SPEKTRUM SEITE 26 9. APRIL 2021 / NR. 6 / KUNST UND AUKTIONEN

„Ich möchte nicht in die Vergangenheit schauen“ Der Schauspieler Sylvester Groth über seine Liebe zur Kunst

ylvester Groth, gerade 63 Jah- dann direkt zur Schauspielschule. Das re alt geworden, gehört zur war von 1977 bis 1980. ersten Garnitur deutscher Schauspieler. Der vielfach aus- Wie hast du aber dann den Weg zur Sgezeichnete Darsteller, Hörbuch- und bildenden Kunst gefunden? Über den Synchronsprecher blickt auf eine erfolg- Kunstunterricht? reiche Bühnenkarriere zurück – war Das kam durch . In Leipzig unter anderem an der Berliner Schau- war die Hochschule der Künste. Und bühne, am Wiener Burgtheater sowie dadurch lernte ich einfach Maler bei den Salzburger Festspielen engagiert. kennen: Sighard Gille (* 1941), Gud- Mit großen Publikumserfolgen begann run Brüne (* 1941), Bernhard Heisig sein Theaterengagement in (1925 – 2011) … Also das ergab sich und dann am Staatsschauspiel . dann so. Johannes (* 1953) und Wal- Seine erste Kinohauptrolle spielte er in ter Heisig (1909 – 1984) habe ich Frank Beyers DEFA-Film „Der Aufent- dann erst später kennengelernt. Vor halt“, der bundesdeutschen Öffentlich- allem Walter habe ich immer sehr ge- keit ist er durch die Reihe „Tatort“, in schätzt. Ich verehre ihn sehr. Und die der er 1998 in „Schimanski“ debütierte, Saskia Gille, die damalige Frau von und als Magdeburger Kriminalhaupt- Sighard: Sie hat mich eigentlich so kommissar Jochen Drexler im „Polizei- eingeführt in die Kunst. Die kannte ruf 110“ bekannt. Einem weltweiten natürlich alle – und dann schaute man Publikum empfahl er sich in Streifen sich natürlich Ausstellungen, Bilder wie „Stalingrad“ (1993), „Mein Führer“ an. Nicht dass sie mir etwas erklärte, (2007), „Hilde“ (2008) sowie als Joseph sondern man merkte so ganz neben- Goebbels in Quentin Tarantinos „In- bei, worauf es ankommt, wenn man glourious Basterds“ (2009). Das Film- ein Bild anschaut. Denn das muss museum Potsdam ehrte den Schau- man auch lernen: ein Bild anzusehen spieler 2013 mit einer Retrospektive. und nicht einfach vorbeizugehen; hin- Mit unserem Autor Sebastian C. Stren- zugehen und zu schauen, was ist da ger führte Groth ein sehr privates Inter- drin und was mich darin interessiert. view – und offenbarte dabei nicht nur Manchmal ist nichts drin, dann geht seine Liebe zur Kunst und zum Sam- man auch weiter. Und da hab ich in meln, sondern erklärte dabei so ganz Leipzig eine ganz gute Schule gehabt. nebenbei auch noch den Zusammen- Das waren da natürlich auch tolle hang zwischen Kunst und Schauspiel. Maler. Ja – besser ging’s in der DDR nicht. Das war schon die Crème de la Wie läuft’s gerade? Crème und das Beste vom Besten. Die Filmbranche dreht wie verrückt. Aber da war manchmal natürlich auch Gott sei Dank. ziemliches Zeug dabei. Aber das „Wenn Tarantino nochmal anrufen würde für Goebbels, macht ja nix. Das gehört ja auch dazu. Aber das trifft doch nur auf die würde ich es sofort wieder machen“ Filmschauspieler zu … War das auch gleichbedeutend mit: Ja, leider, die Theaterschauspieler trifft Ich will das haben? Oder wolltest du es härter. Obwohl: Die Festengagierten werden ja der machen. Weil du da eben auch weißt, dass du dich nur damit beschäftigen? weiterbezahlt. Und der Staat zahlt ja Subventionen, in guten Händen bist! Aber es einfach nur so zu Haben, haben, haben, haben! Doch, das wollte ich wenn die Eintrittsgelder wegbrechen. machen, ohne Idee? Nee, das ist doch uninteressant. dann schon haben. Doch! Und da will man dann auch nicht unbedingt drun- Und bei dir? Machst du so übers Jahr drei bis ter gehen. Bist du dann in die Ateliers damals oder hast du fünf Projekte? dich des staatlichen Kunsthandels bedient? Es kommt auf die Angebote an. Es wird einem ja Wie fing das überhaupt für dich mit der Schau- Nee, das habe ich mich da nicht so wirklich getraut. viel angeboten. Aber es ist auch sehr viel dabei, was spielerei an? Ich hab’ damals auch noch nicht so viel Geld gehabt, ich nicht machen möchte. Aber da ist jeder anders … Ich habe bereits früh begonnen, Kinderhörspiele in der DDR. damals in Leipzig gemacht, ein bisschen Theater Anders? gespielt – und dann ergab sich das so. Ich lernte die Was war denn dein erstes Bild? Ja. In seinem Qualitätsanspruch bei Drehbüchern. Schauspieler – also die richtigen Schauspieler – am Mein Gott, was war das denn …? Da hat ja auch jeder andere Interessen. Mich inte- Theater kennen. Und dann sagte ich mir: Die haben ressieren nur sehr wenige Sachen – und da wählt doch eigentlich ein tolles Leben. Kriegste auch noch Ich habe mein erstes Bild mit 14 auf einer Chari- sich das auch leicht aus. Geld dafür. Kannst überall hin. Und dann habe ich tyauktion gekauft. Das war ein Uecker … gedacht, ja dann werde ich das mal. Das war jetzt … nee, einen Uecker? Du bist ja auch aus dem Kommt auch dazu, dass man sich in manchen nicht so der innere Wunsch, ich muss das werden. Westen, ne? Na, das ist ja auch was anderes, obwohl, Rollen doch nicht mehr gerne sehen möchte? Nee, nee – es gab ja nichts anderes für mich! Ich hab’ der Uecker ist ja auch aus dem Osten. Das auch. Manchmal sagt man sich: Das war jetzt dann noch einen Beruf vorher gelernt. Da hat mei- genug von dem oder dem Typ. Das will man dann ne Mutter drauf bestanden. … und da habe ich damals mein gesamtes nicht mehr! Taschengeld darauf verwendet. Ganze Was war das? 250 D-Mark … Meinst du da beispielsweise die Festlegung auf Elektriker. Das musste ich lernen, vorher, obwohl (leichtes Pfeifen) Ich überlege noch … Meistens habe Nazigrößen? ich wusste: Ich werde das nie machen. Aber für die ich etwas geschenkt bekommen oder etwas getauscht. Es kommt doch immer darauf an. Wenn es gut ist, Schauspielschule musste man sowieso Abitur haben Und ich habe das nie mit so viel Geld in Verbindung © Hans-Ludwig Böhme © Hans-Ludwig macht man es auch. Wenn Tarantino nochmal an- oder einen Beruf. Und dann habe ich mich für den gebracht. Oder so spekuliert wie manche Menschen,

rufen würde für Goebbels, würde ich es sofort wie- Beruf entschieden, bin Elektriker geworden und die da sagen: Oh, das Bild muss ich haben – das wird Abb.: SPEKTRUM 9. APRIL 2021 / NR. 6 / KUNST UND AUKTIONEN SEITE 27

mal viel wert und dann steht es da rum oder steht Ab und zu mache ich das. Mich interessieren die im Keller. Nee, das war nicht mein Ding. Gekauft Kunst und der Maler, der da ist. Dem sagt man habe ich eigentlich erst viel später. dann guten Tag und guckt, was es Neues gibt und kauft vielleicht ein Bild. Den Lutz Friedel (* 1948) Geschenkt heißt, du hast dir die Sympathien der hab ich so entdeckt. Ein toller Maler. Von dem Maler erworben? hab ich mir ein paar Bilder gekauft. Das war eine Nicht direkt von den Malern, aber auch. So etwa, Entdeckung! dass ich schon mal so eine Zeichnung kriegte oder einen Druck – das schon! Ah, jetzt erinnere ich mich Wann begann denn diese Liaison? an mein erstes Bild… Das ist ein Maler, den ich jetzt Von Friedel habe ich das erste Bild vor zwanzig wieder gesucht habe und der in Leipzig von einer Jahren gekauft (Abb. unten). Das war so eine Havel- Galerie vertreten wird: Roland Frenzel (1938 – 2004), landschaft. Wunderbar! In Schwarz-Weiß gemalt. ein super Maler! Ein angeblich Schizophrener, aber Roland Frenzel (1938 – 2004), „Winterlandschaft“, Unglaublich schön. Das hängt bei mir. Aber wir auch ein sehr eigener und kluger Mensch, glaube ich. Öl / Lwd., 40 x 60 cm haben uns erst jetzt eigentlich ein bisschen kennen- gelernt. Jetzt fahre ich ab und zu raus und er malt Wie sieht denn Dein Bild von ihm aus? mich. Und wir reden ein bisschen. Irgendwie ganz Ich habe eine Landschaft von ihm (Abb. oben). Ei- schön dort draußen in seinem Haus in Branden- gentlich wie eine Skizze in Öl. Und da sitze ich Ach, also zu der Zeit bereits als Schauspieler burg. Die Malerei hat ja auch sehr viel mit meinem davor und gucke da rein und jedesmal siehst Du da unterwegs … Beruf zu tun. etwas anderes. Ein Baum, ein Haus und vielleicht Nein. Sagen wir, ich war damals Modell und habe zwei Figuren in einer Schneelandschaft. Eben sehr da ein paar Stunden an ein paar Tagen gesessen. Wieso? schön interpretierbar. Die Art der Malerei gefällt Und das war direkt mit Gudrun und wir kennen Das habe ich bei Walter Eisler (1954 – 2015) ge- mir. Und jeder wird da was anderes sehen und uns ja heute noch und sehen uns ab und zu. In merkt. Dass der dieselben Probleme hat, wenn er wieder andere werden es vielleicht furchtbar finden. der Jugend macht man so Sachen, das fliegt dann ein Bild malt, wie ich sie habe, wenn ich an einer Ich finde: Das ist das Schönste, was es gibt. Und das so vorbei und dann sieht man sich wieder und das Rolle arbeite. Es ist haargenau dasselbe, aber anders. habe ich geschenkt bekommen von Saskia Gille. Sie ist schön. Die Abwägung: Was mache ich; was mache ich nicht? kannte den Maler persönlich und als ich das Bild Was lasse ich weg? Welche Farbe nehme ich? Ist es sah, gefiel mir das sofort. Und dabei hatte ich keine Da können wir dann noch weiter in die laut oder leise? Das hat mich sehr inspiriert. Bei ihm Ahnung von Malerei oder so. Und dann hat sie es Vergangenheit schauen … war ich sehr oft im Atelier und habe ihn eigentlich mir irgendwann geschenkt. Ich möchte nicht in die Vergangenheit schauen. Ich kennengelernt, als ich 2001 / 02 in Leipzig war und mache das nur ungern. dort „Hamlet“ machte. Aber Du hast auch Bilder getauscht... Ja. Gegen andere Bilder. Ich hänge ja auch nicht so Deine Bilder befinden sich immer um Dich Wie kam es? an Sachen. Besitz ist eben nicht so mein Ding! herum? Er war damals in der Vorstellung und er kam dann Ja. Ich lebe mit meinen Bildern. anschließend und legte mir ein Buch von sich zum Als Schauspieler muss man ja auch ein wenig Pförtner. Und ich bin tot umgefallen, weil das so mobil bleiben, oder? Hat sich in den Nachwendejahren dein Blick auf ein schönes Buch war. Mit seinen Bildern drin. Und Einmal das. Aber als Mensch sollte man vor allem die Kunst oder sogar dein Geschmack verändert? ich hab mir gesagt: Den musst Du unbedingt ken- mobil bleiben! Sich also einzurichten, und dann Sind da vielleicht andere Künstler wichtig gewor- nenlernen! Und dann habe ich ihn angerufen und hocke ich hier – nee, da habe ich Angst vor, mich zu den, außerhalb der klassischen DDR-Künstler? wir haben uns in seinem Atelier getroffen. Und da setteln. Das hat mich auch nie interessiert. Ich möch- Ja. Werner Heldt (1904 – 1954) mag ich sehr. Das habe ich ein Bild gekauft! Was ich aber wieder zu- te immer unterwegs sein! Und das habe ich bis ist jemand, der mich sehr, sehr fasziniert und in- rückgegeben habe … heute einigermaßen geschafft. Ansonsten würde ich teressiert. Da hätte ich auch gerne ein Ölbild, aber denken, dass ich verblöde – und das möchte ich nicht. das kann ich mir nicht leisten. Bei Brusberg, also Warum? der Galerie Brusberg, war damals mal eine Heldt- Ich merkte, ich kann mit dem Bild nicht leben. Das Um zurückzukommen auf deine Leipziger Zeit: Ausstellung mit vielen Leihgaben, und da war ein war ein wunderschönes Bild. Eigentlich. Das war Hast du denn dann auch einmal ein Künstlerate- Bild dabei, das gehörte einer älteren Dame aus blöd, aber ich kann es auch nicht einfach irgendwo lier von innen gesehen? Essen, glaube ich. Und ich dachte: Das will ich mit dem Rücken zu mir an die Wand stellen. Das Das Atelier von Bernhard Heisig im Atrium kannte haben und dabei war es nur so groß (deutet ein Bild hieß „Hafenrundfahrt“. Ein Riesendampfer ich nur von außen. Aber bei Gudrun Brüne war ich. Format von 30 mal 40 Zentimeter an). Das hätte im Hintergrund und ein jüngerer Mann sitzt in Die hat mich mal gemalt. Da gibt es zwei Zeich- ich am liebsten gleich dort abgehängt! einem kleinen Ruderboot und fährt einen älteren nungen von etwa 1974, also bevor ich nach Mann auf dem Wasser in eine Kaimauer rein. Sehr ging, die sie mir neulich mal geschenkt hat. Ent- Was war drauf? düster. Sehr bedrohlich. Und dieses Riesenschiff! standen sind die, weil sie damals einen Auftrag für Diese wahnsinnig schönen Häuser mit ihren Berli- Er erzählte vorher, dass es sich bei diesem Bild um ein riesiges Gemälde im Rathaus hatte – und da habe ner Brandmauern, die ich so sehr liebe. Ich glaube, eine persönliche Aufarbeitung handelt. ich dann damals für sie Modell gestanden, mit einem es stand dort aber damals nicht zum Verkauf. Un- Bauarbeiterhelm auf. Ganz seltsam, aber schön. gefähr so wie mein Blick aus dem Fenster, bei dem Also war von Beginn an die Hypothek bereits ich mir dann denke: Da ist ja mein Heldt! Also zu groß? brauche ich ihn nicht an der Wand. Ich schaue raus Ja, denn das Bild war davon geprägt – und ich und weiß, in welcher Stadt ich bin. Diese nackten konnte es nicht mehr interpretieren, mit meinem Mauern in ihrem abendlichen Zwielicht, ganz fas- Blick. Ich konnte eben keinen anderen Blick mehr zinierend, wenn sie eben nur noch zu Umrissen darauf bekommen. Bilder, bei denen ich das nicht werden. Das mag ich gut leiden. kann, habe ich oft versucht, wieder zu tauschen. Entweder merkte ich zuvor, dass ein Bild mich nicht Aber mit der Gentrifizierung werden anspricht – da kann das Bild ja nichts für! Oder es solche Phänomene immer seltener … wird so bedrohlich, dass ich damit nicht leben will. Leider, leider. Alles wird ja irgendwie weggeputzt Dennoch; das Tolle bei Eisler bestand immer im und hübsch gemacht. Weglassen. Wenn er Häuser malte, konntest Du Dir immer vorstellen, was für Leute dort drinnen Aber wird sich durch diese verändernde Ästhetik wohnen. Das gab dem Material eine Seele. Einfach um uns herum auch die Ästhetik in der Kunst großartig! Wie in meinem Beruf: Wie weit kannst verändern? du dich zurücknehmen? Und es ist anschließend Es ist anzunehmen. Ich weiß es nicht. noch lebendig! Westphal, Berlin Westphal, Lutz Friedel (* 1948), „Überschwemmung im Galerien besuchen und Ausstellungen ansehen:

Abb.: Havelland“, Öl / Malpappe, 30 x 40 cm Machst Du das bis heute? Vielen Dank für das Gespräch.