; die Kombination beider ist nicht ausgeschlossen aber schwierig. Nun ist Projekt 2 keineswegs der Versuch, diesen Konflikt zu schlichten, wohl aber eine Methode, dem Komponisten, dessen Ziel die akustische Darstellung vorweg geplanter Strukturver- hältnisse ist, bei der experimentellen Modifizierung des Strukturplans zu unterstützen. Das geschieht – im Gegen- satz zu Projekt 1 und den bisherigen Versionen von Pro- jekt 2, wo Planung und Ausführung der Komposition strikt getrennt waren – durch einen schrittweisen Prozess, in dem, obwohl sowohl Daten als auch Datenauswahl (durch Selektionsroutinen) verändert werden können, die Daten- konstellation stets dem gewählten (oder versuchsweise geänderten) Strukturprinzip unterliegt. In der Praxis sieht das so aus, dass der Komponist für einen oder mehrere Pa- rameter Einzeldaten und Ausführungsvorschriften für die Datenwahl bestimmt, eine Dauer für die Probe angibt und das Resultat auf dem Bildschirm betrachtet oder über MIDI abhört. Danach kann er Parameter, die eine befriedigende

25

SEM 50 Jahre.indd 25 02.12.2009 08:40:56 Sean Reed / Claudia Westermann BtdX

26

SEM 50 Jahre.indd 26 02.12.2009 08:41:04 12.12.2009 Steve Reich nen zu Naturgeräuschen provozieren – zum Rauschen der Pendulum Music (1968) Brandung, zum Sausen des Windes, zu Grillenzirpen und Konzert 2 (1969 – 1979) / 17 Uhr / Solitär Vogelzwitschern. Allerdings ging es mir weniger darum, William Wiley and I were putting together a theatrical diese Klänge zu imitieren, vielmehr wollte ich mit ihnen Steve Reich / Pendulum Music / 1968 „happening“ in Boulder, Colorado in ´68. I had one of those „komponieren“, sie immer wieder auch übergehen lassen old Wollensack tape recorders with a microphone plugged in Töne, Akkorde, rhythmische Bildungen, und auf diese Gerhard Wimberger / Natur Musik / 1975 in and the speaker turned up. Being out West, I let it swing Weise eine „Geschichte“ erzählen. Gegen Ende des Stückes Gottfried Michael Koenig / Funktion Orange / 1968 like a lasso. As it passed by the speaker, it went „whoop!“ I erscheint ein orgelpunktartig festgehaltener Ton, über Joseph Maria Horvath / Verschiebungen / 1974 had an idea - if you had two or three machines, you would dem sich 4 kanonisch versetzte Stimmen zu harmonisch have an audible sculpture phase piece. fluktuierenden Konfigurationen verdichten, dann löst sich Barry Truax / The Blind Man / 1979 It was done at a concert at the Whitney Museum in 1969, diese Musik in ein Zwitschern und Zirpen von imaginären Klaus Ager / I remember a bird ... / 1976 performed by Bruce Naumann, Michael Snow, Richard Ser- Vogelschwärmen auf – elektrisch erzeugt. Der Titel „Natur John Chowning / Stria / 1977 ra, James Tenney, and myself. I counted off four-four, and Musik“ möchte an den Anteil Natur in der Musik erinnern, on the downbeat they all let their microphones go and dieser künstlerischen Künstlichkeit, die der menschliche we all sat down. The microphones went „whoop!“ as they Geist ebenso erfand wie die Nutzung der Naturkraft Elek- passed in front of their speakers. They had been preset to trizität. give feedback just at the point when they swung directly in front of their speakers. As they came to rest, you heard a pulsing drone. I would dramatically pull the plug on all Gottfried Michael Koenig the machines, ending the whole thing. Funktion Orange (1968) It‘s the ultimate process piece. Tonband

Steve Reich (aus: Booklet zur CD OHM: the early gurus of elect- Die elektronische Komposition für vier Lautsprecher kam ronic music: 1948-1980, Ellipsis Arts..., 2000, S. 50) mit Hilfe eines im Institut für Sonologie entwickelten „Va- riablen Funktionsgenerators“ zustande, an dem eine Folge von 48 Spannungsniveaus eingestellt wurde. Diese Folge Gerhard Wimberger wurde in unterschiedlicher Weise und Geschwindigkeit Natur Musik (1975) abgetastet, die Resultate wurden katalogartig für Grund- Tonband klänge und Steuersignale auf Tonband abgespeichert. Es gab 36 verschiedene Schaltbilder für die spannungsge- Produziert wurde das Stück 1975 mit dem EMS – Synthe- steuerte Transformation der Grundklänge durch Filterung, sizer im elektroakustischen Studio des damaligen Instituts Ringmodulation, Lautstärkeregelung und Verhallung. Die für musikalische Grundlagenforschung an der Hochschule resultierenden Klangfolgen wurden zu vier Gruppen ver- Mozarteum. Meine Idee war, den Hörer teilhaben zu lassen wandter Klangformen zusammengestellt und aus ihnen an der Faszination, aus Oszillatoren, Transistoren, Drähten, vier, ineinander übergehende Formteile gebildet. durch Knöpfe und Schaltungen entsprechend gesteuert, Klänge kommen zu lassen, welche mancherlei Assoziatio-

27

SEM 50 Jahre.indd 27 02.12.2009 08:41:08 Josef Maria Horvath Barry Truax Klaus Ager Verschiebungen (1974) The Blind Man (1979) I remember a bird ... (1976) Ensemble Tonband Ensemble, Tonband

Oboe: Tatjana Zimre The Blind Man is a realization of a poem by Norbert Rueb- Klarinette: Daniela Fuchs Klarinette: Harald Fleißner saat that uses a reading and improvisation on the text by Posaune: Stefan Konzett Cornett á piston (Trompete): Stefan Leitner the writer as its basic source material. Additional environ- Gitarre: Elisa Villa Akkordeon: Karin Küstner mental sound material from the World Soundscape Project Schlagzeug: Phillip Lamprecht Library is also used, sounds that are largely metallic: bells Klavier: Güldiyar Tanridagli Leitung: Hideto Nomura from the Salzburg Cathedral (with which the piece opens) Einstudierung: Simone Fontanelli and the Storkyrkan in Stockholm, and a series of locks and Leitung: Hideto Nomura heavy doors from the vaults of the Vienna State Library. Einstudierung: Simone Fontanelli Dieses Stück entstand mit Hilfe des Computerprogramms The poem is heard on three levels. First there is the original „MUPRO 5“ von Irmfried Radauer. Dieses Programm er- reading interspersed throughout the piece in five sections. „I remember a bird“ (op. 16) entstand 1976 für das gera- möglicht, Klangfelder in prozentuell festgelegten Bahnen Then there are rhythmic variations based on the author‘s de gegründete „Österreichische Ensemble für Neue Musik“ zu schaffen. Jeder Parameter ist gesondert festzulegen. improvisation with the text. And finally, there are abstract und wurde von diesem auch in Innsbruck uraufgeführt. Ein Beispiel: wenn ich für eine gewisse Strecke „a-a“ an- sounds created through transformation of specific speech Die Besetzung entsprach der Gründungsformation des gebe, dann habe ich einen langen Ton „a“. Gebe ich eine elements: sibilants, consonants, and vowels. Ensembles, es spielten F. Tornai (Klarinette), Genro Hara kurze Dauer des Tones für eine längere Strecke an, dann The collaboration between composer and writer, coming (Posaune), Wolfgang Guttmann (Gitarre), Hermann Urabl erscheint der kurze Ton irgendwo innerhalb der angege- shortly after their work on the longer piece, Love Songs, (Schlagzeug) und Laura Spitzer (Klavier). Die Tonbandein- benen Strecke. Gebe ich weniger Prozent tiefe Töne (der extends their interest in the continuum between language spielung und Leitung der Aufführung lag in der Hand des Umfang genau festgelegt) und mehr Prozent höhere, and sound, the border country where words become pure Komponisten. kombiniert mit verschiedenen Dauern, dann entsteht ein sounds and can change back again. As described by the Die Grundidee des Stücks ist ähnlich der bereits bei „HO- Tongebilde, in dem die hohen Töne überwiegen, etc. So author, „the music becomes the enactment of the text, a SHI“ für Bläserquintett erprobten 3-Lagigkeit: dem Live kann man mit kurzen Strecken sehr hübsche Gebilde her- little play, a stage set up for it. And as we take out seats Klang der Instrumente steht einerseits die elektronische vorbringen. Zu den Parametern gehört selbstverständlich and the curtains part we are not surprised when, suddenly, (live) - Verhallung des Klangs gegenüber, und andererseits auch die Lautstärke. Die Instrumentierung ist willkürlich, the masks appear as words, when the masks are words, (vorab aufgenommen und im elektronischen Studio des geleitet allein von der Klangvorstellung. come out in the light, sounds and syllables dancing. Apart Mozarteum bearbeitet) der verzerrte Instrumentalklang and together again. Language. A poem has come to visit. vom Tonband. So ist sozusagen das Werk in drei verschie- Behold the poem, it is pointing to / the blind man / over denen Ebenen hörbar. there.“ Der Titel ist ein Zitat aus einem Drama von T. Williams „Orpheus descending“. In den Programmnotizen, die auf der LP im Jahr 1978 erschienen sind, stand das Zitat zur Gänze: „I remember a bird flown out of the moss and its wings made a shadow, an then it sung a single, high clear note“, und darüber hinaus noch folgender Text: „I remember a bird ...“ ist der erste Teil eines großen, abend-

28

SEM 50 Jahre.indd 28 02.12.2009 08:41:08 füllenden Werkes: „le combat avec l’ange“. Ein erster Teil, John Chowning der anfängt, eine urtümlich wilde, eigenartige Szenerie zu Stria (1977) enthüllen. Eine Szenerie, wo die Grenze zwischen Traum Tonband und Wirklichkeit, zwischen Surrealität und Realität nicht mehr existent ist. It‘s a strange sensation that I have about that piece. I was Das obige Zitat und ein Traum haben diesen ersten Teil away from Stanford for several years, and I really couldn‘t wesentlich beeinflusst; ein Bild aus diesem Traum: die Ah- do any experiments. In 1977, when I managed to get back nung des klaren Himmels über einem tiefblauen Meer, ge- to use the computers, I wrote the whole piece then, and I sehen durch Nebel- und Wolkenfetzen aus einem von ei- wrote programs that allowed me to control the procedu- nem gewaltigen Sturm absturzbedrohten Flugzeug. Dieses res. I realized the whole piece in two months. It was one of Bild und das Bild des Vogels, der auffliegt, dessen Flügel these pieces that a lot of prethought went into, and when einen Schatten werfen und dann ein einziger hoher klarer it finally came to realizing it, it fell right together. Ton.“ Das Projekt „le combat avec l’ange“ wurde in der Fol- In all of my pieces, I‘ve been extremely interested in the ge nicht verwirklicht. question of timbre and timbral transformation. In earlier pieces, there are many transferences from one timbral do- main to another. But I think „Stria“ is different because it doesn‘t have a central focus, it‘s nonreferential. It‘s a com- pletely abstract construction. It‘s something that could be done by a computer but could not be done by any other electronic device. With any sort of analog , I don‘t think it‘s possible just because they don‘t have the precision or the programming as part of their structure. It‘s a piece that is most uniquely tied to the digital do- main.

John Chowning (aus: Booklet zur CD OHM: the early gurus of electronic music: 1948-1980, Ellipsis Arts..., 2000, S. 77)

29

SEM 50 Jahre.indd 29 02.12.2009 08:41:08 Bret Battey Autarkeia Aggregatum

30

SEM 50 Jahre.indd 30 02.12.2009 08:41:16 12. 12. 2009 Barry Truax generally and water sound in particular. Riverrun (1986) The fundamental paradox of granular synthesis - that the Konzert 3 (1979 – 1989) / 20 Uhr / Solitär Tonband enormously rich and powerful textures it produces result from its being based on the most ‚trivial‘ grains of sound - Barry Truax / Riverrun / 1987 Riverrun creates a sound environment in which stasis and suggested a metaphoric relation to the river whose power Stephen T. Pope / Bat out of hell. Stories for Dance / 1983 flux, solidity and movement co-exist in a dynamic balance. is based on the accumulation of countless ‚powerless‘ dro- Jean-Claude Risset / Sud / 1985 The corresponding metaphor is that of a river, always mo- plets of water. The opening section of the work portrays ving yet seemingly permanent. From the smallest rivulet that accumulation, as individual ‚droplets‘ of sound gra- Andor Losonczy / Schlangengrube / ca. 1980 to the fullest force of its mass, a river is formed from a dually multiply into a powerful broad-band texture. The Luigi Nono / Omaggio a György Kurtág / 1983-86 collection of countless droplets and sources. So too with piece, I find, also captures some of the awe one feels in Jonathan Harvey / Mortuos plango Vivos voco / 1980 the sound in this composition which bases itself on the the presence of the overpowering force of such a body of smallest possible ‚unit‘ of sound in order to create larger water, whether in a perturbed or calm state, and as such textures and masses. The title is the first word in James it seems to create a different mode of listening than does Joyce‘s Finnegan‘s Wake. conventional instrumental or electroacoustic music. Riverrun is entirely realized with the method of sound production known as granular synthesis. With this me- thod small units or ‚grains‘ of sound are produced, usually Stephen Travis Pope‘ with very high densities (100-2000 grains/sec), with each Bat out of Hell: Stories for Dance (1983) grain having a separately defined frequency and durati- Tonband on. When the grains all have similar parameters, the result is a pitched and amplitude modulated sound, but when Realized at the CMRS, Salzburg, First performance: Van- random variation is allowed in a parameter, a broad-band couver, Canada (International Confe- noise component is introduced. rence), August, 1985. All sounds in this piece were generated with real-time This is envisioned as a solo percussion piece for a virtuoso synthesis by the DMX-1000 Digital Signal Processor, up with 168 microtonally-tuned bells. The two short sections to a maximum density of 2375 grains/second. However, in of the work are intended to evoke certain gestures and many cases, lesser densities were also used since often the shadows in dancers. progression from isolated sounds or a rapid sequence of events to a fused texture is the most interesting feature of the synthesis method. All layers were multi-tracked with four simultaneous stereo versions and later up to 32 such tracks were mixed. Considerable use was made of ramps applied to the synthesis variables; that is, certain para- meters were made to change over time at a specific rate, sometimes with several parameters simultaneously ram- ped at different rates. Therefore, all sound in the piece is in a constant state of flux, much like environmental sound

31

SEM 50 Jahre.indd 31 02.12.2009 08:41:21 Jean-Claude Risset II. Ein Ruf wie eine vom Meer bewegte Glockenboje. Be- Luigi Nono Sud (1985) wegung, Strömung, Mistral, Sturm. Irdisches oder inneres Omaggio a György Kurtág (1968) Tonband Feuer? Ensemble, Live-Elektronik III. Immer farbigeres Meeresprofil, der Lärm wird zum Sud wurde im Auftrag des französischen Kulturministeri- schrillen Schrei, bewegte Chimären und Zwitterwesen. Alt: Wiebke Wighardt ums geschrieben. Die Anregung dazu kam von der Grou- Wellen, Vogelscharen, Meereswogen bringen den motivi- Flöte: Jerica Pavli pe de Recherches Musicales (GRM), in deren Studios das schen Akkord zum Klingen. Ebbe, der Klang des Zurück- Klarinette: Nedyalko Petkov Stück auch produziert wurde. fließens. Basstuba: Christian Lechner Ich bin von einer kleinen Anzahl Klangsequenzen — Auf- nahmen des Meeres und von Insekten, Vögeln, Holz- und Leitung: Hideto Nomura Metallglocken und kurzen, auf dem Klavier gespielten Andor Losonczy Einstudierung: Simone Fontanelli oder vom Computer synthetisierten Gesten — ausgegan- Schlangengrube (ca. 1982) gen, welche ich dann vergrösserte und vervielfachte, in- Tonband Am 10. Juni 1983 erklang in Florenz erstmals ein Omaggio dem ich sie verschiedenen Arbeitsgängen wie Modulieren, a Kurtág von Luigi Nono für Altstimme, Flöte, Klarinette, Filtern, Färben, Verhallen, räumlichem Verarbeiten, oder Der Titel selbst soll keinerlei Programmmusik andeuten. Tuba und Live-Elektronik - doch dieses »Werk« war eigent- Mischen unterzog. Cézanne wollte “weibliche Rundun- Das kurze Stück besteht ausschließlich aus elektronisch lich kein solches, sondern vielmehr eine Art »geregelter Im- gen mit Hügellinien vereinen”. In der gleichen Weise kann erzeugten Klängen und ist das einzige von einigen we- provisation« auf der Basis von Erfahrungen, die der Kom- man durch Synthesekreuzung “das Mark selbst der Natur” nigen Kompositionen dieser Art, das mir erhalten ist. Es ponist und seine vier Ausführenden bei Klanganalysen im (Henri Michaux) bearbeiten, Zwitterwesen, Chimären aus wurde mindestens sechsmal in Köln, Frankfurt, Salzburg, Freiburger Studio gemacht hatten. Eine auskomponierte Vogelwesen und Metall, aus Meer und Holz hervorbringen. Innsbruck öffentlich aufgeführt. Zwei andere Stücke aus Fassung dieser »Widmung« entstand erst 1986 und wurde Ich bediene mich dieser Technik vor allem, um Klangprofi- den sechziger Jahren kamen im elektronischen Studio des am 6. Juni in Turin aufgeführt. le und Energieströmungen zu transponieren. So habe ich Mozarteums abhanden. Es waren dies „Alliage“, zu Deutsch Nonos Omaggio ist eine Art Antwort an den bedeuten- den Puls des Meeres auf andere Klänge angewendet, wenn Legierung, und „Stück für Tonband und Klavier“. den ungarischen Komponisten György Kurtág, dessen Na- auch anderswo die Wellen oder Klangwogen mit dem Meer Der Verlust der Stücke bedeutete auch das Ende meiner menssilben den »Text« sowohl der Improvisation von 1983 nichts mehr zu tun haben. Beschäftigung mit elektronischer Musik. Erst später an der wie der aus ihr erwachsenen Komposition von 1986 bilden. Ein zunächst durch synthetische Töne definierter Akkord Colgate University in Hamilton, N.Y., USA und im Studio Eine Antwort, denn Kurtág hatte im Sommer 1979 sein — g-h-e-fis-gis — färbt verschiedene Klänge natürlichen EMS in Stockholm arbeitete ich eher episodisch wieder an Omaggio a Luigi Nono per coro a capella, op.16 geschrie- Ursprungs. Im letzten Teil des Werkes wird der Akkord zu computergenerierten Klängen. Dabei entstand „Schlan- ben. Dieses Werk geht seinerseits auf eine Anregung von einem harmonischen Netzwerk, welches Vögel oder Wellen gengrube“. Das Stück stellte ursprünglich quasi eine end- Nono zurück, Kurtág möge doch ein Chorwerk komponie- wie eine Windharfe zum Klingen bringen. Ihre Anordnung lose Schleife dar, die sich jedes mal verändert, ähnlich wie ren. »In Schlüsselmomenten des Omaggio - schrieb István setzt mehrere rhythmische Schichten in Bewegung. bei J. S. Bachs „Musikalischem Opfer“, das immer um einen Balázs über Kurtágs Werk - stimmt Kurtág Nonos Ton an, Das Werk hat drei Teile: Ton höher zu wiederholen ist. indessen lässt er von all dem, was bei Nono zum Bereich I. Das Meer am Morgen: Das ganze Stück ist vom Energie- der >konkreten Utopie< gehört, das Negative erblicken: er profil dieses Anfangs bestimmt. Das Erwachen lärmender vergegenwärtigt es als Mangel, als Unverwirklichtes«. Vögel. Klangwolken. Aus der Tiefe kommt ein Zwitterwe- Ausgangspunkt für Nonos Werk war die Erfahrung im sen. Wärme. Der Ort Luminy am Fusse des Mont Puget, Studio bei Klanganalysen, dass ganz leise Töne der drei erfundene und wirkliche Insekten und Vögel. Instrumentalisten und der Sängerin in bestimmten Lagen

32

SEM 50 Jahre.indd 32 02.12.2009 08:41:21 kaum mehr Obertonspektren aufweisen und deshalb der Jonathan Harvey charakteristische Klang der einzelnen Instrumente nicht Mortuos plango Vivos voco (1980) mehr zu erkennen ist. Tonband

Jürg Stenzl (aus: Booklet zur CD luigi nono 3, Montaigne Auvidis, From 1975 to 1980 my son Dominic was a chorister in 1995, S. 6) the choir of Winchester Cathedral, England. I wrote much Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Autors music for the choir and often listened to it rehearsing in the vast building, sometimes whilst the bells were pealing high above. The resonances of those years found their way into this my first IRCAM commission. I recorded my son‘s voice singing the text inscribed on the great tenor bell: Horas avolantes numero mortuos plango vivos ad preces voco. I then recorded the bell itself. These sources were analyzed and resynthesized using CHANT and MUSIC V. Both the live sources and the artificial imitations were manipulated by the computer, often simultaneously. The inharmonic spec- trum of the bell forms the harmony of the piece, on which everything is based. Modulations (and modulations within modulations) are effected by glissandoing from part of the spectrum of one bell to another (higher or lower) part of the spectrum of another bell. Each of the eight sections is based on a new ‚tonic-bell‘ (the tonics are eight lowest partials of the tenor bell); each of these sections has a duration proportional to the tonic-bell‘s frequency. In general, the bells‘ partials are distributed statically in space giving the listener the feeling of being inside the bell, whereas the boy flies like a free spirit around the con- cert hall space.

Jonathan Harvey (aus: Booklet zur CD Computer Music Currents 5, Wergo, 1990, S. 14)

33

SEM 50 Jahre.indd 33 02.12.2009 08:41:22 Andreas Wintersberger Videocurtain I

34

SEM 50 Jahre.indd 34 02.12.2009 08:41:29 13.12.2009 Trevor Wishart therefore marketable) outputs. At the very least, research Vortrag Trevor Wishart / 11.30 Uhr / Keynote Address (Extract from Belfast: ICMC 2008) projects must be portrayed as if they are tackling tech- Studio für Elektronische Musik (Raum 4006) nological or practical problems and hence potentially ge- I welcome what I would call the normalisation of the sonic nerating industrially useful output. In this atmosphere, arts in the wider community. The sophisticated large-scale musical outputs can tend to be downplayed, at least in structuring of sound I’m interested in takes its place in a the official reports. continuum of possibilities from musical ‘Kunst’, through popular culture to pure amateur messing about with But if we were really to follow the market-oriented theory sound. of value we would be forced to some absurd conclusions. For example in December 1997 “Teletubbies say Eh! Oh!” What’s more problematical is the spread of a certain strain was top of the singles charts in the UK for some weeks. of post-modern social criticism that blames ‘modernism’ As most of you probably won’t recall, the Teletubbies were (and often, by implication, the Enlightenment) for the hor- one of an ongoing sequence of puppets or mannequins rors of Auschwitz and the Gulag. Often starting out with invented for the televisual entertainment of very small the best of intentions, criticising the dominance of Euro- children. “Eh!” and “Oh!” were a pretty good sample of pean cultural values or, from a feminist perspective, the their conversational sophistication. In the Christmas peri- dominance of male-oriented cultural perspectives, it can od of 1997, the BBC released a single ‘sung by’ these man- sometimes end up making any kind of aesthetic (as op- nequins to capitalise on the Christmas consumer surge, posed to sociological or political) valuation impossible. In and the music was pitched at the same level as the lyrics. this situation the utilitarianism of ‘The Market’ takes over, As intended, many doting parents of tiny tots bought the where shopping becomes the ultimate expression of hu- record for their offspring. By the logic of exchange value, man freedom. How can there be any place for musicology this was the most valuable music available in the UK, over or aesthetics if artistic value is merely market value. More this period. importantly for me, how can we possibly justify spending large amounts of time crafting sound materials or deve- But the market ranking doesn’t take any account of the loping new software instruments if all we really need to sophistication of the audience (are they aged 2 or 42 for do is stick to available clichés and improve our marketing example); the influence of topical but transient events (the skills. popularity of what’s on the telly, the Christmas shopping spree); socio-economic trends (the pressures for both pa- This is not just a theoretical issue. Departments of Music rents to go out to work due to the dictates of the consu- embracing Technology increasingly have to justify them- mer economy, almost obliged to keep their kids entertai- selves in either market-oriented terms – their turnout of ned in front of the TV); the originality, craft, or even the record-producers, Foley sound experts for the film-indust- duration of the merchandise. ry and so on, making a visible contribution to the economy or in technological terms – music (and particularly music So how, in this atmosphere, can we categorise ‘Art-music’ using technology) has to be cast in a Science/Technology and at the same time escape the stigma of being ‘elitist’. mould, with research projects having technological (and

35

SEM 50 Jahre.indd 35 02.12.2009 08:41:35 I think we need to differentiate between elitism and exclu- The two elements of ‘high art’ I want to stand up for are, This often feels like swimming against the tide for various sivity. For me, electro-acoustic and live-electronic music firstly, detailed craft coupled with the ability to build lar- reasons. The market stresses built-in obsolescence, ma- have already breached the exclusivity barrier. The tools for ge-scale formal structures, and secondly, an engagement king things which look good but have a limited shelf-life, making them are reasonably accessible, through powerful with ideas, and as a consequence, hopefully, the durabili- as turnover is paramount, transience essential. The mar- free or cheap software, ease of high quality digital recor- ty of the work. My skills or intellectual emphases may be ket also tends to privilege horizontal diversity over ver- ding or easy access to media or web sound streams - com- different from others, so I’m not foregrounding my own tical complexity – it makes it easy to move one’s focus pare writing for an orchestra. The means of distribution particular skills or intellectual concerns in opposition to sideways, to Polynesian folk-music or Burmese hip-hop, are easily accessible through independent C.D. publishing the skills and ideas of others. I want to stand up for all whatever takes your fancy in the everything-is-available and web-distribution - compare this with the historical those who value craft and ideas in the Arts. superstore of world culture, rather than pursuing some problems of getting musical scores type-set, printed and particular area in increasing depth. distributed, and obtaining the backing of a major publi- For example, soundscape art involves great skill in both shing house to promote performances of the work. And selecting and recording its material. It also carries an Also, speaking as someone who still performs as a vocal the work is easily ‘visible’ to potential listeners through implicit critique of some dominant ideas in our culture, free-improviser, I often come across the view that spon- CDs, or the web, not confined to some specialist venue particular the notion that we are masters of nature and taneity or ‘improvisation’ of any kind is somehow morally in a distant metropolis. Furthermore, in my own musical have the right to exploit it and mould it in any way we superior to spending lots of time slaving over the details practice I run workshops for both professionals and non- want. I agree with this critique and its seriousness even if – it seems to encapsulate the notion that we’re all free, specialists, school-children, the elderly and so on, helping my musical practice is very different. I don’t think what I unconstrained individuals, not hemmed in by any rules to develop people’s own creative abilities. do contradicts a soundscape perspective, and I choose to or obligations. This was perhaps best encapsulated in the express my environmental concerns by other means, e.g. punk-era philosophy that democratic access to music- But accessibility must mean elitism for all, not just by not owning a car. making was more important than actual musical compe- anything goes. tence. But, in our society, the ‘outlaw’ is a standard folk In my own work my concerns are more with the way in- anti-hero – there’s nothing remotely anti-establishment And if we’re going to defend ‘high’ art values we have to dustrial/consumer culture impinges on human values and about being anti-establishment; trashing the hotel room ensure, at least in the medium term, that the technological how we might maintain a humanistic perspective, despite for the 100th time gets a bit predictable. facilities we are developing for such artistic endeavours the market – a concern for what we do and how we treat are not the exclusive prerogative of insiders, people who each other rather than what we own. My stress on the im- Good improvisation, from Bach to Coltrane to laptop or- work in the institutions or their Ph.D. students – we have portance of craft and form-building, and making a durable chestras, is founded on hard work and experience. Fur- to ensure that eventually some version of these resources product, springs from this idea. Also, coming from a family thermore, good electro-acoustic or live-electronic com- enters the public domain, as with IRCAM and the desktop of manual workers, I admire the way carpenters, plumbers position can be viewed partly as a kind of slowed-down revolution. At the very least we have to worry about what or plasterers work skilfully with physical materials, whe- improvisational process, as new sounds and new software all those gifted research students are going to do once reas hedge-fund managers are no more interesting to me instruments throw up unexpected possibilities that we they leave – institutional posts are a finite resource, and than betting-shop owners. I’m also very aware of the tra- must play around with before we can find their most ef- most of them will have no chance to acquire one. Hence dition of free-thinking labourers in the area where I was fective musical use. my call for the development of cheap loudspeakers, and brought up. And I started my University career as a scien- From another perspective, easy access to an over-abun- the means to interface these with a laptop, to match the tist - so I’m very much in favour of the Enlightenment. dance of sound materials from the media and the web, exciting high-end research that’s now going on. and free, powerful software tools can make the idea of slow, painstaking studio work even more unglamorous.

36

SEM 50 Jahre.indd 36 02.12.2009 08:41:35 This was brought home to me by a student I was men- ped rather than attempting to reinvent the wheel on every toring who was amazed to find that I composed ‘down occasion. We don’t need to pretend to be entirely original at the millisecond level’ – all the sounds in his work were to be fully human. The unique individual is merely a mar- selected from online sound-libraries and simply edited to- keting construct. gether in Pro-Tools. After enjoying my work in the concert he said, without irony, how great it would be to sample it. What interests me at the moment is how to build large- scale musical forms within the sonic medium. My last I’m obviously not against sampling, as the piece ‘Two Wo- released work, the 3 movement ‘Fabulous Paris‘, was men’ demonstrates. This piece also raised an interesting subtitled ‘a virtual oratorio’ to link it to the tradition of side-issue about the use of topical material in Art-works. extended non-staged works for voices – but this is a pu- What happens when the topical reference ceases to be rely secular oratorio. The piece takes as its starting point topical. I’ve already had to face this question with “Two our experience of living in vast cities in a mass society. For Women” – I’ve played it to school kids who don’t know example, the 3rd movement uses layered recordings from who Princess Diana is, never mind recognise her voice. So the media (traffic-accident announcements on the Cali- you have to be sure that both the musical structure and fornia freeways; advertisements; game-show hosts; poli- the commentary being made will survive the demise of the tical commentary or demagoguery) to suggest the excite- specific subject-matter you’re using. I’m hopeful that ‘Two ment and terror of the modern megacity. In contrast, the Women’ passes this test. 2nd movement examines the particular voice, and private experiences, of a single person – in fact my aunt, age 70, I also admire highly crafted and intensively-worked plun- reminiscing about her childhood. The harmonic material derphonic pieces. But there are no deterrents to being less there is all derived from the melody of her speech, in par- painstaking. The ease of sampling other people’s material ticular the phrase “and this is me, when I was six”. has meant some professional entertainers - who I can’t name in public - have been able to turn theft into an art And I’m currently working on a piece using voices recor- form, leaving the hard bits to others. It’s flattering to have ded from a cross-section of the community in the North one’s work widely quoted, but the perpetrators are un- East of England, and hope to produce a one hour piece likely to give you any credit for your effort. And, in this that keeps the listener engaged. This presents an interes- context, it’s only the formal coherence of a work which ting visibility problem. I’ve recorded the voices of adults, will set it apart from an elegant collage of chunks of it aged between 23 and 93, and of children as young as 5, together with other people’s materials, picked-and-mixed who may never have been to a concert music event before by one of these fly-by-night superstars. – even less a contemporary art-music event – but I expect most of them will want to hear what I’ve done with their Finally, at my age, I can even admit that tradition can be voices. So the piece has to work in a local context whe- useful. At the very least it provides a handy checklist to re people will recognise both themselves and the spoken test whether our ‘spontaneity’ is merely a cliché, our ‘ori- content, but also in a concert in, say, Berlin or Tokyo. ginality’ just a self-delusion. It’s also a treasure house of good ideas that can be re-interpreted or further develo-

37

SEM 50 Jahre.indd 37 02.12.2009 08:41:35 Curtis Roads / Brian O‘Reilly Fluxon

38

SEM 50 Jahre.indd 38 02.12.2009 08:41:41 13.12.2009 Werner Raditschnig ter gespielt werden, unterbrochen höchstens von kurzen Different Outputs / Remix 01 (1994/2001) Zäsuren. Konzert 4 (1989 – 1999) / 17 Uhr / Solitär Tonband Gottfried Michael Koenig, November 2009 Werner Raditschnig / different outputs / 1994 Die Aufbereitung des Klangmaterials entstand bei einem Gottfried Michael Koenig / 60 Blätter / 1992 Live-Konzert von Werner Raditschnig und Wolfgang Mu- Ludger Brümmer / De la Nuit / 1999 sil, anlässlich des „Elektroakustik Performance Studio“ im Ludger Brümmer Francois Bayle / Arc, pour Gérard Grisey / 1999 Kulturgelände Nonntal. Werner Raditschnig spielte eine De La Nuit (1999) präparierte Elektrogitarre und Sampler, Wolfgang Musil Tonband Achim Bornhoeft / Virtual String / 1997 übernahm den Part der live-elektronischen Weiterverar- Boguslaw Schäffer / Duo / 2009 (UA) beitung mittels Computer (MAX-System, IRCAM Karte). Das Werk „de la nuit“ wurde für ein Konzert in den un- Trevor Wishart / VOX-5 / 1997 Im Jahre 2001 produzierte Werner Raditschnig einen Re- terirdischen Wassertanks am Berliner Prenzlauer Berg am mix aus dem 30minütigen Grundmaterial in Form einer Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe Schnittversion für 4 Lautsprecher, als elektroakustisches komponiert. Die Akustik dieses Raumes bestimmte viele Stück. Vorstellungen der Klangwelt und Struktur des Stückes und fungiert als das, was man allgemein als Inspiration oder Ausgangspunkt bezeichnet. Gottfried Michael Koenig Als Grundmaterial dienten relativ heterogene Klänge, die 60 Blätter (1992) vorerst keine Beziehung zueinander zu haben scheinen: Streichtrio das Sample einer instrumentalen Folklore, ein kurzer Ab- schnitt aus einem Song von Massive Attack und einige Violine: Masayoshi Matsui Metallklänge, die mit der physikalischen Modellierungs- Viola: Monika Urbonaite software Genesis (ACROE, Grenoble) hergestellt wurden. Violoncello: Hugo Smit Es gibt in dem Arbeiten mit den Samples zwei spannende Momente, die über das Gesicht eines Stückes entscheiden Das Streichtrio entstand 1992 und war als Geburtstags- und dessen Ergebnisse nicht unbedingt vorhersagbar sind: geschenk für Heinz-Klaus Metzger zu seinem Siebzigsten Zuerst die Arbeit mit dem Sample selbst: Wird das Sample gedacht. Die Uraufführung fand jedoch erst zwei Jahre völlig zerstört, oder widersetzt es sich den Veränderungs- später im Rahmen der Darmstädter Ferienkurse statt. Das versuchen; entsteht aus dem Klang etwas völlig Neues Werk wurde mit meinem „Projekt 2“-Programm kompo- mit Hilfe kompositorischer Strukturen oder ist ein Klang niert und besteht aus 60 kurzen, skizzenhaften Struktu- neutral, als Event einsetzbar. Einen Klavierton kann man ren, die jeweils auf ein DIN A4-Blatt passen. Es gibt vier z. B. mit technischen Mitteln verändern, ihn verlängern, Gruppen zu je 15 Blättern, jede Gruppe beruht auf einer verkürzen, umdrehen oder in seinen spektralen Bestand- eigenen Grundstruktur und besteht aus deren Varianten, teilen manipulieren; vervielfältigt man den Klang mit un- die sich hauptsächlich durch ihre Dauer und ihre rhyth- terschiedlichen Tonhöhen, Positionen im Raum, mit un- mische Gliederung unterscheiden. Die Reihenfolge der terschiedlichem Hallanteil usw., oder kombiniert man all Blätter ist beliebig, es sollten jedoch wenigstens 15 Blät- diese Techniken miteinander.

39

SEM 50 Jahre.indd 39 02.12.2009 08:41:44 Der zweite spannende Moment entsteht bei der Kombina- Francois Bayle riellen Welt. Ergänzend zu den musikalischen Parametern, tion der unterschiedlichen Bruchstücke miteinander. Jedes Arc, pour Gérard Grisey (1999) die lediglich den Akt des Einwirkens beschreiben, verän- der vielen Bruchstücke hat eine unterschiedliche Struktur Tonband derte ich hier auch die Gestalt der Objekte selbst. Saiten, oder Eigenheit. Viele sind sich ähnlich und manche fast die sich beim Spielen um viele Meter verlängern, kann man gleich. Aus dem erarbeiteten Material werden nur die in- Weder als Hommage, noch als Nachruf, sondern einfach sich visuell gut vorstellen, ebenso Bögen, die zu kiloschwe- teressantesten Strukturen herausgesucht und zu einem als eine freundschaftliche Widmung will ich „Arc“, ein ren Hämmern mutieren. Akustisch abbilden lassen sie sich musikalischen Sinn zusammenfügt. Dieser Prozess ist in Werk, das sich als endgültiger Abschied in alle Bereiche aber erst seit dem digitalen Instrumentenbau. meiner Arbeitsweise kein Abmischprozess, in dem die Ele- der Zeit und des Raums hinein erstreckt, der Erinnerung Die Komposition mit „physikalischen Modellen“ ist für mente nur neu aneinandergefügt werden. Hier werden an Gerard Grisey schenken. mich ein möglicher Ansatz für einen erweiterten, plasti- manche Strukturen tatsächlich noch einmal völlig verän- Vorerst jedoch die schwere Decke der Trauer. schen Musikbegriff, in dem die vertikale und horizontale dert, manche bleiben wie sie sind und die meisten werden Die steinerne Gestalt, die aus der Glissandostruktur einer Trennung von Frequenz und Zeit durch das musikalische gar nicht weiter benutzt. Alles wird in einer komplexeren Flexaphongeste hervorgeht, bietet das Material für einen Objekt aufgelöst wird. grösseren Einheit, dem Werk, neu kombiniert und den Ide- ersten meditativen und andächtigen Moment, welcher Das Programm „vstring“ wurde nicht zur Produktion elek- en einer grösseren Formgestaltung unterworfen. dann in einen zweiten Zustand überführt wird und sich in tronischer Musik geschrieben: nur einzelne Parameter- Viele Strukturen lassen sich nicht kombinieren, weil sie stellaren Bewegungen auflöst. Jener Bogen spektraler Far- Einstellungen können als separate Klänge abgespeichert sich akustisch miteinander vermischen, sich gegenseitig ben klingt und verhallt wie eine respektvolle Bezeugung werden. Übergänge zwischen zwei verschiedenen Einstel- zerstören oder aus Gründen von Klangbereich, Geschwin- unserer durchaus verwandten Denkschritte. lungen wurden montiert aus einzelnen, sich langsam ver- digkeit, Gestik oder Strategie nicht zueinander passen. ändernden Klangpartikeln – eine Arbeit wie im Trickfilm- Manche Strukturen sind wunderschön und passen aber studio. Aus vielen statischen Momenten entstand so eine nicht in die angestrebte Gestaltungsidee. Achim Christian Bornhoeft kontinuierliche Bewegung in der Zeit. Ich sehe die Form sowohl in dieser Phase, als auch gene- Virtual String (1997) rell als Sinn stiftend an: Ein Crescendo an sich ist nur ein Tonband Crescendo. Aber was nach dem Crescendo kommt, oder wodurch es eingeleitet wurde macht aus einem neutralen Die „Wirklichkeit als Entwurf“ ist das Thema in meinem Element einen Träger von Kontext und Inhalt. Stück „Virtual String“, in dem der Computer seine eige- In der fertig gestellten Komposition zeigt sich dann, ob es ne akustische Realität erschafft . Sie entsteht als virtuelle gelang aus dem Ton oder Klang eine Art Relief herauszu- Körperlichkeit aus den physikalischen Analogien zu realen arbeiten, das etwas darzustellen im Stande ist oder eine Klangerzeugern. Das Programm, mit dem „Virtual String“ Besonderheit besitzt; ob der Diskurs zwischen der Gestalt 1997 entstand, beschreibt die Eigenschaften einer schwin- des Materials und dem Gestaltungsprozess des Komponie- genden Saite, in dem jedes klangbestimmende Detail als rens zu einer höher stehenden Wirklichkeit wurde, und ob mathematisches Modell formuliert wird: die Länge und die das Werk mehr ist als nur die Klänge. Dicke der Saite, die Spannung und die Dämpfung, die Er- regung der Saite durch einen Bogen oder ein Plektron und der Ort der Tonabnahme. In dieser Umgebung ließen sich physikalische Parameter wie Geometrie von Körpern, Masse, Kräfte und Gesten ver- ändern – unabhängig von den Einschränkungen der mate-

40

SEM 50 Jahre.indd 40 02.12.2009 08:41:44 Boguslaw Schaeffer VOX-5 forms the penultimate movement of this work, and be physically ejected from the „mouth“ at the front center Duo (2009 / UA) is the only entirely electro-acoustic piece in the VOX se- stage, circling and scattering around the space of the au- Violine, Tonband ries. It presents the image of a single „supervoice“ located ditorium to converge again at the front center stage for at the front center stage, whose utterances metamorpho- the start of a new syllable. Violine: Masayoshi Matsui se into natural events... the sounds of crowds, bells, bees and other creatures, and less specific sound-events... po- Trevor Wishart (aus: Booklet zur CD Computer Music Currents 4, DUO für Violine und elektronische Musik entstand im etic images of the creation and destruction of the world Wergo, 1989, S. 16f.) September 2009. Es ist in einem größeren Satz verfasst contained within one all enveloping vocal utterance (the und besteht aus zwei unabhängigen Stimmen: aus einer „voice of Shiva“). verhältnismäßig langen Komposition für Violine und einer The idea for a work involving the detailed metamorphosis längeren elektronischen Komposition, die als Hintergrund of the human voice was submitted as a project to IRCAM dient. Der Violinpart besteht aus Variationen über ein in 1979-80, when I was becoming aware that computer nicht existierendes Thema. Die elektronische Musik läuft technology should make possible the realization of a par- eine Zeit lang allein, um schließlich auf den Beginn des ticular vision I had of the plastic manipulation of sound Violinparts zu stoßen. Danach laufen die beiden Stimmen materials. As a result, I was invited to the IRCAM intro- bis zum Ende vollkommen unabhängig. Der Violinpart er- duction course in 1981 and there discovered the particu- möglicht dem Solisten auch einige Pausen zu machen - er lar sound analysis tools I needed. During the course I was muss das ganze Stück nach seiner Vorstellung gestalten. approached about an IRCAM commission but events were to conspire against me. During the following four years IRCAM‘s old computer finally fell from grace and a new Trevor Wishart one was installed involving a complete rewrite of much of Vox-5 (1986) the software. It was only in 1986 that the (now upgraded) Tonband Phase Vocoder sound analysis program was ready for me to use once again. VOX-5 was thus finally commissioned In 1980 I began the composition of a cycle of vocal works by IRCAM and produced there during 1986. collectively entitled „VOX“. Most of these works are ampli- The piece was made using computer programs I wrote fied vocal quartets with or without tape accompaniment. to manipulate sound-analysis data obtained from Mark The whole cycle is intended to be performed together, but Dolson‘s Phase Vocoder program. My own programs per- each work in the series may stand on its own in perfor- mitted continually changing vocal spectra to be stretched mance. (making them bell-like) or interpolated with the spectra Poetically speaking, the cycle is concerned with the crea- of natural events. Both the Phase Vocoder, and my own tion and disintegration of human culture, and its spiritual programs have subsequently been made available on the nature. The poetic content of the cycle is strongly influ- Composer‘s Desktop Project (running on the Atari-ST) and enced by the imagery of the Shiva myth, but draws on will, I hope, soon become familiar to a much larger num- many other sources of inspiration in its six movement ber of composers. span. The piece also makes special use of sound-spatialisation (in surrounded sound) so that natural events appear to

41

SEM 50 Jahre.indd 41 02.12.2009 08:41:44 Ludger Brümmer Xronos

42

SEM 50 Jahre.indd 42 02.12.2009 08:41:52 13. 12. 2009 Curtis Roads the harmonic series, and on the macro-level, defining a Touche pas (2009) single gestalt formally articulated by several parameters. Konzert 5 (1999 – 2009) / 20 Uhr / Solitär dedicated to Morton Subotnick Arbor Vitae introduces radical extensions of earlier ideas. Tonband For example, pitches are derived from harmonics up to the Curtis Roads / Touche pas / 2009 1331st partial, whereas earlier works tend to use the first James Tenney / Arbor Vitae / 2006 In April 2008, I was experimenting with the granulation of 64 partials or fewer. In addition, the evolving harmonies Marco Döttlinger / SKULPTUR I / 2009 (UA) a brief sound file when I noticed that its opening looping are determined by a complex, time-variant probabilistic Jean-Claude Risset / Resonant Sound Spaces / 2002 sonic texture was reminiscent of the classic electronic scheme typical of Tenney’s work, but executed in Arbor music work Touch (1969) by my former teacher Morton Vitae in a unique way. Arbor Vitae explores the progressi- Dirk Reith / Nested Loops V / 2007 Subotnick. I know this work well, having produced and on of single tonalities expanding into multiple tonalities. Barbara Mayer / Complementary Grounds / 2008 remastered it in 1986 for the Wergo label. In homage, I The harmonic structure of the piece is similar to the way Trevor Wishart / Imago / 2002 decided to dedicate this work, whose French title means tree branches emanate from other branches. We can see a „touch not“ to Morton Subotnick. The title proved apt, tree―or this piece―at various levels of remove, various per- as after months of work, Touche pas sounds nothing like spectives, from the detail of the outermost branches to Touch. the entire tree as a single, simple, unified form. Despite the compositional rigor of Arbor Vitae, hearing it performed is essential to understanding it. This technical description James Tenney is meant to complement that experience. Arbor Vitae was Arbor Vitae (2006) completely generated by an algorithm defined by Tenney. string quartet Michael Winter (aus: On James Tenney’s Arbor Vitae for String Violine: Masayoshi Matsui Quartet, Contemporary Music Review Jg. 27, Nr. 1, Februar 2008, Violine: Hyunsu Kim S. 131 – 150) Viola: Monika Urbonaite Violoncello: Hugo Smit

Arbor Vitae (2006), James Tenney’s last work, is a culmi- nation of many of his ideas, and understanding the pi- ece can provide a certain comprehensive perspective on Tenney’s work. The title presents the image of a tree as the central metaphor for the work’s harmonic structure. The term ‘arbor vitae’ (‘tree of life’) appears in Cage’s Em- pty Words (Cage, 1974). Considering Tenney’s interest in and scholarship on Cage’s work, this is quite possibly an intentional allusion. Ideas in Arbor Vitae Tenney had im- plemented in the past include deriving a pitch set from

43

SEM 50 Jahre.indd 43 02.12.2009 08:41:56 Marco Döttlinger The adjective resonant also serves as a metaphor. It re- Dirk Reith „SKULPTUR I“ (2009 / UA) fers to one‘s strong reaction to certain sounds or sound nested loops V (2007) Computer sequences, in particular to the symbolic connotations of Tonband their apparent origin - even though this origins may be il- Das Modell sich im Raum bewegender Objekte bildet die lusory. The piece evokes or quotes sonic elements to which „nested loops V“ ist das Schlussstück des Zyklus der „nes- Ausgangssituation meines Stückes. Diese Objekte, ausge- I strongly resonate: the bell tone at the onset of Varèse‘s ted loops“ Stücke. „nested loops I“ wurde 1980 am EMS in stattet mit unterschiedlich starken Gravitationsfeldern, Poème électronique, motives sung or performed by Irène Stockholm realisiert und ist wie „nested loops V“ eine elek- kollidieren und treten dadurch erst klanglich in Erschei- Jarsky, Denise Mégevand, Michel Portal and Serge Conte, tronische Komposition. Somit bilden diese beiden Stücke nung. Wie dieser Vorgang nun zeitlich übersetzt wird bzw. bell concerts organized by Llorenc Barber, tones from the den Rahmen eins Zyklus der über zwei Dekaden realisiert mit welchen Dichteverhältnissen und Geschwindigkeiten percussion instrumentarium of Thierry Miroglio. wurde. „nested loops IV“ wird ein Stück für Schlagzeug das Aufeinanderprallen im Raum erfahrbar gemacht wer- The spatialization turning soundscapes into sound spaces und interaktive Live-Elektronik werden, das im Jahre 2010 den soll, entscheidet sich improvisatorisch im Auffüh- has been effected from the multiple tracks of the Pro Tools uraufgeführt werden wird. So unterschiedlich natürlich rungsmoment. Als Steuerungsinstrument für den virtuel- sessions, that is, starting from multiple sound sources be- die einzelnen Stücke bezüglich der Besetzung und der Zeit len dreidimensionalen Raum, auf welchen alle hörbaren fore their stereophonic mixing. The spatial dissemination in der sie entstanden auch sein mögen, haben sie doch Ereignisse zurückgehen, dient ein Grafiktablet. of sounds enhances depth in the literal sense, but also in eines gemein, es sind mit Projekt 1 von Gottfried Michael the figured sense: it helps hearing to sort out the multi- Koenig realisierte Werke. Projekt 1 ist ein Computerpro- plicity of sound sources, thus facilitating for the listener a gramm zur Realisierung von musikalischen Strukturen, Jean Claude Risset personal exploration of the proposed sonic territory. But it wie G.M. Koenig sagt. Mit diesem Programm können Resonant Sound Spaces (2002) also proposes specific spatial figures. The titles proposed Strukturen errechnet werden, die sich in den Parametern Tonband for each of the five sections - five different soundscapes musikalisch zwischen den Extremen periodisch und aperi- - refer to the material or the process used. However these odisch bewegen. Der Output des Programms ist dann für Resonant Sound Spaces (Espaces résonants) is a spatia- may be illusory or „virtual“ - for instance, all the „bells“ die jeweilige Besetzung zu interpretieren. Meine „nested lized version of Resonant Soundscapes (Paysages réso- of the second part of section V (except one) have been loops“ Stücke geben auch Aufschluss darüber, wie ein nants), a work commissioned in 2001 by the city of Basel synthesized: no metal, no percussion. The sections are en- Komponist „klingt“ (oder interpretiert), wenn er sich mit and dedicated to Gerald Bennett. The 8-track spatialization titled as follows: 1. Bell, brass, metal, 2. Filters, 3. Plectra, einer in Projekt 1 verankerten Kompositionstheorie über has been realized in 2002 at Groupe de Musique Expéri- 4. Reverberated, 5. Bell, horn. viele Jahre hin auseinandersetzt. mentale de Marseille (GMEM) thanks to the spatialization software Holophon by Laurent Pottier. Our hearing seems to be well-equipped to sort sounds in terms of the pervasive paradigm excitation-resonance. Five Resonant Soundscapes was not intended as a sys- tematic study of the phenomenon of resonance, but the sound material calls mostly for resonant tones, both syn- thesized, recorded and processed: percussions and plu- cked strings (free vibrations of excited solids), brasses and horns (forced vibrations of air masses), resonant filtering, reverberation.

44

SEM 50 Jahre.indd 44 02.12.2009 08:41:56 Barbara Mayer Trevor Wishart Complementary Grounds (2007) Imago (2002) Klavier, Video Tonband Klavier: Barbara Mayer ‘…To see a world in a grain of sand…’ (William Blake) Als Ausgangsbasis meines Projekts dienen 2 Klavierstücke , die ich 2005 komponiert habe: „Complementary Grounds“. Imago is a piece of magical sound metamorphosis which Meine Idee war es nun, die Bereiche im Stück, in denen je- also aims to achieve formal clarity, so that the develop- weils die Parameter Rhythmik oder Klang(fläche) überwie- ment of materials can be followed in a transparent and gen, auf elektronische Art mit Komplementärparametern logical manner, in spirit (though not in form) like the un- zu unterlegen (so wird zum Beispiel eine Klangfläche mit folding of a fugue, while retaining the sensuous excite- rhythmischen Motiven unterlegt und umgekehrt). Meine ment of the sounds and their transformations. Fassung für Klavier solo und DVD ist von der Struktur her Imago derives all its material from the single „clink“ with ähnlich einem Werk für Klavier und Orchester mit Video: which it starts, through processes of spectral and motivic Mal spielt das Klavier einen deutlichen Solopart, mal ver- metamorphosis, in the process making allusions to sounds mischt es sich mit der Zuspielung; dazu kommt auch noch from the natural world (birdsong, the sea, the human die Koordination mit Bildern und Bewegungen des Films. voice), but never entirely abandoning its links to this mi- Der Pianist muss also sehr schnell in sämtlichen Sinnesbe- nimal source. reichen (visuell, auditiv, taktil) reagieren können. The piece arose from a request to make a one minute piece for Jonty Harrison‘s surprise 50th birthday concert, using sound sources from his work. One of these, the single clink of 2 wine-glasses from „et ainsi de suite“, is the source sound of this piece. At about the same time I was chal- lenged by a composer friend, a sophisticated listener to instrumental music, who claimed he found it impossible to follow the logic of sound compositions. Imago is partly a musical riposte to this challenge. Work on the piece was made possible through an AHRB Creative Arts Fellowship.

45

SEM 50 Jahre.indd 45 02.12.2009 08:41:56 Dennis Miller Circles and Rounds

46

SEM 50 Jahre.indd 46 02.12.2009 08:42:05 11. - 13. 12. 2009 12. 12. 2009 Video Installation - Visual Music / DVD 2 Galerie DAS ZIMMER Jean Detheux: Liaisons Der Begriff der Visual Music verweist auf die Verwen- Henry Gwiazda: she‘s walking ...... dung musikalischer Strukturen zur optischen Gestaltung Curtis Roads, Brian O‘Reilly: Volt Air I - IV sowie ihrer Methoden und Instrumente zur Übersetzung Diana Wesser: Knocking at abandoned rooms von Musik und Klängen in visuelle Repräsentationen wie Jean Detheux, Wilfried Jentzsch: Film, Video oder Computergrafiken. Die Geschichte reicht Mugenkei von den Anfängen des abstrakten Films bis zu Live Video Bret Battey: Writing on the Surface Performances heutiger Zeiten. Durch die Ähnlichkeit der Andreas Wintersberger: Question of Space II Produktionsbedingungen bestehen eine Vielzahl interme- dialer Wechselwirkungen insbesondere mit der zeitgenös- sischen elektronischen Musik. Das Studio für Elektronische 13. 12. 2009 Musik präsentiert an den drei Tagen des Festivals die un- DVD 3 terschiedlichsten Zugänge zur Visual Music mit einer Aus- wahl von Videos aus aller Welt. Jean Detheux, Thierry van Roi: Madame Ose Arras 1 Henry Gwiazda: claudia and paul 5:05 p.m. Ludger Brümmer: Xronos 11. 12. 2009 Dennis Miller: lines of force DVD 1 Curtis Roads, Brian O‘Reilly: Fluxon Sean Reed, Claudia Westermann: BtdX Bret Battey: Autarkeia Aggregatum Jean Detheux, Jean Derome: Rupture Andreas Wintersberger: Question of Space I Henry Gwiazda: claudia and paul 7:02 a.m. Jean Detheux, Michaela Eremiasova: Shade Recovered Dennis Miller: White Noise Henry Gwiazda: living is ...... Curtis Roads, Brian O‘Reilly: Nanomorphosis Dennis Miller: Circles and Rounds Andreas Wintersberger: Videocurtain I Diana Wesser: Dancing about Architecture Curtis Roads, Brian O‘Reilly: Half Life I-II Henry Gwiazda: claudia and paul 2:13 a.m. Bret Battey: Lacus Temporis

47

SEM 50 Jahre.indd 47 02.12.2009 08:42:09 Henry Gwiazda she‘s walking ......

48

SEM 50 Jahre.indd 48 02.12.2009 08:42:18 Barbara Dobretsberger marschieren die Deutschen in Russland ein; der Elfjährige Komponieren in der Nachkriegszeit Bogusław Schaeffer – (Klang)magier befindet sich auf der russischen Seite, getrennt von den (zum 80. Geburtstag) Eltern und zwei älteren Geschwistern. Das elfte bis sieb- Möglichkeiten, die Musik des 20. Jahrhunderts kennenzu- zehnte Lebensjahr verbringt Bogusław an verschiedenen lernen, sind im Polen der 1950er- und 1960er-Jahre be- Salzburg, Bucklreuthstraße, 1989: Bogusław Schaeffer Orten der Sowjetunion (Odessa, Kasachstan). 1946 fin- schränkt und mit erheblichem Aufwand verbunden („Ver- steht in der Küche seiner Wohnung. Zwei flinke Schritte det sich ein Teil der Familie wieder zusammen: Die Eltern mittler“ mit Bekannten im Westen besorgten die teuren des Meisters zum Herd – Das ist ein polnischer Eintopf und zwei ihrer drei Kinder. Vierundvierzig(!) Jahre später Partituren). Als Musikwissenschaftler macht sich Schaef- – Der wird drei Tage lang gekocht – ein unvertrauter, die kommt ein Anruf aus Canberra, Australien: Schaeffers fer verdient, indem er 1956 und 1958 als Erster umfas- Neugierde weckender Duft durchzieht die Wohnung. Stu- im Krieg verschollener Bruder Wodzisław meldet sich bei sende Bücher über neue Musik herausgibt, in denen neben dententreffen bei Bogusław Schaeffer, die Platznot in der seiner Familie. – Keineswegs ein Einzelschicksal, das uns den Klassikern der Moderne auch Komponisten der jün- Wohnung wird souverän gehandhabt. Angeregte Unter- jungen Studenten im Jahr 1990 den Blick für eine weitere geren und jüngsten Generation angeführt werden (Alma- haltung: ...Zutaten?... Tonstudio... – ...schlechter Stil... –... grausame Facette des Krieges öffnet. nach polskich kompozytorów współczesnych (Almanach Aufführung von Nono... –...Partitur vergriffen.... Der Meis- der zeitgenössischen polnischen Komponisten; ediert bei ter verteilt den Eintopf, Erstaunen über seine Kochkünste Geregeltere Bahnen nach Kriegsende PWM Krakau 1956) und Mały informator muzyki XX wie- macht sich breit. ku (Kleine Enzyklopädie der Musik des XX. Jahrhunderts; 2002: Schaeffer in einem Salzburger Kaffeehaus, vor ihm Besuch des mathematisch-physikalischen Gymnasiums, PWM Krakau 1958, heute in mehreren erweiterten Auf- aufgeschlagene Partituren, daneben bringt er kleine Skiz- wo sich Schaeffers außerordentliche Begabung in engli- lagen vorliegend). Gelegenheiten, wirklich zeitgenössische zen zu Papier, wichtige Dinge werden mehrfach unterstri- scher und deutscher Sprache zeigt ( – faszinierend seine Musik in Konzerten zu hören, gibt es selten. Aufgeführt chen. Schaeffer erläutert seiner Gesprächspartnerin Topo- Stilgewandtheit im Gespräch, in den schriftlichen Kom- wird vorwiegend Musik von Debussy, Ravel, Roussel, de fonica. Ganz nebenbei fallen Randbemerkungen zu seinem mentaren zu seinen Werken, in seinen Briefen). Mit dem Falla, Rachmaninow, Schostakowitsch, Prokofjew, Hon- Leben. Violinunterricht bei Edward Sygnatowicz und Rudolf Ma- egger und Orff, die als Vertreter der Moderne gelten. Das liszewski wird die musikalische Ausbildung fortgesetzt. Partiturstudium moderner Werke ersetzt das Hörerlebnis. Bogusław Julien Schaeffer. Geburtsdatum: 6. Juni 1929, Erster Hinweis auf die überbordende Vitalität, Kreativität „Ich habe neue Musik komponiert, aber ich kann mich Lemberg (Lwów), Polen. Das bedeutet ein Hineingeboren- und Produktivität des Meisters sind die Kompositionen, nicht erinnern, dass ich bis 1958/59 neue Musik gehört werden in dramatische Zeiten. Doch zuerst zehn ruhige die noch während der Gymnasialzeit entstehen: Concerti- habe... Stellen Sie sich vor, dass man zum ersten Festival Kindheitsjahre: Ein Elternhaus mit Liebe zu musischen no für zwei Violinen und Violoncello, Trio für zwei Violinen ´Warschauer Herbst´ die Sechste von Tschaikowsky ge- Dingen, die Musik Fritz Kreislers, die Violinkonzerte Beet- und Violoncello, Vier Stücke für Fagott und Klavier, Duett spielt hat, nur weil er Russe war und politisch wichtig. Im hovens und Mendelssohns, Improvisieren am Klavier, erster für Oboe und Klarinette, Quartett für zwei Violinen, Vio- Ostblock war es überall ungefähr ähnlich...“ 1 Klavierunterricht mit neun Jahren, und der Entschluss des loncello und Klavier und das Andante für Streichsextett. Kindes, Musiker zu werden. Erste schriftstellerische Versu- 1949, nach dem Abschluss des Gymnasiums mit der Ma- Schaeffer befindet sich in einer vergleichsweise glückli- che und Mal- und Kalligraphieunterricht für den Zehnjäh- tura, nimmt Schaeffer ein Doppelstudium in Krakau auf: chen Situation. Zdzisław Jachimecki, sein Lehrer am mu- rigen legen den Grundstein für seine umfassende Kreativi- Komposition bei Artur Malawski (bei dem 1934-1938 Ro- sikwissenschaftlichen Institut, ist sowohl kompositorisch tät. 1939 der „Riss“ in der Biographie: Einmarsch Hitlers in man Haubenstock-Ramati, einer der wenigen engen „Kom- als auch wissenschaftlich geschult und vermittelt seinen Polen. Die Versorgungslage im von den Sowjets besetzten ponistenfreunde“ Schaeffers, studiert hatte) und Musik- Studenten die kompositorische Ästhetik des Schönberg- Lemberg verschlechtert sich derart, dass Bogusław 1941 wissenschaft an der Jagiellonen-Universität bei Zdzisław Kreises. Außerdem besitzt er eine umfangreiche Bibliothek Henry Gwiazda von seinen Eltern auf eine Kolonie geschickt wird, um zu- Jachimecki, der in Wien ein Schüler Arnold Schönbergs und Partiturensammlung: Ives, Milhaud, Messiaen, Dalla- she‘s walking ...... mindest mit ausreichend Nahrung versorgt zu sein. 1941 und Guido Adlers war. piccola, Petrassi, Hába, Varèse, Hartmann und Skrjabin und

49

SEM 50 Jahre.indd 49 02.12.2009 08:42:22 die Werke der Wiener Schule finden sich dort – eine Quelle polnischen Komponisten) und andere musikwissenschaft- Fortsetzung der notenlosen Notation in Extreme für zehn der „Inspiration zum selbständigen Denken“. 2 liche Arbeiten, Artikel, mit denen Schaeffer seinen Lebens- Instrumente (1957): UA 31 Jahre später, am 22. November Der Student Schaeffer jedoch dürstet nach Hörerfahrun- unterhalt verdient, tragen zu einer Polarisierung in der 1988, Nationale Philharmonie in Warschau unter Bogdan gen: Einige Monate Arbeit im Polnischen Rundfunk ge- polnischen Komponistenszene bei. Trockenes Statement Oledzki. Begründung für den späten Uraufführungster- ben ihm die Gelegenheit, Schallplatten mit neuer Musik Schaeffers dazu: „Möglicherweise waren die Rezensionen min laut Schaeffer: Nicht die (damalige) Neuartigkeit der kennenzulernen, allerdings hauptsächlich englische und nicht so positiv, wie sie [Anm.: die Komponisten] es ge- Notation sondern „rein technischer“ Natur, denn „in den amerikanische Musik: Bliss, Elgar, Delius, Bax, Gershwin wohnt waren“ 5 . Im selben Jahr entsteht Musik für Strei- Orchestern gab es lange Jahre keine solchen Paare von und Copland, alles Komponisten, die in Summe „nicht so cher: Nocturne. Das Nocturne macht Schaeffer zum ersten Instrumenten wie Cembalo, Celesta oder Xylorimba“ 8 . interessant wie R. Strauss und Wagner“ 3 sind. polnischen Komponisten, der nach dem zweiten Weltkrieg 1959 werden Monosonate für sechs Streichquartette (UA ein Werk im (orthodox) dodekaphonen Stil schreibt. 19.6.1961, IGNM-Festival Wien) und Quattro Movimenti Das Kompositionsstudium beendet Schaeffer ohne Dip- (Pianist der UA ist Claude Helffer!) beim Grzegorz Fitel- lom; seine Kompositionen gefallen nicht, sie sind zu „kom- Nicht „nur“ Komponist – der Theaterautor berg-Wettbewerb in Kattowitz prämiert. Tertium datur für pliziert“. Sein musikwissenschaftliches Studium schließt er Cembalo und Orchester gelangt 1960 beim „Warschauer 1953 mit einer Arbeit über Witold Lutosławski ab. Die „un- 1955 eröffnet das Schauspiel Webern den Reigen von Herbst“ zur Uraufführung. Die logische Formel „entweder kluge“ Wahl des Themas erschwert den Zugang zur Doktor- mittlerweile über 40 Theaterstücken, die in etliche Spra- – oder – ein drittes gibt es nicht“ (tertium non datur) wird würde: Lutosławski ist als 39-jähriger noch keinesfalls zu chen übersetzt sind. Keine Stücke „für die Schublade“, wie hier in ein kompositorisches „tertium datur“ umgewan- den etablierten Komponisten zu zählen; die Themenwahl die literarische Beschäftigung eines Komponisten vielleicht delt! wird von Professorenseite nicht goutiert, und es wird ihm vermuten lassen könnte: In Polen sind seine Theaterstücke geraten, für sein Doktoratsstudium nach Rostock (damali- so stark präsent, dass der Name Schaeffer stärker als The- Die Frage nach dem „Stil“ Schaeffers? ge DDR) zu gehen. Józef Chominski, einer der bedeutenden aterautor denn als Komponist im Bewusstsein eines Teils polnischen Musikwissenschaftler, der „schon zu dieser Zeit der Bevölkerung verankert zu sein scheint. Schaeffers Eigendefinition: „Polystilistischer“ 9 Komponist. mit der [...] propagierten Richtung gebrochen und selb- Salzburg 1989 (?): Ein Erlebnis, das im Gedächtnis haften Eingeständnis: Inspiration durch andere Komponisten ständig gearbeitet hatte“ 4 , betreut schließlich Schaeffers bleibt: Die Aufführung des Szenar für einen nicht existie- kommt vor, z.B. in Equivalenze sonore (komponiert 1959, Arbeit, das Buch Nowa muzyka. Problemy współczesnej renden, aber möglichen Instrumentalschauspieler im Wie- uraufgeführt 1971), angeregt durch Edgar Varèses Ionisa- techniki kompozytorskiej (Neue Musik. Probleme der zeit- ner Saal des Mozarteums. Gebannt folgen wir Studenten tion. genössischen Kompositionstechnik; PWM Krakau 1958) an den Aktionen Jan Peszeks auf der Bühne – instrumentales Markenzeichen: Ungewöhnliche Notationslösungen, gra- der Warschauer Universität. Dass die politischen Quere- Theater par excellence. fisch äußerst ästhetische Partituren (zum Teil urheber- len um die Publikation (1969 in einer erweiterten Fassung rechtlich geschützt). Als Studienobjekte werden u.a. emp- bei PWM Krakau) noch weitergehen, kann nur noch eine „…ich schrieb eine neue, den anderen fremde Musik, fohlen: Kodes für Kammerorchester (1961, musikalische Randbemerkung sein.... und man nannte es Avantgarde“ 6 Stenographie), Imago musicae (1961), 1. Violinkonzert (exakte grafische Kurzschrift), Howl für drei Schauspieler 1953 erweist sich rückblickend als verhängnisvolles Jahr: Mitte der 50er-Jahre begründet Schaeffer seinen Ruf als und Kammerorchester (1966, nach Allen Ginsberg, Form Schaeffer tritt erstmals als Musikkritiker an die Öffentlich- Avantgardist; Studie im Diagramm für Klavier (1955) gilt des Langzeilengedichtes in die Partitur übertragen). keit, eine Tätigkeit, die für einen aktiven Komponisten als als vermutlich „erste notenlose Komposition“ 7 . Eine Ver- Schaeffers Pioniergeist macht sich ab 1963 mit den re- nicht empfehlenswert bezeichnet werden muss. Auch der bindung zu den damals gerade aufkommenden Klangpar- lativ jungen musikalischen Medien Tonband und Compu- 1956 bei PWM veröffentlichte Almanach polskich kompo- tituren der elektronischen Musik? – Nein, die Studie im ter vertraut (Arbeit im Experimentalstudio des Polnischen zytorów współczesnych (Almanach der zeitgenössischen Diagramm ist weit komplexer. Rundfunks in Warschau). Einsatz der Elektronik vorerst in

50

SEM 50 Jahre.indd 50 02.12.2009 08:42:22 Zusammenhang mit den Theaterstücken, später zuneh- setzung mit der Rezeption seiner Musik durch den Hörer Denkweise mit seinen Schülern [alles] erarbeiten und üben mend auch in rein musikalischen Werken (z.B. Symphonie: und die Erfahrung, dass Musik nicht als universelle Spra- lassen will, Fixierung aber durch selbstauferlegte serielle Elektronische Musik für Tonband, 1964; oder Trio für Flöte, che bezeichnet werden kann. Der Großteil der Hörer, so Ge- und Verbote für sich nicht gelten lassen möchte. Denn Viola und Harfe mit Tonband, 1966; Monodram für Ton- Schaeffer, erfasse Musik emotional und nicht kognitiv. Die sein letztes Wort ist das Arbeiten im Zufälligen (mehr oder band, 1968; Synthistory: Elektronische Musik 1973; Kwai- Musik ist nicht wirklich „zu Ende verstanden“ 13 . Aus dieser weniger), mit musikalischer Graphik und immer wieder wa für Violine und Computer 1986; IV. Klavierkonzert für Erfahrung heraus, dass Musik, so wie sie im Augenblick der neuen Formen und Gestalten von Notation. Er sucht das Klavier, Orchester und Computer 1999 etc...). Aufführung besteht, nie zur Gänze vom Zuhörer erfasst offene Abenteuer im Komponieren, [...] eben Musik der Zu- Im Polen der 1960er Jahre gilt die Jazzszene als „uner- werden kann, entstanden Werke wie Heraklitiana (1970, in kunft. [...] Freiheit also, gewonnen durch strengste Askese, wünscht“ 10, unterliegt jedoch keinen besonderen Repres- zwölf verschiedenen Fassungen) oder Proietto (1970, wie durch systematische Übung, das scheint die Quintessenz salien. Namhafte Größen des Jazz (vor allem aus den USA) Heraklitiana mit einem Tonband als Grundlage, das mit des Buches zu sein.“ 15 Die ungewöhnlich reichhaltige gastieren regelmäßig in Polen. Schaeffer ist ständig auf verschiedensten Instrumenten oder Gesang kombiniert Ansammlung von Beispielen aus der Musik des 20. Jahr- der Suche nach Neuem. Nur logisch daher seine Beschäfti- werden kann). tentative music (1973) für 159 Instrumente hunderts versteht sich nicht als Katalog aller komposito- gung mit dem Jazz (ab den 60er-Jahren), der „schwierigen, bietet sieben Versionen, von der vollen Besetzung bis zum rischen Möglichkeiten, denn, wie es in der Einleitung der hermetisch verschlossenen und für viele unzugänglichen Soloinstrument. Die Spieldauer beträgt zwischen 2 und englischsprachigen Ausgabe heißt, „dazzled by quantita- Sprache“ 11 (z.B. Drei Kompositionen für MJQ aus dem Jahr 159 Minuten) – Megapolyphonie, im wahrsten Sinne des tive richness, we might readily forget, that it is quality, just 1961; Music for MI 1963; Jazzkonzert, 1976 unter Gunther Wortes „tentative music“, Versuchsmusik. the opposite of quantity, that plays a decisive role in art“ 16. Schuller in Boston uraufgeführt; blueS V – Minikonzert für Klavier und 11 Instrumente 1992; etc..). Immense Produktivität Neue Anregungen – Inspiration durch fremde Kulturen

Neue Herausforderung: Philosophie und „konzeptuelle Schaeffers kompositorisches Oeuvre umfasst über 550 Ab 1978 tauchen etliche fremdsprachige Titel auf: Beispiel- Musik“ Werke; dazu gesellen sich musikwissenschaftliche Bücher, haft angeführt: Matan I und II (= hebräisch Geschenk) für ein Kompositions-Lehrbuch, seine Theaterstücke. drei bzw. fünf Schlagzeuger; Kesukaan (= indonesisch An- Ab 1970 erste Kompositionen, die von der Auseinander- Ab 1976 verzeichnet Schaeffer Erfolge auf allen Ebenen: nehmlichkeit) für 13 Streichinstrumente, 1978; Tsiyur (= he- setzung mit Philosophen beeinflusst sind: Heraklitiana UA des Jazzkonzertes in Boston im Rahmen des IGNM- bräisch Zeichnung) für Orgel und Tonband, 1979; Jangwa (= (1970, in verschiedensten Besetzungen aufführbar), Berg- Festivals unter Gunther Schuller, UA von Antiphona (kon- Swahili Wüste) für Kontrabass und Orchester (1979). Wei- soniana (1972), Spinoziana (1977), Vaniniana (1978), Poe- krete Chorskizze für Tonband) in Paris, die UA von Proietto ters: Kwaiwa (für Violine und Computer, 1986) – Gespräch tries (nach Adler, 1978), Heideggeriana (1979). Weder das (in der Fassung für Kontrabass und Tonband) in San Diego, (Japanisch); Kinanda (für Klavier, 1986) – Klavier (Swahili); Wort noch Texte stehen im Mittelpunkt der musikalischen ein Portraitkonzert in Schiras im Iran (bei dem Iranian Set Mazungumzo (für Gitarre und Akkordeon, 1987) – Gespräch Umsetzung (Spinoziana und Heideggeriana sind reine In- aufgeführt wird), Erfolge mit dem Quartett für vier Schau- (Swahili); Acontecimiento (für drei Pianisten und Tonband, strumentalstücke); Schaeffer hat kein Bedürfnis, Worte spieler und dem Szenar für einen nicht existierenden, aber 1988) – Begegnung (Spanisch); Yookai (für Klavier vierhän- im herkömmlichen Sinn zu vertonen: „...nicht der Text der möglichen Instrumentalschauspieler mit Jan Peszek. dig, 1988) – Lösung (Japanisch); Modell XIV/Halatsah (für Philosophen [ist] wichtig, sondern der Sinn derer Texte. Im selben Jahr erscheint Schaeffers berühmtes Lehrbuch Klavier, 1988) – Scherz (Hebräisch); Modell XV/Sahihi (für Nicht Worte selbst, sondern das, was ich von Heidegger Introduction to Composition (Wstęp do kompozycji) im Klavier, 1988) – Unterschrift (Swahili).... weiß, was ich von ihm bekommen habe, das ist wichtig in Krakauer PWM Verlag, das enthusiastisch rezensierte Schaeffers Intention: Fremdländische Titel erregen die diesen Stücken“ 12 . „Lehrbuch höchsten Niveaus“ 14 . Schaeffer arbeitet sechs Aufmerksamkeit der Ausführenden und des Publikums Anstoß für das Bereitstellen mehrerer Konzepte eines Jahre lang an diesem Buch, in dem er bis zu den „Pro- und sie verweisen in Schaeffers Fall direkt auf „Inhalte“ Werkes („konzeptuelle Musik“) ist Schaeffers Auseinander- zeduren des Serialismus samt dessen systematisierender bzw. auf kompositionstechnische Besonderheiten.

51

SEM 50 Jahre.indd 51 02.12.2009 08:42:22 Fazit 9 Dobretsberger. S. 28 10 ebenda. S. 32 Schaeffer vermag Grenzen auszuloten, zu verschieben, zu 11 Stawowy. S. 102 durchbrechen. „Wie selbstverständlich gehen seine gra- 12 Dobretsberger. S. 33 phisch notierten Kompositionen in seine Graphiken über; 13 Stawowy. S. 111 nahtlos führen die Aktionen, die er von den Interpreten 14 Gieseler, Walter. Bogusław Schaeffers „introduction to seiner Werke fordert, zum musikalischen Theater; und composition“. In: Melos. Neue Zeitschrift für Musik. Hg. Carl gleichermaßen mühelos bewegt sich Schaeffer in der Welt Dahlhaus u.a.. Mainz, B. Schott´s Söhne 1977. S. 509 des Komponisten und in jener des Dramatikers.“ 17 15 ebenda. S. 513 16 Schaeffer, Bogusław. Introduction to Composition. Krakau, „Die Möglichkeiten der Musik, vor allem der neuen PWM 1976. Beiheft S. 8 Musik, sind immens.“ 18 17 Dobretsberger. S. 183 18 ebenda. S. 28 „Certainly a great many of the possibilities of new music, 19 Schaeffer. Introduction to Composition. Beiheft S. 8 or even most of them, are quite beyond the imaginative 20 Schaeffer, Bogusław. 50 Jahre Schaffen. Salzburg, Collsch range of a contemporary composer.“ 19 Edition 1994. S. 71

„Ich wurde unlängst gefragt, warum ich Theaterstücke schreibe und ob das Komponieren für mich nicht mehr ausreichend sei. Und ich konnte diese Frage nicht beant- worten. Später kam die Antwort von selber: weil ich nie zwei Meter hoch gesprungen bin, weil ich nie den Gipfel des Eiffelturms erstiegen habe, weil ich nicht ein einziges Mal auch nur den kleinsten Fisch geangelt habe.“ 20

______1 Dobretsberger, Barbara. Polnische Avantgarde. Bogusław Schaeffer und sein sinfonisches Werk. Frankfurt, Peter Lang 2003. S. 17 2 ebenda. 3 ebenda. 4 Stawowy, Ludomira. Bogusław Schaeffer. Leben-Werk-Bedeu- tung. Innsbruck, Helbling 1991. S. 106 5 Stawowy. S. 27 6 Dobretsberger. S. 22 7 ebenda. S. 32 8 ebenda.. S. 36

52

SEM 50 Jahre.indd 52 02.12.2009 08:42:22 Boguslaw Schaeffer, Symfonia, Partitur S. 62

53

SEM 50 Jahre.indd 53 02.12.2009 08:42:24 Andreas Wintersberger Question of Space II

54

SEM 50 Jahre.indd 54 02.12.2009 08:42:41 Björn Gottstein chen“ 2 . Hierher gehören auch die kreatürlichen Schaltkrei- Die wichtigste Präsentationsform der elektronischen Mu- Gegenwelten – Die elektronische Musik zwischen Krise se David Tudors, das Klang gewordene Netzwerk der League sik ist das Lautsprecherkonzert. Und Lautsprecherkonzer- und Utopie of Automatic Music Composers und das den Computer ar- te sind heute rar. In Konzerthäusern finden sie nicht statt chaisierende „spectacle musicale“ Machinations (2000) von und auf den großen Festivals auch nicht. Die Berliner In- 1. Was haben wir der elektronischen Musik nicht alles zu Georges Aperghis. Oder aber man stellt die Musikalität der ventionen gehören zu den wenigen Institutionen, die dem verdanken. Wir hören Bach im 8-Bit-Format als Handy- Maschine überhaupt in Frage, wie hans w koch in seinem Tonbandkonzert regelmäßig breiten Raum einräumen. Es Klingelton und Formel-1-Rennen werden im Fernsehen ironisch verbrämten Zyklus Computers As Musical Instru- gibt eine Reihe von Liebhaberzirkeln, die Lautsprechermu- im Dolby-Surround-Sound übertragen. Es wäre allerdings ments tut. Andere wiederum haben das Verhältnis zwischen sik vorstellen und diskutieren. Und natürlich begleitet die zynisch, wollte man die Errungenschaften von nunmehr Mensch und Maschine musikalisch ausgeleuchtet, wie David Tonbandmusik entsprechende Konferenzen und Tagungen, 60 Jahren elektroakustischer Musik auf derartige kommer- Behrman in seinen interaktiven Werken der Siebzigerjahre Kongresse und Symposien. Die öffentliche Wahrnehmung zielle Applikationen reduzieren. Die Studioerfahrung hat und Thomas Kessler mit der Reihe seiner Control-Stücke. solcher Veranstaltungen ist allerdings mager. Die Zuhörer- das Klangbewusstsein des 20. Jahrhunderts geprägt. Das Zuletzt haben Laptop-Musiker unter Verwendung von Feh- zahlen sind gering; die Feuilletons berichten nicht; der Zu- gilt nicht nur für strukturelle Eingriffe in den Klang wie die ler- und Störgeräuschen mit dem Genre des „Glitch“ einen gang zu einer breiteren Wahrnehmung scheint zunächst Ringmodulation, nicht nur für die algorithmische Kompo- neuen akustischen Kosmos erschlossen. Viele Komponisten verbaut. sition, für komplexe Syntheseverfahren und den virtuellen haben Studioverfahren auf die Instrumentalmusik übertra- Instrumentenbau, sondern auch für analytisch ausgerich- gen, wie die dem Dispositiv des Mischpults geschuldeten Dabei blüht diese Musik. Die Produktivität auf dem Ge- tete Kompositionsverfahren der Instrumentalmusik. Gia- Partituren Sigma (1963) von Ivo Malec oder Vanity (1995) biet der elektroakustischen Musik ist enorm. Wer sich je cinto Scelsi ließ Tonbänder mit halber Geschwindigkeit von Richard Barrett. Gleichzeitig hat es die Elektroakustik durch Hunderte von Einsendungen eines Wettbewerbs abspielen, um ins Zentrum der Klänge vorzudringen. Und nicht versäumt, grundlegende Gestaltungsverfahren der gehört hat, weiß, in welchem Maße heute in kleinen und auch Gérard Grisey hat die Idee einer Musique spectra- Instrumentalmusik zu adaptieren und auf die technischen großen Studio produziert wird. Die Komponisten kommen le aufgrund von Klanganalysen im elektronischen Studio Möglichkeiten der Moderne zu überführen: das Ostinato aus Kentucky und Manila, aus Johannesburg und Siezen- entwickelt. Wir wissen, dass Stockhausen Gruppen schrei- wurde zum Loop, die Mehrstimmigkeit zur Mehrspurigkeit, heim. Sie arbeiten am Laptop oder an einem frisierten ben konnte, weil er den Klangraum zuvor im mehrkanali- die Wiederholung zum Echo. Im Gegensatz zu einer zeitge- Analogsynthesizer. Die zahlreichen verfügbaren Techniken gen Studio erlebt hatte. Und das Spätwerk Nonos wäre nössischen Sappho-Vertonung oder einem Streichquartett machen ein breites ästhetisches Spektrum möglich. Die ohne das Freiburger Halaphon nicht denkbar. sind elektroakustische Werke also stark in der Gegenwart Werke sind nüchtern oder pathetisch, formalistisch oder verankert, indem sie die Konsequenzen der Technifizierung erzählend, komplex oder umwerfend naiv. Die öffentliche Die elektronische Musik hat der Lebenserfahrung des 20. unserer Welt reflektieren. Anerkennung bleibt ihnen aber verwehrt. und 21. Jahrhunderts ein ihr angemessenes Gewand ver- liehen. Das gilt für die Bewältigung und die Sublimation 2. Eine Frage, die vielleicht viel zu selten gestellt wird ist 3. Die Befreiung der technischen Mittel gehört zu den gro- des akustischen Alltags durch die Musique concrète; es gilt die, wo und von wem elektroakustische Musik eigentlich ßen demokratischen Errungenschaften des 20. Jahrhun- für die Maschinen-orientierte Arbeit, mit der zum Beispiel gehört wird? Elektroakustische Musik – gemeint ist elek- derts. Als in den Siebzigerjahren tragbare Modularsynthe- Gottfried Michael Koenig die logisch-systemischen Voraus- tronische Musik avantgardistischer Provinienz, die zwar sizer und Heimcomputer auf den Markt kamen, zerbrach setzungen des Studios schöpferisch anverwandelte, um „die Berührungspunkte mit popmusikalischen Spielarten wie das Monopol der großen Studios, die fast zwanzig Jahre Programmierbarkeit des Studios ohne Computer“ 1 zu er- der Techno- und Clubkultur kennt, die aber tief im Vorstel- lang restriktiv über die Produktionsmittel der elektroni- möglichen. Entscheidend war und ist es, die – bisweilen ja lungshorizont der Kunstmusik verwurzelt ist und an ihren schen Musik verfügten und so über Technik, Ästhetik und ihrer Herkunft nach musikfremden – Apparate des elektro- Ansprüchen gemessen wird. Wo also und von wem wird Komponisten verfügt hatten. Wer heute mit den Pionieren nischen Studios so zu nutzen, dass sie „aus sich selbst spre- diese Musik gehört? der Basis spricht, wie Johannes Fritsch aus Köln oder John

55

SEM 50 Jahre.indd 55 02.12.2009 08:42:46 Bischoff aus San Francisco, der ahnt, wie tief die Abnei- Arbeitsschritten greifbar machte, haben sich elektroakus- aus bloßer Notwendigkeit, weil man Daten benötigt; man gung gegen die großen Institutionen damals saß und wie tische Klischees wie der Loop und der Hall vollkommen se- muss darin leben und wie in einem Garten beobachten, befreiend die Gründung des Feedback-Studios in Köln und dimentiert. Es gehört heute zu den erstaunlichen Fehlent- wie alles wächst und sich verändert.“ 5 der League of Automatic Music Composers in San Fran- wicklungen der Musikgeschichte, dass just jenes Medium, cisco damals gewirkt haben muss. Die Einsicht, „dass der das den Komponisten die vollkommene Freiheit versprach, Natürlich steht es einem Studio gut zu Gesicht, wenn WDR mit seinem Millionenstudio immer eine autoritäre in einem engen Korsett zu stecken scheint, das ihre syn- dort wegweisende Werke realisiert werden. Mit berühm- Organisation sein muss“ und das Kölner Studio „Karlheinz taktischen und semantischen Möglichkeiten einschränkt. ten Studiogästen von B wie Boulez bis X wie Xenakis ha- dem Großen“ 3 gehöre, die die Generation um Fritsch, Rolf Schritte im Schnee, Eisenbahngeräusche, spielende Kinder ben die großen Einrichtungen Musikgeschichte schreiben Gehlhaar und David Johnson dazu veranlasste, eigene – das sind Geräusche, die immer wieder Atmosphäre und können – eine Form der Standortsicherung, die bis in die Wege zu gehen, paarte sich mit dem Staunen der Freiheit, Bedeutung eines musikalischen Werks sichern sollen. Ein Gegenwart hinein erfolgreich praktiziert wird. Für das das John Bischoff beim Anblick des ersten Desktop-Com- pathetisches Crescendo, das mit einem heftigen Schlag in Studio für Elektronische Musik (SEM) am Mozarteum ist puters eines Kollegen empfand: „Nobody can tell him what einem monströsen Hallraum endet, oder die erhabene Ges- das kaum geltend zu machen. Viele der dort produzierten to do with it. It is not like he has to go to IBM or some te eines sich ausdünnenden Klangs, der sich gen Himmel Werke sind in den Wirren der frühen Jahre verloren ge- other big institution and follow some kind of protocol. He verflüchtigt – das sind Plattitüden, auf die Komponisten gangen. Stephen Travis Pope, einst Systemadministrator can do whatever he wants.“ 4 aber regelmäßig zurückgreifen, um sich der emotionalen im CMRS, der Vorläuferinstitution des heutigen Studios, Anteilnahme des Hörers zu vergewissern. Die weitgehende hat als Komponist wenig Wegweisendes in Salzburg hin- Die Freiheit, zu tun, was zu tun man auch wünschen möge, Uniformierung der Produktionsmittel qua Softwarestan- terlassen. Bogusłav Schaeffer, Kompositionsprofessor am hat das Gesicht der elektronischen Musik verändert. Die dards trägt zu der Nivellierung der ästhetischen Diffe- Mozarteum, realisierte viele seiner Tonbandstücke in War- Entscheidung nicht mit High-End-Geräten, sondern mit renzen bei. Die Presets eines Instruments dürften streng schau. Am ehesten konnte noch Klaus Ager – mit seinen erschwinglichen Apparaten, womöglich sogar mit billigen genommen nur noch als negativer Standard fungieren, die feinen, erratischen Klanggespinsten der Siebzigerjahre wie Produkten der Unterhaltungselektronik zu arbeiten, ist dem Komponisten anzeigen, wovor er sich zu hüten hat. ... sondern die Sterne sinds (1974/76) – dem Studio einen nicht nur ökonomischer, sondern auch ästhetischer Na- Dass auch der subversive Reflex des Künstlers, industrielle typischen Sound verleihen. tur. Mit Geräten wie dem Lötkolben oder dem Casio VL1 Standards zu unterwandern, Maschinen zu knacken und (ein Taschenrechner mit integriertem Keyboard, mit dem gegen sich selbst zu richten, längst zu einem Gemeinplatz Nachhaltiger wirkte da die technische Ausstattung des die Gruppe Trio ihren Hit Da da da realisierte) ging nicht geworden ist, ändert nichts daran, dass er als vielverspre- Studios, das sich 1986 für das Composer‘s Desktop Project nur ein anderes Klangbild einher, sondern auch offenere, chende ästhetische Strategie kaum eine Alternative zu- (CDP) entschied, eine Software, die in eben diesem Jahr dem Experiment zugetane Werkkonzepte und ein an der lässt. aus einem ausgesprochen anti-akademischen, anti-insti- Integrität der Apparate zweifelndes Bewusstsein, mit dem tutionellen Impuls in England heraus entwickelt worden Komponisten die Logik der Maschine fortan unterwan- 4. Der Ort, an dem elektroakustische Techniken erprobt war. Indem das CDP, das zunächst auf einem Atari, dann derten. Gleichzeitig öffnete die leichte Verfügbarkeit der und vermittelt werden, ist das elektronische Studio. Ein auf einem PC lief, CMusic vom Unix-Großrechner por- technischen Mittel die elektroakustische Musik auch für Studio wie das am Salzburger Mozarteum ist als Ausbil- tierte, konnte sich der Komponist von der institutionellen Dilettanten und interessierte Laien, mit dem Ergebnis eines dungsstudio auf die Lehre festgelegt. Hier werden die Vo- Umklammerung des Studios befreien. So hat das Salzbur- enormen Unterbaus, der der elektroakustischen Musik ein raussetzungen für eine genuine elektronische Musik sui ger Studio seinen Studenten eine unabhängige Perspekti- für jede Kunstform wichtiges, breites Fundament verleiht, generis geschaffen, denn man kann Computermusik nicht ve nahe gelegt, die ihnen den vollkommenen Zugriff auf der aber auch zu einer Verflachung der stilistischen Palette schreiben, wenn, wie Koenig es einst formulierte, „man die Maschine möglich machte. Viele Komponisten haben führte. In dem Maße, in dem anwenderfreundliche Soft- nicht ausgiebig in dieser Gedankenwelt spazieren geht, in den Fünfzigerjahren die Erleichterung beschrieben, die ware die beliebtesten Effekte und Verfahren mit wenigen sich dort umsieht und sich vertraut macht, und zwar nicht damit einher ging, dass die Realisation des Werks auf Ton-

56

SEM 50 Jahre.indd 56 02.12.2009 08:42:46 band die Abhängigkeit vom Interpreten überwinde. Mit auf das bürgerliche Erbe der klassischen Tradition als einer Vorwegnahme einer besseren Welt gelten zu lassen. Dann dem CDP wurde diese Unabhängigkeit um jenen institu- ideologischen Projektionsfläche. Die elektronische Musik nämlich wäre die elektronische Musik tatsächlich jenes tionellen Aspekt erweitert. hat andere Ideologeme gefunden, die offenbar auch ei- Pioniermedium, von dem Komponisten der Fünfzigerjahre nen anderen Ort und andere Konzertstrukturen erfordern. einst träumten. Genau da aber fangen weitere Probleme an. In dem Maße, Zweitens ist die bereits angesprochene Verflachung des in dem die großen Studios ihre Bedeutung als Produkti- Produktionsniveaus geltend zu machen. Die Fülle von ______onsstätte verlieren, kommt dem Künstler auch ein sozi- technisch hochwertigen, ästhetisch allerdings fragwür- 1 Gottfried Michael Koenig im Gespräch mit dem Verfasser am aler Ort abhanden. Und da sich die elektronische Musik digen Kompositionen bremst den Innovationsschub, der 15. Dezember 2000. auch vom herkömmlichen Konzertbetrieb befreit hat, ist von der elektronischen Musik lange ausging, aus, sofern 2 Ebda. der Komponist elektronischer Musik allein. Nicht dass zwi- tatsächlich wegweisende Werke seltener werden. Die Ver- 3 Im Gespräch mit Kornelia Bittmann schen Programmierern und Komponisten kein kommuni- triebswege der digitalen Netzwerke erschließen sich dem 4 Im Gespräch mit dem Verfasser am 16. Juni 2004. kativer Zusammenhalt mehr existierte. Aber die Produkti- digitalen Kunstwerk in besonderem Maße, sodass der 5 Im Gespräch mit dem Verfasser am 15. März 2002. onsbedingungen führen, in Abhängigkeit von der Technik, verschwindenden Öffentlichkeit eine geradezu paradox 6 Mitschnitt einer Podiumsdiskussion zum 25-jährigen Bestehen in die Isolation. Es ist, als habe der Desktop- und Laptop- wirkende Flut an öffentlich zugänglichen Aufnahmen im des Experimental Studio an der University of Illinois Urbana- Computer jenen Zustand wieder hergestellt, als Kompo- Internet gegenübersteht. Hier versagen auch die Mecha- Champaign im Jahre 1983. Archivaufnahme des Experimental nisten, wie Lejaren Hiller einst mit Bitterkeit resümierte, nismen der Musikkritik, der es in 60 Jahren nicht nur nicht Studio an der University of Illinois Urbana-Champaign. Der Ver- behandelt wurde „like some sort of creep that is allowed gelungen ist, eine dem Gegenstand angemessene Termi- fasser dankt Scott Roller für diese Aufnahme. access at three am to a machine which ought to be put to nologie zu prägen, sondern die auch keine Kriterien ent- better use than foolishness like music“ 6 . wickelt hat, um die Flut der Veröffentlichungen zu sichten und zu moderieren. 3. Es ist ja nicht so, als würde man nirgends elektroni- sche Musik hören. Auch auf den großen Festivals für ak- Man kann das alles als Mangel und Verlust empfinden. tuelle Musik in Donaueschingen, Wien, Berlin oder Witten Vielleicht aber ist es hilfreich die Perspektive vom Erfolgs- sind gelegentlich Laptop-Konzerte und große Produktio- denken der bürgerlichen Gesellschaft zu befreien. Es war nen des IRCAM oder des Experimentalstudios in Freiburg Jacques Attali, der 1977 in seinem Buch Bruits – Essai zu hören. Die Gründe, -warum die Elektroakustik, ihrem sur l‘économie politique de la musique jenen Zustand als kritischen und ästhetischen Potenzial zum Trotz, noch Vorgriff der staatlichen Utopie beschrieb, in dem jeder ein innerhalb des übersichtlichen Terrains der zeitgenössi- Komponist ist. Nach Phasen des Hörens, des Opferns, des schen Musik zu einer Randexistenz verurteilt ist, lassen Repräsentierens und des Wiederholens steht am Schluss sich vielleicht auf wenige Punkte reduzieren. Erstens ist das Komponieren als schöpferische Erfüllung des Mensch- der Festivalbetrieb träge; Neuerungen, die auch neue Dar- seins. Wir haben uns daran gewöhnt, die schiere Masse bietungsformen und ästhetische Prämissen mit sich brin- elektroakustischer Produktionen, die jeden zu Wort kom- gen, sind kaum durchzusetzen und werden auch dadurch men lässt, als einen Makel zu begreifen. Vielleicht müs- behindert, dass Komponisten, Verlage und Ensembles den sen wir uns aber von der Vorstellung einer gesicherten, Status quo verteidigen. Die zeitgenössische Musik ist ganz auf Meisterwerke fokussierten Rezeption verabschieden, auf das Konzert bürgerlicher Provenienz ausgerichtet, ja um einen Zustand, in dem die künstlerischen Produkti- die neue Musik bezieht sich, und sei es ex negativo, immer onsmittel und die Kompetenzen gleichverteilt sind, als

57

SEM 50 Jahre.indd 57 02.12.2009 08:42:46 Jean Detheux / Jean Derome Rupture

58

SEM 50 Jahre.indd 58 02.12.2009 08:42:55 Statements Ludger Brümmer namische Systeme ausgegrenzt werden, Bereiche in denen Forschung und Entwicklung stattfindet, in denen sich die Aus gegebenem Anlass wurden 16 Künstler, Komponisten, Der Komponist ist nicht das Genie für das er sich hält. Aufgaben ändern und die Instrumente veralten, in denen Studioleiter und Musikwissenschaftler gebeten zu folgen- Durch das zunehmende Verstehen sozialer und technolo- Vergessen stattfinden muss, weil es viel Neues gibt. Und der provokant formulierter Aussage Stellung zu nehmen: gischer Prozesse wird klar, dass der Wert von Kunst Re- nun die Preisfrage: über welche Musik ist hier die Rede? sultat eines bidirektionalen Bewertungsprozesses ist. Eine „Der Komponist ist tot. Es lebe der Komponist !?“ Gesellschaft sucht sich die Kunst die sie will. Ist diese Ge- (Zur Verortung der zeitgenössischen Komposition an der sellschaft homogen, so wird es die “eine” Musk und der Ludger Brümmer (geb. 1958) studierte Komposition bei Ni- Grenze physikalischer Manifestationen durch Musiker, In- eine Komponist sein können. Ändert sie sich, so wird die colaus A. Huber und Dirk Reith an der Folkwang Hochschu- strumente und architektonische Räume; zwischen Hoch-, Kunst neu bewertet, es wird zu Kitsch, was vorher Kunst le Essen. Von 1991-1993 war er DAAD Stipendiat am „Cen- Sub- und Netzkultur, Akademie und freier Szene.) war und konsumiert was vorher belächelt wurde, es wird ter for Computer Research in Music and Accoustics“, an der zu Mainstream was vorher Avantgarde war. Der Rest lan- Stanford Universität Kalifornien. Zwischen 2000 und 2002 Die Vielschichtigkeit der hier gemachten Aussagen gibt det im Mülleimer des Vergessens. Schließlich fördert die arbeitete er als Research Fellow an der Kingston University einen Einblick in die Befindlichkeit heutiger Komponisten Gesellschaft den Komponisten: viel oder gar nicht. Da- London und war von April 2002 Professor für Komposition und formuliert darüber hinaus eine Zustandsbeschreibung durch steuert sie ihn. Künstlerische Freiheit gibt es nur in am Sonic Art Research Centre in Belfast. Seit April 2003 ist der zeitgenössischen, insbesondere der elektroakustischen kleinen Dosen. Letztlich ist dieser Komponist ein Schau- leitet er das „Institut für Musik und Akustik“ im ZKM. Komposition. spieler, der den vorgegebenen Text nach Anweisungen des Regisseurs spricht. Aber was er kann und was er draus macht, das ist das Wesentliche! Netzkunst und kollektiv Karlheinz Essl gestaltete Kunst machen dieses komplexe Netz aus Inter- operabilität sichtbar; besitzen aber wiederum andere Pro- Die gesellschaftlichen Umwälzungen seit dem 2. Weltkrieg bleme. Sie wären eine Idee für die Zukunft, hadern aber und die galoppierende technologische Entwicklung haben mit den Erwartungen der Hörer, die die Idee des Werkes die Künste und die Bedingungen ihrer Produktion radikal nicht aufgeben wollen. Gleiche unter Gleichen - geht das? verändert. Die aus der Romantik stammende Vorstellung Viel besser bewährt hat sich da die Aufgabenteilung: Ku- des Komponisten als demiurgischem Einzelkämpfer, der rator, Komponist, Musiker, Kartenverkäufer und Publikum. im geschützten Umfeld eines Elfenbeinturmes – „in splen- Nur eines eint sie: Sie alle kriegen Ärger wenn ihnen das did isolation“ – an seinen Partituren feilt, ist fragwürdig Publikum davon läuft - bis auf manche Komponisten, die geworden, ebenso auch das ihm historisch zugewiesene trotzdem komponieren. Aber was? Ist die Neue Musik noch Präsentationsfeld zwischen Konzertsaal und Kirche. zu retten? Gegenfrage: Kann es sich eine Kultur leisten, An Stelle der modernen Unifikationstheorie, bei der Alles nichts mehr zu vergessen und alles zu bewahren? Steht aus Einem entwickelt wird (was der Integrale Serialismus dem Bewahren nicht das Erneuern entgegen? Viele Mu- auf eine unüberbietbare Spitze getrieben hat), treten heute sik ist auf Reproduzierbarkeit angelegt, die Instrumente, mehrwertige Konzepte, in denen unterschiedliche Sprach- die Ausbildung genormt. Wie viel Lebendigkeit läßt sich in schichten und Sprachqualitäten in einen Diskurs treten, solch einem System erhalten und vor allem, wie viel Platz der vor den Ohren des Publikums stattfindet. Hohes und zur Weiterentwicklung lässt sie zu. Dynamik ist für solch Tiefes, U und E, sind Kategorien von gestern; was heute ein System eine Bedrohung. Da ist es nur logisch, dass dy- zählt, ist das Hörbarmachen dessen, was uns im Innersten

59

SEM 50 Jahre.indd 59 02.12.2009 08:43:01 bewegt, ohne sich aber am Mainstream jeglicher Couleur Stefan Fricke der Komponist noch lebte. Und es ist gleich, wo er dann all zu bedienen. Dazu bedarf es eines wachen Geistes, der das tut, was er tun muss, ob in der Oben- oder Unten oder ohne Berührungsängste in entlegeneren Regionen wildert, Gegenfrage: Warum sollte der Komponist, so er nicht Nebenkultur. Hauptsache, er tut’s, und wir lassen es ihn welche früher tabuisiert worden sind. tot ist, tot sein? Neue technische Errungenschaften der tun, auf das er lebe, und wir mit ihm, mit ihr. Dieser Paradigmenwechsel ließ eine neue Spezies von Kom- Klangproduktion, der akustischen Datenspeicherung und ponistInnen entstehen, die sich bewusst den sich ständig -wiedergabe, dazwischen die Modifikations- und Mani- ändernden Herausforderungen ihrer Zeit stellen und we- pulationsmöglichkeiten mit was auch immer, die totale Stefan Fricke, geboren 1966 in Unna, war nach dem Studi- niger von Oben, als von Unten her operieren. Anstatt sich Verfügung von allem, was bis dato (ein elastisch-fort- um als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Fachrichtung bestehender Strukturen der Förderung und Präsentation schreitender Zeitpunkt) als Klang, als Idee existiert, ersetzt Musikwissenschaft an der Universität des Saarlandes tätig. zu bedienen, werden eigene geschaffen. Hierbei kommt niemals den Komponisten, den Zusammen-Setzer, den 1989 gründete er gemeinsam mit Sigrid Konrad in Saar- dem Netzwerk-Gedanken eine entscheidende Rolle zu: Die (Er-)Finder musikalischer Strukturen, Klangfarben usw. brücken den PFAU-Verlag. Lehraufträge/Workshops an Kommunikation zwischen KomponistInnen im Sinne einer Selbst der größtmögliche Einsatz von Zufall und Unbe- verschiedenen akademischen Institutionen. Er arbeitet für „community“ (die oftmals über das Internet ausgetragen stimmtheit führte nicht dazu – weder damals, noch heute die ARD-Rundfunkanstalten, diverse Konzertveranstalter wird) und die enge Zusammenarbeit mit anderen Musi- –, keine Entscheidungen, keine Auswahl mehr für die ar- und CD-Labels, vornehmlich im Bereich der Neuen Musik kerInnen führen zwangsläufig zu offeneren komposito- tistische Aktion treffen zu müssen. Auch das Anvertrauen und der Ars Acustica, ediert Schriftenreihe zur zeitgenössi- rischen Konzepten, in denen Aspekte wie Improvisation, derselben an die Interpreten hat den Schöpfer, Urheber, schen Musik, ist Redakteur der Neuen Zeitschrift für Musik multiple Autorenschaft, Zufall, Intermedialität und Algo- Autor nicht abgeschafft, sondern mehr oder minder ge- und Vizepräsident der Deutschen Sektion der Internationa- rithmus eine immer stärkere Rolle spielen. wichtige Mit-Schöpfer geboren. Es wird den Komponis- len Gesellschaft für Neue Musik. Seit 2008 ist Stefan Fricke Auch wenn diese Entwicklung von manchen als der An- ten, dazu muss man kein nobilitierter Prophet sein, immer Redakteur für Neue Musik beim Hessischen Rundfunk. fang vom Ende der Musik beklagt wird, sehe ich diese als geben, wie es ihn schon seit etlichen Jahrhunderten gibt, zukunftsweisenden Weg, an dessen Beginn wir uns gerade jedenfalls im Abendland, dessen Hegemonialanspruch die erst befinden. Musik betreffend der Welt seit langem schon und wohl Frank Gerhardt auch bis auf weiteres eine “Gute Nacht” bereitet. Verändert haben sich, und sie werden sich weiter verändern, Aspekte Eigentlich gar kein Grund zu Jammern: so viel Komposi- Karlheinz Essl, geboren 1960 in Wien. Komponist, Impro- der Arbeitsteilung und dazugehörige Begriffe. Hier Musik- tion war noch nie. Und auch die Anzahl der Komponisten visationsmusiker, Medienkünstler, Software-Designer. denker, da Musikmacher etc., hier Komponist, da Interpret befindet sich seit geraumer Zeit auf einer Art konstantem Studierte Komposition bei Friedrich Cerha und Musik- usw. – das sind Vorstellungen und Kulturgebilde, die längst Allzeithoch, Tendenz noch steigend: natürlich durch die wissenschaften in Wien. Composer-in-residence bei den nicht mehr in dieser Ausschließlichkeit greifen, die auch ständig wachsende Menge von Absolventen staatlicher Darmstädter Ferienkursen sowie am IRCAM in Paris. Seit nicht zu jeder Zeit in unserer Umgebung gegriffen haben. Ausbildungsstätten, die Jahr für Jahr neue Sternchen in 2007 Kompositionsprofessur für Elektroakustische Musik Viele Biografien erzählen von beidem und von mehr, vom ihr vages Berufsleben katapultieren. Zum anderen aber an der Musikuniversität Wien. Komponisten als Verleger, als Förderer anderer, als Schrift- auch durch die sich stetig vergrößernde Zahl der Neben- steller, als Vortragender, als Softwareentwickler, als Lehrer, und Spätberufenen oder anderer dem Metier mehr oder als Forscher, als Funktionär, als... Und wenn demnächst weniger nahestehender Personen, die ES dann eben auch nun die kleine Welt der über hundert Jahre alten neuen mal tun. Musik zusammenbrechen sollte, woran der Zeitgeist kräf- Immerhin scheint von dieser Tätigkeit also eine Faszination tig arbeitet, dann werden alle diese Mehrfachtätigkeiten auszugehen, die (trotz der in vielfacher Hinsicht schwieri- wieder genauso gefragt und notwendig sein, wie einst, als gen Rahmenbedingungen) in den letzten Jahrzehnten noch

60

SEM 50 Jahre.indd 60 02.12.2009 08:43:01 gewachsen ist – so sehr, dass mittlerweile erstaunlich viele unzufrieden mit dieser Auskunft, vielleicht einen zweiten tur für Musiktheorie und elektroakustische Komposition Personen gerne mitmachen wollen. Nüchtern betrachtet Versuch starten: „Was heißt das heute: Komponist sein?“ an der Musikhochschule Frankfurt. Seit 2009 Leitung des zeigt sich aber auch, dass es im Zeitalter elektroakusti- Nichts auszuschließen, sagt man dann: hängt davon ab, Ausbildungsbereichs Komposition an der Musikakademie scher Massenmedien kein Studium mehr braucht (Inter- schwer zu sagen. Kassel. Auftragswerke entstanden sowohl für offizielle preten oder Kenntnisse über Instrumente n.b. auch nicht), Ganz sicher: größtmögliche Sensibilität im Umgang mit Anlässe (wie z.B. die 1200-Jahr-Feier Frankfurts oder die um sich auf dem Rechner etwas zusammenzubasteln, dass musikalischem Material, mikroskopisches Hören, Wissen Expo 2000), wie auch für das SWR-Symphonieorchester, zumindest partiell den Ansprüchen heutigen Komponie- um die Alchemie des Zusammenwirkens verschiedener Pa- die Junge Deutsche Philharmonie, das Ensemble Modern, rens genügt. Da nützt es wenig, dass jeder, der einmal ein rameter, Verständnis für Zeitverläufe und ihre Polyphonie, KNM Berlin und andere bedeutende Ensembles und Festi- elektronisches Studio von Innen gesehen hat, weiß, wie überhaupt: ein Bewusstsein für das schaffen, was alles da vals. Für seine Kompositionen erhielt Frank Gerhardt zahl- groß der Unterschied zu einer wirklichen Durchdringung ist: Dies alles ist lernbar und – einen guten Lehrer voraus- reiche Preise (u.a. den Hessischen Kompositionspreis 1998 des Materials, zum Verständnis der künstlerischen Poten- gesetzt – es existiert eine Tiefe diesbzgl. Erkenntnis, die und den Preis für Europäische Kirchenmusik, Schwäbisch tiale ist: Die pure Evidenz schafft hier ja die Fakten. man nur durch Unterricht erwerben kann. Gmünd, 2005) und Stipendien (u.a. Berliner Akademie der Noch weniger naiv muss man feststellen, dass schlichtweg Ob dies nur im Studium gelingen kann, darf bezweifelt Künste, Villa Concordia Bamberg und Deutsches Studien- die Hemmschwelle viel niedriger geworden ist, sich auf werden (es gibt ja genug Gegenbeispiele) – genauso wie zentrum Venedig). diesem Feld zu betätigen, was natürlich viel über das weit wiederum das Studium alleine keine Garantie für musi- verbreitete Vorurteil fehlender Qualitätskriterien neuer kalischen Tiefgang bildet. Motivation und Legitimation ei- Musik aussagt – andererseits aber auch die unglaubliche genen künstlerischen Arbeitens werden nicht gratis durch Thomas Gerwin Vielgestaltigkeit der heutigen Situation dokumentiert, die den Eintritt in eine Musikhochschule erworben. Letztlich eben nicht mehr nur einen Weg hin zu diesem Beruf kennt, bleibt es aber auch dem Komponisten selbst überlassen, Klänge sind Lebewesen. Sie werden geboren, verbringen sondern in ihren individuellen Routen zum Komponieren mit seinen professionellen Möglichkeiten zu arbeiten: Es eine gewisse Zeit an bestimmten Orten und sterben dann. die individuellen Physiognomien heutiger musikalischer sind genug ästhetische Modelle denk- und realisierbar, die Gern bilden sie soziale Organismen. Sprachen widerspiegelt. bewusst auf handwerkliche Qualifikation verzichten oder Meine Aufgabe als Komponist und Klangkünstler ist es, im- Komponist wird man also durch Selbstproklamation? Sieht versuchen, aus ihrem absichtsvollen Fehlen kreatives Po- mer wieder neue Inszenierungen für diese und mit diesen fast so aus, aber es ist damit alleine doch nicht getan. Ge- tential zu schöpfen. Und auch hier sagt die Grundausrich- Lebewesen zu erfinden. Dabei ist es prinzipiell egal, ob die nauso, wie ich wunderbare Komponisten kenne, die sich tung nichts über die Güte des einzelnen Werkes aus. agierenden Schwingungskonglomerate von einer Stimme, nie als solche bezeichnen würden, gibt es auch das Gegen- So also: Der Komponist ist nicht tot, ganz im Gegenteil. einer Darm- oder Metallsaite, von Holz- oder Metallplatten, teil: Leute mit offensichtlichem Qualifikationsdefizit, die Wir sind alle da, unüberschaubar viele fast. „Muss das von Luftsäulen, Röhren oder von Lautsprechermebranen in sich aber trotzdem als Komponisten positionieren. Für die sein?“ könnte man wieder fragen. Keine Ahnung, ehrlich die Welt gesetzt werden – diese besonderen Membranen Neue Musik als Kunstform im emphatischen Sinne ist das gesagt. Aber (Gegenfragen): Wäre es besser, wenn es we- sind allerdings besonders vielseitig. Und jedes dieser Lebe- natürlich höchst problematisch: der Bereich ist zu fragil niger wären? Und, falls ja, warum? Mehr Platz fürs eigene wesen ist prinzipiell gleich viel wert, einige sind schillernde und zu wertvoll, um sich als Übungsgelände darwinisti- Genie vielleicht? Geht‘s darum? Oder einfach um weniger Persönlichkeiten, aber vielleicht Einzelgänger. Andere sind scher Verhaltensmuster zu eignen: etwas mehr Selbstre- schlechte Stücke im Umlauf? für sich betrachtet vielleicht nicht sehr spezifisch, wach- gulation der Beteiligten wäre da schon wünschenswert. sen aber im Verbund mit anderen über sich hinaus und Mit der Inflation der Möglichkeiten schwindet die Präg- formieren sich zu beeindruckendsten sozialen Gebilden. nanz und Schärfe der Typisierung, das ist kein ausschließ- Frank Gerhardt, geboren 1967 in Hünfelden/Kirberg. Kla- Manche sind ihrer Natur nach stark, spontan überwälti- lich musikalisches Phänomen: „Was macht ein Kompo- vier- und Cembalostudium in Frankfurt. Kompositionsstu- gend, andere sind leise, subtil und entfalten ihre Wirkung nist heute?“ Alles mögliche, kann man antworten, und, dium bei Claus Kühnl und Hans Zender. Seit 2000 Dozen- erst über einen langen Zeitraum etc. Für ein neues Werk

61

SEM 50 Jahre.indd 61 02.12.2009 08:43:01 muß ich zunächst die richtigen d.h. für die Bearbeitung Folkmar Hein Das Portal der Wiener Sezession schmücken die Worte: der zugrundeliegenden kompositorischen Konzeption pas- senden Lebewesen auswählen und dann mit diesen wie Wir glauben, dass sich mit der technischen Revolution in Der Zeit ihre Kunst, mit Schauspielern arbeiten, auf sie eingehen, von ihnen der Studiotechnik alles „verbessert“ hat - wobei das Wort lernen, sie weiterentwickeln und formieren, agieren lassen. „besser“ schon folgende Problematik aufwirft: eine Ver- Der Kunst ihre Freiheit Manche werden einfach irgendwo gefunden, andere lange besserung könnte man verstehen als Wandlung eines al- und mühsam gesucht oder speziell aufgebaut. In einem ten Zustandes in einen neuen Zustand. Der neue ist dann dieses Statement verbindet „Kunst“, „Freiheit“, „Zeit“: gelungenen musikalischen Werk haben oder entwickeln bald selbst wieder „alt“, usw. . Beispiel: einst war die Mo- die klanglichen Protagonisten stets ein starkes Eigenleben, noschallplatte die große Sensation; dann kam die Stereo- - Der Spruch ist eine Forderung, verknüpft mit einer Ver- welches sie im Idealfall befähigt, interaktiv einen stimmi- schallplatte; es folgte die CD, dann die DVD; ja, und wie pflichtung; gen sozialen Organismus zu schaffen und spannend zu bei einem Wunder wandelte sich das einst gelobte Neue - er ist zudem ein Bekenntnis zur NICHT-Eindeutigkeit der entwickeln. Man kann generell jedes klingende Werk auf in etwas Altes und „Schlechteres“ (dem nur noch Nost- Kunst (weil zeitabhängig) und zu einer immer zeitabhän- diese Weise betrachten und analysieren, sei es eine Beet- algiker frönen). In Bezug auf die Technik pflegt man „alt“ gigen Freiheitsempfindung; hovensche Symphonie oder Musique concrète. In Verbin- und „neu“ gegen „schlechter“ und „besser“ wegen eines - er ist das Bekenntnis zum Wandel von Altem zu Neu- dung damit beschäftigt mich besonders die Erkundung von tiefen Glaubens in den Technikfortschritt auszutauschen! em, aber auch von der Absonderung der zeitgenössischen neuen und ungewöhnlichen Situationen der Begegnung Angeblich wird alles (besonders alles Technische) immer Kunst von der so empfunden reaktionären, alten Kunst - zwischen Menschen und Klangwesen - in experimentellen besser, schöner, schneller in Bezug zu etwas nicht ganz so eben: Sezession! Konzertformaten z.B. mit Lautsprecher-Orchester, Installa- schnellem-schönen... aber was mag das sein?? Und was - Wir müssen davon ausgehen, dass unser heutiger Status tionen und begehbaren Klanglandschaften, bis hin zu neu ist denn mit der damit verbundenen Musik? wird die mit einem kommenden (und uns noch unbekannten) Status geschaffenen, auch multisensorialen Musikinstrumenten. „besserer“ Technik auch besser oder schlechter?? Und wie weichen wird! ist es mit den Menschen: werden die auch besser, schnel- ler, schöner? Und so geht es weiter auf und ab, gerät Einiges in Verges- Thomas Gerwin (*1955), klassisch ausgebildeter Musiker Ja, dies ist ein sehr spezielles Thema mit tiefen Gefühlen senheit, um bald wieder neu entdeckt zu werden, ... und Komponist kam sehr früh zur elektroakustischen Mu- und Emotionen. Wahr ist, dass die Zeit weiterschreitet und sik, seit 1990 beschäftigt er sich außerdem intensiv mit kommende Generationen meistens nicht mehr nachvoll- „Soundscape Composition“ und radiophoner Klangkunst. ziehen können, was die alten an dem „Alten“ einst so toll Folkmar Hein (geb. 1944), aufgewachsen in Westfalen, ab- In seinem Berliner Studio komponiert und inszeniert er fanden. solvierte an der Technischen Universität Berlin Elektrotech- freischaffend für Konzert und Radio und kreiert Klang- Ich möchte klarlegen, dass alle Kunst-Aspekte zeitbezo- nik und an der Hochschule für Musik Berlin den Studiengang Installationen und experimentelle multimediale Environ- gen bzw. zeitabhängig sind, sich also zeitlich wandeln (im Tonmeister. Von 1974 bis 2009 war er Wissenschaftlicher ments. Als Ausdrucksmittel seiner raumkünstlerischen Ar- Laufe von Jahrzehnten, Jahren, Monaten, Tag für Tag und Mitarbeiter an der TU Berlin und Leiter des Elektronischen beiten und als künstlerischer Leiter der EAM-Konzertreihe womöglich von einem Augenblick zum anderen). Und wir Studios. Er realisierte mehr als 120 elektroakustische Werke „KlangWelten HörZeit-SpielRaum“ und des „Internationa- sollten uns hüten mit dem “Wegschmeißen”, womöglich für andere Komponisten. Er gründete 1982 zusammen mit len Klangkunstfestes Berlin“ bezieht er immer wieder Neue Wegschmeißen von Kunst (oh je, die Geschichte holt uns dem Berliner Künstlerprogramm des DAAD das Festival für Medien, Theater, Tanz, Film und Skulptur mit ein. Werke von ein). zeitgenössische Musik „INVENTIONEN“. Von 1991 bis 1997 ihm werden weltweit aufgeführt und wurden mehrfach in- Und mit der Zeitabhängigkeit werden alle Aspekte auch war er Präsident der Deutschen Gesellschaft für Elektro- ternational ausgezeichnet. ortsabhängig! Von Ort zu Ort und von Zeit zu Zeit wogen akustische Musik „DegeM“. unsere Aspekte!!

62

SEM 50 Jahre.indd 62 02.12.2009 08:43:01 Michael Hoeldke sich mit seinen Mitmenschen über Konsens und Dissens, verblüffen – man denke an den Sieg des Schachcomputers was sich da musikalisch (oder auch nicht) abspielt, aus- –: Es wird Programme geben, mit denen sich Partituren al- Wann stirbt ein Beruf? Wann lebt er? Was macht den Beruf tauschen. Die Spannung des Disputes oder ein Wohlgefühl ler Stile der Neuen Musik per Klick erstellen lassen. Neben des Komponisten eigentlich aus? Wer durfte, darf sich so durch das gemeinschaftlich erlebte Stück - beide werden dem Aspekt der dann möglichen riesigen Quantitäten wird nennen? Der Schöpfer einer Tonfolge oder erst derjenige, ausgelöst durch die Arbeit eines lebendigen Menschen, Mash-Up das zentrale kompositorische Verfahren sein, das der sie weiterentwickeln kann? Oder musste man beides des Komponisten. Quermixen der Objekte. können, um sich „Komponist“ nennen zu dürfen? Er arbeitet weiter - so lange er lebt. Wenn die letzte Generation der Haptiker ausgestorben Wann hat man komponiert? Beim Zusammenfügen meh- ist, wird man Musik, Bücher und Filme fast nur noch auf rerer eigentlich nicht verwandter Geräusche zu einer elektronischen Geräten konsumieren, und all das wird um- akusmatischen Phrase oder beim Errichten eines Compu- Michael Hoeldke, geboren 1955, ist freischaffender Kom- sonst sein: weil es verlustfrei in Sekunden vervielfältigbar teralgorithmus, der Klangfolgen eine Struktur verleiht? ponist und zeitweilig auch Autor über Musik und ausge- ist; Verlage und Labels der heutigen Form wird es nicht Es ist heutzutage leicht, jeden Klang mit jedem anderen sprochen Radio-affin. Mit Thomas Seelig zusammen hat mehr geben. Künstler stellen ihre Werke ins Netz und er- zu verbinden, als Folge, als Mischung oder Transformati- er 1995 die Bejingelung für das Inforadio des Rundfunks reichen damit mehr Publikum als live und auf physischen on, allein, eine Erleichterung ist dies für das Komponieren Berlin-Brandenburg (rbb) geschaffen und betreut diese Medien. Rundfunkstationen bekommen die unabhängige nicht. Der Rechner nimmt die Kompositionsarbeit nicht ab, von Zeit zu Zeit immer noch. Seine Texte münden zumeist Konkurrenz der Blogs und Netzwerke. Souveräner von ins- er velagert sie lediglich. In der traditionellen Musik war in Radiofeatures über Musik und Musikproduktion. Micha- titutionellen Vorgaben lässt sich Kunst viel mehr am Maß- die Federspitze des Tonsetzers die Schnittstelle. Die Noten, el Hoeldke lebt in Berlin. stab der lebensweltlichen Relevanz machen und verbrei- erst einmal auf dem Papier festgehalten, schlossen seine ten (Problem ist die Finanzierung, aber das hat die Neue Arbeit ab, das Ergebnis wurde Musikern geliefert, nicht Musik ohnehin). selten ihnen ausgeliefert. Johannes Kreidler / Die Ursache liegt in der Zukunft Obwohl oder gerade weil diese Entwicklungen noch in den Das Bestreben des komponierenden Menschen liegt unter Kinderschuhen stecken, kann für die Gegenwart daraus anderem auch darin, den Weg seiner Idee vom Hirn zur Wer sich die letzten zehn Jahre intensiv mit digitaler Tech- nur der Imperativ gefolgert werden, sich dem unbedingt Schnittstelle zu verkürzen. Dann kann er erst seinen Beruf nik befasst hat, kann mit relativer Sicherheit Prognosen zuzuwenden. All das ist ja nur eine Frage der Zeit, aber das ausüben. abgeben. Sicher, weil bereits eingeschlagene Tendenzen ist Musik immer. Man kann ein paar Zeilen in den Rechner tippen, nach hauptsächlich nur von mangelnder Hardwareleistung und Betätigen der Return-Taste das Ergebnis in voller Pracht alten Institutionen gebremst sind; die Hardware wird aber überprüfen. Die Schnittstelle ist auch Ort der tönenden ständig weiterentwickelt, die Leistungen der Institutionen Johannes Kreidler (1980) studierte in Freiburg und Den Umsetzung. Der Schöpfer ist mit seinem Werk allein, ver- dadurch dann ersetzt. Haag, lebt in Berlin und unterrichtet an der Musikhoch- netzt oder nicht. Ist das Gelingen seiner Arbeit dadurch Für die Musik ist abzusehen, dass Sensorik die klassischen schule Rostock. Bekannt wurde er mit der Kunstaktion leichter? Kann jetzt jeder komponieren? Instrumente ablösen kann. Dann gibt es statt für Klavier, „product placements“, bei der er ein 33sekündiges Musik- Der kanadische Komponist Gilles Gobeil sagte mir einmal, er Geige und Oboe Studiengänge für Tast-, Streich- und Blas- stück mit 70 200 Fremdanteilen mit eben so vielen Formu- halte es für wichtig, „dass Komponisten das Repertoire gut module. Ein Komponist wird „instrumentieren“, indem er laren bei der GEMA anmeldete. kennen sollten, bis zurück zu den frühesten Epochen. Durch bestimmte Klangparameter bestimmten Körperbewegun- alle Zeiten hindurch hatten Schöpfer von Musik die selben gen zuweist. Lautsprecher wiederum werden so gut sein, Probleme, und man kann sich Lösungen abgucken.“ dass ihr Klang edler ist als der einer Stradivari. Physisches In der elektronischen Welt der Klänge steht oft nicht ein- Musizieren bleibt aber faszinierend, live oder auf Video. mal das Vorhandensein von Musik fest, der Hörer muss Auf Softwareseite wird die künstliche Intelligenz uns noch

63

SEM 50 Jahre.indd 63 02.12.2009 08:43:02 Johannes Kretz / Sieben persönliche Thesen lung des Software-Environements „KLANGPILOT“, welches stellen. In den letzen Jahren kristallisieren sich dabei für die Handhabung von Klangsynthese in einer Computer- mich persönlich neue Tonsysteme heraus, die neben den 1) Jede Epoche erfordert ihren spezifischen Künstlerty- Hochsprache erlaubt. üblichen Intervallen und Tönhöhen beispielsweise auch pus: den 7., 11. und 13. Oberton integrieren. Gerade diese kön- Gesellschaftliche Veränderungen, der Umgang mit welt- 4) Computer-unterstütztes Komponieren wird zur Selbst- nen vom Hörer relativ unproblematisch als „richtig into- weiter Globalisierung sowie die Wende weg von einseitiger verständlichkeit. niert“ empfunden werden. Spezialisierung hin zu nachhaltigem und vernetztem Den- Aufgrund der Vielzahl der zu steuernden und damit schöp- ken und Handeln – all das steht auch in Wechselwirkung ferisch zu bewältigenden Parameter führt Klangsynthese 6) Auch elektronische Musik erfordert Aufführungspraxis. mit künstlerischen Prozessen. Vor diesem Hintergrund ist zwangsläufig zu Fragen des Computer-unterstützen Kom- Eine nicht unwesentliche Frage beim Einsatz elektroni- zu verstehen, dass gerade Vielseitigkeit und Interdiszipli- ponierens. Die bedeutsamste Methode dafür ist meiner scher Klangmittel ist die Frage der Interpretation. Um eine narität für meine künstlerische Grundhaltung als vorran- Erfahrung nach constraint programming, sowohl bei der der Aufführungssituation gerecht werdende Realisierung gige Prämisse gelten. Vielleicht ist der allwissend-geniali- Komposition von Instrumentalwerken wie auch beim Ge- von Werken mit Elektronik zu ermöglichen, bedarf es der sche Künstlertypus des 19. Jahrhunderts tot, aber nur, um nerieren von Syntheseparametern. Es handelt sich um ein Mittel der Live-Elektronik, die über Echtzeit-Transforma- einem zeitgemäßeren Platz zu machen? Werkzeug der „Künstlichen-Intelligenz“-Forschung, ein tionen beteiligter Instrumente bzw. über Echtzeit-Eingriff so genanntes Expertensystem, dessen Fähigkeiten durch oder -Modifikation von vorbereitetem Klangmaterial erst 2) Musik hat eine sprachähnliche Natur. Hinzufügen von Geboten und Verboten laufend durch den eine Lebendigkeit und Einmaligkeit der Aufführung mög- In diesem Sinne bleibt Grammatik (also Satztechnik) nach Komponisten erweitert und präzisiert werden. Entschei- lich machen. wie vor wichtig. Aus den jeweiligen – in steter Verände- dend ist dabei, dass es nicht um ein mechanisch-algorith- rung befindlichen – ästhetischen Kriterien heraus sind misches Generieren von Strukturen geht, sonder vielmehr 7) Multimedia, Performance, Interdisziplinäres Arbeiten persönliche oder auch kollektive gedankliche Werkzeuge um einen Vorgang, der sich – in der Methodologie dem Ein Hinweis darauf, dass das Berufsbild des Komponisten zu entwickeln, die einerseits für eine innere Logik der Mu- historischem Tonsatz nicht unähnlich – vor allem durch in starkem Wandel begriffen ist, kann u.a. aus der zuneh- siksprache sorgen, andererseits auch einer gewissen Effizi- die Interaktion zwischen dem Künstler und den von ihm menden Bedeutung multimedialer, insbesondere audio- enz kompositorischer Prozesse förderlich sind. Satztechnik aufgestellten Regeln und Prinzipien charakterisiert. Über visueller Arbeiten abgelesen werden. Auch Werke mit in diesem Sinne dient auch dazu, dem Hörer zu erlauben, den iterativen Vorgang des Dialogs zwischen Komponist Verwendung von Sensortechnik sowie Netzkunst, Impro- die Korrektheit gespielter Töne bzw. Klangereignisse zu- und Maschine kommt es zu musikalischen Lösungen, die visation und kollektives bzw. fachüberschreitendes Arbei- mindest in Form einer Plausibilitäts-Einschätzung zu er- immer deutlicher die ästhetische Handschrift des Kom- ten gehören zu jenen Feldern, die mehr und mehr in den fahren bzw. zu erspüren. ponisten tragen, aber doch in ihrer Tragweite und Weit- Mittelpunkt rücken und ein ausgesprochen vielseitiges gespanntheit das übertreffen, was mit konventionellen Künstlerprofil erfordern. Dieses Arbeitsfeld erfordert aber 3) „Klangfarbenmelodie“ erfordert die Beherrschung von Schreibtechniken geschaffen werden kann. Kompetenzen, die von KomponistInnen normalerweise nur Klangsynthese auf hohem Niveau. in geringem Ausmaß erwartet werden, wie z.B. vermehrte Wenn Klangfarbe nicht nur als dekorativer Parameter der 5) Die Überwindung der Wohltemperierten Stimmung ist Teamfähigkeit und größere Flexibilität, wie sie in anderen Musik verstanden wird, ist eine Arbeitsweise erforderlich, weiterhin Herausforderung. Bereichen (beispielsweise Filmproduktion) selbstverständ- über welche die Elemente dessen, was summarisch als Sowohl das Gestalten von Obertonstrukturen bei der licher sind. Klangfarbe bezeichnet wird, auf ähnlich kohärente und Klangsynthese als auch der Einsatz der Techniken des detaillierte Weise wie in der Schreibtechnik der Tonhöhen Computer-unterstützten Komponierens legen es nahe, die und Rhythmen einer präzisen Logik folgend gestaltet wer- ausschließliche Verwendung von zwölf Tönen pro Oktave den können. Diese Erkenntnis führte für mich zur Entwick- in wohltemperierter Stimmung grundsätzlich in Frage zu

64

SEM 50 Jahre.indd 64 02.12.2009 08:43:02 Johannes Kretz lebt und arbeitet in Wien als Komponist hat. Es wäre ein Widerspruch in sich, wenn Avantgarde- hinimprovisiert, von dem man sich ebenso rasch wieder und Universitätslehrer (Privatdozent) für Musiktheorie, denken jahrzehntelang auf unveränderten Positionen ver- distanzieren kann. Wenn man sich der Verbindlichkeit des Komposition und Computermusik an der Musikuniversi- harren könnte; das erinnert ansonsten fatal an jene Sozial- Schriftlichen aussetzt, hilft das nicht nur der Klärung und tät Wien und leitet dort auch das „Zentrum für innovative romantiker, die uns immer noch etwas vom Schulterschluß Ausarbeitung eigener musikalischer Vorstellungen und Musiktechnologie“ (ZiMT). Er ist Mitbegründer des NewTon mit einer unterdrückten Arbeiterklasse vorfaseln, ohne zu Gedanken, auch andere können immer wieder nachschau- Ensemble Wien, der internationalen Komponistengruppe merken, daß es diese Proletarierschicht so kaum noch gibt, en, -lesen, -denken, wer was warum früher und vielleicht PRISMA, von ikultur.com und der Internet-Laptop-Band weil sie das System des Marktes längst besser in den Griff zu einem verwandten Thema komponiert, geschrieben hat „European Bridges Ensemble“. Neben Vokal- und Instru- bekommen hat als jene Kritiker selbst. - was wiederum dem laufenden Kunst-Diskurs aufhelfen mentalwerken steht der gemischte Einsatz von (meist Das grassierende Elend der Kunst sollte jedenfalls nicht kann. Live-) Elektronik und traditionellen Instrumenten sowie die dazu einladen, auf Komponisten, die Partituren schrei- Kunst-Denken in geschichtlichen Zusammenhängen mag Beschäftigung mit ethnischen Klangartikulationen (und in ben können, gleich ganz zu verzichten. Das mag befan- nicht sexy sein, schnell oder leicht gehen, aber Produkte letzter Zeit auch Mikrotonalität) im Zentrum seines Schaf- gen, gar konservativ klingen, aber nach wie vor vertrete digitaler „Bilderstürmer“, die tatsächlich etwas abgeschafft fens. ich mit Nachdruck, daß ein Kunstprodukt noch lange nicht und durch ein künstlerisch neues, ebenso starkes Angebot „fortschrittlich“ oder „all‘avanguardia“ ist, nur weil es die an den Hörer ersetzt hätten, habe ich bislang leider nur in letzte Generation an Technologie benützt: an und für sich homöopathischen Dosen vernommen - statt dessen tag- Harald Muenz Binsenweisheiten, leider zu selten beherzigt. Umgekehrt täglich jede Menge sich digital und inter-nett gerierender braucht das Ergebnis keineswegs „altmodisch“ und „reak- Lifestyle-Accessoires. Paradoxerweise ereignet sich künstlerische Freiheit nur tionär“ auszufallen, bloß weil jemand Mittel oder Materia- gegen und über Grenzen, selbstgesetzte, von außen gege- lien einsetzt, die in einer langen Tradition stehen: „C-dur“ bene; wo alles möglich ist und sich in jedem Moment jedes oder „Orchester“ sind an sich ebensowenig abschaffens- Harald Muenz (*1965) Komponist (Sprachkomposition, beliebige Klangereignis zutragen kann, werden die Ergeb- würdig, wie Netzmusik, Klanginstallation oder compu- Live-Elektronik, elektroakustische Musik, Instrumentalmu- nisse nivelliert, geraten gleich-unerwartet und letztlich tergestützte Live-Elektronik per se dernier cri sind. Derart sik, interdisziplinäre Projekte), Performer (Trio sprechboh- auch gleich-gültig, schlicht beliebig. Cage ist der leucht- naïve Beschreibungen sind Relikte eines Lagerdenkens aus rer). Lebt in Köln und London. ende Extremfall, an dem sich erfahren läßt, wie stark kom- Zeiten des Kalten Kriegs in der Neuen Musik. positorisches Eingreifen zurückgenommen werden kann - La lutte continue! Auf dem iPod sind Madagaskar und aber eben auch welcher Minimalrahmen noch vorhanden Maderna, Madonna und Madrigal im selben Format ge- Franz-Martin Olbrisch / Der Komponist ist tot – sein muß, jenseits dessen die Schwelle des Ästhetischen speichert, können unmittelbar und gleichberechtigt Basta! ins Banale hinein unterschritten wird. Cage hat letzteres aufeinander folgen. Speerspitze gegen technologisch- auf subtile Weise vermieden und ist selbst auf radikalen technizistischen Positivismus kann nur sein, wer den sich Wozu muss man wissen, wer ein Kunstwerk geschaffen Grenzgängen nicht abgestürzt. breitmachenden Gedächtnisverlust im Umgang mit unse- hat. Wozu muss man den Künstler kennen, wenn man sich Tempora mutantur et nos mutamur in illis. „Nieder mit der rer Tradition brandmarkt. doch direkt an die Werke halten und den Urheber ohne Schriftstellerei!“ „Produziert mehr poetry slam!“ „Nur noch Wenn wir daran glauben (und ich tue das), Musik sei etwas Schaden vergessen kann? Die Zurechnung auf Personen Texte fürs Internet!“ Solch polemische bonmots mögen Verbindliches, mehr als nur angenehmes Geräusch, könne wählt aus, akzentuiert eine fassbare, benennbare Stelle, einem in Momenten allergrößter Verzweiflung entfahren, sogar so etwas wie Erkenntnischarakter besitzen, dann ist wertet ein Einzelkriterium auf und führt auf diese Weise etwa, wenn wieder einmal ein Festival-Jahrgang Klischees schriftliche Niederlegung schlicht unerläßlich. Als Kompo- Kausalität ein. Aber wozu? von vor 40-50 Jahren, die in der Zwischenzeit zur Klapper- nist wende ich mich ganz entschieden gegen eine Talk- Es bleibt die Frage, ob der Blick auf den Urheber nicht die garde verkommen sind, als „Uraufführungen“ verhökert showisierung von Kunst, die mal eben locker-flockig etwas unmittelbare Sicht auf das Werk erst verstellt. Durch die

65

SEM 50 Jahre.indd 65 02.12.2009 08:43:02 Zurechnung auf den Urheber wählen wir einzelne Werke Die Zurechnung auf Personen diente zur Unterscheidung Sean Reed aus, verknappen die Anzahl der Möglichkeiten, geleitet von der Äußerungen Einzelner, indem sie Qualitäten berück- der allzu menschlichen Hoffnung, dass der Urheber, der in sichtigte, die sie über Kunstverständnis sozial rückversi- Die „zeitgenössische“ Musik war schon immer unverortbar. der Vergangenheit erfolgreich war, es auch in Zukunft sein chert. Dabei werden etablierte Meinungen in der Regel Schönberg, Holst und Ives wurden im selben Jahr geboren; wird. Wir verschaffen uns Identifikationspunkte und etab- bevorzugt – das kann nur teilweise glücken. die Musiken dieser Zeitgenossen sowie deren soziopoliti- lieren damit einen Personenkult, auf den wir uns beziehen Demgegenüber kann gerade durch verblüffende Neuheit schen Funktionen könnten aber kaum an unterschiedli- können. Als Gegenleistung erhoffen wir uns Zusatzinfor- individuelle Leistung deutlich gemacht werden. Wer also cheren Orten liegen. Der Unterschied zu heute ist, dass die mationen, die uns näher an das Werk heranführen. Aber weiterhin der Individualität zu entsprechen sucht, wird damals insular existierenden Orte durch die globale Ver- gerade diese Zusatzinformationen werden allzu oft von damit zur Anomalie gedrängt, zu Schockierung, Avant- netzung unmittelbar verbunden sind. außerkünstlerischen Gesichtspunkten wie finanziellen In- gardismus, zwanghafter Kritik und ähnlichen Selbststili- Das Paradoxe an der Globalisierung ist, dass sie gleichzeitig teressen, Streben nach Ruhm und dergleichen bestimmt. sierungen – aber das ist inzwischen zur kopierbaren Geste eine weltweite Vereinheitlichung der Ästhetik herbeiführt, Diese Informationen taugen daher nur sehr bedingt und geworden und entbehrt damit seinerseits jeder Novität. während sie aber auch eine Expansion von Nischenmu- eignen sich lediglich, ganze Bände von belletristischen Gleichzeitig wird der Urheber dazu verleitet, ein Oeuvre zu siken ermöglicht. Einst lokale Berühmtheiten sind heute Künstlerbiographien zu füllen. generieren, welches in sich geschlossen wirkt. Es verbie- internationale Megapersönlichkeiten; gleichzeitig kann Die Zurechnung auf Personen ist eine Vermarktungshilfe, tet ihm, größere Risiken einzugehen oder ganz allgemein aber jeder das Eigene ins Netz stellen und Interessenten die es den Produzenten und Verlegern erlaubt, ihre Arbeit durch häufigen Wechsel der stilistischen Kriterien ein un- dafür finden. zu optimieren. Das führt gelegentlich zu Absurditäten, einheitliches Gesamtbild zu hinterlassen. Was lange verortet werden konnte, waren die Auffüh- wenn etwa nach dem Tod des Urhebers dessen Werkstatt Das einzelne Werk kennt nur sich selbst, kennt nur seine rungsräume und die Art der Rezeption. Selbst wenn die durchforstet wird, um Unveröffentlichtes zu entdecken jeweils eigenen Gesetzmäßigkeiten. Gelegentlich ist auch „sub-kulturelle“ zeitgenössische Musik teilweise mangels und zu publizieren, selbst dann, wenn der Urheber explizit der Urheber Teil dieser Gesetzmäßigkeiten - aber eben nur Finanzierung und Publikum, teils um sich von dem Esta- diese Werke als unzureichend klassifiziert hat. Wem soll gelegentlich. blishment abzutrennen, in staubigen Kellerräume statt- dieser Personenkult dienen? findet, sitzt das Publikum immer noch meist bei stummer Die Zurechnung auf Personen wählt aus und akzentuiert. Aufmerksamkeit in verdunkelten Reihen. Sie selektiert den Schöpfer, nicht das Werk. Nur selten Franz Martin Olbrisch, geboren 1952 in Mülheim an der Durch das Radio und die Aufnahmemedien wurde der Saal steht das Werk ebenbürtig neben seinem Schöpfer. Und Ruhr. 1979-1985 Kompositionsstudium an der Hochschule durch privatere Räume ersetzt, und somit die dunklen Rei- wenn es dann – wie bei Rembrandts „Mann mit dem Gold- der Künste Berlin. Zahlreiche Kompositionspreise und Sti- hen und stille Aufmerksamkeit aufgehoben. Die Walkmans helm“ – zu einer Neuzuordnung kommt, entfachen sich pendien, darunter 1985 der Villa Serpentara in Olevano, und Mp3-Player vervollständigten den Fortschritt zum heftige, kontroverse Diskussionen, so als hätte sich etwas 1992/93 des ZKM in Karlsruhe, 1998 der Heinrich-Strobel- isolierten Musikerleben und undifferenzierten Zuhören. an dem Werk selbst geändert. Stiftung in Freiburg, 2001 der Paul Sacher Stiftung in Basel, Der Ort des Musikerlebens wird zum Ort des bei musika- Gäbe es als Selektionskriterium nur diese Auswahlverfahren, 2003 der Villa Aurora in Los Angeles, 2006 der Cité Interna- lischer Begleitung anderweitig Beschäftigtseins. Trotz der so liefe das auf eine Ablehnung aller Veränderungen und Va- tionales des Arts in Paris. 1994, 2004 und 2006 Dozent bei Verfügbarkeit des Audio-Streamings fungiert das Internet riationen hinaus. Die bereits etablierten Künstler böten die den Internationalen Darmstädter Ferienkursen für Neue eher als Erwerbsinterface für Gegenstände eines späteren, Kriterien nicht nur für ihren eigenen Fortbestand, sondern Musik, seit Herbst 2008 Professor für Elektronische Musik solitären, unaufmerksamen Hörens, seien sie global ver- auch für alle weiteren Werke. Man könnte zwar Abweichun- an die Hochschule für Musik Carl Maria von Weber in Dres- einheitlichte Konsumgüter oder Werke einer aufständi- gen erkennen, das Vorhandene aber nicht in Frage stellen. den. schen Untergrundmusik. Vor diesem Hintergrund müssen neue Kunstwerke dann Nicht der Komponist ist gestorben, sondern das Publikum unter strengeren Anforderungen als bisher überzeugen. ist am Sterben. Im Gegensatz zum anglo-franken Ausdruck

66

SEM 50 Jahre.indd 66 02.12.2009 08:43:02 des verstorbenen und zugleich neu angetretenen Königs, cher, dass das Bild des aus sich selbst schöpfenden Groß- aufgeführt, dass Musik in jedem Raum und Un-Raum die ähnelt der Tod des Publikums eher dem des Bartheschen, komponisten nicht so recht zutreffend sein kann. An seine dort vorhandene Luft zum Schwingungsträger machen nicht wiederzulebenden Autors. Wo sind wir denn nun, Stelle treten vielschichtig interagierende Menschen und konnte. wenn sich der Sinn nicht mehr beim Künstler findet und Apparate. Kollektive und künstliche Intelligenzen durch- Mir scheint, dass sich Ähnliches mit der instrumentalen der Rezipient nicht mehr zuhört? dringen einander, das Netzwerk tritt immer deutlicher in Klangerzeugung ereignet hat: auf dem Weg von ihrer den Vordergrund. materiellen Erzeugung durch ein Holz- oder Saiteninstru- In dieser Welt bleibt trotzdem noch Platz für das Individu- ment hin zur immateriellen, von jedem ehemals naturhaf- Sean Reed ist ein, in Dublin lebender amerikanischer Kom- um: nicht als abgekapseltes Ich, aber als einmaliger Kris- ten Material als dessen Voraussetzung befreiten, elektro- ponist für traditionelle Ensembles und elektroakustische tallisationspunkt. „Be a prism“ heißt es bei Joyce. Gerade nischen Klangerzeugung. Das ist u. a. auch daran ablesbar, Umgebungen. Seine Werke wurden bei den CYNETart, ISEA die Künste brauchen immer wieder radikale individuelle dass dieser instrumental unabhängig generierte elektro- und ICMC Festivals aufgeführt, am ZKM und EMPAC Ins- Positionen, um eingeübte Perspektiven aufzubrechen. Die nische Klang jetzt alle herkömmlichen Instrumente imi- titute produziert und präsentiert, sowie im Rahmen der neuen Technologien können dabei helfen, die Sinne zu tierend nachschöpfen kann und weit darüber hinaus die zeitoper Reihe der Hannover Staatsoper und dem Nach- schärfen für die Wahrnehmung von Details, auch etwa elektronischen Arten und Weisen seiner Erzeugung zum wuchsforum der Kölner GNM gespielt. Er promoviert zur- der körperlichen Aspekte der Musik. Vielleicht können wir Klang selbst machen kann. D.h., während der Geigenklang zeit an der Trinity College Dublin, wo er auch als Dozent für die Faszination einer Hand, die mit einem Bogen über eine bereits abrufbar da liegt, muss der Komponist den Klang, undergraduate und postgraduate Kurse in Komposition Saite streicht, heute viel intensiver erleben als zu Beetho- mit dem er dann komponieren möchte, erst erfinden, erar- und Musiktechnologie tätig ist. vens Zeiten! beiten – komponieren. Auf die Ablösung des Klanges vom Raum durch seine Ver- schriftlichung folgt die Entkopplung des Klanges vom Ins- Kilian Schwoon / Die Beethoven-Illusion Kilian Schwoon lehrt Elektronische Komposition an der trument durch seine elektronische Erzeugung. Hochschule für Künste Bremen. Ein wichtiger Fokus seiner Die heutigen ‚Elektronischen Studios’ sind, räumlich ge- Mozart, Haydn, die französische Revolution, die Metropo- kompositorischen Arbeit sind Verbindungen instrumenta- sprochen, Taschen-Studios, Laptops. Das allerdings ist le Wien, medizinische Umstände — ein Komponisten-Ich ler und elektronischer Mittel. Langjährige Forschungs- und noch kein substanzieller Schritt, sondern nur ein konse- formt sich ständig neu in einem Netzwerk unterschied- Interpretationstätigkeit in der Live-Elektronik am Centro quenter auf dem Weg der Technik- und Speicherraum- lichster körperlicher, sozialer und historischer Zusammen- Tempo Reale, Florenz. Verkleinerung. Was heute erscheinen mag wie ein vorläu- hänge. Es lässt sich also höchstens als Prozess begreifen, fig erreichter Endzustand, wird sich auch wieder als ein oder anders gesagt: Selbst Beethoven ist eine Illusion, da Durchgang erweisen. Ich gebe der die einzelnen Diszipli- hilft die schönste Büste nichts. Die konkreten, auf Papier Johannes Sistermanns / Der Klang weht, wo er will nen übernehmenden ‚Transdisziplinarität’ große Chancen, materialisierten Bewegungen seiner Hand lassen diese Il- uns hier flüssig zu halten. Außerdem kann ich der immer lusion allerdings sehr überzeugend erscheinen. Mit dem Klang im Mittelalter muss es so ähnlich gewesen noch weiter zunehmenden Vernetzung von Ideenaus- Heute spielen Codes bei der Entstehung von Klängen eine im- sein wie heute. Der Klang begann sich durch die beginnen- tausch, dem gemeinsamen gleichzeitigen interkontinen- mer wichtigere Rolle: Musiker, Medienkünstler und Program- de Verschriftlichung in aufkommenden Neumenzeichen talen Hören und gemeinsamen Komponieren in realtime mierer arbeiten auf verschiedensten Ebenen an intelligenten vom Aufführungsraum Kirche zu lösen. im Netz nicht nur den Community-Gedanken entlocken, klangerzeugenden Systemen, die sich immer mehr von der Diese Schnittstelle der Verschriftlichung von Raumklang sondern vermute auch, dass wir alle möglicherweise an Geste der schreibenden Hand des Komponisten entfernen. und komponierter Musik wurde eine dermaßen fruchtba- etwas noch nicht klar sich Abzeichnendem schaffen. Et- Diese Situation ist philosophisch nicht prinzipiell verschie- re Bruchstelle in den nächsten Jahrhunderten zwischen was, das jeden Einzelnen übersteigen mag, ein amorpher den von derjenigen vor 200 Jahren, es ist nur offensichtli- vorgestelltem Klang, notiertem und erst als Folge dessen dynamischer Prozess, der Unvorhergesehenes nach oben

67

SEM 50 Jahre.indd 67 02.12.2009 08:43:02 schaukelt . . . Gefallen würde mir eine Raum- und Zeit- Antje Vowinckel / Der Komponist lebt. elektronische Vorführungen. Bisher erschöpft sich die vi- reduzierung zwischen Idee und Umsetzung, zwischen Eine Trauerrede. suelle Phantasie von Komponisten elektronischer Musik Komponist und Elektronik. Oder, dass man auch ohne eine häufig in dem Versuch, als Piloten am Mischpult „spon- Initialvorstellung, sprich Idee, komponieren kann. Würde Der Komponist lebt. Aber wie mache ich das glaubhaft, tane“ Zuckungen am Regler zu simulieren. Damit kommt die oft erwähnte Schnelllebigkeit, Erfindungsdichte, zu- wenn Särge auf der Bühne stehen? Jede Box, die auf der man visuell gegen keinen Instrumentalisten an. Schluß nehmende Geschwindigkeit der Erdrotation noch schnel- Bühne steht, egal ob Soundkarte oder CD-Player ist eine damit, Neirds! Es gilt szenische Lösungen für diese Kon- ler werden, könnte so dieses dynamische Geschehen uns Black Box, von der man nicht weiß, was sie alles kann, bzw. zerte zu finden, was nicht heißen soll, dass jeder Sarg eine noch viel deutlicher bis hin zur vollständigen Überlappung schnell versteht, dass sie alles kann. Technische Program- Geschichte von Leben und Tod erzählen muß. zu einer tatsächlichen Gleich-Zeitigkeit, Gleich-Gültigkeit me verwandeln jeden Trompeten- in einen Geigenton, von spontanem Impuls – Umsetzung – hörbarem Klang Patches strukturieren komplexe Rhythmen oder virtuose treiben. Wäre dies das Tempo oder die eine Frequenz, um Melodien, und Klangarchive erschließen die Welt von der Antje Vowinckel, geb. 1964, lebt als Komponistin und Re- in die eigene Jetzt-Zeit zu kommen? Dann könnten wir Klospülung bis zum Niagarafall. Dabei sehen die Boxen gisseurin in Berlin. Zahlreiche - darunter preisgekrön- ganz entspannt zum elektronischen Abendkonzert auf den langweilig aus wie Särge, und die Komponisten machen es te - Rundfunkproduktionen. Schwerpunkte: Prosodische Mond einladen und nicht nur die Klänge live von der Erde sich darin gemütlich. Ihren Namen haben sie noch schnell Sprachkomposition und Szenische Akusmatik; Hörspiel gezippt abspielen, sondern auch den eigens benötigten at- außen dran geschrieben, aber eine Inventarliste nicht. Nun und Performance. mosphärischen Aufführungs-Raum hierfür leicht und mo- ja, viele, das wissen wir, liegen mit Max in der Kiste, aber mentan errichten, in dem dann dieser elektronische Klang nur wer Max gut kennt, kann erkennen, wer daneben liegt. verklingen soll. Vielleicht hat der Klang es ja schon immer Das ist vertrackt. Denn der erinnert uns jedesmal an zu Gerhard E. Winkler / Verflüssigungsmanifest gewusst: er weht, wo er will. Hause. Na gut, wenn alle einen haben, ist es egal, dann sieht man darüber hinweg. Eine der wichtigsten Strömungen im Komponieren der Problematisch wird es in Konzerten mit Instrumentalisten letzten 10 bis 20 Jahre scheint mir die Tendenz zur „flui- Johannes S. Sistermanns (*1955) realisiert seine Komposi- und Live-Elektronik, denn dort herrscht immer eine dop- den“ Partitur zu sein, wenn man so will: zur „Verflüssigung“ tionen in den Genres Elektroakustik, Musiktheater, Klang- pelte Asymmetrie: Die Sargboxen sind visuell langweilig, des traditionellen Werkbegriffes. Vorgeprägt in manchen Plastik, Hörstück, Performance sowie Urban Environment. bieten aber akustisch ein unendliches Potential. Der Ins- Werken der „aleatorischen“ Musik, aber auch in Luigi No- 1976-84 studierte er an der Musikhochschule Köln u.a. trumentalist ist visuell interessant, aber sein akustisches nos Rekurs auf Robert Musils „Möglichkeits-Sinn“, oder in Neues Musiktheater bei Mauricio Kagel. Vorlesungen, län- Spektrum ist begrenzt. Ihm ist man schon für relativ kleine Wolfgang Rihms „fleuve“-Konzeption: die Idee, dass ein gere Stipendienaufenthalte und Aufführungen führten Schritte in neues Terrain dankbar, während man zu einer Werk nicht nur in einer definierten Gestalt, sondern in ihn nach China, Japan, Australien und USA. Seine Werke vergleichbaren Klangveränderung aus der Box müde mit prinzipiell unzählbar vielen Versionen existieren kann. wurden bei internationalen Festivals (u.a. Knitting Facto- den Schultern zucken würde..... Die Identität der Werkgestalt wird ersetzt durch einen ry New York 1995, EXPO 2000, Donaueschinger Musikta- Leider gibt es kaum Komponisten elektronischer Musik, „Horizont des Möglichen“, innerhalb dessen die vielen ge) ausgestellt und aufgeführt. Sistermanns erhielt meh- die diese unterschiedlichen Erwartungen an Menschen Versionen dieses Werkes anzutreffen sind. Die Partitur rere Stipendien (u.a. Konrad-Adenauer-Stiftung Berlin, und Boxen in der Komposition reflektieren. Die Orte von (in Buchform fixierte Einzelgestalt, „das Werk“ als „Buch“) Heinrich-Strobel-Stiftung Freiburg, The Japan Foundation „hier geht alles“ und „hier geht manches“ sollte man aber verliert ihren ontologischen Status, an ihre Stelle tritt ein Tokyo, ZKM Karlsruhe) sowie Preise, u.a. Karl-Sczucka-För- nicht kaschieren, sondern transparent machen und in Relationenkern, zumeist ein vom Komponisten/von der derpreis 1997, Deutscher Klangkunst-Preis 2008. 2004 und einen Dialog bringen. Deswegen verlangen Konzerte, in Komponistin ausgearbeitetes oder zumindest konzipiertes 2006 war er Dozent bei den “Internationalen Ferienkursen denen sowohl Instrumentalisten als auch Zuspielklänge Computerprogramm, aus dem heraus sich die jeweils ver- Darmstadt“. vorkommen, weitaus mehr ein Bühnenkonzept als rein schiedenen Aufführungsversionen des Werkes entwickeln:

68

SEM 50 Jahre.indd 68 02.12.2009 08:43:02 nur so ist es möglich, auch weiterhin von einem - wenn haptische, olfaktorische oder gar gustatorische Daten nicht zuletzt in der Verwendung von Simulationsprogram- auch veränderten - Werkbegriff zu sprechen. oder Strukturen umgesetzt werden. Daran und an den men im Kompositionsprozess. Fluides und Fixiertes treten Wenn man zwischen den Möglichkeiten, KomponistInnen feinen Unschärfen, an den Auswucherungen und subtilen so in einen weiteren, inklusiven Austauschprozess ein. künftighin hauptsächlich als ImprovisatorInnen ihrer ei- Abstimmungen in den erwähnten Relationenkernen wird (Dieser Text ist die überarbeitete Version eines Beitrages, genen Werke, bzw. weiterhin als PartiturschreiberInnen sich auch weiterhin die künstlerische Qualität, - auch die der zum ersten Mal publiziert wurde in: Positionen, Beiträ- perpetuiert zu sehen, nach einer dritten Möglichkeit sucht individuelle schöpferische Handschrift -, eines Werkes er- ge zur Neuen Musik, Heft 56, August 2003, S.20-21) (und soferne diese nicht der völlige Verzicht auf die Rolle kennbar machen. des/der Komponisten/in sein soll, deren „Ver-über-flüssi- Und nur in Verbindung von beidem, - komplexer Relatio- gung“ sozusagen), ist der Werkbegriff, wenn auch in dieser nenkern als „Nucleus“ aller Möglichkeiten, sowie Interak- Gerhard E. Winkler, 1959 in Salzburg geboren. Ab 1974 erweiterten Form meines Erachtens unverzichtbar (es stellt tion als Antrieb zur Entfaltung der je individuellen Version Kompositionsstudium an der Hochschule ”Mozarteum” sich ja auch die Frage, ob nicht selbst „Konzept-Kunst“, im Zuge einer Aufführung -, kann es zu jenem musikali- (Helmut Eder), 1978 - 1986 Studium der Musikwissen- eben in dem wie auch immer definierten „Konzept“, eine schen Selbstorganisations-Prozess kommen, in dem sich schaft, Philosophie und Psychologie an den Universitäten Art Werk-“Kern“ festhält ...). aktuelle geistes- und naturwissenschaftliche Theorien mit Salzburg und Wien (Dissertation über Penderecki und die Die Grunderfahrung algorithmischen Komponierens: - es dem künstlerischen Schaffens- und Reflexionsprozess Klangkomposition im 20.Jhdt). 1993 Studienaufenthalt am könnte auch anders sein, treibt die fixierte Partitur ins Of- fruchtbar verbinden. IRCAM/Centre Pompidou, Paris. 1994/95 Gastkünstler am fene, Fluide. Und genau hier tritt noch ein Zweites hinzu: Ich habe in meinen Arbeiten der Jahre 1994 - 2004 meh- “Zentrum für Kunst und Medientechnologie”, ZKM, Karls- um hinlänglich komplex zu sein, müssen die erwähnten rere Zugänge zu dieser Region der musikalischen Selbstor- ruhe. 1995/96 Arbeitsaufenthalt am IRCAM/Centre Pompi- Relationenkerne bestimmte nichtlineare Eigenschaften ganisation eröffnet, wobei - beginnend mit dem „KOMA“- dou, Paris (KOMA-Projekt); besitzen, um ein ödes Abbeten von „Random-Mustern“ Projekt am IRCAM, dem „Hybrid“-Zyklus für SolistInnen, 1999 Gastkünstler am Music-Department der University zu verhindern. Modelle aus dem Bereich der Theorie kom- bis zu meiner interaktiven Sensoren-Oper „Heptameron“ of California, San Diego. Seit 1999 freischaffender Kompo- plexer dynamischer Systeme, z.B. Chaotische Modelle bzw. (ZKM/Münchener Opern-Biennale 2002) -, die interaktive nist. Entwicklung des Konzepts der „Realtime-Scores“ und emergente Systeme (die einen beginnen deterministisch Vernetzung von InterpretInnen mit Computer und Live- interaktiver Computer-Environments für MusikerInnen. und enden im Unvorhersehbaren, die anderen beginnen Elektronik im Zentrum stand. Dieses Konzept bedient sich Fortführung dieser Erfahrungen auch in partiturgebunde- zufallsgetrieben und enden in erkennbaren Mustern) eige- dabei des „Realtime-Scores“, einer von mir entwickelten nen Arbeiten. nen sich hiezu ganz besonders, ohne dass deswegen ande- Form von Partitur, die während der Aufführung generiert re Konzepte vergessen werden sollten: die Katastrophen- wird, und von den InterpretInnen direkt vom Computer- theorie von Rene Thom etwa, Neuronale Netze, Genetische bildschirm abgelesen wird (wobei natürlich andere Formen Algorithmen, und andere Simulationsmodelle. der Codierung verwendet werden als in traditioneller No- Eine Grunderfahrung im Umgang mit all diesen Systemen tation, die aber ebenso verbindlich sind wie diese - also zeigt jedoch, dass sie, um nicht in Gleichgewichtszustän- keine Improvisation, vielmehr eine Art dritter, neuer Weg den einzufrieren, „nach Aussen hin“ offen sein müssen, d.h. der musikalischen Interpretation), wobei die InterpretIn- eine Durchlässigkeit „zur Umwelt“ hin besitzen müssen. Und nen durch ihre Interaktionen mit dem System die Entwick- hier kommt nun das Konzept der Interaktion ins Spiel: als lung der jeweiligen Aufführungsgestalt bestimmen. „Störung“, als notwendiger „Unruhestifter“, als „Creator“ im Neue Medien wirken auch dort verändernd ein, wo sie eigentlichen Sinne: als Stachel im Fleisch des Systems. selbst nicht direkt in Erscheinung treten. Und so spiegelt Bei all dem bleibt natürlich die Frage, wie solche Simu- mein neuerliches (teilweises) Arbeiten mit wieder fixier- lationsmodelle ästhetisch relevant in klingende, optische, ten Partituren wesentliche Erfahrungen dieser Jahre wider,

69

SEM 50 Jahre.indd 69 02.12.2009 08:43:03 Bret Battey Lacus Temporis

70

SEM 50 Jahre.indd 70 02.12.2009 08:43:16 Lebensläufe (alphabetisch) dem 1. Preis im Bundeshochschulwettbewerb Komposition Francois Bayle sowie dem Folkwang-Preis für Komposition 1993. Wäh- Klaus Ager rend des Studiums bei Nicolaus A. Huber und Dirk Reith François Bayles gesamte musikalische Aktivität ist der Er- begann seine Zusammenarbeit mit den Choreographen forschung der akusmatischen Klangwelt gewidmet – ei- Klaus Ager wurde 1946 in Salzburg geboren. Er studierte Olimpia Scardi, Stefan Hilterhaus und Wanda Golonka. nem Zustand reinen Hörens, bei der die Aufmerksamkeit am Mozarteum und an der Universität in Salzburg, sowie Gastspiele führten sie an verschiedene Theater in Deutsch- nicht durch eine sichtbare oder vorhersehbare instrumen- am Conservatoire National et Superieur in Paris bei Olivier land und im europäischen Ausland. Nach dem Examen in tale Kausalität geweckt oder verstärkt wird. Die historisch Messiaen und Pierre Schaeffer. Zwischen 1975 und 1986 Komposition ging er mit einem DAAD-Stipendium an das frühste Nutzbarmachung der akusmatischen Hörsituation war er künstlerischer Leiter des Österreichschen Ensembles renommierte Computer Center for Research in Music and schreibt man dem Philosophen Pythagoras zu, der hinter für Neue Musik, mit dem er im In- und Ausland konzer- Acoustics (CCRMA) der Standford University, USA. Zwischen einem Vorhang Platz nahm, um seine Schüler in äußerster tierte. 1977 übernahm er die künstlerische Direktion des 1996 und 1999 ist Achim Bornhoeft Dozent an der Uni- Stille zu unterrichten und ihre Konzentrationsfähigkeit zu Neue-Musik-Festivals ASPEKTE SALZBURG in Salzburg, das versität Duisburg und an der Folkwang Hochschule in Es- entwickeln. Unter Berufung auf Pierre Schaeffer – Erfinder er in dieser Funktion bis 2006 leitete. 1981 war er Grün- sen. In den folgenden Jahren werden seine Kompositionen der Musique concrète – schlug François Bayle den Begriff dungsmitglied und bis 1991 Präsident der Europäischen auf internationalen Festivals im In- und Ausland gespielt. der akusmatischen Musik zur Bezeichnung der Arbeit im Vereinigung von Veranstaltern Neuer Musik (ECPNM). 1991 Vortrags- und Konzertreisen führen in u.a. in die Mongo- Studio vor, da er sie vom Spiel mit elektroakustischen Inst- gründete er die IG Komponisten Salzburg. Klaus Ager ist lei und nach Kirgisien. In Zusammenarbeit mit dem Archi- rumenten auf der Bühne unterscheiden und so eine Musik, Professor für Musikanalytik an der Universität Mozarteum, tekten und Bühnenbildner Ulrich Baumeister widmet sich die im Studio gestaltet, entwickelt und wie das Kino in den dessen Rektor er zwischen 1995 – 2000 war. In den letzten Achim Bornhoeft neben seiner Tätigkeit als Komponist auch Aufführungsraum projiziert wird, mit einem ihr angemes- Jahren führten ihn Einladungen als Gastkomponist und Lek- choreographischen Bühnenwerken, in denen er die abstrak- senen Ausdruck versehen wollte. Bei seinen Entdeckungen tor an verschiedenste Universitäten in Nord- und Südame- ten Bildwelten seiner musikalischen Werke in die Realität ist Bayle als leidenschaftlicher Bewunderer von Paul Klee, rika. Seit April 2004 ist er Präsident des Österreichischen eines visuellen Mediums transformiert. 1998 bekommt er Gaston Bachelard und Jules Verne einerseits auf die Zukunft Komponistenbundes und seit September 2006 Präsident das Kompositionsstipendium der Heinrich-Strobel-Stiftung ausgerichtet durch den ungezwungenen Umgang mit dem des „Europäischen Komponistenforums“, der Vereinigung des Südwestfunks und realisiert mit eigenem Ensemble zwei musikalischen Material. Andererseits ist er verwurzelt in der der europäischen Komponistenverbände. Als Komponistist abendfüllende Tanzproduktionen. 2001 ist er Stipendiat am alltäglichen und sehr konkreten Realität infolge der zahlrei- ist er in erster Linie durch Kammermusik, Orchesterwerke, Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) in Karls- chen Aufgaben, die mit der Entdeckung und Ausschöpfung elektronische und Computermusik hervorgetreten. Seine ruhe. Im Jahr 2003 erhält er das Kunststipendium am Mum- seines Forschungsbereichs verbunden sind, so etwa von Werke wurden bei den wichtigsten Festivals Neuer Musik in melsee für seine Skulptur „Orplid: Spiegel und Schilf“ und 1966 bis 1997 als verantwortlicher Leiter der Pariser Groupe der ganzen Welt aufgeführt. gründet zusammen mit den Komponisten Ludger Brümmer de Recherches Musicales (INA-GRM). 1932 auf Madagaskar und Michael Edwards den Musikverlag SUMTONE. Achim geboren, verbrachte Bayle seine Schulzeit in Bordeaux, ver- Achim Bornhoeft Bornhoeft lebt in Tübingen, wo er von 2005 bis 2006 an der folgte allerdings nicht einen klassischen, sondern vielmehr Eberhard-Karls-Universität Musikwissenschaft unterrichte- einen äußerst persönlichen musikalischen Ausbildungsweg. Noch vor seinem Kompositionsstudium an der Folkwang te. 2006 bekommt Achim Bornhoeft ein Arbeitsstipendium In diesem Zusammenhang hat er Pierre Schaeffer viel zu Hochschule in Essen gewann Achim Bornhoeft, Jahrgang am Künstlerhaus Lukas in Ahrenshoop und leitet seit dem verdanken; darüber hinaus erhielt er wichtige Impulse von 1966 den 1. Preis beim Forum junger Deutscher Kompo- Sommersemester desselben Jahres das Studio für Elektroni- Olivier Messiaen und besuchte Kompositionskurse bei Karl- nisten. Weitere Auszeichnungen folgten mit dem 1. Preis sche Musik am Mozarteum in Salzburg. heinz Stockhausen. beim Kompositionswettbewerb der Cooperativa Neue Mu- sik (CNM), dem Felix-Mendelssohn-Bartholdy Förderpreis,

71

SEM 50 Jahre.indd 71 02.12.2009 08:43:22 John Chowning (OENM), das Tiroler Ensemble für Neue Musik (TENM) oder er mit Experimenten auf dem Gebiet der computergestütz- das Ensemble Acrobat. ten Komposition begann, die 1956 in Zusammenarbeit mit Der amerikanische Komponist John Chowning wurde 1934 Leonard Isaacson in der „ILLIAC Suite“, der weltweit ersten in New Jersey geboren. Nach seinem Bachelor in Music an Jonathan Harvey Computerkomposition mündeten. 1959 gründete er das der Wittenberg University studierte er Komposition in Paris Studio für experimentelle Musik am Music Department der bei Nadia Boulanger und später, an der Stanford Universi- Der 1939 in Warwickshire geborene Komponist Jona- University of Illinois. Im Jahr 1968 wurde er zum Professor tät, bei Leland Smith, wo er 1966 promovierte. In Zusam- than Harvey erhielt seine erste musikalische Ausbildung für Komposition an die Universität von Buffalo berufen, wo menarbeit mit und David Poole entwickelte als Chorsänger am „St. Michael’s College“ in Tenbury und er zusammen mit Lukas Foss das „Center for Creative and er 1964 in den „Stanford Artificial Intelligence Laboratories“ später am „St John’s College“ in Cambridge. Er studierte Performing Arts“ leitete. 1967-69 entstand zusammen mit das erste Musikinformatik-Programm. Bekannt geworden an den Universitäten Glasgow und Cambridge und erhielt John Cage ”HPSCHD” für 1-7 Cembali und 1-51 Tonbänder. ist Chowning durch die Entdeckung der Frequenzmodulati- - auf die Empfehlung von Benjamin Britten hin - Privat- Seit 1974 war er (gemeinsam mit Morton Feldman) auch on zur Klangsynthese 1967, die der Firma Yamaha mit dem unterricht bei Erwin Stein und Hans Keller. In den frühen stellvertretender Direktor des Experimental Studio at Buffa- ersten kommerziell erfolgreichen digitalen Synthesizer DX7 1980er Jahren kam Harvey durch eine Einladung von Pierre lo. Lejaren Hiller starb 1994 in Buffalo. über Jahre quasi eine Monopolstellung auf diesem Markt Boulez ans IRCAM in Paris, wo er acht Stücke erarbeitete; sicherte. 1975 wurde er zum Gründungsdirektor des Center darunter das Tonbandstück „Mortuos Plango, Vivos Voco“, Josef Maria Horvath for Computer Research in Music and Acoustics (CCRMA) an das Computermusik-Stück „Ritual Melodies“ und „Advaya“ der Stanford University berufen, das er bis zu seiner Emeri- für Cello und Elektronik. In dieser Zeit entstand auch eine Josef Maria Horvath wurde 1931 in Pécs, Südungarn gebo- tierung 1995 leitete. Seine Forschungen im Bereich der Si- Zusammenarbeit mit dem Ensemble Modern, für das er zwei ren. Er studierte an der Hochschule für Musik in Budapest mulation von Raumakustik und -bewegung führten später Stücke schrieb. Harveys Œuvre umfasst neben Elektroni- Klavier, Komposition und Dirigieren. Nach seinem Diplom zur Entwicklung weiterer mehrkanaliger Aufnahme- und scher Musik sowohl Chor-, Solo- und Ensemble-Stücke, als 1956 emigrierte er nach Österreich. Hier setzte er an der Reproduktionssysteme. Zu seinen bekanntesten Stücken auch größere Orchester- und Musikdramatische Werke. Er Akademie Mozarteum seine Studien (Klavier, Komposition zählen u.a. Sabelithe (1971), Turenas (1972), Stria (1977) unterrichtete als Professor an der Sussex Universität (1977 und Elektronische Musik) fort und komponierte verschiede- und Phoné (1981). bis 1993), an der Universität in Stanford (1995 bis 2000) ne Werke, die aufgeführt und veröffentlicht wurden. Nach und als Gastprofessor am Imperial College in London. Von Erlangung des Diploms arbeitete er zunächst als Konzert- Marco Döttlinger 2005 bis 2008 war Harvey „Composer-in-Association“ des pianist in mehreren europäischen Ländern, wo er mit ver- BBC Scottish Symphony Orchestra. schiedenen Orchestern konzertierte. In dieser Zeit trat er Marco Döttlinger wurde 1984 geboren und studierte ab auch mehrmals als Dirigent und Organist auf. Die Pianis- 2004 an der Universität Mozarteum Salzburg Komposition Lejaren Hiller tenlaufbahn gab er 1962 auf, da das Klavierüben sich nicht und Musiktheorie bei Christian Ofenbauer sowie Elektro- mit dem kompositorischen Denken vertrug. Seitdem hatte akustische Musik und Elektronische Komposition bei Achim Lejaren Hiller wurde 1924 in New York City geboren. Schon er nur noch gelegentliche Auftritte. Im Jahre 1962 wurde er Bornhoeft. Ab 2008 studierte er am Conservatoire National früh interessierte er sich für Kompositionstheorie und lern- für moderne Kammermusik an das Mozarteum berufen; seit Superieur de Musique et de Danse de Paris (CNSMDP) bei te Klavier und Oboe. Während seines Chemiestudiums in 1970/71 unterrichtete er dort das Fach “Theorie und Praxis Frederic Durieux und Yan Maresz. Sein musikalisches Œuv- Princeton studierte er gleichzeitig Musiktheorie und Kom- der neuen Musik”. 1976 war Horvath Gründungsmitglied re reicht von Instrumentalwerken unterschiedlicher Beset- positionsstudium bei Milton Babbit und Roger Sessions. des Computermusik Rechenzentrums Salzburg (CMRS). zungsgrößen bis hin zu rein elektronischen Kompositionen. Nach seiner Promotion 1947 war er zunächst als Wissen- 1985 wurde er zum Ordentlichen Hochschulprofessor er- Seine Werke wurden von namhaften Ensembles aufgeführt, schaftler bei DuPont (Färben von Acrylfasern), sowie der nannt und 1990 emeritiert. Josef Maria Horvath wurde mit darunter das Österreichische Ensemble für Neue Musik chemischen Fakultät der Universität Illinois beschäftigt, wo mehreren Kompositionspreisen ausgezeichnet, darunter mit

72

SEM 50 Jahre.indd 72 02.12.2009 08:43:23 der Lilly-Lehmann-Medaille, dem Körner Preis und mit dem Vermeulen-Preis der Stadt Amsterdam und 1999 den Chris- landsaufenthalt an der Escola Superior de Musica de Lisboa, 1. Preis des Kammermusikwettbewerbs der Jeunesses Musi- toph und Stephan Kaske-Preis. 2002 wurde ihm die Ehren- Portugal an. Sie ist Preisträgerin internationaler Klavier- cales in Montréal. Kompositionsaufträge erhielt er u.a. von doktorwürde der philosophischen Fakultät der Universität und Kompositionswettbewerbe und erhielt u.a. in der IBLA den Salzburger Festspielen, SWF Baden-Baden, WDR Köln des Saarlandes, Saarbrücken, verliehen. Im Wintersemester Grand Prize World Music Competition in Ragusa, Sizilien, und dem ORF Wien. 2002/2003 war er Gastprofessor für Computermusik an der sowohl im Klavier- als auch im Kompositionswettbewerb Technischen Universität Berlin. einen 1. Preis sowie einen Sonderpreis für die Interpretati- Gottfried Michael Koenig on einer Eigenkomposition. Im Oktober 2009 wurde sie mit Andor Losonczy dem Kunstförderpreis der Stadt Augsburg ausgezeichnet. Gottfried Michael Koenig, geboren 1926 in Magdeburg, Barbara Mayers kompositorisches Werk umfasst Vokal- und studierte Kirchenmusik in Braunschweig, Komposition, Kla- Andor Losonczy wurde 1932 in Budapest als Sohn des Kom- Instrumentalmusik sämtlicher Gattungen. Ihre solistischen vier, Analyse und Akustik in Detmold, musisch-technische ponisten und Pianisten L. Deszö geboren und erhielt in Pécs und kammermusikalischen Kompositionen wurden sowohl Gestaltung in Köln und Computertechnik in Bonn. Mehre- und Budapest eine fundierte musikalische Ausbildung am von ihr selbst als auch von Ensembles wie „Laetitia Musica re Jahre nahm er an den Darmstädter Ferienkursen teil, wo Klavier und in Komposition. 1955 wurde er Solist der staat- (Wien)“ und dem „OENM“- Ensemble aufgeführt. Momen- er später auch als Dozent auftrat. 1954-1964 war Koenig lichen Konzertagentur „Filharmónia“. Er und seine spätere tan bereitet sie sich auf die Masterprüfungen in ihren Stu- ständiger Mitarbeiter am elektronischen Studio des WDR Frau Klara verließen 1960 (im Rahmen eines Musikwettbe- dienfächern vor. in Köln, wo er anderen Komponisten assistierte und eigene werbs) Ungarn. Im selben Jahr wurde er zunächst Vertrags- elektronische Kompositionen realisierte (Klangfiguren, Es- bediensteter an der Hochschule Mozarteum in Salzburg und Luigi Nono say, Terminus 1). Gleichzeitig schrieb er instrumentale Wer- übernahm 1986 eine Professur für Klavier mit dem Schwer- ke für Orchester und kammermusikalische Besetzungen. punkt auf Neuer Musik. Bis zu seiner Emeritierung 1998 Der italienische Komponist Luigi Nono kam am 21.1.1924 zur Seit 1958 war er Assistent am Hörspielseminar der Kölner hielt er Vorlesungen über moderne Musik und die Romantik. Welt. Er studierte Jura in Padua und Komposition bei Gian Musikhochschule, seit 1962 hatte er Lehraufträge für elekt- Bis auf zwei sind sämtliche vor 1960 in Ungarn komponier- Francesco Malipiero am Konservatorium in Venedig (von ronische Musik, Komposition und Analyse inne. 1964-1986 ten Werke verlorengegangen, fast alle elektronischen und 1943 bis 1945). Seine weitere musikalische Ausbildung erhielt war Koenig Mitarbeiter am Institut für Sonologie der Uni- Computer-Stücke (Aufenthalte in New York 1986 und am Nono durch Bruno Maderna und Herrmann Scherchen. Ab versität Utrecht, meist als dessen Direktor oder Vorsitzender. IRCAM in Paris 1980) sind unauffindbar. Er wirkte als Pianist 1950 nahm er regelmäßig an den Darmstädter Ferienkursen Zugleich entwickelte er seine Computerprogramme „Projekt bei etwa hundert Uraufführungen anderer zeitgenössischer teil; zuerst als Student, ab 1957 auch als Dozent. Einige seiner 1“, „Projekt 2“ und „SSP“, mit denen versucht wird, die Kom- Komponisten als Pianist mit. Auch spielte er bei zahlreichen frühen Werke wurden in diesem Rahmen uraufgeführt und position musikalischer Strukturvarianten zu formalisieren. Festivals und bei hunderten von Aufnahmen in verschiede- er selbst entwickelte sich zu einer der zentralen Figuren der Seine Produktion bestand zunächst aus weiteren elektroni- nen Rundfunkanstalten. musikalischen Nachkriegsavantgarde. schen Werken (Terminus 2, Werkreihe Funktionen), sodann Nonos ästhetitische Haltung war nie auf den musikalischen aus der Anwendung seiner Computerprogramme, die in Barbara Mayer Bereich beschränkt. Im Zentrum seines Denkens stand viel- Kammermusik (Übung für Klavier, Werkreihe Segmente, 3 mehr der Mensch an sich, was sich in den früheren Werken ASKO Stücke, u.a.) und Orchesterwerken (Beitrag, Concerti Barbara Mayer studiert an den Musikuniversitäten Mozarte- vor allem in einem verstärkten politischen Engagement in e Corali) resultierte. Seit 1986 widmet er sich der Kompo- um Salzburg und Anton- Bruckner Universität Linz Kompo- seiner kompositorischen Tätigkeit, etwa durch die Verwen- sition, der Computergrafik sowie der Entwicklung weiterer sition, Klavier Konzertfach und -pädagogik bei Prof. Adriana dung von Arbeiterliedern und politischen Texten, in seinem musikalischer Expertensysteme. 1991-93 erschienen die Hölszky und Prof. Margit Haider-Dechant. Im Studienjahr Spätwerk in einer Hinwendung zu die Existenz des Men- ersten drei Bände seiner theoretischen Schriften unter dem 2007/08 legte sie die Bachelorprüfungen in ihren Studien- schen betreffenden philosophischen Themen zeigt. Ab den Titel „Ästhetische Praxis“. Koenig erhielt 1987 den Matthijs fächern mit Auszeichnung ab und schloss daran einen Aus- frühen 60er Jahren setzte sich Nono intensiv mit der Ton-

73

SEM 50 Jahre.indd 73 02.12.2009 08:43:23 bandtechnik und den damit einhergehenden Möglichkeiten wurden in verschiedenen Computermusik-Studios in den um bei Darius Milhaud und Luciano Berio an das Mills Col- der elektronischen Klangtransformationen auseinander. USA (CCRMA/ Stanford, CNMAT/ Berkeley, CREATE/ Santa lege in Oakland, Kalifornien. Steve Reichs kompositorisches Zentrum seiner Arbeit war dabei das „Studio di Fonologia“ Barbara) und in Europa realisiert. Arbeiten begann am San Francisco Tape Center, wo 1965 in Mailand. Anfang der 80er-Jahre verlagerte sich sein Inte- sein Tonbandstück ”It‘s gonna Rain” entstand, in dem ge- resse an den elektronischen Verfahren auf den Bereich der Irmfried Radauer ringe Laufzeitverschiebungen zweier Bandmaschinen neue Live-Elektronik, die er im Freiburger Experimentalstudio ken- Klangeffekte erzielten. In den folgenden Jahren baute Steve nen lernte und die in der Mehrzahl seiner ab da entstande- Irmfried Radauer wurde im Jahre 1928 in Salzburg geboren. Reich seine ”Musik gradueller Prozesse” weiter aus, wobei nen Werke auf verschiedenste Art Verwendung fand. Nonos Ab 1946 studierte er an der Leipziger Musikhochschule die er sich zunehmend instrumentaler Umsetzungen bedien- Gesamtwerk gruppiert sich um drei zentrale großangelegte Fächer Klavier, Musiktheorie und Dirigieren. Danach setz- te. 1971 entstand nach intensivem Studium afrikanischer musikdramatische Werke: Intolleranza 1960 (1960/61), Al te er sein Studium am Mozarteum Salzburg fort. Ab 1948 Trommeltechniken mit dem Stück ”Drumming” die differen- gran sole carico d‘amore (1972/74) und Prometeo. Tragedia entstand eine Vielzahl kompositorischer Arbeiten, die ein zierteste Anwendung dieser rhythmischen Phasenverschie- dell‘ ascolto (1985). sehr breites Spektrum zeigen und welche im In- und Aus- bungen, womit Reich neben Terry Riley, LaMonte Young Luigi Nono starb am 8.5.1990 in Venedig. land aufgeführt wurden. 1958 begann er seine Lehr- und und Philip Glass zu den Hauptvertretern der Minimal oder Forschungstätigkeit an der Hochschule „Mozarteum“, und Repetitive Music avanvierte. 1966 gründete er in New York Stephen Travis Pope gründete dort Österreichs erstes Studio für Elektronische ein eigenes Tape Studio und bildete dort mit Arthur Murphy Musik und Aufnahmetechnik. Zwischenzeitlich verbrachte und Jon Gibson ein Ensemble, das unter dem Namen „Steve Der 1955 in New Jersey (USA) geborene Stephen Travis Pope er mehrere Jahre in den USA, wo er seine Studien der elek- Reich and Musicians“ bis zu 18 Musiker umfasste. Seit den studierte an der Cornell University (Ithaca, New York), an der tronischen Musik an der Stanford University in Kalifornien 80er Jahren beschäftigt sich Steve Reich in seiner Musik Wiener Musikakademie und am Mozarteum Salzburg. Die vertiefen konnte und zu einem anerkannten Spezialisten für nunmehr ausschließlich mit musikalischen Grundmustern Bandbreite seiner Ausbildung reicht vom Studium der Fä- Computermusik wurde. Nach seiner Rückkehr gründete er (Patterns), die in ihren Wiederholungen verschiedenen Per- cher Komposition und Musiktheorie bis hin zu Abschlüssen im Jahre 1976 zusammen mit den Komponisten Josef Ma- mutationen und Abwandlungen unterworfen werden. in den Bereichen Elektrotechnik, Informatik und Tontechnik. ria Horvath, Andor Losonczy und Gerhard Wimberger die In den Jahren 1981 bis 1986 war er – parallel zu seinem „Cooperative für Computermusik CMRS“. 1983 wurde das Dirk Reith Kompositionsstudium bei Cesar Bresgen – bei der von I. Ra- CMRS (Computermusik-Rechenzentrum Salzburg) mit Ra- dauer gegründeten Salzburger Computermusikcooperative dauer als künstlerischem Leiter an der Universität eröffnet. Dirk Reith geb. 1947, studierte Komposition an der Robert CMRS als Systemadministrator und Dozent tätig. Seit Be- 1970 erhielt er den Österreichischer Staatspreis. Bis zu sei- Schumann Musikhochschule in Düsseldorf bei Milko Kele- endigung seiner Studien unterrichtete er sowohl Musik als ner Emeritierung war Irmfried Radauer Lehrkanzelinhaber men und absolvierte parallel dazu ein Tonigenieurstudium. auch Informatik und arbeitete als Komponist, Softwareent- für Elektronische Musik und Computer-Musik an der Uni- Von 1974 bis 1976 studierte er Computer-Komposition am wickler, Engineering Manager, Berater/ Mentor/ Trainer so- versität Mozarteum. Er starb im Jahr 1999. Institut of Sonology der Universität Utrecht bei Gottfried wie als Herausgeber und Musiker. Von 1988 bis 1997 war Michael Koenig. Anfang der 70erJahre begann er mit dem er Chefredakteur der von der MIT-Press herausgegebenen Steve Reich Aufbau des Elektronischen Studios der Folkwang-Hoch- Zeitschrift Computer Music Journal. Im Jahr 2000 kam er schule Essen und der Erarbeitung eines speziellen Studien- erster Edgard-Varèse-Gastprofessor für Computermusik Steve Reich geboren 1936 in New York, studierte zwischen gangs für elektronische Komposition. 1986 war er innerhalb an die Technische Universität Berlin. Zur Zeit ist er u.a. als 1953 und 1961 erst Philosophie an der Cornell University, eines Forschungsvorhabens Leiter des Fachbereichs Musik Wissenschaftler am Center Research in Electronic Art Tech- dann Komposition an der Juilliard School of Music New in der Projektgruppe zur Planung des ZKM (Zentrums für nology (CREATE) im Fachbereich Musik der University of Ca- York (bei William Bersma und Vincent Persichetti). Anschlie- Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe). Seine Werke lifornia in Santa Barbara tätig. Seine musikalischen Arbeiten ßend wechselte er für ein zweijähriges Kompositionsstudi- wurden in Europa, USA, Ostasien und Australien aufgeführt.

74

SEM 50 Jahre.indd 74 02.12.2009 08:43:23 Die Komposition „nested loops III“ für Klavier und Tonbänder die Computer Sound Systeme an der „Faculté d‘Orsay“ und Seine Sammlung von Kompositionen „Point Line Cloud“ ge- wurde für die ICMC (International Computer Music Confe- an der Universität von Paris auf (1970-71) und leitete die wann 2002 den Award of Distinction bei der Ars Electronica rence) 1986 in Den Haag ausgewählt, die Komposition ver- Computer Abteilung am IRCAM von 1975 bis 1979. An der in Linz. STIMMUNG für die ICMC 1996 in Hong Kong. 2000 wurde „Université d‘Aix-Marseille“, deren Computer Sound System bei der ICMC in Berlin die Komposition „Dialog“ für Altsaxo- er 1974 einrichtete, lehrtete er von 1972 bis 1975 und von Boguslaw Schaeffer phon, Tonband und Video aufgeführt. Dirk Reith veröffent- 1979 bis 1985. In den Jahren 1987 und 1989 war er Com- lichte verschiedene Texte zur Kompositionstheorie in instru- poser-In-Residence am Media Laboratory des MIT. Neben Boguslaw Schaeffer, Komponist, Musikwissenschafter, Gra- mentaler und elektronischer Musik und zu umfangreichen seiner Tätigkeit als Komponist von elektronischer und inst- fiker, Autor und Pädagoge wurde am 6. Juni 1929 in Lwow Forschungsvorhaben auf dem Gebiet der Computermusik. rumentaler Musik schrieb Risset auch zahlreiche Texte zum (jetzt: Lviv, Ukraine) geboren, erhielt seine musikalische Aus- Als Gastdozent lehrte er an Universitäten und Instituten u.a. Themengebiet Elektronische Musik/Computermusik, die in bildung in Opole, Krakau und bei Luigi Nono. In den fünfzi- in Holland, Frankreich, Italien, Russland, USA, Australien, verschiedenen Zeitschriften veröffentlicht wurden und ein ger Jahren arbeitete er parallel zu seiner kompositorischen Israel, Japan und Korea. In den letzten Jahren beschäftigt Buch mit dem Titel „An Introductory Catalog Of Computer Tätigkeit als Kritiker und Redakteur für das Musikmagazin er sich kompositorisch vornehmlich mit der Verbindung Synthesized Sounds“ . ‚Ruch Muzyczny‘, für Radio Krakau und den Musikverlag von mechanischen Instrumenten und Elektronik, multime- ‚Polskie Wydawnictwo Muzyczne‘. Zudem unterrichtete er dialen Bühnenprojekten und algorithmischen Kompositi- Curtis Roads an der Krakauer Uniwersytet Jagiollonski Musikwissen- onsmethoden. Dirk Reith ist Professor für Komposition an schaft, sowie ab 1963 an der Krakauer Musikhochschule der Folkwang Hochschule Essen und künstlerischer Leiter Curtis Roads arbeitet, unterrichtet und forscht in dem inter- Komposition. Ab den Sechziger Jahren widmete er sich ver- des ICEM (Institut für Computer-Musik und elektronische disziplinären Feld zwischen Musik und Technologie. Er stu- stärkt seiner kompositorischen Tätigkeit, so auch in Form Medien), sowie Begründer des Internationalen Festivals für dierte Computerkomposition am Carlifornia Institute of the der Zusammenarbeit mit dem ‚Studio Eksperymentalne‘ des Computer-Musik und Medienkunst EX MACHINA in Essen. Arts, an der University of Carlifornia in San Diego (UCSD) polnischen Rundfunks, während der die ersten Kompositi- und promovierte an der Université Paris VIII. Zwischen 1978 onen für elektronische Musik entstanden. 1966 promovier- Jean-Claude Risset und 2000 war er der Herausgeber des Computer Music te er an der Universität Warschau. Von 1986 bis zu seiner Journals und 1979 Mitbegründer der International Compu- Emeritierung 1997 hatte er am Mozarteum Salzburg die Der 1938 in Frankreich geborene Jean-Claude Risset erhielt ter Music Association. Neben seiner wissenschaftlichen Ar- Professur für Komposition inne. 1995 wurde ihm die Ehren- seine kompositorische Ausbildung durch Suzanne Demar- beit im Bereich der Computermusik am MIT arbeitete Roads mitgliedschaft der polnischen ISCM/SIMC verliehen. Scha- quez und André Jolivet an der „École Normale Supérieure auch einige Zeit für die Computerindustrie. Er unterrichtete effers musikalisches Oeuvre umfasst über 550 Kompositi- de Paris“. Daneben studierte er Klavier und Mathematik; sein elektronische Komposition an der Harvard University und onen aller Gattungen, überdies auch 46 Theaterstücke, die wissenschaftliches Doktorat schloss er 1967 ab. 1965 und Klangsynthese an der University of Naples. Darüber hinaus in sechzehn Sprachen übersetzt wurden, sowie viele musik- von 1967 bis 1969 arbeitete er bei Max Mathews an den war er stellvertretender Direktor der pädagogischen Abtei- wissenschaftliche Beiträge in Fachjournalen und Büchern Bell Laboratories, wo er sich vor allem mit Klangsynthese, lung des Instituts Les Ateliers UPIC (später CCMIX) und lehr- („Almanach polskich kompozytorow wspolczesnych“ 1966, Tonhöhenparadoxien und anderen psychoakustischen Phä- te an der Musikfakultät der Universität Paris VIII. Sein Buch “Nowa Muzyka: Problemy wspolczesnej techniki kompozy- nomenen, sowie der Erforschung von Blechbläserklängen „The Computer Music Tutorial“ gilt als eines der Standard- torskiej“, 1958 u.v.a.). Seit den Sechziger Jahren werden sei- beschäftigte. Von 1969 bis 1972 war er am „Centre Natio- werke der Elektronischen Musik. Viele seiner Kompositionen ne Werke regelmäßig beim Warschauer Herbst aufgeführt nal de la Recherche Scientifique“ in Marseille tätig. Ab 1985 verwenden Techniken der Granular- und Pulsarsynthese mit und es wurden etwa 80 Porträtkonzerte veranstaltet, unter hatte er dort die Position des „Directeur de recherche at the selbstentwickelten Methoden zur Klanggenerierung mittels anderem in Oslo, Amsterdam, Princeton, Mexico City, Salz- Laboratoire de Mécanique et d‘Acoustique“ und ab 1999 kleinster Klangpartikel. Sein Buch „Microsound“ gilt als Re- burg, Istanbul, Berlin und Wien. wurde er zum „Directeur de recherche émérite“. Risset baute ferenz für alle gängigen Techniken dieser Klangsynthese.

75

SEM 50 Jahre.indd 75 02.12.2009 08:43:23 Karlheinz Stockhausen James Tenney Mitarbeiter des World Soundscape Project (WSP) schrieb er das wegweisende Buch ”Acoustic Communication”, das sich Geboren am 22. August 1928 in Mödrath bei Köln, gestorben James Tenney wurde 1934 in Silver City, New Mexiko, USA mit allen Aspekten von Klang und Technologie beschäftigt. am 5. Dezember 2007 in Kürten. Stockhausen studierte 1947 geboren. Tenney wuchs in Arizona und Colorado auf, wo er Als Komponist ist er bekannt geworden für seine Arbeit mit bis 1951 an der Kölner Musikhochschule Klavier, Schulmusik seinen ersten Klavier- und Kompositionsunterricht erhielt. Er dem PODX, dem ersten System für Computermusik mittels und Komposition bei Frank Martin. In den Jahren 1952/53 besuchte die Universität von Denver, die Juilliard School of Echtzeit-Granularsynthese, mit dem er Stücke für Tonband war er Schüler von Olivier Messiaen in Paris und befasste Music, das Bennington College und die Universität von Illi- mit und ohne Instrumentalisten und verschiedene audio- sich dort auch mit der Musique concrète. 1953 begann er nois. Er wurde u.a. von Eduard Steuermann am Klavier aus- visuelle Werke realisierte und die durch das von ihm 1985 seine Dozenten-Tätigkeit in Darmstadt bei den Internati- gebildet und erhielt Kompositionsunterricht bei Edgar Varèse gegründete Cambridge Street Records Label veröffentlicht onalen Ferienkursen für Neue Musik und wurde ständiger und John Cage. Er war Mitbegründer und Dirigent des Tone wurden. 1991 gewann er mit seinem Stück ”Riverrun” den Mitarbeiter des Studios für elektronische Musik am WDR Roads Chamber Ensemble in New York City (1963–1970). Hauptpreis der International Competition of Electroacoustic Köln, dessen Leitung er 1963 übernahm. In einem von ihm Auf dem Gebiet der elektronischen Musik und Computermu- Music in Bourges. Barry Truax ist Dozent des Canadian Mu- selbst entworfenen Kugelauditorium wurden während der sik gehört er zu den Pionieren und arbeitete in den frühen sic Centre (CMC) sowie Gründungsmitglied der Canadian Weltausstellung Expo ’70 in Osaka, Japan, mit 20 Instru- 1960er Jahren u.a. mit Max Matthews in den Bell Telephone Electroacoustic Community (CEC) und des World Forum for mentalisten und Sängern an 183 Tagen 5 Stunden täglich Laboratories an der Entwicklung von Software für Klangsyn- Acoustic Ecology (WFAE). die meisten bis 1970 komponierten Werke Stockhausens für these und Komposition. Tenney komponierte sowohl für In- über eine Million Zuhörer aufgeführt. In den Jahren 1971 strumente als auch für elektronische Klangerzeuger, wobei Edgar Varèse bis 1977 war er als Professor für Komposition an der Kölner viele davon alternative Stimmungssysteme verwenden. In Musikhochschule tätig. 1975 wurde der Stockhausen-Verlag seiner viel beachteten theoretischen Schrift „Meta/Hodos“, Edgard Varèse wurde 1883 in Paris geboren. Nach vorange- gegründet, in dem der Großteil der Partituren, die Texte zur die 1961 erschien, entwickelte er eine neue Methode der mu- gangenem Ingenieurstudium begann er 1904 sein Musik- Musik und seit 1991 eine CD-Gesamtausgabe veröffentlicht sikalischen Analyse. Mit seinen umfassenden musikalischen studium an der Pariser Schola Cantorum, wo Albert Rous- wurden. Stockhausen komponierte ab 1977 das musiksze- Forschungsarbeiten vor allem auf dem Gebiet der mikroto- sel, Vincent d‘Indy und Charles Bordes zu seinen Lehrern nische Werk LICHT, Die sieben Tage der Woche. Nach der nalen Harmonik und Akustik wurde er zu einem der wich- zählten. 1905 wechselte er an das Pariser Konservatorium Uraufführung von LICHT-BILDER am 16. Oktober 2004, der tigsten und einflussreichsten Komponisten und Lehrer seiner um bei Charles-Marie Widor Komposition zu studieren. zuletzt komponierten Szene von Stockhausens Werk LICHT, Generation. 1993–94 war er Gast des DAAD in Berlin. James 1907 beendete er dieses Studium ohne einen regulären begann Stockhausen das Werk KLANG, Die 24 Stunden des Tenney lehrte am Polytechnic Institute of Brooklyn, der Uni- Abschluss. Von den in der Folgezeit entstandenen Werken Tages. Bis 2007 komponierte er die 1. Stunde HIMMELFAHRT versity of California, an der York University in Toronto und am ist - bis auf wenige Ausnahmen - nichts erhalten geblie- bis zur 21. Stunde PARADIES. Seit 1998 finden jährlich die California Institute of the Arts. Zuletzt war er Professor an der ben. 1915 emigrierte Varèse in die USA und entwickelte Stockhausen-Kurse Kürten für Komponisten, Interpreten, York University in Toronto und lebte in Valencia (Kalifornien), in den ab den frühen 20er-Jahren komponierten Stücken Musikwissenschaftler und Gasthörer statt. Insgesamt kom- wo er 2006 im Alter von 72 Jahren starb. eine radikal neue und für die Entwicklung der Musik des ponierte Stockhausen 370 einzeln aufführbare Werke, von 20. Jahrhunderts einflussreiche Klangästhetik, in deren Zen- denen mehrere die Entwicklung der Avantgarde nach dem Barry Truax trum das Verständnis von Musik als »son organisé«, als or- zweiten Weltkrieg maßgebend geprägt haben. ganisiertem Klang, stand: die traditionellen Kategorien der Der 1947 geborene Barry Truax ist Professor an der School musikalischen Struktur treten dabei in den Hintergrund und of Communication und der School for the Contempora- werden durch neue Verfahrensweisen, wie der Konzepti- ry Arts an der Simon Fraser University, wo er akustische on komplexer Klänge hinsichtlich ihrer Dichte oder Bewe- Kommunikation und elektronische Musik unterrichtet. Als gungsrichtung, ersetzt. Nach frühen Versuchen, das einem

76

SEM 50 Jahre.indd 76 02.12.2009 08:43:23 Komponisten zur Verfügung stehende klangliche Spektrum Trevor Wishart Iannis Xenakis durch die Verwendung elektronischer Instrumente wie The- remin oder Ondes Martenot in seinen Instrumentalwerken Trevor Wishart wurde 1946 in Leeds geboren und lebt als Iannis Xenakis wurde am 22. 5. 1922 als Sohn griechischer zu erweitern, erstellte er für das im Jahr 1954 uraufgeführte freier Komponist in York. Sein kompositorisches Denken Eltern in Braïla (Rumänien) geboren; 1932 wanderte er mit Werk „Déserts“ erstmals reine Tonbandpassagen, die als ei- kreist um vier Bereiche: 1. Die Kritik am westlichen Nota- seinen Eltern nach Griechenland aus. Er studierte zunächst genständige formale Abschnitte zwischen die Instrumental- tionssystem; 2. die Bedeutung der Tonaufnahmetechnik für am Polytechnikum in Athen, wo er 1947 mit einem Diplom passagen gesetzt wurden. Kurz danach komponierte er sein die Musik; 3. die menschliche Stimme als das universals- als Bauingenieur abschloss. Nachdem er als Widerstands- einziges reines Tonbandstück „Poème électronique“ für die te Musikinstrument und 4. den Computer, der eine präzise kämpfer gegen die Nazi-Okkupation in Griechenland zuerst Brüsseler Weltausstellung 1958. Dort erklang es im von Le Kontrolle aller akustischen Eigenschaften eines Klangs er- schwer verwundet, danach sogar zum Tode verurteilt wur- Corbusier und dessen damaligem Assistenten Iannis Xena- möglicht. Wishart promovierte 1973 in Musik an der Uni- de, floh Xenakis nach Paris. Dort war er zunächst auf dem kis konzipierten Philips-Pavillon über ein System von 300 versity of York und begann seine musikalische Laufbahn mit Gebiet der Architektur als Assistent von Le Corbusier tätig. Lautsprechern. Varèse starb 1965 in New York. der Komposition reiner Tonbandmusik. ”Red Bird - A politi- Zu den bekanntesten Bauprojekten dieser Zusammenarbeit cal prisoner‘s dream” gewann 1978 einen Preis beim Festival zählt sicher der von Xenakis entworfene Philips-Pavillon für Gerhard Wimberger für Elektroakustische Musik in Bourges. In der Folge kon- die Brüsseler Weltausstellung 1958. Parallel zu seiner Ar- zentrierte sich Wishart auf die Möglichkeiten der menschli- beit als Architekt begann Xenakis aber schon sehr früh nach Gerhard Wimberger wurde 1923 in Wien geboren und ist chen Stimme, die er vier Jahre lang als Mittel der Klangpro- seiner Ankunft in Paris, seine musikalische Ausbildung zu seit 1927 in Salzburg ansässig. 1940 bis 1947 studierte duktion erforschte und dessen Ergebnisse er 1985 in seinem vertriefen. So studierte er zunächst bei D. Milhaud und A. er Komposition bei Cesar Bresgen und Johann Nepumuk Buch ”On Sonic Art” zusammenfasste. 1986 gründete er mit Honegger an der Ecole Normale de Musique und ab 1952 David, sowie Dirigieren bei Clemens Crauss und Bernhard anderen Komponisten in York das ”Composer‘s Desktop belegte er Kompositionskurse bei Olivier Messaen, der ihn Paumgartner. In den Jahren nach seinem Studium wirkte Project” (CDP). Dieses Projekt hat das Ziel, professionelles ermunterte, seine wissenschaftlichen Kenntnisse in die Mu- er als Korrepetitor an der Wiener Volksoper und als Kapell- elektroakustisches Komponieren mit geringem finanziellen sik einzubringen. Ab der Mitte der 50er-Jahre begann Xe- meister am Salzburger Landestheater. Von 1953 bis 1981 Aufwand möglich zu machen. Dazu wurden notwendige nakis dann mathematische Methoden, wie Wahrscheinlich- war er Leiter der Dirigentenklasse am Mozarteum Salzburg minimale Hardware-Peripherie entwickeln, die Software für keitstheorie, Spieltheorie und mathematische Logik, in den und von 1968 bis 1991 zusätzlich auch Leiter einer Kompo- spezielle kompositorische Aufgaben schrieben die Kompo- kompositorischen Prozess zu integrieren. Mit der Urauffüh- sitionsklasse. Ab den späten 50er-Jahren beteiligte er sich nisten selbst oder integrierten Software von größeren For- rung von Metastasis bei den Donaueschinger Musiktagen maßgebend am Aufbau eines Salzburger Studios für Elekt- schungsinstitutionen wie dem IRCAM. Sein Buch ”Audible 1955 unter der Leitung von Hans Rosbaud gelang Xenakis ronische Musik und war von 1976 bis 1989 Geschäftsführer Design” (1987) erforscht das neue Universum von musikali- der Durchbruch an die Spitze der internationalen Szene der der Computermusik-Cooperative CMRS. schen Möglichkeiten, das durch den Computer erschlossen neuen Musik. 1960 beendete Xenakis seine Tätigkeit als As- Neben seiner Tätigkeit als Komponist, Dirigent und Lehrer wird. Für seine Komposition ”Tongues of Fire” wurde ihm sistent von Le Corbusier und widmet sich von da an ver- lag ihm stets daran sich für das aktuelle Musikgeschehen auf der Ars Electronica in Linz 1995 die berühmte »Goldene stärkt der Musik. Neben der intensiven Arbeit an eigenen einzusetzen: von 1971 bis 1991 gehörte er dem Direktorium Nica« verliehen. 2006 war er als composer-in-residence an Kompositionen unterrichtete er an mehreren Hochschu- der Salzburger Festspiele an und von 1990 bis 1998 stand er der University of Durham und erhielt 2008 den Giga-Hertz- len bzw. Universitäten, publizierte Texte zu musikalischen der Verwertungsgesellschaft AKM als Präsident vor. Preis für elektronische Musik, der gemeinsam vom Institut Themen (u.a. zur eigenen Kompositionstechnik), half neue Seine umfangreiche Werkliste erstreckt sich von solistischen für Musik und Akustik am ZKM Karlsruhe und dem Freibur- Ansätze in der Computermusik zu entwickeln (UPIC) und Instrumentalstücken bis hin zu umfangreichen musikdra- ger Experimentalstudio des SWR verliehen wird. Zur Zeit ist engagierte sich für die Verbindung von musikalischer und matischen Werken. er Gastprofessor an der University of York und Forschungs- naturwissenschaftlicher Grundlagenforschung. Xenakis stipendiat an der University of Birmingham. starb am 4. 2. 2001.

77

SEM 50 Jahre.indd 77 02.12.2009 08:43:24 Curtis Roads / Brian O‘Reilly Volt Air I - IV

78

SEM 50 Jahre.indd 78 02.12.2009 08:43:31 Impressum:

© 2009, Studio für Elektronische Musik, Universität Mozarteum

Mirabellplatz 1 5020 Salzburg Austria

tel +43 (0)662 6198 5122 [email protected] www.moz.ac.at/sem

Redaktion: Achim Bornhoeft, Jürgen Neuhofer Umschlaggestaltung: Achim Bornhoeft Layout: Elisabeth Nutzenberger Lektorat: Achim Bornhoeft, Marco Döttlinger, Jürgen Neuhofer Herstellung: Laber Druck Redaktionsschluss: 23. November 2009 Änderungen vorbehalten

79

SEM 50 Jahre.indd 79 02.12.2009 08:43:37 Diana Wesser Knocking at abandoned rooms

80

SEM 50 Jahre.indd 80 02.12.2009 08:43:44 i, r'1 ! J ,, 'iÜb