Sonderdrucke aus der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

HERIBERT SMOLINSKY

Albrecht von Brandenburg und die Reformtheologen

Originalbeitrag erschienen in: Friedhelm Jürgensmeier (Hrsg.): Erzbischof Albrecht von Brandenburg (1490 – 1545) : ein Kirchen- und Reichsfürst der frühen Neuzeit. Frankfurt am Main: Knecht, 1991, S. [117] - 131 ALBRECHT VON BRANDENBURG UND DIE REFORMTHEOLOGEN.

Heribert Smolinsky

I. Albrecht und die Reformtheologen in Mainz - II. Albrecht und die Reformtheologen im Kontext der Reichsreligionspolitik • III. Die Reformtheologen und die Religionsgespräche - IV. Reform oder Konzil? • V. Schlu ßbemerkungen

Um das Thema »Albrecht von Brandenburg und die Reformtheologen« zu be- handeln, ist es notwendig, zu Beginn auf einige Probleme aufmerksam zu ma- chen. Das eine betrifft den Terminus »Reformtheologe«, der historiographisch ungeklärt ist. Die Reformationsgeschichte kennt keinen präzise definierten Be- griff dieser Art, und in der Zeit des 15. und 16. Jahrhunderts, wo Reform zuneh- mend ein theologisch-kirchenpolitisches Leitmotiv wurde, könnte im weitesten Sinne jeder Theologe als Reformtheologe bezeichnet werden z. So angewandt, ver- löre dieser Terminus jegliche Kontur. Umgekehrt wäre es mit guten Gründen möglich, eine Einengung vorzunehmen und unter »Reformtheologen« humani- stisch — vermittlungsbereite, von Erasmus beeinflußte Reformer zu verstehen , die z. B. in Jülich — Kleve — Berg, bei den Kölner Synodalstatuten von 1536 oder am Dresdener Hof Herzog Georgs von Sachsen eine große Rolle spielten3. Dieses Profil paßte durchaus auf unser Thema, würde es aber, ausschließlich verwendet, verengen und die notwendige innere Differenzierung verhindern. Deshalb soll pragmatisch eine weite Perspektive gewählt werden. Reformtheologen sind alle, die erkennbar an der Kirchenreform arbeiteten, wobei zu sehen ist, daß diese in den ersten Jahrzehnten der Reformationszeit immer im Zusammenhang mit der erstrebten Kircheneinheit stand. Dies bedeutet für unser Thema, daß zwar in er- ster Linie erasmianisch gesinnte, an Vermittlung interessierte Theologen vorkom- men werden, sich das Spektrum darüber hinaus aber über biblisch orientierte Pre- diger bis hin zum konservativen, das Kirchenrecht betonenden und wenig kom- promißbereiten Reformer erstreckt.

1 Vortrag, gehalten am 17. Juni 1990 anläßlich des Symposiums »Erzbischof Albrecht von Bran- denburg« in Mainz. z Vgl. Gottfried MARON, Katholische Reform und Gegenreformation. In: TRE XVIII, 1988, S. 45-71; Heribert SMOLINSKY, Katholische Reform und Gegenreformation. In: Evangelisches Kir- chenlexikon II, 3 1989, S. 1003-1007. 3 In diesem Sinne z. B. benutzt von Erwin ISERLOH, Die katholischen literarischen Gegner Luthers und der . In: Handbuch der Kirchengeschichte, IV, hrsg. von Hubert Jedin. Freiburg u. a. 1967, S. 113. Zur Reform vgl. Heribert SMOLINSKY, »Docendus est populus«. Der Zusammenhang zwischen Bildung und Kirchenreform in Reformordnungen des 16. Jahrhunderts. In: Ecclesia mili- tans. FS für Remigius Bäumer, II, hrsg. von Walter Brandmüller u. a. Paderborn u. a. 1988, S. 539-559. Auf die einzelnen Theologen und den Begriff »Erasmianer« soll hier nicht weiter einge- gangen werden. I18 HERIBERT SMOLINSKY

Ein zweites Problem ergibt sich mit der Schwierigkeit einer Abgrenzung be- züglich des Verhältnisses dieser Reformtheologen zu Albrecht von Brandenburg. Die Literatur spricht seit längerem von einem Kreis reformorientierter Theologen um den Mainzer bzw. Magdeburger Erzbischof. Anton Ph. Brück kennt einen »Mainzer Reformkreis « ; Hans Wolter nennt in dem Aufsatz »Kardinal Albrecht von Mainz und die Anfänge der katholischen Reform« die Vorliebe des Kardinals für die Werke der »Reformkatholiken im Gefolge des Erasmus«4. Eine Differen- zierung der infrage kommenden Theologen untereinander und in ihrem Verhält- nis zu Albrecht findet nicht statt. Das liegt u. a. an dem Stand der Forschung, der neue, tiefgreifende Monographien zu Friedrich Nausea, Michael Helding, Julius Pflug und Georg Witze!, die hier gemeint sind, vermissen läßt5. Erst umfang- reichere Arbeiten könnten belegen, wie weit die Beziehungen Albrechts zu den Reformtheologen reichten. Einstweilen erlaubt die Literatur- und Quellenlage nur punktuelle Erkenntnisse.

I. ALBRECHT UND DIE REFORMTHEOLOGEN IN MAINZ

Albrecht von Brandenburg stand als (Erz-)Bischof der Bistümer Mainz, Magde- burg und Halberstadt, das er administrierte, als Reichsfürst und Erzkanzler in ei- nem Beziehungsgeflecht, das ihn auf die unterschiedlichste Weise mit der gelehr- ten, an Reformen verschiedenster Art interessierten Welt der Humanisten ver- band. Diese Beziehungen ergaben sich aus Briefwechseln, dessen bekanntester der von Erasmus von Rotterdam ist 6. Buchdedikationen, z. B. Johannes Reuchlins Übersetzung des Athanasius von 15197 oder am 2.7. Dezember 1517 Erasmus mit der Widmung der »Ratio seu methodus compendio perveniendi ad veram theolo- giam« 8 boten weitere Möglichkeiten, mit dem Kardinal in Beziehung zu treten und sich seines Wohlwollens sowie Einflusses zu versichern. Das Interesse am Mäzenatentum des Kardinals kommt in einem Brief des späteren Bamberger Dompredigers Johannes Haner zum Ausdruck, der am 13. August 1535 an den Nuntius Paolo Vergerio schrieb: Übrigens, wenn Sie den Mainzer Erzbischof tref-

4 Anton Ph. BRÜCK, Mainz vom Verlust der Stadtfreiheit bis zum Ende des Dreißigjährigen Krie- ges (= Geschichte der Stadt Mainz 5). Düsseldorf 1972, S. 25-26; H. WOLTER, Kardinal Albrecht von Mainz und die Anfänge der katholischen Reform. In: Theologie und Philosophie 51 (1976) S. 498. 5 Die Kurzbiographien in den KLK-Heften der letzten Jahre sind zwar ein erster Einstieg, aber ausbaufähig. Vgl. Katholische Theologen der Reformationszeit, 4 Bde, hrsg. von Erwin Iserloh (= KLK 44-47)• Münster 1984-1987. Siehe auch Friedhelm JÜRGENSMEIER, Das Bistum Mainz. Von der Römerzeit bis zum II. Vatikanischen Konzil (= Beiträge zur Mainzer Kirchengeschichte 2). Frank- furt am Main 2 1989, 5. 187-191. 6 Opus epistolarum Des. Erasmi Roterodami, 12 Bde, hrsg. von Percy S. ALLEN u. a. Oxford 1906-1958, Nr. 661.745-968. 988. 1009. 1033. 1101. 1152. 1365; vgl. Peter WALTER, Albrecht von Brandenburg und der Humanismus. In: Horst Reber (Bearb.), Albrecht von Brandenburg. Kurfürst, Erzkanzler, Kardinal 1490-1545. Ausstellungskatalog Landesmuseum Mainz, hrsg. von Berthold Roland. Mainz 1990, S. 65-82. 7 Liber S. Athanasii de variis quaestionibus nuper e Graeco in Latinam traductus, Johanne REUCHLIN interprete. Hagenau 1519, Blatt Aij-Cjb; vgl. Karl SCHOTTENLOHER, Die Widmungsvor- rede im Buch des 16. Jahrhunderts (= RST 76-77). Münster 1953, S. 20. 43. 189. 8 ALLEN, Opus epistolarum (wie Anm. 6), Nr. 745. Die Widmung zur Auflage von 1523, welche die veränderte Situation spiegelt und zur Einheit der Kirche aufruft, ebd., Nr. 1365. ALBRECHT UND DIE REFORMTHEOLOGEN 119 fen sollten, mögen sie mich bitte diesem einzigartigen Mäzen der Gelehrten be- sonders empfehlen9. Bot das Mäzenatentum für die Reformtheologen einen ersten Ansatzpunkt, mit Albrecht in Verbindung zu treten, ohne ihm näher verpflichtet zu sein, so baute sich auf einer funktionalen und institutionellen Ebene ein intensiveres Be- ziehungsgeflecht auf. Das gilt für die Verwendung von Reformtheologen zu gele- gentlichen Diensten, für die Stellung eines Mainzer Domkapitulars wie Julius Pflug.% eines Dompredigers wie Friedrich Nauseaii oder Johannes Wildi z, eines Mainzer Weihbischofs wie Michael Helding 1 3, eines Stiftpropstes zu wie Michael Vehe .4 oder eines Generalvikars und langjährigen, konservativ gesinnten Rates wie Valentin von Tetleben 1 5. Durch persönliche Kontakte und Briefwechsel waren die meisten dieser Theologen untereinander verbundeni 6, so daß man mit einem gewissen Recht von einem » Reformkreis « sprechen kann, solange nicht an Homogenität gedacht ist. Als erstes ist eine »Mainzer Predigttradition« zu nennen, bei der sich gegenre- formatorische und reformerische Impulse miteinander verbanden, und die in ei- nem zweiten Schritt eine »Mainzer katechetische Tradition« hervorbrachte. Da- bei war der Druck der wachsenden, sich in Kirchenordnungen, Katechismen, li- turgischen Büchern und Bekenntnissen institutionell und doktrinär festigenden Reformation ein Stimulans, das sich auch in Mainz nachweisen läßt'7.

9 Walter FRIEDENSBURG (Hrsg.), Zur Korrespondenz Johannes Haners. In: Beiträge zur Bayeri- schen Kirchengeschichte, hrsg. von Theodor Kolde 5 (1899) S. 181. Zu Haner vgl. August FRANZEN, Haner. In: LThK IV, 1 1960, Sp. 1351 f. 10 Vgl. Julius PFLUG, Correspondance, 5 Bde, hrsg. von J[acques] V. POLLET. Leiden 1969-1982; J[acques] V. POLLET, Julius Pflug. In: Gestalten der Kirchengeschichte, II. Reformationszeit, hrsg. von Martin Greschat. Stuttgart u. a. 1981, 5.129-146; Elmar NEUSS und Jacques V. POLLET (Hrsg.), Pflu- giana. Studien über Julius Pflug (1499-1564) (= RST 129). Münster 1990. 11 Vgl. Remigius BÄUMER, Friedrich Nausea. In: Katholische Theologen der Reformationszeit (wie Anm. 5), II, S. 92-103. 12 Vgl. E. PAX, Wild, Johannes. In: LThK X, 1 1965, Sp. 1123. 13 Vgl. Heribert SMOLINSKY, Michael Helding. In: Katholische Theologen der Reformationszeit (wie Anm. 5), II, S. 124-136. 14 Vgl. Franz SCHRADER, Michael Vehe. In: Katholische Theologen der Reformationszeit (wie Anm. 5), IV, 5.15-28. Vehe hatte gute Kontakte zu Nausea, wie dessen Briefwechsel zeigt: Friedrich NAUSEA, Epistolarum Miscellanearum ad Fridericum Nauseam Blancicampianum, Episcopum Vien- nensem, etc. singularium personarum Libri X. Basel 1550,5.94-96. 15 Vgl. Valentin von TETLEBEN, Protokoll des Augsburger Reichstages 1530, hrsg. von Herbert GRUNDMANN (= SVRG 177). Gütersloh 1958, die Einleitung S. 9-45. Die Aufzählung der von Al- brecht zu verschiedenen Diensten eingesetzten bzw. in die Bistümer eingebundenen Theologen ließe sich fortsetzen. 16 Das ergibt sich aus den verschiedenen Briefwechseln: NAUSEA, Epistolarum (wie Anm. 14); , Epistolarum, quae inter aliquot Centurias ... Libri quatuor. Leipzig 1537; PFLUG, Correspondance (wie Anm. io). Andere Indizien wären Buchwidmungen, die Kontakte in Mainz u. ä. 17 Zur Mainzer Predigt- und Katechismustradition, zu der in einem ersten Anlauf auch Wolfgang Capito und Kaspar Hedio gehörten, und die von Nausea gegen die Reformation gerichtet fortgeführt wurde, vgl. Christoph MOUFANG, Die Mainzer Katechismen von Erfindung der Buchdruckerkunst bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. Mainz 1877; Fritz HERRMANN, Die evangelische Bewegung zu Mainz im Reformationszeitalter. Mainz 1907, 5.192-198; Anton Ph. BRÜCK, Die Mainzer Domprediger des r6. Jahrhunderts nach den Protokollen des Mainzer Domkapitels. In: Hessisches Jahrbuch für Lan- desgeschichte 10 (1960) 5.132-148; auch in: Ders., Serta Moguntina. Beiträge zur mittelrheinischen Kirchengeschichte, hrsg. von Helmut Hinkel (= QAmrhKG 6z). Mainz 1989, 5.147-163 sowie die Anmerkungen zu Nausea, Helding (der nie offizieller Domprediger war) und Wild. Allgemein zur Ent- 120 HERIBERT SMOLINSKY

Am Anfang der Entwicklung stand Friedrich Nausea (t 1552), dessen Pre- digttätigkeit Girolamo Aleander, der außerordentliche Nuntius am Kaiserhof, am 28. Februar 1532 als ausgesprochen effizient lobte, weil er reformatorischen Einflüssen wehre und die Leute von weither kämen, um bei ihm Rat zu holenl8. Der humanistisch gesinnte Nausea hatte nach Studien in Leipzig, Pavia, Padua und Siena den Legaten Lorenzo Campeggio nach Deutschland begleitet, sich 1 5 24 auf dem Nürnberger Reichstag mit den »Gravamina« befaßt und kannte die »Regensburger Ordnung«, also einen ersten Reformversuch anläßlich des Regensburger Konventes aus demselben Jahr19. 152,5 wurde er zum Pfarrer von St. Bartholomäus in Frankfurt ernannt, wo er dieses Amt wegen Widerstandes in den reformatorisch gesinnten Kreisen der Stadt nicht antreten konnte••. Angeblich auf Betreiben Roms und mit Hilfe des Mainzer Domvikars und Dekans an St. Moritz, Eberhard Schießer, ging Nausea nach Mainz und fungierte dort nach der Präsentation am 16. März 1526 bis zur Resignation am 6. November 1534 als Domprediger. In diesem Jahr wechselte er als Hofpredi- ger nach Wien•i. Seit 1526 sind nähere Kontakte zu Kurfürst Albrecht nachweisbar. Nausea schickte ihm Bücher, korrespondierte mit dem Erzbischof und diente ihm zu Kon- sultationen. In den Briefen kam die schwierige kirchliche Situation in Frankfurt ebenso zur Sprache wie die Versorgung Nauseas mit Pfründen ••. Wie weit der Domprediger an dem ersten Reformanlauf Albrechts 1526 nach dem Speyerer Reichstag, der inhaltlich für Mainz keine Konsequenzen hatte, beteiligt war, ist nicht erkennbar•3. Es wäre möglich, daß die Diözesansynoden 1526-1527 und die dabei gehaltenen Predigten Nauseas, welche in rhetorisch allgemeiner Art von Reform sprachen und in Mainz gedruckt wurden, damit in Beziehung standen.

wicklung vgl. Heribert SMOLINSKY, Reformationsgeschichte als Geschichte der Kirche. In: HJ 103 (1983) S. 379-381. 18 Nuntiaturberichte aus Deutschland 1533-1559 nebst ergänzenden Aktenstücken, i. Abt. 2. Ergänzungsbd.: 1532. Legation Lorenzo Campeggios 1532. und Nuntiatur Girolamo Aleandros I532, bearb. von Gerhard MÜLLER. Tübingen 1969, S. 39. Zur Bestellung der Domprediger durch das Domkapitel vgl. BRÜCK, Domprediger (wie Anm. 17), S. 134. 19 Die »Regensburger Ordnung« in: Acta Reformationis Catholicae ecclesiam Germaniae con- cernentia saeculi XVI, 6 Bde, hrsg. von Georg PFEILSCHIFTER. Regensburg 1959-1974 (im folgenden zitiert als ARC), hier ARC I, Nr. 124. NAUSEA schrieb zu den »Gravamina« ein Buch, das er erst 1538 veröffentlichte: Responsa una cum eorundem Declarationibus et moderaminibus Sacrosanctae sedis Apostolicae, ad aliquot inclytae Germanicae nationis adversus illam Gravamina. Köln 1538. Albrecht erbat sich diese Schrift in einem Brief an Nausea vom 25. Juni 1541 für den Reichstag in Regensburg: NAUSEA, Epistolarum (wie Anm. 14), S. 316: Porro autem recordamur te librum de gravaminibus principum et statuum Imperii scripsisse; (mem licet alibi servatum habeamus, tarnen cum nobis iam bono usui esse posset, non est ad manum. Quamobrem diligenter et amice rogamus, ut huiusmodi libri exemplar unum nobis transrnittere non graveris. Zu Nausea – Campeggio vgl. auch Nuntiaturbe- richte aus Deutschland 1533-1559 nebst ergänzenden Aktenstücken, i. Abt. i. Ergänzungsbd.: 1530-1531. Legation Lorenzo Campeggios 1530-1531 und Nuniatur Girolamo Aleandros 1531, be- arb. von Gerhard MÜLLER. Tübingen 1963, S. LXII f. 20 Vgl. HERRMANN, Evangelische Bewegung (wie Anm. 17), S. 192. 2, Vgl. BRÜCK, Domprediger (wie Anm. 17), S. 136 f. 22 Vgl. NAUSEA, Epistolarum (wie Anm. 14), S. 45.50.77-78.102. u. ö. 23 Vgl. ARC I, Nr. 154-158; HERRMANN, Evangelische Bewegung (wie Anm. 17), S. 24-26. Man wollte mit der Reform den »Gravamina« ihre Ursachen nehmen. Dieses Motiv dürfte für Albrecht immer von Bedeutung gewesen sein; vgl. oben Anm. 19. ALBRECHT UND DIE REFORMTHEOLOGEN 121

Der Briefwechsel zeigt, daß Albrecht 1527 von Nausea wegen des Reichstages und der Religionsverhandlungen Rat erbatz4. Friedrich Nausea kannte als Humanist den Wert des Kommunikationsmittels Buch und entfaltete eine reiche Publikationstätigkeit. Die meisten seiner Predigt- werke erschienen in Latein, aber 1526 ließ er deutsche Predigten unter dem Titel »Fünff mercklich Sermon oder Predig« bei Johann Schöffer in Mainz erschei- nenz5, ohne diese auf ein breiteres Publikum gezielte Form später konsequent durchzuhalten. 153o widmete Nausea seinem Erzbischof die »Tres Evangelicae veritatis Homiliarum Centuriae«. In der Vorrede schilderte er Albrecht als ein un- übertreffliches Muster aller Tugenden, das dem humanistischen Ideal der erudita Pietas, eines guten Fürsten und Seelenhirten entsprechez6. 1536 folgte die Wid- mung einer weiteren Predigtsammlung, der »Sermones Adventuales« z7. Der kate- chetischen Tradition, die Nausea anregte, entsprach 1542 die Widmung des sech- sten Buches seines » Catholicus Catechismus « an Albrecht, dessen Freude an kirchlichen Zeremonien betont wirdzl. Nach Nauseas Fortgang an den Wiener Hof setzte Michael Helding (t i561), seit dem 2o. Januar 1533 Dompfarrer in Mainz, die Predigttradition im Sinne ei- ner biblisch orientierten Verkündigungstheologie fort. Am 18. Oktober 1537 er- nannte ihn Albrecht zu seinem Weihbischof; am 4. August 1538 erhielt Helding die Weihez9. Von 1539 bis in die 5oer Jahre wirkte der Franziskaner Johannes Wild (1-1554) mit dem Einverständnis Albrechts als Domprediger in Mainz und

24 Friderici NAUSEAE Blancicampiani inclytae ecclesiae Moguntinae divini verbi concionatoris, ad ecclesiasticam nuper in eadam ecclesia synodum oratio. Mainz 1526; De reformanda ecclesia Fri- derici NAUSEAE Blancicampiani insignis ecclesiae Moguntinae divini verbi concionatoris in nupera Synodo ad Cierum Moguntinum Oratio. Mainz 152.7; auch in: Johannes F. SCHANNAT und Josephus HARTZHEIM (Hrsg.), Concilia Germaniae, VI. Köln 1765, ND Aalen 1982, S. 205-209. Beide Reden sind dem Erzbischof gewidmet. Vgl. den Brief Albrechts an Nausea vom 18. Oktober 1516: NAUSEA, Epistolarum (wie Anm. 14), S. 45. Zu den Drucken vgl. F. W. E. ROTH, Die Mainzer Buchdruckerfa- milie Schöffer während des 16. Jahrhunderts (= Beihefte zum Centralblatt für Bibliothekswesen III, Heft 9). Leipzig 1892, Nr. 114. 12o, S. 68. 71. Nausea widmete 1528 Albrecht seine Friderici NAU- SEAE Blancicampiani inclitae ecclesiae Moguntinae Divini Verbi Concionatoris in humanam Jesu Christi generationem Oratio (Oppenheim 1528). 25 Vgl. HERRMANN, Evangelische Bewegung (wie Anm. 17), 5.193. 16 Friderici NAUSEAE Blancicampiani ... Tres Evangelicae veritatis Homiliarum Centuriae. Köln 1530, Blatt Asb. 27 Sermones Adventuales Friderici NAUSEAE. Köln 1536, Blatt Bj–Bij. Albrechts Interesse an der Verkündigung zeigt sich darin, daß er den Ingolstädter Theologen Johannes Eck um Predigten über die Sakramente bat, welche dieser 1534 veröffentlichte: Johannes ECK, Der viert tail Christenlicher Predigen von den siben H. Sacramenten. 1534, Blatt aajb–aaij die Vorrede an Albrecht. Vgl. den Brief Ecks an Nikolaus Ellenbog vom 23. April 1533: Imperavit Moguntinus, ut de sacramentis sermones ederem. In: Nikolaus ELLENBOG, Briefwechsel, hrsg. von Andreas BIGELMAIR und Friedrich ZOEPFL (= CCath 19-21). Münster 1938, S. 32.I. Eine interessante Aussage über sein Amt machte Albrecht in einem Brief an Nausea vom 25. Juni 1541 aus Regensburg: Ac quantum ad personam nostram attinet, recognoscimus nos pro debito pastoralis officü nostri, et ad pacem Deo placentem inter Principes stabiliendam, et ad alia, per quae Ecclesiarum incolumitati consuli potest promovenda obligatos esse. Atque in hoc omnem nobis possibilem laborem et diligentiam non gravatim impende- mus (NAUSEA, Epistolarum, wie Anm. 14, S. 316). 28 Catholicus Catechismus Friderici NAUSEAE. Köln 1543, fol. 19I-1921. Auch Köln 1553, S. 389-391. Zu den katechetischen Arbeiten vgl. MOUFANG, Katechismen (wie Anm. 17), S. 14-22. 29 Vgl. SMOLINSKY, Helding (wie Anm. 13), 5.125. Zur Theologie vgl. auch Erich FEIFEL, Grundzüge einer Theologie des Gottesdienstes. Motive und Konzeption der Glaubensverkündigung Michael Heldings ,(1506-156i) als Ausdruck einer katholischen »Reformation«. Freiburg u. a. 196o. 1 22 HERIBERT SMOLINSKY setzte die eingeschlagene Linie im Sinne einer biblischen Irenik fort, nachdem er schon 1 5 28 an der Franziskanerkirche gepredigt hatte. Sowohl Helding als Wild publizierten ihre Werke nicht mehr zu Lebzeiten Albrechts, aber 1538 oder 1 5 39 war der Verleger Johann Spengel im Gespräch mit einer Gruppe von Theologen, zu der Johannes Cochläus gehörte und die im Haus des Kanonikers Johannes Agricola (St. Viktor) versammelt war, der Mei- nung, man solle Wilds Predigten veröffentlichen3°. Das führt auf die wichtige Funktion der Mainzer Druckpresse hin, die mit dem sich zu einer Art Hofdrucker etablierenden Schöffer sowie den Druckern Peter Jordan und Franz Behem vor allem ab 1541 eine Art Ersatz für das verlorengegangene katholische Druckzen- trum Leipzig bildete und auf die nahe Frankfurter Buchmesse einwirken konnte. Die Untersuchung von Mark U. Edwards, Jr., zur katholischen Kontroverslitera- tur zwischen 1518-1555 belegt dieses Faktum deutlich3r.

II. ALBRECHT UND DIE REFORMTHEOLOGEN IM KONTEXT DER REICHSRELIGIONSPOLITIK

Klarer als bei den Mainzer Verhältnissen, wo immer der Einfluß des Domkapitels zu berücksichtigen ist, lassen sich Albrechts Beziehungen zu den Reformtheolo- gen im Kontext der Reichsreligionspolitik erkennen. Sie ergibt den Leitfaden, an dem man sich orientieren kann. Ausgehend vom Augsburger Reichstag 153o und den folgenden Vermittlungsaktivitäten des Mainzer Kurfürsten, die seine Position für Vermittlungstheologen attraktiv erscheinen lassen mußten3 2, sowie in Verbin- dung mit dem geforderten Konzil und der kaiserlichen Einigungspolitik bot sich hier ein Feld, auf dem literarische Kontakte hergestellt sowie diplomatische Mis- sionen und konkrete Aufgaben von seiten der Reformtheologen erfüllt werden konnten. Am 21. Januar 153o hatte Karl V. einen Reichstag nach Augsburg ausge- schrieben. Im Zuge der Vorbereitung auf die dort zu erwartenden Religionsver-

30 Zu dem Vorschlag, Wilds Predigten zu drucken, vgl. die Vorrede des Johannes COCHLÄUS. In: Die Parabel oder Gleichnusz Von dem verlornen Son ... F. Joannem Wild. Mainz 1550, Blatt xij—xijb. WILD hielt 1545 eine — inhaltlich unwesentliche — Leichenpredigt auf Albrecht: Gemeine Christliche und Catholische Bittpredigen. Mainz 1575, Blatt 139-14ob. Engere Kontakte hatte er zu Erzbischof Sebastian von Heusenstamm, vgl. Nikolaus PAULUS, Johann Wild. Ein Mainzer Domprediger des 16. Jahrhunderts. Köln 1893, S. 38. Cochläus gehörte ebenso wie der Dominikaner Johannes Dieten- berger zu den mit Mainz verbundenen Reformtheologen. 31 Mark U. EDWARDS, Jr., Catholic Controversial Literature, 15 I 8-1555. In: ARG 79 (1988) S. 189—zog. Von 1 5 39 auf 1540 stieg der Anteil von Mainz an der katholischen Kontroversliteratur von 6 auf 40 Prozent (5.194). Zum Mainzer Buchdruck vgl. ROTH, Schöffer (wie Anm. 24); Simon WIDMANN, Eine Mainzer Presse der Reformationszeit im Dienste der katholischen Literatur. Pader- born 1889. 32 Vgl. Albrecht Pius LUTTENBERGER, Glaubenseinheit und Reichsfriede. Konzeptionen und Wege konfessionsneutraler Reichspolitik 1530-1552 (Kurpfalz, Jülich, Kurbrandenburg). Göttingen 1982, 5.164-184. Im August 1532 widmete Philipp Melanchthon seinen Römerbriefkommentar dem Mainzer Kurfürsten und würdigte dessen Arbeit für die Einheit der Kirche: Corpus Reformatorum (im folgenden CR), II, Sp. 611-614; Heinz SCHEIBLE (Bearb.), Melanchthons Briefwechsel, Regesten I—IV. Stuttgart-Bad Cannstatt 1977-1983, hier II, Nr. 1276; vgl. auch CR IV, Sp. 822-823; SCHEIBLE, II, Nr. 1268.1527 schrieb Melanchthon eine Vorrede an Albrecht in der Ausgabe des Jakob Fontanus, De bello Rhodio libri tres. In: CR I, Sp. 874-879; SCHEIBLE, I, Nr. 546. ALBRECHT UND DIE REFORMTHEOLOGEN 12.3 handlungen bat Albrecht am 7. April Friedrich Nausea, zusammen mit den bei- den Dominikanern Johannes Wiertenberger und Michael Vehe darüber zu konfe- rieren. Man solle eine Liste aufstellen, was in der Kirche mißbräuchlich sei und geändert werden könne. Ebenso solle Kritik am Glauben, den Zeremonien und den Lehren der reformatorischen Gegner geübt werden. Als Frucht der Konferenz entstand der unveröffentlichte »Liber unus Consiliorum super negotio coniugii Sacerdotum, votorum Monasticorum, Iurisdictionis Ecclesiasticae, magistratu- umque prophanarum« 33 . Über seine Wirkung ist nichts bekannt. Im Gegensatz zu Vehe und Wiertenberger nahm Nausea am Reichstag nicht tei134. Der enge Zusammenhang zwischen Albrechts reichspolitischer Tätigkeit und seinen Kontakten zu Reformtheologen ergibt sich deutlicher aus einem Büchlein, das 1534 in Leipzig erschien und den Titel trug »Kleine Ermahnung« (Adhortati- uncula). Der Verfasser war Georg Witzel (t1573), der gerade eine Konversion vom Lutheraner zurück zur alten Kirche hinter sich hatte und seit 1533 als katho- lischer Prediger in Eisleben wirkte35. U. a. Erasmus und dem Humanismus ver- pflichtet, gehörte er zu den »Vermittlungstheologen«, die auf Ausgleich und Kir- cheneinigung hinarbeiteten. Einem Brief Witzels an Albrecht vom z4. August 1534 ist zu entnehmen, daß Verbindungen zwischen beiden bestanden und der Kardinal über das Schicksal des Konvertiten informiert war3 6. Die »Kleine Er- mahnung« hatte Witzel 1532 verfaßt und zwei Jahre später drucken lassen37. Ihr Inhalt ist eine dezidierte Aufforderung an Albrecht, für das Konzil einzutreten. Diese Initiative und Witzels Vorstellungen dürften mit dem Regensburger Reichs- tag von 153 2. zusammenhängen, dessen Abschied den Kaiser aufforderte, sich mit aller Kraft beim Papst für das Konzil einzusetzen3 8 . Witze' sieht das Konzil ganz im Rahmen der Reichspolitik; der Papst ist nur einzuladen. Interessant ist seine Einschätzung Albrechts, dessen Funktion und politischer Linie. Wenn also ein

33 NAUSEA, Epistolarum (wie Anm. 14), 5.90. 49o. Zu Johannes Wiertenberger vgl. Nikolaus PAULUS, Die deutschen Dominikaner im Kampfe gegen Luther (1518-1563). Freiburg 1903, S. 216. 2.2.0. 22.5. Zu Vehe vgl. oben Anm. 14. 34 Vgl. Herbert IMMENKÖTTER (Hrsg.), Die Confutatio der Confessio Augustana vom 3. August 1530 (= CCath 33). Münster 1979, S. 2.1 f. 35 Georg WITZEL, Adhortatiuncula, ut vocetur Concilium, ad Archiepiscopum Moguntinen- (sem). Leipzig 1 534; vgl. Gregor RICHTER, Die Schriften Georg Witzels bibliographisch bearbeitet. Fulda 1913, Nr. 3, S. 7. Ein Faksimile in: Schriften zur Förderung der Georg-Witzel-Forschung Nr. I, 1975. Eine moderne deutsche Übersetzung von Siegfried LENZ, Hagen, nach der im folgenden – mit kleinen Korrekturen – zitiert wird. In: Schriften zur Förderung der Georg-Witzel-Forschung Nr. i6, 1978, S. 96-103. Vgl. Witzel an Nausea, 8. Juni 1533, WITZEL, Epistolarum (wie Anm. 16), Blatt KKjb (Derselbe Brief in leicht veränderter Form bei NAUSEA, Epistolarum, wie Anm. 14, S. 118-119); Witzel an Erasmus, ALLEN, Opus epistolarum (wie Anm. 6), Nr. 2715. 2786. Erasmus solle auf ein Konzil drängen. 36 WITZEL, Epistolarum (wie Anm. i6), Blatt PpIVb–Qqib. 37 Der Text wurde von WITZEL aus seiner Schrift »Methodus Concordiae Ecclesiasticae« (Leip- zig 1537) inskribiert (vgl. RICHTER, wie Anm. 35, Nr. 35, S. 34). Ein Abdruck befindet sich bei Mel- chior GOLDAST, Monarchia Sacri Romani Imperii, I. Hannover 1612, ND Graz 196o, S. 653-655. Ein Zusammenhang zwischen der Entstehung der »Adhortatiuncula«, dem »Methodus« und den Einigungsbemühungen des ersten Leipziger Religionsgespräches 1534, an dem Vertreter Albrechts teilnahmen, wäre möglich; vgl. unten Anm. 44. 38 Neue und vollständigere Sammlung der Reichs-Abschiede, II. Frankfurt 1 747, 5. 355-356; vgl. Gerhard MÜLLER, Die römische Kurie und die Reformation 1523-1534 (= QFRG 38). Güters- loh 1969, S. 223 ff.; Hubert JEDIN, Geschichte des Konzils von Trient, I. Freiburg '19 54 S. 216-231. I2,4 HERIBERT SMOLINSKY

Konzil, in Christi Namen einberufen, so heilsam und notwendig ist . . ., dann kön- nen Sie, Hochwürdigster Herr, eine solch gewissenhafte und hervorragende Per- sönlichkeit, nichts Nützlicheres tun, als unermüdlich die gute Sache im Auge zu behalten, damit nicht in Vergessenheit gerät, was in drei Reichstagen seine Kaiser- liche Majestät mit Zustimmung der Fürsten hinsichtlich der Einberufung des Konzils verfügt hat . . . Bei allen Vornehmsten des Römischen Reiches wird es sehr viel bedeuten, wenn Sie . . . sich mit größtem Eifer ins Zeug legen. Wer näm- lich ist in der ganzen Reihe der Würdenträger berühmter als Eure Hoheit? Wer weiß nicht, wie Sie . . . von der Frömmigkeit, von den guten Sitten und von den rechten Schriften angetan sind?39 Witzel erinnert an Albrechts Vermittlungstätig- keit nach dem Augsburger Reichstag 153o, die dieser zusammen mit Kurfürst Ludwig von der Pfalz im Interesse des Reichsfriedens entwickelt hatte. Wir wis- sen, mit welcher Unrast Sie nicht nur in Augsburg, sondern auch im Frühling dar- auf in Schweinfurt sich dafür eingesetzt haben, Abtrünnige wieder mit der Kirche zu vereinen, die überaus bedauernswerte Zwietracht zu begraben, welche sich an- schickte, Deutschland in Kriege zu verwickeln. Seine Aufforderung lautet: Des- halb . . . möget Ihr aus dieser Eurer Frömmigkeit heraus alle Sorge, Energie und Mühe darauf verwenden, daß ein Termin und eine geeignete Stadt festgelegt, der Papst eingeladen wird und daß ohne zu säumen man zusammenkommen möge aus allen Provinzen der christlichen Welt4°. Es ist unbekannt, wie Albrecht auf diese öffentliche Aufforderung reagierte. Der Reform- und Einigungstheologe Witze! blieb mit ihm in Kontakt und wid- mete ihm 1541 sein »Hagiologium«, das in Mainz erschien. Die Vorrede, im übli- chen rühmenden Stil gehalten, nannte den Kardinal einen Mäzen der Theologie und des Humanismus. Witze! erwähnte, daß Albrecht den Erasmus vor vielen Jahren um eine solche Schrift über die Heiligen gebeten habe, dieser aber die Bitte abschlug. Mit gebührender Bescheidenheit liefere er den Ersatz dafür41. Die weiteren Verbindungen zwischen den beiden sind im einzelnen schwer zu erkennen; auf ihre Kontakte im Kontext der Religionsgespräche wird weiter un- ten eingegangen. In einem anderen Punkte bot der Kurfürst von Mainz indirekt Witzel eine Basis für dessen Tätigkeit. Ab 1541 druckte Behem in Mainz viele von dessen Werken, und ab 1553 siedelte Witze! endgültig in die Stadt am Rhein über42.

39 WITZEL (Übersetzung LENZ, wie Anm. 35), S. 98 f. = Blatt Aijb. Zu den Reichstagen vgl. den o. g. Abschied (Anm. 38). 40 WITZEL (Übersetzung LENZ, wie Anm. 35), S. 99 = Blatt Aijb–Aiij, vgl. LUTTENBERGER, Glau- benseinheit (wie Anm. 3z), S. 167. 41 Georg WITZEL, Hagiologium. Mainz 154 I, .Blatt 5b-6. Unter anderer Überschrift nochmals in Vitae Patrum, per romanam eandemque catholicam ecclesiam, in divorum relatorum numerum (Mainz 1546). Zu Erasmus vgl. ALLEN, Opus epistolarum (wie Anm. 6), Nr. 745, 5. 177. Nausea übergab ebenfalls an Albrecht eine Schrift über die Heiligen, welche verlorenging, vgl. NAUSEA, Epi- stolarum (wie Anm. 14), S. 488 f. 42, Zu den Drucken vgl. RICHTER, Schriften Witzels (wie Anm. 3 5 ), Nr. 5 z ff. Vgl. auch unten Anm. 53. ALBRECHT UND DIE REFORMTHEOLOGEN I25

III. DIE REFORMTHEOLOGEN UND DIE RELIGIONSGESPRÄCHE

Die These, daß Albrecht die Reformtheologen im sich wechselnden Kontext der Religionspolitik des Reiches brauchte und einsetzte, bestätigt sich, wenn man die Änderung der kaiserlichen Politik Ende der 3 oer Jahre betrachtet. Statt auf das Konzil setzte Karl V. von 15 39-1541 auf das Verständigungsmittel »Religionsge- spräche«, die in kurzen Abständen nacheinander in Hagenau, Worms und Re- gensburg stattfanden43. Die komplizierte Vorgeschichte dieser Aktionen soll ebenso offen bleiben wie die Linie Albrechts von Brandenburg in diesem Zusammenhang. Ganz fremd konnte ihm die Idee nicht sein. Immerhin hatten Mainz und Kursachsen vom 29 . April bis 3. Mai 1534 den Versuch eines solchen Gesprächs in Leipzig ge- macht44. Den Hintergrund bildete eine Gruppe sächsischer Reformtheologen, von denen Julius Pflug (t 1564), Domherr in Meißen und auf vielen Feldern, nicht zu- letzt in Verbindung mit Albrecht, tätig, und Georg von Karlowitz als Vertreter bzw. Beobachter Herzog Georgs von Sachsen an dem Konvent teilnahmen. Mi- chael Vehe sowie der Kanzler Christoph Türk waren die Vertreter Albrechts. Die kursächsische Seite wurde durch Philipp Melanchthon und Gregor Brück vertre- ten. Das Unternehmen scheiterte vor allem an der Auffassung von der Messe, zeigt aber das frühe Suchen nach Verständigung und die Einbindung Albrechts in den Raum der sächsischen Religionspolitik45. Auf diesem Hintergrund wird ver- ständlich, daß Erasmus am 31. Juli 153 3 Julius Pflug seine Schrift »De sarcienda Ecclesiae concordia« widmete, und daß Wolfgang Capito in demselben Jahr Al- brecht seine deutsche Übersetzung dieses Werkes dedizierte46. Für die bedeutenderen Religionsgespräche in Hagenau und Worms 1540-1541 bedurfte Albrecht wieder der Reformtheologen. In Hagenau waren seine Vertreter der Dompropst Marquard von Stein, der Domkapitular Sebastian von Heusenstamm, der Kanzler Johannes Pfaff und der Sekretär Melchior Vogt47.

43 Zu den Religionsgesprächen vgl. Gerhard MÜLLER (Hrsg.), Die Religionsgespräche der Refor- mationszeit (= SVRG 191). Gütersloh 1980; Marion HOLLERBACH, Das Religionsgespräch als Mittel der konfessionellen und politischen Auseinandersetzung im Deutschland des 16. Jahrhunderts (= Eu- ropäische Hochschulschriften Reihe III, 165), Frankfurt am Main, Bern 19824 LUTTENBERGER, Glau- benseinheit (wie Anm. 32.), S.2.06-249. 44 Günther WARTENBERG, Die Leipziger Religionsgespräche von 1534 und 1539. Ihre Bedeutung für die sächsisch-albertinische Innenpolitik und für das Wirken Georgs von Karlowitz. In: Müller, Religionsgespräche (wie Anm. 43), 5.35-41. 45 Vgl. WARTENBERG, Leipziger Religionsgespräche (wie Anm. 44), 5.35-36; SCHEIBLE, Me- lanchthon (wie Anm. 32.), II, Nr. 1433; Franz SCHRADER, Kardinal Albrecht von Brandenburg, Erzbi- schof von Magdeburg, im Spannungsfeld zwischen alter und neuer Kirche. In: Ders., Reformation und katholische Klöster. Beiträge zur Reformation und zur Geschichte der klösterlichen Restbestände in den ehemaligen Bistümern Magdeburg und Halberstadt (= Studien zur katholischen Bistums- und Klostergeschichte 13). Leipzig 1973, S. 11-84. 46 Die Widmung des Erasmus in PFLUG, Correspondance (wie Anm. 1o), I, Nr. 84; Wolfgang CA- PITO (Übers.), Von der kirchen lieblichen Vereinigung, und von Hinlegung dieser zeit haltender Spal- tung in der glauben leer geschrieben durch den hochgelerten und weitberiempten herren Des. Eras. von Roterdam. Straßburg 1533. Vgl. James M. KITTELSON, Wolfgang Capito. From Humanist to Reformer (= Studies in Medieval and Reformation Thought 17). Leiden 1975, S.2.07-2,08; Heinz HOLECZEK, Erasmus Deutsch, I: Die volkssprachliche Rezeption des Erasmus von Rotterdam in der reformatorischen Öffentlichkeit 1519-1536. Stuttgart-Bad Cannstatt 1983, S.2.60-2,66. 47 ARC III, 5.131 Anm. 177. 126 HERIBERT SMOLINSKY

Friedrich Nausea, jetzt in Wien, nahm ebenfalls teil. Auf dem Wormser Religions- gespräch vertraten den Mainzer Erzbischof Michael Helding, der Dominikaner Ambrosius Pelargus, der Jurist und Vizekanzler Konrad Braun, der Domdekan Johann von Ehrenberg, Jodokus Hoetfilter u. a. Für Albrecht in seiner Funktion als Erzbischof von Magdeburg waren die Dominikaner Konrad Necrosius und Johan- nes Mensing in Worms. Ebenfalls nahm Julius Pflug an dem Gespräch teil, wobei unklar blieb, ob er das Mainzer Domkapitel oder den Erzbischof repräsentierte48. Man möchte gerne wissen, wie weit irenisch – erasmianische Reformtheolo- gen wie Julius Pflug, der nach seiner durch die Reformation des albertinischen Herzogtums Sachsen bedingten Flucht seit 1539 als Domkapitular in Mainz lebte, die religionspolitische Linie Albrechts in dieser Zeit beeinflußten. Eine prä- zise Antwort scheint bei dem derzeitigen Forschungsstand kaum möglich, aber thesenhaft kann man behaupten, daß es mindestens partielle Einflüsse bis zum Beginn der Religionsgespräche 154o gab, obwohl Albrecht schon im Vorfeld Pro- bleme mit einer solchen Unternehmung verbunden sah49. Diese These soll erstens durch Beobachtungen, die auf einen möglichen Einfluß Pflugs hinweisen, und zweitens durch den Gang der Entwicklung bewiesen werden. Der erste Beleg betrifft einen Brief, den Julius Pflug im Auftrag Albrechts am z 1 . September 1539 von Mainz aus an den französischen Kardinal Jean du Bellay schrieb5°. Darin kommt zum Ausdruck, daß der Erzbischof alle Mittel suchte, den verwirrten Zustand der deutschen Kirche zu beenden. Er habe von dem Auftrag des französischen Königs gehört, daß Theologen gebeten wurden, Wege zur Be- seitigung der Spaltung zu finden. Albrecht möchte gerne darüber informiert wer- den. Bellays Antwort mußte den Kardinal enttäuschen, denn es handelte sich nicht um Einigung, sondern um eine oberflächliche Kirchenreform, an die Franz I. dachte. Folgerichtig ging Pflug auf dieses Projekt nicht mehr ein, als er am 2.5. Oktober 1539 im Auftrag Albrechts an den französischen König selber wegen eines anderen Anliegens schriebs.. Ein am zz. Februar 154o von König Ferdinand auf Wunsch Morones an den Mainzer Kardinal gerichtetes Schreiben, welches als Hintergrund das Verschicken der » Leipziger Artikel« von 1539 durch Albrecht an seine Suffragane hatte, könnte mit diesen Aktivitäten zusammenhän- gen. Darin verbot der König dem Erzbischof, Religionsgespräche ohne Wissen und Zustimmung von Kaiser und Papst zu führen5.. In die Bemühungen um einen Religionsvergleich paßt es, daß Georg Witzel am 5.Dezember 154o in einem

48 ARC III, S. 196 Anm. 273 und S. 197.216, wo Pflug als Vertreter des Kurfürsten genannt ist. Nach PFLUG, Correspondance (wie Anm. 1 o), II, 5.174 Anm. 4, fungierte er auch als Vertreter des Mainzer Domkapitels. Zu Konrad Braun vgl. Maria Barbara RÖSSNER, Konrad Braun (ca. 1495-1563) — ein katholischer Jurist, Politiker, Kontroverstheologe und Kirchenreformer im konfes- sionellen Zeitalter. Phil. Diss. masch. Bonn 199o, S. 75.83-94. 49 Vgl. ARC III, S. 39 sein Schreiben vom 25. April 1539. Das Mainzer Domkapitel war kompro- mißbereiter, vgl. Max LENZ (Hrsg.), Briefwechsel Landgraf Philipp's des Großmütigen von Hessen mit Bucer, I. Leipzig 188o, S. 431; PFLUG, Correspondance (wie Anm. ro), II, S. rot. 5o PFLUG, Correspondance (wie Anm. pp), II, Nr. 145, 5.113 -116. Dort die Daten zu Jean du Bellay. 51 PFLUG, Correspondance (wie Anm. ro), II, Nr. 146, 5.116-123. Nr. 149, S. 133-135- 52 Vgl. Nuntiaturberichte aus Deutschland 1533-1559 nebst ergänzenden Aktenstücken, 1. Abt. V: Nuntiaturen Morones und Poggios, Legationen Farneses und Cervinis (1539-1540), bearb. von Ludwig CARDAUNS. Berlin 1909, ND Frankfurt 1968, S. 111 Anm. 2. Zum Verschicken der Arti- kel vgl. ARC III, Nr. 28, S. 46 f. ALBRECHT UND DIE REFORMTHEOLOGEN 12.7

Brief an Morone zu sagen schien, er habe seinen »Typus ecclesiae prioris« auf Befehl des Mainzer Kurfürsten drucken lassen53. Die Einflußnahme Pflugs kann durch eine Analyse der Instruktion erhärtet werden, welche der Kardinal für seine Räte anfertigte, die am Hagenauer Tag teil- nehmen sollten54. Sie ist datiert auf den zo. Mai 1540; ein Termin, an dem Pflug durchaus in der Umgebung Albrechts sein konnte. Albrecht war danach bereit, den Laienkelch und unter bestimmten Bedingun- gen die Priesterehe zuzugestehen. Das waren Konzessionen, die im Kreise der Re- formtheologen und humanistischen Räte 1538-1539 in Dresden bedacht wur- den, mit denen Pflug in Verbindung stand und deren Gedanken z. B. in bezug auf einen differenzierten Zölibat in seinem sog. »Scriptum Latinum« von ca. 1544 wieder auftauchten55. Ein weiteres Indiz stützt diese Hypothese. Der Zusammen- hang zwischen dem kirchlichen Versagen, der göttlichen Strafe, der Reformation als Mittel dieser Strafe und der Reform als Mittel zur Kircheneinheit, welcher in der Instruktion hergestellt wird, gleicht Formulierungen Pflugs, die sich z. B. 1543 bei ihm in einem Gutachten für Albrecht finden5 6. Zumindest in der Beurteilung der theologischen Begründung und der Funktion einer Kirchenreform dürfte Pflug den Kardinal beeinflußt haben; fragwürdiger ist es, eine Wirkung der »Ver- mittlungstheologie « anzunehmen. Wenn diese These stimmt, dann hat im Laufe der Religionsgespräche in Hage- nau, Worms und Regensburg der Mainzer Kardinal eine endgültige Wende vorge- nommen. Eine harte Linie vertraten Konrad Braun und Ambrosius Pelargus in Worms, wo Mainz mithalf, das Unionsprojekt Granvellas zu vereiteln57. Für die ablehnende Haltung gegenüber einem Vergleich und das Einschwenken auf die kuriale Linie, also das Konzil, könnten Kontakte mit Giovanni Morone, der so- wohl in Worms als auch in Regensburg als »Gegenpol« im Hinblick auf eine allzu große Kompromißbereitschaft dabei war, wichtig gewesen sein5 8. Der Verlust Magdeburgs auf dem Landtag in Calbe im Frühjahr 1541 dürfte kaum dazu bei- getragen haben, Albrecht freundlicher zu stimmen. Die Restitution der Kirchen- güter war ihm ein zentrales Anliegen59. Ein Indiz für die Ablehnung des Aus-

53 Nuntiaturberichte aus Deutschland 1533-1559 nebst ergänzenden Aktenstücken, 1. Abt. VI: Gesandtschaft Campeggios. Nuntiaturen Morones und Poggios (1540-154i), bearb. von Ludwig CARDAUNS. Berlin 1910, ND Frankfurt 1968, S. 179-181. Am 18. April 1541 schrieb Witzel an Jo- hannes Dantiscus, er warte darauf, daß ihn Albrecht nach Regensburg rufe: Rev. Moguntinus episco- pus ad aliquam fortasse functionem evocabit a comitiis, vgl. RICHTER, Schriften Witzels (wie Anm. 35), 5.176. Es bleibt offen, ob er am Reichstag teilnahm. 54 ARC III, Nr. 69. 55 ARC VI, Nr. 69, S. III. Vgl. August FRANZEN, Zölibat und Priesterehe in der Auseinanderset- zung der Reformationszeit und der katholischen Reform des 1 6.Jahrhunderts (= KLK 2.9). Münster 1969, S. 51-54. 56 PFLUG, Correspondance (wie Anm. 1o), II, Nr. z33. 57 LENZ, Briefwechsel (wie Anm. 49), 5.228. 2.65. 2.69. 53o. 58 Vgl. JEDIN, Trient (wie Anm. 38), S. 304-307. Die Kontakte ergeben sich z. B. aus der Beteili- gung Morones an der Reform. 59 Vgl. ARC III, Nr. 69, S.115: Wurde der restitucion halben tractirt . . . sollen unsere rethe mittel und weg furschlagen, das dieselb restitucion beschee; LENZ, Briefwechsel (wie Anm. 49), S. 530. Zu Magdeburg vgl. Franz SCHRADER, Was hat Kardinal Albrecht von Brandenburg auf dem Landtag zu Calbe im Jahre 1541 den Ständen der Hochstifte Magdeburg und Halberstadt versprochen? In: Eccle- sia militans (wie Anm. 3), S. 33 3-3 61. iz8 HERIBERT SMOLINSKY gleichs ist z. B. der Protest von Trier und Mainz am 17. Juli 1 5 41 in Regensburg gegen eine Annahme der verglichenen Artikel. Das solle nach ihrer Meinung auf einem Konzil verhandelt werden. Bedenkt man, wie stark Julius Pflug an diesem Ausgleich interessiert war, dann wird deutlich, daß in diesem Falle Albrecht und der Reformtheologe nicht mehr konform gingen6..

IV. REFORM ODER KONZIL?

Für die Religionspolitik ergab sich nach dem Scheitern der Gespräche aufs neue die Alternative, ob man sofort mit einer Reform beginnen oder auf das Konzil warten sollte. Albrecht von Brandenburg hatte, wie es scheint, auf das Konzil ge- setzt und dürfte im letzten diese Haltung kaum mehr geändert haben. Im Juli 1541 lautete sein Urteil: Concilium igitur generale et illud citum est unicum nunc humanum remedium6. . Nachdem der päpstliche Legat Gasparo Contarini auf Wunsch des Kaisers am 7. Juli 1541 die Bischöfe in Regensburg zur Reform er- mahnte62, handelte der Mainzer Erzbischof. Er trat im November 1541 mit dem Domkapitel in Verhandlungen und bildete eine Reformkommission. Zu ihr ge- hörten Valentin von Tetleben, Sebastian von Heusenstamm, Michael Helding, der Abt von St. Jakob Johannes Manger, der Professor und Generalvikar Bernhard Scholl, der Domprediger Johannes Wild, der Dominikaner und Theologieprofes- sor Konrad Necrosius, und seit dem 6. Mai 1542 der Domvikar Valentin Dürr63. Man schuf Reformkonstitutionen, deren Entstehungs- und Verhandlungsge- schichte von 1541-1544 reichte. Ihr Inhalt war weitgehend eine Kompilation vorhergehender Reformordnungen, z. B. der Regensburger von 1524, der Kölner Synodaldekrete von 1536, der Mainzer Synodalbeschlüsse von 1451 und der Hil- desheimer Reformstatuten von 1539 64. In einem Gespräch mit Morone hat Al- brecht am 18. Februar 1542 in Speyer seine Bedenken geäußert, ob eine Reform ohne Konzil überhaupt durchsetzbar sei 65. Trotzdem übergab er um den 23. Fe- bruar den Entwurf dem Legaten66 . Ganz ohne Interesse an der Reform kann er

6o ARC III, Nr. 128; JEDIN, Trient (wie Anm. 38), S. 312; PFLUG, Correspondance (wie Anm. 1o), II, Nr. 176. 61 Concilii Tridentini Actorum Pars Prima, hrsg. von Stephan EHSES (= Concilium Tridentinum, IV, hrsg. von der Görres-Gesellschaft). Freiburg 1904, S. 204. Siehe allerdings Contarini an Farnese, 4. Juni 1541. In: Fr. DITTRICH, Regesten und Briefe des Cardinals Gasparo Contarini (1483-1542). Braunsberg 1881, 5.193. Zu Mainz – Konzil vgl. ARC IV, Nr. 73-105; Anton Ph. BRÜCK, Das Erz- stift Mainz und das Tridentinum. In: Georg Schreiber (Hrsg.), Das Weltkonzil von Trient, II. Freiburg 1951, S. 193-243. 62 ARC IV, Nr. I. 63 ARC IV, Nr. 24; Fritz HERRMANN (Hrsg.), Die Protokolle des Mainzer Domkapitels, III: Die Protokolle aus der Zeit des Erzbischofs Albrecht von Brandenburg 1514-1545 (= Arbeiten der Hi- storischen Kommission für den Volksstaat Hessen). Paderborn 1932, ND Darmstadt 1974, S. 912-913. 916. 918. 9zo. 942; vgl. HERRMANN, Evangelische Bewegungen (wie Anm. 17), S. 27-43- In diesem Zusammenhang ist auf die Tätigkeit des Jesuiten Peter Faber 1542 in Mainz hinzuweisen. 64 Vgl. ARC IV, Nr. z6, Anm. 23, sowie ebd. die Nr. 7. 65 Hugo LAEMMER (Hrsg.), Monumenta Vaticana historiam ecclesiasticam saeculi XVI illustran- tia. Freiburg 1861, S. 412. Morone drängte auf eine Fortsetzung der Reform. 66 Ebd., S. 417. Vgl. auch Nuntiaturberichte aus Deutschland 1533-1559 nebst ergänzenden Aktenstücken, 1. Abt. VII: Berichte vom Regensburger und Speierer Reichstag 1541,1542. Nuntiatu- ALBRECHT UND DIE REFORMTHEOLOGEN 12.9 nicht gewesen sein, denn im Frühjahr desselben Jahres schaltete er sich ebenso wie Morone durch kleine Änderungsvorschläge in die immer noch unabgeschlos- sene Diskussion um den Mainzer Entwurf ein und ließ weiter an ihm arbeiten67. Auf mehreren Feldern wird bei alledem der Zusammenhang mit den Reform- theologen sichtbar. Einmal dürfte Michael Helding an dem ersten Entwurf des Reformtextes wesentlich beteiligt gewesen sein 68. Greifbarer als diese Vermutung sind dessen Katechismuspredigten, die er im Rahmen der Reformarbeit von 1542.-1544 im Mainzer Dom hielt und später drucken ließ. Damit stand er in der Linie der genannten »Mainzer katechetischen Tradition«, die von den Predigten Nauseas angefangen über die Drucke der Katechismen von Georg Witzel und Jo- hannes Dietenberger bis in diese Jahre sich fortsetzte69. In einer konservativen, am Kirchenrecht orientierten Form arbeitete zweitens Valentin von Tetleben, der frühere Generalvikar und jetzt in Mainz lebende Hildesheimer Bischof an der Ordnung mit, die in ihrer wenig originellen Form nicht mit den vom irenischen Humanismus geprägten Reformordnungen zu vergleichen ist, welche zur selben Zeit z. B. in Jülich-Kleve-Berg entstanden7°. Im Sinne der vom Humanismus so notwendig erachteten Belehrung war allerdings der Ansatz zu einer Universitäts- reform, den Albrecht 1541 machte. Am 14. September wurden Sebastian von Heusenstamm, Bernhard Scholl, Nikolaus Rucker und Anton Pistoris beauftragt, Mängel im Vorlesungsbetrieb der Universität und anderes zu überprüfen 7'. Nach- dem die Mainzer Ordnung im Entwurf vorlag und in einem einzigen Satz zur Uni- versität Stellung nahm, kam es 1542. nochmals zu Verhandlungen im Domkapitel über die Schul- und Universitätsreform, welche belegen, daß man diese Kommis- sion weiterhin damit beauftragen wollte. Über die Ergebnisse dieser Arbeiten ist nichts bekannt7.. Belegt ist die Mitarbeit von Reformtheologen in einer Aufforderung Albrechts an Julius Pflug über ein Gutachten zu diesem Mainzer Entwurf. Pflug, der seit 1542. Bischof von Naumburg-Zeitz war, aber das Amt nicht antreten konnte, legte sein Votum im Februar–März 1543 vor73. Er betonte, daß er nicht als Bera-

ren Verallos und Poggios. Sendungen Farneses und Sfondratos (1541-1544), bearb. von Ludwig CAR- DAUNS. Berlin 1912, ND Frankfurt 1968, S. 119. 67 Vgl. ARC IV, Nr.' I, S. 97-99 mit den Änderungsvorschlägen von Giovanni Morone, Robert Vauchop und Albrecht. 68 Vgl. Rolf DECOT, Religionsfrieden und Kirchenreform. Der Mainzer Kurfürst und Erzbischof Sebastian von Heusenstamm 1545-1555 (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Ge- schichte ioo). Wiesbaden 198o, S. 34. 69 SMOLINSICY, Helding (wie Anm. 13), S. 126; MOUFANG, Katechismen (wie Anm. 17); Peter FA- BISCH, Johannes Dietenberger. In: Katholische Theologen der Reformationszeit (wie Anm. 5), I, S. 82-89. 7o Zur humanistischen Reform vgl. SMOLINSKY, Docendus (wie Anm. 3); zu Tetlebens Vorstel- lungen vgl. ARC IV, Nr. 14 sowie seine Hildesheimer Reformstatuten: ARC II, Nr. 137- 7 1 Jakob MAY, Der Kurfürst, Cardinal und Erzbischof Albrecht II von Mainz und Magdeburg, Administrator des Bisthums Halberstadt, Markgraf von Brandenburg und seine Zeit. Ein Beitrag zur deutschen Cultur- und Reformationsgeschichte 1514-1545, 2 Bde. München 1865-1875, hier II, Bei- lage 6 7, S. 523-524; vgl. HERRMANN, Evangelische Bewegung (wie Anm. 1 7 ), 5.29-30. 107. 142; Helmuth MATHY, Die Universität Mainz 1477-1977. Mainz 1977, S. 56. 63 (mit Verweis auf frühere Reformversuche). 72 ARC IV, Nr. 8o; HERRMANN, Protokolle (wie Anm. 63), S. 95o. 73 PFLUG, Correspondance (wie Anm. io), II, Nr. 233. 130 HERIBERT SMOLINSKY ter Albrechts dabei fungiere – obwohl er in Mainz war –, sondern als Suffragan- bischof des Magdeburger Erzbischofs; eine unklare Aussage, die den Schluß zu- lassen könnte, Albrecht habe die Reform theoretisch für alle seine Bistümer betrieben74. Die Anfrage an Pflug ist um so interessanter, als er dezidierter als Albrecht die These vertrat: erst Reform, dann das Konzi175. Es soll offen bleiben, ob hier der Diplomat Albrecht am Werke war, der einen Auftrag des päpstlichen Legaten ent- weder rein formal erfüllte oder sich verschiedene Optionen offenhalten wollte. Pflugs Antwort zeigt noch einmal die Anliegen der Reformtheologen, welche teil- weise in Albrechts erwähnter Instruktion zum Hagenauer Tag zum Ausdruck ka- men. Die Reform muß Gottes Zorn über die Kirche abwenden und ist die Voraus- setzung zur Kircheneinheit. Deutlich kommt bei Pflug der Aspekt der Lehre und des Verstehens als wesentliches Anliegen humanistischer Reformtheologie zum Ausdruck. Und weil die Christliche lhar nach jnnehalt der heiligen schrifft sich mit dem wege vorgleicht, achte ich die christliche lhar und Reformation lauffen dermassen zusammen, das man sich des bestendigen grundes der Reformation nirgent besser dan aus der rechten und wharen christlichen lhar erholen moge .. . Die dogmata Ecclesiae Catholicae belangend . . . erfordert die notdurfft auf wege, weise und form zu gedencken, wie solche ding dem volcke mogen mit guethem grunde und am fuglichsten eingebildet werden. Pflug nahm das Reformkonzept, welches ihm nicht vollständig vorlag, so ernst, daß er für sein eigenes Bistum ei- nen Auszug davon anfertigte76. Insgesamt aber blieb der Mainzer Entwurf, wie viele andere seiner Zeit, Papier, und ob der Erzbischof große Hoffnungen darauf setzte, scheint fragwürdig77. Damit kommt ein letzter, punktuell erfaßbarer Aspekt in den Beziehungen Al- brechts zu den Reformtheologen in den Blick. Im Hin und Her von Reform, Einheit und Konzil stand letzteres 154 5 endlich vor seiner Realisierung. Albrecht hatte mehrfach im Vorfeld die Reformtheologen damit befaßt, z. B. Pflug am i6. Februar 15 3 7, der in Calbe als Wortführer des Kardinals den päpstlichen Gesandten Peter van der Vorst begrüßte, als dieser das Mantuaner Konzil ankündigte. Pflug war auch vorgesehen, Mainz dort zu vertreten 78. Erst mit Trient wurden die Konzils- pläne konkret. In einem ersten, nochmals gescheiterten Anlauf war Tetleben seit dem io. Mai 1543 als Bischof von Hildesheim und Vertreter Albrechts in Trient79. 1545 konnte ein zweiter Reformtheologe, Michael Helding, Mainz in Trient wirk- lich repräsentieren'''. Ob Albrecht das Konzil förderte, als Witzel es 15 3 2.14 for- derte, ist schwer zu sagen, aber in den letzten Jahren seines Lebens wollte er es. Als dann am 13. Dezember 1545 die erste Sitzung stattfand'', erlebte er das nicht mehr. Am 24. September 1545 war der Mainzer Erzbischof gestorben.

74 PFLUG, Correspondance (wie Anm. 10), II, S. 439; vgl. ARC IV, Nr. 13-14. r 8. 75 PFLUG, Correspondance (wie Anm. ro), II, S. 448. 76 PFLUG, Correspondance (wie Anm. 1o), II, S. 43 8 - 442. 445 . 450 Anm. 4. 77 Albrechts Haltung zu dem Reformversuch soll nicht weiter analysiert werden. Vgl. den Brief Morones an Farnese vom 3. März 1542. (Nuntiaturberichte VII, wie Anm. 66, S. 12'). 78 Vgl. POLLET, Pflug (wie Anm. in), S. r3r; PFLUG, Correspondance (wie Anm. 1o), I, S. 338. 79 Vgl. ARC IV, S. "lo Anm. 167; Concilium Tridentinum (wie Anm. 61), IV, S. 325 Anm. 6. 8o Vgl. ARC IV, Nr. 91; SMOLINSKY, Helding (wie Anm. 13), S.127; Anton Ph. BRÜCK, Drei Briefe Heldings vom Tridentinum. In: AmrhKG 2 (195o) S. 219-226. 81 Vgl. JEDIN, Trient (wie Anm. 38), S. 456. ALBRECHT UND DIE REFORMTHEOLOGEN 131

V. SCHLUSSBEMERKUNGEN

Zum Schluß seien zwei Fragen angesprochen: i. Welches Bild vermitteln die Re- formtheologen von Albrecht? z. Läßt sich eine kirchenpolitische Konzeption des Kurfürsten aus dem Gesagten ableiten? Ad 1: Aus den Aussagen der Reformtheologen ist kein klares Bild von Al- brecht zu gewinnen. Ihre unterschiedliche Ausrichtung und Funktion dürfte das verhindern. Die Buchdedikationen lassen zwar den Mäzen sowie Humanisten- freund erkennen, rühmen seine erudita Pietas und Tugenden; aber gerade Nau- sea, der sich hierin besonders hervortat, scheute nicht davor zurück, in einem Brief an Morone vom i6. November 1540 den Erzbischof mit dem Vorwurf man- gelnder Initiative gegenüber den Lutheranern zu denunzieren. Der vielzitierte Text ist im historischen Kontext zwar zu relativieren, weil Nausea gerade in ei- nem Streit mit Albrecht und dem Mainzer Kapitel von Sancta Maria ad gradus über eine Pfründenfrage lag, aber er zeigt die Variationsbreite des Urteils8. Ad z: Mit der Inhomogenität und Unterschiedlichkeit in den Funktionen der Reformtheologen hängt es zusammen, daß eine stringente Linie im Verhältnis zu Albrecht nicht zu sehen ist. Soweit es die Vermittlungstheologen Pflug und Witzei betrifft, dürfte ihre irenische Linie ab 1540 weniger Einfluß gehabt haben. Die Modifikationen in dem jeweiligen Verhältnis wurden genannt. Ein »spiritus rec- tor« des genannten Kreises war Albrecht nicht. Eher erscheint er als Diplomat, der schwer zu greifen ist, ohne daß ihm Verdienste um die Reformtheologie abge- sprochen werden sollen83.

8z Walter FRIEDENSBURG (Hrsg.), Beiträge zum Briefwechsel der katholischen Gelehrten Deutschlands im Reformationszeitalter. In: ZKG zo (1900) 5.530-532; zum Hintergrund ebd., S. 525-527- 83 So förderte Albrecht z. B. den Dominikaner Johannes Dietenberger (vgl. Hermann WEDEWER, Johannes Dietenberger 1475-1537. Sein Leben und Wirken. Freiburg 1888, S. 149), gab sein Einver- ständnis zur Bestellung Wilds als Domprediger (vgl. HERRMANN, Protokolle (wie Anm. 63), S. 785) und ernannte Helding zum Weihbischof (vgl. oben Anm. 29).