Plenarprotokoll 19/48

Deutscher

Stenografscher Bericht

48. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 12. September 2018

Inhalt:

Tagesordnungspunkt 1: (Fortsetzung) (FDP). 5068 D a) Erste Beratung des von der Bundesregie- (CDU/CSU). 5070 A rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- (BÜNDNIS 90/ zes über die Feststellung des Bundes- DIE GRÜNEN). 5072 B haushaltsplans für das Haushaltsjahr 2019 (Haushaltsgesetz 2019) (Minden) (SPD). 5073 B Drucksache 19/3400. 5035 A Johannes Kahrs (SPD) . 5074 C b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Dr. Barbara Hendricks (SPD). 5076 A Finanzplan des Bundes 2018 bis 2022 Drucksache 19/3401. 5035 B Monika Grütters, Staatsministerin BK. 5076 A Martin Erwin Renner (AfD). 5077 C Einzelplan 04 (SPD). 5078 B Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt (DIE LINKE). 5079 B Dr. (AfD). 5035 B (BÜNDNIS 90/ (SPD). 5038 C DIE GRÜNEN). 5080 B Dr. Alexander Gauland (AfD). 5039 A (CDU/CSU). 5081 A Dr. , Bundeskanzlerin. 5039 B (SPD) . 5081 D (AfD). 5045 A (FDP). 5046 A Einzelplan 05 Auswärtiges Amt (SPD). 5050 A , Bundesminister AA. 5082 C Dr. (DIE LINKE). 5053 D Heike Hänsel (DIE LINKE). 5085 A Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ Armin-Paulus Hampel (AfD). 5085 C DIE GRÜNEN). 5057 B Dr. Johann David Wadephul (CDU/CSU) . 5087 A (CDU/CSU) . 5060 C (DIE LINKE). 5088 B Dr . (AfD). 5063 B (FDP). 5089 A Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). 5064 B Dr. (DIE LINKE). 5090 C (Erfurt) (SPD). 5066 C (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). 5091 C Leif-Erik Holm (AfD). 5068 A Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/ Carsten Schneider (Erfurt) (SPD). 5068 C DIE GRÜNEN). 5092 C II Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 48 Sitzung , Mittwoch, den 12 September 2018

Dr. (SPD). 5093 C (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). 5119 C Dr . Birgit Malsack-Winkemann (AfD). 5094 C Dr. Johann David Wadephul (CDU/CSU) . 5120 C (CDU/CSU). 5095 D (SPD). 5122 B (DIE LINKE). 5097 B Dr. (CDU/CSU). 5123 C Gunther Krichbaum (CDU/CSU). 5097 C Alexander Graf Lambsdorf (FDP). 5097 D Sevim Dağdelen (DIE LINKE). 5099 A Einzelplan 23 Bundesministerium für wirtschaftliche Zu- (BÜNDNIS 90/ sammenarbeit und Entwicklung DIE GRÜNEN). 5100 A Dr. Gerd Müller, Bundesminister BMZ. 5124 C (SPD). 5101 A Volker Münz (AfD). 5126 B (CDU/CSU). 5101 D Sonja Amalie Stefen (SPD). 5127 A Alexander Graf Lambsdorf (FDP). 5102 D Michael Georg Link (FDP). 5128 C Dr. (CDU/CSU). 5103 A Helin (DIE LINKE). 5129 D (CDU/CSU). 5104 A (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). 5130 C Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). 5105 A (CDU/CSU). 5131 D (AfD). 5132 D Einzelplan 14 (SPD) . 5133 C Bundesministerium der Verteidigung (FDP). 5134 D Dr. , Bundesministerin BMVg. 5105 D Eva-Maria Schreiber (DIE LINKE). 5136 A Rüdiger Lucassen (AfD). 5107 C (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). 5136 C Dr. (SPD). 5108 C Dr. Wolfgang Stefnger (CDU/CSU) . 5137 C (FDP). 5109 D Dietmar Friedhof (AfD). 5138 C Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) . 5110 D Dr. (SPD). 5139 B Dr. (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). 5112 A Dr. Christoph Hofmann (FDP). 5140 C Dr. (DIE LINKE) . 5113 A Dr . (CDU/CSU) . 5141 A (CDU/CSU). 5113 C Carsten Körber (CDU/CSU). 5142 A (AfD) . 5114 D Nächste Sitzung . 5143 C (SPD). 5116 A Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP). 5117 B Anlage Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE). 5118 A Entschuldigte Abgeordnete. 5145 A Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 48 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 12 September 2018 5035

(A) (C)

48. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 12. September 2018

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: und die Bundeswehr könnte in Kampfhandlungen mit Guten Morgen, verehrte Kolleginnen und Kollegen! russischen Streitkräften verwickelt werden. Bitte nehmen Sie Platz. Die Sitzung ist eröfnet. (Zuruf von der CDU/CSU: Falsch!) Wir setzen die Haushaltsberatungen – Tagesordnungs- Krieg, Auseinandersetzung mit Russland? Frau Merkel, punkte 1 a und 1 b – fort: ich hofe nicht, dass Sie das wirklich riskieren wollen. a) Erste Beratung des von der Bundesregierung (Beifall bei der AfD) eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Aber welche Strategie verfolgt die Bundesregierung Haushaltsjahr 2019 (Haushaltsgesetz 2019) wirklich? In Afghanistan, wo die Bundeswehr ebenfalls angeblich die Sicherheit Deutschlands verteidigt, haben Drucksache 19/3400 die Taliban weite Teile des Landes wieder unter ihre Kontrolle gebracht. Seit 17 Jahren stehen deutsche Trup- (B) Überweisungsvorschlag: (D) Haushaltsausschuss pen dort, und je länger sie im Einsatz sind, desto mehr Afghanen kommen als Asylbewerber nach Deutschland. b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre- Bekämpfen wir damit tatsächlich Fluchtursachen? Ich gierung fürchte, nein. Finanzplan des Bundes 2018 bis 2022 (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Drucksache 19/3401 Meine Damen und Herren – Zitat –: Überweisungsvorschlag: Wir erteilen einer Ausweitung der Zuwanderung aus Haushaltsausschuss Drittstaaten eine klare Absage, denn sie würde die Wir haben gestern für die heutige Aussprache eine Re- Integrationsfähigkeit unserer Gesellschaft überfor- dezeit von insgesamt acht Stunden beschlossen. Wir be- dern. Verstärkte Zuwanderung würde den inneren ginnen mit dem Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin Frieden gefährden und radikalen Kräften Vorschub und des Bundeskanzleramtes, Einzelplan 04. leisten. (Beifall bei der AfD) Das Wort hat der Vorsitzende der AfD-Fraktion, Dr. Alexander Gauland. So steht es geschrieben im Wahlprogramm der CDU/ CSU von 2002. Aber Sie haben nicht geklatscht. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) Dr. Alexander Gauland (AfD): Das war eine korrekte Prognose. Die Frage ist nur, ver- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bun- ehrte Kollegen der Union: Warum haben Sie das nicht desminister des Innern hat die Migration die Mutter aller beherzigt? Probleme genannt. Es gehört seit Monaten zum außenpo- Der innere Friede in unserem Land ist in der Tat ge- litischen Mantra der Bundesregierung – diese Mutter al- fährdet. Ein Riss geht durch unsere Gesellschaft. Ich ler Probleme –, dass in Afrika und Asien Fluchtursachen glaube, da gibt es keinen Dissens. Ich fürchte allerdings, bekämpft werden sollen. In diesem Zusammenhang ist dass es erheblichen Dissens in der Frage gibt, von wem es höchst verwunderlich, dass Unionspolitiker erklären, diese Gefährdung ausgeht. die Bundeswehr denke über einen Einsatz in Syrien nach. Das würde zweierlei bedeuten: Mit deutscher Beteili- (Dr. [BÜNDNIS 90/DIE gung würden in Syrien neue Fluchtursachen geschafen, GRÜNEN]: Von Ihnen!) 5036 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 48 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 12 September 2018

Dr. Alexander Gauland (A) Sehen wir näher hin! Sonntag in Köthen: Zwei Af- wanderungspolitik der Kanzlerin kund. – Frau Merkel, (C) ghanen schlagen einen Deutschen zusammen. Der Mann Sie nannten das „Zusammenrottung“. stirbt. – Samstag in Dortmund: Drei Männer, der Täter- beschreibung zufolge vermutlich Nordafrikaner, stechen ( [AfD]: Unfassbar! – Zu- einen Deutschen nieder. – Samstag in Mainz: Zwei Ara- rufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ber greifen einen Somalier mit Messern an und rauben Das war übrigens ein Straftatbestand im Strafgesetzbuch ihn aus. – Samstag in Wiesbaden: Mehrere männliche der DDR. Die DDR-Presse bezeichnete die Proteste, die Personen, die als dunkelhäutig beschrieben werden, be- zum Zusammenbruch des SED-Regimes führten, als Zu- lästigen junge Frauen. – Samstag in Fulda: Drei Schläger, sammenrottung. Wenn Bürger von ihrem Grundrecht Ge- der Beschreibung zufolge Südländer, verfolgen einen brauch machen und die Regierungschefn dies im Duktus 52-Jährigen nach einem Discobesuch und schlagen ihn eines totalitären Staates brandmarkt, sollten bei uns allen bewusstlos. – Donnerstag in Friedberg: 16-jähriger Sy- in diesem Hause die Alarmglocken läuten. rer sticht am Bahnhof auf einen 18-jährigen Landsmann ein. – Meine Damen und Herren, ich breche hier ab. (Lebhafter Beifall bei der AfD – Wider- spruch bei der SPD und der LINKEN – Britta (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Das ist Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: gut, ja!) Haben Sie eigentlich die vielen Nazis nicht Finden Sie nicht auch, liebe Kollegen von den Linken, gesehen? – Zuruf des Abg. Johannes Kahrs dass es wieder Zeit wird für ein Konzert gegen rechts? [SPD]) (Beifall bei der AfD) Die ehemalige grüne Bundestagsabgeordnete Antje Hermenau, eine Leipzigerin, beschreibt die Situation Wie ideologisch verbohrt, wie verfangen im politi- so – Zitat –: schen Taktieren muss man sein, wenn die erste Reaktion auf die Ermordung eines Landsmanns die Sorge ist, der Nach der Wende predigten sie uns strengsten Man- Tod könne dem politischen Gegner nutzen. chester-Kapitalismus: nur arbeiten und sparen. … Dann kam die Finanzkrise, und plötzlich hatte es (Beifall bei der AfD – Johannes Kahrs [SPD]: haufenweise Geld für die Griechen, die sich in … Das ist doch jetzt so billig und peinlich!) – den Euro – Ich wiederhole meine Frage: Wer gefährdet den inneren hineinbetrogen hatten. Und heute die Flüchtlinge: Frieden in diesem Land? Die bekommen Geld, ohne zu arbeiten. (B) (Johannes Kahrs [SPD]: Die AfD!) (D) (Lorenz Gösta Beutin [DIE LINKE]: Sie – Ja, das kann ich mir vorstellen. doch auch!) (Johannes Kahrs [SPD]: Rechtsradikal ist das Das empfnden die Leute als ungerecht. Zu Recht! doch!) So weit das Zitat von Frau Hermenau, Ihrer früheren Auf der linksextremen Webseite Indymedia ist unter dem sächsischen Vorsitzenden. Titel „bewafnet euch!“ zu lesen – Zitat –: (Beifall bei der AfD) ein aufgesetzter schuss aus einer gaspistole auf ei- Und, liebe Kollegen, wenn viele dieser Flüchtlinge dann nen nazi am kopf oder am herz ist sofort tödlich. da auch noch Straftaten begehen, ist eben Schluss mit der braucht es keine umstände um legal oder nicht an Geduld. eine scharfe pistole ranzukommen. Bei der spontanen Demonstration wurde das Motto (Dr. [AfD]: Pfui! – Johannes der friedlichen Revolution von 1989 skandiert: „Wir sind Kahrs [SPD]: Soll ich mal zitieren, was die das Volk!“ Unter den Demonstranten befanden sich auch AfD laufend sagt?) ein paar aggressive Hohlköpfe, Wer gefährdet den öfentlichen Frieden? Wenn man un- (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- seren politischen Mitbewerbern und ihren Einwänden NEN]: Aha!) zuhört, dann droht allerdings Gefahr von rechts. die „Ausländer raus“ riefen und den Hitlergruß zeigten. Schauen wir nach : Am Rande eines Volks- festes hatten sogenannte Flüchtlinge drei Chemnitzer (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit Messern attackiert. Einer der drei verblutete an Ort sowie von Abgeordneten der SPD) und Stelle. Die beiden anderen mussten schwer verletzt ins Krankenhaus gebracht werden. Das Volksfest wurde – Ja, das hat gar keiner bestritten. – Das ist unappetitlich abgebrochen. Wie beim folgenden Totschlag in Köthen und strafbar. besaß einer der Täter keine Aufenthaltsberechtigung. (Beifall bei der AfD) Hunderte Chemnitzer machten spontan von ihrem de- mokratischen Grundrecht auf Versammlungsfreiheit Aber es handelte sich um eine Minderheit, die weder re- Gebrauch, taten ihre Empörung über die Folgen der Ein- präsentativ für die gesamte Demonstration war, noch das Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2018 5037

Dr. Alexander Gauland (A) Anliegen der Mehrheit der Demonstranten delegitimie- Ich wiederhole meine Frage: Wer gefährdet den inne- (C) ren kann. ren Frieden? Die Wahrheit ist, es hat in Chemnitz keine Menschenjagden gegeben. (Johannes Kahrs [SPD]: Das ist doch alles Ihr Verein!) (Widerspruch bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/ Die „Ausländer raus“-Schreier und Hitlergruß-Zeiger DIE GRÜNEN – Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Waren Sie dabei? – [SPD]: (Johannes Kahrs [SPD]: Die sind alle von der Und die Erde ist eine Scheibe!) AfD! – Gegenruf von der AfD: Ja, genau!) Der sächsische Generalstaatsanwalt hat das bestätigt, der sind doch die größte Hofnung für Sie, meine Damen und Ministerpräsident hat es bestätigt, die Polizeiberichte ha- Herren vom politisch-medialen Establishment. Wenn es ben es bestätigt, die Lokalpresse, der Chefredakteur der diese Idioten und Dumpfbacken nicht gäbe, wenn nur die „Freien Presse“ Chemnitz. Und am Ende hat ja selbst normalen Bürger demonstrieren würden, wäre das doch Herr Seibert im Namen seiner Chefn die Unterstellung eine Katastrophe für Sie. halb zurückgenommen. (Beifall bei der AfD – Johannes Kahrs [SPD]: Tatsächlich war die Polizeibilanz in Chemnitz nicht Ja, das ist doch Ihr Verein! Sie sind doch Chef anders als bei einem mittleren Bundesligaspiel. Die An- der Idioten und Dumpfbacken!) grife von Linksextremisten auf Polizisten im Hamba- cher Forst mit Steinen und Molotowcocktails am glei- Immer tauchen solche Figuren auf und produzieren die chen Sonntag waren sehr viel härter. Ein Beamter musste gewünschten Bilder. ins Krankenhaus eingeliefert werden. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist GRÜNEN]: Lutz Bachmann, Bernd Höcke, eine echte Lüge!) Hampel – alle in der ersten Reihe!) Weder Frau Merkel noch Herr Seibert hielten das auch Während Sie, meine Damen und Herren zur Linken, nur für erwähnenswert. Ursache und Wirkung verdrehen, fühlen sich viele Bür- ger nicht mehr sicher. So widerlich Hitlergrüße sind – (Beifall bei der AfD) ich erlaube mir, ins Gedächtnis zu rufen: Das wirklich Stattdessen werden demonstrierende Bürger unter- schlimme Ereignis in Chemnitz war die Bluttat zweier schiedslos kriminalisiert. Der nordrhein-westfälische Asylbewerber. (B) Ministerpräsident Armin Laschet will „aufhören mit (D) (Beifall bei der AfD) diesen verständnisvollen Reden, das seien alles besorgte Bürger“. Doch statt die Bürger zu beruhigen und ihnen zuzuhören, (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- goss ausgerechnet die Bundesregierung Öl ins Feuer. So- SES 90/DIE GRÜNEN) wohl die Kanzlerin als auch ihr Sprecher verbreiteten die Fake News, in Chemnitz sei es zu Hetzjagden auf Aus- Er hat gewissermaßen der bürgerlichen Mitte die Kündi- länder gekommen. gung ausgesprochen. (Zuruf von der SPD: Lesen Sie den Polizei- (Johannes Kahrs [SPD]: Rechtsradikale sind bericht!) nirgendwo eine Mitte! Sie auch nicht!) Und die Medien zogen mit. Der Nachrichtenkanal n-tv – Sogar der Verfassungsschutzpräsident wird angegrif- um nur ein Beispiel zu nennen – meldete, „bürgerkriegs- fen, weil er erklärt hat, es lägen keine belastbaren Infor- geile Neonazis“ hätten „ein Trümmerfeld“ aus Angst und mationen darüber vor, dass es in Chemnitz Hetzjagden Blut hinterlassen. „Unschuldige Menschen werden ge- gegeben habe. Was seither über Herrn Maaßen ausge- hetzt und gejagt wie wilde Tiere.“ Das meldete n-tv ohne kübelt wird, lässt sich nur so interpretieren: Die oberste jeden Beleg. Hamburg ist ein gutes Argument. Aufgabe des Verfassungsschutzes ist die Teilnahme am Kampf gegen rechts. – Das hätten Sie gerne. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD)

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Es ist aus dieser Perspektive folgerichtig, dass unsere po- litischen Mitbewerber den Verfassungsschutz dazu nöti- Herr Kollege Gauland, gestatten Sie eine Zwischen- gen wollen, die AfD zu überwachen. frage des Kollegen Schulz? (Ulli Nissen [SPD]: Das wäre auch dringend Dr. Alexander Gauland (AfD): nötig! – Zuruf des Abg. Johannes Kahrs [SPD]) Nein. Ich will geschlossen vortragen. Wissen Sie was? Wir haben kein Problem damit. Wir ha- (Zurufe von der SPD: Oh!) ben nichts zu verbergen. – Sie haben genügend Gelegenheit, zu sprechen. (Beifall bei der AfD) 5038 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 48 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 12 September 2018

Dr. Alexander Gauland (A) Je mehr sich der Verfassungsschutz mit uns beschäftigt, Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (C) desto klarer wird sein, dass nicht die AfD die Verfassung Zu einer Zwischenbemerkung erteile ich das Wort gefährdet. dem Abgeordneten Martin Schulz, SPD. (Zurufe von der LINKEN und dem BÜND- (Beifall bei der SPD) NIS 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kollegen, Sie versuchen, die Opposition zu kri- Martin Schulz (SPD): minalisieren, indem Sie eine Art Volksfront gegen die Vielen Dank, Herr Präsident. – Da Herr Gauland eine AfD aufbauen. Zwischenfrage nicht zugelassen hat, erlaube ich mir, eine Zwischenbemerkung zu machen. (Beifall bei der AfD) Die Reduzierung komplexer politischer Sachverhalte Darf ich Ihnen in Erinnerung rufen, dass noch nie in der auf ein einziges Thema, Geschichte eine Volksfrontpolitik Erfolg gehabt hat. (Zuruf von der AfD: Da seid ihr doch Spitze (Beifall bei Abgeordneten der AfD) drin!) in der Regel bezogen auf eine Minderheit im Land, ist ein Sie tun so, als hätten wir nur die Wahl zwischen Mul- tradiertes Mittel des Faschismus. tikulturalismus und Faschismus. Dass man auch leben kann wie die Schweizer oder die Dänen oder die Schwe- (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem den, kommt Ihnen anscheinend nicht in den Sinn. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- geordneten der FDP und der Abg. Nadine Frau Merkel, Sie haben, als Sie die Hetzjagdenunter- Schön [CDU/CSU] – Lachen bei der AfD) stellung zurücknehmen mussten, gesagt, es habe Hass gegeben. Hass ist erstens keine Straftat und hat zweitens Das haben wir heute erneut vorgeführt bekommen: Die in der Regel Gründe. Warum hat es, um in Ihrer merk- Migranten sind an allem schuld. würdigen Diktion zu bleiben, Hass gegeben? Weil die (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Sie sind schuld! – Chemnitzer schlechte Menschen sind oder weil sie sich Jürgen Braun [AfD]: Sie sind schuld, Herr als Opfer einer falschen Politik begreifen? Hassen diese Schulz!) Leute aus Bösartigkeit grundlos? Eine ähnliche Diktion hat es in diesem Hause schon ein- (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- mal gegeben, und ich fnde, es ist Zeit, dass die Demo- (B) NEN]: Sie schüren diesen Hass, Herr Gauland! kraten in diesem Lande sich gegen diese Art der rheto- (D) Sie und Ihre Truppe!) rischen Aufrüstung, die am Ende zu einer Enthemmung führt, Man wird auf irgendeine Form von Selbstkritik, liebe Frau Merkel, wohl vergeblich warten. (Jürgen Braun [AfD]: Das müssen Sie gerade sagen, Herr Schulz!) (Beifall bei der AfD) deren Resultat Gewalttaten auf den Straßen sind, wehren. Aber halten wir es mit Montesquieu: Nicht der Mensch Es ist Zeit, dass die Demokratie sich gegen diese Leute ist zu klein, das Amt ist zu groß. wehrt, Herr Präsident. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- Frau Bundeskanzlerin, Sie haben diesem Lande und geordneten der CDU/CSU und der FDP – Wi- seinen Bürgern nichts mehr anzubieten außer Sturheit, derspruch bei der AfD) Rechthaberei und Beschimpfungen. Verbarrikadieren Sie sich im Bundeskanzleramt nur weiter vor der Wirklich- Herr Präsident, die Zwischenfrage, die ich stellen keit. wollte, bezog sich auf die Äußerung des Herrn Gauland, das Zeigen des Hitlergrußes sei unappetitlich. Das Zei- Ich wiederhole meine Frage: Wer gefährdet den inne- gen des Hitlergrußes ist eine Straftat, die strafrechtlich ren Frieden in diesem Land? verfolgt werden muss. (Zurufe von der SPD, der LINKEN und dem (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die AfD! – BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- Ihr!) geordneten der CDU/CSU und der FDP – Zu- rufe von der AfD) Wir nicht! Noch einmal zur Art der Rede, die wir hier gehört (Beifall bei der AfD) haben: Eindimensionalität, die Reduzierung komplexer Strukturen im 21. Jahrhundert, die Reduzierung auf ein Ich bedanke mich. einziges Thema, ist ein Stilmittel, das bekannt ist. Das wird kombiniert – Herr Präsident, ich bin sofort fertig – (Lebhafter Beifall bei der AfD – Abgeordnete mit Aussagen wie der, das Tausendjährige Reich sei ein der AfD erheben sich) Vogelschiss. Herr Gauland, eine Menge von Vogelschiss Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2018 5039

Martin Schulz (A) ist ein Misthaufen, und auf den gehören Sie in der deut- chen an, all diejenigen zu unterstützen, die unser Land (C) schen Geschichte. jeden Tag durch ihre Arbeit und durch ihr Leben vo- ranbringen. Die Zahlen belegen es im Übrigen auch: (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Deutschland gehört zu den sichersten Ländern der Welt, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Die Abgeord- und Deutschland gehört zu den wohlhabendsten Ländern neten der SPD, der LINKEN und des BÜND- der Welt. NISSES 90/DIE GRÜNEN erheben sich) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: ordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN –Dr. Alice Weidel [AfD]: Ach, Herr Kollege Gauland, Sie können auf die Zwischen- Frau Merkel, das stimmt doch gar nicht! – Ge- bemerkung antworten. genruf des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Frau Weidel, Sie wissen doch gar Dr. Alexander Gauland (AfD): nicht, wie viele Morde es in Deutschland im Herr Abgeordneter Schulz, das ist nicht mein Niveau, Jahr gibt! Krakeelen Sie doch nicht!) auf dem ich mich mit Ihnen auseinandersetze. Und dennoch: Viele Menschen in unserem Land sor- (Lachen bei der SPD – Jürgen Braun [AfD]: gen sich in diesen Tagen um den Zusammenhalt von uns Aufstehen, Herr Schulz!) allen. Ich bin auch ganz sicher, dass die Bürgerinnen und Bürger sehr genau beobachten, in welcher Art und Weise Dieses Niveau hat es schon einmal in diesem Hause ge- wir den politischen Dialog führen – im Land wie auch geben. Da wollen wir bestimmt nicht hin. Das, was ich hier im Deutschen Bundestag. gesagt habe, hat mit Faschismus überhaupt nichts zu tun, und das wissen Sie auch. (Dr. Alice Weidel [AfD]: Ja, genau!) (Zurufe von der SPD) Da haben wir alle eine große Verantwortung. Es handelt sich um den Versuch, uns sozusagen aus dem Besonders aufgewühlt haben uns in den letzten Wo- demokratischen Konsens auszugrenzen. chen schwere Straftaten, bei denen die mutmaßlichen Täter Asylsuchende waren, die zu uns nach Deutschland (Jürgen Braun [AfD]: Herr Schulz hält sich an gekommen sind. Solche Taten machen mich betrofen keine Regeln des Parlaments! Er hält sich an und machen uns alle betrofen. keine Regeln des Deutschen Bundestages! – Tobias Matthias Peterka [AfD]: Rüpelhaft!) (Jürgen Braun [AfD]: Hat man bisher noch nichts von gemerkt!) (B) Das machen Sie. Aber das wird Ihnen nicht gelingen, (D) Herr Schulz! Wir trauern mit den Angehörigen, wir sind empört über die Straftaten. Solche Taten müssen aufgeklärt, die Täter (Beifall bei der AfD) vor Gericht gestellt und mit der Härte des Gesetzes be- straft werden. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Um die Erregung wieder auf das erträgliche Maß zu- bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN und rückzuführen, muss ich die Bemerkung machen, Herr des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Kollege Schulz: Üblich ist bei uns, dass man, wenn auf eine Zwischenbemerkung geantwortet wird – es ist nicht Genau so sieht es unser Rechtsstaat vor. in der Geschäftsordnung vorgeschrieben; deswegen habe (Dr . Alice Weidel [AfD]: Aha!) ich nicht interveniert –, die Antwort stehend entgegen- nimmt. Viele Bürgerinnen und Bürger, die durch Demonstrati- onen gezeigt haben, wie aufgewühlt sie sind, haben dabei (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Matthias ihr verfassungsrechtlich verbrieftes Recht genutzt, W. Birkwald [DIE LINKE]: Erst seit dieser Legislaturperiode! Früher war es das nicht!) ( [AfD]: Aha!) Jetzt erteile ich das Wort der Frau Bundeskanzlerin. und wir als Politiker sind verpfichtet, ihre Anliegen ernst zu nehmen und Missstände zu beheben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ulli Nissen [SPD]) (Thomas Ehrhorn [AfD]: Ah ja! Hört! Hört!) Ich kann jeden verstehen, der darüber empört ist, wenn Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin: sich nach Tötungsdelikten einmal mehr herausstellt, dass Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und die Straftäter sind, die schon mehrere Vorstrafen haben, Kollegen! Die Mehrheit der Menschen in Deutschland oder Menschen, die vollziehbar ausreisepfichtig sind. lebt und arbeitet für ein gutes und tolerantes Miteinander; Hier haben wir eine Aufgabe zu lösen. (Norbert Kleinwächter [AfD]: Sie aber (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Ja, dann ma- nicht!) chen Sie es doch!) davon bin ich zutiefst überzeugt. Ich sehe es als meine An dieser Aufgabe arbeiten wir in aller Entschiedenheit Aufgabe und die Aufgabe aller politisch Verantwortli- gemeinsam mit den Bundesländern und der Bundesregie- 5040 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 48 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 12 September 2018

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) rung. Der Bundesinnenminister hat dazu weitere Maß- Ich danke allen, die dafür arbeiten: den Polizistinnen (C) nahmen vorgelegt, und wir sind uns unserer Verantwor- und Polizisten und allen Sicherheitskräften, den Rich- tung dafür bewusst, liebe Kolleginnen und Kollegen. tern, den Staatsanwälten und auch den Beschäftigten an den Gerichten, genauso denen, die in unseren Haftanstal- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ten ihren Dienst tun, was alles andere als einfach ist, mei- ordneten der SPD – Jürgen Braun [AfD]: Sie ne Damen und Herren. erkennen das Problem gar nicht!) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Sosehr ich die Empörung und das Unverständnis ver- bei Abgeordneten der FDP und des BÜND- stehe und teile, lasse ich nicht gelten, dass dies eine Ent- NISSES 90/DIE GRÜNEN) schuldigung für menschenverachtende Demonstrationen ist. Ich danke den Haupt- und Ehrenamtlichen in unseren demokratischen Institutionen und Verbänden. Überall (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, gibt es glücklicherweise viele von ihnen, überall in unse- der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE rem Land. Deshalb sind auch Pauschalurteile über ganze GRÜNEN) Gruppen oder Landstriche wie Sachsen oder die neuen Nein, es gibt keine Entschuldigung und Begründung für Bundesländer falsch und völlig unangebracht. Hetze, zum Teil Anwendung von Gewalt, Naziparolen, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so- Anfeindungen von Menschen, die anders aussehen, die wie bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN ein jüdisches Restaurant besitzen, Angrife auf Polizis- und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – ten. Und begrifiche Auseinandersetzungen darüber, ob Dr . Alice Weidel [AfD]: Ach nee!) es nun Hetze oder Hetzjagd ist, helfen uns dabei wirklich nicht weiter, meine Damen und Herren. Das gilt genauso für die vielen Flüchtlinge, die hier fried- lich mit uns leben. Ich danke an einem solchen Tag ganz (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der LIN- besonders auch den vielen haupt- und ehrenamtlichen KEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Helferinnen und Helfern in der Flüchtlingsarbeit, die es sowie bei Abgeordneten der FDP – Jürgen alles andere als leicht haben in diesen gesellschaftlichen Braun [AfD]: Wer hat denn angefangen mit Diskussionen. der Hetzjagd?) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der LIN- Das kann doch nur eines heißen: Dem stellen wir uns KEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN entschieden entgegen, und zwar ganz im Geiste von Arti- sowie bei Abgeordneten der FDP) kel 1 unseres Grundgesetzes: (B) Wir werden nicht zulassen, dass klammheimlich gan- (D) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu ze Gruppen in unserer Gesellschaft ausgegrenzt werden: achten und zu schützen ist Verpfichtung aller staat- Juden, Muslime gehören genauso wie Christen und Athe- lichen Gewalt. isten (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, (Paul Viktor Podolay [AfD]: Sachsen!) der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu unserer Gesellschaft, in unsere Schulen, in unsere Par- teien, in unser gesellschaftliches Leben. Ich bin dankbar Artikel 1 gilt für jeden Menschen, und wer dagegen für jeden, der sich für unsere Demokratie engagiert, mei- verstößt, der legt die Axt an die Wurzel unseres Zusam- ne Damen und Herren. menlebens. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) GRÜNEN) Wer dagegen verstößt, stellt sich gegen unsere Werte von Die Frage, ob wir darüber Konsens haben, entscheidet Einigkeit und Recht und Freiheit. Die aber sind unseres über unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt. Glückes Unterpfand. (Stef Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und NEN]: Genau!) der SPD) Dann, wenn wir da ein gemeinsames Fundament haben, Deshalb darf es bei der Achtung der Menschenwürde können wir über all die anderen wichtigen Fragen spre- auch keinen Rabatt geben – für niemanden –, und des- chen, die die Menschen in unserem Land bewegen. halb führen Relativierungen in die Irre. (Zuruf von der AfD: Ich bin nicht Ihr (Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD]) Mensch, Frau Merkel!) Deshalb ist der Rechtsstaat hier in seinem Kern gefor- Es gelten bei uns Regeln. Und diese Regeln können dert – mit den Sicherheitskräften, mit unabhängigen Ge- nicht durch Emotionen ersetzt werden. Das ist das Wesen richten, mit allen Institutionen einer lebendigen Demo- des Rechtsstaates. kratie und einer wehrhaften Zivilgesellschaft. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der (Jürgen Braun [AfD]: Wer ist denn die „wehr- SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- hafte Zivilgesellschaft“?) NEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2018 5041

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) Weil wir uns bewusst sind, dass dieser Rechtsstaat he- Weil das so ist, stellt sich die Frage: Wie viel investieren (C) rausgefordert ist, haben wir in unserer Koalitionsver- wir im eigenen Land, und wie viel setzen wir für Ent- einbarung einen Pakt für den Rechtsstaat vereinbart. wicklungszusammenarbeit ein? Das sind zwei Seiten ein Dieser Bundeshaushalt zeigt erste Maßnahmen. Noch und derselben Medaille, in der es um Wohlstand für unser einmal 3 000 neue Stellen für Sicherheitsbehörden, Land geht. knapp 50 Millionen Euro mehr für die Ausstattung und Ausrüstung der Bundespolizei, Auch die Freiheit muss immer wieder erarbeitet wer- den, und durch die Digitalisierung ist sie herausgefordert. (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Nach 14 Jah- In einer digitalen Gesellschaft geht es um große Daten- ren!) mengen, um Datensicherheit, um Datenschutz – völlig neue Anfragen an unsere Freiheit. Deshalb ist die Daten­ 85 Millionen Euro für die Digitalisierung der Polizei- ethikkommission, die wir eingerichtet haben, genau die arbeit, Investitionen in die Cybersicherheit. Das sind richtige Antwort darauf. wichtige, richtige Signale. Und wir werden mit den Bun- desländern auch über die Ausstattung von Gerichten und Auch um Frieden zu sichern, brauchen wir völlig anderen Justizbehörden weiter intensiv sprechen. Die neue Instrumente. Wir selbst müssen uns dafür stärker Bürgerinnen und Bürger haben ein Recht auf einen funk- einsetzen. Allein mit der Haltung, dass wir uns überall tionierenden Rechtsstaat, auch in der täglichen Praxis, heraushalten, wird es nicht gehen. Unsere Maxime zur meine Damen und Herren. Friedenssicherung heißt immer: Vornean stehen die poli- tischen Bemühungen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Auf nach Sy- DIE GRÜNEN) rien!) Wir beraten heute über den Haushalt für das Jahr 2019. Deshalb setzen wir uns natürlich in Syrien dafür ein, Dahinterliegende Aufgaben gehen natürlich weit über und zwar in der Small Group zusammen mit der Asta- das nächste Jahr hinaus. Teil dieser Beratungen ist auch na-Group unter der Federführung der Vereinten Natio- die mittelfristige Finanzplanung. Wir haben uns daran nen. Aber einfach zu sagen, wir könnten wegsehen, wenn gewöhnt, aber ich will es trotzdem noch einmal sagen: irgendwo Chemiewafen eingesetzt werden und eine Es ist der fünfte Haushalt in Folge ohne neue Schulden. internationale Konvention nicht eingehalten wird, kann Das ist ein Hinweis und eine gute Nachricht für die junge auch nicht die Antwort sein. Alle Antworten, die wir Generation. geben, werden immer auf der Ebene des Grundgesetzes und im Rahmen unserer parlamentarischen Verpfichtung (B) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – sein. Das ist doch vollkommen klar. Aber von vornherein (D) Christian Lindner [FDP]: Das ist das Grund- einfach Nein zu sagen, egal was auf der Welt passiert, gesetz! Verfassung einhalten wird schon als kann nicht die deutsche Haltung sein, liebe Freundinnen Leitung betrachtet!) und Freunde. Wir haben ein steigendes Bruttoinlandsprodukt seit über (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- 13 Quartalen. Die Unternehmensinsolvenzen sind auf neten der FDP – Jürgen Braun [AfD]: Sie hal- dem niedrigsten Stand seit Einführung der neuen Insol- ten sich doch gar nicht an das Grundgesetz!) venzordnung. Im Herbst dieses Jahres werden voraus- sichtlich erstmals über 45 Millionen Menschen erwerbs- Wohlstand, Freiheit, Frieden – das ist das, was die tätig sein. Wir können alle gemeinsam stolz auf diese Menschen von uns erwarten, und sie haben alle einen Bilanz sein. ganz speziellen Blickwinkel. Deshalb hat dieser Haushalt auch so viele Facetten. Da ist zuerst einmal der Wunsch (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- nach Stabilität, nach vergleichbaren Lebensbedingungen ordneten der SPD) und nach Entlastungen, wo immer das möglich ist, damit die Menschen ihr Leben eigenständig gestalten können. Unsere grundsätzlichen Ziele bleiben. Seit Bestehen der Bundesrepublik arbeiten wir unverändert für Frie- (Jürgen Braun [AfD]: Sicherheit für die Men- den, für Freiheit und für Wohlstand; und das jetzt schon schen im Land! Darum geht es!) im 70. Jahr der sozialen Marktwirtschaft. Heute wissen wir: Unser Wohlstand entscheidet sich nicht mehr allei- Da haben wir gute Nachrichten in diesem Haushalt: ne durch uns und unsere Arbeit in Deutschland, sondern Familien und Berufstätige werden entlastet. Wir erhöhen wir sind verbunden im Rahmen des Binnenmarktes der das Kindergeld, wir erhöhen die entsprechenden Steuer- Europäischen Union. Wir sind verbunden mit anderen freibeträge, wir bereinigen die Einkommensteuer um die Ländern. Das heißt, sich um andere zu kümmern, mit kalte Progression. Das sind in 2019 und 2020 insgesamt anderen zusammenzuarbeiten, auf ein multinationa- Entlastungen von 10 Milliarden Euro. Für alle Mitglieder les funktionierendes System zu setzen, ist in unserem der gesetzlichen Krankenversicherung wird die Parität ureigenen Interesse. Wenn wir auf zehn Jahre Weltwirt- wieder eingeführt. Das ist eine Entlastung von 8,3 Mil- schaftskrise und Finanzkrise zurückblicken, wie es der liarden Euro für die Beitragszahler pro Jahr. Wir wer- Bundesfnanzminister gestern gemacht hat, wird uns das den – so ist das in der mittelfristigen Finanzplanung dar- noch einmal bewusst. gelegt – den Solidaritätszuschlag ab 2021 für 90 Prozent der Zahler des Solidaritätszuschlages abschafen. Das ist (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) noch einmal eine Entlastung von 10 Milliarden Euro. 5042 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 48 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 12 September 2018

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) Natürlich sagen manche: Ihr schaft auch Mehrbelas- me besucht, und ich weiß, welche herausragende Arbeit (C) tungen, zum Beispiel in der Pfege. – Aber da haben wir dort geleistet wird. Vieles liegt noch im Argen, und daran eine gute Nachricht: Durch die sehr gute Beschäftigungs- arbeiten wir. Aber eine Botschaft, die diejenigen, die in situation können wir den Arbeitslosenversicherungsbei- der Pfege arbeiten, mir gegenüber immer wieder geäu- trag zum 1. Januar 2019 um 0,5 Prozentpunkte senken, ßert haben, war: Bitte redet doch auch einmal darüber, was dann die Mehraufwendungen in der Pfege kompen- dass unser Beruf ein schöner Beruf ist, ein anspruchsvol- siert. Diese Mehraufwendungen sind wichtige Aufwen- ler Beruf ist, ein Beruf ist, in dem die älteren Menschen dungen für die Bürgerinnen und Bürger; denn die Fragen: uns auch etwas geben! Ihr redet darüber immer nur, als „Wie geht es mir im Alter?“ und „Wie behandeln wir die- sei das eine Arbeit, die man doch eigentlich fast gar nicht jenigen, die pfegen?“ gehören zu den zentralen Fragen machen kann. Tut etwas für das Berufsbild derer, die hinsichtlich Gerechtigkeit in unserem Land. pfegen! – Ich fnde, dafür gibt es allen Grund, und genau das wollen wir auch tun. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Dazu In der nächsten Woche haben wir eine ganz wichti- gehört aber auch eine anständige Bezahlung!) ge Veranstaltung, bei der es um Lebensbedingungen geht: den Wohngipfel. Dort werden wir ein Paket für das Wohnen und rund um das Wohnen vorstellen, das sei- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: nesgleichen sucht. Wir wissen, dass das Thema Wohnen Frau Bundeskanzlerin, der Abgeordnete Brandner insbesondere in den Ballungsgebieten eine riesige He- möchte eine Zwischenfrage stellen. rausforderung für Millionen von Menschen ist. Bezahl- bare Mieten – das ist die berechtigte Erwartung, weil das Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin: auch etwas mit Sicherheit im Leben zu tun hat. Nein, danke. Ich möchte geschlossen vortragen. Uns geht es auf der einen Seite darum, Mieterinnen und Mieter zu schützen und ihnen auch Rechte einzuräu- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: men, auf der anderen Seite geht es aber vor allen Dingen Gilt das generell? darum, dass bezahlbarer Wohnraum geschafen wird. Da haben wir gute Nachrichten: Zum Ersten wird der soziale Wohnungsbau verstärkt. Der Bund beteiligt sich mehr, Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin: als er sich das eigentlich vorgenommen hatte. Zum Zwei- Das gilt generell. ten wird eine Sonder-AfA eingeführt, die dafür sorgt, Jetzt kommt natürlich die Frage der Bezahlung; aber dass die, die investieren wollen, auch investieren können. (B) ich sage Ihnen: Meine Gespräche haben ergeben: Die (D) Zum Dritten ist die Nachricht für die Familien, dass wir Bezahlung ist ein wichtiger Punkt, die Arbeitszeit ist ein das Baukindergeld einführen, ein ganz wichtiges Mittel, mindestens genauso wichtiger Punkt, die Frage, ob man um ihnen Wohneigentum zu ermöglichen. Das alles sind eine Ausbildungsvergütung kriegt, ist ein solcher Punkt – Beiträge dazu, dass wir sagen können: Wir werden in die- das haben wir jetzt alles angepackt –, aber genauso wich- ser Legislaturperiode die Voraussetzungen dafür schaf- tig ist die Achtung und Beachtung dieses Berufs. Das ist fen, dass 1,5 Millionen neue Wohnungen gebaut werden mir im Übrigen auch neulich im Gespräch mit Lehrerin- können. Dazu gehören auch Verfahrenserleichterungen, nen und Lehrern so gegangen; das gilt für Pfegekräfte in schnellere Baulandbereitstellung und Ähnliches. Genau den Krankenhäusern. Das sind Menschen, die eine tolle das werden wir am 21. September besprechen. Das ist Arbeit machen, die aber auch einen tollen Beruf haben, eine gute Nachricht für viele, viele Menschen in unserem und das sollten wir vielleicht stärker herausstellen, meine Land. Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der ordneten der SPD) SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Wir wissen, dass die Alterssicherung eine der gro- NEN) ßen Herausforderungen ist, und zwar sowohl angesichts Wir nehmen natürlich auch den Blickwinkel derer ein, der demografschen Veränderungen als auch angesichts die von Auswirkungen der Digitalisierung betrofen sind. der Erwartungen der Menschen, wie ihr Leben nach der Hier werden wir in Kürze eine Weiterbildungsstrategie Erwerbstätigkeit aussieht. Wir haben eine Kommissi- verabschieden. Wir werden uns fragen: Was bedeutet on eingesetzt, die sich mit der Rente nach der Zeit von dieser Umschwung für diejenigen, die heute Arbeitneh- 2025 beschäftigen wird. Wir haben einen Gesetzentwurf merinnen und Arbeitnehmer sind? Wir müssen uns um eingebracht, der in Kürze hier beraten werden wird, mit die Infrastruktur kümmern. Wir müssen uns mit den Ge- einem konstanten Rentenniveau bis 2025, mit einer ver- fahren und dem Thema der Cybersicherheit auseinan- besserten Erwerbsunfähigkeitsrente und mit einer verbes- dersetzen. Aber wir müssen vor allen Dingen ab und zu serten Mütterrente. Das sind drei Botschaften von großer auch mal den Blick über unseren Tellerrand hinaus wa- Bedeutung für Millionen von Menschen. Hier haben wir gen. Heute gab es gerade eine Statistik zu lesen, nach der Wort gehalten, und im Haushalt ist genau das abgebildet. wir bei den digitalen Dienstleistungen in der öfentlichen Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Thema Pfege – Verwaltung in Europa laut Mitteilung der Kommission das spüren wir alle – beschäftigt fast jede Familie im auf Platz 21 sind. Das kann uns nicht zufriedenstellen. Land. Ich selber habe in den letzten Monaten Pfegehei- Deshalb ist die Schafung eines Bürgerportals von Bund, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2018 5043

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) Ländern und Kommunen eine der zentralen Aufgaben Und dann haben wir eine Vielzahl von Problemen zu (C) dieser Legislaturperiode. Es reicht nicht, nur die Infra- lösen. Wir haben es mit der Zukunft Deutschlands in der struktur auszubauen – das werden wir tun –, sondern ge- Europäischen Union zu tun. Zur Stunde hält Jean-­Claude nau da muss auch weitergearbeitet werden. Juncker, der Präsident der Europäischen Kommissi- on, im Europäischen Parlament seine Ansprache an die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) „Union“, wie es so schön heißt, also an die Europäische Wenn man in ist, dann sieht man, dass wir nicht Union. Meine Damen und Herren, ich bin zutiefst über- das wollen, was dort stattfndet: eine totale Überwa- zeugt: Deutschlands Zukunft wird nur dann eine gute chung, eine soziale Beobachtung – das möchte ich auf sein, wenn auch Europa einen guten Weg geht. gar keinen Fall. Auch Digitalisierung kennt Werte. Aber, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie liebe Kolleginnen und Kollegen, in welcher Form dort des Abg. Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE Plattformen genutzt werden, in welcher Form dort Start- GRÜNEN]) ups entstehen, in welcher Geschwindigkeit sie entste- hen, das kann uns nicht kaltlassen, weil das über unsere Das hört sich so trivial an, das ist es aber nicht. Wettbewerbsfähigkeit der Zukunft entscheidet. Deshalb müssen wir bei der Digitalisierung auch Tempo machen, (Jürgen Braun [AfD]: Das ist auch trivial!) und genau das macht die Bundesregierung mit dem Digi- talrat, mit den neuen Strukturen, bei der IT des Bundes. Olaf Scholz hat gestern dargelegt, welchen Weg wir Und ja, wenn man sich die Dinge anguckt, dann erkennt in der internationalen Finanzkrise und später in der Eu- man, dass es erst einmal komplizierter und die Aufga- ro-Krise gegangen sind. Das war ein Weg, der durchaus be vielleicht größer wird; aber wir gehen diese Aufgabe umstritten war: Sollen wir Banken retten? Wir haben es an, damit wir in unserem Lande ein modernes Dienst- getan, um für die Bürgerinnen und Bürger den Zahlungs- leistungssystem haben, das dem digitalen Zeitalter auch verkehr und um für unsere Unternehmen die Finanzie- wirklich entspricht, meine Damen und Herren. rung aufrechtzuerhalten. Sollen wir anderen Euro-Staa- ten helfen? Geht uns das etwas an? Wir haben uns nach (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- harten Diskussionen immer wieder entschieden: Ja, wir ordneten der SPD) tun es, weil der Euro-Raum für uns gemeinsam ein Mehr- wert ist und weil die Zusammenarbeit in Europa uns stär- Hier werden wir im Übrigen nur erfolgreich sein kön- ker macht, auch im internationalen Gefüge. nen, wenn wir dies auch zusammen in Europa machen. Deshalb investieren wir gemeinsam in Forschung und Zu den Vorwürfen gegenüber Deutschland wegen Entwicklung. Deshalb haben Deutschland und Frank- unseres Außenhandelsüberschusses und vielem ande- (B) reich gesagt: Wir brauchen eine Agentur, die sich auch ren mehr muss ich sagen: Ich bin dankbar, dass wir ein (D) mit vollkommen ungewöhnlichen Erfndungen, disrupti- Teil Europas sind und dass Handelsgespräche durch die ven Innovationen, beschäftigt. – Das haben wir auch auf Europäische Kommission für alle europäischen Länder der Bundesebene gemacht. Da gibt es dann auch viele zusammen geführt werden, dass wir eine gemeinsame Diskussionen: Was soll denn das wieder? Wir müssen Währung haben und dass man im Euro-Raum nicht ge- ofen sein für alle Möglichkeiten, neue Wege zu gehen, gen eine einzelne Währung spekulieren kann. Das macht weil das die Voraussetzung dafür ist, dass unsere heutige uns stärker, und das ist auch zum Nutzen Deutschlands. industrielle Stärke morgen noch unsere Stärke ist, die Ar- Zu der These, wir würden anderen dauernd etwas geben: beitsplätze für die Menschen in unserem Lande schaft. Es ist in unserem Interesse, für ein starkes Europa zu sor- (Beifall bei der CDU/CSU) gen, liebe Kolleginnen und Kollegen. In diesem Zusammenhang werden wir auch weiter auf (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- internationale Fachkräfte angewiesen sein. ordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN) (Dr. Alice Weidel [AfD]: Ja, das sieht man ja! – Jürgen Braun [AfD]: Sie haben ja 1 Mil- Bei der Frage des Euro geht es um Geld, um Prinzipi- lion Fachkräfte ins Land geholt!) en – wichtig! –, aber noch intensiver stellt sich die Frage: Wie wollen wir die Probleme der Migration, der illega- Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist von zentraler len Migration und der Flüchtlinge lösen? Für den Zusam- Bedeutung, und deshalb freue ich mich, dass wir in Kür- menhalt der Europäischen Union scheint mir dies eine ze die Eckpunkte für ein Fachkräftezuwanderungsgesetz weitaus größere Herausforderung zu sein als das, was wir beschließen werden und bis Jahresende ein solches Ge- in der Euro-Krise erlebt haben. setz vorlegen; denn zum Teil sind die Diskussionen unse- rer Unternehmerinnen und Unternehmer im Lande stär- Es ist im Grunde – Wolfgang Schäuble hat es gestern ge- ker darauf ausgerichtet, ob wir Fachkräfte bekommen, sagt – wieder ein „Rendezvous mit der Globalisierung“. als dass es um Steuererleichterungen geht. Es darf nicht Schon die Euro-Krise war ein Rendezvous mit der Glo- sein, dass Unternehmen unser Land deshalb verlassen, balisierung. Jetzt sind die Herausforderungen noch grö- weil sie keine Beschäftigten mehr fnden. Hier müssen ßer, und die Frage ist: Wie reagieren wir darauf? Gelingt wir etwas tun, und die Koalition hat sich genau dazu ent- es, Europa in einer solchen Situation zu zerstören, zu schlossen, meine Damen und Herren. fragmentieren, jeden wieder auf sich selbst zurückfallen zu lassen, oder gelingt das nicht? (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) (Jürgen Braun [AfD]: Sie sind ja dabei!) 5044 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 48 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 12 September 2018

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) Im Mai 2019 steht die Europawahl an, bei der genau Wirtschaft aufrufen, zu investieren; denn die Unterneh- (C) diese Frage zur Debatte stehen wird. men haben zum Teil immer noch den Eindruck – das soll kein Pauschalurteil sein –: Das Afrika des heutigen Tages (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Wir freuen ist so wie das Afrika vor 30 Jahren. – Das ist es nicht uns!) mehr . Afrika ist ein toller Kontinent, ein junger Konti- Bei dieser Europawahl wird es um die Frage gehen: Wo nent, ein Kontinent mit den zukünftigen Märkten. Ich und wie lösen wir die Probleme, und schafen wir das kann die deutsche Wirtschaft nur einladen, sich mehr für zusammen? Dabei ist ganz klar: Wenn Europa einfach Afrika zu interessieren. Wir werden versuchen, dem im sagt: „Wir schotten uns ab, und wir kümmern uns nicht Oktober einen Schub zu geben. um das, was in unserer Nachbarschaft passiert“, dann (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- wird das schiefgehen. Das ist schon im Zusammenhang ordneten der SPD) mit Syrien und Irak und den vielen Flüchtlingen, die zu uns kamen, schiefgegangen. Denn es hat sich auch dort Kampf gegen illegale Migration bedeutet natürlich gezeigt: Wenn du dich vor Ort nicht darum kümmerst, auch, dass wir den Außengrenzenschutz stärken. dass es den Menschen gut geht, dann machen sie sich auf (Dr . Alice Weidel [AfD]: Aha!) den Weg. Jean-Claude Juncker wird dazu Vorschläge machen. Er Das gilt ebenso mit Blick auf Afrika, unseren Nach- hat schon Vorschläge gemacht: Verstärkung von Frontex. barkontinent. Es geht um ein dauerhaftes und langfristi- ges Vorgehen. Und da ist es eine gute Nachricht, dass wir (Dr. Alice Weidel [AfD]: Der hat Ischias!) mehr für Entwicklungszusammenarbeit ausgeben. Ich Das bedeutet aber auch – dafür trete ich zumindest ein –, möchte dem Entwicklungsminister ausdrücklich für die dass die Staaten, die an der Außengrenze liegen, natio- vielen Aktivitäten danken. nale Kompetenzen abgeben, um Frontex wirklich mit Ich war jüngst in Afrika und eines ist spürbar: Ent- umfassenden Kompetenzen auszustatten. Und das be- wicklungszusammenarbeit ist Schritt Nummer eins, aber deutet eben auch ein Maß an Solidarität, wenn es darum es ist nicht mit der Arbeit getan, wenn die jungen Men- geht, dass Menschen zu uns kommen, oder wenn wir schen ein tolles Training bekommen, aber anschließend Verpfichtungen haben, zum Beispiel legale Migration keinen Arbeitsplatz haben. Sie sind dann super in der zu ermöglichen oder den Ländern zu helfen, die wirklich Landwirtschaft ausgebildet, aber leider gibt es kein wirt- in Not sind. Das, meine Damen und Herren, bleibt der schaftliches Rückgrat dieser Länder. Deshalb werden wir wunde Punkt der Europäischen Union. Dafür haben wir uns verstärkt – und die Bundesregierung tut das ja auch – noch keine Lösung gefunden. Deutschland ist bereit, sich in diese Solidarität einzureihen. Auch das wird während (B) damit auseinandersetzen müssen: Wie machen wir aus (D) klassischer Entwicklungszusammenarbeit wirtschaftli- der österreichischen Präsidentschaft ein weiteres Thema che Entwicklung? sein. Da muss man leider sagen, dass andere einen sehr So kann man sagen, dass wir insgesamt vor riesigen klaren Weg gehen. Auf dem letzten China-Afrika-Gipfel Herausforderungen stehen, aber auch, dass wir mit die- wurden 60 Milliarden Dollar in den nächsten drei Jah- sem Bundeshaushalt diese Herausforderungen ganz be- ren für Investitionen in die afrikanische Infrastruktur wusst angehen, was Rente, Pfege, Krankenversicherung vereinbart. Das ist eine Hausnummer. Jedes afrikanische anbelangt, was Entlastungen anbelangt, was Investitio- Land sagt uns: Ihr braucht überhaupt nicht mehr mit ei- nen in Forschung anbelangt, was Investitionen in Infra- nem interessierten Unternehmen zu kommen, wenn ihr struktur anbelangt. Der Bundesverkehrsminister hat ges- uns nicht ein Finanzierungskonzept mitbringt. – Diese tern mit Ihrer aller Hilfe die Infrastrukturgesellschaft für Finanzierungskonzepte müssen wir erarbeiten. Wir müs- die deutschen Autobahnen gegründet. Meine Damen und sen uns überlegen: Wo können wir Zinszuschüsse geben, Herren, das ist ein großes Projekt, das uns in die Lage wo können wir vielleicht Krediterleichterungen geben, versetzen wird, das Geld, das wir haben, schneller auszu- wie können wir das mit Entwicklungszusammenarbeit geben. Das ist ein Schritt, der absolut gewürdigt werden verbinden? Dazu haben wir die KfW, sie hat die entspre- muss. chende Entwicklungsbank. All das werden wir verstär- Wir müssen – das glaube ich zutiefst – ab und zu auch ken. Dazu arbeitet die Bundesregierung mit allen Res- über das sprechen, was uns gelingt. sorts zusammen. Das ist wirklich dringend notwendig, um Entwicklung in Afrika auf den Weg zu bringen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir können immer kritisch sein, wenn es um das geht, was uns alles nicht gelingt; aber wenn wir den Menschen Ende Oktober – Wolfgang Schäuble hat es während nicht sagen, was gelingt, dann werden sie auch nicht unserer G-20-Präsidentschaft begonnen; das setzen wir verstehen, wo wir besser werden. Deshalb wird es eine fort, obwohl wir nicht mehr allein verantwortlich sind, gemeinsame Aufgabe sein – zumindest derjenigen, die sondern wir machen das mit Weltbank und Internationa- gemeinsam für dieses Land kämpfen –, zu sagen: Ja, wir lem Währungsfonds – werden wir die Länder, die einen wissen, dass vieles noch nicht erreicht ist, wir wissen, Compact with Africa, also eine Reformpartnerschaft, dass es noch viele Mängel gibt; aber wir stellen uns den eingegangen sind – das sind etwa zehn afrikanische Län- Herausforderungen, und wir kommen Schritt für Schritt der –, zu uns zu einem großen Wirtschaftsforum einladen, voran. – Das ist unser Auftrag, unser Anspruch, und das um für Investitionen zu werben. Wir werden die deutsche werden wir auch einlösen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2018 5045

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) Herzlichen Dank. Drei Fragen habe ich an Sie. Wer trägt Ihrer Aufas- (C) sung nach dafür politisch Verantwortung, dass wir hun- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) derttausendfach, millionenfach illegale Einwanderung in Deutschland haben? Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem NEN]: Sie haben wohl keine Redezeit gekriegt Abgeordneten Brandner, AfD. von Ihrer Fraktion!)

Stephan Brandner (AfD): Wer trägt Ihrer Aufassung nach dafür Verantwortung, dass wir hunderttausendfach Aufenthalte in Deutschland Meine Damen und Herren! Ich kann Sie zunächst be- haben, die beendet werden müssten, Frau Merkel? Wer ruhigen: Es wird keine Hass- und Hetzparolen von mir trägt die Verantwortung für die Zustände, die bei uns auf geben, den Straßen herrschen? Dazu haben Sie kein einziges (Zurufe von Abgeordneten der CDU/CSU Wort gesagt. und der SPD) (Johannes Kahrs [SPD]: Hören Sie doch auf und auch keine Antifa-Sprüche, so wie von Herrn Schulz mit diesen rechtsradikalen Spinnereien! – vorhin. Ich wollte mich kurz sachlich mit der Rede von Weitere Zurufe von der SPD und vom BÜND- Frau Merkel auseinandersetzen. „Misthaufen“, Herr NIS 90/DIE GRÜNEN) Schulz, kommt übrigens in meiner kurzen Ansprache auch nicht vor. Am Ende haben Sie gesagt, Sie gehen Schritt für Schritt weiter . Wer in diesem Lande die Verantwortung für die (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- politischen Zustände und die Zustände auf den Straßen NEN]: Eine „Ansprache“ ist nicht vorgese- trägt, dazu kam von Ihnen nichts, Frau Merkel. hen! Kurzintervention!) Frau Merkel, ich habe Ihrer Rede zugehört. Ich muss Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: gestehen: Das war die einzige und erste Rede von Ihnen, Herr Kollege. der ich bisher zugehört habe. Ich muss sagen: Ich hätte besser verwenden können, als sie hier abzusit- zen. Stephan Brandner (AfD): Frau Merkel, zwei weitere Fragen. (B) (Zuruf von der CDU/CSU: Sie müssen hier (D) nicht sitzen!) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Zu 80 Prozent Ihrer Rede sind Sie allgemein durch Herr Kollege Brandner! die deutsche, europäische und die Weltpolitik mäandert. Ganz am Anfang haben Sie versucht, sich zu den Verbre- chen zu positionieren, die von den Migranten in Deutsch- Stephan Brandner (AfD): land ausgehen. Das waren allgemeine Aussagen, die Sie Sie sprachen noch von Ausgrenzung. da getrofen haben. Für mich war das eine Verhöhnung der Opfer, die täglich Ihrer Politik geschuldet sind, der (Zuruf von der SPD: Jetzt aber mal die Rede- Opfer von Messerattacken, der Opfer von Körperverlet- zeit beanstanden!) zungen und der Opfer von Vergewaltigungen. Dass Sie sich hier nicht klar und eindeutig positioniert Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: haben und gesagt haben, dass Sie gegen Migrantenkri- Herr Kollege Brandner, Zwischenbemerkungen müs- minalität sind, dass Sie sich hier nicht klar und eindeutig sen kurz sein. positioniert haben und gesagt haben, Sie sind gegen die Kriminalität, die auf unseren Straßen tagtäglich von lin- ken Spinnern ausgeht, die Menschen angreifen, die Men- Stephan Brandner (AfD): schen bespucken, die Menschen bewerfen, die Menschen Drei Minuten. beleidigen, (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Hal- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: lo?) Nein, nein. Entschuldigung, das entscheidet übrigens das lässt tief blicken, Frau Bundeskanzlerin. der Präsident. – Kommen Sie bitte zum Ende. (Beifall bei der AfD) Stephan Brandner (AfD): Dass Sie sich nicht ganz klar positioniert haben gegen Ja. – Zwei Fragen habe ich noch. Herrn Steinmeier, der dazu aufgerufen hat, ein Konzert von sogenannten Musikgruppen zu besuchen, die pri- mitivste Hass- und Gewaltpropaganda verbreiten, Frau Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Merkel, das lässt tief blicken. Eine! Und kurz! 5046 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 48 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 12 September 2018

(A) Stephan Brandner (AfD): Die Weltlage ändert sich, und die Grundlagen für un- (C) Sie sprachen sich gegen die Ausgrenzung von Grup- seren zukünftigen Wohlstand werden heute gelegt. Ers- pen aus. Wie halten Sie es mit der Ausgrenzung der AfD, tens wäre das durch die Stärkung der Wettbewerbsfähig- die tagtäglich überall stattfndet? keit möglich, zweitens durch Anstrengungen bei Bildung und Forschung. Drittens müsste man bei der Digitalisie- (Lachen bei Abgeordneten der SPD, der LIN- rung wirklich Tempo machen. Viertens brauchen wir eine KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- fexible Form sozialer Absicherung, die auf Dauer fnan- NEN) zierbar ist, und fünftens einen gestaltenden Schritt in ein Und letztendlich, Frau Bundeskanzlerin: Wann erlösen Jahrzehnt der Erneuerung Europas. Sie uns durch einen Rücktritt? Niemals wäre es leichter, dass sich unser Land neu er- fndet. Nichts aber passiert. Es wäre möglich, dass der Vielen Dank. Soli ab 2020 entfällt, wenn jetzt auf das Baukindergeld (Beifall bei der AfD – Johannes Kahrs [SPD]: und andere Subventionen verzichtet würde. Es wäre Peinlicher Mensch! – Weitere Zurufe von möglich, alte Schulden zu tilgen und das Risiko stei- der SPD: Rüpel! – Buh! – Michael Grosse-­ gender Zinsen zu minimieren, wenn jetzt nicht benötigte Brömer [CDU/CSU]: Der spricht für die ge- Rücklagen und Sondervermögen aufgelöst würden. samte AfD! Peinlich!) (Zuruf des Abg. Johannes Kahrs [SPD]) Es wäre möglich, in Digitalisierung, Forschung und Bil- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: dung zu investieren, wenn unnötige Staatsbeteiligungen Frau Bundeskanzler, wollen Sie antworten? – Dann wie an der Telekom schrittweise aufgelöst würden. Wir erteile ich als nächstem Redner dem Abgeordneten haben das alles vorgerechnet. Das, was Sie vorgelegt Christian Lindner, FDP, das Wort. haben, ist ein Haushalt der verpassten Chance. Eigent- (Beifall bei der FDP – Johannes Kahrs [SPD]: lich muss man es schärfer sagen: Es ist ein Haushalt der Oh, der redet sogar im Bundestag! Na, immer- fahrlässig verweigerten Gestaltung, meine Damen und hin! Kommt ja selten vor!) Herren. (Beifall bei der FDP – Johannes Kahrs [SPD]: Christian Lindner (FDP): Sie hätten es ja ändern können!) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Im nächsten Jahr werden wir bei Steuern und Abgaben Was für ein Bundeshaushalt! 356,8 Milliarden Euro, über Vizeweltmeister sein. Beim Fußball sind wir in der Vor- (B) die wir hier entscheiden. Was für eine wirtschaftliche runde ausgeschieden. Umgekehrt wäre besser gewesen. (D) Lage, in der wir sind! Rekordzahlen bei der Beschäfti- Mindestens für eines von beidem tragen Sie politische gung, prosperierende, dynamisch wachsende Staatsein- Verantwortung. nahmen, volle Sozialkassen, niedrige Zinsen. Was für eine außergewöhnliche ökonomische Situation, die sich (Beifall bei der FDP – Johannes Kahrs [SPD]: mutmaßlich in dieser Form alleine aufgrund des demo- Die FDP hat es ja nicht mal in die Vorrunde grafschen Wandels kein zweites Mal wiederholen wird. geschaft!) In dieser Situation rühmt sich die Koalition – der Bun- Im Grunde könnte man jetzt über alles noch im Detail desfnanzminister gestern, die Bundeskanzlerin heute –, weitersprechen, die ganzen Punkte könnte man vertie- dass keine neuen Schulden aufgenommen werden, dass fen. Aber es macht de facto keinen Sinn, weil wir hier eine schwarze – oder ich sage besser: eine rote – Null schon wieder ausschließlich über Migration sprechen. erreicht wird. Nachhaltige Haushaltspolitik haben Sie Ich glaube, dass die Menschen im Land dafür auch kein falsch verstanden und unsere Verfassung auch. Es gibt Verständnis haben, keine Pficht, alles Geld auch wirklich auszugeben. Das (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Doch, schon!) ist nicht verantwortliche Finanzpolitik. Es muss auch eine gestaltende Finanzpolitik geben, die die Möglich- wie hier argumentiert, wie hier debattiert wird. Ich glau- keiten für Investitionen und vor allen Dingen für Entlas- be, dass wir eine Chance verspielen, auch für die poli- tungen nutzt, wenn sie gegeben sind. tische Auseinandersetzung, wenn wir uns nur mit den ritualisierten Empörungen der AfD und auch der ritua- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten lisierten Antwort darauf beschäftigen. Dafür haben die der AfD – Michael Grosse-Brömer [CDU/ Menschen im Land kein Verständnis. CSU]: Das machen wir ja auch!) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Die Weltlage ändert sich; das wissen wir alle. Die der CDU/CSU) Frau Bundeskanzlerin hat hier ja eben über einige Im- Wir reden wieder nur über Migration. Die letzte Haus- pressionen gesprochen. Die Bundesregierung bereitet haltsberatung, diese Haushaltsberatung: Es geht um sich auf einen harten Brexit vor, entnehmen wir den Me- Migration. dien – leider nicht den Antworten auf Große Anfragen der FDP-Bundestagsfraktion. Wir haben immer noch Herr Gauland, Sie fragen, was den inneren Frieden in einen schwelenden Handelskonfikt mit den Vereinigten unserem Land gefährdet. Diese Frage nehme ich gerne Staaten. Nicht überall sind wir technologisch spitze. Ich auf. Natürlich ist der innere Frieden in unserem Land be- könnte diese Liste weiter fortsetzen. droht. Ich bestreite nicht, dass es manche gibt, die auf Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2018 5047

Christian Lindner (A) dem linken Auge blind sind; ich denke an die G-20-Kra- ser Situation nicht einen engen und intensiven Austausch (C) walle bei Olaf Scholz in Hamburg. pfegen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Britta der AfD) Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich halte es im Übrigen auch nicht für klug, dass Bünd- Nebenkriegsschauplätze beschäftigen uns. Die Regie- nis 90/Die Grünen in Nordrhein-Westfalen ihren Partei- rung führt in dieser Zeit nicht, sie taumelt den Ereignis- tag auf dem Widerstandsacker auch der Autonomen beim sen hinterher und stolpert über die eigenen Füße. Hambacher Forst abhalten. Das trägt nicht zur Deeska- lation bei. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Das schaft kein Klima des Vertrauens. der CDU/CSU und der AfD – Widerspruch Herr Seehofer, Sie haben davon gesprochen, Migrati- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE on sei die Mutter aller Probleme. GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Also, es gibt manche, die sind auf dem linken Auge blind. Aber Sie sind auf dem rechten Auge blind. So sprach Saddam Hussein. Armin Laschet, stellver- tretender Vorsitzender der CDU, sagt, das sei Sad- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten dam-Hussein-Sprache, die Sie verwenden. Wichtiger der CDU/CSU) als die Stilkritik ist mir aber die Substanz dessen, was Sie wollen Probleme nicht lösen, sondern Sie wollen aus Sie gesagt haben. Ich halte es sachlich für verantwor- Problemen politisches Kapital schlagen. Sie wollen nicht tungslos, wenn Sie pauschal Migration zu einem Pro- Politik verändern, sondern Sie stellen die Legitimation blem erklären. Wie viele Beamtinnen und Beamte, Herr unseres demokratischen Systems infrage. Die Gewaltta- Seehofer, bei der bayerischen Polizei oder bei der Bun- ten in Chemnitz und Köthen sind kein Anlass für einen despolizei, bei der Bundeswehr, bei der Feuerwehr haben Rechtsruck in unserem Land, sondern für die Stärkung einen Migrationshintergrund! Wie viele Millionen Men- des Rechtsstaats; das haben Sie nicht verstanden. schen in Deutschland mit deutschem Pass haben einen Migrationshintergrund! (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordne- ten der CDU/CSU und der SPD und der Abg. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordne- Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE NEN]) GRÜNEN) (B) (D) Selbstverständlich haben wir ein Rumoren in der Herr Seehofer, was sagt es Ihnen, dass die Polizei in Gesellschaft; davor kann man doch überhaupt nicht die Niedersachsen gestern eine Resolution verabschiedet hat Augen verschließen. Wir kriegen doch alle mit – wer Au- und Ihnen Zurückhaltung bei der Wortwahl empfehlt? gen hat zu sehen und Ohren zu hören, bekommt es doch mit –, welches Rumoren es in der Gesellschaft gibt. (Jürgen Braun [AfD]: Hören Sie auf, sich ein- zuschleimen! Wer ist die Polizei? Es gibt kein In den Parteien ja auch: Die Sammlungsbewegung Gremium, das die Polizei ist! Das ist dummes von Frau Wagenknecht, warum gibt es die denn? Weil sie Zeug!) der internationalistisch aufgestellten Linken nicht mehr vertraut und jetzt eine Art linken Populismus will, wie Viele der Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten mit wir ihn in Italien beispielsweise im Süden auch gesehen Migrationshintergrund fühlen sich durch Sie stigmati- haben. Also, in den Parteien rumort es doch. siert und diskriminiert. So heißt es in der Resolution der niedersächsischen Polizei. Es kann niemand leugnen, dass es ein Problem gibt. Nur, was trägt die Regierung dazu bei, dieses Problem (Jürgen Braun [AfD]: Wer bitte? Es gibt nicht auch tatsächlich zu lösen? Wir diskutieren hier über die die niedersächsische Polizei!) Aussagen eines Behördenleiters. Ich frage mich: In einer Herr Seehofer, nicht Migration ist das Problem, das Pro- solchen sensiblen Situation, wieso gestattet der Bundes- blem ist das Management der Migration, für das Ihre Par- innenminister einem Behördenleiter überhaupt, Inter- tei seit fünf Jahren Mitverantwortung trägt. views zu geben, die er vorher nicht autorisiert? (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordne- ten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Was ist von der von Ihnen vom Zaun gebrochenen Re- GRÜNEN) gierungskrise übrig geblieben? Rückführungsabkommen mit Italien und Spanien, die Sie selbst als wirkungslos Dann lese ich heute Morgen – dpa –, dass Herr erklärt haben! Seehofer sagt – Zitat –: Die Bundeskanzlerin hat hier vor der Sommerpause Ich spreche jedenfalls mit der Bundeskanzlerin über den mutmaßlichen Bin-Laden-Leibwächter Sami A. weitaus häufger als mit Herrn Maaßen. gesprochen und dessen Abschiebung gefordert, wie Sie. Das beruhigt uns nicht. Es ist ein merkwürdiges Amts- Dann ist die schwarz-gelbe nordrhein-westfälische Lan- verständnis, Herr Bundesinnenminister, dass Sie mit den desregierung von der Bundesregierung im Stich gelassen Behördenleitern in Ihrem Zuständigkeitsbereich in die- worden, weil Sie in Tunis die notwendigen Zusicherun- 5048 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 48 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 12 September 2018

Christian Lindner (A) gen nicht erwirkt haben, damit Gerichte diese Abschie- – „Nein“, rufen Sie. Das ist doch genau das Problem. (C) bung auch rechtssicher bestätigen können. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der FDP – Johannes Kahrs [SPD]: GRÜNEN]: Kennen Sie das Bundesverfas- Das sind ja wohl Fake News!) sungsgericht?) Es gibt hier jetzt Vorschläge für ein Fachkräftezu- Wir lösen die Probleme nicht, dazu fordere ich uns wanderungsgesetz. Aber auch das ist doch nebulös und aber auf. Bundestag, Bundesrat, lasst uns einen Einwan- enthält eben nicht den notwendigen Paradigmenwechsel, derungs- und Integrationskonsens fnden! Das wäre das den wir brauchen, beispielsweise durch ein Punktesys- Mittel, um die da kleinzumachen. tem. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Die Grünen blockieren im Bundesrat noch immer die der SPD) Eingruppierung sicherer Herkunftsländer im Maghreb- Raum, obwohl Sie doch wissen, dass nach geltendem So, wie Sie das versuchen, wird es jedenfalls nicht ge- Recht bei individueller Verfolgung selbstverständlich lingen. der Asylschutz in Deutschland gewährt werden könnte, Herr Scholz fordert eine Rentengarantie bis 2040, die selbst wenn es um sichere Herkunftsländer geht. Wir dür- kein Mensch bezahlen kann, fen uns doch nicht wundern, dass das Klima in unserem Land aufgeheizt ist, wenn die Politik parteiübergreifend (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ach! nicht in der Lage ist, gemeinsam Probleme zu lösen. Das stimmt nicht! Davon haben Sie null Ah- nung!) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/ und Sie sagen, Sie wollen diese Rentengarantie, damit es DIE GRÜNEN]: Mein Gott! Mein Gott!) in Deutschland keinen Trump gibt. Das heißt, mit sozia- ler Absicherung und sozialen Leistungen soll Populismus Ich will das hier gerne erneuern, damit wir eben auch bekämpft werden. über die anderen Fragen sprechen. Warum verbinden sich die staatstragenden Parteien der Mitte nicht? Bund, Län- (Andrea Nahles [SPD]: Ja!) der und Gemeinden? Das Konzept wird nicht funktionieren. Das Beispiel (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE Schweden vom Wochenende sollte Sie eines Besseren GRÜNEN]: Weil Sie zum Beispiel nicht woll- belehrt haben. ten! Weil Sie die Hosen voll hatten, statt mit- zuregieren! Zum Beispiel deshalb!) (Beifall bei der FDP) (B) (D) – Herr Hofreiter, ich will gerade einen Appell an alle De- Glauben Sie mal eines: So ehrenwert das Motiv ist, mokraten richten, und Sie haben wieder nichts Besseres die Spaltung zwischen Arm und Reich zu bekämpfen, zu tun, als spalterische parteitaktische Parolen in dieses und so richtig es ist, zielgerichtet gegen Altersarmut vor- Haus zu rufen. Das ist doch unglaublich. zugehen, die Spaltung der Gesellschaft in diejenigen, die für Abschottung sind, und in diejenigen, die für Ofenheit (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Jürgen sind, und die Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich Braun [AfD] – Dr. Anton Hofreiter [BÜND- bekämpft man nicht, indem man eine neue Spaltung ein- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Was Sie hier machen, führt, nämlich die zwischen Jung und Alt. sind keine Appelle an Demokraten! Das ist peinlich!) (Beifall bei der FDP) – Ich fnde das empörend, Herr Hofreiter. Ich empfnde Das genau ist Gegenstand Ihrer Politik. Ihre Parteitaktik als empörend. Ich will hier appellieren, Bei dem, was Sie für die Mitte der Gesellschaft be- dass wir uns gegen die wahren Gegner unserer freiheit- schließen wollen, sprechen Sie, Frau Bundeskanzlerin, lichen Ordnung zusammenschließen, und Sie kommen von „Entlastung“: Arbeitslosenversicherungsbeitrag hier mit Ihrer Traumabearbeitung von Jamaika, weil Sie runter, Pfegeversicherungsbeitrag rauf, Rentenversiche- nicht Minister geworden sind. Was ist das für eine Rück- rungsbeitrag kann nicht sinken, sondern muss steigen. gratlosigkeit, dieses Süppchen zu kochen, diese Klein- Da sprechen Sie gegenüber den Menschen, übrigens teiligkeit? auch gegenüber den Mindestlohnbeziehern, von Ent- (Beifall bei der FDP – Dr. Anton Hofreiter lastung. Die Menschen haben doch das Gefühl, dass die [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wissen Sie, Lebenswirklichkeit der arbeitenden Mitte, von Millionen was Ihr Problem ist? Dass alles, was Sie sa- Menschen im Deutschen Bundestag gar nicht ankommt, gen, unglaubwürdig ist!) wenn wir in dieser Weise sprechen. Also, eine wirkliche Entlastung ist nötig und möglich. – Nein, Herr Hofreiter, ich lasse Sie jetzt gar nichts sagen. – Legen Sie doch mal öfentlich aus den Jamai- (Beifall bei der FDP) ka-Gesprächen dar, wenn Sie schon darauf zurückkom- Auch der Mietenstopp ist, fnde ich, der untaugliche men: Wären Sie da bereit gewesen, die Maghreb-Staaten Versuch, mit Populismus gegen Populismus zu arbeiten. zu sicheren Herkunftsländern zu machen? Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschafts- (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE ministerium sagt: Mietpreisbremse funktioniert nicht. GRÜNEN]: Nein!) Wir brauchen marktwirtschaftliche Anreize, Investitio- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2018 5049

Christian Lindner (A) nen, sinkende Baukosten, mehr Bauland. – Richtig so! verstaatlichen, als ob das überhaupt mit unserer Verfas- (C) Da sagt Frau Barley für die Politik, das sei alles Unsinn. sung vereinbar wäre, (Andrea Nahles [SPD]: Bitte?) (Andrea Nahles [SPD]: Richtig! Das sehe ich auch so!) Wo ist denn noch einmal das Sturmgeschütz der sozi- alen Marktwirtschaft, der Bundeswirtschaftsminister? Er als ob das überhaupt mit der Regierung abgestimmt ge- ist nicht da. In der Debatte zu diesem Thema war er auch wesen wäre. nicht da. Dann haben wir in Bayern die Kreuze an Behörden- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Also, wänden und die Idee von , einen Renditestopp kann man doch wirklich nicht für mittelständische Pfegeunternehmen einzuführen. Ich übersehen! – Weitere Zurufe von der CDU/ habe gedacht – es ist bekannt, dass ich Jens Spahn schät- CSU) ze –, er wolle die Nachfolge von Friedrich Merz anstre- ben. Jetzt im Amt erfahren wir, er will sich in die Nach- – Wo ist er? – Da ist Herr Altmaier, Entschuldigung. Er folge von Norbert Blüm begeben. ist normalerweise unübersehbar. (Heiterkeit und Beifall bei der FDP – Matthias (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ja, W. Birkwald [DIE LINKE]: Nein, es geht um eben!) die Nachfolge von Angela Merkel!) Ich nehme das, was ich eben gesagt habe, zurück und Das Schlimme ist, in der CDU wird ihm das noch nicht beziehe mich nur darauf, dass er in der Debatte nicht einmal schaden. sichtbar war. (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Es wird (Zuruf der Abg. Andrea Nahles [SPD]) ihm nutzen!) Verehrte Anwesende, meine Damen und Herren, warum Meine Damen und Herren, worauf ich hinauswill, gibt es überhaupt wissenschaftliche Beiräte, wenn man ist Folgendes: Da ist die Herausforderung Populismus. ihr Urteil nicht ernst nimmt und es die Regierung sowie- Wir werden aber dieser Herausforderung nicht begeg- so besser weiß? Erster Einsparbeitrag: Abschafen! nen, wenn sich die Parteien jeweils in ihren politischen Positionen radikalisieren, so beim Mietenstopp, oder in (Beifall bei der FDP) die Vergangenheit zurückgehen wie beim Pfichtjahr. Die Menschen, Herr Scholz, lassen sich auch nicht mit Sozi- Es ist belegt: Die Mietpreisbremse funktioniert nicht. – (B) alleistungen kaufen. Die Menschen wollen von der Re- (D) Antwort: Wir brauchen sogar einen Mietenstopp. gierung kein Taschengeld. Die Menschen erwarten von (Zuruf des Abg. Sven-Christian Kindler der Regierung einen Plan, wie es in Deutschland weiter- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) geht und wie die Probleme dieses Landes gelöst werden. Genau das bleiben Sie schuldig. Dieselfahrverbote beschäftigen die Menschen nicht nur in Hessen, sondern auch darüber hinaus. Seit Mo- (Beifall bei der FDP) naten passiert nichts. Da sitzen sie einträchtig nebenei- Die Mitte der Gesellschaft will einen Staat, der die nander, Verkehrsminister und Umweltministerin. Frau Probleme löst. Die Mitte der Gesellschaft will einen Schulze, leisten Sie doch einmal einen Beitrag dazu, das Staat, der sie im Alltag in Ruhe lässt und sie nicht bremst, Problem zu lösen. Ich lese immer von Ihnen, Sie wollen wenn sie ihr Leben führen wollen, der sie aber eben bei die Industrie zu Hardwarenachrüstungen verpfichten. den großen Lebensrisiken nicht im Stich lässt: in keiner Bei den Pfichtnachrüstungen für Autos, an denen mani- Ecke, an keiner Stelle in unserem Land, zu keiner Zeit. puliert worden ist – ja. Aber bei den Euro-5-Fahrzeugen, Genau diesem Anspruch der Menschen wird diese Regie- die auch von SPD-Verkehrsministern legal in den Betrieb rung nicht gerecht. gebracht worden sind, geht das nicht so einfach. Ich komme zum Schluss. Frau Merkel, ich unterstrei- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) che, was Sie zur Bedeutung Europas gesagt haben. Sie haben selbst in Ihrem Sommerinterview zum Ausdruck Also, bringen Sie bitte eine andere Lösung für dieses gebracht, dass Sie dereinst Ihre Kanzlerschaft insbeson- Problem; denn die Menschen fühlen sich sonst durch die dere mit Ihrer Europapolitik verbunden sehen wollen. Art von Politik, die Sie machen, enteignet. Da ist aber jetzt noch einiges zu tun, damit das eine gute (Beifall bei der FDP – Zuruf der Abg. Ulli Bilanz wird. Denn jetzt ist Europa gespalten: in Ost und Nissen [SPD]) West in der Migrationsfrage, in Nord und Süd in Wirt- schafts- und Währungsfragen. Auf Deutschland wird es Durch die CDU – ich kann sie nicht ausnehmen – kam ankommen, diese Spaltung zu überwinden, aus der Mitte im Sommer eine Debatte über das Pfichtjahr für junge heraus zu führen, sich zu europäischen Werten zu beken- Menschen auf. Ofensichtlich – das hängt mit der Arbeit nen, vielleicht auch eigene Positionen in der Migration an dem Grundsatzprogramm der Union zusammen – ist zu räumen und an anderer Stelle auch Flexibilität zu zei- das ein untauglicher Versuch, auf das politische Klima gen, wenn es darum geht, unter Wahrung der fnanzpo- Einfuss zu nehmen, als ob es so einfach möglich wäre, litischen Eigenverantwortung den wirtschaftlichen Ent- bei einer jüngeren Generation ein ganzes Lebensjahr zu wicklungsprozess woanders anzuschieben. 5050 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 48 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 12 September 2018

Christian Lindner (A) Am heutigen Tag besteht die Gelegenheit dazu, den Und Sie, meine Damen und Herren von der AfD, ha- (C) Worten Taten folgen zu lassen: in Brüssel und darüber hi- ben uns in den letzten Wochen gezeigt, wo Sie stehen. Sie naus bei der Aufstellung auch Ihrer Partei in Europa. Im haben Ihre Masken fallen gelassen. April hat die CSU Viktor Orban noch zu seinem Wahl­ (Jürgen Braun [AfD]: Sie stehen auf der Seite erfolg gratuliert – ein Wahlerfolg, der sich auch auf eine der Gewalttäter, Frau Nahles!) ofen antisemitische Kampagne gründet. Heute sagt Herr Orban, der Italiener Salvini sei sein Held. Zeig mir deine Sie marschieren Seite an Seite mit Neonazis und verhöh- Freunde; ich sag dir, wer du bist. nen in unserem Land unsere gemeinsamen Werte. Ihre Kreistagsfraktionen rufen geradezu jubelnd die rechte Macron hat recht: Man kann nicht gleichzeitig für Revolution aus. Funkhäuser sollen gestürmt und Mitar- Merkel und für Orban sein. Deshalb wäre der wichtigste beiter auf die Straße gezerrt werden. Ihre Maske ist ge- Schritt, damit wir europäische Liberalität erhalten, dass fallen. endlich die CDU/CSU einen klaren Trennstrich gegen- über Viktor Orban und seiner antiliberalen Demokratie (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des zieht. BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vielen Dank. Ich kann nur allen sagen: Wer Sie unterstützt, der öfnet Nazis in unserem Land wieder Tür und Tor, und das kann (Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei niemand – keine Demokratin und kein Demokrat in un- Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE serem Land – wollen. GRÜNEN) (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: geordneten der CDU/CSU, der AfD und der Die nächste Rednerin ist die Kollegin Andrea Nahles FDP) von der SPD-Fraktion. Leider hat auch der Verfassungsschutz in unserem (Beifall bei der SPD) Land Vertrauen verspielt. Herr Maaßen ist eingesetzt worden – das muss man sich klarmachen –, um nach dem NSU-Skandal den Verfassungsschutz gegen rechte Andrea Nahles (SPD): Verfassungsfeinde stärker aufzustellen. Ich sage mal vor- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! sichtig: mit begrenztem Erfolg. Als es um die Frage ging, In diesen Tagen geht es in unserem Land sehr viel um ob im Umfeld von Amri V-Leute platziert wurden, hat Vertrauen. In Gesprächen oder Diskussionen, auf De- er das Vertrauen des Parlamentes beschädigt. Mit seinen (B) monstrationen oder in der Politik: Wir alle können mit Äußerungen zu Chemnitz hat er das Vertrauen in seine (D) unserem Handeln und unseren Worten das Vertrauen in Person erschüttert. den Zusammenhalt in unserem Land stärken oder dieses Vertrauen gezielt zerstören. (Jürgen Braun [AfD]: Er hat die Wahrheit gesagt! Sie sagen die Unwahrheit!) Stellen wir uns auf die Seite von Minderheiten, ja oder Genau das können wir uns in diesem Land nicht leisten: nein? dass der Verfassungsschutz Zweifel an seiner Arbeit auf- (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Auf die Seite der kommen lässt. Mehrheit!) (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Nennen wir es Hetzjagden, wenn Menschen durch Städte BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) in Deutschland gehetzt werden, oder stimmen wir in den Ich fordere deswegen den Bundesinnenminister ganz Chor der Relativierer ein? klar auf, dass er seine eigenen Maßstäbe ernst nimmt. (Beifall bei der SPD) Neulich hat er sie gegenüber anderen ins Feld geführt: Fakten sammeln, sorgfältig analysieren, beurteilen und Ist es so, dass wir unsere Demokratie verteidigen, ja oder dann handeln. Darum geht es heute Abend auch im In- nein? nenausschuss des Deutschen Bundestages, meine sehr geehrten Damen und Herren. (Jürgen Braun [AfD]: Sagen Sie endlich die Wahrheit! Lenken Sie nicht ab, Frau Nahles!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich sage: Das ist eine Frage, die nicht an die in Berlin geht. Es ist auch keine Frage, die an den Staat geht. Es ist Mit Blick auf die Lage in Syrien mag man von Ver- auch keine Frage, die an die anderen geht. Es geht viel- trauen nun wirklich nicht mehr sprechen. Die Situation mehr um die Frage, ob wir für unsere Demokratie ein- der Zivilbevölkerung in Idlib ist besorgniserregend. Die treten, und zwar konkret, mit unserem Tun und unseren Perspektiven sind angesichts der im Raum stehenden Worten. Es ist eine Frage an jeden Einzelnen von uns, Drohungen sehr schlecht. Klar ist jedoch: Alle Kon- an jede Bürgerin und jeden Bürger in diesem Land und fiktparteien haben sich uneingeschränkt an die Regeln jeden Abgeordneten in diesem Hohen Haus. des humanitären Völkerrechts zu halten. Hierauf müssen sich jetzt alle diplomatischen Initiativen konzentrieren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Außenminister Heiko Maas wird sich in dieser Woche der CDU/CSU) in verschiedenen Formaten hierfür nachdrücklich ein- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2018 5051

Andrea Nahles (A) setzen. Wir unterstützen in der aktuellen Situation aus- Entlastung beim Soli ab 2019, 8 Milliarden Euro Entlas- (C) drücklich den UN-Sonderbeauftragten für Syrien de tung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie der Mistura. Größtmöglicher Schutz der Zivilbevölkerung, Rentnerinnen und Rentner durch die Wiederherstellung humanitäre Flüchtlingskorridore und Zugang zu humani- der Parität, Absenkung des Beitragssatzes in der Arbeits- tärer Hilfe sind sehr wichtig. losenversicherung um 0,5 Prozentpunkte, das ist ein gro- ßer Batzen Entlastung, den wir durch diesen Haushalt (Beifall bei der SPD) ermöglichen und den wir zum Teil bereits durch unsere Niemand wird bezweifeln, dass der Einsatz von Che- Politik für die Menschen in unserem Land zur Verfügung miewafen ein internationales Verbrechen ist. Wir alle tun gestellt haben. unser Möglichstes, damit niemand erneut in Idlib oder (Beifall bei der SPD) anderswo diesen geächteten Wafen ausgesetzt wird. So- wohl die syrische Regierung als auch der IS haben das in Dieser Haushalt setzt auch Schwerpunkte, nämlich der Vergangenheit nachweislich getan. Sie müssen dafür bei der sozialen Sicherheit und den Zukunftschancen, vor den internationalen Strafgerichten zur Verantwortung und zwar ohne neue Schulden. Finanzminister Olaf gezogen werden. Aber das Völkerrecht kennt aus gutem Scholz hat hier einen waschechten Investitionshaushalt Grund kein Recht auf militärische Vergeltung, schon gar vorgelegt. 151 Milliarden Euro bis 2022, das ist eine Re- nicht durch einen Staat oder durch eine irgendwie zusam- kordsumme. Wir wollen Milliarden zur Verfügung stel- mengestellte Koalition. len, weil es diese Investitionen in unserem Land braucht, zum Beispiel in den Breitbandausbau, auf den gerade (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) die mittelständische Wirtschaft, aber auch viele private Das Gewaltverbot ist ein Grundpfeiler der internationa- Haushalte und ländliche Regionen warten, oder in den len Friedensordnung. Digitalpakt für die Schulen, den wir möglichst bald auf den Weg bringen müssen; denn schnelles Internet und (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten auch das Erlernen digitaler Medien und Kompetenzen der LINKEN) gehören in jeden Klassenraum in Deutschland; darum Der Sicherheitsrat ist hier aber gelähmt; das muss man muss es jetzt gehen. sehen. Die Vollversammlung der Vereinten Nationen (Beifall bei Abgeordneten der SPD) kann im Rahmen von Uniting for Peace die internationale Gemeinschaft ermächtigen, auch militärisch zu handeln. Ich habe eben ein Lob an die Grünen und die FDP anfügen wollen, da sie sich gemeinsam an die Bundes- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: kanzlerin gewandt haben, um die Grundgesetzänderung zu ermöglichen. Als ich das aber eben hier mitbekom- Frau Kollegin Nahles, gestatten Sie eine Zwischenfra- (B) men habe, habe ich gedacht, dass wir lieber noch einmal (D) ge? eine Friedensfachkraft vorbeischicken, damit es ange- sichts der Auseinandersetzungen auch in Zukunft zu Ge- Andrea Nahles (SPD): meinsamkeiten kommt. Ich bin trotzdem froh, dass wir Nein, jetzt gerade nicht. – Solange dies nicht geschieht, hier – hofentlich – eine gemeinsame Mehrheit für eine können wir Sozialdemokraten keinem gewaltsamen Ein- Grundgesetzänderung haben, die das Kooperationsver- greifen in Syrien zustimmen, schon gar nicht angesichts bot so öfnet, dass wir seitens des Bundes den Schulen in ernstzunehmender Berichte, wonach ein Staatschef in ei- Deutschland Hilfe zugutekommen lassen können; das ist ner vergleichbaren Situation vor einigen Monaten öfent- ein ganz wichtiger Punkt. lich die Liquidierung politischer Akteure gefordert hat. Wenn es uns nicht bald gelingt, dem Recht des Stärkeren (Beifall bei der SPD) das Recht der Völkergemeinschaft entgegenzusetzen, Bis 2022 werden wir insgesamt 95 Milliarden Euro in werden wir Jahrzehnte der Anarchie erleben. Das ist es, Bildung und Forschung stecken. Das ist doch ein klares was vermieden werden muss mit allen Mitteln der Diplo- Signal dafür, dass das ein wesentlicher Schwerpunkt des matie und des Völkerrechts. Haushaltes ist. Frau Karliczek, zögern Sie bitte nicht, uns (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ihre Gesetzentwürfe zuzuleiten. der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE (Beifall bei Abgeordneten der SPD) GRÜNEN) Wir haben jetzt sehr viele Mittel, um die Bildungschan- Im Übrigen möchte ich hier etwas Wichtiges klarstel- cen junger Menschen zu erhöhen. Wir warten sehnlichst len. Über Militäreinsätze entscheidet in Deutschland der zum Beispiel auf Ihren Gesetzentwurf zum BAföG. Da- Bundestag. für stehen nämlich deutlich mehr Gelder zur Verfügung als bisher. Trotzdem werden weniger junge Menschen (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: So ist es!) gefördert, und diese erhalten im Durchschnitt weniger Souverän und verantwortungsbewusst haben wir das hier Geld. Hier brauchen wir dringend eine Trendwende. Also immer getan. in die Hufe bitte! Das wäre sehr nett; denn das wäre et- was, was wirklich vielen in unserem Land helfen würde. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) (Beifall bei der SPD) Nun zum Bundeshaushalt. „Keine Entlastung!“, ha- Meine sehr geehrten Damen und Herren, Bildung ben Sie eben gerufen, Herr Lindner. 10 Milliarden Euro fängt aber früher an. Deswegen bin ich froh, dass es das 5052 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 48 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 12 September 2018

Andrea Nahles (A) Gute-Kita-Gesetz von Franziska Gifey gibt. Investie- en, ob das nun über das Baukindergeld geht oder über (C) ren können wir 5,5 Milliarden Euro für mehr Personal, die Sonderabschreibungen beim Mietwohnungsbau. Wir längere Öfnungszeiten, gutes Essen, Gesundheitsförde- tun ja viel mehr. Und es ist richtig: Wir brauchen auch rung, Sprachbildung, vernünftige Gruppengrößen, gut neue Grundstücke. Außerdem müssen wir dafür sorgen, ausgestattete Räume, Fortbildung für die Fachkräfte. Das dass Bodenspekulanten nicht den Neubau von Wohnun- ist es nämlich, was hinter diesem Namen steckt. Es ist gen verhindern. Wenn Bauland brachliegt, müssen die nötig, damit es jedes Kind in Deutschland packt. Das ist Grundbesitzer zahlen. Außerdem brauchen die Kommu- der eigentliche Kern dieses Gute-Kita-Gesetzes. nen eine Baupficht. All das ist nötig, damit es vorangeht in diesem Land; (Beifall bei der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Deswegen muss es schleunigst her. Mehr Förderung und weniger Gebühren gehören in dieses Gute-Kita-Gesetz denn nur Neubauten können am Ende den Druck aus dem hinein. Wohnungsmarkt herausnehmen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, so zufrieden Ich bin deswegen der Meinung, dass wir uns selbst die SPD mit diesem Bundeshaushalt ist, so klar ist auch: mehr vornehmen müssen. Ich freue mich, dass wir einen Wir brauchen weitere Ofensiven, vor allem eine sozial- Wohngipfel haben werden. Das ist eine erste gute Gele- politische Ofensive, wenn es um bezahlbares Wohnen genheit, die über den Koalitionsvertrag hinausgehenden geht. Vorschläge miteinander zu beraten und vieles auf den Weg zu bringen. Der Wohngipfel wird am 21. September (Beifall bei Abgeordneten der SPD) stattfnden. Ich sage Ihnen ganz ehrlich, Herr Lindner: Radikal ist Meine sehr geehrten Damen und Herren, es wird ja die Situation für die Mieterinnen und Mieter, nicht unser sehr viel darüber geredet, was die Menschen dieser Tage Vorschlag des Mietenstopps. bewegt. 90 Prozent der 30- bis 50-Jährigen in unserem (Dr. [FDP]: Der ist nur Land haben sich dazu neulich sehr klar geäußert. Sie radikal schlecht, der Vorschlag! Er verknappt haben gesagt, dass sie große Sorge haben wegen ihrer das Angebot und treibt die Preise weiter hoch!) Altersversorgung, dass sie nicht glauben, dass diese reicht, um ihren Lebensstandard abzusichern. Sie haben Denn ganz ehrlich gesagt: In deutschen Metropolen und ganz klar gesagt: Ich traue dieser gesetzlichen Renten- Städten haben es auch Normal- und Gutverdiener sehr versicherung nicht mehr zu, dass sie mich ausreichend schwer; denn sie werden im Grunde dadurch ärmer, dass versorgt. – Das ist ein Aufruf zum Handeln. Da können die Mieten schneller steigen als die Löhne, und das schon wir uns doch nicht hinstellen und sagen: Das ist nicht (B) seit Jahren. Das ist ein unhaltbarer Zustand, den wir be- bezahlbar. – Doch! (D) enden müssen. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD – Dr. Alice Weidel [AfD]: Das ist ja genau Ihre Politik!) Wenn man will, kann man sehr wohl dafür sorgen, dass auch die Menschen aus der jungen Generation etwas von Deswegen haben wir an dieser Stelle im Interesse der der gesetzlichen Rente haben, wenn sie zum Beispiel Mieterinnen und Mieter einiges vor. Wir haben auch be- 2040 in Rente gehen; denn das ist eine politische Frage reits etwas gemacht, nämlich ein Mieterschutzgesetz. Das und eine politische Entscheidung. haben wir verabredet; denn diese Koalition hat schon vor Monaten erkannt, was die Probleme sind, und handelt (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: War- deswegen gemeinsam, um die Probleme zu bekämpfen. ten wir doch die Rentenkommission ab! – Mit dem Mieterschutzgesetz verhindern wir beispiels- Norbert Kleinwächter [AfD]: Sie haben das weise ein „Rausmodernisieren“ ohne Folgen, und wir System gegen die Wand gefahren!) befristen eine Modernisierungsumlage, damit Spekulan- Wir haben bereits aufgezeigt, dass es geht. Wir geben ten sich nicht einfach gegen die Mieterinnen und Mieter, eine Sicherungsgarantie bis 2025, die dazu führt, dass die denen ihre Wohnung doch Heimat – im besten Sinne des Kaufkraft der Renten nicht weiter sinkt; denn wenn wir Wortes – ist, durchsetzen können, ohne dass diese sich nichts tun würden, würde die Kaufkraft sinken; die Löh- dagegen wehren können. ne steigen, die Renten nicht. Jetzt steigen die Löhne und (Beifall bei Abgeordneten der SPD) die Renten, und das ist wichtig – das ist eine wesentliche Verbesserung –, und das muss über das Jahr 2025 hinaus Wir haben an dieser Stelle meiner Meinung nach zum verlängert werden. Beispiel durch die Pficht zur vollständigen Auskunft über die Vormiete den Menschen erstmalig die Möglich- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ihr keit gegeben, zu vergleichen und ihre Rechte wahrzuneh- macht es aber nicht!) men. Es ist also ein sehr gutes Mieterschutzpaket, das Das ist die feste Zielmarke für die Sozialdemokraten. wir hier auf den Weg gebracht haben, ein wichtiger erster Erfolg, um hier Einhalt zu gebieten. (Beifall bei der SPD) Die Rentenkommission wird Vorschläge dazu erarbei- (Beifall bei der SPD) ten. Ich muss Ihnen ehrlich sagen, dass ich fnde, dass Aber ich sage Ihnen: Dabei können wir nicht stehen man auch vorher sagen kann, was man da erwartet. Ich bleiben. Wir müssen mehr bauen, wir müssen neu bau- höre immer die Zweifer und Neinsager aus allen Ecken Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2018 5053

Andrea Nahles (A) des Hauses hier. Ich habe da mal eine Frage an Sie. Viel- erleichterungen, im Umfang von 30 Milliarden Euro, (C) leicht können die Kolleginnen und Kollegen der Grünen, verspricht wie Herr Lindner, der FDP und der CDU/CSU an dieser Stelle einfach mal sagen, wie sie denn in den nächsten Jahrzehnten den (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Unsere Menschen die Sicherheit geben wollen, dass ihre Rente Vorschläge liegen auf dem Tisch!) am Ende auch reicht. Wissen Sie was, ich mache das mal der hat damit eine klare Buchung abgegeben: Ihm ist das kurz für Sie. Es gibt nämlich gar nicht so viele Möglich- halt wichtiger als eine sichere Rente. Die SPD sieht das keiten, wie man das machen kann. Man kann sich dann klipp und klar anders und wird dafür auch kämpfen; das ganz klar entscheiden. will ich an dieser Stelle klar gesagt haben. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die (Beifall bei der SPD – Dr. Marco Buschmann erste ist, die Expertenkommission abzuwar- [FDP]: So wie Sie über die jungen Menschen ten!) reden, ist auch Ihr Rückhalt bei den Jüngeren!) Entweder Sie muten den Menschen Unsicherheit und Deswegen geht es in diesem Land auch um Vertrau- Altersarmut zu, weil die Kaufkraft der Renten weiter en, und dabei geht es auch um Vertrauen in die Zukunft. sinkt – das passiert nämlich, wenn wir nichts machen; Der Haushalt, den wir hier heute vorlegen, ist in Zahlen kann man machen, gerade dann, wenn die Babyboomer überführte Politik. Das ist letztendlich das, was wir er- 2025 kommen; möglichen können, um die Sorgen und die Anliegen der Menschen aufzunehmen. Wir investieren – ich habe es (Zuruf von der FDP: Um die geht es heute sehr deutlich gemacht – sehr stark in Bildung, in Sozi- nämlich!) ales, in Zukunftschancen, und zwar massiv. Wir geben uns nicht den Sachzwängen hin; denn Politik ist genau ist aus meiner Sicht fatal –, oder Sie plädieren für eine die Kunst, das zu gestalten, was gelebt werden will. Das Anhebung des Renteneintrittsalters. ist es ja, was die Menschen uns sagen. Sie wollen so- ziale Sicherheit, auch innere Sicherheit, und sie wollen (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Auf mehr Bildungsinvestitionen. Dieser Haushalt ist also eine gar keinen Fall!) Einladung an uns alle, verantwortlich Politik zu machen und auch das Vertrauen in unsere Demokratie wieder zu Es ist gerade zwei Jahre her, da haben das viele gemacht, stärken. haben ganz klar sogar eine Mechanik entwickelt: Vielen Dank. ( [FDP]: Frau Nahles, wer (B) war denn die letzten Jahre verantwortlich für (Beifall bei der SPD) (D) die Politik?) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: steigende Lebenserwartung, steigendes Renteneintrittsal- Nächster Redner ist der Vorsitzende der Fraktion Die ter; Automatismus. Linke, Dr. Dietmar Bartsch. (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Lassen Sie die (Beifall bei der LINKEN) Leute selber entscheiden! Flexibles Renten- eintrittsalter!) Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE): Das war eine ernsthaft diskutierte Option in einer Ren- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor tenkommission, die ich selbst als Ministerin geleitet der Sommerpause hatten wir das totale Regierungscha- habe. Ich sage Ihnen: Wie alt die Menschen auch immer os. Viele Menschen glaubten, die Koalition zerbricht. Im werden – mit 70 Jahren können viele ihre jetzige Arbeit Sommer hatten wir dauernd Streit, und im Kern machen im Krankenhaus, in der Altenpfege oder auf dem Dach Sie jetzt so weiter. nicht mehr ausüben. – Das ist auch keine Antwort. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Es Dann gibt es natürlich die Möglichkeit, zu sagen: Na lebe die Harmonie auf Ihrem Parteitag!) gut, die gesetzliche Rente reicht nicht mehr; dann ma- Frau Merkel hat gesagt: Wir müssen diejenigen unter- chen wir halt mehr privat. – Ich bin sehr dafür, privat stützen, die unser Land voranbringen. – Herr Scholz hat vorzusorgen. Das ist gut, aber kein Ersatz für eine ver- gestern von Zuversicht gesprochen, Andrea Nahles eben nünftige gesetzliche Rente. von Vertrauen. Aber, meine Damen und Herren: Diese Bundesregierung verunsichert die Menschen in unserem (Beifall bei der SPD) Land. Die Lage, die wir im Land haben, ist Ihre Verant- Nur 2 Prozent der Rentenleistungen sind zurzeit privat wortung. abgesichert. – Das kann es also auch nicht sein. (Beifall bei der LINKEN) Ich fordere alle auf, sich an dieser Debatte zu betei- Der Haushalt, meine Damen und Herren, zeigt, dass es ligen, Vorschläge zu machen, wie das in den nächsten weder neue Ideen noch neue Impulse gibt. Dieser Haus- Jahrzehnten weiterlaufen soll. Es ist schnell gesagt: Es halt ist der Beweis, dass es sich um die Notregierung der geht nicht. – Die Menschen in unserem Land erwarten Wahlverlierer handelt – minus 15 Prozent bei der letzten aber, dass es eine Lösung gibt. Wer massenhaft Steuer­ Wahl. Sie setzen im Kern auf Weiter-so. Es ist ein Wei- 5054 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 48 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 12 September 2018

Dr. Dietmar Bartsch (A) ter-so, das das Land in den letzten Jahren auseinander- durchzusetzen, hat er versagt. Der Mann hätte doch vor (C) getrieben hat. Es ist ein Weiter-so, das die Gesellschaft den Ereignissen in Chemnitz darauf aufmerksam machen spaltet, das Angst und Unsicherheit befördert und falsche müssen, dass es dort eine Zusammenrottung von Rechts- Prioritäten setzt. Das Ergebnis ist eine handfeste Krise radikalen gibt. der bürgerlichen Demokratie. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Eines ist auch klar: Von dieser Regierung ist nicht NIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Ulli mehr viel zu erwarten. Wir werden die Bayern-Wahlen Nissen [SPD]) haben; da werden die Union und die Sozialdemokraten Es ist doch ein Skandal, dass der Überfall auf das kosche- verlieren. Wir werden die Hessen-Wahl haben; Union re Restaurant in Chemnitz eine Woche unter der Oberfä- und Sozialdemokraten werden verlieren. che geblieben ist. Warum äußert sich der Mann nicht zum (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Was ist Antisemitismus in Deutschland, sondern verunsichert die mit euch? – Zuruf der Abg. Beatrix von Storch Menschen und diskreditiert und bagatellisiert? Das ist in- [AfD]) akzeptabel! Das sind Beschwichtigungsversuche Ihrer- seits, auch vom Ministerpräsidenten in Sachsen. Das ist Das alles wird die Krise dieser Regierung nur befördern. so nicht zu akzeptieren! Sie haben in Ihrem Koalitionsvertrag geschrieben: (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- „Ein neuer Aufbruch für Europa. Eine neue Dynamik für NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- Deutschland. Ein neuer Zusammenhalt für unser Land.“ ten der SPD) Nicht einmal ein Jahr nach der Bundestagswahl sind die- se Überschriften der Lächerlichkeit preisgegeben, meine Der Verfassungsschutz und alle Verfassungsorgane Damen und Herren. haben eine klare Aufgabe: Antisemitismus in jeder Form ist hier zu bekämpfen. Ich kann mich nur dem anschlie- (Beifall bei der LINKEN) ßen, was der Bundestagspräsident gestern dazu gesagt Es gibt keinen Aufbruch, sondern ein mutloses Verwal- hat. Ja, das Maß ist voll, und es muss personelle Konse- ten. Es gibt ein Drehen an Stellschrauben, aber die wah- quenzen geben. ren Probleme in unserem Land werden ignoriert. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Besonders unverantwortlich, meine Damen und Her- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ren, sind die Äußerungen von Herrn Seehofer über die Herr Maaßen äußert sich nicht zum Antisemitismus, aber „Mutter aller Probleme“. Nicht die Migrationspolitik, er bläst de facto zur Attacke auf die Bundeskanzlerin. wie Sie in unverschämter Weise behauptet haben, ist Frau Merkel, das dürfen Sie sich nicht bieten lassen. (B) das Problem. Mit Ihrer Aussage diskreditieren Sie auch (D) 20 Millionen Deutsche, die eine Migrationsgeschichte (Beifall bei der LINKEN – Lachen des Abg. haben. Dr. Rainer Kraft [AfD]) (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Ich will das noch einmal klar sagen: Nicht die Migra- NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- tion ist das Problem und auch nicht das Management der ten der SPD) Migration – da ist vieles falsch gelaufen –; das eigentli- che Problem sind die schreienden Ungerechtigkeiten in In fast allen Fraktionen gibt es Menschen mit Migrations- dieser Welt, es sind die Kriege in dieser Welt. Die führen geschichte. Ich darf Sie daran erinnern, Herr Seehofer: dazu, dass wir eine derartige Migration haben. Nicht die Sie sind der Verfassungsminister. Ich vermute, die Bun- Migration an sich ist das Problem. deskanzlerin hat für Sie noch mal Artikel 1 des Grund- gesetzes zitiert: „Die Würde des Menschen ist unantast- (Beifall bei der LINKEN) bar.“ – Des Menschen! Das sollte die Grundlage für Ihr Es ist doch ein Irrsinn, dass Sie das in diesem Haushalt Handeln sein. so dokumentieren: dass Sie beim Verteidigungsetat Rie- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- senaufwüchse haben und es beim Außenetat zurückgeht. NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- Das heißt auf gut Deutsch: mehr schießen und weniger ten der SPD) reden. Ich fnde, das ist das völlig falsche Signal, meine Damen und Herren. Ich will ergänzen, dass diese Äußerungen von Ihnen kein Einzelfall sind. Sie lassen zu, dass der Präsident des (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Bundesamtes für Verfassungsschutz die Menschen mit neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Falschaussagen verunsichert. Das ist indiskutabel. Die- GRÜNEN) sen Skandal werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen. Wir haben doch jetzt schon das Problem, dass wahn- Ich will Herrn Maaßen noch mal zitieren: sinnige Mittel auf der Welt in Rüstung gesteckt werden und nicht in den Kampf gegen Hunger und gegen den Nach meiner vorsichtigen Bewertung sprechen gute Gründe dafür, dass es sich um eine gezielte Falsch­ Klimawandel. Das ist das Problem. Hier sollte Deutsch- information handelt, um möglicherweise die Öfent- land in Europa und auf der Welt Vorreiter sein und nicht lichkeit von dem Mord in Chemnitz abzulenken. wie jetzt wieder in der Debatte um das Thema Syrien. Ich meine, das ist doch alles unfassbar; da kann ich mich Herr Maaßen mischt sich damit politisch ein. Aber da, Andrea Nahles anschließen. Das, was da geredet wird, wo es seine Aufgabe ist, die verfassungsmäßige Ordnung ist völkerrechtswidrig. Das ist ein Riesenproblem. Wir Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2018 5055

Dr. Dietmar Bartsch (A) haben einen Parlamentsvorbehalt, aber Sie melden sich nen Fall, dass etwa bei den Arbeitslosengeld-II-Empfän- (C) schon, obwohl es noch gar keinen Grund gibt. Ich fnde gern die Kindergelderhöhung angerechnet wird. das unverantwortlich. Wir müssen alle zivilen Möglich- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Uwe keiten nutzen. Wir müssen Herrn Guterres unterstützen, Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) die fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates aufor- dern. Das ist der Weg und nicht, zuallererst über militäri- Da geht es auch nicht, dass sie zum Schulanfang – das ist sche Einsätze nachzudenken. seit zehn Jahren so – nur 70 Euro bekommen. Wie will man davon eine Schulmappe und andere Dinge kaufen? (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Über 1 Million Menschen werden inzwischen durch die- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) se Maßnahme unterstützt. Das ist doch so nicht zu ak- Andrea Nahles hat eben von einem „waschechten In- zeptieren. vestitionshaushalt“ gesprochen; darüber bin ich einiger- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) maßen erstaunt. Was Sie machen, ist nur das Drehen an Stellschrau- (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das war ben. Aber gerade in diesen Zeiten brauchen wir politi- der Witz des Jahrhunderts!) schen Mut. Wir müssen das System endlich vom Kopf Donnerwetter! Ich kann nur feststellen: Im europäischen auf die Füße stellen. Deswegen fordern wir eine Kinder- Vergleich sind wir immer noch unterdurchschnittlich, grundsicherung, meine Damen und Herren. meine Damen und Herren. Die öfentlichen Investitionen (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- gehen anteilig sogar zurück. Der Investitionsbedarf wird neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) auf 120 Milliarden Euro geschätzt. Allein für die Sanie- rung der Schulen würden 48 Milliarden Euro benötigt. Und ja, das ist fnanzierbar. Denn es ist doch auch Fakt, Ich bin ja dafür, eine Grundgesetzänderung zu machen. dass sich in Ihrer Amtszeit nicht nur die Zahl der Kinder Legen Sie zügig eine vor, damit der Bund in Schulen in Armut verdoppelt hat, auch die Zahl der Vermögens- investieren kann. Bei Verteidigung sind Sie immer so millionäre hat sich in dieser Zeit verdoppelt. Selbst die schnell; aber wenn es um Schulen geht, dann dauert das, Zahl der Milliardäre steigt. Deren Vermögen liegt inzwi- dann reden Sie und handeln nicht. schen bei 5 200 Milliarden Euro. Der Bundeshaushalt umfasst rund 360 Milliarden Euro. Das heißt, sie haben (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. ein Vermögen, das 14-mal so hoch ist wie der Bundes- Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- haushalt. Da muss man doch vielleicht mal auf die Idee NIS 90/DIE GRÜNEN]) kommen, ein wenig umzuverteilen, um Probleme wie zum Beispiel die Kinderarmut zu lösen. (B) Diese schwarze Null ist erkauft durch einen Investitions- (D) stau und einen anhaltenden Handelsüberschuss. Eine (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- schwarze oder – wegen meiner – rote Null gibt es aktuell neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) nur zulasten zukünftiger Generationen. Diese brutale Ungerechtigkeit macht die Menschen Ich will an dieser Stelle ein paar Bemerkungen zu dem wütend. Die Gesellschaft droht zu kippen. Wir brauchen Thema Kinderarmut machen. Ich bin ja froh, dass Herr Mut, um für den Zusammenhalt in der Gesellschaft zu Scholz das gestern hier erwähnt hat; Andrea Nahles hat es kämpfen und um die Schere zwischen Arm und Reich angedeutet. Es ist eines der gravierendsten gesellschaft- zu schließen und wirkliche Reformprojekte anzustoßen. lichen Probleme, die wir haben. Aber alle Maßnahmen Aber nichts davon fndet sich in Ihrem Haushalt wieder. zur Bekämpfung von Kinderarmut, die im Koalitions- vertrag stehen – es stehen ja überhaupt welche drin; das Die Menschen verlieren immer mehr den Glauben ist ein Vorzug –, kommen bei denen, die es am meisten daran, dass die Politik für sie wirkliche Verbesserungen brauchen, wirklich nicht an. Frau Bundeskanzlerin, es ist ihrer Lebensumstände bringt. Ihre Beteuerungen, Frau schon enttäuschend, dass Sie zu diesem Thema hier heute Merkel, dass es dem Land so gut geht wie nie, wirken gar nichts gesagt haben. auf die Menschen, die drei Jobs haben, die eine schlech- te Rente haben, die Angst haben, ihren Kindern keinen Der Kinderschutzbund hat aktuell die Zahl der Kin- Wintermantel kaufen zu können, wie reiner Zynismus. der, die in Armut leben oder von Armut bedroht sind, mit 4,4 Millionen taxiert – 4,4 Millionen Kinder, die in (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Richtig!) Scham und in Existenzpanik aufwachsen. Wissen Sie, Die reichsten 10 Prozent in unserem Land verfügen was es bedeutet, als junger Mensch in Armut aufzuwach- mittlerweile über 63 Prozent des Vermögens. Statt für sen? Wissen Sie, was es für Jugendliche bedeutet, wenn eine Umverteilung von oben nach unten zu sorgen, spie- ihnen signalisiert wird, dass sie keine Chance in der len Sie seit 13 Jahren die Begleitmusik zur Umvertei- Gesellschaft haben? Sie nehmen den Kindern damit die lung von unten nach oben. Die Einkommen der unteren Chance auf ein gutes und ein selbstbestimmtes Leben. Einkommensgruppen haben sich in den letzten 20 Jah- ren real verringert. Die Menschen haben weniger in der Die Verantwortung liegt auch bei Ihnen, Frau Bundes- Tasche. Deutschland gehört zu den reichsten Ländern in kanzlerin. Seit dem Jahr 2005, als Sie das Amt übernom- der Euro-Zone; aber die Privathaushalte gehören zu den men haben, hat sich die Kinderarmut in Deutschland ver- ärmsten in Europa. doppelt. Und wir müssen doch dann ganz grundsätzlich darüber nachdenken, wie wir in unserem reichen Land Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes – nicht Kinderarmut bekämpfen können. Da geht es auf gar kei- der Linken – sprechen für sich: 4,9 Millionen Menschen 5056 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 48 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 12 September 2018

Dr. Dietmar Bartsch (A) müssen beim Essen sparen, 12,8 Millionen Menschen Welch eine ironische Anekdote, wenn es nicht so fahrläs- (C) können sich keinen Urlaub von einer Woche außerhalb sig wäre! Da kommt von der EU einmal ein guter Vor- der eigenen vier Wände leisten. Viele Menschen sind nur schlag für mehr soziale Gerechtigkeit. Und die deutsche eine kaputte Waschmaschine oder eine Krankheit vom Bundesregierung will das ablehnen? Ich will zumindest, fnanziellen Ruin entfernt. Dass Millionen Menschen un- dass Sie darüber noch einmal ernsthaft nachdenken. ter Abstiegsängsten leiden, ist also kein Wunder. Es gibt (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. eine Riesenverunsicherung. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- Deswegen muss die Talfahrt gestoppt werden, und NIS 90/DIE GRÜNEN]) zwar nicht durch Reden, sondern durch sehr konkretes Die Mehrheit in unserem Land, meine Damen und Handeln. Herren, ist weiterhin für Demokratie und soziale Gerech- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- tigkeit. Wenn Sie sich die Themen, die die Menschen neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) am meisten bewegen, angucken, stellen Sie fest: Es sind Pfege, Rente, Wohnen, Bildung. Das ist die Realität; Aber Sie sagen in Ihrem Koalitionsvertrag: keine Steu- aber – das konnten wir in den letzten Tagen in brutaler ererhöhung – nicht mal für die Superreichen, nicht mal Klarheit sehen – diese Zustimmung bröckelt. für die Konzerne. Wir müssen mit dem Steuersystem aus Deswegen müssen wir den Menschen Sicherheit zu- dem vergangenen Jahrhundert endlich Schluss machen. rückgeben. Da ist die Bundesregierung natürlich in ei- Wir brauchen eine konsequente Vereinfachung. Wir ner besonderen Verantwortung. Wir müssen das Signal brauchen eine Entlastung bei den kleinen und mittleren senden, dass die Politik sich kümmert, und da gilt auch Einkommen. Und wir brauchen eine stärkere Belastung wieder: im Handeln und nicht mit Worten. der Superreichen und Konzerne. Beginnen Sie endlich damit, dann können wir die Probleme in unserem Land Ich habe jetzt so viel zum Thema „Wohnen und Mie- lösen! ten“ gehört. Das ist erst einmal richtig. Andrea Nahles hat die Auforderung zum Handeln ausgesprochen. Ja, (Beifall bei der LINKEN) sehr gut! Ich frage mich aber: Warum ist die Situation so? Wer hat eigentlich in den letzten Jahren regiert und die Ich habe hier heute von Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, Verantwortung dafür, dass wir in dieser Situation sind? und von Andrea Nahles und gestern vom Vizekanzler und selbst von der Landwirtschaftsministerin viel zum (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Thema Digitalisierung gehört. Vor vier Jahren haben Sie neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) hier auch über den Haushalt und die Digitalisierung ge- Ich meine, es ist mir einigermaßen unklar, dass man das sprochen. Sie haben gesagt, dass die Digitalisierung über (B) jetzt so aufruft. Da gibt es doch Verantwortliche. (D) Deutschlands Zukunft entscheiden wird. Und Sie haben recht gehabt. Sie sind so stolz darauf, dass Sie so viel leisten. Wir brauchen aber mehr Investitionen in den sozialen Woh- Aber was ist denn nun seitdem passiert? Vier Jahre nungsbau, und zwar mindestens 5 Milliarden Euro, damit später ist Deutschland immer noch ein Entwicklungs- wir mindestens 250 000 neue Sozialwohnungen im Jahr land bei der Digitalisierung. Im OECD-Vergleich liegen haben. Dann können wir die Probleme angehen und viel- wir am unteren Ende. EU-weit sind wir auf Platz 28 von leicht langsam abbauen. Das wäre notwendig. 32 beim Glasfaserausbau. Gerade einmal 6,6 Prozent der Haushalte hatten 2017 einen Glasfaseranschluss. Außerdem müssen wir endlich dafür sorgen, dass Deutschland ist im internationalen Vergleich auf Platz 17 Mieter und Vermieter auf Augenhöhe miteinander ver- bei der digitalen Wettbewerbsfähigkeit. Wir spüren doch handeln können. Auch der Mieter muss klagen können, jeden Tag: Deutschland, einig Funkloch. Das ist die Rea- und es muss strafbewehrt für den Vermieter sein, wenn er lität in unserem Land. rechtswidrig handelt. (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN sowie (Beifall bei der LINKEN) des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/ Und wir brauchen natürlich ein Verbandsklagerecht. All DIE GRÜNEN]) diese Dinge sind notwendig, wie auch eine Mietpreis- bremse ohne Ausnahme. Handeln Sie endlich, meine Da- Sie haben die Digitalisierung nicht verschlafen; Sie haben men und Herren! Wir brauchen eine soziale Ofensive, sie einfach verweigert. Das Ergebnis: Knapp 24 Prozent damit der gesellschaftliche Zusammenhalt wiederherge- der Bevölkerung – das sind 16 Millionen Menschen – stellt wird. Er droht zu verfallen. Wir sehen es alle, und können als ofine bezeichnet werden. Das heißt auf gut wir müssen handeln, meine Damen und Herren. Deutsch: abgehängt. (Beifall bei der LINKEN) Nicht nur, dass Sie beim Thema Digitalisierung wei- terhin versagen, nein, Sie trauen sich auch nicht, die Ich will eines auch ganz klar sagen: Wir sollten die- Konzerne fnanziell stärker zu belasten. Ausgerechnet ein jenigen aus der Zivilgesellschaft, die sich in vielfältiger Finanzminister der SPD will Google und Co vor höheren Weise engagieren, auch ausdrücklich loben für ihr um- Steuern bewahren. fangreiches Engagement, und dort, wo es Behinderungen beim zivilgesellschaftlichen Engagement gibt – leider ist (Andrea Nahles [SPD]: Das stimmt doch gar das in Sachsen von der seit 1990 regierenden CDU im- nicht! Das ist eine Falschmeldung!) mer wieder gemacht worden –, sollten wir auch deutlich Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2018 5057

Dr. Dietmar Bartsch (A) Position beziehen. Es ist doch so, dass die Arbeit immer dass wir vor gewaltigen Herausforderungen stehen. Jeder (C) erst dann wertgeschätzt wird, wenn es häufg schon zu Einzelne von Ihnen weiß, dass es jetzt klare Antworten spät ist. Auch das ist etwas, was sich leider im Haushalt braucht, dass es jetzt große Veränderungen braucht. Was dieser Bundesregierung widerspiegelt. Die Ausgaben für wir nach dem Fast-K.-o. vor der Sommerpause erleben, die Programme unter dem Titel „Maßnahmen zur Stär- ist, dass Sie weiter durch das Tagesgeschäft mäandern. kung von Vielfalt, Toleranz und Demokratie“ werden ge- Ich kann nur sagen: Es reicht nicht mehr, dass man hier kürzt. Was für ein verheerendes Zeichen in dieser Zeit! alle paar Monate einen Rechenschaftsbericht ablegt. Wir Ich hofe, dass das in den Haushaltsberatungen korrigiert brauchen endlich wieder echte Politik und Antworten auf wird und dass wir hier zu einem Aufwuchs der Mittel echte Herausforderungen, meine Damen und Herren. kommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. sowie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Marco Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE Buschmann [FDP]: Das stimmt!) GRÜNEN]) Man kommt sich ja fast so vor, als hätten Sie in 13 Jah- Ich will mich nichtsdestotrotz bei all denjenigen be- ren Regierung ein Land geschafen, bei dem man sich danken, die immer wieder Haltung zeigen, die Engage- in der geschlossenen Kabine wie im Autopilotenmodus ment zeigen – in Chemnitz, in Köthen und an vielen an- befndet. Was sind die eigentlichen Probleme? Was treibt deren Stellen auch –, bei denen, die als Zivilgesellschaft die Leute um? Dass Sie heute hier, nach diesem Sommer, immer und immer wieder für Demokratie und Rechts- kein Wort zur Klimakrise gesagt haben, lässt für mich staatlichkeit, letztlich für Anstand und Humanität stehen, tief blicken. meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Schauen Sie zurück, von mir aus schauen Sie sich die Hier im Reichstag – Martin Schulz hat vorhin schon Bilder von Alexander Gerst an, der aus dem Weltall he- darauf hingewiesen – hat 1932 Kurt Schumacher ge- raus die Erde fotografert hat: Braun und Gelb dort, wo sagt: Die Nationalisten appellieren stets an den inneren eigentlich Grün sein müsste. Die Klimakrise selbst ist das Schweinehund. – Wir Demokraten müssen verhindern, größte Problem, die größte Zumutung, die wir überhaupt dass diese Mobilisierung gelingt. Es muss endlich wie- haben, für die Menschen auf diesem gesamten Planeten, der mehr Miteinander bei aller Kontroverse in der Sache und diese Bundesregierung ist ein Totalausfall in dieser geben. Wir, meine Damen und Herren, haben es in der Frage, meine Damen und Herren. Hand. Ja, das stimmt: Jede Bürgerin und jeder Bürger ist (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (B) gefordert. Aber natürlich trägt die Bundesregierung dort (D) eine andere Verantwortung. Wir steuern auf eine Heißzeit zu. 10 der 15 wärmsten Jahre in Deutschland waren in diesem Jahrhundert. Wir (Beifall bei der LINKEN) erinnern die Bilder der meterhohen Flammen, der ver- Nehmen Sie diese Verantwortung endlich wahr! Hän- dorrten Pfanzen. Wenn wir das nicht mehr wollen, dann gen Sie in jedem Ihrer Ministerzimmer die Überschriften müssen wir jetzt, und zwar konsequent, gegensteuern. Ihres Koalitionsvertrages aus: „Ein neuer Zusammenhalt Das ist bei den Menschen in diesem Land längst ange- für unser Land“, „Eine neue Dynamik für Deutschland“ kommen. Sie allerdings fürchten sich vor allem immer und „Ein neuer Aufbruch für Europa“. Das ist so drin- noch vor einem: vor den mächtigsten Lobbys. Wie kann gend notwendig. Im ersten Jahr zumindest haben Sie es denn sein, dass die Autokonzerne trotz Fahrverbots- vollständig versagt. urteilen für die Nachrüstung immer noch nicht zahlen müssen? Herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Christian Lindner [FDP]: Weil das nicht das neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Gesetz regelt!) Wie kann es denn sein, dass Schweine und Kühe im- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: mer noch auf engstem Raum zusammengepfercht leben Jetzt erteile ich das Wort der Vorsitzenden der Frakti- müssen und die industrielle Massentierhaltung weiterhin on Bündnis 90/Die Grünen, Katrin Göring-Eckhardt. unser Trinkwasser zugüllt? Dafür sind Sie verantwort- lich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) NEN): Und: Wie kann es sein, dass im Hambacher Wald ein Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Energiekonzern, von Ihnen völlig ungehindert, die Bäu- Frau Merkel, Frau Nahles, ich habe Ihren Reden hier sehr me abholzen kann, genau zugehört. Wenn ich mir das Kabinett anschaue, (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Weil Sie das wenn ich mir den Haushalt anschaue, wenn ich mir die beschlossen haben!) Reden zum Haushalt von gestern anschaue, von Herrn Scholz, von anderen, dann muss ich sagen: In Deutsch- obwohl die Zukunft nicht in der Kohle liegt? Die Zu- land regiert die Angst mit. Jeder Einzelne von Ihnen weiß, kunft liegt in den Bäumen, meine Damen und Herren. 5058 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 48 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 12 September 2018

Katrin Göring-Eckardt (A) Der Hambacher Wald muss bleiben, das ist doch das schätzung brauchen – nach 13 Jahren Regierung. Aber (C) Mindeste. vielleicht ist es ganz schön, wenn es irgendwann passiert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Aber die ganz realen Probleme zu lösen, das machen Sie sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Otto nicht. Herr Spahn weiß ganz genau, dass bald mehr als Fricke [FDP]: Das ist doch euer Abholzungs- 4 Millionen Pfegebedürftige da sein werden und es dann befehl! – Christian Lindner [FDP]: Ihr habt nicht reicht, darauf mit ein paar Tausend Pfegekräften das beschlossen in der Regierung! Rot-Grün!) mehr zu antworten. Das ist auch Simulieren von Politik. Dann machen Sie diesen Menschen wieder etwas vor: Herr Lindner, Sie haben sich hier aufgeregt, dass den Pfegenden und den Pfegebedürftigen. Fangen Sie Bündnis 90/Die Grünen da einen Parteitag abhalten. Ich doch endlich an, wirklich zu handeln, wirklich zu regie- will Ihnen nur zu Ihrer Information sagen: Das machen ren, wirklich zu tun, was notwendig wäre, meine Damen die Grünen Nordrhein-Westfalens auf dem Gelände des und Herren! Bundes für Umwelt und Naturschutz. Ganz friedlich – ganz klar –, aber entschieden in der Sache, weil der Kli- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) maschutz die Frage der Menschheit ist. Sie haben das noch nicht verstanden – ich weiß es –, aber trotzdem Nehmen wir die Miete. Frau Barley, was die Regie- werden wir das machen. rung jetzt liefert, ist so eine Mietpreisbremse: Sie schleift (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – schon, bevor sie überhaupt in Betrieb genommen wird. Christian Lindner [FDP]: Sie haben in der Re- Am Ende fahren die Mieterinnen und Mieter vor den gierung anderes beschlossen! Jetzt stehlen Sie Baum. Aber Sie wissen es ja selbst. Ich weiß nicht: Wa- sich nicht aus der Verantwortung!) ren es 24 oder 48 Stunden später, als Sie einen Zwölf- Punkte-Plan vorgelegt haben? Sehr schön! Dort steht Wir müssen jetzt alle Register ziehen. Warum müssen alles, was man machen müsste. Aber in der Regierung wir das tun? Weil, je länger nichts getan wird, umso radi- erst mal einknicken, um dann Wahlkampf gegen sich sel- kaler die Antworten sein müssen. ber zu machen, das ist ein Verrat an den Mieterinnen und (Christian Lindner [FDP]: Politik mit Mietern, und es schadet auch der Glaubwürdigkeit nicht schlechter Haltung nenne ich das!) nur der SPD – das ginge ja noch –, sondern der gesam- ten Politik in diesem Land. Hören Sie auf mit solchem Jeder, der das verschweigt, verscherbelt die Zukunft un- serer Kinder und Kindeskinder. Budenzauber, sondern machen Sie endlich echte Politik, meine Damen und Herren! (Christian Lindner [FDP]: Das ist bigott!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (B) Ich kann Sie nur davor warnen, so weiterzumachen. Die (D) Zukunftswut der jungen Generation wird deutlicher wer- Diese Woche hat uns ja auch ein anderer Geist um- den. Es wird klar werden, dass es genau darum geht, das getrieben. Sie können keinem Malermeister und keiner Klima zu schützen für die kommenden Generationen, Kioskbesitzerin erklären, warum sie Steuern zahlen sol- und nicht darum, Politik zu simulieren. len, aber Google und Apple sich das Leben schönrech- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nen können. Was ist die Antwort von Vizekanzler Olaf Man muss Ihnen in der Tat vorwerfen, dass es hier Scholz, der sich im Wahlkampf noch mächtig gegen immer mehr um Simulation von Politik geht, um viel diese großen Konzerne, die doch endlich Steuern zahlen zu kleine Schritte, um So-zu-tun-als-ob. Gerade kündigt müssen, eingesetzt hat? Die Antwort ist, es sei kompli- sich eine furchtbare Katastrophe in Syrien an. Natürlich ziert. Ich will Ihnen sagen, was „kompliziert“ ist: Das tut Herr de Mistura alles, was er kann. Was ich aber in ist ein Beziehungsstatus auf Facebook. Aber das ist nicht den vergangenen Jahren nicht erlebt habe, ist, dass die- das, was wir jetzt notwendigerweise brauchen. Das kann se Bundesregierung wirklich alles tut, was sie kann. Was doch kein Hinderungsgrund für Politik sein. Es ist ganz Sie im Zusammenhang mit Syrien tun, ist, sich mit der einfach: Das Internet darf kein steuerrechtsfreier Raum Frage zu beschäftigen, wie wir mehr Abschottung hinbe- sein – ganz klar, ganz eindeutig! Einfach Politik machen, kommen, und nicht damit, wie der Friedensprozess dort meine Damen und Herren! unterstützt werden kann. Ich sage Ihnen klar – fangen Sie jetzt nicht an, darüber nachzudenken, was man vielleicht (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) hinterher machen könnte, und darüber, wo Militär hin soll, usw. –: Kümmern Sie sich darum, dass dort ein Frie- Zur Rente, Frau Nahles: Ich meine, man kann es so densprozess in Gang kommt! Kümmern Sie sich darum, machen wie Sie. Man kann sagen: „Wir machen ein gro- dass das Schlimmste für die 3 Millionen Menschen, die ßes Theater“, und dann landen wir beim Jahr 2025, und dort leben, überhaupt nicht erst eintritt! Das ist doch die dann belehren Sie uns hier darüber, was ginge. Nein! Es zentrale Aufgabe, die heute vor uns und einer Bundesre- geht um die wirklich großen Schritte. Sie müssen wirk- gierung steht, meine Damen und Herren. lich etwas ändern wollen. Sie müssen wirklich Vertrauen schafen wollen dahin gehend, dass die Rente irgend- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wann einmal sicher ist, sowohl für die kommenden Ge- Sie haben hier wieder sehr lang und ausführlich über nerationen als auch für die jetzige. Wir brauchen doch die Pfege geredet. Ich wundere mich schon, dass Sie jetzt Gerechtigkeit innerhalb der Generation und zwischen merken, dass die Pfegekräfte in diesem Land mehr Wert- den Generationen. Um beides muss es doch gehen. Ich Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2018 5059

Katrin Göring-Eckardt (A) höre von Ihnen kein Wort zum Thema Bürgerversiche- einhellig klare Kante zeigt. Es geht doch nicht um rechts (C) rung in der Rente. Das wäre die Antwort. gegen links. Wie verrückt ist das denn? Die überwälti- gende Mehrheit der Menschen in unserem Land will das (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist nicht: keine Hetze, keine Hitlergrüße, keinen Hass, keine auch eine schlechte Idee! Keine Bürgerversi- Spalterei, keine Nazigesänge, keine Angrife auf jüdische cherung! Erwerbstätigenversicherung!) Restaurants und keine Gewalt. Das wäre die ehrliche Antwort, wenn Sie sie geben (Zuruf von der FDP: Auch kein Hamburg! – wollen. Christian Lindner [FDP]: Und erst die Neoli- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – beralen!) Andrea Nahles [SPD]: Das ist in unserem Deswegen müssen wir als Demokratinnen und Demokra- Wahlprogramm!) ten zusammenstehen: Dietmar Bartsch hat auf die Kinderarmut hingewie- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sen. Was mich persönlich aufregt: Sie diskutieren die und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten ganze Zeit über Rente, aber kein einziges Mal geht es um der CDU/CSU und der SPD) die Menschen, die im Rentenalter wirklich in Armut le- ben. Wenn Sie denen nicht wenigstens garantieren, dass gegen die Antidemokraten, gegen die Antisemiten, ge- sie mehr haben als Grundsicherung im Alter, gen die Rechtsradikalen. Und ja, wir müssen auch zu- sammenstehen gegen den parlamentarischen Arm dieser (Andrea Nahles [SPD]: Das kommt nächstes ganzen Hetzer: gegen die AfD! Jahr!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dann frage ich mich, was Sie mit „sozialer Politik“ mei- sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- nen. Die Altersarmut in diesem Land ist ein echtes, ein KEN und des Abg. Michael Grosse-­Brömer ganz reales Problem. Lösen Sie es endlich, und schwei- [CDU/CSU – Zuruf von der AfD: Give de- gen Sie es nicht weiter tot, meine Damen und Herren! mocracy a bad name!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Es ist gut, dass wir uns in diesem Land als Demokra- Andrea Nahles [SPD]: Sie haben doch gar ten nicht in allem einig sind. Das ist gut für die Demo- nichts zu bieten bei dem Thema! – Gegenruf kratie und für die Diskussion. Es müssen jetzt auch nicht des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: alle Fans von Helene Fischer gleich Songs von Kraftklub Das stimmt!) hören, obwohl das eine ganz coole Sache wäre. (B) Ich habe den Eindruck, dass Sie sich in der Koalition, (Zuruf von der AfD: Wie hießen die anderen (D) nachdem alles so schwierig gewesen ist, verabredet ha- da noch?) ben, dass Sie lieber nur ganz kleines Karo machen. Dass aber in diesem Land und in dieser Gesellschaft eine (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Nein!) breite Allianz für Mitmenschlichkeit da ist, macht Mut. Warum können Sie an keiner einzigen Stelle mal über Das ist echte Versöhnung, und das ist echter Zusammen- Zumutungen reden? Warum ist das mit den Zumutungen halt. eigentlich gut? In „Zumutung“ kommt das Wort „Mut“ (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vor, und Mut kann man nur haben, wenn man keine Angst sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- hat, wenn man keine Angst hat vor den Konsequenzen, KEN und des Abg. Michael Grosse-­Brömer keine Angst hat vor Neuwahlen, vor der eigenen Partei, [CDU/CSU]) davor, dass vielleicht die Koalition krachen könnte oder vielleicht auch die Fraktionsgemeinschaft. Es gibt verdammt viel zu verlieren und neu zu be- gründen und wiederzugewinnen: die Errungenschaften (Zuruf von der FDP: Keine Angst vor dem des friedlichen Meinungsaustauschs, die Demonstra- Klimawandel!) tionsfreiheit, die Gewaltenteilung. Was wir erleben, ist ein Innenminister, der genau das Gegenteil macht, der Manche haben sogar Angst vor rechten Hetzern. Aber das gefährliche Spiel der sprachlichen Eskalation immer Ihre Verzagtheit ist schon längst nicht mehr das, was weiter treibt. Frau Merkel, ich frage mich nach Ihren kla- unser Land ausmacht. Ich sehe Menschen, die hier dis- ren Worten heute, wie lange Sie das eigentlich in Ihrem kutieren. Ich sehe Menschen, die anpacken und die sich Kabinett noch dulden wollen. einbringen – von den engagierten Öko-Start-ups bis zu Senioren, die Alleinerziehenden den Rücken freihalten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ich sehe sogar Dörfer, die sich inzwischen die Gräben sowie des Abg. Dr. Dietmar Bartsch [DIE selber buddeln, um die Glasfasernetze dort hineinzube- LINKE]) kommen. Ich sehe Menschen, die sich um Gefüchtete Herr Seehofer, was Sie machen, ist, die Sündenböcke kümmern, die sich um Seenotrettung kümmern. Das sind in einer Minderheit in diesem Land zu suchen, statt selbst Menschen, die können und wollen. Aber sie haben eine Regierung, die nichts anderes tut, als mit viel, viel zu Verantwortung zu übernehmen. Sie schüren Zerrissen- kleinen Schritten zu simulieren. heit, Sie schüren Unsicherheit – als ein Innenminister, der eigentlich schützen und befrieden sollte. Sie belassen Damit komme ich zur inneren Sicherheit. Es braucht heute immer noch Herrn Maaßen im Amt, von dem man Vertrauen in die Institutionen und in eine Regierung, die nicht so genau weiß, ob er rechts außen beobachtet oder 5060 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 48 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 12 September 2018

Katrin Göring-Eckardt (A) coacht – das ist doch vollkommen verrückt, meine Da- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (C) men und Herren –, Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun das Wort der Kol- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lege Volker Kauder. und bei der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU) und der übrigens immer wieder lügt. Man muss sich doch heute die Frage stellen, ob Herr Maaßen mit dem, was er Volker Kauder (CDU/CSU): über dieses Video gesagt hat, vielleicht davon ablenken Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! wollte, dass die rechten Hetzer in Chemnitz unterwegs Christian Lindner hat in seinem Beitrag zu Recht darauf gewesen sind, ob er vielleicht davon ablenken wollte, hingewiesen, dass wir in unserem Land in einer Situati- was die alles tun konnten, nämlich Hitlergrüße ganz of- on leben, die außergewöhnlich ist, und dass nirgendwo fen zeigen, ohne daran gehindert zu werden. Herr Innen- festgeschrieben steht, dass dies ohne Weiteres so bleiben minister, ich kann Ihnen nur sagen: Fangen Sie entweder wird. Deshalb ist es richtig, dass wir sagen: Jawohl, wir an, Ihr Amt auszuüben, oder verlassen Sie es! Das wäre haben eine außergewöhnlich gute wirtschaftliche Situa- die konsequente Antwort auf das, was Sie hier in den tion. Es geht jetzt darum, alles dafür zu tun, dass dies letzten Wochen geliefert haben. auch so bleiben kann. – Dafür bietet dieser Bundeshaus- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN halt eine ganze Menge; ich werde darauf noch eingehen. und bei der LINKEN) Aber wer dieses Land wirklich liebt und ein Patriot ist, der stellt sich in der Haushaltsdebatte nicht hierhin und Nein, Migration ist nicht „die Mutter aller Probleme“, sagt nichts zu der Frage, wie es in unserem Land wei- sie ist ein Fakt, genauso wie die Wiedervereinigung, die tergeht, der hat nicht nur ein einziges Thema, nämlich nicht einfach war, genauso wie die Globalisierung, wie die Migration. Das sind nämlich keine Patrioten, liebe die Digitalisierung. Seit wann gucken wir eigentlich in Kolleginnen und Kollegen. Deutschland wie das Kaninchen auf die Schlange, wenn es Lösungen braucht? Wir brauchen keinen Innenminis- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie ter, der über den Zustand klagt, sondern wir brauchen des Abg. Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]) endlich wieder echte Politik. Wir sorgen uns darum, wie es weitergeht, damit es so Lassen Sie mich ganz zum Schluss ein Wort über Ost- bleiben kann. deutschland sagen, weil es mich als Thüringerin wirklich (Lachen bei Abgeordneten der AfD – Zuruf aufregt, dass jetzt alle anfangen, „der Osten“ zu sagen. von der AfD: Sie sollten sich um die Kanzle- Nein, in diesem Osten leben eine ganze Menge Demo- rin sorgen!) (B) kratinnen und Demokraten, die unter nicht einfachen Be- (D) dingungen versuchen, die Demokratie in diesem Land zu Und die Grundvoraussetzung dafür, dass es unserem gestalten, die unter nicht einfachen Bedingungen Unter- Land gut geht, ist eine funktionierende Wirtschaft. Laut nehmen gründen – die erben nämlich nichts –, die unter der Wirtschaft liegen einige Herausforderungen vor uns, nicht einfachen Bedingungen als Jugendarbeiter auf dem zum Beispiel im Bereich der Digitalisierung. Dabei geht Land unterwegs sind und versuchen, Jugendliche vor es nicht nur darum, die technischen Entwicklungen vo- dem Einfuss der Nazis in der Gegend zu bewahren. Das ranzubringen, sondern auch darum, die Menschen mit- sind Leute, die die deutsche Einheit erkämpft haben, die zunehmen, damit sie die damit verbundenen Herausfor- für eine friedliche Revolution auf die Straße gegangen derungen bewältigen können. Es geht vor allem darum, sind. Ich möchte nicht und ich lasse nicht zu, dass es im- eine junge Generation heranzubilden, die mit den He- mer mehr Leute gibt, die sagen: Das ist doch der Osten. – rausforderungen auch umgehen kann. Deshalb ist es so Nein, „der Osten“ ist ein Teil dieses Landes, das sind in wichtig, dass wir gemeinsam mit den Ländern die Schu- ihrer Mehrheit Demokratinnen und Demokraten, und das len ans Netz bringen. Die jungen Menschen, die jetzt in ist nicht die AfD und das sind nicht die Arschlöcher, die der Schule sind, werden mit ganz anderen Herausforde- auf die Straße gehen und hetzen und Hitlergrüße zeigen. rungen konfrontiert werden, als das in der heutigen Zeit der Fall ist. Deswegen müssen sie entsprechend ausge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bildet werden, und dafür stellt der Bund Geld zur Verfü- sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der gung. Das ist eine Investition in die junge Generation und SPD und der LINKEN) damit in die Zukunft unseres Landes. Ich möchte gern, dass uns klar ist: Wir sind ein gemeinsa- mes Land von Demokratinnen und Demokraten. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine sehr verehrten Damen und Herren, natürlich Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: bietet dieser Bundeshaushalt eine wichtige Perspektive Frau Kollegin Göring-Eckardt! für die junge Generation. Es ist ja kein reiner Selbst- zweck, dass wir einen Haushalt vorlegen, der ohne neue Schulden auskommt. Wir sagen: Ein Haushalt ohne neue Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Schulden bedeutet weniger Belastung für die künftige NEN): Generation und eröfnet Spielräume für die junge Gene- Vielen Dank. ration. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Otto Fricke [FDP]: Nein!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2018 5061

Volker Kauder (A) Es ist völlig richtig, dass ein Haushalt ohne neue zung des Paktes für den Rechtsstaat, als das bisher der (C) Schulden nicht hinreichend ist. Deshalb haben wir einen Fall war. Haushalt, der auch Investitionen ermöglicht. (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der (Otto Fricke [FDP]: Weniger als im letzten!) AfD: Dann macht doch!) Olaf Scholz hat ein neues Instrument erfunden, eine glo- Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt eine bale Mehrausgabe für Investitionen. Reihe von Bereichen, in denen es auf die Zusammenar- beit zwischen Bund und Ländern ankommt. Wir haben (Christian Dürr [FDP]: Er hat eine neue Sta- Anstrengungen unternommen, um gemeinsame Pro- tistik erfunden!) gramme voranzubringen. Ich fnde, wir müssen die Um- setzung des Paktes für den Rechtsstaat als eine nationale Das hat mich etwas überrascht. Okay, das kann man ma- Herausforderung betrachten und deshalb auch mit den chen. Ländern entsprechend zusammenarbeiten. Es reicht nicht aus, wenn wir nur bei der Bundespolizei neue Stellen (Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Nein, schafen. Wir müssen auch bei der Justiz – und da sind kann man nicht machen!) die Länder natürlich gefordert – neue Stellen schafen. Aber eines ist völlig klar, sehr geehrter Herr Finanzmi- Es kann nicht sein, dass Straftäter nicht zur Rechenschaft nister: Wir von der Unionsfraktion verlangen, dass wir gezogen werden können, weil die Fristen nicht einge- daran beteiligt werden, was mit diesem Geld passiert. halten werden, weil an den Gerichten Überlastungen bestehen. Ich erwarte, dass wir so, wie wir bei Schule, (Christian Dürr [FDP]: Oh! Oh!) Kita und anderen Bereichen zusammenarbeiten, auch im Bereich der inneren Sicherheit zusammenarbeiten. Das Es kann nicht sein, dass der Bundesfnanzminister alleine ist eine Aufgabe von nationaler Bedeutung, bei der wir darüber entscheidet. alle gemeinsam handeln müssen, meine sehr verehrten (Beifall bei der CDU/CSU – Alexander Damen und Herren. Dobrindt [CDU/CSU]: Ja, kommt gar nicht in- (Beifall bei der CDU/CSU) frage! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Netter Versuch!) Vergleichbar gilt dies auch für eine der großen He- rausforderungen, an der deutlich werden wird, ob die Dasselbe erwarten wir natürlich auch bei den Mehrein- Menschen sagen: Jawohl, das gelingt auch. – Es ist – die nahmen, die beispielsweise durch Haushaltsüberschüsse Bundeskanzlerin hat zu Recht darauf hingewiesen – (B) oder durch Steuermehreinnahmen erzielt werden. Steu- (D) ermehreinnahmen und mehr Geld im Haushalt – das ist (Zuruf von der AfD: Wir schafen das!) nicht eine Spielwiese für den Bundesfnanzminister allei- nicht akzeptabel, dass bei Tötungsdelikten und anderen ne, sondern für das gesamte Parlament, meine sehr ver- Fällen schwerer Kriminalität immer wieder die Aussage ehrten Damen und Herren. Deswegen erwarten wir eine kommt, einer der Täter hätte schon längst abgeschoben entsprechende Beteiligung. werden müssen. Deswegen sage ich: Die Abschiebung vor allem von Straftätern muss eine große Kraftanstren- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – gung in unserem Land werden. Zurufe von der FDP) (Christian Dürr [FDP]: Was genau tut Herr Wir haben über die gute Situation in unserem Land Seehofer denn dafür?) gesprochen, und trotzdem gibt es Irritationen. Das hängt natürlich damit zusammen, dass sich viele Menschen in Da müssen wir natürlich enger zusammenarbeiten. Da unserem Land fragen, ob der Staat die Sicherheit noch muss ich auch den Ländern sagen: Wir haben miteinan- ausreichend garantieren kann. der – es waren fast alle Ministerpräsidenten beteiligt – in den Koalitionsverhandlungen vereinbart, dass wir hier (Dr. Alice Weidel [AfD]: Ja!) vorankommen wollen. Wir haben beschlossen, dass wir AnKER-Zentren einrichten wollen, aus denen wir besser Rechtsstaat und innere Sicherheit sind ein großes The- und schneller abschieben können. Aber jedes Mal, wenn ma. Im Koalitionsvertrag haben wir einen Pakt für den der Bundesinnenminister an die Sache rangeht, haben die Rechtsstaat formuliert, und wir erwarten nun – und wir Länder Vorbehalte. Das kann so nicht mehr sein. Wenn werden auch darauf drängen –, dass all die Punkte, die wir von einer nationalen Kraftanstrengung bei der Ab- dort vereinbart worden sind, umgesetzt werden. Hier schiebung sprechen, dann muss das, was wir miteinan- fehlt uns noch ein wichtiger Schritt. Wir haben beispiels- der vereinbart haben, auch umgesetzt werden, meine sehr weise im Verfahrensrecht eine ganze Reihe von Maßnah- verehrten Damen und Herren. men vereinbart, die noch nicht umgesetzt worden sind. Wir werden vom Bundesjustizministerium verlangen, (Beifall bei der CDU/CSU) dass Verfahrensbeschleunigungen jetzt endlich auf den Da werden wir an der Seite des Bundesinnenministers Weg gebracht und Hemmnisse abgebaut werden. Wir stehen. erwarten hier schon noch mehr. Wir haben konkrete Vor- schläge gemacht. Ich fnde, wir können nicht immer nur Wenn es um den Rechtsstaat geht, geht es auch da- nach dem Motto arbeiten: Wir brauchen noch mal ein rum, dass wir uns an diese Grundsätze halten. Sehr ge- paar Wochen. – Es muss schneller gehen bei der Umset- ehrte Frau Kollegin Göring-Eckardt, wer den Rechtsstaat 5062 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 48 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 12 September 2018

Volker Kauder (A) bejaht, kann nicht nur dann verlangen, dass Urteile ak- Das ist kein anständiger Umgang mit Fachleuten und mit (C) zeptiert werden, wenn sie gegen rechts und andere ge- Wissenschaftlern. hen. Der Rechtsstaat gilt für alle. Und wenn die Gerichte entschieden haben, dass im Hambacher Forst abgeholzt (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) werden kann, dann muss dies gelten. Sie können nicht Deswegen erwarte ich, dass wir die Rentenkommission sagen: Es gibt berechtigten Widerstand gegen Urteile und erst einmal arbeiten lassen und uns dann mit den Ergeb- unberechtigten Widerstand. – Das stärkt den Rechtsstaat nissen auseinandersetzen. auf keinen Fall. Auf keinen Fall! (Christian Lindner [FDP]: Und was ist mit (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie dem Wissenschaftlichen Beirat bei Herrn bei Abgeordneten der SPD – Zuruf der Abg. Altmaier?) Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ja, es ist Wir haben heute auch darüber gesprochen, wie der richtig, dass wir den Zusammenhalt in unserem Land Umgang untereinander im Parlament ist. Da gibt es nicht stärken müssen. Deshalb ist es völlig in Ordnung, dass nur im Verhältnis zwischen uns oder im Verhältnis zur Menschen sich betrofen äußern, wenn es Tötungsdelik- AfD – darauf komme ich gleich noch zu sprechen – ei- te in unserem Land gibt. Ein jedes Tötungsdelikt ist ein niges zu beklagen, sondern natürlich auch bei dem, was schwerer Angrif auf unsere Rechtsordnung. Dass dies wir so machen. Wir haben alle die Aussage des Präsiden- die Menschen bewegt, ist doch völlig klar. Das war nicht ten des Bundesamts für Verfassungsschutz gehört. Sofort nur in Chemnitz so, sondern auch in Freiburg, in Kandel waren wir uns alle einig, dass dies sowohl im Parlamen- und überall, wo so etwas passiert ist. Da kann ich nur tarischen Kontrollgremium als auch in einer öfentlichen sagen: Das ist auch in Ordnung. Das zeigt doch eine Ge- Sitzung des Innenausschusses diskutiert, beraten werden sellschaft, die an dem, was passiert, Anteil nimmt. Aber muss und er befragt werden muss. wenn dann Demonstrationen wie die von der AfD statt- fnden (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Sitzung ist nichtöfentlich!) (Stephan Brandner [AfD]: Ui!) Das haben auch wir sofort unterstützt. Aber ich muss und man nicht bereit ist, sich von Rechtsextremisten zu sagen: Was ist denn das für ein Umgang? Man verlangt trennen, sondern wie der Herr Gauland sagt: „Dann ist zunächst einmal eine öfentliche Sitzung des Innenaus- es halt so“, schusses, in der der Betrefende sich zu erklären hat. (Johannes Kahrs [SPD]: Der ist doch selber (B) (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/ Rechtsextremist!) (D) DIE GRÜNEN]: Nichtöfentlich! – Dr. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie dann kann man das nicht machen. Das ist kein Bei- ist nichtöfentlich!) trag zum Zusammenhalt in unserer Gesellschaft, Herr Gauland. Bevor er sich aber erklären kann, kommt es schon zur Rücktrittsforderung. Das ist kein fairer Umgang, liebe (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP Kolleginnen und Kollegen. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der FDP) Es ist immer die gleiche Masche: Zunächst einmal wird aufgehetzt. So kann man nicht arbeiten. Das ist auch ein Vertrauens- verlust. (Andrea Nahles [SPD]: Ja!) (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Das Beispiel wurde schon gebracht: Eine AfD-Kreis- NEN]: Mit dem kann man so nicht arbeiten! – tagsfraktion erklärt, dass der Tag kommen kann, an dem Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE Journalisten aus den Funkhäusern herausgezerrt und auf GRÜNEN]: Wir wollen Antworten! – Matthias der Straße entsprechend fertiggemacht werden. W. Birkwald [DIE LINKE]: Das Maß ist voll!) (Ulli Nissen [SPD]: AfD Hochtaunus!) Ich will Ihnen einmal etwas Vergleichbares sagen: Wir von der Bundesregierung haben eine Reihe von Kom- Kaum wird dieser Tweet bekannt, tut man so, als habe missionen eingesetzt, die wir in unserer Fraktion mit man nichts damit zu tun, und dann wird er zurückgenom- Arbeitsgruppen begleiten. Wenn man eine Kommission men. Man begeht eine ständige Grenzüberschreitung, einsetzt, hat man doch zunächst einmal die Erwartung, dass diese Kommission Vorschläge macht und man dann (Stephan Brandner [AfD]: Oh ja, ganz genau! darüber redet. Das ist das Problem!) (Christian Lindner [FDP]: Rente!) und dann tut man heuchlerisch so, als habe man damit nichts zu tun. Das zeigt: Die Maske der Bürgerlichkeit ist Wenn aber eine Regierung eine Regierungskommission bei Ihnen gefallen! einsetzt und dann Regierungsmitglieder kommen und schon vorher sagen, was diese Regierungskommission (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sehr für Ergebnisse produzieren muss, dann muss ich sagen: gut!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2018 5063

Volker Kauder (A) Sie sind keine bürgerliche Partei, und Sie sind keine Pa- merkt man, dass er ofensichtlich schon lange nicht mehr (C) trioten! mit Macron telefonieren durfte. Der arme Kerl! (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP (Heiterkeit und Beifall bei der AfD) und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- Frau Nahles, Sie haben eine sehr interessante Rede wie bei Abgeordneten der LINKEN – Fabian abgeliefert, wo Sie auch die Demokratie beschwören. ­Jacobi [AfD]: Sie sind wirklich der Letzte! Wie kann es also sein, dass eine waschechte Demokratin, Der Allerletzte!) wie Sie vorgeben, es zu sein, eine Mitarbeiterin aus ih- Meine sehr verehrten Damen und Herren, ja, wir le- rem engeren Umfeld hat, Angela – da muss ich noch mal ben in einer schwierigen Zeit. Aber ich glaube, dass wir nachgucken –, Angela, nicht Merkel, sondern Marquardt, aus dem, was wir in der Vergangenheit geschafen haben, die in einer Postille der SPD doch tatsächlich anregt, dass auch den Mut nehmen können, es für die Zukunft gut die SPD im Kampf gegen die AfD und gegen rechts mit zu machen. Wir haben in unserem Land eine Situation, der Antifa zusammengehen soll? Das ist wirklich eine die gut ist. Trotzdem haben wir Herausforderungen zu Schande für die Demokratie. Diesen Vorwurf müssen Sie bewältigen. sich gefallen lassen! (Zuruf von der AfD: Die Sie geschafen ha- (Beifall bei der AfD) ben!) Frau Merkel, ich gebe Ihnen recht: Mit aller Härte Dazu leistet der Bundeshaushalt einen Beitrag und diese des Rechtsstaates müssen wir durchgreifen – gegen den Regierungskoalition ebenfalls. Totschlag, gegen die Morde, die sich mittlerweile auf unseren Straßen abspielen. Wenn man in Deutschland Herzlichen Dank. zur falschen Zeit am falschen Ort ist, kann es einen ja erwischen. Zur Rechtssicherheit und Rechtsstaatlichkeit (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- muss auch dazugehören, dass Yousif A., der mutmaßli- ordneten der SPD) che Iraker – nachträglich hat sich ja herausgestellt, dass alle seine Dokumente gefälscht waren; wir reden von Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: dem Mörder, ich sage „Mörder“, nicht „Totschläger“ Für die AfD-Fraktion hat die Kollegin Dr. Alice (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Reden Weidel das Wort. Sie auch noch über Digitalisierung, Rente, Ge- (Beifall bei der AfD – Johannes Kahrs [SPD]: sundheitspolitik?) Jetzt wird wieder gehetzt! – Ulli Nissen [SPD]: (B) von Chemnitz –, dass er unerlaubt eingereist ist, mehr- (D) Jetzt ist Schmerzensgeld fällig!) fach strafällig geworden ist und sein Asylantrag abge- lehnt wurde. Das ist bei Ihnen im Übrigen nicht ein Ein- Dr. Alice Weidel (AfD): zelfall, sondern es ist die Regel, die Sie als Regierung zu Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und verantworten haben. Sie, Frau Merkel, sind zum größten Herren! Herr Kauder, ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Sicherheitsrisiko in diesem Land geworden. ( [CDU/CSU]: „Ehrlich“ (Beifall bei der AfD) ist bei Ihnen schon schwierig!) Aber es geht noch weiter: Die von der Regierung be- Ich weiß gar nicht, ob Sie Oppositionspartei sind oder in feuerte Dieselhysterie und der unnötige Handelskonfikt der Bundesregierung sitzen. Das war mir bei Ihrer Rede mit den USA bedrohen unsere Automobilindustrie – eine nicht so ganz klar. gefährliche Entwicklung, wenn man bedenkt, welche Bedeutung dieser Industriezweig in unserem Land ein- (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ich sitze nicht nimmt. Arbeitsplätze sind bedroht, und Arbeitspendler, in der Bundesregierung!) die sich ihren Diesel unter wirtschaftlich vernünftigen Aspekten zusammengespart haben, die sind nämlich Apropos Bürgerlichkeit: Es ist doch die CDU, die sich letztlich die Dummen. Sie haben die Arbeitnehmer des von der bürgerlichen Mitte so weit entfernt hat. Diesen Landes – an der Stelle auch an die SPD –, die unseren Vorwurf müssen Sie sich gefallen lassen. Wohlstand erwirtschaften und erarbeiten, längst aus den (Beifall bei der AfD) Augen verloren. Zur SPD. Man merkt bei Ihnen regelrecht: Sie bewe- Das zeigt auch die ewige Euro-Retterei der Mer- gen sich auf die Fünfprozenthürde zu. kel-Regierung. Alle Parteien hier versuchen, uns weiter- hin ernsthaft weiszumachen, Deutschland sei der größte (Stephan Brandner [AfD]: Ein ganz müder Profteur des Euro. Das ist nicht wahr, und das wissen Sie Haufen!) auch – wenn Sie etwas davon verstehen würden. Auch bei Herrn Schulz, der jetzt ja im Übrigen gar nicht (Beifall bei der AfD – Lachen des Abg. mehr da ist – schon lange sitzt er nicht mehr da; er ist be- Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]) stimmt schon wieder auf dem Weg nach Brüssel –, Tatsache ist nämlich: Die privaten Haushalte in Deutsch- (Johannes Kahrs [SPD]: Ja, das verstehe ich land gehören zu den ärmsten in der Euro-Zone; das legt sogar! Ihre Hetzreden brauchen wir nicht!) eine Vermögensstudie der EZB dar. Die Nullzinspoli- 5064 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 48 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 12 September 2018

Dr. Alice Weidel (A) tik der EZB macht sie dabei von Tag zu Tag ärmer. Das – Ich muss keine Frage stellen. Eine Zwischenbemer- (C) Vermögen auf den Sparbüchern, den Pensionsfonds und kung ist in Ordnung. der Garantiezins der Lebensversicherungen schmelzen dahin, während die Immobilienpreise, also Kauf- und (Zuruf von der AfD: Frage! – Gegenruf des Mietpreise, durch die Decke gehen. So viel zum Stich- Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: wort „Mietpreisbremse“. Sie haben diese Politik zu ver- Ruhe da hinten! Lesen Sie mal die Geschäfts- antworten. ordnung! Es darf auch eine Bemerkung sein!) Dazu kommt nämlich noch: Die von SPD und Union Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: vielbejubelten Gewinne der deutschen Exportindustrie darf der deutsche Bürger am Ende selber bezahlen; das Liebe Kollegen, es wird jetzt eine Zwischenfrage ge- sagen Sie ja nie dazu. Über das TARGET2-System muss stellt. – Bitte, Herr Kindler. die Deutsche Bundesbank nämlich maroden Schulden- staaten Kredite gewähren, ohne eine realistische Aus- Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sicht, etwas von dem Geld jemals zurückzubekommen. NEN): (Christian Lindner [FDP]: Das ist falsch! – Gleichzeitig ist es so, dass es natürlich wichtige an- Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Was tifaschistische Bündnis- und Bildungsarbeit gibt, gerade schlagen Sie denn vor? – Christian Dürr auch in Ostdeutschland. [FDP]: Sie haben es nicht mal verstanden, (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Ja, ja!) Frau Weidel!) Sie ist sehr wichtig, weil viele Menschen vor Ort erfah- Europas Dispo bei Deutschland steht mittlerweile kurz ren, dass sie von Nazis, von Rassisten, von gewaltberei- vor der Billion-Euro-Marke. Sie werden jetzt sagen: Was ten Rechtsextremen angegrifen werden. stören mich TARGET2-Forderungen der Bundesbank? Was stören mich die Verluste der deutschen Sparer? Ges- (Christian Lindner [FDP]: Linksautonome! tern sagen Sie noch, Herr Scholz, Sie wollen etwas für Die gibt es auch! Es ist egal, ob der Stein von die Kinder tun. Was stört es Sie, dass Sie genau diese rechts oder links geworfen wird!) Kinder und die nachfolgenden Generationen um ihre Vermögensbildung bringen? – Was soll daran eigentlich Das sind übrigens Leute, mit denen Sie zusammen auf noch soziale Politik sein? die Straße gehen, wie in Chemnitz. (Beifall bei der AfD) (Zuruf von der AfD: G 20 nicht vergessen!) (B) (D) Die niedrigen Zinsen der EZB haben dem Staat jede Deswegen bitte ich Sie hier, diese unglaubliche Relati- Menge Geld erspart. Dazu sprudeln die Steuereinnah- vierung und diesen Angrif auf Angela Marquardt zu- men. Alles prima. Leider hat die Regierung nicht nur an rückzunehmen. Es ist sehr wichtig, dass man geschlos- den Zinsausgaben gespart. Sie hat auch mächtig an den sen, gewaltfrei, gemeinsam gegen Nazis und Rassisten Investitionen in die Infrastruktur gespart; es wird gna- auf die Straße geht. Das hat Angela Marquardt sehr klar denlos von der Substanz gelebt. gemacht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: bei der SPD und der LINKEN – Dr. Alexander Gauland [AfD]: Die Antifa ist sehr gewaltfrei! Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Sie haben einen ganzen Stadtteil zerschlagen! Kollegen Kindler? Sie von den Grünen haben es nötig!)

Dr. Alice Weidel (AfD): Dr. Alice Weidel (AfD): Aber natürlich, sehr gerne. Ich fnde Ihre Frage sehr schön, weil Sie damit eigent- lich den Bundesbürgern dargelegt haben, dass Sie die Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Antifa nicht als linksterroristische Organisation verste- NEN): hen, und das ist in der Tat sehr interessant. Denn doch Frau Weidel, Sie haben gerade einen Vorwurf ge- die gleiche Organisation hat auf Indymedia ganz groß genüber Angela Marquardt erhoben, den ich aufs Aller- geschrieben, mit denen Sie ja zusammenarbeiten. schärfste zurückweisen will. Im Übrigen, was auch ganz interessant wäre: eine Un- (Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD]) tersuchung der Verstrickungen, die Sie alle mit der Antifa haben. Das müssen Sie sich gefallen lassen. Sie haben sie hier im Plenum difamiert. (Beifall bei der AfD – Matthias W. Birkwald Angela Marquardt hat in ihrem Artikel im „Vorwärts“ [DIE LINKE]: Buh! Das ist hanebüchener Un- klargemacht, dass es natürlich notwendig ist, sich von je- sinn, was Sie da sagen!) der Gewalt zu distanzieren und gewaltfrei gegen Rassis- mus, Nazis und Antisemitismus auf die Straße zu gehen. – Das wissen Sie, und darum schreien Sie auch so. Sie – vor allen Dingen Sie von der Linken – können immer nur (Zuruf von der AfD: Frage!) „Buh“ rufen, wenn es um sachliche Politik geht. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2018 5065

Dr. Alice Weidel (A) Indymedia, die Antifa schreibt dort: Gaspistolen an die blick. Das mag Ihnen vielleicht Ihr Therapeut für ein (C) Schläfen von Menschen zu setzen, um sie zu töten. Und fröhliches Dasein empfohlen haben. mit diesen Leuten wollen Sie zusammenarbeiten? Schä- men Sie sich! Da gibt es überhaupt nichts klarzustellen. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sie Das müssen Sie sich gefallen lassen. Das ist furchtbar. wissen wahrscheinlich, wovon Sie reden, oder?) (Beifall bei der AfD) Diese Haltung taugt aber leider nicht dazu, ein Land in Während Ihr Stegner dann noch trommelt, das „Perso- die Zukunft zu führen. Aus diesem Grund ist auch Ihre nal“ der AfD zu „attackieren“. Was meint er denn damit? Erzählung von der schwarzen Null eben nur ein Märchen Uns niederzuschlagen, wie den Bundestagsabgeordne- und keine tatsächliche Zustandsbeschreibung des Staats- ten jetzt gerade am Infostand? Wollen Sie haushaltes. uns verprügeln? Was wollen Sie denn machen? Sie ha- (Beifall bei der AfD) ben schon lange den demokratischen Korridor verlassen, auch die SPD. Für die Forderungen künftiger Rentner und Pensionis- ten müssten Rückstellungen in der Bilanz wie in jedem (Beifall bei der AfD – Matthias W. Birkwald Unternehmen ausgewiesen und eingestellt werden; [DIE LINKE]: Das ist Projektion, was Sie da machen! Projektion heißt das in der Psycho- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: In logie!) Deutschland heißen die Pensionäre! Pensio- nisten sind die in Österreich!) Die Uhr wurde nicht angehalten, aber gut! – Ich war ja gerade bei der Infrastruktur; das möchte ich gerne zu denn sie sind letztlich nichts anderes als in der Zukunft Ende führen. Straßen, Verkehrswege sind ebenfalls in liegende Zahlungsverpfichtungen. einem desolaten Zustand. Die Hälfte unserer Autobahn- (Otto Fricke [FDP]: Nur, dass der Haushalt brücken ist weit über 40 Jahre alt und gar nicht für den keine Bilanz ist!) Schwerlastverkehr der heutigen Zeit ausgelegt. – Ja, Kameralistik eben. Darum wird das auch nicht ein- Ausgeblutet ist im Übrigen auch die Bundeswehr: fü- gestellt. – Das bittere Erwachen kommt schon bald, näm- gellahme Jets, fahruntaugliche Panzer, U-Boote im Tro- lich dann, wenn die geburtenstarken Jahrgänge ihre An- ckendock. Vom NATO-Ziel „2 Prozent in den Wehretat“ sprüche gegen die Rentenkasse geltend machen. In der sind wir weit entfernt. Zwischenzeit wird in Ihrer Rentenkommission herumdis- kutiert, wie das der Finanzminister gestern dargelegt hat. (B) (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Wollen Gehandelt wird seit Jahrzehnten nicht, obwohl Ihnen die (D) Sie das Ziel erreichen, oder was?) demografsche Entwicklung lange bekannt ist und durch Dieses Land ist de facto nicht zu verteidigen mit der Bun- die ungeregelte Zuwanderung von Unqualifzierten auch deswehr, die wir gerade haben. Wir sind ein Land ohne noch verschärft wird. Landesverteidigung, und das haben Sie auch zu verant- (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- worten. NEN]: Welche Position hat denn die AfD zur Rente? – Gegenruf des Abg. Michael Grosse-­ Geradezu ein Entwicklungsland ist Deutschland in Brömer [CDU/CSU]: Keine!) Sachen „digitale Infrastruktur“. Lächerliche – das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen – 2,3 Pro- Eine Generationenbilanzierung nimmt die Bundesre- zent der Anschlüsse in Deutschland sind Glasfaserlei- gierung ebenfalls nicht vor. Rechnet man die demograf- tungen. Der OECD-Durchschnitt liegt bei 22,3 Prozent. sche Entwicklung unseres Landes mit ein, dann müssten Der Durchschnitt ist also zehnmal höher als hierzulande. bis zu 3,8 Prozent des BIP zusätzlich gespart werden, um Litauen ist mit 71 Prozent im Übrigen an Europas Spit- für die künftig ansteigenden Belastungen vorgesorgt zu ze und uns meilenweit voraus. Beim Ausbau des Mobil- haben. Das besagt, wohlgemerkt, der Tragfähigkeitsbe- funknetzes sieht es im Übrigen auch nicht besser aus; wir richt des Finanzministeriums. reden ja hier über den Haushalt. Hier liegt Deutschland nämlich in Europa auf Platz 32, weit abgeschlagen hinter Zusammenfassend kann man sagen: Die Merkel-Re- Albanien. gierungen haben über Jahre haushaltspolitisch einen dop- pelten Fehler begangen. Zum einen wurde die tatsächli- Besserungen, was die öfentlichen Investitionen an- che Verschuldung immer wieder in die Höhe getrieben, geht, sind nicht in Sicht. Der Bundesfnanzminister plant und zum anderen wurde durch fehlende Investitionen in sie sogar, entgegen seiner gestrigen Aussagen, bis 2022 die Infrastruktur die Grundlage für zukünftige Einnah- von 37,9 Milliarden Euro auf 33,5 Milliarden Euro zu- men drastisch verschlechtert. Als wenn die marode In- rückzufahren. Es wird also noch weniger investiert. Das frastruktur in unserem Land nicht schon schlimm genug ist ein schwerer Fehler, der unser Land noch teuer zu ste- wäre, hat Frau Merkel auch noch das Kunststück zustan- hen kommen wird. de gebracht, aus Deutschland das Land mit den höchsten Strompreisen in Europa zu machen. Sie sind nämlich fast (Beifall bei der AfD) doppelt so hoch wie in Frankreich – der völlig überstürz- ten und doppelten Energiewende sei Dank. Hier liegt auch das Hauptproblem Ihrer unsoliden Haushalts- und Finanzpolitik. Sie leben nur im Augen- (Beifall bei der AfD) 5066 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 48 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 12 September 2018

Dr. Alice Weidel (A) Die CDU hat damit dem Mittelstand und dem Hand- Nehmen Sie also endlich das Zepter des Handelns in (C) werk, die sie vorgibt zu vertreten, den Dolchstoß ver- die Hand! setzt; das sollte Ihnen klar sein. Dabei ist es aber an der (Ulli Nissen [SPD]: Mal wieder die Opferrol- Zeit, dem Mittelstand und den Geringverdienern endlich le! Wunderbar!) den Rücken zu stärken. Doch von Ihnen kommt dazu nichts. Vorschläge? Warum nicht 2 000 Euro pro Monat Handeln Sie zum Wohle unseres Landes Deutschland! als steuerfreies Einkommen? Wieso lässt man Altersren- ten nicht grundsätzlich steuerfrei? Warum nicht runter (Beifall bei der AfD – Matthias W. Birkwald mit der Mehrwertsteuer? Warum kein Familiensplitting? [DIE LINKE]: Es waren 15:02 Minuten!) Warum nicht weg mit dem Soli und, und, und? Davon kommt überhaupt nichts. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Für die Fraktion der SPD hat als Nächstes das Wort Aber die wohl fatalste Fehlleistung eines Regierungs- der Kollege Carsten Schneider. chefs dieser Republik erfolgte vor drei Jahren. Um bei der fnanzpolitischen Ebene zu bleiben: Den deutschen (Beifall bei der SPD) Steuerzahler wird allein das „Wir schafen das“ des Herbstes 2015 900 bis 1 500 Milliarden Euro kosten. Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): Das ergeben Berechnungen des renommierten Ökono- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! men Bernd Rafelhüschen. Frau Abgeordnete Weidel, ich habe den Medien entnom- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Re- men, dass eine Besuchergruppe von Ihnen aus Ihrem nommiert ist der nicht! Das ist ein Lobbyist Wahlkreis im Konzentrationslager Sachsenhausen war, im Professorengewand!) (Zurufe von der AfD: Oh!) Obwohl deutsches Recht und europäische Regeln ge- dass sie dort antisemitische Äußerungen getätigt hat und brochen wurden, obwohl das fnanzielle und soziale De- dass sie die in der Vergangenheit stattgefundenen Ereig- saster immer stärker zutage tritt, gestehen Sie, liebe Frau nisse relativiert hat. Bundeskanzlerin, keinen Fehler ein. Ganz im Gegenteil: Unrecht soll zu Recht umgemünzt werden; Stichwort: (Dr. Alice Weidel [AfD]: Dafür gibt es bisher globaler Migrationspakt. Unter dem Schlagwort „Spur- kein Zitat! Kein einziges Zitat!) wechsel“ will die Regierung auch noch ausreisepfichti- Ich fnde, hier im Deutschen Bundestag wäre heute der gen Migranten ein Bleiberecht erteilen. geeignete Ort gewesen, dass Sie sich davon distanzieren, Frau Weidel. (B) (Beifall bei der AfD) (D) Die Millionen, die in Afrika bereits auf ihren gepackten (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Kofern sitzen, werden das als zusätzliche Ermunterung BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- und Einladung verstehen. Doch Sie wollen die Aktion geordneten der CDU/CSU – Jürgen Braun auch noch allen Ernstes mit dem Fachkräftemangel ver- [AfD]: Das war der Lügenschreiber Meisner!) teidigen. Das ist wirklich nicht zu fassen. Sie haben diese Chance verpasst, genauso wie Herr Gauland heute die Chance verpasst hat, sich von den Er- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: eignissen in Chemnitz zu distanzieren, Kommen Sie bitte zum Schluss, Frau Weidel. (Jürgen Braun [AfD]: Ihr Propagandist, Herr Meisner vom „Tagesspiegel“! Der hat das ver- Dr. Alice Weidel (AfD): breitet! Dummes Zeug hat der verbreitet, wie die SPD immer!) Sie haben eben die Uhr nicht angehalten. wo Menschen in Aufruhr waren und die Unsicherheit auf die Straße gebracht haben, die einer Demonstration folg- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: ten, die Ihr Landesvorsitzender aus Thüringen, Höcke, Ich habe selbstverständlich die Uhr angehalten. mit organisiert und angeführt hat, mit dem Pegida-Chef Bachmann und anderen stadtbekannten Hooligans, in de- Dr. Alice Weidel (AfD): ren Folge Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten Sie haben die Uhr weiterlaufen lassen, als ich noch in aus durch die Stadt getrieben wurden, denen der Antwort war. Fahnen abgenommen und die geschlagen wurden. Da- von hätten Sie sich distanzieren können, Herr Gauland. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wir Nichts in diese Richtung. Nichts! sind schon bei 14:45, aber Sie haben 12 Mi- nuten!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der – So ist das, wenn man Zwischenfragen zulässt. Plötzlich LINKEN – Dr. Alexander Gauland [AfD]: Ich läuft die Uhr weiter, und man kommt nicht mehr hin. war nicht dabei! Da brauche ich mich auch nicht zu distanzieren!) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE],ein Handy mit einer Stoppuhr hochhaltend: Ich – Sie waren nicht dabei, richtig. Aber Sie scheinen ein habe es gestoppt!) klares Urteil zu haben. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2018 5067

Carsten Schneider (Erfurt) (A) Meine Damen und Herren, was in Chemnitz und in lerin persönlich von dem ihr eigentlich unterstehenden (C) Köthen passiert ist: Jeder Tod eines Unschuldigen ist ein Geheimdienstchef des Inlandsgeheimdienstes nicht nur Tod, der uns schmerzt, ja. relativiert, sondern konträr dargestellt wurde. (Jürgen Braun [AfD]: Da sagen Sie aber nichts Die Frage, die ich mir dabei wirklich stelle, ist: Reden zu normalerweise! Da schweigen Sie! Zu den die eigentlich miteinander? Es ist ja wohl entscheidend, Morden schweigen Sie!) dass der Bundesinnenminister, die Kanzlerin und der Aber was danach an Demonstrationen stattfndet, die das Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz miteinan- Demonstrationsrecht überschreiten, wo Neonazis aufru- der sprechen und über die Lage die gleiche Einschätzung fen und Hooligans die Städte unsicher machen, wo zu haben; Gewalt aufgerufen wird, wo wie in Chemnitz von Hoo- (Christian Lindner [FDP]: Richtig!) ligans gerufen wird – ich zitiere –: Wir sind Krieger, wir sind Fans, Adolf Hitler, Hooligans. denn nur dann kann man handeln, und darum geht es. Wo dies passiert und die normalen Menschen dane- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten benstehen und applaudieren, da ist etwas ins Rutschen der FDP) gekommen, meine Damen und Herren. Wir Demokraten sind dazu angehalten, das zu stoppen. Darum geht es für uns Sozialdemokraten. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Hier geht es nicht um einen Kopf. Hier geht es um die BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Frage des Vertrauens in den Rechtsstaat und auch in die Das erinnert mich sehr stark an die Zeit zwischen öfentliche Sicherheit in Deutschland. 1990 und 1992 und an Rostock-Lichtenhagen. (Christian Lindner [FDP]: Aber darum geht (Abg. Leif-Erik Holm [AfD] meldet sich zu es da nicht! Es geht darum, Seehofer stabil zu einer Zwischenfrage) halten!) – Ich lasse keine Zwischenfrage zu. Das ist für uns zentral, genauso wie die soziale Sicher- Ich kann nur dazu aufordern, dass wir an dieser Stelle heit. Dazu sind wir hier auch anderer Aufassung als die exakt sind und denjenigen sagen, die Sorgen haben und Grünen und die FDP. Herr Lindner hat das heute bei der sich nicht sicher fühlen, dass wir diese Sicherheit ge- Rente und auch bei der Miete klargemacht. Ja, die SPD währleisten wollen. Dass wir diese Sorgen ernst nehmen, ist mit Sicherheit nicht die Partei der Interessen der Ei- ist gar keine Frage. Aber wer mit Neonazis marschiert, gentümer, also von Haus & Grund, sondern die SPD ist (B) kann danach nicht sagen, er hat mit denen nichts zu tun, eher Interessenvertreter derjenigen, die im Mieterbund (D) sondern er macht sich mit ihrer Sache gemein. Das ist die organisiert sind. Völlig klar. wirkliche Gefahr. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LIN- KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Wenn ich in einer Großstadt mittlerweile 40 Prozent NEN) meines Einkommens und mehr nur noch für Miete aus- gebe, dann ist das nicht mehr akzeptabel, weil das auch Bei der öfentlichen Sicherheit hätte ich mir ge- eine Umverteilung ist. Denn durch die Preissteigerungen wünscht, dass es, bevor wir zu Urteilen kommen – Herr der letzten Jahre ist bei denjenigen, die Eigentum haben Kauder ist gerade nicht hier; er hat das eben selbst bezo- und über Wohnungen und Häuser in Berlin, München gen auf die Innenausschusssitzung und die Äußerungen und Hamburg verfügen, das Vermögen gestiegen. Dazu von Herrn Maaßen gesagt –, eine Unvoreingenommen- kommt noch das zusätzliche Einkommen aus der höheren heit gibt. Diese Unvoreingenommenheit betrift auch ei- Miete. nen Kollegen Ihrer Fraktion, nämlich den Chef des Par- lamentarischen Kontrollgremiums, Herrn Schuster, der Wir sagen: Nein! Stopp! Wir Sozialdemokraten wer- heute Morgen im Fernsehen gesagt hat: Wir können zur den das stoppen. Diesen Abfuss und diese Umverteilung Tagesordnung übergehen. gibt es mit uns nicht. Wir greifen ein. (Andrea Nahles [SPD]: Unmöglich!) (Beifall bei der SPD) Meine Damen und Herren, ich sehe das nicht so, und Faire Mieten in unserem Land sind ein Grundrecht. die SPD-Fraktion auch nicht. Von daher: Dieser Haushalt stellt in diesem Herbst (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie insbesondere alles, was den sozialen Aufbruch bringt, in bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE den Mittelpunkt. Wir werden um eine gesellschaftliche GRÜNEN) Mehrheit dafür kämpfen, dass wir die gesetzliche Ren- Wir brauchen Vertrauen in den Rechtsstaat. Wir brauchen tenversicherung – Andrea Nahles hat das gesagt – dau- Vertrauen in die Sicherheitsbehörden. Ich war zehn Jahre erhaft stabilisieren und das Rentenniveau nicht absinken lang Vorsitzender des Vertrauensgremiums zur Kontrolle lassen. Mit dem ersten Gesetz, dessen Entwurf Hubertus der Geheimdienste und weiß, wovon ich spreche. Dieses Heil vorgelegt hat, ist es uns gelungen, hier Sicherheit Vertrauen ist nicht nur angekratzt. Denn was wir erleben bis 2025 zu geben. Ja, dafür brauchen wir Geld. Aber wir mussten, war ja, dass eine Äußerung der Bundeskanz- werden Geld in die Hand nehmen und die zur Verfügung 5068 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 48 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 12 September 2018

Carsten Schneider (Erfurt) (A) stehenden Mittel nutzen und sie beispielsweise nicht Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (C) hauptsächlich für Verteidigungsausgaben verwenden. Kollege Schneider, wollen Sie antworten? – Bitte (Zurufe von der AfD) schön.

– Sehr geehrte Damen und Herren von der AfD, Ihre Kol- Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): legin Weidel hat eben gesagt, dass sie das 2-Prozent-Ziel der NATO erreichen will. Das bedeutet 40 Milliarden Sehr geehrter Herr Kollege, ich weiß exakt, was ich Euro mehr für Aufrüstung. Sozialdemokraten wollen das gesagt habe. Am Sonntag, nach dem Totschlag an dem nicht. Wir wollen das Geld für eine stabile Rente. jungen Mann in Chemnitz, (Zurufe von der AfD: Mord! Mord!) (Beifall bei der SPD) fand die erste Demonstration mit 800 Hooligans statt; sie Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: sind durch Chemnitz gezogen. Ich erteile das Wort zu einer Kurzintervention dem (Thomas Ehrhorn [AfD]: Das war keine Kollegen Leif-Erik Holm. AfD-Demonstration!) – Hören Sie mir genau zu! – Am Montag fand die zweite Leif-Erik Holm (AfD): Demonstration statt: Vielen Dank, Herr Präsident, dass Sie die Kurzinter- vention zulassen. – Herr Schneider, Sie haben hier reine (Zuruf von der AfD: Trauermarsch!) Propaganda verbreitet. Herr Gauland hat heute noch ein- 1 000 bis 2 000 Demonstranten auf der Seite der eher mal eindeutig festgestellt, dass wir uns gegen jeglichen politischen Mitte bzw. links und 5 000 bis 8 000 Leute Extremismus wenden und auch gegen Übergrife, wie es eher auf der rechten politischen Seite. sie auf Chemnitzer Demonstrationen gegeben hat. (Jürgen Braun [AfD]: Keine AfD-Demonst- (Beifall bei der AfD – Zuruf von der LIN- ration!) KEN: Sie haben doch mitgemacht!) – Warten Sie es ab! – Dabei sind diese Sprüche gefallen. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass es das, was Sie be- schrieben haben, auf unseren Demonstrationen nicht ge- Am Montag sind die Mitarbeiter aus meinem Büro in geben hat. Erfurt nach Chemnitz gefahren. Sie haben sich nicht si- cher gefühlt. Es waren 800 Polizisten da, viel zu wenige. (Widerspruch und Lachen bei der SPD und Die Entscheidung, ob es dort brennt oder nicht, haben (B) (D) dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die Hooligans getrofen. Am Samstag darauf war ich in Chemnitz. Ich weiß nicht, ob Sie da waren. Es gab zwei Sie haben gerade im Hohen Haus gesagt, bei uns seien Demonstrationen: eine Demonstration, an der ich teilge- irgendwelche Nazihools aufmarschiert, die gerufen hät- nommen habe, und eine andere, zu der die AfD aufgeru- ten: Wir sind die Fans, Adolf Hitler, Hooligans. – Dies ist fen hatte. Da waren auch 5 000 bis 6 000 Demonstranten absolut unwahr. da. Diese war gemeinsam mit Pegida und Pro Chemnitz. (Johannes Kahrs [SPD]: Sie sind die rechtsra- Sie sind gemeinsam marschiert; die Demonstrationen dikale Partei!) wurden vereinigt. Aus dieser Demonstration heraus sind unsere Sozialdemokraten angegrifen worden. Das sind Das hat auf unseren Demonstrationen nicht stattge- die Fakten, und denen können auch Sie sich nicht ent- funden. Sie wissen genauso gut wie ich, dass das eine ziehen. Falschbehauptung der „Tagesthemen“ war, die korrigiert werden musste. Das hat auf anderen Demonstrationen (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem stattgefunden und nicht auf den vernünftigen Demon- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) strationen der AfD in Chemnitz. Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis! Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Beifall bei der AfD) Der nächste Redner ist der Kollege Otto Fricke, FDP-Fraktion. Ich möchte noch eines sagen: Wir wenden uns gegen jeden Extremismus, während Sie das ofensichtlich nicht (Beifall bei der FDP) tun. Otto Fricke (FDP): (Johannes Kahrs [SPD]: Sie sind Extremis- ten!) Geschätzter Herr Vizepräsident! Meine lieben Kolle- ginnen und Kollegen! Es geht um die Zukunft unseres Herr Bundestagspräsident Schäuble hat gestern eine Landes. Das will ich zur Debatte gerade sagen: Ja, die wirklich gute Rede gehalten. Er hat sich gegen jeglichen gehört auch dazu. Aber was sollen denn diejenigen, die Extremismus von links und rechts gewandt. Diejenigen, uns zuhören und zuschauen, sagen? Ist dies das einzige die nicht geklatscht haben, waren Sie. Das waren die Thema, worüber ihr euch hier streiten könnt? SPD, die Linke und die Grünen. Das ist entlarvend. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das (Beifall bei der AfD) möchte die AfD gerne!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2018 5069

Otto Fricke (A) Wir müssen über die Zukunft unseres Landes insgesamt für Kinder, für Schule, für Bildung“; aber das machen Sie (C) reden. nicht. Stattdessen machen Sie einfach weiter mit dem, was Sie haben. Damit verschenken Sie unsere Zukunft. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Damit denken Sie nicht an morgen und schon gar nicht der CDU/CSU) an nachwachsende Generationen. Vielleicht besinnen wir uns dabei auf eine unserer (Beifall bei der FDP) Grundlagen und erinnern uns an die Historie. Mir fällt zum Haushalt folgender lateinischer Spruch ein – den Ich will das an zwei Bereichen festmachen. Die Bun- können dann manche übersetzen, um sich ein bisschen deskanzlerin hat hier darüber geredet, dass in der Ar- abzukühlen –: Timeo Danaos et dona ferentes. – Jeder beitslosenversicherung der Beitrag sinkt. Stimmt. Nun kann überlegen, was das über den Haushalt aussagt. Ich streiten Sie sich innerhalb der Koalition darüber, wer löse es vielleicht gerne für diejenigen auf, die es wissen der Bessere ist und wie viel der Beitrag sinkt. Was ver- wollen. schwiegen wird, ist, dass der Kollege Heil – der jetzt lei- der nicht da ist; das ist ja eigentlich der Schwerpunkt des (Volker Kauder [CDU/CSU]: Übersetzen Sie Haushaltes – der Öfentlichkeit nicht sagt, dass er gleich- ihn doch! – Michael Grosse-Brömer [CDU/ zeitig mehr als 1 Milliarde Euro für neue Leistungen CSU]: Niederländisch wäre besser gewesen!) aus der Arbeitslosenversicherung will. So handeln Sie. Wir haben wirklich wunderbare wirtschaftliche Zei- Sie versprechen auf der einen Seite eine Senkung und ten. Die Sozialkassen weisen wunderbare Zahlen auf. verstecken gleichzeitig ganz heimlich neue Leistungen. Wir haben, insbesondere was unser Alterssystem, die Al- Und wenn die Wirtschaft das nächste Mal nicht mehr gut tersarmut und die Fragen der Pfege angeht, gute Zeiten. läuft, wundern wir uns über die Zahlen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nein, Zweiter Punkt: Rente. Herr Kauder, das war ja sehr haben wir nicht! Die Altersarmut steigt und schön, was Sie da erzählt haben, wie Sie hier Oppositi- steigt und steigt!) on zum Finanzminister gespielt haben. Wir fanden das sehr nett und haben gedacht: Mensch, guck mal, der Das sollte man erst einmal festhalten. Das ist der Unter- hat von unseren Reden abgeschrieben. – Das fnden wir schied zur Linken: Halte erst einmal fest, auf welchem nicht schlecht; ist ja in Ordnung, Kopieren ist die höchs- Niveau wir sind, und rede dann als Politiker darüber, te Form der Anerkennung. Sie haben zu Recht gesagt: es besser zu machen, und rede es nicht von Anfang an Die SPD macht, obwohl wir eine Kommission haben, schlecht, um die Leute nicht zu verunsichern. – Das soll- neue Vorschläge. – Dass der Sozialminister das macht, ten gerade Sie von der Linken doch irgendwann einmal kann ich übrigens verstehen. Dass der Finanzminister, (B) lernen. der eigentlich Einhalt gebieten müsste, dem beispringt (D) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten und beide nicht sagen, wie das zu fnanzieren ist, ist al- der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE lerdings schlecht. Da haben Sie vollkommen recht. Aber LINKE]: Haben wir, faktenbasiert!) was macht die CDU/CSU? Sie sagt: Mit der Rente II ha- ben wir jetzt eine Einigung; jetzt machen wir die Müt- Meine Damen und Herren, es ist sogar so – das hat der terrente III. Finanzminister in der Debatte bisher bewusst verschwie- gen; aber man kann ja inzwischen alles abfragen –: Zur (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja, Hälfte des Jahres – Herr Finanzminister, Sie haben es sehr gut, aber steuerfnanziert muss es sein!) ja selber herausgegeben – haben wir im Haushalt einen Herr Kauder, jemand, der dem Koalitionspartner ein Überschuss von mehr als 3 Milliarden Euro. Das Inte- solches Verhalten vorwirft und sich selber so verhält, den ressante ist jetzt, was mit diesem Überschuss geschehen kann man in so einem Punkt doch nicht ernst nehmen. soll. Wenn man einen solchen Überschuss hat, wird der Minister immer sagen: Ja, den werden wir nachher noch (Beifall bei der FDP) für anderes verbrauchen; da wird der Großen Koalition Ich will noch eines hinzufügen: Sie, Herr Kauder, zie- schon genug einfallen. – Aber wenn man zukunftsge- len darauf, dass Ihnen jede Rentnerin und jede Mutter wandt ist, könnte man doch schauen: Was steht eigentlich sagt: Das ist toll. – Und Sie, Herr Scholz, zielen auf nichts im Haushaltsgesetz, was man mit Überschüssen macht? anderes als auf meine Generation, die Babyboomer, wenn Wir würden sagen: Gebt den Bürgern das Geld zurück. Sie sagen: Wenn die mit 67 Jahren in Rente gehen, dann Jetzt folgen wir aber einmal der rot-grünen oder der müssen sie sicher wissen, dass alles in Ordnung ist. – Das rot-schwarzen oder der schwarz-grünen Idee, dass das ist nett, aber das ist nicht zukunftsgewandt; Geld für etwas anderes ausgegeben wird. Im Haushalts- (Dr. Jens Zimmermann [SPD]: Doch! Das ist gesetz steht dazu: Wenn Sie Mehreinnahmen haben, dann zukunftsgewandt!) gehen diese in die Asylrücklage. – Die ist zwar mit über 20 Milliarden Euro schon unheimlich voll. Und in der das ist im Endefekt nur der Versuch, es allen recht zu Finanzplanung steht, dass man in diesem Jahr angeblich machen und am Ende blank dazustehen. 1 Milliarde Euro herausnimmt, was wir gar nicht brau- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ham- chen, wie Sie ja auch wissen, Herr Minister. Sie könn- mer!) ten jetzt sagen: „Okay, war ein Fehler, ist uns vor einem Vierteljahr passiert; wir haben das Geld, wenn wir es aus- Meine Damen und Herren, zum Schluss: Die Bundes- geben wollen, für die Zukunft übrig, für Digitalisierung, kanzlerin hat wortwörtlich gesagt: Die schwarze Null ist 5070 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 48 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 12 September 2018

Otto Fricke (A) eine gute Nachricht für die junge Generation. – Da kann Gefühl hat, dass die Empörung über die Empörten stärker (C) ich nur sagen: Wer solche Minister und einen solchen formuliert wird als die Empörung über eine schreckliche Fraktionsvorsitzenden hat, der sollte sich eher überlegen, Bluttat, die stattgefunden hat, meine Damen und Herren. ob dieser Haushalt nicht nur eine schöne Verpackung ist, aber eigentlich – so schließt sich der Kreis zum Beginn (Beifall bei der CDU/CSU) der Rede – ein Trojanisches Pferd. Es geht darum, dass diese Tat auch mit aller Härte des Danke. Rechts verfolgt und bestraft wird. Ich habe Verständnis dafür, dass solche Taten in unserem Land auch zu Em- (Beifall bei der FDP) pörung führen. Es ist selbstverständlich, dass Menschen dieser Empörung Ausdruck verleihen. Es ist aber genau- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: so selbstverständlich, dass dieser Ausdruck der Empö- rung die Regeln unseres Rechtsstaats einzuhalten hat. Für die CDU/CSU-Fraktion hat das Wort der Kollege Das, was an radikaler Hetze, Hitlergruß, Anschlag auf Alexander Dobrindt. ein jüdisches Lokal zu sehen war, darf in unserem Land (Beifall bei der CDU/CSU) keinen Millimeter Platz haben. Dem stellen wir uns na- türlich entgegen, und zwar politisch wie auch mit allen Alexander Dobrindt (CDU/CSU): Mitteln des Rechtsstaats. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Beifall bei der CDU/CSU) Deutschland ist ein starkes Land. Das zeigt sich nicht nur Herr Bartsch, ich habe bei Ihnen sehr deutlich zuge- in den Haushaltszahlen, sondern es zeigt sich auch daran, hört. dass die Wirtschaft boomt, die Wachstumsprognosen po- sitiv sind, die Beschäftigung auf dem höchsten Stand seit (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Genau 25 Jahren ist. Wir haben eines der besten Sozialsysteme zugehört!) weltweit, In Ihrer Rede wollten Sie doch mehr als deutlich dar- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das stellen, dass die Migrations- und Flüchtlingsfragen in ist wahr!) den vergangenen drei Jahren ganz ofensichtlich nicht wir machen keine neuen Schulden und investieren gleich- die Grundlage von einer Vielzahl von Problemen seien. zeitig auf Rekordniveau. Ich kann Ihnen nur sagen: Das, was wir seit drei Jahren, auch gerade politisch, an Beschäftigung mit dem Thema (Otto Fricke [FDP]: Nein, ihr seid unter Rek- „Flucht, Fluchtursachenbekämpfung, Migration, Integra- (B) ordniveau!) tion“ in diesem Land erleben, ist ein wesentlicher Teil (D) der Problemaufarbeitung. Das ist natürlich auch die Bilanz von 13 Jahren Unions- regierung, von 13 Jahren christlich-sozialer Politik in Sie können einfach mal in Ihre politische Landschaft Deutschland. hineinschauen. Keiner kann heute bestreiten, dass auch die politischen Parteien und das politische System in (Beifall bei der CDU/CSU) Deutschland maßgeblich ergrifen sind von der Frage Diese Stärke verpfichtet. Sie verpfichtet in hohem „Migration, Flucht und Integration“. In Ihrer Partei direkt Maße, und zwar dazu, dass dieser wirtschaftliche Er- fndet gerade das Entstehen einer sogenannten Sammel- folg allen Menschen in Deutschland zugutekommt. Alle bewegung statt, mit Unterstützung von Teilen der SPD müssen und sollen von dieser wirtschaftlichen Stärke und der Grünen. Ich glaube nicht, dass das eine Sammel- proftieren. Sie verpfichtet uns dazu, dass wir Familien bewegung ist. unterstützen, für gute Renten sorgen, ein Alter in Würde (Lachen der Abg. Katrin Göring-Eckardt ermöglichen, Investitionen sichern. Sie verpfichtet uns [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) natürlich auch zu humanitärer Verantwortung für dieje- nigen, die wirklich verfolgt sind und Hilfe benötigen. Das ist gar keine Bewegung; das ist ein Sammelbecken Sie verpfichtet uns dazu, dafür zu sorgen, dass alle am für linke Sektierer. Aber es ist organisiert aus Ihrer Partei, Wohlstand in unserem Land teilhaben können. Dieser von , und zwar genau auf der Grund- Haushaltsentwurf wird dem in weiten Teilen auch ge- lage von Migration, Flucht und Vertreibung und der De- recht. batte und der Probleme, die damit zu tun haben, meine Damen und Herren. Es ist ein Haushalt der Stärke, der unsere Erfolge in vielen Bereichen weiter fortschreibt. Aber ich sage auch (Beifall bei der CDU/CSU) hier klar: Ein Haushalt der Stärke, der verpfichtet auch dazu, dafür zu sorgen, dass man in diesem Land frei und Ja, man kann das auch, wie es Katrin Göring-Eckardt sicher leben können muss. Das heißt: Der Rechtsstaat beschrieben hat, schlichtweg als Fakt bezeichnen, Migra- muss ohne Abstriche zur Geltung kommen. Der soziale tion als Fakt. Liebe Kollegin Göring-Eckardt, das in eine Zusammenhalt muss gestärkt werden. Beides – das hat Linie zu stellen mit der Wiedervereinigung und der Digi- diese Debatte gerade gezeigt – ist gleichermaßen heraus- talisierung, das halte ich für einen ausgesprochen gewag- gefordert. ten Vergleich. Wir arbeiten dafür, Flucht und Vertreibung zu verhindern, Fluchtursachen zu bekämpfen, aber auch Deswegen darf ich schon einmal meine Verwunderung dafür zu sorgen, dass Recht und Ordnung bei der Zuwan- darüber zum Ausdruck bringen: dass man manchmal das derung herrschen. Ich habe das Gefühl, wenn ich Ihnen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2018 5071

Alexander Dobrindt (A) genau zuhöre: Es geht Ihnen weniger darum, Recht, den Abbau der kalten Progression und der Herstellung (C) Ordnung und Humanität durchzusetzen; Sie wollen mit der paritätischen Finanzierung der Krankenversicherung. Ihren Elementen wie zum Beispiel der Untergrenze für Bei der geplanten Abschafung des Solidaritätszuschlags Zuwanderung vielmehr schlichtweg Fakten schafen in entlasten wir die Bürger in einer ersten Stufe um 10 Mil- diesem Land. Wir wollen aber Recht und Ordnung und liarden Euro, der Hälfte des Gesamtvolumens. keine falschen Fakten schafen. Ich bin in der Tat etwas überrascht, wie mit Über- (Beifall bei der CDU/CSU) schüssen politisch umgegangen und diskutiert wird. Bei Gerade angesichts dieser großen Herausforderungen, Rekordsteuereinnahmen muss man doch darüber reden, über die wir wichtige und notwendige Debatten führen, an welcher Stelle man zusätzliche Entlastungen für Bür- muss immer deutlich werden, dass wir Deutschland nicht gerinnen und Bürger durchsetzen kann. Wenn wir darü- nur als ein Land begreifen, das aus politischen Rändern ber reden, dass es kein Tabu sein darf, über die komplette besteht. Abschafung des Soli zu reden, dann sagen uns beispiels- weise die Grünen in Gestalt Ihrer fnanzpolitischen Spre- (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE cherin, es wäre ein Steuergeschenk für die Reichen und GRÜNEN]: CSU ist aber am rechten Rand!) Besserverdienenden. Deutschland ist ein Land, das vor allem aus einer Mitte, (Christian Dürr [FDP]: Viel spannender wäre, aus einer politischen Mitte besteht: aus Millionen Men- zu wissen, was die Kanzlerin dazu sagt, Herr schen, die jeden Morgen aufstehen und zur Arbeit gehen, Dobrindt!) aus Millionen junger Menschen, die Familien gründen und Kinder großziehen, aus Unternehmern, die Arbeits- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich unterstelle mal, plätze schafen. Diese Menschen dürfen in den politi- dass Sie nicht gemeint haben, dass all diejenigen, die von schen Debatten nicht zur vergessenen Mitte werden, son- einer Entlastung durch die Abschafung des Solis prof- dern sie müssen im Zentrum unserer Politik stehen. Die tieren, grundsätzlich zu den Reichen und Besserverdie- Entlastung dieser Bürger und die Teilhabe am Wohlstand nenden gehören. Möglicherweise war das missverständ- sind das Zentrum auch unserer Politik. Das fndet sich lich formuliert. Der erste Schritt bei der Abschafung des auch in diesem Haushalt wieder. Solis entspricht rund 10 Milliarden Euro Entlastung für die Bürger. Der zweite Schritt – die nächsten 10 Milliar- (Beifall bei der CDU/CSU) den Euro – wäre eine Komplettentlastung der Bevölke- Dabei geht es um die Entlastung. Diese Entlastung ist rung beim Soli ab circa 60 000 Euro Einkommen. Gehen dann möglich, wenn wir solide Finanzen haben, wenn Sie den ersten Schritt mit uns, haben sie zumindest dieje- wir Rekordsteuereinnahmen haben, wenn wir Möglich- nigen, die unter der Grenze liegen, berücksichtigt. Beim (B) keiten haben, denjenigen etwas zurückzugeben, die dies besten Willen, jemand, der in diesem Land 60 000 Euro (D) erwirtschaftet haben. Meine Damen und Herren, liebe verdient, der gehört nicht zu den Reichen und Besserver- Kolleginnen und Kollegen, „solide Finanzen“ bedeutet dienenden. Das ist die politische Mitte der Gesellschaft, nicht, Rekordsteuereinnahmen zu horten, die wir entlasten wollen. Deswegen muss der Soli auf den Prüfstand. (Christian Dürr [FDP]: Richtig!) (Beifall bei der CDU/CSU) „solide Finanzen“ bedeutet, Einnahmen und Ausgaben, Steuern und Entlastungen im Gleichgewicht zu halten. Der Soli gehört nicht in die Gehaltsabrechnung der Men- Dieses Gleichgewicht ist noch nicht hergestellt. schen, er gehört ins Geschichtsbuch dieses Landes. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Wir arbeiten weiterhin an dieser Entlastung und an der Christian Dürr [FDP]: Was ist die Konse- Unterstützung der Familien: Kindergelderhöhung wur- quenz?) de angesprochen, Baukindergeld wurde angesprochen. Es gibt übrigens auch Bundesländer, die weit über das Ich will deutlich sagen: Wer bei den Überschüssen, die hinausgehen, was der Bund leisten kann; Bayern gehört wir zu verzeichnen haben, meint, er könnte den Bürge- dazu. Beim Pfegegeld, das zusätzlich in Bayern bezahlt rinnen und Bürgern Entlastungen verweigern, der han- wird, hat der Bundesarbeitsminister inzwischen erkannt, delt nicht solide, sondern der handelt leistungsfeindlich. dass dies allen zugutekommen soll – unabhängig vom Wir wollen aber Leistungsgerechtigkeit in diesem Land Einkommen. Das ist eine richtige Einsicht; so ist das Pfe- haben. gegeld konzipiert. Ich verstehe nur nicht ganz, warum er (Christian Dürr [FDP]: Aber Herr Dobrindt, beim bayerischen Familiengeld – das sind 250 Euro im spielt das überhaupt noch eine Rolle nach der Monat für jedes Kind – zu der Einschätzung kommt, dass Wahl?) dies nicht allen zugutekommen und gerade denjenigen, die am wenigsten Geld im Monat zur Verfügung haben, Das muss auch bei den Steuern und den Entlastungen vorenthalten werden soll. Sehr verehrter Bundesarbeits- sichtbar werden. minister, das ist nicht meine Vorstellung von sozialer Ge- (Beifall bei der CDU/CSU) rechtigkeit. Überprüfen Sie mal, ob Sie mit Ihrer Politik nicht genau die Falschen trefen. Wir setzen uns für Entlastungen ein. Bei den Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung geht es um eine Absenkung (Beifall bei der CDU/CSU – Stefan Schmidt um 0,5 Prozentpunkte, eine Entlastung von etwa 6 Mil- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum nur liarden Euro. Entlastungen ergeben sich zudem durch für Bayern?) 5072 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 48 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 12 September 2018

(A) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: kultur einen wichtigen Platz ein. Das ist etwas, das wir (C) Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss. als Fraktion natürlich unterstützen, aber auch einfordern. Deutschland braucht Konzepte für die Zeit, wenn keine Zeitzeugen für die Naziverbrechen zwischen 1933 und (CDU/CSU): Alexander Dobrindt 1945 mehr da sind. Wir brauchen Erinnerungsstätten an Sehr geehrte Damen und Herren, wir haben eine ganze authentischen Orten und mit entsprechendem Personal. Reihe von Vorkehrungen in diesem Haushalt getrofen, Das Gedenkstättenkonzept von 2008 ist dringend zu um dafür zu sorgen, dass unsere Bereitschaft, uns welt- überarbeiten, und auch vergessene Opfergruppen müssen weit zu engagieren, zum Ausdruck kommt. Das 2-Pro- endlich Gerechtigkeit erfahren. zent-Ziel der NATO wurde erwähnt, das nur durch einen erheblichen Aufwuchs unserer Verteidigungsausgaben (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu erreichen ist. Ich bin überrascht, dass sich jetzt der sowie bei Abgeordneten der LINKEN) eine oder andere von diesem 2-Prozent-Ziel entfernen will. Wir haben das gemeinsam in der NATO, in einer in- Geschichte legt man nicht zu den Akten, vor allem ternationalen Allianz vereinbart. Wir erwarten, dass die- diese Geschichte nicht. Für all das muss deutlich mehr ses 2-Prozent-Ziel auch eingehalten wird. Dazu gehört Geld in die Hand genommen werden. Und wenn jetzt von der feste Wille, den Aufwuchs im Verteidigungsetat zu Ihnen noch jemand fragt: „Braucht’s das?“, dann sage ich leisten. Ihnen: Im Deutschland von 2018, wo Menschen gejagt werden, weil sie zu Minderheiten gehören, wo jüdische Im Haushalt ist eine Menge drin. Es muss aber deut- Restaurants überfallen werden, wo Gedenkstätten vor lich nachgebessert werden, wenn wir unsere Bündnisver- Pöblern geschützt werden müssen und wo die Paten der pfichtungen in der Welt einhalten wollen. Mein und unser Geschichtsverdreher und Holocaustrelativierer, wo die Wille ist das. Die Haushaltsberatungen werden zeigen, Vogelschisstheoretiker und Hasspraktiker hier im Parla- was dieses erwähnte Finanzmittel, das Volker Kauder an- ment höckern, braucht es diese Erinnerungskultur mehr gesprochen hat, diese angebliche globale Mehrausgabe, als jemals zuvor. die mir ehrlich gesagt in der Vergangenheit nie unterge- kommen ist, bedeuten soll. Es ist eine Mehrausgabe für (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Investitionen, über die der Deutsche Bundestag entschei- sowie bei Abgeordneten der SPD und der den wird und sonst niemand. Wir wollen, dass der Vertei- LINKEN) digungshaushalt auch von diesen Investitionen proftiert, meine Damen und Herren. Meine Damen und Herren, vor 100 Jahren, mit dem Ende des Ersten Weltkriegs, endete die deutsche Kolo- (Beifall bei der CDU/CSU) (B) nialherrschaft. Bis heute ist die Auseinandersetzung mit (D) Das in Kombination mit einer weiteren Stärkung der diesem kolonialen Erbe eher eine Geschichte der Kunst- Investitionen bei der Entwicklungszusammenarbeit im sammlungen als der Verantwortung. Wir brauchen Do- Haushalt von Minister Gerd Müller sind die Aufgaben, kumentationsstätten, Provenienzforschung und die Auf- die wir jetzt in den weiteren Beratungen des Bundes- arbeitung des Kolonialismus. haushalts im Parlament schultern wollen. Ich kann nur sagen: Bei einem Haushalt mit diesem Volumen und die- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sen Möglichkeiten, die uns die hohen Steuereinnahmen bieten, kann es nur eine Botschaft geben: Die Nettofra- Für das Humboldt Forum fehlt immer noch ein klares ge muss wieder oben auf die Agenda – mehr Netto vom Umsetzungskonzept. Hier geht es um deutlich mehr als Brutto. Das muss die Losung für unsere Bürgerinnen und um Hauptstadtprestige. Bürger in Deutschland sein. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Danke schön. SES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Meine Damen und Herren, Integration ist eine unse- neten der FDP – Christian Lindner [FDP]: Gut rer Herkulesaufgaben. Sie ist kein Ponyhof; aber sie ge- gesprochen, Guido! Mehr Netto vom Brutto! lingt durch die persönliche Begegnung, durch Arbeit und Ich höre Guido Westerwelle! Was richtig ist, durch Teilhabe, durch kulturelle Teilhabe. Was aber tut bleibt richtig!) unser Minister für Heimat dafür? Im BAMF geht es dank seiner Ränkespiele drunter und drüber. Integrationsmittel Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: werden gekürzt, und Beratungsstellen sind überfordert. Der nächste Redner ist der Kollege Erhard Grundl für Zur Integration gehört es, an kulturellen Angeboten teil- Bündnis 90/Die Grünen. nehmen zu können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die kulturelle Teilhabe unabhängig von der Herkunft und Erhard Grundl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): vom Geldbeutel ist entscheidend für eine vielfältige und Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe solidarische Gemeinschaft. mich gewundert, wie lange zehn Minuten sein können. – Ich spreche jetzt zu Ihnen zum Kulturetat. Im Koalitions- Aber sowohl im Etat des Heimatministeriums als auch vertrag dieser Bundesregierung nimmt die Erinnerungs- in dem von der Frau Staatsministerin vertretenen Etat Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2018 5073

Erhard Grundl (A) werden die Mittel für kulturelle Integration gekürzt. Und verhindern, dass sich die rechte, braune Front in unserem (C) das ist das völlig falsche Signal. Land weiter breitmacht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sowie der Abg. Simone Barrientos [DIE der LINKEN und der Abg. Beate Müller-Gem- LINKE]) meke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Was wir brauchen, sind Investitionen in unsere Zukunft, Spätestens seit Chemnitz ist doch endgültig klar ge- gerade was die kulturelle Teilhabe von Menschen in worden: Nazis, Hooligans, Pegida und AfD demonstrie- Deutschland angeht. ren zusammen und agieren zusammen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Deshalb sage ich an die Adresse der AfD: Ein Wort noch zu den Ausführungen des Herrn Sie gehören nicht in die erste, zweite und dritte Reihe des Dobrindt: Die CSU und ihr Vorsitzender sind zurzeit auf Bundestages. Sie gehören auf die erste, zweite und dritte der Suche nach Problemursachen. Ich erinnere mich noch Seite der Verfassungsschutzberichte in diesem Land. deutlich daran, wie gerade dieser damalige Ministerprä- sident und heutige Bundesinnenminister im April 2015 (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nach Riad gefogen ist, um Rüstungsexporte in die Kri- der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE sengebiete zu unterstützen und vehement zu fordern. Das GRÜNEN – Johannes Kahrs [SPD]: So ist die Problem, das wir in Deutschland haben, sind nicht Men- Lage!) schen, sondern das Problem ist eine solche Politik. Und dagegen verwahre ich mich. All das unterstreicht eines: Wir brauchen einen star- ken, handlungsfähigen, demokratischen und sozialen Ich danke Ihnen. Rechtsstaat. Dafür sind wir bereit, zu investieren. Dafür (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sind wir auch bereit, mehr zu investieren, liebe Kolle- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) ginnen und Kollegen. Ich will Ihnen einmal anhand von drei Punkten deutlich machen, was in diesem Haushalt vorkommt. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege Achim Post. Erstens. Wir brauchen einen wehrhaften Staat. Wir ha- ben in der Koalition bereits einen ordentlichen Aufwuchs (Beifall bei der SPD) bei Polizei, Zoll und Justiz beschlossen. Da müssen und da werden wir weitermachen. (B) Achim Post (Minden) (SPD): (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (D) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir merken an dieser Debat- Grundlegend ist dabei eines: Das Gewaltmonopol des te, dass es um einen wichtigen Haushalt geht, um einen demokratischen Staates muss immer und überall gelten, Haushalt, in dem es um viel Geld geht. Und wir mer- und es muss unterschiedslos ausgeübt werden, ken gleichzeitig, dass es dabei noch um viel mehr geht. Es geht um die Frage, in welchem Land, ja, in welchem (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Deutschland wir leben wollen. gegen Nazis und Gewalttäter genauso wie gegen Islamis- Viele – ich würde sagen: die meisten hier im Saal und ten und schwerkriminelle Familienclans, liebe Kollegin- die meisten Menschen im Land – wollen wie ich ein de- nen und Kollegen. mokratisches, soziales und liberales Deutschland, in dem auf der Grundlage unserer Verfassung alle 82 Millionen (Beifall bei der SPD) Bürgerinnen und Bürger die gleichen Rechte und Pfich- Zum wehrhaften demokratischen Staat gehören genau- ten haben. so Investitionen in Prävention und in Initiativen gegen (Beifall bei der SPD) rechts. Das von Franziska Gifey vorgeschlagene De- mokratiefördergesetz ist dafür ein guter und richtiger Alle, die unser Grundgesetz missachten und verach- Schritt, liebe Frau Ministerin. ten, sollten eines wissen: Wir sind mehr. Wir werden mit Herz und Verstand für unser Land und für unsere Demo- (Beifall bei der SPD) kratie kämpfen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Zweitens. Wir brauchen einen starken Sozialstaat. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Was machen wir denn mit diesem Haushalt? Wir inves- der LINKEN) tieren in Bildung und Kitas, wir investieren in einen so- zialen Arbeitsmarkt, wir investieren in ein umfassendes Eines sollten wir uns kurz vergegenwärtigen: Wir ha- Rentenpaket, und wir investieren in eine Krankenver- ben in Deutschland, im Bund und in den Ländern, 17 de- sicherung, in die Arbeitgeber und Arbeitnehmer wieder mokratische Innenminister. Wir haben 17 demokratische gleich viel einzahlen. Das sind alles Punkte, die richtig Justizministerinnen und Justizminister. Und wir haben sind, liebe Kolleginnen und Kollegen. 17 demokratische Regierungschefnnen und Regierungs- chefs. Wir Demokraten haben alle politischen Schalthe- (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Margit bel in der Hand. Wir haben also auch alle Mittel, um zu Stumpp [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) 5074 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 48 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 12 September 2018

Achim Post (Minden) (A) Auch hier werden wir mehr tun müssen, und wir wer- Johannes Kahrs (SPD): (C) den mehr tun. Meine Fraktion und ich werden weiter alles Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und dafür tun, dass die Renten langfristig stabilisiert werden. Kollegen! Ich möchte mich an dieser Stelle als Erstes ganz herzlich bei Martin Schulz dafür bedanken, dass er (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Die hier mal eine klare Ansage gemacht hat: Rechtsradikale Renten müssen steigen!) in diesem Parlament sind nicht nur ein Problem, sondern Wir werden weiter alles dafür tun, dass der Mindestlohn Rechtsradikale in diesem Parlament sind auch unappetit­ deutlicher steigt als bisher, so schnell wie möglich auf lich. 12 Euro in der Stunde, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Jürgen Braun [AfD]: Argumente haben Sie ja keine!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Und wenn man sich das anguckt, dann stellt man fest, Drittens. Wir brauchen ein starkes Europa. Europa ist dass Sie außer dummen Sprüchen keine Inhalte, keine unser bester Schutz gegen einen Rückfall in Nationalis- Lösung haben. Das ist peinlich. mus und Krieg. Dafür brauchen wir eine handlungsfähi- ge Europäische Union. (Jürgen Braun [AfD]: Sie sind peinlich, Herr Kahrs! Gucken Sie doch mal in den Spiegel! (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Armselig!) BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es ist auch nicht bürgerlich. Man muss sich diese Trau- Wir wissen doch eines: Bis Dezember – das ist nicht rigen da nur angucken, und dann weiß man: Von denen mehr lange hin – müssen in Kernfragen der Reform Eu- sind keine Lösungen zu erwarten, sondern nur Spaltung, ropas Entscheidungen fallen, sonst könnte sich dieses Hetze und alles das, was bei denen dazugehört. Hass Reformfenster schneller schließen, als uns lieb ist. Dabei macht hässlich. Schauen Sie doch in den Spiegel. muss gelten: So wichtig und wünschenswert gemeinsa- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten me Lösungen in der Flüchtlingspolitik sind: Die Flücht- der LINKEN) lingsdebatte darf nicht notwendige Fortschritte in ande- ren Bereichen ausbremsen und verhindern. Wir brauchen Wenn Sie sich das angucken, dann werden Sie fest- jetzt dringend eine Reform der Wirtschafts- und Wäh- stellen, dass es keine Inhalte gibt. Herr Gauland gibt ja rungsunion. Wir brauchen jetzt dringend eine gerechte manchmal Interviews. Ab und an sollte man sich die Besteuerung von Unternehmen, gerade der großen Inter- antun. Bei einem seiner Sommerinterviews hat er zum netkonzerne, mit einer europäischen Digitalsteuer. Klimaschutz gesagt: „Ich glaube nicht, dass es gegen den (B) Klimawandel irgendetwas gibt, was wir Menschen ma- (D) (Beifall der Abg. Dr. [SPD] und chen können.“ Zur Digitalisierung hat er gesagt: „… von Dr. [BÜNDNIS 90/DIE einer Strategie zur Digitalisierung kann nicht die Rede GRÜNEN]) sein. Und ich wüsste im Moment auch keine.“ Wir brauchen außerdem faire Bedingungen für Arbeit- (Zuruf des Abg. Jürgen Braun [AfD]) nehmer im Binnenmarkt durch gemeinsame Standards Während Herr Meuthen als Bundessprecher die Ab- für Mindestlöhne in Europa. Nicht zuletzt: Wir brauchen kehr vom zwangsfnanzierten Umlagesystem fordert, einen europäischen Zukunftshaushalt, in den wir mehr stellt Herr Gauland fest, dass er nicht glaube, „dass wir investieren als bisher. Lieber Kollege Dobrindt – im Mo- vom Umlagesystem wegkommen“ usw. ment sehe ich ihn nicht –, was wir nicht brauchen, ist eine Verdoppelung des Verteidigungshaushaltes. Dann haben (Abg. Thomas Ehrhorn [AfD] meldet sich zu wir für alle anderen Sachen nämlich kein Geld mehr. einer Zwischenfrage) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: der LINKEN) Herr Kollege, gestatten Sie eine Zusatzfrage? Zusammengefasst: Ein wehrhafter Rechtsstaat, ein starker Sozialstaat und ein handlungsfähiges Europa sind Johannes Kahrs (SPD): die Garanten für eine gute Zukunft unseres Landes und Von wem? – Von Rechtsradikalen brauche ich keine. seiner Bürgerinnen und Bürger. Sie sind das Bollwerk Danke. gegen alle, die unsere Demokratie, die unser Deutsch- land, die unser Europa zerstören wollen. In diesem Sin- (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Das ist eine ne: Gute Beratung! Unverschämtheit! – Dr. Alice Weidel [AfD]: Das ist unfassbar!) (Beifall bei der SPD) So, das heißt also, wenn Sie sich das im Ergebnis an- schauen – – Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Jürgen Braun [AfD]: Skandal! – Weitere Der nächste Redner ist der Kollege Johannes Kahrs, Zurufe der AfD) SPD-Fraktion. – Ja, wie ist das mit den Getrofenen? Das merkt man (Beifall bei der SPD) doch. Rechtsradikale können spalten. Sie können hassen, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2018 5075

Johannes Kahrs (A) Sie können an den Hass appellieren, und wenn Sie dann sie sitzt hier – werden wir mit den Bundesländern einzeln (C) selber einmal angesprochen werden, dann reagieren Sie verhandeln, wie wir mehr tun können für mehr Qualität genauso, weil Sie wissen, dass es stimmt. Schauen Sie in vor Ort. den Spiegel, dann sehen Sie, was diese Republik in den 20er- und 30er-Jahren ins Elend geführt hat. Es ist wichtig, dass die Beschäftigten in der Pfege und die Erzieher besser bezahlt werden, dass die Arbeitsbe- (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem dingungen besser werden und dass der Ruf dieser Berufe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Alice besser wird. Weidel [AfD]: Das ist widerlich! Unver- schämtheit! – Weitere Zurufe von der AfD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wenn man dann von der AfD ab und zu so etwas wie Das ist eine Aufgabe, der wir uns stellen. Ich glaube, dass Inhalte mitkriegt, dann kämpfen Sie für die Reichen, dies wichtig ist. Ich bin froh, dass die Ministerin das an- dann kämpfen Sie gegen die Rente, dann kämpfen Sie packt. Und wir Sozialdemokraten werden sie zusammen gegen all das, was dieses Land zusammenhält. Gleichzei- mit CDU und CSU unterstützen. tig ist es so, dass die AfD in diesem Land die Partei ist, die sich hierhinstellt – das kann man ja beobachten – und (Beifall bei Abgeordneten der SPD) 40 Milliarden Euro mehr für die Verteidigung ausgeben will, aber nichts für die Rentner. Ein handlungsfähiger Staat gehört aber auch dazu. Neben Rente, Mieten, die jeder bezahlen kann, einem (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Gute-Kita-Gesetz und vielen anderen Dingen ist es aber BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der auch wichtig, dass dieser Staat gegen Radikalismus von CDU/CSU: Eine solche Politik braucht dieses rechts außen, von links außen und anderen, die mit dem Parlament nicht! – Jürgen Braun [AfD]: So Hitlergruß auf AfD-Demonstrationen herumrennen, ge- etwas Primitives hören wir uns nicht an! Ein- schützt wird. Deswegen investieren wir in diesen Sozi- fach nur primitiv!) alstaat auf der einen Seite und auf der anderen Seite in Man kennt das: Von Rechtsradikalen kann man keine Lö- mehr Polizisten und in mehr für das Bundeskriminalamt. sung erwarten. Wir glauben, dass wir so den Staat für die Zukunft, für die Menschen in diesem Land, für uns alle stärken. (Abg. [AfD] begibt sich zum Rednerpult: So etwas Primitives haben wir Das sind keine Patrioten, das sind Menschen, die diese noch nicht gehört! – Die Abgeordneten der Republik, so wie sie ist – sozial, stark, sicher –, in Zu- AfD-Fraktion verlassen den Plenarsaal) kunft spalten und nicht nach vorne bringen. (B) (D) Wenn Sie dann jetzt auch noch gehen, kann man Ih- Vielen Dank. nen nur einen Spruch zurufen: Wer rausgeht, wird irgend- wann wieder reinkommen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Liebe Kollegen, nehmen Sie bitte Platz. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Zuruf von der SPD: Auf Wiedersehen!) Herr Kollege Kahrs, gestatten Sie mir die Anmerkung: Herr Kahrs, reden Sie weiter. Ich glaube nicht, dass es zielführend ist, wenn wir eine solche Aggressivität in dieses Hohe Haus bringen. Johannes Kahrs (SPD): (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Man merkt doch, dass es im Bundestag auch wieder der FDP – Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE sachlich zugehen kann; immer dann, wenn die AfD weg GRÜNEN]: Was?) ist. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das wird den Beratungen in der Zukunft nicht zuträglich sein. Ich möchte Sie wirklich bitten, sich zu mäßigen, Kommen wir also nun zu diesem Haushalt. Dieser auch in Zukunft. Das ist nicht in Ordnung. Haushalt ist ein guter Beweis dafür, dass in diesem Land anständig regiert werden kann, dass etwas Inhaltliches (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und vorliegt, dass diese Koalition viel für den inneren Zusam- der FDP – Abg. Dr. Barbara Hendricks [SPD] menhalt in dieser Republik tut, im Gegensatz zur AfD, begibt sich zum Präsidium: Herr Präsident, ich die, wie wir festgestellt haben, nur spalten und hassen melde eine Kurzintervention an!) kann, Parlamentsdebatten nicht beiwohnt, sondern hier entsprechend inhaltsfrei argumentiert. – Eine Kurzintervention der Kollegin Hendricks. Bitte schön. Diese Koalition sieht in diesem Haushalt vor, dass wir mehr Geld – das ist für uns alle wichtig – für sozialen (Beifall bei der SPD – Die Abgeordneten Wohnungsbau ausgeben wollen. Wir wollen mehr ma- der AfD-Fraktion betreten den Plenarsaal – chen, um Mieter zu schützen. Auf der Grundlage des Gu- Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE te-Kita-Gesetzes der guten Ministerin Franziska Gifey – GRÜNEN]: Da sind sie schon wieder!) 5076 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 48 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 12 September 2018

(A) Dr. Barbara Hendricks (SPD): Genau diesem Geist und dieser Überzeugung geschul- (C) Herr Präsident! Ich möchte zum Ausdruck bringen, det haben wir das Kulturkapitel im Koalitionsvertrag dass ich es für befremdlich halte, wenn Sie dem Kolle- dieser Legislaturperiode überschrieben mit „Kulturelle gen Kahrs sagen, er bringe Aggressivität in dieses Haus, Vielfalt und gesellschaftlicher Zusammenhalt“. Dazu, meine Damen und Herren, gehört eben auch eine Erin- (Jürgen Braun [AfD]: Das ist nicht zulässig! nerungskultur, die verbindet und die uns allen vor Augen Eingehen auf den Präsidenten ist nach der Ge- führt, dass wir, wenn wir uns unseren Nachbarn öfnen schäftsordnung nicht zulässig!) und wenn wir dem anderen nicht mit Abwehr, sondern und ich von Ihnen eine solche Äußerung im Verhältnis zu mit Neugier und mit Ofenheit begegnen, Grenzen über- Kolleginnen und Kollegen der AfD – nein, ich will lieber winden können und zusammenwachsen zu dem, was Eu- sagen: zu Abgeordneten der AfD – noch nie gehört habe. ropa ausmacht: zu einer Einheit in Vielfalt. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem (Beifall bei der CDU/CSU) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es muss, glaube ich, unsere Aufgabe sein, eben genau eine solche Erinnerungskultur systematisch zu unterstüt- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: zen. Wir alle – insbesondere natürlich die junge Genera- Liebe Frau Kollegin Hendricks, wer immer Aggressi- tion; aber ich glaube, das richtet sich auch immer wieder vität in dieses Hohe Haus bringt, wird von mir entspre- und regelmäßig an uns selbst – können durch die Aus- chend darüber belehrt, dass ich das für falsch halte, und einandersetzungen mit dieser gemeinsamen Geschichte das habe ich in diesem Fall getan. lernen. Deshalb sollen im Sinne einer Stärkung der Erin- nerung an die Folgen von Diktatur und Gewaltherrschaft, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der so wie es im Koalitionsvertrag steht, Jugendliche mit AfD und der FDP) einem neuen BKM-Programm „Jugend erinnert“ künf- tig noch besser und mit nachhaltigen Projekten an Ge- Die nächste Rednerin ist die Staatsministerin Monika denkeinrichtungen und unsere Geschichte herangeführt Grütters. werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gemeinsam mit den Leitern dieser Gedenkstätten ent- wickeln wir gerade ein Konzept für nachhaltige Verbin- Monika Grütters, Staatsministerin bei der Bundes- dungen zwischen den Erinnerungsorten und Schülern, kanzlerin: Studierenden, angehenden Lehrern, aber auch Institutio- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir kom- nen in der Nachbarschaft. Dafür stehen in der Anlaufpha- (B) men zur Kultur. Diese hat ja oft befriedende Qualitäten se zunächst einmal 2 Millionen Euro zur Verfügung. Das (D) und spielt – zumindest glauben wir daran – auch auf der Programm geht übrigens Hand in Hand mit einer Stär- politischen Bühne eine Vermittlerrolle. kung der pädagogischen Arbeit, die an den Gedenkstät- ten ohnehin schon geleistet wird. Dafür haben wir noch Wie viele von Ihnen habe ich in den vergangenen Wo- einmal 1,6 Millionen Euro vorgesehen und mehr als 20 chen Gespräche mit Bürgerinnen und Bürgern unseres neue Stellen geschafen. Landes über die Zukunft nicht nur dieses Landes, son- dern auch Europas geführt. Wie viele – vielleicht auch Auch über den Etat zur Erinnerungskultur hinaus viele von Ihnen – habe ich dabei lebhafte Diskussionen, freue ich mich über den Regierungsentwurf zum Kul- aber auch leidenschaftliche Plädoyers für Europa erlebt tur- und Medienhaushalt 2019, der noch eine Steigerung und von visionären Ideen und beispielhaften Projekten unseres Etats vorsieht. Lassen Sie mich kurz zwei, drei erfahren, die mich echt berührt und begeistert haben. Veränderungen benennen: Sehr bewegt hat mich eine Erzählung einer Gymna- Gerade die Bundeskulturfonds – lieber Herr Grundl, siallehrerin aus , die im Rahmen eines Pro- Sie haben das eben angesprochen – fördern ganz gezielt jekts zum Ersten Weltkrieg mit ihren Schülerinnen und Projekte der kulturellen Verständigung, aber natürlich Schülern an der traditionellen jährlichen Gedenkveran- auch der Integration und kulturellen Bildung, außerdem staltung in einer französischen Kleinstadt teilgenommen viele großartige Vorhaben, Werke und Kreative aus den hat. Dort sangen die deutschen Jugendlichen gemeinsam Bereichen bildende und darstellende Kunst, Literatur, mit einer französischen Schulklasse ein französisches Musik und Soziokultur. Dass die Bundeskulturfonds für Lied. Sie hatten das vorher extra auch auf Französisch ihre Arbeit zusätzliche 5 Millionen Euro bekommen – geübt. Im Anschluss daran haben sie die Namen der fran- eine Fortschreibung der Initiative aus dem Parlament zösischen Gefallenen vorgelesen. Für die Lehrkräfte, für vom vergangenen Jahr –, ist ein wichtiges Signal für die die Schülerinnen und Schüler und für die anwesenden Kulturszene – nicht nur für die Institutionen, sondern Nachfahren gefallener Soldaten aus den Weltkriegen war gerade auch für junge, aufstrebende, zeitgenössische das sicher nicht nur ein bewegender, ein sehr emotionaler Künstlerinnen und Künstler und für das, was wir freie Moment. Er ist vor allen Dingen auch ein Beweis dafür, Szene nennen. wie wertvoll nicht nur das Reden übereinander, sondern (Beifall bei der CDU/CSU) der Austausch sein kann, der eben auch das Bewusst- sein für unsere gemeinsame europäische Kultur und Ge- Wie bereits in der Haushaltsdebatte im vergangenen schichte, für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft und Mai hier angekündigt, wird auch das Humboldt Forum für die Zukunft Europas beschreibt. weiter gestärkt. Es ist klar: Wenn wir über Verständigung, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2018 5077

Staatsministerin Monika Grütters (A) Weltofenheit, Begegnung und Miteinander und nicht seiner Gründung im Herzen Europas nicht nur als (C) über Abschottung reden, geht es auch um das Humboldt Wirtschaftsmacht und Sozialstaat, sondern gerade Forum – ein Ort der Verständigung in Europa, über Eu- auch als starker Kulturstaat versteht. ropa und über die Welt, ein Ort der Begegnung und des interkulturellen Dialogs. Wir sind auf der Zielgeraden, So heißt es im aktuellen Koalitionsvertrag. Noch in wir können es im kommenden Jahr eröfnen – Sie sehen, keinem vorherigen Koalitionsvertrag hat es ein so vehe- dass die Gerüste gefallen sind und dass das mehr ist als ment und ausführlich formuliertes Bekenntnis zur ele- nur ein Versprechen. mentaren Bedeutung der Kultur für unsere Demokratie und zu einer vielfältigen, in der Auseinandersetzung Ich glaube, dass wir dann endlich unsere Einladung mit anderen gereiften, einzigartigen Kulturlandschaft an jeden, der dieses Haus besucht, wahrmachen können, Deutschlands gegeben wie in der zehnseitigen Passage Weltbürger zu sein. Das Humboldt Forum löst übrigens zu Kunst, Kultur und Medien im aktuellen Koalitionsver- ein zweites Versprechen schon vor seiner Eröfnung ein: trag. In diesem Sinne bitte ich Sie um Unterstützung für Es wirkt wie ein Katalysator öfentlicher Debatten, in den Haushaltsentwurf für Kultur und Medien. diesem Fall – Sie alle wissen das – vor allen Dingen über Vielen Dank. die Aufarbeitung der Zeit des Kolonialismus und über den Umgang mit Beständen aus kolonialen Kontexten in (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Sammlungen und Museen. Ich fnde es gut, dass die Zeit ordneten der SPD) des Kolonialismus, die ja noch länger her ist als die Zeit der Weltkriege, so jetzt endlich ins breite öfentliche Be- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: wusstsein gelangt ist. Ihre Aufarbeitung ist ein wichtiges Ziel der Regierung in dieser Legislaturperiode. Allein für Nächster Redner ist der Kollege , die Provenienzforschung, also nur für den Bereich, der AfD-Fraktion. die Museen und Sammlungen betrift, habe ich 3 Millio- (Beifall bei der AfD) nen Euro vorgesehen. Gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt – Frau Müntefering ist da – entwickeln wir Formen Martin Erwin Renner (AfD): des Umgangs mit den Herkunftsgesellschaften. Sie ha- ben gerade wichtige Human Remains nach Namibia zu- Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Damen! rückgegeben – in Anerkennung vielfachen Unrechts der Sehr geehrte Herren! Die beklagenswerte Spaltung un- Kolonialzeit und im Interesse einer guten gemeinsamen serer Gesellschaft Zukunft. (Zurufe von der SPD: Oh!)

(B) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und wird von dieser Bundesregierung betrieben. (D) der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Auch das eröfnet uns einen weiten Blick auf die Welt. Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach ja!) Zum Schluss, meine Damen und Herren, ein Hinweis auf eine der größten einzelnen Veränderungen in meinem Das wird vielleicht nirgends so sehr deutlich wie im Haushalt, bei der Deutschen Welle, die in diesem Jahr Haushalt der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien; ihr 65. Jubiläum feiert – manche erinnern sich noch an denn hier haben wir es mit dem Ideologiezentrum die Festveranstaltung im Paul-Löbe-Haus. Die soll gegenüber den bisherigen Planungen 33 Mil- (Lachen der Abg. Dr. Franziska Brantner lionen Euro mehr bekommen. Dann wächst der Haushalt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) auf 350 Millionen Euro an, und wir nähern uns damit der scheinbar ansonsten so orientierungslos, so beliebig langsam vergleichbaren europäischen Auslandssendern. agierenden Regierung Angela Merkels zu tun. Die Deutsche Welle ist deshalb so wichtig, weil sie eine unverzichtbare weltweite Vermittlerin der Meinungs- Dieser Haushaltsplan atmet, zumindest zumeist, den und Pressefreiheit ist, eine wichtige Botschafterin uni- linken Zeitgeist. Er huldigt dem kulturmarxistischen verseller Werte, die auf dem Niveau vergleichbarer ande- Zeitgeist der 68er und ihrer Apologeten. Er fördert nicht rer Sender weltweit eine Rolle spielt. Kultur, wie er vorgibt, er fördert nicht die Medien, wie er vorgibt, nein, dieser Haushaltsplan fordert – fordert! – (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. gewünschte Kultur, er fordert gewünschte Berichterstat- Martin Rabanus [SPD]) tung; und weil er so angelegt ist, spaltet er. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich gucke immer (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU hier auf diese Uhr mit meiner Redezeit. – Ich freue mich, und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) dass wir erneut meinen Kulturetat um ungefähr 6 Prozent steigern konnten. Warum? Weil es natürlich eine schö- Der freie, kritische Geist in Kultur und Medien und ne Bestätigung und Ausdruck der Wertschätzung der auf damit auch in der Gesellschaft wird mit allen Mitteln Bundesebene verantworteten Kulturpolitik ist, und das des Mainstreamings, also letztlich der Gleichschaltung, im 20. Jahr des Bestehens des Amtes der BKM. immer weiter eingeschränkt. Kultur und Medien müssen unabhängig sein, ja, sollten aus Gründen der Dialektik Kunst und Kultur sind frei. Sie sind Grundlage sogar die antithetische Seite zum Politikbetrieb darstel- unserer ofenen, demokratischen Gesellschaft und len. Keinesfalls aber sollten eine Vielzahl von Kulturor- damit wichtiger Teil unseres Landes, das sich seit ganisationen und Medien durch üppig gefüllte Futtertrö- 5078 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 48 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 12 September 2018

Martin Erwin Renner (A) ge gefügig gemacht werden können. So erzeugt man ein nung, dass diese Debatte in Sachlichkeit und getragen (C) willfähriges und abhängiges Hofstaatsschranzentum. von Fakten ihren Abschluss fndet. Dann kam die AfD wieder in den Plenarsaal zurück. (Beifall bei der AfD – [CDU/CSU]: Unglaublich!) Herr Renner, ich weiß gar nicht, ob Sie das ernst mei- nen, was Sie da sagen. Wir könnten jetzt etliche Einzeltitel, Programme oder Projekte herausgreifen. Überall schlägt es uns entgegen: (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Es geht so gut wie immer um den Umbau unserer Ge- NIS 90/DIE GRÜNEN) sellschaft, um die Durchsetzung einer vermeintlich bun- ten Multikulti-, Diversitäts-, Integrationsphantasma- und Wenn man sich das anschaut, dieses Feiste, Selbstzufrie- Gendergaga-, gar Vielfaltsideologie. Dafür wird das Geld dene in Ihrem Gesicht, wenn Sie diese Absurditäten und des Steuerzahlers mit vollen Händen ausgegeben. Knapp diesen Unfug hier verbreiten, dann habe ich tatsächlich 1,6 Milliarden Euro sind es inzwischen. Mit diesem Geld den Eindruck bzw. den letzten Funken Hofnung, dass es verpfichtet man sich den Kultur- und Medienbetrieb zu- Realsatire ist, was Sie hier abziehen, und nicht wirklich sehends. Man schaft sich den alimentierten Kulturbour- parlamentarisch ernst gemeint sein kann. geois aus dem linken Justemilieu. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem (Beifall bei der AfD) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- geordneten der CDU/CSU) Denn darum geht es in Wirklichkeit: Abhängigkeiten schafen, Gefolgschaften aufbauen, erwünschte Ideolo- Für den Fall, dass das ernst gemeint ist, kann man gie transportieren, um dann Sprache, Begrifichkeiten, wirklich nur sagen: Das ist vollkommen jenseits der Bedeutungen manipulativ zu verzerren und in das Ge- wirklichen Welt. Denn es geht hier überhaupt nicht da- genteil umkehren zu können. rum, Künstlerinnen und Künstler, Journalisten, Kreative, Filmschafende und wen auch immer gefügig zu machen. Meine Damen und Herren, der künstliche Umbau un- Was ist das eigentlich für ein Bild, das Sie von denjeni- serer bisher weitgehend homogenen, leistungsstarken gen transportieren, über die Sie hier reden? deutschen Gesellschaft, quasi feudalistisch von oben he- rab, hat weder mit Kunst noch mit Kultur noch mit freien, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten unabhängigen Medien zu tun. der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN) Dieser Haushaltsplan instrumentalisiert Kultur. Dieser Haushaltsplan instrumentalisiert Medien. Er macht Kul- Glauben Sie ernsthaft, die Kunst- und Kulturprotagonis- tur und Medien zur Propagandawafe, zur Agitpropplatt- ten, all diejenigen in den unterschiedlichen Einrichtun- (B) (D) form gesellschaftspolitischer Umformierung. gen, Verbänden und kreativen Sparten, würden sich so mir nichts dir nichts einkaufen lassen? Also, ich fnde es (Beifall bei der AfD) ja stark, dass Sie einer Bundesregierung, auch einer von Damit verkennt er die Demokratie und verkehrt sie in ihr SPD, CDU und CSU getragenen, so viel Durchgrifs- Gegenteil. macht zutrauen; aber das ist wirklich jenseits dessen, wo- rum es hier tatsächlich geht. Mir fällt bei diesem ganzen Ansatz nur ein Zitat von Gottfried Benn ein, der sagt – das wird ihm zugeschrie- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ben –: der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN) (Zuruf von der LINKEN: Der kann sich auch nicht wehren!) Worum geht es? Es geht darum – das ist das, was die- ser Teil des Einzelplans 04, BKM, leisten kann –, im Be- Das Abendland geht nicht zugrunde an den totalitä- reich der Bundeskulturpolitik das zu tun, was zu tun ist, ren Systemen, auch nicht an seiner geistigen Armut, nämlich, sich Werten zu vergewissern, Werte zu stärken, sondern an dem hündischen Kriechen seiner Intelli- Werte zu vermitteln, Räume zu schafen, in denen wir die genz vor den politischen Zweckmäßigkeiten. Kultur sich tatsächlich entwickeln lassen können. Das Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. passiert in unterschiedlichsten Dimensionen. Eine Di- mension ist, dass man sich der Geschichte bewusst wird (Beifall bei der AfD – Stefan Schmidt [BÜND- und ihrer bewusst bleibt. Wir fnanzieren Museen, bei- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Er kannte die AfD spielsweise die Stiftung Preußischer Kulturbesitz mit all noch nicht!) ihren Einrichtungen und unser Haus der Geschichte. Wir arbeiten im Bereich Erinnern und Gedenken. Frau Staats- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: ministerin Grütters hat das Programm „Jugend erinnert“ Für die SPD-Fraktion hat das Wort der Kollege Martin genannt, das sozusagen einen korrespondierenden Pro- Rabanus. grammteil im Auswärtigen Amt hat, um den sich Frau Staatsministerin Müntefering kümmert. Es wird also (Beifall bei der SPD) eine Verknüpfung zwischen Innen und Außen hergestellt. Im Humboldt Forum wird das deutlich sichtbar werden. Martin Rabanus (SPD): Herrn Dorgerloh, dem Generalintendanten, wünsche ich Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- eine glückliche Hand und das notwendige Quäntchen ren! Einen kleinen Moment hatte man ja die vage Hof- Glück, das selbst der Tüchtige braucht. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2018 5079

Martin Rabanus (A) Es gibt noch andere Dimensionen. Wir sichern mit und ich bin wirklich nicht naiv – so nicht für möglich (C) diesem Bundeshaushalt unser historisches Erbe, auch gehalten hätte. das in verschiedensten Einrichtungen, in den Bundesar- chiven, bei der Stasiunterlagenbehörde, der Deutschen (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Nationalbibliothek, aber auch der Deutschen Digitalen neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Bibliothek, im Bereich der Denkmalpfege, aber auch im Bereich des Filmerbes, was in besonderer Weise wich- Der Kulturhaushalt hätte darauf eine Antwort geben tig ist. Was mir persönlich sehr am Herzen liegt, ist die müssen. Er hätte es tun können, und er hätte es tun müs- Deutsche Welle; auch sie ist genannt worden. Ich bin sen. Aber solange Kultur nicht als Staatsziel manifestiert sehr froh, dass man dort auf dem Aufbaupfad vorange- ist, solange Kultur also nicht als Gemeinschaftsaufgabe hen kann, und zwar mit jetzt, wie ich glaube, 356 Milli- zwischen Bund und Ländern begrifen wird, kann sie den onen Euro insgesamt. Frau Staatsministerin Grütters und Anforderungen, denen wir uns gerade jetzt stellen müs- Frau Bundeskanzlerin – in Abwesenheit –, ich erinnere in sen, nicht gerecht werden. Das ist schade. Daran müssen diesem Zusammenhang an die Absichtserklärung, die Sie wir arbeiten. im Rahmen der 65-Jahr-Feier in diesem Haus abgegeben haben. Da haben wir noch ein Stück des Weges vor uns; (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- aber auch da sind wir dran. neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Abschließend will ich unter der Überschrift „Kultur­ Die Koalition versprach eine Orientierungsdebatte im orte in der Bundesrepublik Deutschland erhalten“ noch Bundestag zur Lage von Kunst und Kultur im Land. Die zwei Aspekte ansprechen: Bereiche Kultur in den Regionen, kulturelle Bildung und Erinnerungskultur müssten gestärkt werden. Da ist die Der erste Aspekt. Wir wollen – das ist im Koalitions- Rede von einer „Agenda für Kultur und Zukunft“. Nichts vertrag angelegt – uns als Bund in den Regionen stärker davon wird im Haushalt wirklich fnanziell untersetzt. für den Erhalt von Kulturorten engagieren. Wir wollen Konzepte: Fehlanzeige. An anderer Stelle im Koalitions- das Programm „Invest Ost“ bundesweit ausweiten. Wir vertrag heißt es zum Programm „Kultur in den Regio- müssen uns darüber im Klaren sein, dass das eine ganz nen“ unter anderem, die Bundes- und Landesprogramme große Herausforderung ist, die fnanziell zu bewältigen sollten besser verzahnt werden, und Länder und Kommu- ist. Bisher ist der Bundestag immer wieder in der Lage, nen müssten ausreichend Mittel erhalten, damit sie ihren über die Bereinigungssitzungen an der einen oder ande- Aufgaben bei Kulturpfege und -förderung besser nach- ren Stelle Kulturorte mit großen Summen zu unterstüt- kommen können. Gute Idee! Ausführung: mangelhaft. zen. Das wird zu systematisieren sein, damit wir das ver- (B) nünftig hinkriegen. Weiter heißt es: Soziokulturelle Zentren sollen ge- (D) stärkt werden. Dazu hatte die Große Koalition in den letz- Der zweite Aspekt ist der Kulturort Kino, den wir in ten vier Jahren wirklich viel Gelegenheit. Die Linke stellt besonderer Weise im Koalitionsvertrag adressiert haben. seit vielen Jahren Haushaltsanträge, um die Arbeit gerade Das haben wir im vorliegenden Entwurf des Bundes- der soziokulturellen Zentren fnanziell adäquat auszustat- haushalts angelegt. Allerdings ist da eine Leerstelle – ten – bisher leider vergeblich. Ein klares Bekenntnis zu eine mit Doppel-e –, und die muss gefüllt werden. Dafür einer substanziellen fnanziellen Aufstockung wäre an ist es notwendig, dass wir eine konzeptionelle Klarheit dieser Stelle wirklich notwendig gewesen. schafen, was wir brauchen. Ich bin sehr dankbar für die Vorarbeiten der HDF KINO. Dabei ist deutlich gewor- (Beifall bei der LINKEN) den – letzter Satz, Herr Präsident –, was wir zu bewerk- stelligen haben. Lassen Sie uns das gemeinsam in den Unsere Änderungsanträge werden Ihnen die Chance ge- Haushaltsberatungen voranbringen. ben, das nachzuholen.

Herzlichen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Immerhin las ich dann die Presseerklärung von Monika der CDU/CSU) Grütters und Horst Seehofer zur Stärkung der Soziokultur im Quartier. „UTOPOLIS“ heißt das Programm. Modell- projekte sollen bis 2022 mit jährlich 10 Millionen Euro

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: gefördert werden. Der Schwerpunkt liegt auf benachtei- Für die Fraktion Die Linke hat das Wort die Kollegin ligten Stadt- und Ortsteilen. Ich wünschte ja, es gäbe gar Simone Barrientos. keine benachteiligten Stadt- und Ortsteile, aber gut.

(Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Die meisten Simone Barrientos (DIE LINKE): sind da, wo die Linken regieren!) Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Alles, einfach alles ist eine Frage von Kultur. Wenn allerdings der derzeitige Innenminister dort mit- Was wir in den letzten Wochen und Monaten erlebt ha- mischt, bin ich, vorsichtig gesagt, skeptisch, weil eben ben, zeigt einen Niedergang von Kultur, den selbst ich – alles eine Frage von Kultur ist. Ein Innenminister, der in 5080 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 48 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 12 September 2018

Simone Barrientos (A) Bierzelten den brandstiftenden Biedermann gibt, tut das vor Augen geführt, in welch absurde Situationen Journa- (C) Gegenteil von dem, was soziokulturelle Zentren leisten. listinnen und Journalisten auch in Deutschland geraten können. Wir Grüne fordern: Gerade jetzt, gerade hier (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. darf sich der Staat nicht zurückziehen, sondern muss die Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- vierte Gewalt gezielt stärken. Im Haushalt 2019 der Be- NEN]) auftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien Dieser Innenminister verschiebt die Grenzen des Sagba- fehlen dafür jegliche Impulse. ren, und das gerade jetzt, in einer Zeit, in der Neonazis (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Menschen jagen und Rechtsradikale im Parlament sitzen. Das kann doch nicht wahr sein! Die Lage von Journalistinnen und Journalisten ver- schlechtert sich zusehends. Besonders die Gewalt von (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- rechts nimmt zu. Deshalb unterstützen wir den Auftrag neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE der Linken, einen Beauftragten der Bundesregierung für GRÜNEN) – [AfD]: Doch, den Schutz von Journalisten und Journalistinnen zu be- das ist wahr!) nennen. Dieser Innenminister ist untragbar. Dieser Innenmi- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- nister ist, mit Verlaub SES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) (Otto Fricke [FDP]: Das ist jetzt Ihre Kultur- Dies fankiert die Bemühungen um einen entsprechenden politik? – Dr. Alexander Gauland [AfD], an Sonderbeauftragten der UN. den Abg. Otto Fricke [FDP] gewandt: Genau, das ist linke Kulturpolitik!) Außerdem fordern wir, dass Visa an verfolgte Journa- listinnen und Journalisten aus dem Ausland im erleich- – da fällt Ihnen ja viel ein –, ein Rechtspopulist und ein terten Verfahren gewährt werden. Brandstifter. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Frank Pasemann [AfD]: Sie sind eine Brand- stifterin!) Anderes Thema. Ein Zitat aus dem Koalitionsver- trag 2013: Er zerstört den Zusammenhalt. Er gefährdet damit die in- nere Sicherheit. Frau Merkel ist nicht da, aber ich möchte Medienkompetenz ist eine elementare Schlüssel- sie wirklich bitten, diesen Mann nach Hause zu schicken. kompetenz in unserer digitalen Gesellschaft und grundlegende Voraussetzung für einen selbstbe- (B) Für den Fall, dass er sich dann mit seiner Modelleisen- (D) bahn langweilt, habe ich ihm etwas zum Lesen mitge- stimmten Umgang mit den Medien und dem Netz bracht: „LTI“ von Victor Klemperer. Lesen bildet. für alle Generationen. Vielen Dank. Wohl wahr! Mangelhafte Medienkompetenz macht nicht nur einen obersten Verfassungsschützer anfällig für Po- (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. pulismus und damit zu einer Gefahr für die Demokratie, Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sondern jede und jeden. NEN] – Armin-Paulus Hampel [AfD]: Das ha- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ben Sie aber auch nicht gelesen!) Deshalb ist es umso bitterer, dass die Regierung hier Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: keinerlei Strategie erkennen lässt. Schlimmer noch, die Regierung kürzt die Mittel zur Stärkung der Medienkom- Für Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Margit petenz um 3 Millionen Euro – das sind drei Viertel des Stumpp das Wort. Ansatzes – auf magere 1 Million Euro. Das führt den ei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) genen Anspruch ad absurdum. Wo bleibt der Wille zur Stärkung der Demokratie? Margit Stumpp (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin- SES 90/DIE GRÜNEN) nen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Dieser Wille ist auch gefragt bei der Unterstützung Grütters, Sie sprachen heute nur vom Kulturetat. Dabei des Studios der Deutschen Welle in der Türkei. Im Haus- gibt es in diesen aufgeheizten Zeiten viele gute Gründe – halt 2018 sind die Investitionen verankert gewesen. Es das haben wir ja heute wieder live erlebt –, sich einer fehlt aber jetzt der Aufwand für den Betrieb – gerade da, strukturierten Medienpolitik zu widmen. Was die Staats- wo das Engagement als wichtig und dringlich gefeiert ministerin im Haushalt für dieses Jahr plant, ist schlicht wurde. Solche Projekte brauchen Verlässlichkeit. Ein ernüchternd. Wie wichtig vielfältige und unabhängige banges Hofen auf Bereinigungssitzungen ist in Sachen Medien für eine Demokratie sind, betonen ja auch die Demokratieförderung fehl am Platz. Das betrift übrigens Koalitionäre gern. Aber warme Worte allein richten we- auch die Grundforderung für die DW Akademie. nig aus gegen Difamierung und Gewalt gegen Journalis- tinnen und Journalisten, gegen Fake News und Desinfor- Letzter Punkt. Die Geringschätzung der Kultur- und mation, gegen zunehmende Medienkonzentration. Der Kreativwirtschaft durch die Beauftragte für Kultur und Mann mit Hut aus Dresden hat uns vor kurzem schlagend Medien manifestiert sich in der Kürzung der Mittel um Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2018 5081

Margit Stumpp (A) 80 Prozent auf gerade noch 300 000 Euro. Eine vollstän- Er schaft heute in Kooperation mit den Ländern einen (C) dige Streichung wäre konsequent gewesen und würde echten Mehrwert für unser Land. den Stellenwert, den die Kreativen bei Schwarz-Rot ha- ben, ehrlicher beschreiben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Staatsministerin Monika Grütters und auch der Kolle- Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir Grüne ge Rabanus haben bereits viele Einzelprojekte genannt, wissen um die Bedeutung von Kultur und Medien für und ich möchte sie an dieser Stelle nicht wiederholen. eine lebendige demokratische Gesellschaft. Der vorge- legte Haushalt würdigt diese Rolle nicht. Wenn man vom Bundeshaushalt spricht, dann gehört die Förderung der Hauptstadtkultur dazu, und was für (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Berlin gilt, gilt auch für andere Städte in unserem Land. sowie der Abg. Simone Barrientos [DIE Sie alle haben Magnete, die weit in das Umland ausstrah- LINKE]) len. Wahre kulturelle Schätze liegen jedoch nicht selten weitab der Metropolen und tragen zumeist einen ganz be- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: sonderen Charakter, der eben nur dort, im ganz bestimm- Das Wort hat die Kollegin Patricia Lips für die CDU/ ten Gebiet, von Bedeutung ist, aber genau dort eine hohe CSU-Fraktion. Aufmerksamkeit erfährt, und wenn wir von notwendiger Infrastruktur im ländlichen Raum sprechen, dann gehört (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) die kulturelle Infrastruktur dringend dazu. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Patricia Lips (CDU/CSU): Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! „Entde- mich zum Abschluss zusammenfassend sagen: Was cken, was uns verbindet“, das war das Motto des dies- Kunst und Kultur sind, was schön und nur deshalb ver- jährigen Tages des ofenen Denkmals am vergangenen meintlich gut und richtig ist, was schon per se nicht so Sonntag in unserem Land. Viele Menschen waren unter- zwingend ist, defnieren nicht nur einige wenige in die- wegs, um Burgen, Schlösser, Kirchen, Hofreiten und vie- sem Land, und dafür bin ich dankbar – schon gar nicht les andere mehr zu besuchen – ein dichtes, ein wunderba- jene, die damit eigentlich nichts am Hut haben, sondern res Netz in unserem Land. Diese Einrichtungen werden sich dieses einzig um der Deutungshoheit willen allzu- gepfegt und mit Initiativen erfüllt von unzähligen Men- mal anmaßen. Deshalb ist es gut, dass auch der Erinne- schen, viele davon im Ehrenamt. Und, Kollege Renner – rungskultur ein breiter Raum im Haushalt eingeräumt gestatten Sie mir diesen Ausfug –, sie sind weit entfernt, wird. Vielleicht war diese in der Nachkriegsgeschichte (B) einem kulturmarxistischen Zeitgeist zu folgen, oder gar selten so wertvoll wie heute. (D) von einem Hofstaatsschranzentum. Freie Kunst und freie Kultur, wie wir sie heute in un- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und serem Land kennen und wertschätzen, sind auch geprägt der SPD) und nur möglich durch die Grundfeste einer stabilen De- mokratie, Kunst und Kultur umspannen ein weites Feld, viele Teile gehören dazu. Es sind aber vor allem die Ideen und die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Kreativität von Menschen in Initiativen, in Vereinen und Verbänden, die der Gesamtheit der Kultur eines Landes und ich würde mir wünschen, dass wir auf diesem Pfad oder einer Region zu ihrer Bedeutung verhelfen. weitergehen. Vielen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Gleichzeitig ist Kultur nie starr, sondern sie entwickelt ordneten der FDP) sich, bringt immer wieder neue Formen hervor, sei es in der Architektur, der Musik, der Malerei, der Literatur. Grundlage hierfür ist die Freiheit der Schafenden, die Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: sich untrennbar damit verbindet. Die letzte Rednerin zu diesem Geschäftsbereich ist die Kollegin Saskia Esken, SPD-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD) Aber es braucht natürlich eine fnanzielle Grundlage. Umso mehr freut es mich auch, dass der nun vorgeleg- (SPD): te Einzelplan im Bereich Kultur und Medien mit rund Saskia Esken 1,8 Milliarden Euro erneut eine stabile Grundlage sei- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! tens des Bundes bietet und das Engagement dieser vielen Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir reden in Menschen unterstützt. diesen Tagen viel über Verunsicherung, und auch der digitale Wandel hat seinen Anteil daran, dass Menschen Man kann es auch anders ausdrücken: 20 Jahre im Zukunftsängste haben, die wir ernst nehmen sollten. Was Bund mit der Kultur! 20 Jahre Bundesbeauftrage für wird aus meiner Arbeit? Wie verändert sich mein Leben? Kultur und Medien sind ein kleines Jubiläum. Ja, die Wer bestimmt über meine digitale Identität? Was machen Kulturhoheit liegt in erster Linie bei den Ländern, und diese datengetriebenen Unternehmen? Was macht der doch ist der Anteil des Bundes kaum mehr wegzudenken. Staat mit meinen Daten? 5082 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 48 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 12 September 2018

Saskia Esken (A) Für die Politik stellt sich deshalb die Frage, was die Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolle- (C) Menschen brauchen, damit sie sich souverän und mit Zu- ginnen und Kollegen, das Gelingen des digitalen Wan- versicht auf den digitalen Wandel einlassen können. Da dels ist entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit unse- geht es um Investitionen in Teilhabe und Souveränität, res Landes und damit für die Beschäftigung, aber auch aber auch um Sicherheit und Vertrauen. für die gesellschaftliche Entwicklung. Technologischer Fortschritt muss immer auch sozialer Fortschritt sein. Der Zugang zu einem schnellen und sicheren Netz ent- scheidet über Teilhabe. Um diesen Zugang überall glei- Wir investieren mit diesem Haushalt ganz erheblich chermaßen zu ermöglichen – egal ob in der Stadt oder in dieses Gelingen, und wir schafen mit der politischen auf dem Land –, investieren wir mit den bereitgestellten Gestaltung von Souveränität und Sicherheit die Grundla- Haushaltsmitteln und dem eingerichteten Digitalfonds ge für das Vertrauen der Menschen in diese Entwicklung. Milliarden in den Ausbau von fächendeckenden und sicheren Gigabitnetzen. Ohne Breitband ist alles nichts, Vielen Dank. aber Breitband alleine ist eben nicht alles; denn zur Sou- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten veränität braucht man Kompetenzen, um in der digitalen der CDU/CSU) Welt bestehen zu können.

Mit der digitalen Anbindung und Ausstattung der Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Schulen schafen wir im Rahmen des Digitalpakts die Basis für eine zeitgemäße Bildung, die vom digitalen Vielen Dank, Frau Kollegin. – Weitere Wortmeldun- Wandel der Bildungspläne und von der Lehrerbildung gen zu diesem Einzelplan liegen nicht vor. durch die Länder begleitet werden muss. Mit der Qua- Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Auswär- lifzierungsofensive des Arbeitsministeriums legen wir tigen Amtes, Einzelplan 05. wiederum den Grundstein für eine nationale Weiterbil- dungsstrategie, die es den Menschen ermöglicht, sich ft Das Wort hat der Bundesminister Heiko Maas. zu machen, ft zu halten und eben zuversichtlich in diese (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Gunther digitale Welt zu gehen. Krichbaum [CDU/CSU]) Aber nicht nur die Wirtschaft, sondern auch der Staat soll seine Dienstleistungen digital anbieten – einfach, Heiko Maas, Bundesminister des Auswärtigen: sicher, mobil –, und er soll seine Arbeit digital organi- sieren – transparent und efzient. Deshalb ermöglichen Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- wir mit diesem Haushalt ganz erhebliche Investitionen ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute auf den Tag (B) und Anstrengungen des Bundes und der Länder für eine genau vor 28 Jahren wurde in Moskau der Zwei-plus- (D) moderne und efziente Verwaltung. Vier-Vertrag unterzeichnet. Er war die Voraussetzung für die Wiedervereinigung Deutschlands. Er war von vielen Tatsächlich werden die Integrität und die Sicherheit als das „Ende der Nachkriegszeit“ bezeichnet worden. Er digitaler Strukturen, Technologien und Produkte zuneh- hat dazu geführt, dass ein nicht unwesentlicher Teil der mend zur Grundlage allen öfentlichen und gesellschaft- Welt sich im Aufbruch befand. Nicht wenige träumten lichen Lebens. Wir von der SPD-Fraktion sehen die von den wahrhaft vereinten Nationen. Der amerikanische IT-Sicherheit deshalb als staatliche Aufgabe und Verant- Politikwissenschaftler Francis Fukuyama sprach sogar wortung an. vom „Ende der Geschichte“. Er meinte dies im besten (Beifall bei der SPD) Sinne positiv. Dazu kommen starke Bürger- und Verbraucherrechte Leider ist es anders gekommen; das wissen wir heu- auch in der digitalen Welt; denn ohne starke Schutzrech- te. Die außenpolitischen Baustellen kennen wir alle: die te und ohne soziale Sicherheit dürfen wir kein Vertrauen Unsicherheit im transatlantischen Verhältnis, die interes- der Menschen in die Digitalisierung erwarten. Ohne Ver- sensgeleitete Expansion Chinas, die völkerrechtswidrige trauen wird der digitale Wandel tatsächlich scheitern; das Annexion der Krim, der Krisenbogen rund um Europa, ist meine Grundüberzeugung. Je weiter die Technologie Syrien, Jemen, der Iran, Gaza und auch die Risse – sie sich entwickelt, je mächtiger sie wird, in je mehr Berei- sind nicht zu unterschätzen – innerhalb der Europäischen che unseres Lebens sie vordringt, desto wahrer wird das. Union. Ich habe in Paris mit Cédric Villani sprechen können, Dazu ist heute kein unwichtiger Tag. Heute wird im dem Architekten der KI-Strategie der Macron-Regie- Europäischen Parlament darüber diskutiert und entschie- rung. Der Mann ist Mathematiker und Fields-Medail- den, ob ein Artikel‑7-Verfahren gegen Ungarn wegen len-Preisträger, also ein waschechter Nerd, und natürlich der Verletzung der Grundwerte der Europäischen Union ein bekennender Fan der künstlichen Intelligenz. Aber eingeleitet wird. Vielleicht ist das nicht nur in Brüssel auch er sagt: Wenn wir das Vertrauen der Menschen ein ganz guter Tag, um zu zeigen, dass die Europäische nicht gewinnen, wenn wir sie nicht mit Souveränität und Union mehr ist als eine Mischung aus Binnenmarkt und starken Rechten ausstatten, dann werden sie uns von der Kohäsionsfonds. Vielmehr sind die Europäische Union Fahne gehen, dann werden wir die Chancen der künstli- und die Existenzgrundlage der Europäischen Union die chen Intelligenz nicht nutzen können. Grundwerte, die uns zusammenhalten, vor allen Dingen Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. (Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Keine Angst, Frau Kollegin!) (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2018 5083

Bundesminister Heiko Maas (A) Vielleicht ist es sinnvoll, ein Zeichen zu setzen, dass es mehr, als wir das in der Vergangenheit getan haben – die (C) auf diese Grundwerte keine Rabatte innerhalb der Euro- Menschen wissen lassen, dass Europa die Voraussetzung päischen Union gibt. für die Lösung unserer Probleme ist. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ der CDU/CSU und der FDP) CSU und der FDP – Zuruf von der AfD: Für Meine Damen und Herren, für uns kann das eigentlich Sie!) nach all dem, was um uns herum geschieht, nur eines be- Das ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, die euro- deuten: Wir müssen uns und die internationale Ordnung päische Idee fortzuführen. Dafür, meine Damen und Her- an die globalen Machtverschiebungen anpassen. Dabei ren, gibt es ganz viele Möglichkeiten in der Außenpolitik geht es gar nicht so sehr darum, der Vergangenheit nach- der Europäischen Union. zutrauern oder über Veränderungen zu lamentieren, son- dern es geht ganz einfach darum, jetzt, heute und in der Wir müssen die Europäische Union erst einmal au- kommenden Zeit daraus die richtigen politischen Konse- ßenpolitikfähig machen. Wenn es in Zukunft weiterhin quenzen zu ziehen. so sein wird, dass aufgrund des Einstimmigkeitserforder- nisses in den Gremien der Europäischen Union bei der (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Außenpolitik einzelne Länder je nach Interessen immer Ich glaube, es gibt dafür einige Hebel. Ein Hebel ist, wieder von anderen herausgekauft werden können, die dass wir den Bau eines souveränen und starken Europas nur bilaterale oder sogar unilaterale Interessen verfolgen, als eine oberste Priorität nicht nur in der Außenpolitik, dann wird es nichts mit einer gemeinsamen europäischen sondern auch in der Europapolitik verfolgen. Die Ant- Außenpolitik. Wir brauchen auf Sicht auch einen euro- wort auf „America frst“, „Russia frst“ oder „China frst“ päischen Sicherheitsrat, meine Damen und Herren, in dem wir uns nicht nur hinsichtlich von Entscheidungen (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Ja?) in Europa, sondern auch in den Vereinten Nationen ab- ist nicht „Europe frst“, sondern sie ist „Europe united“. stimmen. Dazu können wir einen großen Beitrag leisten, auch Wir brauchen eine Europäische Sicherheits- und Ver- wenn wir 2020 die Ratspräsidentschaft innehaben. teidigungsunion. Es ist in den letzten Jahren viel gesche- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten hen. Die Zusammenarbeit in dem Bereich der Gemein- der CDU/CSU) samen Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist Stück für Stück vorangebracht worden. Auch PESCO und die Liebe Kolleginnen und Kollegen, Paul-Henri Spaak, französische Interventionsinitiative können dazu einen der ehemalige belgische Premierminister – ein großer (B) Beitrag leisten. Ich bin zuversichtlich, dass wir auch (D) Europäer –, hat einmal gesagt: Es gibt in Europa nur zwei in diesem Jahr da noch Stück für Stück vorankommen. Arten von Ländern: kleine Länder und Länder, die noch Aber im Moment geht es darum, all das durch das zivile nicht erkannt haben, dass sie klein sind. – Er hat das vor Krisenmanagement zu ergänzen, vielen Jahren gesagt, aber es ist auch heute von ungeahn- ter Aktualität. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Für alle Herausforderungen, denen wir uns gegen- über das Europa auch in einer Kompetenz verfügt wie übersehen – wirtschaftliche, soziale, die umwelt- und keine andere internationale Organisation. Ein erster Bei- klimapolitischen Herausforderungen und die Migrations- trag kann die Gründung eines europäischen Kompetenz- frage –, gilt: Niemand in Europa wird in der Lage sein, zentrums für ziviles Krisenmanagement in Deutschland diese Fragen noch national zu beantworten, sondern wir sein. Das wollen wir tun und damit deutlich machen, dass brauchen dafür eine europäische Lösung. In den Diskus- wir in Europa, wenn es um Krisenbewältigung und Kon- sionen darüber, was das deutsche Interesse ist, muss man fiktlösung geht, unserer Verantwortung gerecht werden in einer solchen Situation zu dem Ergebnis kommen, dass wollen. das deutsche Interesse einen Namen hat, und der lautet (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- „Europa“, meine sehr verehrten Damen und Herren. ordneten der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ich weiß, über Verantwortung bzw. mehr Verantwor- der CDU/CSU und der FDP) tung zu diskutieren ist nicht immer einfach, weil das auch Es ist für uns in der politischen Verantwortung ganz schwierige Fragen mit sich bringt. Aber ich bin davon wichtig, dass wir dafür ein Mindestmaß an gesellschaftli- überzeugt, dass wir diese Diskussion führen müssen. cher Zustimmung erhalten. Davon wird abhängen, ob die Millionen Menschen in den afrikanischen Krisenge- Lösungen, die wir verfolgen, auch wirklich durchsetzbar bieten, im Nahen und Mittleren Osten erwarten unsere sind oder ob sie umgekehrt werden, wie wir das ja in der Beiträge dazu. Dem sollten wir auch gerecht werden und letzten Zeit bei Wahlergebnissen in Europa mitverfolgen deutlich machen, dass wir in Europa die Zeichen der Zeit durften. erkannt haben. Deshalb: Wenn es um Europa und um die Bedeutung Meine Damen und Herren, in der europäischen Au- von Europa geht, dann dürfen wir nicht zulassen, dass ßenpolitik geht es aber auch um ganz aktuelle Fragen. Europa von Populisten und Nationalisten in Deutschland Eine Frage, die uns in den letzten Wochen und Monaten und in Europa zu einem Bedrohungsrisiko erklärt wird, auch hier beschäftigt hat, ist: Wie geht es auf dem westli- sondern wir müssen – und vielleicht müssen wir das noch chen Balkan weiter? Ich fnde bei allen Diskussionen und 5084 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 48 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 12 September 2018

Bundesminister Heiko Maas (A) auch bei allen Anforderungen an die Westbalkanstaaten: deraufbau werden wir uns erst beteiligen, wenn es einen (C) Voraussetzungen für die europäische Perspektive und politischen Prozess gibt. Wir werden uns nicht an einem für Beitrittsverhandlungen zu schafen, ist richtig. Aber syrischen Wiederaufbau beteiligen, bei dem es nur da- genauso wichtig ist auch, dass wir diesen Ländern eine rum geht, Assad und sein Regime in der Verantwortung europäische Perspektive bieten, und zwar eine verläss- zu halten. Das ist die Voraussetzung, die wir dafür klar liche, weil sie sich ansonsten anderen Ländern wie etwa und deutlich formuliert haben. China zuwenden, die schon bereitstehen und die die Wer- te, die wir haben, auch in der Europäischen Union, nicht (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU so- teilen. Deshalb ist es wichtig, dass wir dort konsequent wie des Abg. Michael Georg Link [FDP]) und verlässlich bleiben, auch gegenüber den Ländern des Meine Damen und Herren, wir werden auch auf die westlichen Balkans. Veränderungen im transatlantischen Verhältnis reagieren (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten müssen. Wir tun das. Dabei geht es nicht darum, sich von der CDU/CSU) den Vereinigten Staaten zu entfernen. Wir brauchen die Vereinigten Staaten auch als Wertepartner in der Zukunft. Meine Damen und Herren, ja, auch in Syrien wird von Aber wir werden dort, wo wir uns Fragen gegenüberse- uns erwartet, dass wir unserer Verantwortung gerecht hen, wie beim Thema Handel oder beim Thema Strafzöl- werden. le, nicht alleine, wohl aber in der europäischen Einheit (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Mit Tor- unsere Antwort geben. Auch da ist es wichtig, dass wir nados?) die neuen Herausforderungen nicht national, sondern vor allen Dingen europäisch beantworten. Frau Göring-Eckardt hat heute Morgen gesagt, dass wir dort nichts tun würden, um den Friedensprozess, die Su- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) che nach einer politischen Lösung zu unterstützen. Sie Letztlich tun wir das auch mit Blick auf unsere Mit- können uns vielleicht irgendwann vorwerfen, dass wir es gliedschaft im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ab nicht verhindern konnten, dass der Krieg in Syrien wei- dem nächsten Jahr. Wir erleben zurzeit in der internati- terging. Aber Sie werden uns nicht unterstellen können, onalen Politik immer mehr, dass Vertrauen und Verläss- dass wir nicht alles dafür getan haben, dass es eine poli- lichkeit zurückgehen. Deutschland will auch als nicht tische Lösung gibt. permanentes Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Wir sind seit einigen Monaten zusammen mit den Nationen dem etwas entgegensetzen. Wir führen mit an- Amerikanern, den Franzosen, den Briten, den Saudis deren Staaten Gespräche darüber, die genauso wie wir und auch den Jordaniern Mitglied der Gruppe, die sich daran interessiert sind, dass der Multilateralismus eine (B) um eine politische Lösung bemüht. Ich war in der letz- Chance hat, dass es auch in Zukunft eine Rules-based (D) ten Woche in der Türkei und habe mit denen gesprochen, Order gibt, dass man sich auch in der internationalen die auf der anderen Seite im sogenannten Astana-Format Politik aufeinander verlassen kann. Dass unsere Freunde stehen, und habe die türkischen Verantwortlichen ermun- aus Kanada, Japan und Australien genauso denken, das tert, in der letzten Woche in Teheran gegenüber Russland unterstützen und mit dabei sein wollen, ist ein gutes Zei- und dem Iran dafür einzutreten, dass es keine Großofen- chen. Vor allen Dingen steht es uns als Deutschland gut sive in Idlib gibt. zu Gesicht, bei einer Allianz der Multilateralisten gerade jetzt an vorderster Stelle mit dabei zu sein. Dabei bitte (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ich Sie auch um Ihre Unterstützung. Das wird durch den Am Freitag wird der russische Außenminister hier sein. Haushalt zum Ausdruck gebracht. Ihm werde ich genau das Gleiche sagen, Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der der CDU/CSU und des Abg. Michael Georg CDU/CSU) Link [FDP])

nämlich dass wir auch von Russland erwarten, dass es Vizepräsident : seiner Verantwortung gerecht wird und ein humanitäres Herr Minister, gestatten Sie noch eine End- oder Zwi- Desaster in Idlib und anderswo in Syrien verhindert. schenfrage aus der Linksfraktion? (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Was ist mit Saudi-Arabien?) Heiko Maas, Bundesminister des Auswärtigen: Deshalb: Deutschland hat bereits Verantwortung über- Ja, natürlich. nommen. Wir sind mittlerweile der zweitgrößte huma- nitäre Geber im Rahmen des UNHCR. Wir wissen, dass Vizepräsident Wolfgang Kubicki: sich andere zurückziehen aus internationalen Organisati- onen, die Flüchtlinge unterstützen, auch bei den Verein- Das würde Ihre Redezeit deutlich verlängern. ten Nationen. Wir sind zurzeit dabei, zu überprüfen, wie wir die Ausfälle anderer kompensieren können. Ich bin Heiko Maas, Bundesminister des Auswärtigen: dankbar, dass uns der Deutsche Bundestag dabei unter- Das kommt auf die Frage an. stützt. Wir werden auch in Syrien unserer humanitären Verantwortung gerecht. Aber ich sage auch: Am Wie- (Heiterkeit bei der SPD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2018 5085

(A) Heike Hänsel (DIE LINKE): Als Nächstes hat für die AfD-Fraktion der Kollege Ar- (C) Danke schön, Herr Präsident. – Herr Minister, Sie ha- min-Paulus Hampel das Wort. ben gerade von der anstehenden Mitgliedschaft Deutsch- (Beifall bei der AfD) lands im Sicherheitsrat und unserer Verantwortung ge- sprochen sowie davon, dass wir ein regelbasiertes Werk weltweit brauchen, auf das man sich international ver- Armin-Paulus Hampel (AfD): lassen kann. Von daher meine Frage: Die Kanzlerin hat Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- ja heute Morgen ofengelassen, ob sich die Bundesre- ren! Liebe Besucher im Deutschen Bundestag! Verehrte publik möglicherweise an Vergeltungsschlägen in Syri- Medienkollegen – auch wenn es ein bisschen schlaf auf en beteiligen würde. Der Wissenschaftliche Dienst des der Bank da oben aussieht! Da war ich heute Morgen, Bundestages hat eine solche mögliche Militärinterventi- ehrlich gesagt, doch vom Donner gerührt. Es ist schön, on eindeutig als völkerrechtswidrig und damit auch als Herr Maas, dass Sie als deutscher Außenminister wenigs- grundgesetzwidrig eingestuft. tens hier im Parlament auf Nachfrage zu Syrien Stellung beziehen. Mir sind die Äußerungen Ihrer Kollegin Frau (Beifall der Abg. [AfD]) von der Leyen viel früher in den Ohren geklungen. Und Meine Frage lautet – weil Sie dazu konkret nichts gesagt dass Sie, Frau Bundeskanzler, heute hier im Parlament haben –: Wie stehen Sie zu der ins Spiel gebrachten mög- verkündet haben: „Wir wollen in Syrien vorne mit dabei lichen Beteiligung Deutschlands an einem Vergeltungs- sein“, hat mir allerdings fast den Atem verschlagen. schlag in Syrien? Meine Damen und Herren, ich habe 25 Jahre meines Lebens Außen- und Sicherheitspolitik als Journalist ver- Heiko Maas, Bundesminister des Auswärtigen: folgt. Wenn jemand mit solchen Vokabeln so leichtfertig Erst einmal liegt mein Hauptinteresse im Moment da- umgeht – bei einem möglichen Einsatz in Syrien vorne rin, zu verhindern, dass wir diese Frage irgendwann ent- mit dabei sein zu wollen –, habe ich dafür kein Verständ- scheiden müssen. nis; denn wir wissen nicht, worüber wir da überhaupt reden. Es ist ein Verfassungsbruch – das weiß jeder in (Beifall bei der SPD) diesem Hause –, wenn sich die Bundesrepublik Deutsch- land an einem militärischen Einsatz in Syrien beteiligt, Wir tun im Moment alles, um dafür zu sorgen, dass in ohne dass es ein UN-Mandat dafür gibt, und davon habe Syrien keine Chemiewafen eingesetzt werden. Das wäre ich bis dato noch nichts gehört. Sie brechen die Verfas- ein eindeutiger Bruch aller Bereiche des humanitären sung, bevor ein UN-Mandat überhaupt in Augenschein Völkerrechts. (B) genommen wurde. (D) Zum Zweiten. Natürlich beraten wir auch in der Bun- (Beifall bei der AfD) desregierung, wie wir damit umgehen. Aber diese Frage werden wir dann beantworten, wenn sie gestellt wird. Ich Was bedeutet das? Wir haben schon am Hindukusch hofe, dass sie uns nicht gestellt wird – weil es nämlich knapp 60 Soldaten der deutschen Bundeswehr verloren, keinen Einsatz von Chemiewafen in Syrien gibt. Dass meine Damen und Herren! Für eine Mission, die nach diese Frage völkerrechtlich und auch verfassungsrecht- 17 Jahren jedem in diesem Lande als gescheitert erschei- lich außerordentlich schwierig zu beantworten ist, ist nen muss. Ich kann Ihnen ans Herz legen – Frau Bundes- doch vollkommen klar. kanzler ist gerade abwesend –: Im Übrigen bräuchten wir, wenn es eine solche Be- (Zuruf von der SPD: Sie steht doch da hin- teiligung geben sollte, dafür ein Mandat des Deutschen ten!) Bundestages. Insofern wird diese Entscheidung gar nicht alleine von der Regierung getrofen werden können, son- Halten Sie sich an den so oft gescholtenen Soldatenkö- dern sie wird, wenn, vom Deutschen Bundestag getrofen nig, den Vater vom Alten Fritz, der seinem Sohn mit auf werden, und da ist sie auch an der richtigen Stelle. den Weg gegeben hat: Denke daran, dass du für jede See- le eines preußischen Grenadiers verantwortlich bist, die Schönen Dank. du auf dem Schlachtfeld opferst. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Angesichts der Leichtfertigkeit, mit der in Sachen CDU/CSU) Syrien argumentiert wird, rieche ich schon wieder die sogenannte Smoking Gun. Es wird schon von Chemie- wafeneinsatz gesprochen. Dafür gibt es doch überhaupt Vizepräsident Wolfgang Kubicki: keine Belege. Herr Minister, auch der Kollege Trittin möchte gerne eine Zwischenfrage stellen. – Sie möchten nicht. – Herr (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE Trittin, es tut mir leid, der Herr Minister war nicht bereit. GRÜNEN]: Aber es gab schon einen, oder?) (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Es gibt aber den Herrn Ritter von der OPCW – der ja NEN]: Wir haben uns gemeinsam bemüht, unverdächtig ist –, der nachgewiesen hat, Herr Präsident!) (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE – Genau. GRÜNEN]: Nein!) 5086 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 48 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 12 September 2018

Armin-Paulus Hampel (A) dass beim letzten Einsatz die USA den Duma-Vorfall er- in Syrien –, allerdings, wie ich das unlängst im Deutsch- (C) funden haben. landfunk betont habe, gebunden an die Garantieerklä- rung des syrischen Präsidenten, dass er denen, die in sein (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE Land zurückkehren, Strafreiheit und Verfolgungsfreiheit GRÜNEN]: Das ist gelogen, Herr Hampel, garantiert. Nur dann können wir fnanzielle Mittel für was Sie da erzählen!) den Aufbau in Syrien zur Verfügung stellen. Ich glaube, Und da ahne ich, dass es jetzt wieder einmal zwingend wenn Sie mit dem Scheckbuch in dieser Hinsicht positiv notwendig sein muss, einen Giftgasangrif herbeizure- winken, dann werden Sie sogar einen Erfolg bei Herrn den. Wir alle wissen: Herr Assad braucht keinen Giftgas­ Assad erzielen. angrif mehr. Dann lerne ich von Ihnen immer wieder dasselbe, (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Herr Maas: In der europäischen Politik, im Europaden- NEN]: „Mehr“!) ken fndet die deutsche Außenpolitik ihren Sinn und ihre Die Terroristen der Al-Nusra-Front sind in der Enge; Zukunft. – Sie merken doch, dass dieses Europa - sie sind in ihrem letzten Stronghold. Darum wäre es aus de aufgrund Ihrer Politik auseinanderfällt. Die Briten seiner Perspektive sogar kontraproduktiv, irgendwelche sind schon draußen. Die Visegradstaaten stimmen Ihnen Mittel einzusetzen. nicht zu. Sie haben, nachdem Sie die rote Linie für Herrn (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE Trump aufgezeigt haben – das ist ja schon eindrucksvoll: GRÜNEN]: Dann ist ja auch kein Problem, der amerikanische Präsident bekommt vom deutschen Herr Hampel!) Außenminister die rote Linie gezeigt; mit welchen Mäch- ten wollen Sie das denn machen? –, Sie müssten ja auch gelesen haben, dass die syrischen Streitkräfte drei Korridore aufgemacht haben in Idlib. (Heiterkeit bei Abgeordneten der AfD) Die Al-Nusra-Front, die übrigens zu den Terroristen ge- hört, hat mit dem IS zusammengearbeitet, den die westli- die Amerikaner vergrault. Die Russen sanktionieren Sie; chen Nationen über Jahre bekämpft haben. Jetzt plötzlich die fallen ebenfalls weg. Die Chinesen üben gerade im entwickeln wir für sie Verständnis. Ich glaube – – Ich größten Manöver aller Zeiten mit den Russen gemein- verschlucke lieber, was ich sagen wollte. Das kann doch sam. In Europa bricht die Front auseinander. Und Sie wohl nicht wahr sein, dass wir für sie Verständnis entwi- sind noch an der Seite von Herrn Macron, der nichts an- ckeln. Damit kommt dann das Ende eines militärischen deres will als deutsches Geld zur Sanierung seines ma- Konfikts, den natürlich keiner in diesem Hause so haben roden Staates und der in Amerika inzwischen übrigens wollte. Wir hätten uns gewünscht, dass es einen friedli- auch nicht mehr den Status genießt, den er da einst ge- (B) chen Ausgleich zwischen den politischen Kräften in Sy- nossen hat. (D) rien gibt. Aber Sie müssen nun einmal anerkennen, dass Herr Assad, und zwar aufgrund einer fehlgeleiteten west- (Beifall bei der AfD) lichen Politik, gemeinsam mit Russland – in der Tat – das Heft des Handelns fest in der Hand hat. Da lohnt es nicht, Das defnieren Sie als erfolgreiche deutsche Außenpoli- Herr Maas, in die Türkei zu reisen und mit den Türken tik. zu verhandeln. Zum Schluss bringe ich noch die Erkenntnis zum Aus- Übrigens: Ich habe in Ihren Pressestatements nichts druck, wovon wir in der AfD-Fraktion fest überzeugt dazu gehört, dass alle Parteien des Deutschen Bundesta- sind, nämlich dass es nach wie vor – ich komme zum ges den Angrif auf Afrin als völkerrechtswidrig bezeich- Schluss, Herr Präsident – Ihre Devise, Ihre Maxime sein net haben. Das kommt bei Ihnen, in Ihren Statements muss, dass grundsätzlich erst mal eine Außenpolitik im überhaupt nicht vor. Das hätten Sie Herrn Erdogan als deutschen Interesse gemacht wird. Und wenn sich die mit Allererstes sagen müssen. den Zielen der europäischen Nachbarn deckt, ist es gut Vor allen Dingen: Nach der möglichen Entlassung so, und das wollen wir anstreben. von wenigen deutschen Staatsbürgern oder Deut- sche-Pass-Staatsbürgern haben Sie gleich mit weiteren Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Milliarden gewunken, die Deutschland der Türkei even- tuell als Hilfe zukommen lassen kann. Ja wo sind wir Herr Kollege, Sie sollten Ihren Worten Taten folgen denn in diesem Land? Da hätten Sie Herrn Erdogan klare lassen. Kante geben und sagen müssen: Wir, und zwar nicht nur wir Deutsche, sondern auch die europäischen NATO-Na- tionen – die Amerikaner wahrscheinlich auch –, wollen Armin-Paulus Hampel (AfD): keine Einmischung der Türkei in den syrischen Konfikt, Aber wir wollen nicht Deutschland für ein Europa weil damit der Konfikt eskaliert. – Das hätten Sie Herrn opfern, das wir als AfD in der Form nicht wollen und Erdogan ins Stammbuch schreiben müssen. in dem Europa und vor allen Dingen Deutschland keine (Beifall bei der AfD) Zukunft haben. Ich bin in der Tat überzeugt davon, dass es jetzt an der Danke schön. Zeit ist, mit Herrn Assad zu reden, ja, auch über einen Wiederaufbau – er hat nun mal die Macht des Faktischen (Beifall bei der AfD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2018 5087

(A) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Sie bei der Arbeit im UN-Sicherheitsrat und ist sich ge- (C) Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Kolle- wiss, dass auf uns große Aufgaben international zukom- gen Dr. . men. Die haben Sie richtig beschrieben. Also, herzlichen Glückwunsch zu diesem Auftakterfolg! (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Dr. Johann David Wadephul (CDU/CSU): ordneten der SPD) Herr Präsident, vielen herzlichen Dank. – Herr Kolle- Sie haben zu Recht gesagt, dass wir – ich will das in ge Hampel, meinen Sie eigentlich, dass es im deutschen der Beschreibung nicht wiederholen – Antworten fnden Interesse ist, im Interesse deutscher Außenpolitik, dass müssen auf ein Verhalten der Vereinigten Staaten, was sich Kollegen Ihrer Fraktion mit dem Massenmörder wir in der Vergangenheit – jedenfalls in der Person des Assad trefen? Meinen Sie eigentlich, dass Ihre Fraktion Herrn Präsidenten – so nicht kannten. Sie haben zu Recht sich da in eine Position begibt – – gesagt: Darauf muss Europa reagieren, darauf müssen (Abg. Dr. Alexander Gauland [AfD] winkt wir multilateral reagieren und etwas dafür tun, den Mul- ab – [AfD]: Mit wem treft ihr tilateralismus aufrechtzuerhalten. – Abstrakt betrachtet euch denn?) ist das alles in Ordnung, aber es wird natürlich alles kon- kret, meine lieben Kolleginnen und Kollegen. Vor die- – Herr Kollege Gauland, die Trefen haben ja stattge- sem Hintergrund müssen wir darüber sprechen, ob wir funden. Dabei geht es da um Fragen des internationalen uns da noch einig sind und ob auch wir bereit sind, das, Rechts. Weder dann, wenn es um die Krim geht, noch was konsensfähig ist, mitzutragen. dann, wenn es um den Syrien-Krieg und den Umgang mit Herrn Assad geht, interessieren Sie sich jedoch für Wenn man für Multilateralismus ist, dann ist man Rechtsfragen, ja unter anderem dafür, dass die NATO erhalten bleibt; dann muss man die NATO unterstützen. Ich rufe in Er- (Zustimmung der Abg. Dr. Franziska innerung, was Wolfgang Ischinger, der Vorsitzende der Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Münchener Sicherheitskonferenz, während Sie uns hier immer vorhalten, es würden Rechts- verletzungen in Europa und in Deutschland stattfnden. (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Immer die gleichen Figuren!) (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Schauen Sie mal, wie viele CDU-Politiker sich mit Mao im letzten „Spiegel“, wie ich fnde, ganz trefend gesagt Tse-tung getrofen haben!) hat, und zitiere – mit Genehmigung des Herrn Präsiden- ten –: (B) Sie sind da in keiner guten Position, Herr Kollege (D) Hampel. Sie sollten in Ihrer eigenen Fraktion mal für Und wenn wir die NATO erhalten wollen, dann Ordnung sorgen ist es falsch, wenn wir mit gentlemanartiger Non- chalance so tun, als wäre das 2‑Prozent-Ziel von uns (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – nie mitbeschlossen worden. Martin Schulz [SPD]: Sehr richtig! Sehr gut!) und dafür, dass nicht mit diesen Massenmördern ver- Wir sind aufgefordert, dieses 2‑Prozent-Ziel für 2024 kehrt wird, bevor Sie uns hier im Deutschen Bundestag zu erreichen. Ich muss feststellen – auch die Regierungs- moralische Vorhaltungen machen. Ich glaube, das wäre fraktionen kontrollieren die Regierung, die sie selber angebracht. gewählt haben und unterstützen –, dass die mittelfristige Finanzplanung der Bundesregierung – über die wird heu- (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Das können te ja auch diskutiert – dem 2‑Prozent-Ziel in keiner Wei- Sie in Ihrer Geschichte unisono mit Beispie- se entspricht. Dazu sage ich: Wir als CDU/CSU-Fraktion len garnieren!) erwarten, dass hier nachgebessert wird. Wir fühlen uns Ich möchte dem Außenminister sehr herzlich danken, diesem Ziel ernsthaft verpfichtet, meine sehr verehrten der sich in diesem Sommer mehrfach auch zu internatio- Damen und Herren. nalen Fragen schriftlich und mündlich geäußert hat, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Das ist schön, ordneten der FDP) ja!) Ein weiterer Punkt. Wenn wir von Europe united spre- ihn im Übrigen ermutigen, das des Öfteren im Plenum chen, dürfen wir nicht voraussetzen, dass das nur nach des Deutschen Bundestages zu machen. Ein großer Er- unseren Maßstäben geschieht, sondern dann müssen wir folg, Herr Minister, für uns alle zusammen ist in der Tat auch akzeptieren, dass andere andere Maßstäbe anlegen, die Mitgliedschaft im Sicherheitsrat der Vereinten Natio- zum Beispiel bei der empfndlichen Frage von Rüstungs- nen. Das wird von Deutschland zwar turnusgemäß bean- exporten; ich könnte auch andere Fragen ansprechen, die tragt; dass das aber gelungen ist und dazu noch mit einem meine Fraktion betrefen. Man muss sich schon fragen, so guten Stimmergebnis, ist ein Erfolg unserer Außenpo- ob es einem Europe united entspricht, dass wir eine res- litik. Ich möchte allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern triktive Rüstungsexportpolitik vorgeben, die andere be- des Auswärtigen Amts und Ihnen, Herr Minister, dafür freundete Staaten, wie beispielsweise Frankreich und herzlich danken und Ihnen gratulieren und zu den Auf- England, in dieser Form nicht mitmachen wollen. Kön- taktworten sagen: Die CDU/CSU-Fraktion unterstützt nen wir uns so Europe united vorstellen? Nein, auch wir 5088 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 48 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 12 September 2018

Dr. Johann David Wadephul (A) müssen bereit sein, an dieser Stelle eigene Positionen ner zusammenarbeiten zu wollen, und gleichzeitig den (C) aufzugeben und sie infrage zu stellen. europäischen Partnern unter anderem auf dem Umweg über den Koalitionsvertrag das vorgeben zu können (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Interessen meint, was sie mitmachen oder nicht mitmachen sollten. meinen Sie!) Wenn Deutschlands Zukunft – da gebe ich dem Au- Das gilt in der Tat auch für die schwierige Frage – ßenminister recht; das ist, glaube ich, Konsens über das will ich zur Sache sagen – eines möglichen Giftgas­ viele Fraktionen hinweg – entscheidend von einem ge- einsatzes in Syrien. Giftgas ist eine der schrecklichsten einten Europa abhängt, dann müssen die Koalition und Wafen, die die Menschheit kennt. Wir müssen jede po- alle anderen politischen Kräfte in Deutschland wissen, litische Regung unterlassen, die Herrn Assad ermutigen dass man dem zum Teil auch deutsche Meinungsbildung könnte, dieses Giftgas noch einmal zum Einsatz zu brin- unterordnen und sich an anderen Maßstäben orientieren gen. Deswegen müssen die Entschlossenheit und das Zu- muss. sammenstehen des westlichen Bündnisses hierbei außer Frage stehen. (Zuruf der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE]) (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Warum reden Dann darf man nicht sagen: „Wir machen Europe united, Sie das immer herbei?) aber nur das, was wir politisch für richtig halten“, son- dern wir müssen uns immer vor Augen halten, dass es Die Vereinigten Staaten und unsere engsten Verbündeten auch in anderen Politikfeldern in Europa – da könnte ich in Europa, England und Frankreich, haben erklärt, dass die Flüchtlingspolitik oder die Fiskalpolitik nennen; das sie Reaktionen folgen lassen würden. Deutschland darf betrift unterschiedliche politische Kräfte hier im Haus – dann nicht von vornherein sagen: Wir machen da mal andere Meinungen gibt. Ich weise nur darauf hin: Wer wieder nicht mit. Europe united will, muss auch bereit sein, deutsche Inte- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – ressen dem dann unterzuordnen, sonst ist er kein echter Armin-Paulus Hampel [AfD]: Doch!) Europäer. Das ist meine Meinung dazu. Das, Herr Minister Maas, wäre nicht Europe united. Wir (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) müssen da dann auch zusammenstehen. Deswegen bringt es uns relativ wenig weiter, wenn wir (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) sagen: Wir sind für ein geeintes Europa und stellen SWIFT infrage. – Das ist auch kurzfristig, glaube ich, überhaupt nicht ersetzbar. Vielmehr müssen wir uns an Vizepräsident Wolfgang Kubicki: die schwierigen politischen Fragen heranmachen und (B) Herr Kollege Dr. Wadephul, erlauben Sie eine Zwi- versuchen, dort Einigkeit herzustellen. (D) schenfrage aus der Linksfraktion? Ich komme zu meinem letzten Punkt. Natürlich sind wir alle für ein stärkeres Europa und werden dafür alles Dr. Johann David Wadephul (CDU/CSU): tun. Sich gegenüber den Vereinigten Staaten von Ame- Ja. rika abzugrenzen und zu zeigen, wo wir einen anderen Standpunkt einnehmen, ist auch richtig. Aber den Ver- Stefan Liebich (DIE LINKE): einigten Staaten von Amerika ernsthaft rote Linien auf- Vielen Dank, Herr Wadephul, dass Sie diese Zwi- zeigen zu wollen und zu sagen, wir würden sie ausbalan- schenfrage zulassen. – Sie haben hier bezüglich der Rüs- cieren – das hieße ja, dass wir das, was die Vereinigten tungsexportpolitik einen Widerspruch zwischen Ihrer Staaten von Amerika an Sicherheit für Europa schafen, Fraktion und der SPD-Fraktion und dem Außenminister in irgendeiner Form auch gewährleisten könnten –, halte aufgemacht. Ich verstehe Koalitionsverträge so, dass sie ich ofen gestanden für vermessen. defnieren, was man gemeinsam in einer Koalition errei- (Beifall bei Abgeordneten der AfD) chen will. In ihrem Koalitionsvertrag haben CDU, CSU und SPD verabredet, dass keine Wafen mehr an die Län- Die Vereinigten Staaten von Amerika haben uns mit der exportiert werden sollen, die am Jemen-Krieg betei- anderen vom Nationalsozialismus befreit. Sie waren es, ligt sind, und dass diese restriktive Rüstungspolitik künf- die entscheidend zur deutschen Wiedervereinigung bei- tig auch auf europäischer Ebene gemacht werden soll. getragen haben. Sie sind nach wie vor unser größter und Hier haben Sie jetzt das Gegenteil beschrieben. Ist das wichtigster Wirtschaftspartner in der Welt – bei allem, ein Abschied vom Koalitionsvertrag – wir müssen Sie was wir an der Handelspolitik zu kritisieren haben. Die dann nicht löchern, warum Sie Ihren Koalitionsvertrag Vereinigten Staaten gewährleisten – im Ernst – noch heu- nicht einhalten, wenn Sie ihn aufgekündigt haben –, oder te, dass Europa frei ist. Herr Minister, zu den Sorgen und wie ist das zu verstehen? Nöten, die Sie angesprochen haben, sage ich: Russische Rechtsverletzungen und chinesischen Machtanspruch (Beifall bei der LINKEN) ausbalancieren, das können am Ende nur die Vereinigten Staaten von Amerika. Deswegen sollten unsere Freund- Dr. Johann David Wadephul (CDU/CSU): schaft und unsere enge Partnerschaft zu Amerika trotz Sie wissen, dass ich weder die Kompetenz noch die alledem nie infrage gestellt werden. Absicht habe, den Koalitionsvertrag infrage zu stellen. Herzlichen Dank. Ich weise nur darauf hin, dass man nicht das Ziel vorge- ben kann, auf europäischer Ebene enger und geschlosse- (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2018 5089

(A) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: und übernimmt die EU-Präsidentschaft. Herr Minister, (C) das passt hinten und vorne nicht zusammen. Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Wadepfuhl. – Als Nächstes spricht für die Freien Demokraten der Kollege (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ Michael Link. DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall bei der FDP) Stichwort: Abstimmung in der Bundesregierung. Die interne Ausgabenkontrolle der Bundesregierung – (FDP): Michael Georg Link sehr spannend, sehr lesenswert –, die sogenannte Spen- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ding-Review, hat gezeigt, dass gewaltiger Verbesse- Gerade hören wir aus dem Europäischen Parlament, rungsbedarf bei der Abstimmung zwischen den Häusern dass vor wenigen Minuten das EP für die Einleitung des besteht – besonders beim Entwicklungsministerium. Sie Rechtsstaatsverfahrens gestimmt hat. sollen sich nicht gegenseitig Konkurrenz machen; sie sollen zusammenarbeiten. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNIS- Stichwort: Personal. Dabei geht es nicht einfach um SES 90/DIE GRÜNEN) den bequemen Ruf nach mehr Mitteln. Nein, es geht da- rum, die vorhandenen freien Stellen endlich zu besetzen, Ich fnde, das ist eine sehr gute Nachricht, dass die Kol- das Personal und die Mittel auch an der richtigen Stelle leginnen und Kollegen im EP das gemacht haben. Das ist einzusetzen und die gesetzlich vorgesehene Personal- ein wichtiger, klarer Schritt. Wir haben auch gegenüber reserve für den Auswärtigen Dienst zu schafen. Es ist dem ungarischen Volk gerade aus Dankbarkeit für das, höchste Zeit, in die Substanz der deutschen Diplomatie was sie im Kampf um den Fall des Eisernen Vorhangs ge- zu investieren; sonst bricht der Boden weg. tan haben, eine Verantwortung, jetzt genau hinzuschau- en, was in ihrem Land geschieht. Deshalb ist das eine Stichwort: humanitäre Hilfe und Krisenbekämpfung. sehr gute Entscheidung. Wir als Freie Demokraten wie Die Mittel sind gewaltig gestiegen – zu Recht. Aber sind viele andere Kolleginnen und Kollegen im Hause begrü- gleichzeitig auch die Strukturen des Auswärtigen Amtes ßen das. gestärkt worden? Nein. Die Folgen sind Personalman- gel, Überlastung und vom Rechnungshof zu Recht ge- Viele weitere politische Dinge wären zu erwähnen. rügte erhebliche Mängel bei der Mittelbewirtschaftung. Die Versuchung ist groß, jetzt, wo wir über den Etat des Während die Mittel für die Krisenbekämpfung steigen, kommt das AA mit der Bewirtschaftung teilweise nicht (B) Auswärtigen Amtes reden, auf die EU oder auf Syrien (D) einzugehen, Herr Minister. Aber einmal im Jahr reden hinterher – nicht, weil es nicht will oder nicht könnte, wir über den Haushalt. Deshalb werde ich der Versu- sondern weil ihm die Mittel fehlen und weil der Bereich chung jetzt nicht nachgeben, über Syrien oder andere der Personal- und Sachkosten dramatisch unterfnanziert Dinge zu sprechen; denn wir müssen über den Haushalt ist. reden. Sie haben es nicht getan. All das müssen wir in der Haushaltsdebatte anspre- Wir müssen dringend darüber reden, dass das, was Sie chen. Wir haben es, Herr Minister, mit einer veritablen einfordern und anmahnen, nämlich Multilateralismus zu Ausstattungskrise des AA zu tun. Die kann man übri- verteidigen, einen personell, fnanziell, technisch bestens gens nicht immer nur auf das angeblich knauserige BMF ausgestatteten diplomatischen Dienst erfordert. schieben; man muss auch die eigenen Hausaufgaben ma- chen. (Beifall des Abg. Omid Nouripour [BÜND- Die Besetzung von Auslandsposten wird zunehmend NIS 90/DIE GRÜNEN]) schwerer . Was tun Sie für die Rahmenbedingungen für Es braucht einen Dienst, der in seinen Kernkompeten- die Angehörigen des Auswärtigen Dienstes? Ich nenne zen gestärkt wird und nicht immer nur neue Aufgaben das Stichwort „mitausreisende Partner“. Wie stoppen Sie dazubekommt, so wichtig und richtig sie sind. Wir brau- den Trend, dass im AA Stück für Stück mehr Leute im chen einen Auswärtigen Dienst, der sich mit den anderen Inland arbeiten als im Ausland? Wie schließen Sie die ab Akteuren im deutschen Außenhandel engstmöglich ver- spätestens 2020 bestehenden Lücken bei der Sicherheits- netzt. Da ist in vielen Bereichen Fehlanzeige, Herr Mi- ausstattung der Botschaften? Wie steht es um die IT-Aus- nister, wenn ich mir diesen Haushaltsentwurf des Minis- stattung und die Digitalisierung des AA? Wenn die Mo- teriums anschaue. Er bleibt hinter den Bedürfnissen der dernisierung in dem Tempo weitergeht, dann bleibt die deutschen Diplomatie eindeutig zurück. Das Auswärtige Renovierung des hauseigenen Paternosters für lange Zeit Amt ist haushälterisch nicht gut aufgestellt. die größte Innovation. Ganz im Ernst: Ein besonders trauriges Beispiel für Ich frage mich, wie Sie es als Minister akzeptieren suboptimale Bewirtschaftung ist die Visabearbeitung. können, dass nach kosmetischen Aufwüchsen in diesem Jahr, die jedoch durch die deutschen Pfichtbeiträge für ( [FDP]: Ja!) die UN mehr als weggefressen werden, der Haushalt für Ihr Haus ab 2020 sinken soll. 2020, war da was? Hier kommt es in einigen Botschaften zu Wartezeiten Deutschland hat dann einen Sitz im UN-Sicherheitsrat von bis zu einem Jahr. Diese beziehen sich nicht auf die 5090 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 48 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 12 September 2018

Michael Georg Link (A) Bearbeitung, sondern auf den Zeitraum bis zur Termin- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (C) vergabe. Als Nächstes erhält das Wort für die Fraktion Die Lin- ke der Kollege Dr. Gregor Gysi. (Michael Theurer [FDP]: Oder länger!) (Beifall bei der LINKEN) Und dann klagen wir – zu Recht – über die fehlenden Kräfte auf unserem Arbeitsmarkt. Das kann doch so nicht Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): zusammenpassen. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung strebt der CDU/CSU) mit aller Macht nach einer größeren außenpolitischen Rolle Deutschlands. Sie freut sich über den Sitz im Wir brauchen ein smartes Ressourcenmanagement in UN-Sicherheitsrat ab 2019 für zwei Jahre. Sie möchte diesen Fällen. Und deshalb wird es eben ohne eine Auf- gerne den nächsten Präsidenten der EU-Kommission stockung und Steigerung der personellen, fnanziellen stellen. Deutschland soll der Stationierungsort für ein und organisatorischen Möglichkeiten des Amtes nicht neues ­NATO-Kommando werden, mit dem eine Trup- gehen. penpräsenz bis zur russischen Grenze organisiert wird. Es gibt eine massive Aufrüstung der Bundeswehr, um Ein besserer Haushalt für das AA ist das eine. Ich künftig direkt und voll international mitmischen zu kön- habe schon etwas dazu gesagt, was für eine bessere Ab- nen. Und es gibt steigende Rüstungsexporte. stimmung in der Bundesregierung getan werden müss- Auf die entscheidende Frage allerdings, wie die au- te. Wir – der Kollege Lambsdorf wird dazu noch mehr ßenpolitische Rolle Deutschlands eigentlich aussehen sagen – treten ganz bestimmt für diesen vernetzten An- soll, bekommt man nur als Antwort, dass Deutschland satz ein, den ich zwar in Ihrem Koalitionsvertrag fnde, seine Zurückhaltung auch militärisch aufgeben und über- aber nicht in der Realität. Wir buchstabieren ihn aus und all mitmischen solle, um ernster genommen zu werden. sagen: Die drei berühmten „D“ – Diplomacy, Defense, Man hört nichts von Diplomatie, Völkerrecht, Entspan- Development, also Diplomatie, Verteidigung und Ent- nung. Damit aber machen Sie Deutschland zum Teil des wicklung – müssen zusammengedacht werden. Sie müs- Problems und nicht der Lösung. sen enger zusammenarbeiten. Wir streben dafür einen schrittweisen Aufwuchs für diesen Bereich unseres Etats (Beifall bei der LINKEN) auf 3 Prozent des BIP an. Nach dem Ende des Kalten Krieges haben die frühe- (Beifall bei der FDP) ren neutralen Staaten wie Finnland und Schweden ihre (B) Vermittlerrolle aufgegeben. Wer übernimmt jetzt ei- (D) Parallel dazu, liebe Kolleginnen und Kollegen, müs- gentlich die Vermittlung? Wäre das nicht eine Rolle für sen wir auch die Strukturen für die Abstimmung mit der Deutschland? EU verbessern; das muss Hand in Hand gehen, sonst hat Es geht nicht darum, Russlands zum Teil imperiale es keinen Sinn. Dort stehen parallel zu unseren Haus- Absichten gutzuheißen oder die Menschenrechtsent- haltsberatungen die Verhandlungen über neue Haushalts- wicklung nicht zu kritisieren. Aber nach Jahren mit Sank- verfahren an. Auch dort geht es um die Abstimmung zwi- tionen und Truppenaufmärschen sollte doch klar werden, schen dem Bereich Entwicklung und den militärischen dass man damit nur das Gegenteil erreicht. Möglichkeiten – Stichwort EAD und Frontex. Auch da müssen wir mehr investieren. (Beifall bei der LINKEN) Das ist viel Kritik, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wie wollen Sie zwischen Russland und der Ukraine vermitteln, wenn Sie ein Verfechter der Sanktionen sind? Was wir brauchen, ist Wandel durch Annäherung, wie es Vizepräsident Wolfgang Kubicki: einmal genannt wurde. Übrigens fällt natürlich auch auf, Herr Kollege! dass Sie niemals Sanktionen gegen völkerrechtsverlet- zende, kriegführende Staaten wie die USA und die Tür- kei beschließen. Sehr einseitig! Michael Georg Link (FDP): (Beifall bei der LINKEN) Wir werden diese Kritik mit eigenen Vorschlägen in den Haushaltsberatungen unterlegen. Wir wollen das Ich hofe sehr, dass es gelingt, eine humanitäre Kata- Auswärtige Amt und überhaupt den deutschen Außen- strophe in Syrien zu verhindern. Aber der Wunsch von auftritt gemeinsam stärken. Aber lassen Sie uns bei aller Frau von der Leyen, die Bundeswehr nun auch noch in Kritik nicht vergessen, zu danken. Wir wollen den Ange- Syrien einmarschieren zu lassen, ist so abenteuerlich, hörigen, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Aus- dass ich hofe, dass die SPD ausnahmsweise einmal bei wärtigen Amtes für ihren Dienst an Deutschland und für ihrem Nein in der Koalition bleibt. Aber sie schwankt ja Deutschland ganz herzlich danken. schon. Ich sage, Herr Schulz: Sie schwankt ja schon. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. neten der AfD) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Wir waren im Bundestag die einzige Fraktion, die der CDU/CSU) gegen die Beteiligung der Bundeswehr am Afghanis- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2018 5091

Dr. Gregor Gysi (A) tan-Krieg war. Heute wissen alle Abgeordneten im Bun- Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): (C) destag, dass wir recht hatten. Ja. (Beifall bei der LINKEN – Roderich Kiesewetter [CDU/CSU]: Nein!) Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Verehrter Kollege Gysi, Sie haben an zwei Stellen Übrigens: Ist Ihnen mal aufgefallen, dass es im Nahen zum Kosovo ausgeführt. Sie haben zunächst gesagt, dass Osten nur drei säkulare Staaten mit einer Trennung von der Hintergrund für die Luftschläge Menschenrechtsver- Politik und Kirche gab, während die anderen islamisch letzungen gewesen seien. Stimmen Sie mir in der Auf- oder sogar islamistisch sind? Diese drei Staaten sind der fassung zu, dass im Kosovo ein Genozid im Gange war, Irak, Libyen und Syrien. Alle drei sind kaputt. Es lohnt der gestoppt werden musste, und nicht nur irgendwelche sich, einmal darüber nachzudenken. Menschenrechtsverletzungen, wie sie jeden Tag auch in Es scheint, als ob die Tradition einer solchen Außen- einem russischen oder weißrussischen Gefängnis vor- politik, die von den Ostverträgen bis zur deutschen Ein- kommen? heit führte, vollkommen überwunden worden ist. Das (Beifall des Abg. Michael Brand [Fulda] Duckmäusertum gegenüber der US-Administration und [CDU/CSU] – Dr. Alexander Gauland [AfD]: die Unlogik im Umgang mit verschiedenen Konfikten Das ist eine irre Theorie!) machen die Regierung immer unglaubwürdiger. Sie haben dann gesagt, die Abtrennung wäre von uns, (Beifall bei der LINKEN) von der Regierung betrieben worden und an anderen Den völkerrechtswidrigen Krieg gegen Jugoslawien Stellen würden wir nicht so handeln. Ich würde Sie gerne haben Sie mit der Verletzung von Menschenrechten im fragen: Was meinten Sie damit? Welche Abtrennung wird Kosovo begründet. Heute liefern Sie immer mehr Wafen denn von Deutschland aus Ihrer Sicht zu Unrecht kriti- an das menschenrechtsverletzende Land Saudi-Arabien, siert? Welche Abtrennung eines Teils von einem Land das damit auch noch einen Krieg im Jemen führt. Sie be- wird aus Ihrer Sicht zu Unrecht von Deutschland hart nutzen die Argumente immer, wie Sie meinen, sie gerade kritisiert? Ich habe die Position der Linksfraktion immer zu benötigen. so wahrgenommen, dass sie die Abtrennung der Krim, die Annexion der Krim für völkerrechtswidrig hält. Ich Die USA führen gegen China, die EU und andere ei- würde Sie bitten, das hier ausdrücklich klarzustellen. nen Handelskrieg. China traf dann allerdings Trump, weil es Zölle auf die genmanipulierten Sojabohnen erhob. Das (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- hätte die amerikanische Landwirtschaft schwer getrofen SES 90/DIE GRÜNEN) (B) und ihn, Trump, Stimmen gekostet. Sofort reiste Juncker, (D) auch im Auftrag der Bundesregierung, in die USA und Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): erklärte, dass Europa die genmanipulierten Sojabohnen Also, zur ersten Frage. Es gab im Kosovo schlimme abnehmen wird. Statt gemeinsam den Handelskrieg ab- Menschenrechtsverletzungen, auch Tötungen. Ab wann zuwehren, lassen Sie sich teilen und beherrschen. man von einem Genozid spricht, ist zwischen den Wis- (Beifall bei der LINKEN) senschaftlern sehr umstritten. Aber das ist auch gar nicht wichtig. Übrigens reichen mir die Sojabohnen in meinem Super- markt, und genmanipulierte sind bei uns ohnehin verbo- (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Hat der ten. Wir brauchen sie zusätzlich auf gar keinen Fall. UN-Generalsekretär gesagt!) (Beifall bei der LINKEN) Ich habe ja gesagt, dass Sie das darauf gestützt haben. Aber jetzt liefern Sie Wafen, und zwar immer mehr Waf- Unglaubwürdig ist auch, dass Sie das Kosovo von fen an Saudi-Arabien, das die Menschenrechte täglich Serbien ohne Genehmigung des Zentralstaates trennten verletzt und Krieg im Jemen führt. Das ist Ihre Unlogik, und eine Trennung in anderen Fällen scharf kritisieren. Ja die Sie nicht erklären können. was denn nun? Merken Sie das denn gar nicht? (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN – Zuruf des Abg. Das Zweite. Die Trennung ohne Genehmigung des Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Zentralstaates ist immer völkerrechtswidrig. NEN]) (Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: Im Nordirak besuchte ich in der letzten Legislaturpe- Nicht alles, was hinkt, ist rechtswidrig!) riode zusammen mit dem deutschen Generalkonsul ein Flüchtlingslager. Die Mädchen weinten, und zwar des- Sie war bei Serbien völkerrechtswidrig, sie ist durch halb, weil der einzige Lehrer, den sie hatten, ging, weil Russland bei der Krim völkerrechtswidrig. Ich habe das die UN keine 50 Dollar mehr pro Woche hatten, um ihn auch den Kurdinnen und Kurden im Nordirak erklärt. Ich zu bezahlen. Ich habe das der Bundesregierung geschrie- habe es auch den Katalanen erklärt. Wissen Sie, worauf ben. Es hat sie nicht beeindruckt. sich alle stützen? Auf das Kosovo. Die sagen immer: Da ging es doch auch. Warum soll es nicht bei uns gehen? – Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Das war Ihr Fehler. Herr Kollege Dr. Gysi, erlauben Sie eine Zwischenfra- (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Wie ge aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen? war es bei Herrn Milosevic?) 5092 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 48 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 12 September 2018

Dr. Gregor Gysi (A) Ich habe Ihnen damals hier im Bundestag gesagt, dass Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (C) Sie ein schwerwiegendes völkerrechtswidriges Beispiel Als Nächstes spricht zu uns die Kollegin Ekin Deligöz, schafen, auf das sich andere berufen werden. Genauso Bündnis 90/Die Grünen. ist es auch gekommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN)

Jetzt aber zurück. In der Regierungserklärung hat Frau Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bundeskanzlerin Merkel gesagt: Ja, wir haben zu wenig Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Geld an die UN-Hilfsorganisationen gegeben. – Und sie Jetzt stehe ich hier an diesem Pult leider als Haushälterin hat jetzt Afrika und den Libanon besucht. Übrigens: Im und nicht als Außenpolitikerin. Ich habe aber schon zwei Libanon gibt es pro 1 000 Einwohnerinnen und Einwoh- Erkenntnisse gewonnen. In jeder Rede wurde einmal die ner 164 Flüchtlinge, in Deutschland 12. Wir haben pro Situation auf dem Globus umrissen mit einer diferen- Einwohnerinnen und Einwohner das vierfache Bruttoin- zierten Analyse. Die zweite Erkenntnis ist: Wir brauchen landsprodukt. mehr Diplomatie denn je, wenn die deutsche Außenpoli- (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Das kann man tik im Ausland erfolgreich sein soll. nicht vergleichen!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Noch nie haben Sie sich um den Libanon gekümmert. und bei der FDP) Dafür sollten Sie sich einmal schämen. Dann komme ich ganz schnell wieder zum Etat. Dort (Beifall bei der LINKEN) fnden Sie die Antworten auf die zu klärenden Fragen. Ich Abgesehen davon – ich bin gleich fertig –: Jetzt fährt muss hier die Beobachtung meines Kollegen Link, der die Bundeskanzlerin dorthin. Warum werden Sie nie vor- auch Haushälter ist, bestätigen und will mit einem Bei- beugend tätig, sondern erst dann, wenn so viele Flücht- spiel anfangen, das noch nicht einmal den kommenden linge kommen? Etat betrift, sondern den Etat 2018, also den für dieses Jahr . Wir haben ihn erst vor kurzem verabschiedet, wohl Zum Schluss sage ich Ihnen noch etwas: Fällt Ihnen wissend, in welcher Komplexität die Weltlage steckt und nicht auf, dass ein Freihandelsabkommen, wonach ein wo die Konfikte sind. afrikanisches Land alles zollfrei nach Deutschland und Deutschland alles zollfrei in das afrikanische Land lie- Die erste Feststellung kurz nach der Sommerpause ist fern darf, mehr als unfair ist? Müssen wir nicht hier die also, dass dieser Etat ausgerechnet dort, wo das Auswär- Politik wirklich ändern? tige Amt eine der wichtigsten Aufgaben überhaupt hat, (B) kürzt, nämlich bei der humanitären Hilfe des UNHCR. (D) (Beifall bei der LINKEN) Für die humanitäre Hilfe des UNHCR werden im jetzi- gen Etat 2018 circa 150 Millionen Dollar weniger zur Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Verfügung stehen als im Vergleich zum Vorjahr, und Herr Kollege, Sie müssen jetzt wirklich zum Schluss damit auch weniger für seine humanitäre Syrien-Hilfe. kommen. Angesichts der Tatsache – das ist in allen Reden vorge- kommen –, wie brenzlig die Situation vor Ort ist, wie die- ser Konfikt zunimmt und sich zuspitzt und dass davon (DIE LINKE): Dr. Gregor Gysi 3 Millionen Zivilisten betrofen sind, ist es beschämend, Ein letzter Satz. – Zur Türkei wird die Abgeordnete dass aus Deutschland die Nachricht und das Signal aus- Dağdelen sprechen. Letztlich noch ein Hinweis zu Eu- gehen, dass wir ausgerechnet hier bei der humanitären ropa. Hilfe trotz des großen Bedarfs weniger als im Vorjahr zur Verfügung stellen. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Nein, Herr Kollege, Ihre Redezeit ist wirklich deutlich sowie bei Abgeordneten der LINKEN) überschritten. Das darf nicht sein. Hier brauchen wir eine Korrektur. Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Nehmen Sie etwas von dieser Debatte mit, Herr Minister. Wie bitte? Herr Wadephul, Sie haben in Ihrer Rede die Finanz- (Heiterkeit bei der LINKEN) planung angesprochen. Ja, auch wir haben es in den letz- ten Reden mehrfach angesprochen. Es hat sich nur nichts geändert. Diese Finanzplanung ist ja nicht irgendwie eine

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Blumenwiese, wo man mal ein bisschen mehr oder weni- Also einen Satz. ger einstellt, sondern das ist die Grundlage der Planbar- keit der zukünftigen Aufstellung der politischen Arbeit. Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Der Etat nimmt um 530 Millionen Euro im Jahr 2020 Ich will nur, dass wir für die Jugend die europäische ab, 720 Millionen Euro im Jahr darauf, und so geht das Integration retten, aber die EU deutlich und scharf refor- weiter. Das ist vollkommen utopisch. Wo soll denn das mieren, sonst geht das Ganze kaputt. Amt dieses Geld einsparen? Am Ende können Sie es (Beifall bei der LINKEN) doch nur dort kürzen, wo es wirklich wehtut. Wollen wir Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2018 5093

Ekin Deligöz (A) das? Können wir das? Dürfen wir das? Ich sage: Nein, Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (C) genau das dürfen wir nicht. Frau Kollegin. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP) Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Aufgaben, die auf uns zukommen, werden uns et- Das ist mein letzter Satz. – Ich nenne Ihnen da ein was kosten. Ich nenne Ihnen da den nichtständigen Sitz paar: das Deutsche Archäologische Institut, das Zentrum im UN-Sicherheitsrat oder die EU-Ratspräsidentschaft; für Osteuropa- und Internationale Studien und das Insti- diese sind benannt. Aber ich sage auch: Auswärtige tut für Auslandsbeziehungen. Es reicht nicht, nur danach Kultur- und Bildungspolitik ist doch das, was das Bild zu rufen, sondern wir müssen diese Mittel auch einstel- Deutschlands nach außen prägt. Das sind doch unsere len. Visitenkarten im Ausland. Das gilt auch für die Klima- Herr Minister, Sie haben ein SPD-Parteibuch, der Fi- diplomatie. Das gilt auch für die IT-Sicherheit. Da geht nanzminister auch. Ich fnde, an dieser Stelle sollten Sie es nicht nur um neue Computer, da geht es auch um vie- auch die SPD-Politik ernst nehmen. Liebe Kolleginnen les mehr, das daran hängt. Hier sind wir geradezu in der und Kollegen, die Herausforderungen sind da, aber es Pficht, mehr zu investieren. hilft nicht, sie nur zu analysieren, sondern wir müssen Es geht auch um den Mittelbedarf für die Sicherheit auch handeln. von Diplomatinnen und Diplomaten im Ausland. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Alexander Graf Lambsdorf [FDP]: Jawohl! sowie bei Abgeordneten der FDP) So ist es!)

Wir können es doch nicht darauf ankommen lassen, dass Vizepräsident Wolfgang Kubicki: wieder ein Anschlag passiert, bevor wir in die Puschen Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als Nächstes hat für kommen und diesen Auftrag ernst nehmen. Hier sind wir die SPD-Fraktion der Kollege Dr. Nils Schmid das Wort. in der Verantwortung. (Beifall bei der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der Abg. Dr. Nils Schmid (SPD): [CDU/CSU]) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist Sie sagen im Koalitionsvertrag, die Ausgaben für Ver- erfreulich, festzustellen, dass in diesem Hohen Hause teidigung und Außen- und Entwicklungspolitik sollen in ein großer Konsens darüber besteht, dass Europa sein (B) den nächsten Jahren eins zu eins gesteigert werden. Sie Schicksal selber und verstärkt in die Hand nehmen muss. (D) haben Ihr Versprechen gebrochen; denn wir reden schon Es ist ein Verdienst von Bundesaußenminister Heiko längst nicht mehr über diese Wahlperiode, sondern wir Maas, dies konzeptionell und auch praktisch voranzu- reden über die kommende Zeit. Unsere Anfragen an die treiben und anzupacken. betrofenen Ministerien haben eines gezeigt: Sie biegen Diese Realität ist nicht eine, die allein auf eine perso- die Zahlen bis zum Brechen, damit die Zahlen am Ende nelle Veränderung im Weißen Haus zurückzuführen ist. irgendwie passen. Ob am Ende ein Eins-zu-Eins heraus- Vielmehr hat der Rückzug der Vereinigten Staaten aus kommt, ist ungewiss. Das Einzige, was gewiss ist, ist, der multilateralen Ordnung schon früher begonnen. Ich dass das Ministerium von Frau von der Leyen mehr Geld erinnere daran, dass der Senat eine Reihe von interna- kriegen wird. Was mit den anderen zwei Ministerien – tionalen Abkommen, angefangen beim Kyoto-Protokoll dem Auswärtigen Amt und dem Entwicklungsministeri- bis zum Statut über die Einrichtung des Internationalen um – passiert, ist noch unsicher. Ich fnde, es täte Ihnen Strafgerichtshofs, nicht ratifziert hat, gut, wenn Sie sich mal an Ihre Versprechen hielten, die Sie geben. An dieser Stelle ist es mehr als notwendig, (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Schon vorher dass Sie das tun. bei Barack Obama!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lange bevor Herr Trump das Weiße Haus erobert hat. sowie des Abg. Michael Georg Link [FDP]) Deshalb ist es auch kein Zeichen dafür, dass wir uns Es gibt aber auch erfreuliche Sachen. Sie erhöhen zum von Amerika abwenden oder gar einen Graben zwischen Beispiel die Flexibilität im Bereich des Internationalen Europa und Amerika errichten wollen, wenn wir als Eu- Roten Kreuz. Hier haben Sie unsere Unterstützung. Das ropäer eigene Institutionen und Verfahrensweisen schaf- Auswärtige Amt hat defnitiv auch unsere Unterstützung, fen. Denn das eine ist das breite Wertefundament, das wenn es um Personal geht. In manchen Ländern warten andere ist aber, dass wir schon seit Jahrzehnten immer die Leute nicht ein Jahr, sondern zweieinhalb Jahre, um wieder feststellen durften, dass es beispielsweise in Han- überhaupt einen Termin für die Beantragung eines Vi- dels- oder Wirtschaftsfragen unterschiedliche Interessen sums zu erhalten. Da reden wir noch nicht einmal über gibt und es selbstverständlich notwendig ist, dass Eu- die Erteilung eines Visums. Viele Institutionen, die vom ropa dann gemeinsam seine Interessen auch gegenüber Auswärtigen Amt unterstützt werden, bangen um ihre den Vereinigten Staaten von Amerika kraftvoll vertritt. Existenz und sind sich nicht sicher, ob sie die Qualität Deshalb ist die Antwort, eine Allianz der Multilateralis- ihrer Arbeit gewährleisten können, wenn sie nicht mehr ten zu bilden, richtig, und deshalb ist es richtig, dass wir Personal bekommen. im Gegensatz zu „America frst“ oder auch „Russia frst“ 5094 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 48 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 12 September 2018

Dr. Nils Schmid (A) hier als Leitlinie deutscher Außenpolitik „Europe united“ Wochen betrieben hat, unterstützen. Wir werden alles da- (C) ausgeben. für tun, dass wir über solche Gespräche eine humanitäre Katastrophe in Idlib verhindern. Das sollte die Priorität (Beifall bei der SPD – Armin-Paulus Hampel deutscher Außenpolitik in dieser Frage sein. [AfD]: Wie wäre es mit „ frst“? Das geht Ihnen nicht über die Lippen!) Herzlichen Dank. Wenn wir jetzt über die aktuelle Lage in Syrien reden, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten will ich, gerade auch an die Kollegen in der Unionsfrakti- der CDU/CSU) on gerichtet, sagen: Die Frage von Militärschlägen in Sy- rien ist jetzt nicht gerade der Testfall für „Europe united“, Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Beifall der Abg. Dr. Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Schmid. – Als Nächs- [SPD]) tes spricht für die AfD-Fraktion die Kollegin Dr. Birgit sondern ganz im Gegenteil, meine sehr verehrten Damen Malsack-Winkemann. und Herren. Der amerikanische Botschafter lässt über die „Bild“-Zeitung verkünden, die USA würden Militär- (Beifall bei der AfD) schläge vorbereiten und es würde geprüft, ob Deutsch- land sich beteiligen solle. Ich frage Sie, liebe Kollegen Dr. Birgit Malsack-Winkemann (AfD): von der CDU/CSU: Was hat das mit „Europe united“ Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeord- zu tun? Was hat es mit „Europe united“ zu tun, wenn in nete! Wir, die AfD, sind auch beim Einzelplan Auswärti- der amerikanischen Regierung darüber geredet wird, das ges Amt 2019 wieder einmal der ungehörte Prophet: Von Gleiche zu veranstalten, was man im Frühjahr schon mal 5,7 Milliarden Euro, die als Gesamtausgaben geplant veranstaltet hat, nämlich dass man zusammen mit aus- sind, sind mehr als die Hälfte dieser Ausgaben, nämlich gewählten Partnern, darunter auch europäische Partner, 2,9 Milliarden Euro, über sogenannte Deckungsvermer- einen Militärschlag durchführt, der übrigens an der Situ- ke untereinander austausch- und vermischungsfähig. Das ation in Syrien danach gar nichts geändert hat, der völlig bedeutet, dass das für einen Titel geplante Geld genauso folgenlos für die geschundene Zivilbevölkerung geblie- gut für einen anderen im Deckungsvermerk benannten ben ist? Titel verwendet werden kann. Oder anders ausgedrückt: (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie Ofziell plant und diskutiert man eine Küche, gekauft der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE] – Ar- wird dann aber ein Auto. Eine Farce! min-Paulus Hampel [AfD]: Viel Rauch um Die tatsächlich beabsichtigte Verwendung der Steu- (B) nichts!) (D) ergelder wird durch die Existenz der vielen Deckungs- Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren ge- vermerke im Unklaren gelassen – und nachdem wir, die rade von der Union – ich habe auch Stimmen aus der AfD, das wiederholt angemahnt und deren Abschafung FDP in diese Richtung gehört –: Bitte erheben Sie die gefordert haben, wurden die Deckungsvermerke seitens Frage einer möglichen militärischen Beteiligung an ei- der Regierung sogar noch ausgeweitet. nem möglichen Militärschlag der Amerikaner in Syrien nicht zum Testfall für „Europe united“. Es ist genau das Und nicht nur das! Seit 2010 hält diese Regierung – Gegenteil. auch 2019 – an den Ausgaben für Afghanistan fest. 180 Millionen Euro Steuergelder fießen jährlich aus (Beifall bei der SPD – Armin-Paulus Hampel dem Auswärtigen Amt in den Stabilitätspakt Afghanis- [AfD]: Schön, dass ihr euch jetzt untereinan- tan, dazu 250 Millionen aus dem Ressort des BMZ, also der beharkt!) seit 2010 insgesamt 430 Millionen Euro jährlich, und Und dann will ich noch mal darauf hinweisen: Gerade das bis 2024, ohne Kosten für die Bundeswehr. Ziel des wer den Multilateralismus stärken will, wer die regelba- Stabilitätspaktes ist, die politischen und staatlichen Insti- sierte Weltordnung stärken will, der muss natürlich auf tutionen Afghanistans einschließlich der Sicherheit und die Einhaltung des Völkerrechts pochen, Zivilgesellschaft aufzubauen und zu stärken. (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Ach!) Meine Damen und Herren, was hat dieses Projekt be- wirkt? Wie sieht es dort heute aus, nachdem mittlerwei- und zwar in allen Fällen. Wir haben das ja gemeinsam bei le über 3 Milliarden Steuergelder ausgegeben wurden? der Frage des türkischen Militäreinsatzes in Afrin getan. Nach dem Büro der UN für Drogen- und Verbrechensbe- Für die SPD-Fraktion ist klar – das wiederhole ich auch kämpfung in Kabul hat Afghanistan 2017 mit geschätz- gerne an dieser Stelle –: Einen völkerrechts- und damit ten 9 000 Tonnen Opium die größte Schlafmohnernte auch verfassungswidrigen Einsatz deutscher Streitkräf- seiner Geschichte erzielt, und zwar 87 Prozent mehr als te bei einem solchen Militärschlag wird es nicht geben, 2016. Die Anbaufäche wuchs auf rund 328 000 Hektar in meine sehr verehrten Damen und Herren. 2017. Das entspricht 459 000 Fußballfeldern, gleichfalls (Beifall bei Abgeordneten der SPD – ein neuer Rekord. Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: Hat In der nordafghanischen Provinz Balch, in der die ja niemand vorgeschlagen!) Bundeswehr stationiert ist, fanden UN-Beobachter fast Stattdessen wollen wir die politische und diploma- fünfmal so viel Schlafmohn wie 2016. Schlafmohn wird tische Vermittlung, die auch Heiko Maas in den letzten nun in 24 der 34 Provinzen Afghanistans angebaut, und Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2018 5095

Dr. Birgit Malsack-Winkemann (A) 70 bis 90 Prozent des weltweiten Opiums kamen in den Vorstand der Konrad-Adenauer-Stiftung sitzen, hierzu (C) vergangenen Jahren von dort. nichts? Eng verbunden mit den Drogen ist die Korruption. (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Afghanistan befndet sich 2017 nach dem anerkannten Wenn es schon eine derartige personelle Verquickung Korruptionsindex von Transparency International auf aktiver hochrangiger CDU-Parteimitglieder mit ihrer Platz 177 von 180 Plätzen. Die Drogengelder fießen di- eigenen parteinahen Stiftung gibt, die ja eigentlich von rekt in die Korruptionsbudgets, also in die höheren Rän- Gesetzes wegen von der Partei unabhängig sein sollte, ge von Polizei und Regierung, die gezielt wegschauen. stünde es einer Kanzlerin, einem Fraktionsvorsitzenden Eine derartige Explosion des Opiumanbaus wäre sonst und einem Staatssekretär gut zu Gesicht, wenn sie wüss- nicht möglich. Was haben die seit 2010 betriebenen mil- ten, was in den von ihnen besuchten Vorstandssitzungen liardenschweren Investitionen in Afghanistan also bis- der Konrad-Adenauer-Stiftung zur Kontrolle der Mittel- lang gebracht außer Rekorde in der Opiumproduktion verwendung besprochen wird – was sie angeblich als Re- und Rekorde bei der Korruption? gierung nicht tun. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) Afghanistan ist ein schwarzes Loch für das hart erar- beitete Steuergeld unserer Bevölkerung. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Richtig!) Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss, bitte.

Jedenfalls aber fordern wir, die AfD, dieses schwarze Dr. Birgit Malsack-Winkemann (AfD): Loch zu stopfen und weiteren Zahlungen, die das Gegen- Gleich. – Und genau deshalb sind wir, die AfD, hier teil dessen bewirken, was sie bewirken sollen, einzustel- im Deutschen Bundestag; denn wer so handelt, braucht len. sich nicht zu wundern, dass der Frust über diese Regie- (Beifall bei der AfD) rung ins Unermessliche steigt. Und mit Ihrer Unterstüt- zung, verehrte Wählerinnen und Wähler, werden wir die- Wir fordern den Ausstieg aus Afghanistan, und zwar se Missstände beseitigen. jetzt! Wir, die AfD, fordern, dass das vom Steuerzahler hart erarbeitete Geld diesem an erster Stelle auch zugu-

tekommt. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Frau Kollegin! Wir alle wissen, dass die Pfegeversicherung mit circa (B) (D) 3 Milliarden Euro unterfnanziert und durch keine staatli- Dr. Birgit Malsack-Winkemann (AfD): che Säule gestützt ist und unsere Bauern für über 1 Milli- Danke schön. arde Euro angemeldete Schäden nur rund 170 Millionen Euro aus dem Bundeshaushalt erhalten. Ein weiteres Hö- (Beifall bei der AfD) festerben droht, ebenso eine Preisexplosion bei Grund- nahrungsmitteln im Herbst und Winter dieses Jahres. Un- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: sere Infrastruktur verkommt, unsere Schulen und Kitas Angesichts der Tatsache, dass Ihre Redezeit ohnehin sind unterfnanziert. An diesen Stellen fordert die AfD zu Ende war, habe ich darauf verzichtet, Sie zu bitten, zur das Geld ein, das diese Regierung international hinaus- Sache zu sprechen. wirft. Als Nächstes hat für die CDU/CSU-Fraktion der Kol- (Beifall bei der AfD) lege Gunther Krichbaum das Wort. Und was für die internationalen Zahlungen gilt, gilt (Beifall bei der CDU/CSU) erst recht für die parteinahen Stiftungen Ihrer Parteien. Gleich drei verschiedene Ressorts haben die sechs politi- schen Stiftungen Ihrer Parteien mit insgesamt 581 Milli- Gunther Krichbaum (CDU/CSU): onen Euro in 2017 gefördert. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Malsack-Winkemann, ich glaube, Sie wä- (Beifall des Abg. Omid Nouripour [BÜND- ren gut beraten, hinsichtlich der AfD-Finanzen mal für NIS 90/DIE GRÜNEN]) die erforderliche Transparenz zu sorgen, bevor Sie hier 2018 sind es wieder einige Millionen mehr, und 2019 na- das große Wort schwingen. Ich glaube, da gibt es erheb- türlich auch. lichen Redebedarf, was Ihre Partei angeht. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem Und zur Verwendung dieser Hunderte Millionen Euro BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- behauptet diese Regierung laut dem Bund der Steuer- geordneten der FDP) zahler, dass sie nicht wisse, welche internen Kontroll- mechanismen die Stiftungen bei der Überprüfung der Liebe Kolleginnen und Kollegen, Bundeskanzlerin Mittelverwendung haben? Wissen denn die Bundeskanz- Angela Merkel hat heute Morgen zu Recht darauf hinge- lerin Dr. Angela Merkel, Volker Kauder, Vorsitzender wiesen: Wir stehen vor gewaltigen Herausforderungen. der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, und der Parlamen- Mitunter ist aber mein persönlicher Eindruck, dass nicht tarische Staatssekretär Dr. , die allesamt im überall angekommen ist, dass wir diese Herausforde- 5096 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 48 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 12 September 2018

Gunther Krichbaum (A) rungen nur gemeinsam bewältigen können. Dieses „ge- Kollege Wadephul hat richtigerweise darauf hingewie- (C) meinsam“ bezieht sich insbesondere auf die Europäische sen. Union; denn wir können nur in Stabilität in der Europä- ischen Union leben, wenn es auch an den Außengrenzen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) der Europäischen Union Stabilität gibt. Wahr ist aber auch, dass sich Europa außenpolitisch stärker emanzipieren muss, indem es gerade auf dem Das gilt zunächst einmal für die Ukraine; denn der Uk- Feld der Außenpolitik Handlungsfähigkeit beweist. Ich raine-Konfikt ist in Wahrheit nicht nur ein Bürgerkrieg, will hier nicht nur PESCO nennen, sondern auch die sondern ein Krieg zwischen Russland und der Ukraine. Rede von Jean-Claude Juncker, dem Kommissionspräsi- Solange Vereinbarungen, die Russland selbst eingegan- denten, aufgreifen. Er hat in seiner State-of-the-Union- gen ist, gebrochen werden, so lange müssen auch die Rede heute Morgen darauf hingewiesen, dass wir in der Sanktionen aufrechterhalten werden. Ich bin Außenmi- Außenpolitik neue Abstimmungsregeln brauchen, dass nister Maas sehr dankbar, dass er diese Sichtweise teilt wir weg müssen vom Prinzip der Einstimmigkeit, hin zu und jüngst in die Ukraine, vor allem auch in die Ostge- einer qualifzierten Mehrheit. Wenn 55 Prozent der Mit- biete der Ukraine, gereist ist. gliedstaaten, die 65 Prozent der Bevölkerung repräsentie- Wir haben die Herausforderung mit der Türkei. Wir ren, einer Meinung sind, dann muss es möglich sein, in haben eine massive Verschlechterung der wirtschaftli- der Europäischen Union zu entsprechenden Entscheidun- chen Situation. Jeder hat von der Lira-Krise Notiz ge- gen zu kommen. Andernfalls treten wir nur auf der Stelle. nommen, die letztlich auf einer Verschuldung der priva- (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. ten Haushalte basiert, die zu einer Blase geführt haben. Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE Wir haben Syrien. Im Laufe der heutigen Debatte wur- GRÜNEN]) de schon einiges dazu gesagt. Herr Kollege Schmid, es Bei all dem gibt es natürlich auch innereuropäische geht natürlich überhaupt nicht darum, dass hier ein mili- Herausforderungen. Die prominenteste unter allen ist tärischer Erstschlag vorbereitet werden soll. zurzeit der Brexit. Wie ist hier der Stand der Dinge? (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Nein!) Wir verhandeln unter der sehr guten Leitung von Michel Barnier gegenwärtig das Austrittsabkommen; denn am Vielmehr geht es darum, dass wir einem womöglich statt- 29. März 2019 wird Großbritannien defnitiv die Europä- fndenden Einsatz von C-Wafen Einhalt gebieten müs- ische Union verlassen. Uns bleiben für dieses Austritts- sen, der völlig völkerrechtswidrig ist; darüber besteht abkommen aber lediglich noch vier bis sechs Wochen. ja Einigkeit. Ein solcher Einsatz kann letztlich natürlich Denn es muss anschließend noch in allen Mitgliedstaa- (B) nur auf Basis eines UN-Mandats erfolgen. Das Prinzip ten der Europäischen Union ratifziert werden, auch hier (D) „Responsibility to Protect“, das die Briten ins Feld füh- bei uns im Deutschen Bundestag. Die Zeit, Herr Kollege ren, würde nicht greifen, weil die dafür notwendigen Vo- Graf Lambsdorf, ist dafür denkbar knapp. Das wissen raussetzungen fehlen. Es geht letztlich darum, Druck auf wir alle. Russland auszuüben, damit Russland an den Verhand- (Alexander Graf Lambsdorf [FDP]: Aber das lungstisch zurückkehrt. Austrittsabkommen geht nur durch das Euro- (Beifall des Abg. Roderich Kiesewetter [CDU/ paparlament!) CSU] – Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE] Nachher haben wir, was die weiteren, die ferneren meldet sich zu einer Zwischenfrage) Beziehungen angeht, die Entscheidung des Europäischen Wir haben den Fall der USA. Wir haben einen völlig Parlaments. Das ist jetzt genau mein Punkt: Wir müssen unberechenbaren amerikanischen Präsidenten. Wir haben aufpassen, dass es – nicht nur bei der Frage Nordirland/ hier vor allem ein mangelndes Bekenntnis zu multilate- Irland, sondern auch bei den zukünftigen Handelsbezie- ralen Vereinbarungen; siehe jüngst das Thema Strafzölle hungen – keine wachsweichen Formelkompromisse gibt, und den Ausstieg aus dem Klimaabkommen. weil wir dann als Deutscher Bundestag nicht mehr im Spiel wären. Denn das ist dann – in Anführungszeichen – „lediglich“ eine Entscheidung des Europäischen Parla- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: ments. Mit 80 Prozent aller Punkte sind wir durch. Aber, Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage aus wie gesagt, wir müssen aufpassen, dass es hier keine fal- der Fraktion Die Linke? schen Kompromisse gibt. Was ich damit meine, ist: Gerade im Hinblick auf den Gunther Krichbaum (CDU/CSU): Handelsbereich gelten die vier Grundfreiheiten der Euro- Im Augenblick nicht. Danke. päischen Union einschließlich der Jurisdiktion des Euro- päischen Gerichtshofes. Diese dürfen nicht aufgeweicht Dennoch müssen wir aufpassen, dass wir aufgrund all werden. Würden wir eine Aufweichung zulassen, käme dieser Umstände die Beziehungen zu den USA nicht so es zu einer Rosinenpickerei, die uns am Ende des Tages verschlechtern, dass sich eine Äquidistanz herausbildet, einholen würde, genauso wie wir es analog schon einmal dass es gewissermaßen gleichgültig erscheint, ob sich mit den Opt-outs erlebten, die gemacht wurden, um Ei- die Beziehungen zu Russland und den USA auf einem nigkeit mit Großbritannien hinzubekommen, die uns aber Niveau befnden. Das wäre ein riesengroßer Fehler. Die am Ende alle eingeholt haben. Diesen Fehler dürfen wir USA sind und bleiben unser wichtigster Bündnispartner; kein zweites Mal machen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2018 5097

Gunther Krichbaum (A) Wir reden heute über den Bundeshaushalt 2019. Dass Herr Kollege Krichbaum, nachdem die Verteidigungs- (C) es durch den Austritt Großbritanniens zu fnanziellen ministerin Frau von der Leyen, die ja Ihrer Fraktion und Deckungslücken kommen wird, ist jedem klar, auch bei Ihrer Partei angehört, geäußert hat, dass die Bundeswehr allen Einsparungen auf der Ebene der Europäischen Uni- sich an einem möglichen Vergeltungsschlag für einen on. Gleichwohl gilt natürlich, auch wenn in einer Über- potenziellen Giftgasanschlag in Syrien beteiligen würde, gangsphase von zwei Jahren bis auf Weiteres alles erst einmal so weitergehen kann, dass auch im Bundeshaus- (Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: halt Vorsorge getrofen werden muss. Das jedenfalls ver- Das stimmt überhaupt nicht!) misse ich beim Bundeshaushalt 2019. ist in der Bevölkerung erhebliche Verunsicherung aufge- kommen, ob und inwieweit diese Bundesregierung in der Volker Kauder, unser Fraktionsvorsitzender, hat völlig Lage und willens ist, sich an das Grundgesetz zu halten. recht: Nicht nur das, was wir in Deutschland geschafen haben, kann uns mutig und zuversichtlich für die Zu- (Beifall der Abg. Franziska Gminder [AfD]) kunft stimmen, sondern auch das, was wir in Europa ge- schafen haben, sollte uns allen Anlass sein, mit Mut und Ich bin dafür, dass Sie noch einmal klar und deutlich Zuversicht die vor uns liegenden Herausforderungen zu sagen, dass ein verfassungswidriger Einsatz der deut- meistern. schen Bundeswehr bei einem sogenannten Vergeltungs- schlag weder die Unterstützung der CDU/CSU-Fraktion Herzlichen Dank. in diesem Hause noch die Unterstützung der von Ihnen getragenen Bundesregierung bekommen würde. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vielen Dank, Herr Kollege Krichbaum. – Das Wort zu Vizepräsident Wolfgang Kubicki: einer Kurzintervention hat die Kollegin Vogler von den Ich sehe, Sie wollen antworten, Herr Kollege Linken. Krichbaum. Ich möchte geschäftsleitend darauf hinweisen, dass es Gunther Krichbaum (CDU/CSU): nicht zur Übung werden sollte, dass, wenn Zwischenfra- gen vom Redner nicht zugelassen werden, anschließend Frau Kollegin, Sie haben ganz ofensichtlich der Bun- Kurzinterventionen folgen. deskanzlerin nicht zugehört heute Morgen; erster Punkt. Frau Kollegin Vogler, Sie haben das Wort. Zweiter Punkt. Natürlich gilt es, militärische Optio- (B) nen zu prüfen, und anschließend entscheidet darüber die (D) (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Politik. NEN]: Für diese Warnung kommen Sie Dritter Punkt. Ich fnde es klasse, dass Sie sich jetzt 40 Jahre zu spät!) hier zur neuen Gralshüterin der Bundeswehr erklären, wo Sie doch die Bundeswehr selbst abschafen möchten. Kathrin Vogler (DIE LINKE): Herzlichen Dank. Herr Präsident, ich danke Ihnen, dass Sie die Kurzin- tervention zulassen, und möchte darauf hinweisen, dass (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. es in den letzten Jahren, in denen ich hier im Parlament Michael Georg Link [FDP]) war, durchaus zur Übung gehörte, so auf eine nicht zuge- lassene Zwischenfrage zu reagieren. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Ich möchte den Kollegen Gunther Krichbaum auf das Als Nächster hat das Wort der Kollege Alexander Graf Büchlein, das wir alle in unseren Konsolen hier liegen Lambsdorf, FDP. haben, hinweisen. Es ist das Grundgesetz der Bundesre- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) publik Deutschland. Das sollte das sein, was uns Abge- ordnete bei unserer Tätigkeit leitet. Ich möchte aus ge- gebenem Anlass mit Erlaubnis des Präsidenten aus dem Alexander Graf Lambsdorf (FDP): Grundgesetz den Artikel 87a Absatz 1 und 2 zitieren. Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Dort heißt es: Herren! Zwei Jahre nach der Wahl Donald Trumps, zwei Jahre nach dem Brexit-Referendum, kurz vor dem Aus- (1) Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf. tritt Großbritanniens aus der Europäischen Union, drei (Alexander Graf Lambsdorf [FDP]: Die Jahre nach dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise, vier wollt ihr doch abschafen!) Jahre nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim und im achten Jahr des syrischen Bürgerkriegs steht die Ihre zahlenmäßige Stärke und die Grundzüge ihrer Analyse fest: Wir stehen vor den größten außenpoliti- Organisation müssen sich aus dem Haushaltsplan schen Herausforderungen seit mehr als 25 Jahren. ergeben. Gleichzeitig können wir die traditionellen Partner- (2) Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte schaften nicht mehr als selbstverständlich ansehen. Die nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es multilaterale Weltordnung um uns herum ist in ihren ausdrücklich zulässt. Grundfesten erschüttert. Die OSZE steckt in einer tiefen 5098 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 48 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 12 September 2018

Alexander Graf Lambsdorf (A) Krise. Die Europäische Union ist im Jahr vor der Par- klar: Allein die Steigerung des Verteidigungshaushaltes (C) lamentswahl in einer schwierigen Situation. Die Fonds von 2017 bis 2019 ist höher als der gesamte Haushalt und Programme der Vereinten Nationen sehen sich Haus- des Auswärtigen Amtes. Meine Damen und Herren, da- haltskürzungen der Amerikaner gegenüber. bei kann es nicht bleiben; denn die Diplomatie ist unsere erste Verteidigungslinie. Die Amerikaner waren bisher der Garant und Vor- kämpfer des Multilateralismus. Sie haben sich aus dem (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Richtig!) Pariser Klimaabkommen zurückgezogen. Sie erheben Willkürzölle, zweifeln die Legitimität der Welthandels- Wenn Diplomaten erfolgreich sind, brauchen Sie weni- organisation an, haben sich aus dem Bevölkerungsfonds ger Soldaten im Einsatz. Deswegen steht die Fraktion der Vereinten Nationen, aus dem Hilfswerk für die Paläs- der Freien Demokraten für Aufwüchse im Einzelplan 05, tinenser, aus dem Iran-Abkommen, aus dem Menschen- beim Auswärtigen Amt. In Diplomatie zu investieren, rechtsrat und sogar aus der UNESCO zurückgezogen. heißt, in Frieden zu investieren. Meine Damen und Herren, Heinrich August Wink- (Beifall bei der FDP sowie des Abg. ler hat kürzlich geschrieben, dass er fürchte, mit der ­Armin-Paulus Hampel [AfD]) Krim-Krise breche das Ende des liberalen Zyklus an – liberal jetzt nicht im parteipolitischen Sinne, so sym- Es ist mir völlig unverständlich, warum das Auswärti- pathisch mir das wäre, sondern im Sinne der liberalen ge Amt in dieser Bundesregierung wie ein Stiefkind be- internationalen Ordnung, die regelbasiert ist und auf trachtet wird. Im BMF steigen die Personalkosten erneut Multilateralismus aufbaut. um 10 Prozent, gegenüber 2016 sogar um über 20 Pro- zent. Das Budget für die Personal- und Sachkosten im Deutschland, ein Land mit unserer Geschichte, Ex- Auswärtigen Amt steigt nicht nur nicht an, es sinkt sogar portweltmeister, in der Mitte Europas, muss darauf neue weiter. Herr Maas, Sie sind der erste Außenminister, bei Antworten fnden und darf nicht im Klein-Klein der Ta- dem mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Inland ar- gespolitik stecken bleiben. Wenige Länder sind so auf beiten als im Ausland; Sie sind sozusagen der inwärtige regelbasierte Zusammenarbeit in multilateralen Organi- Minister anstatt der Minister für Außenpolitik. sationen angewiesen wie Deutschland. Hinzu kommt, dass die Struktur im Haus selber inzwi- Herr Maas, Sie haben das genau richtig gesagt. Sie schen einen völlig hypertrophen Leitungsbereich kennt. haben hier gesagt, dass Deutschland den Multilateralis- Im Büro Staatssekretäre haben wir inzwischen 18 Stel- mus stärken will, Sie haben gesagt, was Deutschland tun len – das waren mal 4 –, während gleichzeitig Baumaß- will – aber wie Sie das machen wollen, dazu haben Sie nahmen für Diplomatinnen und Diplomaten, die an ge- in dieser Haushaltsdebatte kein einziges Wort gesagt. Sie (B) fährlichen Orten im Einsatz sind, nicht fnanziert werden (D) haben Tausende Mitarbeiter, Herr Maas, Beamte in al- können. Da läuft alles schief. Ich glaube, die Sicherheit len Laufbahnen, Angestellte, Ortskräfte auf der ganzen unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Ausland Welt. Die zählen auf Sie, die zählen darauf, dass Sie für sollte eine höhere Priorität haben als die üppige Ausstat- sie kämpfen. Man möchte Sie förmlich schütteln, dass tung des Leitungsbereichs. Sie Ihrer Führungsverantwortung im Haushaltsverfahren mal nachkommen. Aber, meine Damen und Herren, wer (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten sich auf Sie verlässt, lieber Herr Maas, der ist wahrlich der AfD) verlassen. Es gibt Möglichkeiten, die Politik efzienter zu ge- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) stalten. Ich würde mir beispielsweise wünschen, dass Das zeigt der Blick auf die Haushaltsplanung. Wir sehen in Europa der Europäische Auswärtige Dienst durch die beim Bundesverteidigungsministerium einen deutlichen Bundesrepublik Deutschland weiter gestärkt wird und Zuwachs in der Planung. Meine Fraktion unterstützt den, wir mit unseren Partnern in der Europäischen Union zu wir wollen die bestmögliche Ausrüstung, Ausbildung einer gemeinsamen Vergabe von Schengen-Visa kom- und Betreuung für die Soldatinnen und Soldaten der men. Warum muss das jede nationale Botschaft alleine Bundeswehr. machen? (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Das wollen (Beifall des Abg. Gunther Krichbaum [CDU/ wir auch!) CSU]) Wir sehen einen sparsameren Ansatz für die Zukunft des Alle hängen am selben Schengen-Informationssystem. Entwicklungsministeriums. Beim BMZ ist schon rela- Das können wir gemeinsam efzienter machen als bisher. tiv viel Geld. Wir sind der Meinung, da sind noch große (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Gunther Efzienzreserven, die man nutzen kann. Aber während Krichbaum [CDU/CSU]) wir Zuwächse beim Verteidigungsministerium und ei- nen verantwortungsvollen Ansatz beim Entwicklungs- ministerium haben, müssen wir feststellen, dass es beim Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Auswärtigen Amt richtig schlecht aussieht: Mit einem Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege. Volumen von ungefähr 5,5 Milliarden Euro steht dem Auswärtigen Amt erheblich weniger Geld zur Verfügung als beiden anderen Ministerien, und der Ansatz soll so- Alexander Graf Lambsdorf (FDP): gar noch weiter sinken. Machen Sie sich bitte mal eines Und das ist mir wichtig. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2018 5099

Alexander Graf Lambsdorf (A) Mit mehr Geld allein ist noch nichts gewonnen. Der Ich hätte mir auch gewünscht, dass Sie als Mitglied dieser (C) richtige und efziente Einsatz, wie Michael Link ihn hier Regierung hier im Bundestag nicht ihre eigene Parteivor- präsentierte, ist der Grundpfeiler. Wichtig ist uns, dass sitzende Andrea Nahles, die sich ganz klar entschieden die Ministerien für die 3 D – Defense, Development und gegen einen Einsatz am Krieg in Syrien entschieden hat, Diplomacy: Verteidigung, Entwicklung und Diploma- brüskieren, und ich hofe, dass die SPD hier standhaft bei tie – endlich anfangen, eine gemeinsame Strategie zu ihrem Nein zum Krieg in Syrien bleibt. verfolgen, ihre Zuständigkeiten klar zu regeln und ihre (Beifall bei der LINKEN) Gelder efzient zu nutzen. Ich hofe auch, dass Sie, Herr Maas, Ihre Kabinettskol- Herzlichen Dank. legin Frau von der Leyen mit ihrer Kriegstreiberei hier (Beifall bei der FDP) stoppen können, die nichts anderes macht, als Säbelras- seln und Kriegsgeheul zu veranstalten. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Beifall bei der LINKEN) Vielen Dank, Kollege Graf Lambsdorf. – Als Nächstes Ich fnde es erschreckend, dass es in den Reihen der für die Fraktion Die Linke die Kollegin Sevim Dağdelen. FDP und auch in den Reihen der Grünen tatsächlich Poli- (Beifall bei der LINKEN) tiker gibt, die dieser Kriegshetze auch noch beispringen. (Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Was heißt denn hier „Kriegshetze“? Dort wird Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kol- Giftgas eingesetzt! Dazu können Sie mal was legen! Es ist wirklich erschreckend, wie sehr sich die sagen!) Bundesregierung der Aufrüstung statt der Diplomatie Statt immer neuer Kriegsdrohungen in Syrien brauchen verschrieben hat. Statt die Mittel für Diplomatie und Ent- wir endlich eine Initiative für einen Wafenstillstand und wicklungszusammenarbeit massiv aufzustocken, wird einen Wiederaufbau Syriens. Hier ist Diplomatie gefragt. der Militärhaushalt 2019 von 38 Milliarden Euro auf fast Wer aber bei seiner Audienz in Erdogans Präsidenten- 43 Milliarden Euro erhöht. Das ist eine Steigerung von palast zur völkerrechtswidrigen Besetzung von Afrin über 11 Prozent. und der wirklich hunderttausendfachen Vertreibung von Dazu kommt, dass die Bundesregierung auch auf die Menschen durch die türkische Armee an der Seite von Verdoppelung des Rüstungshaushalts auf 85 Milliarden islamistischen Mörderbanden schweigt, der kann eben Euro pro Jahr zielgerichtet hinarbeitet. auch kein ehrlicher Makler im Falle Idlib sein. (B) (Dr. [FDP]: Leider nicht!) (Beifall bei der LINKEN – Roderich (D) Kiesewetter [CDU/CSU]: Sie verschweigen Da wünschte ich mir von einem sozialdemokratischen Assads Giftgasmorde!) Außenminister, dass er sich nicht nur zu Wahlkampfzei- ten, sondern auch in der Regierung gegen diesen Irrsinn Sie geben vor, in Syrien aus humanitären Gründen in- aufstellt. tervenieren zu wollen. (Beifall bei der LINKEN) (Roderich Kiesewetter [CDU/CSU]: Sie ver- schweigen die Fassbomben!) Man fragt sich auch, warum so viel Steuergeld in Rüs- tung und Militär gesteckt werden soll. Ist es denn wirk- Aber ich frage Sie: Wo bleibt denn Ihre Humanität in lich so erstrebenswert, Deutschland zur stärksten Militär- Sachen Jemen? Ihre Fürsten der Finsternis, Ihre Partner macht in Europa zu machen? Herr Maas, ich frage Sie: in Saudi-Arabien, bombardieren seit Jahren den Jemen. Ist das etwa unsere Lehre aus den zwei Weltkriegen? Und Sie? Was machen Sie? Sie rühren nicht einen Fin- ger. Ganz im Gegenteil: Sie liefern dieser Mörderbande (Beifall bei der LINKEN) in Riad noch die Kriegsschife, wodurch die Seeblockade Oder geht es gar darum, weltweit völkerrechtswidrige gegen die hungernde Bevölkerung im Jemen aufrecht- Kriege führen zu können? Wer sich die aktuelle Diskussi- erhalten wird, und Sie liefern Bauteile für saudische on zur Beteiligung Deutschlands an einem Angrifskrieg Kampfjets zur Bombardierung von Schulbussen im Je- Trumps gegen Syrien anschaut, dem muss sich dieser men. Gedanke geradezu aufdrängen. Wer zu einem völker- (Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: rechtswidrigen, grundgesetzgesetzwidrigen Angrif mit Nein!) der Bundeswehr bläst, der muss sich den Vorwurf der Kriegstreiberei gefallen lassen. Ihre Verlogenheit in Sachen Humanität stinkt einfach zum Himmel. Hören Sie mit dieser Verlogenheit auf! (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Ich hätte mir gewünscht, Herr Maas, dass Sie in der Wir brauchen eine Wende in der Außenpolitik. Wir Tradition des sozialdemokratischen Außenministers und brauchen eine friedliche Außenpolitik und kein Kriegs- Bundeskanzlers sowie Friedensnobelpreisträgers Willy geschrei, Kriegsgeheul und Säbelrasseln. Brandt Krieg als „Ultima Irratio“ eine klare Absage er- teilen. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) 5100 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 48 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 12 September 2018

(A) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: beiten und nicht dafür, wie sie den Parlamentsvorbehalt (C) Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als Nächstes für Bünd- umgehen kann. nis 90/Die Grünen der Kollege Omid Nouripour. Meine Damen und Herren, wir haben es in der Außen- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN politik zurzeit mit ganz viel politischer Schizophrenie zu sowie des Abg. [FDP]) tun. Heiko Maas hält ziemlich gute Reden. Er schreibt auch ziemlich spannende Dinge, die ich schätze: Die Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): US-Administration sei eine Herausforderung von bisher Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Während ungeahnter Art – diese Ansicht teile ich. Unsere gemein- wir hier heute den Haushalt diskutieren, braut sich in samen Werte seien bedroht – das stimmt. Europa müsse ­Idlib die Hölle zusammen. Es fehlt mittlerweile an allem: endlich auf eigenen Füßen stehen. Wir brauchen eine Al- Es gibt kaum mehr Krankenhäuser, kaum mehr Pharma- lianz der Multilateralisten – das alles stimmt. zie, kaum mehr Lebensmittel. Eltern können nicht mehr in die Gesichter ihrer Kinder gucken und ihnen verspre- Das Problem ist: Wenn es konkret wird, schlägt sich chen, dass sie in einem Monat noch am Leben sind. Ich die Bundesregierung in die Büsche. Da kommt die ka- wünsche mir, dass wir mehr über diese Lage reden und nadische Außenministerin extra in Ihr Haus, Herr Maas, dieser Situation mehr Aufmerksamkeit schenken, statt und fordert im Namen unseres Wertepartners Kanada uns in dieser gesamten Debatte mit hypothetischen Dis- Unterstützung in der Auseinandersetzung mit Saudi-Ara- kussionen aufzuhalten. bien. Sie reden direkt danach hier im Bundestag und sa- gen kein einziges Wort zu diesem Konfikt. Wo ist denn (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der deutsche Beistand für Kanada? Sie schlagen sich in sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und die Büsche. der SPD und des Abg. Ulrich Lechte [FDP]) Wenn es ein Mandat der Bundesregierung für eine mi- Die Menschen im Iran gehen auf die Straße. Es ist litärische Beteiligung gibt, dann werden wir das natürlich zwar dringend notwendig, dass wir alles daransetzen, das überprüfen, egal welche Optionen es enthält. Wir werden Atomabkommen zu retten. Aber kein einziges Wort der entscheiden, wenn ein Mandat vorliegt. Selbstverständ- Bundesregierung zur Situation im Iran, zu den Protesten lich werden wir es dann ablehnen, wenn es keine völker- im Land und zu Menschenrechtsverletzungen. Sie schla- rechtliche Grundlage hat. Selbstverständlich ist „Vergel- gen sich in die Büsche. tung“ keine Kategorie des Völkerrechts; das wissen wir alle. Kein Wort zu den Kriegsverbrechen Saudi-Arabiens. Immer wenn ein Schulbus bombardiert wird – es gibt (B) Aber es geht nicht, dass die Frau Bundeskanzlerin – es sehr viele ähnliche und vergleichbare Geschehnisse im (D) ist nicht mein Job, die SPD zu verteidigen – heute in ihrer Jemen –, heißt es: Es ist wichtig, das zu prüfen. – Sie Rede so tut, als wäre es der SPD egal, ob Chemiewafen schlagen sich in die Büsche. in Syrien eingesetzt werden oder nicht. Das geht einfach gar nicht. Ich glaube, dass dieser Konsens zwischen uns (Alexander Graf Lambsdorf [FDP]: Dann nicht aufgebrochen werden sollte. Es geht auch nicht, können wir jetzt CETA ratifzieren, oder?) dass sie sich hierhinstellt und jetzt nach 500 000 Toten in Syrien – die allermeisten von ihnen sind Opfer von Artil- Wenn dann der Innenminister statt des Europaminis- lerie und Fassbomben – erklärt, ein Einsatz von Chemie- ters zum Thema Brexit einen Brief schreibt, der die ge- wafen könne uns nicht egal sein. samte Politik der Bundesregierung in Brüssel komplett (Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: desavouiert, gibt es kein einziges Widerwort des Europa- Das hat sie auch nicht gesagt!) ministers. Sie schlagen sich auch da in die Büsche. Ich glaube, dass wir uns die gesamte Katastrophe und Wenn Sie eine Allianz der Multilateralisten wollen – die humanitäre Notlage dort in Gänze anschauen müs- noch einmal: wir teilen diese Einschätzung –, dann brau- sen und nicht immer nur punktuell schauen, wenn es um chen Sie dafür einen Unterbau. An ihren Zahlen sollst du Chemiewafen geht. sie messen, heißt es in Haushaltsdebatten. Ein Blick in den Haushalt zeigt: Es gibt ganz wenig Zuwachs in den (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Auslandsvertretungen und null bei der Personalreserve. sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Ulrich Lechte [FDP]) Wir haben hier schon vor wenigen Monaten einen Die jetzige Debatte führt an den Kernfragen vorbei. Haushalt beraten und waren uns alle einig, dass im Ko- Eine Frage ist: Wo war Europa die letzten Jahre? Ande- alitionsvertrag zu Recht steht: Das Gesetz für den Aus- re Fragen sind: Soll Vergeltung jetzt so etwas wie die wärtigen Dienst muss erfüllt werden. Das heißt, wir brau- Wiedergutmachung für das Fehlen einer Politik in den chen Personalreserve, und das sind nicht etwa Leute, die letzten Jahren sein? Wie kommt jetzt Hilfe dahin? Was zu Hause herumhängen und warten, dass sie eingesetzt passiert eigentlich, wenn die Türkei und Russland, deren werden. Das sind vielmehr Leute, die andere zum Bei- militärische Aktionen nicht besonders gut abgestimmt spiel dafür entlasten, dass sie ihre Sprachkurse machen werden, so gegeneinanderlaufen, dass die Türkei in den können. Diese Personalreserve existiert nicht, und nach NATO-Rat kommt und sich beschwert? Ich wünschte dem vorliegenden Haushalt wird sie auch weiterhin nicht mir, die Bundesregierung würde dafür Szenarien erar- existieren. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2018 5101

Omid Nouripour (A) Noch einmal: An Ihren Zahlen werden wir Sie mes- erklären, beispielsweise wieso er so lange Herrn Orban (C) sen, nicht an Ihren schönen Floskeln. quasi gestützt hat. Jetzt ist es ofensichtlich, dass diese Unterstützung schon lange in die falsche Richtung ging. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP) (Zuruf des Abg. [CDU/CSU]) Das ist klar, Herr Kollege Hahn. Denn Herr Orban war ja Vizepräsident Wolfgang Kubicki: auch auf Ihren Parteitagen. Jetzt sehen wir, wie das Gan- Herzlichen Dank. – Als Nächstes für die SPD-Frakti- ze zu würdigen ist. Wir sind gespannt, wie das Verfahren on der Kollege Christian Petry mit einem Dreiminuten- ausgeht. beitrag. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Vor diesem Hintergrund ist auch die Rede von Jean-Claude Juncker zu sehen. Auch 10 000 zusätzli- Christian Petry (SPD): che Grenzschützer werden wahrscheinlich nicht ausrei- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- chen; das wissen wir. 45 000 Kilometer Wassergrenze, ren! Herr Nouripour, ich habe eine andere Aufassung 9 000 Kilometer Landgrenze und 480 Flughäfen hat über das, was Heiko Maas als Bundesminister macht und die Europäische Union. Es ist mit Sicherheit auch mit wozu er sich äußert, und zwar sehr deutlich äußert. Sie 10 000 Personen ambitioniert, das zu erfüllen, was hier haben gesagt, Sie lesen das und lesen es auch gerne. Ich im politischen Raum erwartet und diskutiert wird. würde Ihnen empfehlen, alles zu lesen. Das wird Geld kosten. Das soll mein letzter Punkt in (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- den drei Minuten Redezeit sein. Herr Oettinger wirbt ja NEN]: Jetzt aber!) dafür, dass die Europäische Union stärker ausfnanziert Dann haben Sie einen Gesamtüberblick. Das tut auch et- wird. Herr Oettinger wirbt für Eigenmittel. Das ist eine was zur Sache. spannende Diskussion. Er wirbt für Steuern: Plastik-, Digital- und Transaktionsteuer. Das ist absolut zu unter- Ich möchte Heiko Maas ausdrücklich danken, dass er schreiben. bzw. insbesondere seine Mitarbeiterinnen und Mitarbei- ter in den deutschen Auslandsvertretungen in unermüd- Die 1-Prozent-Grenze für Eigenmittel, die am Ende lichem Einsatz – auch im diplomatischen Einsatz – die den Haushalt aufüllen, sollte keine fxe Grenze sein; Interessen der Bundesrepublik Deutschland und deren der Haushalt soll ausfnanziert sein. Denn wir wollen die Bevölkerung so hervorragend vertreten. Ich glaube, das zusätzlichen Ausgaben fnanzieren. Von daher muss es (B) ist ganz wichtig, und die Stimme von Heiko Maas wird möglich sein, der Europäischen Union verstärkt Eigen- (D) auch gehört. Es ist, glaube ich, nicht angebracht, Herr mittel zu verschafen. So können wir das Ziel, das wir Nouripour, in der Art und Weise, wie Sie es gemacht ha- hier im Bundestag vereinbart haben, erreichen. ben, die Dinge nur sehr selektiv wiederzugeben. Es sind also spannende Zeiten. Danke schön, Herr (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Maas. Wir wünschen, dass dies in den kommenden Jah- NEN]: Dann sagen Sie mal!) ren auch gut umgesetzt wird. 5,6 Milliarden Euro für das Auswärtige Amt und In diesem Sinne: Glück auf! 1,5 Milliarden Euro für humanitäre Hilfe: Das ist okay. (Beifall bei der SPD) Herr Link und Herr Lambsdorf, es gibt immer Unter- stützung, wenn es um mehr Geld geht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das jemand ablehnt. Aber ich bin Vizepräsident Wolfgang Kubicki: gespannt, wie die Außenpolitik bzw. die Europapolitik in Vielen Dank, Herr Kollege Petry. – Als Nächstes für die Ihrer Fraktion am Ende aussieht und ob Sie sich im Block CDU/CSU-Fraktion der Kollege Roderich Kiesewetter. Link/Lambsdorf gegen Herrn Vizepräsident Kubicki (Beifall bei der CDU/CSU) und Herrn Lindner durchsetzen. Das wird eine spannen- de Geschichte. Roderich Kiesewetter (CDU/CSU): (Alexander Graf Lambsdorf [FDP]: Wir sind Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- uns völlig einig!) ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte hat in Sie können versichert sein: Ich bin auf Ihrer Seite. der Mitte des Hauses gezeigt, wie angenehm nüchtern die Herausforderungen, vor denen unser Land steht, beraten (Alexander Graf Lambsdorf [FDP]: Wie werden. Weder hilft es uns, nationale Abschottung zu be- immer sind wir uns völlig einig!) treiben, noch helfen uns romantische Vorstellungen auf – Ja, das merkt man. der anderen Seite des Hauses, uns gänzlich von der inter- nationalen Globalisierung heraushalten zu können. We- Interessant ist auch, was heute im Europäischen Par- der romantische Vorstellungen noch nationaler Rückzug lament passiert ist. Nicht nur das „Stop-Soros“-Geset- sind die Lösung. Ich halte es für ganz entscheidend, dass zespaket hat dazu geführt, dass man dort überzeugt ist, wir den Blick auch einmal auf das Machbare richten. dass die Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in Ungarn gefährdet sind. Das ist natürlich ein Problem für die Hier sage ich als Vertreter der CDU/CSU, dass es EVP-Fraktion. Der Spitzenkandidat Weber hat einiges zu uns ganz entscheidend darauf ankommt, die Strahlkraft 5102 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 48 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 12 September 2018

Roderich Kiesewetter (A) Europas wiederherzustellen. Europa ist mit seiner Re- Europa. Aber dieses Abkommen wurde zunächst einsei- (C) geltreue, mit seiner Unterstützung einer regelbasierten tig von Russland suspendiert. Wir müssen uns Gedanken internationalen Ordnung erheblich unter Druck geraten machen, wie wir das Personal bzw. die Fachexpertise, durch Interessenpolitik, die aus verschiedenen Richtun- die inzwischen aus den Bereichen der Rüstungskon- gen, um Europa herum, betrieben wird. Deshalb ist es so trolle, Verifkation und Abrüstung abzuwandern drohen, entscheidend – der Außenminister hat das angesprochen Herr Außenminister, halten können, wie wir junge Diplo- genauso wie der Kollege Wadepfuhl, Herr Nouripour, matinnen und Diplomaten überzeugen können, die The- Graf Lambsdorf und Herr Link –, dass wir, wie Gunther men „Rüstungskontrolle“ und „Rüstungsverifkation“ Krichbaum betonte, alles daransetzen, dass wir uns in auf der Tagesordnung zu behalten. Auf der einen Seite Europa abstimmen und eine klare europäische Strategie steht unsere Rückversicherung bzw. unser glasklares Be- entwickeln. In der Praxis heißt das aber, dass wir uns kenntnis zu einer besseren Ausrüstung der Bundeswehr. mit Frankreich viel stärker ins Benehmen setzen müs- Auf der anderen Seite müssen wir alles tun, dass wir die sen. Nur mit Frankreich werden wir auch die Strahlkraft 80er-Jahre in unserem Land nicht wieder aufeben las- entwickeln, dass sich andere europäische Länder dem sen und nicht eine Debatte über Mittelstreckenraketen deutsch-französischen Motor anschließen. Das bedeutet, bekommen, die mit Kaliningrad und der Stationierung dass wir uns viel stärker darum kümmern müssen, wie der NATO-Raketenabwehr in Rumänien zu tun hat. Hier wir Krisenprävention, Krisenvorsorge leisten und wie müssen wir gerade als Bundesrepublik Deutschland für wir Krisennachsorge leisten. Deswegen unterstützen wir Transparenz sorgen. Verifkation und Rüstungskontrolle als Union den Ansatz des Auswärtigen Amtes, mehr in müssen auf der Tagesordnung bleiben. Sonst haben wir zivile Krisenprävention und auch in ein entsprechendes einen Wettbewerb, der Ressourcen bindet. Einen solchen Kompetenzzentrum zu investieren. Wir betonen aber können wir nicht gebrauchen. auch, dass es, wenn wir den vernetzten Ansatz wollen, entscheidend darauf ankommt, militärisches Können, di- Abschließend: Heute auf den Tag genau vor 28 Jah- plomatisches Verständnis und Entwicklungszusammen- ren, am 12. September 1990, wurde der Zwei-plus-Vier- arbeit viel besser miteinander zu vernetzen. Das eine tun, Vertrag unterzeichnet. Der heutige Bundestagspräsident ohne das andere zu lassen! war damals wesentlich federführend aufseiten der alten Bundesrepublik. Über den Zwei-plus-Vier-Vertrag ist (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- unser Land in die internationale Gemeinschaft als souve- ordneten der FDP) ränes, geeintes Deutschland zurückgekehrt. Gerade der Wir haben im Bundestag nie über das Weißbuch 2016 Zwei-plus-Vier-Vertrag sollte uns vor Augen führen, wie gesprochen. Hier haben wir einen ganz entscheidenden wichtig es ist, regelbasiertes internationales Verhalten zu fördern, uns an Regeln und Abmachungen zu halten und (B) Fortschritt erzielt: Unser Land hat erstmals sieben nati- (D) onale Interessen formuliert und auch deutlich gemacht, sie dort zu verteidigen, wo sie unter Druck geraten. dass wir diese nationalen Interessen nie im Alleingang Ich glaube, es ist die ganz hohe Aufgabe dieses Hau- umsetzen können, sondern dafür Partner brauchen. Ich ses, die Bundesregierung zu ermutigen, einen strate- werbe intensiv dafür, dass wir die nächsten drei Jahre in gischen Dialog über eine bessere Zusammenarbeit mit dieser Legislaturperiode nutzen, um die Partnerschaf- Frankreich zu erreichen und auf eine Stärkung der eu- ten von Gleichgesinnten in der Europäischen Union zu ropäischen Strahlkraft hinzuwirken, und auf der anderen stärken. Das Signal, das heute vom Europaparlament Seite alles zu tun, dass wir in Europa der Leuchtturm ausging, ist ermutigend. Wenn wir uns tatsächlich eu- von internationalen Vereinbarungen sind, die die Zustim- ropäisch enger abstimmen wollen, dann bedeutet das mung der Vereinten Nationen, der OSZE, der NATO und auch, darauf zu lauschen – Herr Wadepfuhl hat das an- der Europäischen Union erhalten haben. In diesem Sinne, gesprochen –, was die Franzosen bewegt. Wenn wir uns glaube ich, macht der 12. September einen ganz beson- in der Krisennachsorge in Afrika engagieren wollen, be- deren Sinn. deutet das, dass wir bereit sein müssen, Truppen für die Nachsorge bereitzustellen. Es bedeutet aber auch, dass Herzlichen Dank. wir auch bei Rüstungsexporten eine Harmonisierung in Europa anstreben müssen. Es kann nicht sein, dass wir (Beifall bei der CDU/CSU) bestimmte Exporte verweigern, die dann von Frankreich oder Großbritannien geleistet werden, oder umgekehrt. Hier haben wir einiges zu tun. Ein weiterer wesentlicher Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Punkt ist, dass wir selber glaubhaft machen, das 2-Pro- Vielen Dank, Herr Kollege Kiesewetter. – Zu einer zent-Ziel erreichen zu wollen, indem wir 1,5 Prozent des Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Bruttoinlandsprodukts bis zum Ende dieser Legislaturpe- Alexander Graf Lambsdorf. riode durchsetzen. Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere ist die Frage: Was passiert denn gerade Alexander Graf Lambsdorf (FDP): zwischen den USA und Russland? Das, was wir bei der Rüstungskontrolle erreicht haben, ist erheblich unter Ich verspreche auch, dass es wirklich eine Kurzinter- Druck. Wir Deutsche haben proftiert vom Washingtoner vention ist. – Ich wollte mich hier nur als Liberaler und Vertrag über nukleare Mittelstreckenraketen und vom als Historiker kurz melden. Die Verdienste des heutigen New-START-Vertrag. Wir haben zudem proftiert von Bundestagspräsidenten um den Einigungsvertrag sind den Verhandlungen über die konventionelle Rüstung in völlig unbestritten. Aber beim Zwei-plus-Vier-Vertrag Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2018 5103

Alexander Graf Lambsdorf (A) war federführend Hans-Dietrich Genscher zuständig. Ich Entscheidungen des Geschäftsordnungsausschusses hat (C) glaube, das sollte hier richtiggestellt werden. die PVER jedenfalls ihre Handlungsfähigkeit unter Be- weis gestellt. Schwerwiegende Vorwürfe wurden weitge- (Roderich Kiesewetter [CDU/CSU]: Das ist hend aufgeklärt und in bisher 19 Fällen klar sanktioniert, die Strahlkraft von Wolfgang Schäuble! Ich Verhaltens- und Ofenlegungsregeln für die Zukunft ver- bitte um Nachsicht!) schärft und präzisiert.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Die nationalen Parlamente, auch der Deutsche Bun- destag, sind aufgefordert, bis Ende des Jahres über ihre Sie wollen darauf nicht reagieren, sondern das bestä- Entscheidungen und Maßnahmen in den sie betrefenden tigen. Fällen nach Straßburg zu berichten. (Roderich Kiesewetter [CDU/CSU]: Graf Wir sind ja in der Haushaltsdebatte. Deshalb ist der Lambsdorf hat recht!) Hinweis auch wichtig: Für die Bewältigung seiner wich- – Ich stimme Ihnen ausnahmsweise zu. – Als Nächstes tigen Aufgaben benötigt auch der Europarat eine ausrei- hat für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Dr. Andreas chende fnanzielle Grundlage. Durch das Verhalten zwei- Nick das Wort. er großer Mitgliedstaaten ist der Europarat in fnanzielle Bedrängnis geraten: zum einen die einseitige Reduzie- (Beifall bei der CDU/CSU) rung der türkischen Beiträge, zum anderen die Verweige- rung der Beitragszahlung durch die Russische Föderation Dr. Andreas Nick (CDU/CSU): als Reaktion auf den Entzug des Stimmrechts. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Bundeshaushalt 2018 haben wir daher – neben Deutsche Außenpolitik orientiert sich an den strategi- dem regulären deutschen Mitgliedsbeitrag von 34 Mil- schen Interessen unseres Landes in der Mitte Europas, lionen Euro – unsere freiwilligen Beiträge von 1,2 auf und sie ist fundamentalen Werten verpfichtet. Sie voll- 2 Millionen Euro angehoben. Im Haushaltsentwurf für zieht sich daher auch vorrangig in der engen multilatera- das kommende Jahr liegt der Ansatz zunächst wieder bei len Zusammenarbeit mit Freunden und Partnern: in der 1,2 Millionen Euro. Ich sage aber auch: Sollte es nicht EU und in der NATO, der OSZE und den Vereinten Na- zu einer grundlegenden Änderung der Situation in Straß- tionen, wo wir 2019/2020 als nichtständiges Mitglied im burg kommen, werden wir uns mit der Frage der fnan- UN-Sicherheitsrat Verantwortung übernehmen. ziellen Ausstattung des Europarates noch einmal sehr Die älteste paneuropäische Institution – auch die erste grundsätzlich beschäftigen müssen. übrigens, die Deutschland nach 1945 überhaupt als Mit- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. glied aufgenommen hat – ist aber der Europarat, der 2019 (B) [SPD]) (D) sein 70-jähriges Bestehen begehen wird. Kernaufgabe des Europarats ist der Schutz der Menschen- und Bür- Lassen Sie mich in aller Klarheit feststellen: Bei der gerrechte, der Rechtsstaatlichkeit und der pluralistischen fortgesetzten Verweigerung der russischen Beitragszah- Demokratie, und zwar in 47 Mitgliedstaaten mit mehr als lung handelt es sich um einen klaren Regelverstoß. Wenn 800 Millionen Bürgerinnen und Bürgern. Das geht weit dieser auch in 2019 andauert, wird nach dem Statut ein über die EU hinaus und umfasst nicht nur Regionen wie Automatismus wirksam, der zum Ausscheiden Russlands den westlichen Balkan und den Kaukasus, sondern auch aus dem Europarat führen könnte. große Nachbarn wie Russland, die Ukraine und die Tür- kei. Selbstverständlich gilt: Der Europarat ist nicht er- pressbar. Und was die Annexion der Krim, den Konfikt Und es ist wahr: In einer wachsenden Zahl von Mit- in der Ostukraine und die Menschenrechtslage in Russ- gliedstaaten sehen wir negative Entwicklungen. Dies be- land betrift, gibt es leider wenig Anlass zu einer Verän- trift nicht nur Aserbaidschan, die Türkei oder Russland, derung der kritischen Einschätzung, die wir abgegeben sondern leider auch Mitgliedstaaten der EU wie Polen haben. und Ungarn. Die Entscheidung des Europaparlaments Es besteht aber auch unverändert ein großes Interes- heute ist ja schon angesprochen worden. se, den Europarat als Forum des Austauschs zwischen al- Gerade der Europarat verfügt über besonders geeigne- len beteiligten Staaten zu erhalten. Vor allem wollen wir te Instrumente zum Schutz der Menschen- und Bürger- auch künftig den uneingeschränkten Zugang zum Men- rechte: die Rechtsprechung des Europäischen Gerichts- schenrechtsgerichtshof auch für die Bürger Russlands hofs für Menschenrechte, das Monitoringverfahren der sicherstellen. Dazu fordern uns auch in Russland tätige Parlamentarischen Versammlung, dem gegenwärtig zehn Menschenrechtsorganisationen wie Memorial und ande- Staaten unterworfen sind, die Venedig-Kommission mit re eindringlich auf. In der Oktober-Sitzung wird die PV ihrer herausragenden, weltweit anerkannten Expertise in daher über mögliche Lösungsansätze beraten. Verfassungs- und Gesetzgebungsfragen und die Wahlbe- Meine Damen und Herren, der 70. Jahrestag der Grün- obachtungsmissionen, die wir in enger Abstimmung mit dung des Europarats wäre eine gute Gelegenheit, das Be- OSZE und ODIHR unternehmen. kenntnis zu seinen Grundwerten in angemessenem Rah- Es ist leider wahr, dass wir in der Parlamentarischen men zu bekräftigen – etwa mit einem Gipfeltrefen der Versammlung des Europarats einen Korruptionsskandal Staats- und Regierungschefs im kommenden Jahr. Wir in erheblichen Ausmaßes erlebt haben. Mit dem Bericht Deutschland sollten uns weiterhin engagiert in die Arbeit einer unabhängigen Untersuchungskommission und den des Europarats einbringen – und ihn auch verstärkt als In- 5104 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 48 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 12 September 2018

Dr. Andreas Nick (A) strument unserer operativen Außenpolitik nutzen. Denn ministers. Da verbietet es sich natürlich, kurzen Prozess (C) der Einsatz für Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und zu machen; alles muss akribisch, detailgerecht, sorgfältig pluralistische Demokratie in unserer Nachbarschaft ent- abgehandelt werden, und wir sind ja schon mittendrin. spricht unseren Werten, und er dient den strategischen In- teressen unseres Landes. Vorderhand, meine Damen und Herren, könnte man sich freuen: Unser Haushalt steigt um 123 Millionen Vielen Dank. Euro. Aber 233 Millionen Euro müssen wir schon zu- sätzlich für die Beiträge zu den Vereinten Nationen aus- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- geben. Durch einfache Subtraktion, Frau Deligöz, kann neten der FDP und des Abg. Frank Schwabe man ermitteln, dass wir somit 110 Millionen Euro weni- [SPD]) ger für unser operatives Geschäft zur Verfügung haben. Wir fnden: Das ist keine gute Entwicklung. Die Aufga- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: ben steigen und die Ausgaben, meine Damen und Herren, Herzlichen Dank. – Als letzter Redner zu diesem Ge- dürfen nicht sinken. schäftsbereich erhält der Kollege Alois Karl das Wort. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der CDU/CSU) sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP) Alois Karl (CDU/CSU): Mit Magerkost können wir uns da nicht zufriedengeben. Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- ren Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Meine sehr geehrten Damen und Herren, gerade im Ich schließe die Debatte heute damit, dass ich sage: Wir wichtigsten Kapitel, das wir im Haushalt des Auswärti- haben in den letzten eineinhalb Stunden etliche gute Re- gen Amtes haben – Sicherung von Frieden und Stabilität; den von der Opposition gehört – und etliche sehr gute dafür stehen 3 Milliarden Euro zur Verfügung, mehr als von der Koalition, 50 Prozent unseres Haushalts –, haben wir uns auf hohem Niveau eingependelt. Was innerhalb dieses Kapitels den (Heiterkeit bei der CDU/CSU, der FDP und Hauptschwerpunkt ausmacht, ist die humanitäre Hilfe. dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dafür geben wir wahrscheinlich 1,5 Milliarden Euro aus. die alle darin gegipfelt haben, dass sie Schwerpunkte So sind die Haushaltsansätze. Das ist in den letzten Jah- der Außenpolitik aufgezählt haben, Wünsche, Notwen- ren ganz gewaltig gestiegen. digkeiten usw. Von den guten Reden nehme ich die von Liebe Frau Deligöz, Sie haben vorhin die Zahl Frau Deligöz jetzt mal aus; auf Sie komme ich noch zu 150 Millionen Euro genannt, um die die Mittel für huma- (B) sprechen, Frau Deligöz. nitäre Hilfe sinken würden. Sie bringen da dummerweise (D) (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU, Ist und Soll durcheinander. Wir haben im Jahr 2017 für der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/ die humanitäre Hilfe 1,2 Milliarden Euro im Haushalt DIE GRÜNEN) gehabt; wir haben 1,7 Milliarden Euro ausgegeben. Im letzten Jahr haben wir 1,5 Milliarden Euro im Haushalt Aber die Reden haben doch eines gemeinsam: Alles gehabt, ebenso in diesem Jahr. Soll und Haben, Ist und muss fnanziert werden. Wenn zuerst die Fachpolitiker, Soll dürfen Sie nicht durcheinanderbringen. Gut, dass es in dem Fall die Außenpolitiker, reden, muss man doch keine Aufnahmeprüfung gibt, wenn man in den Haus- sagen: Die Haushaltspolitiker haben das letzte Wort. haltsausschuss muss. (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Heiterkeit des Abg. Armin-Paulus Hampel NEN]: Das wird bis zum Ende aller Tage so [AfD]) sein!) Sie müssten in den wenigen Wochen eigentlich schon So wird das auch in diesen Haushaltsberatungen sein. mitgekriegt haben, dass das, was wir ansetzen, nicht mit Ende November, wenn die zweite Lesung stattfndet, dem übereinstimmt, was während des Jahres zusätzlich werden wir viel gesprochen haben, viel diskutiert haben, an Notwendigkeiten hinzukommt. Wir sind fexibel, das viel abgewogen haben und nicht alle Wünsche erfüllt zu reparieren und die Haushaltsansätze anzupassen. haben in diesem doch sehr ungewöhnlichen Jahr 2018, wo wir vor ungefähr vier Monaten das erste Mal in die- (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE sem Jahr eine letzte Lesung gehabt haben. Ich glaube, GRÜNEN]: Sie haben es zu niedrig einge- es ist kein Parlamentarier hier im Saal, der sich erinnern stellt! Geben Sie es doch zu!) könnte, dass es eine so kurze Taktung von Haushaltsbe- Humanitäre Hilfe hat die fnanzielle Ausstattung erfah- ratungen gegeben hätte; wenn der Saal noch voller wäre, ren, die notwendig war. Darauf sind wir sehr stolz. wäre, glaube ich, auch keiner da, der sich daran erinnern könnte. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Also, wir haben viel Arbeit und werden das ma- Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage der chen – ich danke jetzt schon den Kollegen, die sich mit Kollegin Deligöz? uns befassen müssen, auch den Mitarbeitern –; denn es geht doch um große Summen: 356 Milliarden Euro, fast 357 Milliarden Euro für den Gesamthaushalt, 5,6 Milli- Alois Karl (CDU/CSU): arden Euro für unseren Haushalt, den des Bundesaußen- Ja, ich habe es geahnt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2018 5105

(A) Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir wissen natürlich, dass wir aufgrund dieser hohen (C) Geschätzter Kollege Karl, wir sitzen gemeinsam im Ausgaben in der humanitären Hilfe keine Freudensprün- Ausschuss. Umso mehr wundert mich, dass Sie jetzt eine ge machen können. Wir wissen, dass diese Hilfe notwen- Rechnung aufmachen, die vorne und hinten nicht stimmt. dig ist, weil es schlimmste menschliche Katastrophen auf Sie wissen doch, dass Sie die Ansätze für die humanitä- der Welt gibt: Hungersnöte, Bürgerkriege, Naturkatastro- re Hilfe, entgegen der Warnung der Grünen, zu niedrig phen, Flucht usw. Aber wir – Ihr Vorgänger, Herr Bun- angesetzt haben, was zur Folge hatte, dass wir im letz- desaußenminister, und Sie auch – reagieren darauf mit ten Jahr über die „üpl.“, also überplanmäßige Ausgaben, ganz großer Sympathie und mit großem Nachdruck. So noch mal nachschießen mussten. In diesem Jahr haben werden wir das auch in der Zukunft machen. Sie sie wieder zu niedrig angesetzt. Jetzt sind wir aber Meine Damen und Herren, wir sind auch parat, wenn schon so weit fortgeschritten, dass Sie nicht wirklich es darum geht, andere Organisationen, die im humanitä- rechtfertigen können, mit „üpl.“ zu hantieren. ren Bereich tätig sind, zu unterstützen. Wir verdoppeln Was ich vorher als Warnung ausgesprochen habe, tritt die ungebundenen Mittel für das Rote Kreuz in diesem jetzt ein. Was zu niedrig ist, ist zu niedrig. Dem UNHCR Jahr . Wir verdoppeln die ungebundenen Mittel für den fehlen dieses Jahr circa 150 Millionen Dollar. Davon ist UNHCR, also das Hilfswerk der Vereinten Nationen. auch sein Syrien-Programm betrofen. Sie können es hin- Und wir verdoppeln auch die ungebundenen Mittel für und herrechnen – mit dem Rechnen und Wiegen ist es die UNRWA, die Hilfsorganisation der Vereinten Natio- immer so eine Sache –, wie Sie wollen, aber von Haus- nen in den besetzten palästinensischen Gebieten. hälterin zu Haushälter kann ich Ihnen sagen: Denken Sie Wir sehen, lieber Herr Bundesaußenminister, eine an die „üpl.“, die haben Sie nämlich vergessen. schlimme Entwicklung, weil der amerikanische Prä- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sident Trump am 25. August dieses Jahres verfügt hat, sowie bei Abgeordneten der FDP) dass die Unterstützungsmittel für die UNRWA gestrichen werden sollen. Alois Karl (CDU/CSU): Man kann über alles debattieren, bloß nicht über Adam Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Riese. Wir haben im letzten Jahr ebenso wie in diesem Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss. Jahr 1,5 Milliarden Euro im Haushalt dafür gehabt. Was ausgegeben wird, wissen wir beide nicht. Alois Karl (CDU/CSU): (Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wir sehen eine große Not auf die Menschen in den NEN]: Doch!) besetzten palästinensischen Gebieten zukommen. (B) (D) Wenn wir Hellseher wären, wüssten wir, was wir 2018 (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) ausgeben. Im Verbund mit unseren Partnern werden wir versuchen, (Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- das möglichst auszugleichen. NEN]: Natürlich, das haben wir doch abge- Wir wünschen uns gute Beratungen, einen guten fragt! Sie saßen doch neben mir!) Haushalt und gute Erfolge in unserer Außenpolitik, auch Ich sage Ihnen nur, dass wir in jedem Jahr mehr einge- in den nächsten Monaten. setzt und mehr für humanitäre Hilfe ausgegeben haben Vielen herzlichen Dank. als im Jahr zuvor. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Ich nenne Ihnen die Zahlen. Noch vor wenigen Jah- ordneten der SPD) ren – 2012, vor sechs Jahren – hatten wir für diesen Pos- ten 105 Millionen Euro im Haushalt. Vor zwölf Jahren, im Jahr 2006, hatten wir noch 70 Millionen. Jetzt haben Vizepräsident Wolfgang Kubicki: wir das 25-Fache von dieser Zahl. Was die Zahl für 2012 Vielen Dank, Herr Kollege Karl. – Weitere Wortmel- angeht: Wir geben das 15-Fache von dem aus, was wir dungen zu diesem Einzelplan liegen nicht vor. noch vor sechs Jahren im Haushalt für humanitäre Hilfe Wir kommen jetzt zu dem Geschäftsbereich des hatten. Bundesministeriums der Verteidigung, Einzelplan 14. Meine Damen und Herren, ich führe das etwas dichter Das Wort hat zunächst für die Bundesregierung die aus, weil ich mir von niemandem vorhalten lassen möch- Ministerin Dr. Ursula von der Leyen. te, wir würden auf dem Gebiet der humanitären Hilfe uns nicht außerordentlich anstrengen, sondern wir würden (Beifall bei der CDU/CSU) hintenanstehen. Richtig ist vielmehr: Wir machen unsere Aufgaben, und wir sehen die Not in der ganzen Welt. Wir Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin der sind mit unseren hohen, außerordentlich hohen Beiträgen Verteidigung: bei der Hand und helfen, die Not abzufedern und unsere Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Aufgabe zu erfüllen. Die humanitäre Hilfe ist ein groß- Herren! Wir diskutieren in diesen Tagen zu Recht inten- artiges Kapitel der deutschen Außenpolitik, liebe Frau siv über Idlib. Ich möchte, da es hier um Grundsätzliches Deligöz. Wir lassen uns da von niemandem übertrefen. geht, wenn Sie gestatten, einige Worte vorweg, vor den (Beifall bei der CDU/CSU) Details des Haushaltes, dazu sagen. 5106 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 48 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 12 September 2018

Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen (A) Liebe Kolleginnen und Kollegen, so bitter dieser mit nicht bereits heute schon so tun, als ginge uns das nichts (C) aller Brutalität geführte Bürgerkrieg in Syrien ist, ein an. Bürgerkrieg mit Hunderttausenden Toten und Millio- (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Sie spielen nen von Vertriebenen: Wir haben eine klare Entschei- mit dem Feuer! Unglaublich!) dung gemeinsam getrofen, wie fast alle Europäer diese auch getrofen haben, nämlich die Koalition gegen den Deshalb begrüße ich auch hier diese Debatte. Ich dan- IS-Terror zu unterstützen, zum Beispiel beim Luftkampf ke für jeden Beitrag aus diesem Hohen Haus. Ich habe mit Aufklärung. Klar ist aber auch: An diesem syrischen hohen Respekt und Achtung vor all jenen, die sich eine Bürgerkrieg, der sich zurzeit in Idlib zuspitzt, bei dem rechtliche Bewertung nicht einfach machen. Aber wir mittlerweile auf der einen Seite Assad und seine Verbün- müssen auch vorbereitet sein; denn wir wissen ja nicht, deten, Iran und Russland, und auf der anderen Seite eine welche konkrete Situation auf uns zukommt. Deshalb Vielzahl von höchst unterschiedlichen oppositionellen sollte unsere Linie sein, dass wir uns dem Ziel ver- Gruppen stehen, nehmen wir nicht teil. pfichten, die jeweilige Lage – welche auch immer das sein mag –, die wir heute nicht kennen, die sich erge- Aber um ein Thema können wir uns nicht herum- ben kann, sorgfältig, mit Bedacht und verantwortlich winden, nämlich um die Frage, ob und welche Mög- zu prüfen, auch mit unseren Partnern. Und dann – ich lichkeiten es gibt, einen Einsatz der weltweit geächteten sage ausdrücklich: erst dann – entscheiden wir, was wir Chemiewafen zu verhindern. Darum geht es bei dieser als Bundesregierung gemeinsam mit dem Parlament tun Diskussion. Es geht um den Bestand einer Ächtung, die können – selbstverständlich immer auf der Basis des die Weltgemeinschaft als Lehre aus dem unvorstellbaren Völkerrechts, des Grundgesetzes und des Parlamentsbe- Grauen des Ersten Weltkriegs gezogen hat. Es geht um teiligungsgesetzes. So, liebe Kolleginnen und Kollegen, ein weltweites Tabu, das im Großen und Ganzen in den stelle ich mir die viel zitierte Bereitschaft Deutschlands vergangenen Jahrzehnten auch auf den Schlachtfeldern vor, Verantwortung tatsächlich zu übernehmen. härtester Kriege eingehalten worden ist. Assad hat in den vergangenen Jahren und Monaten geächtete Chemiewaf- (Beifall bei der CDU/CSU – Armin-Paulus fen eingesetzt. Er hat Chemiewafen bewusst eingesetzt. Hampel [AfD]: Wer’s glaubt, wird selig!) Er hat sie wiederholt eingesetzt Vor dieser Folie blicken wir heute auf den Einzel- plan 14, den Haushalt der Bundeswehr, den wir heute (Zuruf von der AfD: Beweise!) hier diskutieren. Wir haben für das Jahr 2019 einen Auf- wuchs von 4,4 Milliarden Euro auf 42,9 Milliarden Euro. als Terrorinstrument gegen die eigene Bevölkerung, ge- gen Männer, gegen Frauen, gegen Kinder, voller zyni- (Tobias Pfüger [DIE LINKE]: Viel zu viel!) (B) schem Kalkül. Das, meine Damen und Herren, kann und (D) Es ist der fünfte Aufwuchs in Folge. Ich danke da- darf die Weltgemeinschaft nicht mit einem Achselzucken für auch im Namen der Truppe; denn das verstetigt die quittieren. Trendwende Finanzen. Wir brauchen sie; wir wissen das (Beifall bei der CDU/CSU) alle. Wir haben das oft gemeinsam diskutiert. Wir brau- chen das Geld, um zu modernisieren. Wir brauchen das Geld, um hohle Strukturen aus Jahrzehnten des Abbaus Vizepräsident Wolfgang Kubicki: zu füllen und um neue Fähigkeiten aufzubauen, zum Bei- spiel im Cyberraum. Frau Ministerin, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der Fraktion Die Linke? Die konzeptionellen Grundlagen dafür haben wir jetzt gelegt. Wir haben zwei Jahre lang intensiv an ei- nem Modernisierungsplan gearbeitet. Dieser steht jetzt: Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin der Das Weißbuch der Bundesregierung, die Konzeption der Verteidigung: Bundeswehr und das Fähigkeitsprofl der Bundeswehr Ich möchte den Gedanken zu Ende führen, und dann zeigen sehr detailliert, wie der Bedarf der Truppe ist. können wir das gerne machen. Mehr Vorausschau, mehr Transparenz war nie. Deshalb wird jetzt auch klar: Der Aufwuchs der ver- (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Weil Sie gangenen Jahre hat sehr dabei geholfen, dass wir die Fragen nicht wollen! Weil Sie Ihre Lügen ver- Talsohle durchschreiten konnten; aber wir sind uns, breiten wollen!) wenn wir auf das vorausblicken, was die Bundeswehr an Ausstattung braucht, um die ihr gestellten Aufgaben zu Die Weltgemeinschaft, das sind nicht nur die ande- erfüllen, auch darüber im Klaren, dass noch ein langer ren; die Weltgemeinschaft, das ist nicht irgendjemand und sehr steiler Aufstieg vor uns liegt. Wir wollen und da draußen; die Weltgemeinschaft sind auch nicht die müssen diesen Weg gehen, gerade weil er in unserem ei- Amerikaner. Die Weltgemeinschaft sind wir alle, auch genen Interesse liegt. wir Deutsche. Deshalb müssen wir als internationale Gemeinschaft alles tun, damit Chemiewafen nicht ein- Wir wollen diese Verpfichtungen erfüllen, zum Bei- gesetzt werden. Ich bin mir dabei völlig bewusst, dass spiel in der Europäischen Verteidigungsunion, die wir es dazu in allererster Linie der Diplomatie bedarf; aber vor zehn Monaten aus der Taufe gehoben haben. Das es braucht auch glaubwürdige Abschreckung. Und wir, braucht Investitionen, sonst wird die Europäische Vertei- Deutschland, können bei diesem spezifschen Thema digungsunion nicht wirksam handeln können. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2018 5107

Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen (A) Es gibt Erwartungen, die die Vereinten Nationen an Ich weiß, dass es nicht nur um eine verlässliche Finan- (C) Deutschland haben. Wir sind ab 2019 für die nächsten zierung geht, sondern auch um eine schnelle und präzise zwei Jahre als nichtständiges Mitglied in den Sicher- Umsetzung. Das ist die Aufgabe, die wir vor allem im heitsrat gewählt worden. Auch dort wird erwartet, dass Beschafungsamt haben. Dort haben wir jetzt einen Ex- wir uns in besonderer Weise für die internationale Frie- pertenrat eingesetzt, der den Modernisierungsprozess be- densordnung engagieren – sowohl mit Taten als auch mit gleitet. Ich danke all jenen hier im Hohen Haus, die bereit Worten. sind, an diesem Modernisierungsprozess mitzuarbeiten, und will noch einmal daran erinnern: Damit wir das alles Es gibt Erfordernisse, die die NATO an uns richtet. Wir schafen, brauchen wir einen steigenden, verlässlich sub- stellen die VJTF 2019. Das ist anstrengend und schwie- stanziell weiter aufwachsenden Etat. Die Truppe hat es rig; denn wir müssen für die Brigade, die wir stellen, aus verdient. verschiedenen Einheiten und Verbänden Personal leihen, weil sie das aus eigener Kraft nicht hat. Vielen Dank. Wir werden aber auch 2023 eine VJTF-Brigade stel- (Beifall bei der CDU/CSU) len. Wir haben gemeinsam das Ziel ausgegeben, dass es uns bis dahin gelingen muss, eine solche Brigade so Vizepräsidentin : vollständig auszurüsten und auszustatten, dass sie diese Das Wort hat der Abgeordnete Rüdiger Lucassen für Aufgabe aus der eigenen Grundaufstellung heraus be- die AfD-Fraktion. wältigen kann. Wir wollen in den nächsten Jahren acht vollständige Brigaden so ausstatten, dass die Bundes- (Beifall bei der AfD) wehr den Auftrag, den sie durch das Parlament erhält, tatsächlich übernehmen kann. Rüdiger Lucassen (AfD): Der vorliegende Haushalt für 2019 erlaubt uns, die- Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Es ist sen Kurs weiterzufahren. Wir haben zwei Bereiche als erst 120 Tage her, dass wir über den Verteidigungshaus- Priorität ausgewiesen. Das ist – erstens – die persönliche halt 2018 debattiert haben. Damals sagte die Verteidi- Ausstattung der Soldatinnen und Soldaten; da darf nicht gungsministerin: „Die Bundeswehr wächst wieder“. Was gestrichen werden. Die zweite Priorität ist die Digitali- hat sich in diesen 120 Tagen nun verändert, was ist neu? sierung – die Megaaufgabe für die nächste Dekade. Wir Nicht neu ist die Lage unserer Streitkräfte. Die Bun- haben deshalb einen Aufwuchs um 30 Prozent bei der deswehr befndet sich nach wie vor in einem kritischen Digitalisierung im Haushalt stehen. Zustand: technische Klarstände unterdurchschnittlich, (B) Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung im Ma- Ersatzteillager ausgeplündert, Infrastruktur marode. (D) terialbereich steigen. Das brauchen wir zum Beispiel für Nicht neu ist auch die gewaltige Lücke beim Personal. die Forschung für das Kampfugzeug der nächsten Ge- Es fehlen 18 000 Soldaten. Das ist eine ganze Division. neration, das wir gemeinsam mit Frankreich entwickeln Nicht neu ist auch die sicherheitspolitische Großwetter- werden. Die Ausgaben für die wehrtechnische Entwick- lage um uns herum, und nicht neu ist daher auch die Not- lung steigen um 245 Millionen Euro, zum Beispiel für wendigkeit, eine personell und materiell voll aufgerüste- die wehrtechnische Entwicklung der Eurodrohne, damit te und einsatzbereite Bundeswehr zu haben. wir Zukunftstechnologien auch hier in Europa haben und (Beifall bei der AfD) unabhängiger von anderen werden. Neu jedoch ist ein Papier, das das Verteidigungsmi- Der Titel für militärische Beschafung steigt um nisterium herausgegeben hat. „Fähigkeitsprofl der Bun- 1,7 Milliarden Euro auf rund 6,7 Milliarden Euro. Sie deswehr“ heißt es. Mit diesem Papier möchte das Ver- kennen die Projekte, die wir fortsetzen: das zweite Los teidigungsministerium aufzeigen, wie die Bundeswehr Korvette K130, den Marinebordhubschrauber, das Trans- wieder „durchsetzungsfähig, einsatzbereit und bündnis- portfugzeug, das wir mit Frankreich für die kleine Flä- fähig“ werden soll. Gut so, Frau Ministerin! Nach fast che entwickeln. fünf Jahren im Amt sind Sie in die Phase einer ehrli- Sie kennen aber auch die Projekte, die wir neu aufset- chen Bestandsaufnahme eingetreten und bescheinigen zen wollen: den Schützenpanzer Puma für die VJTF 2023, schwarz auf weiß: Deutschlands Armee ist eben nicht den AESA-Radar für den Eurofghter oder zum Beispiel durchsetzungsfähig, nicht einsatzbereit und nicht bünd- den Fähigkeitserhalt SEAD für den Tornado. nisfähig. Meine Damen und Herren, der Haushalt 2019 ist für (Beifall bei der AfD) all das eine wichtige Etappe. Aber er ist ganz sicher kein Wer das neue Papier liest, erkennt militärischen Sachver- Schlusspunkt; denn der Berg liegt, wie ich sagte, eigent- stand. Es gibt eine sehr lange Liste mit Beschafungsvor- lich erst noch richtig vor uns. Nur wenn wir den Verteidi- haben, und es gibt eine Finanzlinie, um diese lange Liste gungshaushalt weiterhin stabil, verlässlich, substanziell bezahlen zu können. Das ist also das eine, die Vorschläge aufwachsen lassen, können wir die Verträge überhaupt der militärischen Planer, wie die Bundeswehr wieder auf- schließen, damit diese Investitionen für die Ausrüstung, gerichtet werden kann. die ich eben beispielhaft genannt habe, auf den Weg ge- bracht werden können. Deshalb, meine Damen und Her- Das andere ist die tatsächliche Politik dieser Regie- ren, liegen noch gewaltige Hausaufgaben in der mittel- rung, und die macht das neue Papier wieder zum alten fristigen Finanzplanung vor uns. Muster der Verteidigungsministerin: Es ist nur eine An- 5108 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 48 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 12 September 2018

Rüdiger Lucassen (A) kündigung. Denn die Investitionspläne sind Luftschlös- Vizepräsidentin Petra Pau: (C) ser, die nichts mit der fnanzpolitischen Realität zu tun Für die SPD-Fraktion hat nun Dr. Fritz Felgentreu das haben. Vom 2-Prozent-Ziel der NATO sind selbst die Wort. Planzahlen weit entfernt. Deshalb hat Ursula von der Leyen ja bereits vor Monaten 1,5 Prozent des Bruttoin- (Beifall bei der SPD) landsproduktes zur neuen Zielmarke erhoben. Aber auch diese 1,5 Prozent werden bei weitem nicht erreicht; denn Dr. Fritz Felgentreu (SPD): Ihr eigener Eckwertebeschluss für die Jahre bis 2022 kal- kuliert nur mit minimalen Steigerungsraten für den Ver- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der teidigungshaushalt. Nächstes Jahr, 2019, erreichen Sie Haushalt 2019 ist ein großer Schritt nach vorn für die 1,31 Prozent, und schon 2020 sacken Sie dann wieder auf Bundeswehr. Was wir in dem Resthaushalt für 2018 aus 1,28 Prozent des Bruttoinlandsproduktes ab. Die Vertei- Zeitgründen noch nicht umsetzen konnten, holen wir digungsministerin bricht erst die Zusage von Wales, setzt jetzt nach. Der Verteidigungsetat wächst um über 10 Pro- einfach ein niedrigeres Ziel und erreicht dieses dann auch zent auf 43 Milliarden Euro. nicht; denn die Minimalsteigerungen werden allein durch (Tobias Pfüger [DIE LINKE]: Danke für die Tariferhöhungen beim Personal und durch die Infation Klarstellung!) aufgefressen. Und die 18 000 unbesetzten Stellen sind in den kommenden Verteidigungshaushalten noch nicht Für Investitionen in die Einsatzbereitschaft und die Mo- einmal berücksichtigt. 18 000 Stellen kosten überschlä- dernisierung der Bundeswehr stehen 2 Milliarden Euro, gig 2,5 Milliarden Euro. Für Investitionen in neue Aus- für die Pfege und Instandsetzung von Wafen und Gerät rüstung bleibt da nichts übrig. Ich fasse zusammen: Das 700 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung. „Fähigkeitsprofl der Bundeswehr“ ist ein ungedeckter Scheck. (Tobias Pfüger [DIE LINKE]: Auch danke für die Klarstellung!) (Beifall bei der AfD) Die Koalition setzt konsequent ihren Weg fort, eine Diese Regierung behauptet nur, die Bundeswehr stabi- durch jahrzehntelanges Sparen ausgehöhlte Bundeswehr lisieren zu wollen. Sie tut es aber nicht. Dass die Bundes- wieder aufzubauen. wehr wieder wächst, ist eine glatte Lüge. Ein Beispiel: Die Streitkräfte sind zwingend auf schwere Transport- Der große Schritt im vorliegenden Haushalt ist ein- hubschrauber angewiesen. Auslandseinsätze, die Ret- geordnet in das Ziel der Koalition, bis 2024 1,5 Prozent tung von Verwundeten, Waldbrandbekämpfung in Bran- der deutschen Wirtschaftsleistung jährlich in die Vertei- denburg und auch die Landes- und Bündnisverteidigung digung zu investieren: in Personal, in Wafen, in Gerät, (B) (D) sind ohne einen schweren Transporthubschrauber nicht in Munition, in alles, was diese Armee braucht. Das ist möglich. Der CH-53 stammt aus den späten 60er-Jahren. keine Eintagsfiege, sondern eine dauerhafte Erhöhung Selbst Laien können wissen, dass man für so altes Flug- der Ausgaben, die von Jahr zu Jahr fortgeschrieben wird. gerät einen Nachfolger braucht. Im Haushalt 2018 f. wa- Das Ziel ist eine vollausgestattete Bundeswehr, die ihre ren dafür noch 5,6 Milliarden Euro eingestellt. Im Haus- Aufgaben wieder erfüllen kann. halt 2019 sucht man danach vergebens. Sie sind weg, komplett herausgestrichen. Es war wieder einmal ein geschicktes Timing des Verteidigungsministeriums, gerade jetzt das neue Fähig- Der schwere Transporthubschrauber ist nur ein Bei- keitsprofl der Bundeswehr vorzulegen; denn dort wird spiel von vielen. Der Tornado, den Sie für – ich zitie- konkret, was es für die Bundeswehr bedeutet, wenn die re – „Vergeltungsschläge“ nach Syrien schicken wollen, Bündnis- und die Landesverteidigung wieder die gleiche braucht auch einen Nachfolger. Wir brauchen Fähigkei- Bedeutung haben soll wie bisher die Auslandseinsätze. ten zur Luftverteidigung, Fähigkeiten, Minen zu verle- gen und zu räumen. Auch der Leopard 2 braucht mittel- Das Fähigkeitsprofl beschreibt eine für beide Aufga- fristig einen Nachfolger. Alle diese Investitionsvorhaben ben einsatzfähige Bundeswehr im Jahr 2031, eine Bun- brauchen einen Finanzplan, der weit über das hinausgeht, deswehr, die dann auch auf neue Herausforderungen wie was Sie uns hier vorgelegt haben. zum Beispiel die Verteidigung gegen Hackerangrife aus dem Cyberraum vorbereitet ist. Diese Bundeswehr wird Das Übertünchen der katastrophalen Lage unserer allem Alarmismus zum Trotz, Herr Kollege Lucassen, Streitkräfte mit immer neuen Papieren muss aufhören. immer noch eine kleine, schlanke Armee sein. Wir soll- Am Ende geht es nämlich weder um irgendwelche Quo- ten nie vergessen, in welcher glücklichen Ausnahmelage ten noch um Ihre alberne Semantik, ob es nun Aufrüstung sich unser Land befndet. Dass wir als 80-Millionen-Men- oder Ausrüstung sei. Ja, meine Damen und Herren von schen-Volk in der Mitte Europas ohne natürliche Gren- der Union, es ist Aufrüstung, und die brauchen wir. zen unsere Sicherheit mit einer Armee von nicht einmal (Tobias Pfüger [DIE LINKE]: Falsch!) 200 000 Mann verteidigen können, ist ein historisch ein- maliger Glücksfall, den wir der Westbindung an NATO Richtig ist, dass Sie vor einem gewaltigen Berg stehen; und Europäische Union zu verdanken haben. Gerade den denn es geht um Deutschlands äußere Sicherheit und die Fraktionen ganz links und ganz rechts im Saal sei das Verlässlichkeit im Bündnis. immer wieder ins Stammbuch geschrieben. Vielen Dank. (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: (Beifall bei der AfD) ­Uijuijuj!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2018 5109

Dr. Fritz Felgentreu (A) So weit das Fähigkeitsprofl. Leider steht es vorerst reitschaft. Zum Beispiel haben die Kampfschwimmer der (C) nur auf dem Wunschzettel. Immerhin fnden wir dort ein Marine seit sieben Jahren kein Schwimmbad. Das muss realistisches Nahziel: Bis 2023 soll es eine vollausgestat- man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen: Kampf- tete verstärkte Heeresbrigade geben. Das ist das Jahr, in schwimmer – kein Schwimmbad. dem die Bundeswehr wieder den wesentlichen Teil der (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Viele Kommu- NATO-Speerspitze stellen wird. Wie notwendig das ist, nen haben keine Schwimmbäder mehr! Viele erleben wir gerade in diesen Tagen. Denn zur Vorberei- Kinder können gar nicht schwimmen! Das ist tung auf die Speerspitze 2019 muss die dafür vorgese- wichtiger als Kampfschwimmer!) hene Panzerlehrbrigade 9 gerade alles, was sie braucht, aus den anderen Teilen des Heeres zusammenleihen – mit Liebe Kolleginnen und Kollegen, über die Attraktivi- entsprechenden Folgen für die Ausbildung und den All- tät der Bundeswehr gerade für junge Leute brauchen wir tagsbetrieb dort. Der schwarz angestrichene Besenstiel nicht zu reden, solange es kein Material und keine ge- als MG-Attrappe in der Hand eines Soldaten, der „Peng“ eigneten Einrichtungen für die Ausbildung und übrigens ruft, wenn er den Einsatz übt, dieses Stück Realsatire auch solange es in den Kasernen kein WLAN gibt. kann sich leider immer noch wiederholen. (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann 2019 wird deshalb für die Bundeswehr ein spannendes [FDP]: Das liegt doch an der Regierung!) Jahr. Es gibt deutlich mehr Geld und den Plan für die Bri- Unter diesen Bedingungen ist der geplante Personalauf- gade 23. Beides lässt das kommende Jahr zur Nagelprobe wuchs schon ein sehr sportliches Ziel. werden, ob das Bundesverteidigungsministerium und die Bundeswehrverwaltung efektiv aufgestellt und zur Um- Die SPD fordert für eine schlanke, moderne Bun- setzung der Vorhaben auch in der Lage sind. Der Beweis deswehr nicht 2 Prozent, sondern 100 Prozent. Wir dafür ist bisher nicht erbracht. In der vergangenen Legis- wollen die Vollausstattung mit Personal, Wafen, Gerät laturperiode ist es nie gelungen, die für Beschafungen und Munition. Jetzt ist das Verteidigungsministerium vorgesehenen Mittel auch wirklich in jedem Jahr dafür in der Pficht. Ausführung ist die Devise. Die Priorität auszugeben. auf die persönliche Ausstattung der Truppe und auf die NATO-Speerspitze ist richtig gewählt, aber zugleich (Tobias Pfüger [DIE LINKE]: Hört! Hört!) ist diese Priorität eben doch auch ein Stresstest für die Politische Rahmenbedingungen, die immer wieder Handlungsfähigkeit des Ministeriums und der Zivilver- als Hindernisse für eine Verbesserung der Einsatzbereit- waltung. Frau Ministerin, die SPD-Fraktion wird Sie bei schaft kritisiert worden sind, hat die Koalition jetzt aus dieser wichtigen Arbeit nach Kräften unterstützen. Aber dem Weg geräumt. Erstens gibt es mehr Geld. Zweitens: wir gucken auch ganz genau hin. (B) (D) Was davon im Dezember übrig bleibt, darf neuerdings Danke schön. ins Folgejahr mitgenommen werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Tobias Pfüger [DIE LINKE]: Schattenhaus- der CDU/CSU) halt!)

Drittens gilt das Wort unserer Haushälter: Sinnvolle und Vizepräsidentin Petra Pau: entscheidungsreife Projekte werden am Geld nicht schei- Das Wort hat der Kollege Karsten Klein für die tern. – Jetzt, Frau Ministerin, wollen wir natürlich auch FDP-Fraktion. Fortschritte und Ergebnisse sehen. Jetzt müssen Sie lie- fern. (Beifall bei der FDP) (Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU]: Und der (FDP): Finanzminister!) Karsten Klein Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und In dem Sinne ist das Jahr 2019 auch für Sie und Ihr Haus Kollegen! Am 28. Juni 2018 hat die Bundeskanzlerin von die Nagelprobe. dieser Stelle aus das klare Ziel vorgegeben, die Verteidi- Zweifel an der Fähigkeit zur Umsetzung sind leider gungsausgaben der Bundesrepublik Deutschland gemes- immer noch nicht ausgeräumt. Meine Sommerreise an di- sen an der Wirtschaftsleistung auf 1,5 Prozent anzuhe- verse Standorte hat mir noch einmal drastisch vor Augen ben. Am 6. Juli 2018, also eine gute Woche später, hat geführt, wie dramatisch es oft an Material und an Aus- das Bundeskabinett unter Führung von Angela Merkel rüstung mangelt. Der im zweiten Halbjahr zu erwartende einen Haushaltsplan 2019 mit einem Finanzplan bis 2022 Bericht über den Klarstand der wichtigsten Wafensys- beschlossen, in dem von diesem Ziel nichts zu sehen ist. teme wird zeigen, ob die Talsohle wirklich schon durch- Ganz im Gegenteil: Am Ende der Planungsphase sinkt schritten ist. Die Verwaltung jedenfalls schwächelt nach die Quote sogar unter den Wert von 2018. Noch mal eine wie vor weiter. Beim Beschafungsamt sind 1 600 Stellen Woche später, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist die nicht besetzt. Das wird sich nicht zugunsten von mehr Frau Bundeskanzlerin mit Frau Bundesverteidigungs- Ausrüstung auswirken. Fehlendes Know-how muss teuer ministerin, die gerade wichtige Gespräche zu führen hat, eingekauft werden. auf den NATO-Gipfel gefahren, um dort den NATO-Part- nern 1,5 Prozent zu versprechen. Liebe Kolleginnen und Beim Amt für Infrastruktur begegnen wir ähnlichen Kollegen, zwischen dem Reden und dem Handeln der Problemen. Fehlende oder zu langsame Investitionen ha- Bundeskanzlerin und der Bundesverteidigungsministerin ben auch hier negative Auswirkungen auf die Einsatzbe- liegen sagenumwobene 10 Milliarden Euro. 5110 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 48 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 12 September 2018

Karsten Klein (A) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Ko- Herr Dr. Felgentreu, ich bin begeistert über Ihre Be- (C) alition, an dieser Stelle muss man Sie schon mal fragen: geisterung. Ich habe aber heute Morgen vernommen – Wie ernst nehmen Sie eigentlich Ihr eigenes Regierungs- deshalb habe ich mein Angebot ganz bewusst wiederholt, handeln? Wie ernst nehmen Sie dieses Parlament, den Frau Ministerin –, dass Ihr Parlamentarischer Geschäfts- Deutschen Bundestag, die deutsche Öfentlichkeit, die führer, Herr Schneider, hier klar gesagt hat, dass die SPD Soldatinnen und Soldaten und die NATO-Partner? das 2-Prozent-Ziel nicht mitträgt. Das steht klipp und klar in seiner Rede. Deshalb fnde ich schon: Sie sollten (Beifall bei der FDP – Ingo Gädechens [CDU/ in der Koalition endlich mal Entscheidungen trefen, wie CSU]: Sehr ernst! – Dr. Fritz Felgentreu wir die Bundeswehr ausstatten, [SPD]: Sehr ernst!) (Beifall bei der FDP) Denn wenn man sich das mal genau anschaut, erkennt man: Sie trefen eine Regierungsentscheidung, und nicht anstatt hier einen Nebel über diese Diskussion zu legen. mal eine Woche später stellt die eigene Regierungsche- fn den Finanzplan fundamental infrage. Wir haben ei- Frau Ministerin, wir erwarten von Ihnen Klarheit in nen Deutschen Bundestag, der die Budgethoheit hat, dieser Diskussion und keine Vernebelungsstrategie, wie und mit den Zusagen der Bundeskanzlerin – mit einem sie in den letzten Wochen und Monaten verfolgt worden klaren Zeitplan in kürzester Frist – nehmen Sie hier die ist. In diesen Nebel hat jetzt in der Sommerpause Ihre Entscheidungen vorweg. Oder nehmen Sie vielleicht die Generalsekretärin auch noch eine Nebelkerze geworfen. NATO-Partner nicht so ernst und wollen die Zusagen gar Niemand braucht die Wehrpficht, vor allem nicht die nicht einhalten? Bundeswehr. Das eigentlich Traurige an der Sache ist, liebe Kolle- (Beifall bei Abgeordneten der FDP sowie des ginnen und Kollegen, dass dieses Handeln in Ihrer Koa- Abg. Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE lition System hat. Das Dramatische ist, dass die Bundes- GRÜNEN]) wehr eine Parlamentsarmee ist. Die Diskussion über die Die Bundeswehr hat weder die Strukturen für die Wehr- Zukunft und die fnanzielle Ausstattung der Bundeswehr pficht noch einen Bedarf an der Wehrpficht. Bei keiner hat in diesem Hause stattzufnden. der Herausforderungen der Landes- und Bündnisvertei- (Beifall bei der FDP) digung oder der Auslandseinsätze kann die Wehrpficht einen essenziellen Beitrag leisten. Viel schlimmer: Durch Es ist keine Regierungsarmee, es ist eine Parlamentsar- sie werden neue Probleme in der Bundeswehr geschafen mee, über die wir hier sprechen. Sie stellen hier das Bud- und wichtige Ressourcen von der Bundeswehr wegge- (B) getrecht des Deutschen Bundestages infrage. nommen, Ressourcen, die dringend gebraucht werden, (D) um den Aufbau der Kräfte wiederherzustellen. Diese Für die Bundeswehr und die Sicherheit der Bundes- würden Sie mit dem Aufbau einer Wehrpfichtigenarmee republik Deutschland spielt die 1,5-Prozent-Diskussion vergeuden. aber nicht die entscheidende Rolle, sie ist eher nicht ziel- führend. Sie, Frau Ministerin, legen mit der Prozentde- Frau Ministerin, wir hätten von Ihnen heute eine kla- batte einen Nebel über die Frage, wie die Bundeswehr in re Aussage zum Thema Wehrpficht erwartet, aber Sie Zukunft mit Material und Ausstattung versehen werden lassen die Diskussion einfach weiterwabern. Die Solda- muss: Was brauchen wir für Bündnis- und Landesvertei- tinnen und Soldaten hätten gerne eine Aussage gehört, digung und dafür, den Auslandseinsätzen gerecht zu wer- wie Sie zu diesem Thema stehen. Aber vor allem wäre den? Welche Mittel sind für die Digitalisierung nötig? es wichtig, dass Sie diese Debatte innerhalb Ihrer Partei Ich möchte an dieser Stelle noch mal ausdrücklich un- endlich beenden; denn sie stört den Prozess, den wir be- ser Angebot, das Angebot der Freien Demokraten, wie- gleiten wollen, nämlich den kraftvollen Wiederaufwuchs derholen: Wir sind bereit, Aufwüchse auch im Verteidi- der Bundeswehr. gungshaushalt mitzutragen, wenn Sie zwei Bedingungen Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. erfüllen. Die erste Bedingung ist, dass Sie das Beschaf- fungswesen so organisieren, dass aus dem vielgenannten (Beifall bei der FDP) Soll auch ein Ist werden kann. Da haben Sie erheblichen Nachholbedarf, Frau Ministerin. Vizepräsidentin Petra Pau: (Beifall bei der FDP) Das Wort hat die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch für die Fraktion Die Linke. Zudem müssen die Beschafungen mit den europäischen Partnern besser synchronisiert werden. Zweitens müs- (Beifall bei der LINKEN) sen Sie endlich einen Finanzplan auf den Weg bringen, in dem klar zu erkennen ist, was die Bundeswehr wann und wofür benötigt. Ich möchte an dieser Stelle schon Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): darauf hinweisen: Das Fähigkeitsprofl, das Sie vorgelegt Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine haben, wird diesem Ansinnen, dieser Bedingung von uns, Damen und Herren! Eingangs möchte ich uns alle an den in keinster Weise gerecht. Das, was Sie zusammenge- viel zu früh verstorbenen Guido Westerwelle erinnern. Er stellt haben, ist eine Wunschliste, die mit der fnanziellen hat sich als Außenminister für den Abzug der amerikani- Realität überhaupt nichts zu tun hat. schen Atomwafen aus Deutschland ausgesprochen. Das Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2018 5111

Dr. Gesine Lötzsch (A) war eine sinnvolle Forderung, die ich heute nur noch von Die „Erst schießen und dann denken“-Politik führt dazu, (C) der Linken höre, meine Damen und Herren. dass die Welt und auch unser Land nicht sicherer, son- dern unsicherer werden. (Beifall bei der LINKEN) Guido Westerwelle hat sich auch im UN-Sicherheitsrat (Beifall bei der LINKEN) enthalten, als es um den Krieg gegen Libyen ging. Das Vor 17 Jahren hatte die rot-grüne Bundesregierung war vor sieben Jahren eine kluge und mutige Entschei- den Bundeswehreinsatz in Afghanistan beschlossen. dung. Milliarden Euro wurden in diesem Land versenkt. Das (Beifall bei der LINKEN) Land ist destabilisiert und geschunden. Nun werden dort- hin auch noch Menschen abgeschoben. Wann, frage ich 19 877 Lufteinsätze wurden in Libyen gefogen, und seit- Sie, meine Damen und Herren, begreifen Sie endlich, dem herrscht dort Chaos. Ich will damit sagen, dass es dass Ihre militärischen Konzepte keine Probleme lösen, um ein Vielfaches mutiger ist, sich für den Frieden als sondern immer nur neue schafen? Wir brauchen einen für den Krieg einzusetzen. Wir erwarten von der Bundes- anderen Weg. regierung, dass sie sich für Frieden einsetzt und nicht in weitere Kriege ziehen will. (Beifall bei der LINKEN)

(Beifall bei der LINKEN) Mehr Ausrüstung und Aufrüstung bringen nicht mehr Frau von der Leyen möchte immer auf der vermeint- Sicherheit. Nichtsdestotrotz will die Bundeswehr bis lich sicheren Seite stehen. Wenn Trump einen völker- 2023 den Etat auf 60 Milliarden Euro erhöhen, und Fi- rechtswidrigen Krieg in Syrien führen will, bietet sie sich nanzminister Scholz von der SPD hat überhaupt nichts gleich als willfährige Partnerin an. Das können wir nicht dagegen einzuwenden. Ich habe mir erlaubt, im Wahl- hinnehmen. programm der SPD von 2017 – das ist also gerade einmal ein Jahr her – zu lesen, und zitiere mit Erlaubnis der Frau (Beifall bei der LINKEN) Präsidentin: Wenn Präsident Trump mehr Geld für Rüstung fordert, dann nimmt sie diese Forderung eilfertig auf. Sie möch- Eine … Festlegung auf einen Anteil der jährlichen te – und dabei wird sie von der SPD bzw. vor allen Din- Ausgaben für die Bundeswehr auf 2 Prozent des gen vom Finanzminister unterstützt – die Ausgaben für Bruttoinlandsprodukts käme einer Verdopplung un- die Beschafung von Wafen und Ausrüstung in nur ei- serer derzeitigen Ausgaben gleich und würde mehr nem Jahr um fast 25 Prozent steigern. Was für eine absur- als 70 Milliarden Euro pro Jahr für die deutsche Rüstungs- und Verteidigungspolitik bedeuten. Das (B) de Politik, meine Damen und Herren! (D) wird es mit der SPD nicht geben. (Beifall bei der LINKEN) Ich darf hinzufügen: Das ist kein Satz aus dem Gothaer Die circa 15 Milliarden Euro, die jährlich für militä- Programm der SPD von 1875, sondern eine Selbstver- rische Beschafungen, Materialerhalt, Wehrforschung, pfichtung der SPD aus dem vergangenen Jahr, und da- wehrtechnische und sonstige militärische Entwicklung ran möchte ich Sie hier öfentlich erinnern, meine Damen und Erprobung ausgegeben werden, übersteigen die zi- und Herren. vilen Sachinvestitionen des Bundes; die liegen nämlich bei 11 Milliarden Euro. Das ist doch eine verkehrte Welt. (Beifall bei der LINKEN) Das müssen wir unbedingt ändern. Häufg wird uns bei unserer Kritik entgegengehalten, (Beifall bei der LINKEN) es gebe Verträge, die könne man einfach nicht kündi- Man kann es auch so formulieren: Es kann doch nicht gen, daran sei man gebunden. Ich sage Ihnen: Wenn die wahr sein, dass die Bundesregierung mehr in Kriegsvor- Bundesregierung Verträge geschlossen hat – und das hat bereitung als in den Frieden investieren will. sie –, die zu Aufrüstung und zu Kriegseinsätzen zwingen, dann wird damit die Sicherheit der Bürgerinnen und Bür- Wenn nun der Kollege Röttgen von der CDU erklärt, ger dieses Landes aufs Spiel gesetzt, und darum müssen dass sich Deutschland, um einen schrecklichen Giftgas­ diese Verträge gekündigt werden. Auch dafür werden wir angrif mit massenhafter Wirkung auf die Zivilbevölke- in den Haushaltsberatungen werben. rung zu verhindern, einem Angrif auf Syrien nicht ver- schließen soll, dann heißt das doch, dass, in der CDU Herzlichen Dank. zumindest, die Lust am Präventivschlag begonnen hat, und das dürfen wir nicht hinnehmen. (Beifall bei der LINKEN – Alexander Graf Lambsdorf [FDP]: Es ist ein Paralleluniver- (Beifall bei der LINKEN) sum, in dem Sie leben! Unglaublich!) Gerade die CDU will ich daran erinnern, dass es eine der- artige Militarisierung der Politik unter Helmut Kohl nicht Vizepräsidentin Petra Pau: gegeben hat. Vielleicht können Sie sich daran erinnern. Das Wort hat Dr. Tobias Lindner für die Fraktion (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE Bündnis 90/Die Grünen. GRÜNEN]: Also Kohl und Genscher sind Ihre Vorbilder? Das ist ja interessant!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 5112 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 48 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 12 September 2018

(A) Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir entlassen Sie nicht aus der Pficht, hier im Vorhi­ (C) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! nein zu begründen, inwiefern ein solcher Einsatz völker- Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Ministe- rechts- und verfassungskonform sein soll. Mir persönlich rin, Sie haben, wie ich fnde, zu Recht, Ihre Ausführun- fehlt dafür die Fantasie, um das in aller Deutlichkeit zu gen mit der schrecklichen Lage in Syrien begonnen. Des- sagen. halb lassen Sie mich hierzu im Namen meiner Fraktion (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ein paar Punkte anmerken. Ja, es gibt kaum ein abscheulicheres Verbrechen als Ein letzter Punkt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, den Einsatz chemischer Wafen. Aber gerade deshalb Sie kennen mich, und Sie wissen, dass ich zu denen ge- ist die Diskussion der vergangenen Tage doch ziemlich höre, die in regelmäßigen Abständen sinnvollen Einsät- schräg, wie ich fnde. Statt drei Tage lang eine Diskus- zen der Bundeswehr hier in diesem Haus nicht ihre Zu- sion darüber wabern zu lassen, wie man Vergeltung übt, stimmung verweigern. nachdem chemische Wafen wiederholt eingesetzt wor- (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Das den sein könnten, sollten wir doch alles daransetzen, dass stimmt leider!) es nicht zu diesem erneuten Einsatz kommt, liebe Kolle- ginnen und Kollegen. Das ist so. Aber an dieser Stelle kann ich nicht erkennen, wie man mit militärischen Optionen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten (Tobias Pfüger [DIE LINKE]: Das hilft den der SPD) Leuten vor Ort nichts!) Da muss sich die Bundesregierung fragen lassen, ob sie tatsächlich Einhalt gebieten will, vor allem, da die letzten international gemeinsam mit ihren Partnern auf ziviler Vergeltungsschläge zu nichts geführt haben, liebe Kolle- Ebene alles dafür tut, dass es nicht dazu kommt. Wir Grü- ginnen und Kollegen. ne fragen uns: Warum berufen Sie nicht eine Sondersit- zung des Europäischen Rates ein? Warum üben Sie nicht (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – mehr Druck auf die Verbündeten von Herrn Assad aus, Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: auf Russland und den Irak, gerade wo doch der russische Was soll das jetzt heißen?) Außenminister jetzt nach Berlin kommt? Es darf doch Jetzt noch zwei Bemerkungen zum Haushalt. Ja, Frau keinen Freifahrtschein für diese Länder geben, wenn sie von der Leyen, Ihr Etat wächst gewaltig an. Es gibt Stim- Herrn Assad nicht Einhalt gebieten. men aus der Union, die fordern, er müsse noch weiter (B) Hinzu kommt, dass wir hier über eine Parlaments- wachsen, obwohl der Bundesrechnungshof beispiels- (D) armee reden. Frau von der Leyen, Sie gebärden sich ja weise schreibt, dass er es angesichts der fortbestehenden immer als Meisterin der Transparenz. Sonntagabend, Probleme im Beschafungsverfahren und des stockenden 22 Uhr, poppten die ersten Meldungen auf. Ich habe am Mittelabfusses der letzten Jahre für sehr optimistisch Montagmorgen um 9 Uhr darum gebeten, dass die Ob- hält, dass es dem BMVg überhaupt möglich sein wird, leute des Verteidigungsausschusses informiert werden. die deutlich erhöhten Ansätze auszuschöpfen. Es ist schon schräg, dass Sie uns bis zur Sitzung des Ver- Ich habe Ihnen etwas mitgebracht; ich weiß, das ist teidigungsausschusses heute Morgen im Unklaren darü- jetzt ein bisschen wie beim Augenarzt. ber gelassen haben, ob es eine Anfrage gibt, ob Optionen geprüft werden und was geprüft wird. Das ist aus meiner (Der Redner hält ein Schaubild hoch) Sicht nicht mit einer Parlamentsarmee vereinbar. Die roten Linien, die Sie hier sehen, sind all die Gelder, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Sie im Jahr 2017 im Haushaltsvollzug umgeschich- und bei der LINKEN sowie des Abg. Karsten tet haben. Es ist mehr als 1 Milliarde Euro. Sie haben Klein [FDP]) 900 Millionen Euro allein im Beschafungswesen über- Heute Morgen hat Ihr Staatssekretär im Verteidi- haupt nicht ausgeben können und verschoben. Kollege gungsausschuss juristische Pirouetten gedreht. Warum Felgentreu ist darauf eingegangen: Fast ein Viertel der stellen Sie sich nicht an dieses Pult und sagen heute in Stellen beim Beschafungsamt ist gar nicht besetzt. In aller Deutlichkeit, gerade weil in der Presse spekuliert dieser Situation, meine Damen und Herren, muss doch wurde, man wolle den Bundestag erst im Nachhinein um die erste Aufgabe sein, mit Geld vernünftiger umzuge- Zustimmung bitten: „Wenn wir an diesen Punkt kommen, hen, statt noch neues Geld auf den Verteidigungsetat dann werden wir in diesem Parlament – das garantiere draufzuwerfen. ich Ihnen – vorab darüber diskutieren und die Frage stel- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) len, ob es in diesem Hohen Haus eine Mehrheit für einen solchen Einsatz gibt oder nicht“? – Das hätte ich mir ge- Wir werden Sie in den anstehenden Haushaltsberatungen wünscht. Ich sage Ihnen als Grüner eines ganz deutlich: daran messen, dass Geld inhaltlich sinnvoll ausgegeben Wir werden, wenn Sie uns etwas vorlegen, uns das ganz wird und die richtigen Prioritäten gesetzt werden. genau angucken und es prüfen. Aber mit uns ist eines nicht zu machen: ein Einsatz der Bundeswehr, der gegen Vizepräsidentin Petra Pau: Völkerrecht oder gegen unsere Verfassung verstößt. Kollege Lindner, es gibt die Frage nach einer Frage (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) durch den Kollegen Dehm. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2018 5113

(A) Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): schon fünf Sekunden über meiner Redezeit bin –, beende (C) Das werde ich dem Kollegen Dehm nicht verweigern. ich meine Ausführungen. Herzlich gerne. Herzlichen Dank.

Vizepräsidentin Petra Pau: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich ahnte es.

Vizepräsidentin Petra Pau: Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): Das Wort hat der Kollege Henning Otte für die CDU/ Kollege Lindner, Sie haben Ihre Fantasie angespro- CSU-Fraktion. chen und gesagt, was diese Fantasie sich vorzustellen in der Lage ist und was nicht. Ungeachtet der Tatsache, dass (Beifall bei der CDU/CSU) ich auch gegen Vergeltungsschläge war, selbst wenn sie sich als efzient im militärischen Sinne erwiesen haben: Könnten Sie sich vorstellen, dass es auf der Matrix der Henning Otte (CDU/CSU): internationalen Vorverurteilung von Assad bei Giftgas Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr ver- auch ein taktisches und desinformationsgestütztes Mit- ehrten Damen und Herren! Wir stehen vor sicherheitspo- tel sein könnte, al-Nusra oder Ähnlichen Giftgas so zu- litischen Herausforderungen. Deswegen investieren wir zuspielen – es gibt ja auch das Gerücht, dass es einige in die Sicherheit unseres Landes. Zur aktuellen Situation. Giftgasanschläge, die Assad in die Schuhe geschoben Dass in Syrien ein Bürgerkrieg tobt, dass dort Millionen wurden, gab, die von al-Nusra stammten –, dass die west- Menschen auf der Flucht sind, dass Millionen Menschen liche Koalition der Luftwafen dann zum Einsatz kommt in Flüchtlingslagern leben, dass Millionen Menschen und einen entsprechenden Anlass geliefert bekommt? inmitten der Zerstörung leben, dass aktuell Syrien und Russland eine Provinz mit 2,5 Millionen Menschen (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE bombardieren, ist die Realität. Es bringt nichts, hier Ver- GRÜNEN]: Ihre Fantasie ist sehr groß! Wahn- schwörungstheorien zu konstruieren und hypothetische sinn!) Verläufe darzustellen. Wir müssen der Realität ins Auge Reicht Ihre Fantasie – wie meine – dafür aus, oder wäre sehen, und wir sorgen uns um diese Menschen in Syrien, das eine Verschwörungstheorie, und man wäre von vorn- meine Damen und Herren. herein vorverurteilt, wenn man eine solche schmutzige Wir sagen auch ganz deutlich: Ein Europäischer Rat Fantasie überhaupt hat? würde deswegen nichts bringen, weil Russland dort nicht (B) beteiligt ist, und Russland ist ein Aktivposten. Die Lage (D) Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ist sehr ernst. Es droht eine humanitäre Katastrophe. Es Herr Kollege Dehm, es gibt Dinge, die hypothetisch droht ein Blutbad. Es droht Giftgas eingesetzt zu werden. sind, und da kann man Fantasie walten lassen, und es Dies darf nicht passieren. Hier muss Deutschland eine gibt Dinge, die sich leider ereignet haben, und da gibt ganz klare Haltung haben. Der Einsatz von Massenver- es Fakten. nichtungswafen, mithin von Chemiewafen, ist verächt- lich. Das ist eine klare Haltung, die wir in der Koalition (Beifall der Abg. Dr. Franziska Brantner und auch in der Union haben, meine Damen und Herren. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir müssen alle diplomatischen Wege nutzen, um einen solchen Giftgaseinsatz zu verhindern. Präsident Assad Das Letzte ist der Teil, bei dem es um den Einsatz von muss wissen, dass wir einen Giftgaseinsatz nicht akzep- Chemiewafen in Syrien geht. Wir wissen aus interna- tieren können. Deswegen ist es richtig, Frau Bundesver- tionalen Fact Finding Missions, dass Assad mindestens teidigungsministerin, dass alle Optionen geprüft werden, viermal Giftgas eingesetzt hat und der sogenannte „Isla- Szenarien abgebildet werden. mische Staat“ mindestens zweimal. Es ist wichtig, dass wir dies mit Besonnenheit tun. (Alexander Graf Lambsdorf [FDP]: So ist Was nicht hilft, Frau Kollegin Dr. Lötzsch, ist, hier einen es!) verbalen Präventivschlag aufzuführen, in hypothetische Es ist bedauerlich – das sage ich hier in aller Deutlich- Panik zu verfallen, mit Polemik den Tod von Menschen keit –, dass Russland diese Fact Finding Missions im hinzunehmen und – das sage ich auch ganz deutlich, zur Rahmen der Vereinten Nationen durch sein Veto darauf anderen Seite – es mit Propaganda so darzustellen, als reduziert hat, nur noch den Einsatz von Giftgas, aber könne man die Hände in den Schoß legen. Wir sorgen uns nicht mehr die Urheberschaft festzustellen. um die Menschen. Wir brauchen eine kluge Außen- und Verteidigungspolitik mit einem klaren Wertekompass. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dafür steht die CDU/CSU, meine Damen und Herren. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU) Ich habe damit begonnen, die Bundesregierung aufzu- fordern, Druck auf Russland auszuüben. Ich glaube, das Vizepräsidentin Petra Pau: wäre ein wichtiger Punkt, an dem man mit diesem Druck Herr Kollege Otte, gestatten Sie eine Frage oder Be- nicht nachlassen darf. Damit, Frau Präsidentin – weil ich merkung des Kollegen ? 5114 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 48 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 12 September 2018

(A) Henning Otte (CDU/CSU): nis ist für uns unverzichtbar. Deswegen halten wir unsere (C) Nein. Wir haben uns im Verteidigungsausschuss schon Zusagen auch ein. ausgetauscht; von daher sind die Antworten gegeben. Meine Damen und Herren, der Verteidigungshaushalt für 2019 mit fast 43 Milliarden Euro bildet ab: Betriebs- Ich möchte zweitens darauf hinweisen, dass die rus- ausgaben inklusive Personalausgaben von 24 Milliarden sische Regierung sich klar positioniert, nicht im Dia- Euro, Investitionen von 9,5 Milliarden Euro, Versor- log, sondern mit militärischer Gewalt: Die Krim wurde gungsleistungen von 6 Milliarden Euro. Für uns ist dies völkerrechtswidrig besetzt. Assad wurde mit der Hilfe ein richtiger und notwendiger Schritt, er ist erforderlich, Russlands an der Macht gehalten. Russland hat dafür und wir sehen noch Nachholbedarf: 42,9 Milliarden Euro als Belohnung zwei Standorte, in Latakia und Tartus, in 2019 und 60 Milliarden Euro in 2023. Hier fordern bekommen. Zurzeit führt Russland mit chinesischer Be- wir vom Finanzminister, Verantwortungsbewusstsein zu teiligung ein Großmanöver durch, an dem 300 000 Sol- zeigen. daten teilnehmen. Das alles macht deutlich, dass wir in die Bündnisverteidigung investieren müssen. Sicherheit ist vielleicht nicht alles, aber ohne Sicher- heit ist alles nichts. Sicherheit gibt es nicht zum Nullta- Wir haben eine weitere große Herausforderung auf rif. Wir müssen bereit sein, für Frieden und Freiheit zu dem Kontinent Afrika, weil es dort auch instabile Län- investieren, und unseren Soldatinnen und Soldaten Dank der gibt, in Nordafrika, in der Sahelzone. Hunger, Not, zollen – wir denken auch an die Familienangehörigen –, Willkür, Gewalt: Dies lässt uns auch nicht unbekümmert; die im Einsatz und im Heimatbetrieb diese Sicherheit für denn wenn wir die Probleme in Afrika nicht mit lösen, unser Land gewährleisten. dann kommen die Probleme zu uns. Herzlichen Dank. (Zuruf von der LINKEN: Unglaublich!) (Beifall bei der CDU/CSU) Ich weise darauf hin, dass wir zukünftig noch vor gro- ßen Herausforderungen stehen werden. Deswegen ist es Vizepräsidentin Petra Pau: wichtig, dass wir mit militärischer Ausbildung und auch mit militärischer Hilfe Länder stabilisieren, dass wir mit Das Wort hat der Abgeordnete Martin Hohmann für Entwicklungspolitik Länder wirtschaftlich und bildungs- die AfD-Fraktion. politisch stärken und dass wir auch die Grenzen Euro- (Beifall bei der AfD) pas sicherstellen. Dies müssen wir bewusst machen in Deutschland und in Europa. Wir müssen uns auf das Un- (B) vorhergesehene und auf das Unvorhersehbare ausrichten Martin Hohmann (AfD): (D) und darauf vorbereitet sein. Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Der Verteidigungshaushalt ist von den im Deswegen ist es wichtig, in Sicherheit und Stabili- 51. Finanzplan vorgesehenen 39,9 Milliarden Euro auf tät zu investieren. Wir müssen in der Lage sein, unser nunmehr 42,9 Milliarden Euro erhöht werden. Von den Land vor Angrifen – militärischen Angrifen, Propagan­ 3 Milliarden Euro mehr für die Verteidigung sind allein daangrifen oder Cyberangrifen – zu schützen und zu 638,8 Millionen Euro im Wesentlichen den Tarifab- verteidigen. Das gilt für die äußere Sicherheit, und das schlüssen des Bundes geschuldet, und wegen der Infati- gilt auch für die innere Sicherheit. Und wir müssen auch on kommt bei den Soldaten von der Erhöhung leider nur bestimmen können, wer in unser Land kommt und wer relativ wenig an. nicht, meine Damen und Herren. Es gibt eine klare Not- wendigkeit der Bündnisverteidigung. Es gibt einen insta- Nach dem chinesischen Philosophen und Strategen bilen Nahen Osten, es gibt einen katastrophalen Zustand Wu Sunzi ist der größte Sieg der Sieg, der errungen wird, in Ländern Afrikas, es gibt eine handfeste Bedrohung ohne einen Schuss abzufeuern. durch Russland, und es gibt Herausforderungen im Trans­atlantischen Bündnis. (Tobias Pfüger [DIE LINKE]: Hört! Hört!) Frieden durch Abschreckung war das Erfolgsmodell des Deswegen ist es richtig, dass die europäische Säule Westens. Für den Frieden in Freiheit und Demokratie im NATO-Bündnis gestärkt wird, dass wir unseren Staat, kämpfen wir auch heute noch. Das wollen wir. unser Land auch stark machen, dass wir in die Sicherheit investieren und unsere Streitkräfte ausrüsten. Meine Da- Teil jeder Abschreckung ist die Glaubwürdigkeit. men und Herren, mit dem Weißbuch haben wir gesagt, Dazu gilt es, festzuhalten: wohin wir gehen müssen. Mit der Konzeption der Bun- deswehr haben wir gesagt, wie wir dies lösen wollen. Erstens. Glaubwürdigkeit ist zuerst die Glaubwürdig- Mit dem Fähigkeitsprofl stellen wir dar, womit wir dies keit vor sich selbst – und dann vor anderen. gewährleisten wollen. Wir brauchen eine starke Verteidi- Zweitens. Voraussetzung auf militärischem Gebiet gung, wir brauchen auch eine solide Rüstungsindustrie, sind gutes Training und gute Ausrüstung in allen Berei- und wir brauchen eine gut ausgebildete und ausgerüstete chen. Unsere Ausrüstungs- und Ersatzteilproblematik ist Bundeswehr. Deswegen wollen wir zusammen mit un- bekannt. seren europäischen Partnern europäischer werden, aber transatlantisch bleiben. Deswegen setzen wir auf das Drittens. Es bedarf wieder einer Kultur der Einsatzbe- Bündnis. Deswegen sagen wir: Verlässlichkeit im Bünd- reitschaft. Die Einheiten brauchen ftte, motivierte Solda- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2018 5115

Martin Hohmann (A) ten. Sie brauchen modernes Gerät und Munition – auch NIS 90/DIE GRÜNEN]: Da lachen Sie ja sel- (C) für das ständige In-Übung-Halten. ber!) (Beifall bei der AfD) Es gäbe kein Grundgesetz, Nur so haben wir eine wirkliche Kampftruppe. (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (Tobias Pfüger [DIE LINKE]: Ach so!) [FDP]: Folgen Sie ihm?) Selbstverständlich ist der militärische Selbstbehaup- und es gäbe nicht den unüberbietbaren Satz: Die Würde tungswille. Wenn Streitkräfte unseres Landes allein oder des Menschen ist unantastbar. im Verbund im Auftrag ihrer Regierung nach außen tre- (Beifall bei der AfD) ten, müssen sie den Anspruch erheben, aus einer Ausei- nandersetzung – auch mit einem schweren Gegner – sieg- Dieser Sieg stellt den Wendepunkt des damaligen reich hervorgehen zu können. Das ist nichts anderes als Ausgreifens des Islam nach Europa dar. Die Schlacht von der Selbstbehauptungswille und ein Selbstbehauptungs- Tours und Poitiers im Oktober 732, die erste Schlacht vor anspruch. Den muss jede Armee und jedes Volk haben. Wien 1529 und die Seeschlacht von Lepanto 1571 sind vergleichbare Wegmarken. (Beifall bei der AfD) Vor 335 Jahren haben unsere Vorfahren (Tobias Pfüger [DIE LINKE]: Wo leben Sie denn?) ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Solche Reden gehalten!) – Darüber sprechen wir ein anderes Mal. die Selbstbehauptung in die Tat umgesetzt. Sie haben Aber kommen wir aus der glorreichen Vergangenheit damit die geschichtliche Voraussetzung für den „star- in die weniger glorreiche Gegenwart zurück. ken und toleranten Rechtsstaat“ geschafen. Von dem hat (Henning Otte [CDU/CSU]: Ach was!) Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble gestern gespro- chen. Eines der Hauptmerkmale ist die Realitätsverweigerung Am 12. September 1683 wurde die Schlacht am Kah- der politisch Verantwortlichen. Damit sind wir wieder bei lenberg vor Wien geschlagen. Ein türkisches Belage- dem Hauptproblem der Bundeswehr: das fehlende Mate- rungsheer hatte die Stadt Wien eingeschlossen. Die Vor- rial und die fehlende Munition. Man könnte sarkastisch räte gingen zur Neige, die Lage war verzweifelt. Einer sagen: Die Bundeswehr steht gut da – wenn sie steht. Nur europäischen Streitmacht – auch vor 300 Jahren gab es wenn sie sich bewegen soll, dann wird es schwierig. (B) (D) Gott sei Dank funktionierende europäische Zusammen- (Beifall bei der AfD – Zurufe vom BÜND- arbeit – unter der Führung des polnischen Königs Johann NIS 90/DIE GRÜNEN: Tätä! Tätä! Tätä!) Sobieski gelang es, den Belagerungsring zu sprengen und die türkische Armee in die Flucht zu schlagen. Dem Passt die Umsetzung der europäischen Arbeits- siegreichen Heer wurde das Banner mit der Schutzman- zeitrichtlinie in die Streitkräfte? Was soll das Verbot für telmadonna vorangetragen. Nach Aufassung der dama- die Schifsbesatzungen, an Bord ihrer Schife zu über- ligen Zeitgenossen war der Sieg nur durch göttlichen nachten? Was bringt der Verzicht auf Stammbesatzungen Beistand zu erklären. für die Schifseinheiten? (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE Wolfgang Ischinger, Chef der Münchner Sicherheits- GRÜNEN]: Na klar! – Dr. Tobias Lindner konferenz, hat unlängst den Eindruck formuliert: [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also lasst uns mehr beten!) Die Deutschen sind die weltbesten – Ja, das ist nie schlecht. – Die katholische Kirche nahm – Pause – ihn zum Anlass, am 12. September das Fest Mariä Na- Trittbrettfahrer. men zu feiern. Frau Ministerin, nehmen Sie all Ihre Kraft und Ihren (Tobias Pfüger [DIE LINKE]: Das tut weh!) Einfuss zusammen, diesem Eindruck seine Berechti- Die Bedeutung dieses militärischen Sieges kann über- gung zu nehmen. haupt nicht überschätzt werden. Ohne diesen Sieg, auf den Tag genau vor 335 Jahren, Danke. (Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: (Beifall bei der AfD – Dr. Tobias Lindner Wir reden aber über den Bundeshaushalt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kommen wir 2019, Herr Kollege!) zurück zur Debatte!) hätten wir in Deutschland keinen liberalen und demokra- tischen Rechtsstaat. Vizepräsidentin Petra Pau: Für die SPD-Fraktion hat nun der Abgeordnete Dennis (Beifall bei der AfD – Lachen bei Abgeordne- Rohde das Wort. ten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Franziska Brantner [BÜND- (Beifall bei der SPD) 5116 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 48 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 12 September 2018

(A) Dennis Rohde (SPD): Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir befnden uns in (C) Sehr geschätzte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen einer Zeit immensen technischen Fortschritts, und dieser und Kollegen! Ich möchte auf die Haushaltsdebatte 2019 technische Fortschritt macht auch vor der Bundeswehr und die Bundeswehr zurückkommen. nicht halt. Das bringt für uns die Herausforderung mit, dass wir, wenn wir in diesem Haus über Auslandsein- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ sätze entscheiden, uns natürlich auch immer die Frage DIE GRÜNEN) stellen müssen: Ist die Bundeswehr für die Einsätze, in die wir sie schicken, auch bestmöglich ausgestattet? Ist Ich habe in Vorbereitung hierauf – es ist ja die dritte sie auf dem technischen Stand der Dinge? Wir wissen: Debatte innerhalb kürzester Zeit zu diesem Einzelplan Da liegen Aufgaben und Herausforderungen vor uns. und zum Haushalt an sich – die Menschen in den sozi- Wir haben neue Herausforderungen dazubekommen; die alen Netzwerken, mit denen ich verbunden bin, gefragt, Ministerin hat von den Cyberangrifen gesprochen. Wir was sie so interessiert und worüber sie sich Gedanken wissen auch als Sozialdemokraten, dass das Geld kosten machen, wenn sie an die Bundeswehr denken. Dabei wird. Deshalb sind die Haushaltsansätze, die Olaf Scholz sind einige ganz spannende Dinge herausgekommen. Ich vorgesehen hat, höher als die, die der damalige Bundes- möchte das eine oder andere aufgreifen. minister Schäuble vorgesehen hat. Mir hat ein User geschrieben, er fnde, dass die Bun- Und doch gilt – das sage ich als Haushälter –: Wir deswehr kein Geld-, sondern ein Efzienzproblem habe. wissen nicht, wie sich die Haushaltslage des Bundes in Das stimmt wohl. den nächsten Jahren entwickeln wird. Wir wissen nicht, wie sich die wirtschaftliche Lage in unserem Land entwi- (Dr. Marcus Faber [FDP]: Nein!) ckeln wird. Solange es geht, müssen wir daher Haushalte auf Sicht planen; denn nur das ist seriös und verantwort- Wir haben es erlebt: Mehr Geld alleine löst die Probleme bar. bei der Bundeswehr nicht. In der letzten Legislaturperi- ode wurden kumuliert 2,6 Milliarden Euro, die für die Das ist die Aufgabe, vor der wir auch mit Blick auf militärische Beschafung vorgesehen waren, nicht aus- den Einzelplan 14 stehen. Wir müssen auf der einen Sei- gegeben; das hat der Bundesrechnungshof kritisiert. Ich te die Aufgabe einer vorausschauenden Haushaltspolitik möchte aber sagen: Wir haben, Frau Ministerin, gemein- mit den auf der anderen Seite notwendigen zukunftsge- sam mit Ihnen ein Interesse daran, dass wir, wenn wir richteten Investitionen in Einklang bringen. Dieser He- diesen Haushalt irgendwann in den Vollzug bringen, am rausforderung werden wir uns in nächster Zeit stellen. Ende feststellen können: Das Geld, das für Beschafung Ich hatte eingangs gesagt, dass ich in den sozialen vorgesehen war, kann auch für Beschafung ausgegeben (B) Medien nachgefragt habe. Eine Nachricht war: Wir brau- (D) werden; denn nur dann kommt es bei den Soldatinnen chen keine Wehrpficht. Ich muss ehrlich sagen – man und Soldaten an. Dafür wollen wir diesen Haushalt nut- kann ja diese kontroverse Debatte führen –: Ich weiß, zen. Wir wollen, dass dieser Haushalt eine Blaupause für dass es auch in meiner Fraktion unterschiedlichste Posi- künftige Haushalte ist, was den Vollzug angeht. tionen dazu gab. Ich gehörte zu denen, die immer für die (Beifall bei der SPD) Abschafung der Wehrpficht waren. Ich weiß, dass an- dere Kolleginnen und Kollegen eine andere Aufassung Damit das gelingen kann, müssen wir das Beschaf- vertreten haben und lieber bei der Wehrpficht geblieben fungswesen konsequent überarbeiten. Dafür werden Ar- wären. beitsgruppen eingesetzt. Daran werden auch Parlamen- Aber, liebe Kollegen, diese Entscheidung ist 2011 ge- tarier beteiligt; das sieht der Koalitionsvertrag so vor. fallen, und ich verstehe nicht, wie man jetzt, nachdem Wir brauchen eine Organisationsstruktur, die schnell und wir Milliarden investiert haben, die Bundeswehr um- efzient ist und wirtschaftlich arbeitet. Man könnte im strukturiert und Strukturen geschafen haben, die mit ei- BAAINBw Prozesse und Entscheidungswege verschlan- ner Wehrpficht gar nicht mehr in Einklang zu bringen ken. Man könnte den Personalkörper stärken. Es gibt vie- sind, in diesem Sommer mit der Forderung herauskom- le Vorschläge. men kann, die Wehrpficht wieder einzuführen. Ich fnde, Ich fnde es aber besonders interessant, sich die Vor- das ist eine Debatte von gestern. Diese Debatte sollten schläge der letzten Monate anzusehen, die in den Medien wir hier nicht führen. Die Sozialdemokraten werden die diskutiert werden, insbesondere dann, wenn Medien über Wehrpficht auf jeden Fall nicht wieder einführen. Papiere berichten, die am Ende keiner geschrieben ha- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordne- ben will. Ein Vorschlag ist die Privatisierung der Behörde ten der CDU/CSU und des Abg. Dr. Tobias oder auch die Teilprivatisierung der Behörde, am besten Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) noch die Teilprivatisierung unter einem Geschäftsführer, der aus der Industrie kommt. Ich möchte für uns Sozi- Dass die Idee nicht besonders hell und klug ist, ha- aldemokraten sagen: Die Beschafung im Rüstungsbe- ben auch andere gemerkt. Denn schnell ging die Debatte reich ist für uns einzig und allein eine hoheitliche, eine einen anderen Weg. Dann war es nicht mehr die Wehr- staatliche Aufgabe, keine Aufgabe der Privatwirtschaft. pficht; es sollte auf einmal über ein verpfichtendes Jahr Deshalb wollen wir das Beschafungsamt stärken. Wir für alle jungen Menschen nachgedacht werden. Auch wollen und werden es aber nicht privatisieren. wenn es nicht zum Einzelplan passt, eine Bemerkung dazu: Diese Debatte ist Ausdruck des permanenten Ge- (Beifall bei der SPD) fühls einer Generation, dass die nachfolgende Generation Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2018 5117

Dennis Rohde (A) nicht sozial genug sei und dringend Nachhilfe benötigt. Liebe Kollegin Lötzsch, lassen Sie Guido Westerwelle (C) Das Gegenteil ist der Fall: Zigtausende junge Menschen in Frieden ruhen – so viel Empathie bei den Linken er- engagieren sich in Vereinen, leisten Freiwilligendienste warten wir schon –, und nennen Sie ihn nicht als Bei- ab und sind auch in der Integrationsarbeit in den letzten spiel. Das ist wirklich gruselig. Jahren eine wichtige Stütze gewesen. Die junge Genera- Anstatt das Ziel der Koalition gemeinsam anzugehen, tion braucht keine Pfichtnachhilfe in Gemeinwesen. Was in den nächsten Jahren die Bundeswehr vollumfänglich sie wirklich benötigt, ist mehr Wertschätzung und Aner- funktionsfähig zu machen, ergeht sich die Große Koa- kennung für die Freiwilligendienste. lition in internen Streitereien, wie dies konkret bewerk- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten stelligt werden soll. Ja, das ist ein Kraftakt, ein Kraftakt, der FDP) bei dem die Höhe der Investitionen, aber auch die Ef- zienz der Ausgaben eine Rolle spielen. Wenn wir jetzt Eine weitere Nachricht, die ich bekommen habe – an- endlich in den Verteidigungshaushalt kräftig investieren, scheinend von einem Soldaten –, ist, dass man bessere muss das Geld natürlich so präzise wie möglich bei der Möglichkeiten für Soldatinnen und Soldaten auf Zeit Truppe ankommen. Daher ist es einfach nur gruselig, nach ihrer Dienstzeit braucht und dass das Auswahlver- wie Hunderte Millionen Euro aufgrund koalitionsinter- fahren der Berufssoldaten nicht mehr zeitgemäß sei. Ich ner Querelen verbrannt wurden. Die Beschafung einer fnde, das zeigt, dass wir weiterhin vor der Herausfor- bewafneten Drohne wäre – um nur ein Beispiel zu nen- derung stehen, die Bundeswehr auch als Arbeitgeber at- nen – um einiges günstiger, würden Sie beide sich nicht traktiv zu machen und attraktiv zu halten. Das gilt nicht seit Jahren vor der Diskussion über die Bewafnung der nur für den soldatischen Bereich, sondern auch für die Drohne drücken. Verwaltung und alles was da mit dranhängt. (Beifall bei der FDP) Wir müssen über das Dienstrecht sprechen. Wir müs- Auch die horrenden Beraterhonorare in Höhe von über sen über die persönliche Ausstattung der Soldatinnen und 40 Millionen Euro – das muss man sich einmal auf der Soldaten sprechen. Denn das ist das, was direkt bei ih- Zunge zergehen lassen – für den Verkauf der HIL-Wer- nen ankommt und die Bundeswehr als Arbeitgeber auch ke hätten wir uns sparen können, wenn Union und SPD wieder attraktiver macht. Da haben wir mit dem letzten wüssten, was sie wollen. Gibt es eigentlich irgendetwas, Haushalt schon Akzente gesetzt, und das wird auch The- wo Sie einer Meinung sind und sich nicht refexhaft an ma in diesen Haushaltsverhandlungen sein, liebe Kolle- den Hals gehen? ginnen und Kollegen. Wir als Freie Demokraten werden genau hinschauen, Zum Abschluss habe ich noch eine Nachricht unter ob die deutlich gewachsenen Ausgaben für persönliche (B) dem Pseudonym „tlindner1982“ bekommen. Der Kolle- Ausstattung und Gerät tatsächlich ankommen, ohne in (D) ge Tobias Lindner bat, ich könnte ihn ja einmal loben. der bürokratischen Beschafungsmaschinerie geschred- Ich fnde, es gibt etwas, das lobenswert ist, nämlich dass dert zu werden. Eine Fußnote am Rande – aber sie ist die Zusammenarbeit der demokratischen Fraktionen über symptomatisch –: Die Misere bei der Beschafung hat Koalitions- und Oppositionsgrenzen hinweg funktioniert mich sogar in den Ferien eingeholt, als ich in der „Grie- und gut und fair ist. Ich hofe, dass das auch in diesen chenland Zeitung“ lesen durfte, dass die Vergabe eines Haushaltsverhandlungen so ist. Auftrags über 40 000 Schreibtische für die Bundeswehr Vielen Dank. an ein griechisches Unternehmen rückgängig gemacht werden musste. Der Grund: Ein Konkurrenzunterneh- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten men hatte erfolgreich gegen die Vergabe geklagt. Ofen- der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ sichtlich ist selbst die Beschafung von Büromöbeln für DIE GRÜNEN) das Ministerium eine Herkulesaufgabe. (Beifall bei der FDP)

Vizepräsidentin Petra Pau: Wir haben uns gegenüber den Partnern verpfichtet, Für die FDP-Fraktion hat nun die Kollegin Dr. Marie-­ konkrete Fähigkeiten zur Verfügung zu stellen. Wie die Agnes Strack-Zimmermann das Wort. Bundeswehr diese Fähigkeiten aufbauen konnte, hat das Verteidigungsministerium inzwischen dargelegt. Das (Beifall bei der FDP) wurde auch Zeit. Es ist spannend, dass man das inzwi- schen nicht nur in der Geheimschutzstelle nachlesen Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP): kann, sondern auch in jeder beliebigen Tageszeitung. So Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen viel dazu. Nach vier Jahren Lyrik über die zukünftige und Kollegen! Was sich in Sachen Bundesregierung in Aufstellung der Bundeswehr liegt jetzt etwas Handfestes den letzten Monaten abgespielt hat, ist schon bitter ge- vor; das ist gut. Schlecht ist, dass der Bundesfnanzminis- nug. Was sich SPD und Union jedoch gegenüber der ter – das ist verlässlich bei der Regierung, wenigstens et- Bundeswehr erlauben, ist ziemlich schräg. Als ich Ihnen was – diesen Bedarf für die Zukunft ignoriert und erneut heute zugehört habe, habe ich mich manchmal gefragt, einen Plan vorlegt, wo diese Investitionen schlichtweg ob Sie eigentlich noch zusammenarbeiten. – Aber das nur nicht berücksichtigt werden. Also, Kollege Felgentreu, am Rande. nix Schwimmbad für Kampfschwimmer, sondern weiter- hin sozialdemokratische Trockenübungen! Das ist nicht (Beifall bei Abgeordneten der FDP) nur grob fahrlässig. Das ist ignorant und befeuert natür- 5118 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 48 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 12 September 2018

Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (A) lich erneut die Diskussion zwischen Union und SPD über Sehr geehrte Damen und Herren, das ist die Wirklich- (C) die Umsetzung der Modernisierung der Bundeswehr. keit in Deutschland im Jahre 2018. Die Frage ist aber doch: Ist tatsächlich nicht ausreichend Geld da? Doch! (Beifall bei der FDP) Geld ist vorhanden. Sehr geehrte Bürgerinnen und Bür- Kolleginnen und Kollegen, Sie mögen das Proflierung ger dort oben, hören Sie genau hin: Wenn alle Parteien nennen. Für die Soldatinnen und Soldaten ist dieses Ge- von dort bis dort, einschließlich der Grünen, wenn alle zerre unerträglich. Parteien außer der Linken mehr Geld für die Bundeswehr fordern, ist plötzlich genug Geld da – für Soldatinnen Ich wende mich jetzt an die Frau Bundeskanzlerin, al- und Soldaten und für Wafensysteme. lerdings nur virtuell, weil sie bei dieser wichtigen Debat- te nicht dabei ist. Diese Debatte ist wichtig für Deutsch- Der Verteidigungshaushalt ist der zweitgrößte Res- land und Europa. Es ist Zeit, dass die Bundeskanzlerin sorthaushalt mit 42,9 Milliarden Euro plus 3,4 Milliarden Stellung bezieht. Wir brauchen die Diplomatie. Gerade Euro in anderen Einzelplänen versteckte Ausgaben. beim Thema Syrien ist Diplomatie ein hohes Gut. Wir (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann brauchen mehr Entwicklungshilfe, um vor Ort bei den [FDP]: Die auch die Freiheit der Linken schüt- Menschen zu wirken. Wir brauchen eine gut ausgestat- zen!) tete Armee. Das sind umgerechnet 570 Euro pro Person in diesem Meine Damen und Herren, die Soldatinnen und Solda- Land, die jeder in Deutschland 2019 für die Bundeswehr ten, die Garant unserer Freiheit in Frieden sind – manche zahlt. haben das ofensichtlich vergessen –, brauchen ein kla- res Signal von diesem Haus und ganz besonders von der (Henning Otte [CDU/CSU]: Für die Sicher- Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland. heit!) (Beifall bei der FDP) Der Rhein-Sieg-Kreis, mein Landkreis, mit 600 000 Ein- wohnern zahlt damit 342 Millionen Euro nur für die Vizepräsidentin Petra Pau: Bundeswehr. Wir könnten das Geld im Rhein-Sieg-Kreis Dr. Alexander S. Neu hat nun für die Fraktion Die Lin- auch anders verwenden. ke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Damit aber nicht genug. Frau Ministerin, hören Sie mir zu; Sie wollen ja die Bundeswehr noch weiter fnan- Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE): ziell ausrüsten, 60 Milliarden Euro bis 2024. Das heißt, (B) Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau jeder von Ihnen wird künftig 750 Euro pro Jahr zahlen. (D) Präsidentin! Sehr geehrte Bürgerinnen und Bürger dort Zweite Unwahrheit: Die Bundeswehr müsse für Lan- oben! Reichskanzler Bismarck sagte einst: des- und Bündnisverteidigung gewappnet sein. Landes- Es wird niemals so viel gelogen wie vor der Wahl, und Bündnisverteidigung – gegen welche Bedrohung ei- während des Krieges und nach der Jagd. gentlich, Herr Otte? Sie haben es ja gerade angesprochen. Ich bin geneigt, zu ergänzen: und bei Haushaltsdebatten (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – im Deutschen Bundestag. Henning Otte [CDU/CSU]: Fragen Sie mal die baltischen Staaten!) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – [CDU/CSU]: Ist das jetzt Gegen welche konkrete Bedrohung? Russland verfügt Ihr Anspruch?) weder über die militärischen Fähigkeiten noch über die wirtschaftlichen und fnanziellen Ressourcen, die NATO Denn, sehr geehrte Damen und Herren, Ihre Steuer- zu bedrohen. Das ist eine klare Lüge, und diese Lüge ist gelder, die Sie zahlen, werden nicht in Ihrem Interesse durch Fakten widerlegt. verwaltet und verteilt. Sie werden mit Unwahrheiten konfrontiert. Die erste Unwahrheit ist: Es gibt nicht (Henning Otte [CDU/CSU]: Fragen Sie doch ausreichend Geld für die Menschen in diesem Land, in mal die baltischen Staaten!) Deutschland. Es gibt nicht ausreichend Geld für die Ge- Die Linke fordert stattdessen: Beenden Sie die NATO-­ sundheit, weshalb Krankenhäuser oder einzelne Abtei- Osterweiterung und die NATO-Manöver im Osten; dann lungen geschlossen werden müssen. Es gibt nicht ausrei- enden auch die Spannungen mit Russland. chend Geld für Seniorenheime, weswegen Pfegerinnen und Pfeger überlastet sind. Es gibt kein Geld für eine or- (Beifall bei der LINKEN) dentliche Betreuung für missbrauchte Kinder. Zum Bei- Dritte Lüge: Ausrüstung statt Aufrüstung der Bun- spiel in Berlin fehlt das Personal, um missbrauchten und deswehr. „Ausrüsten“ oder „personelle, materielle und gequälten Kindern zu helfen. Es gibt nicht ausreichend fnanzielle Trendwende“ hört sich einfach besser an als Geld gegen Kinderarmut. Es gibt auch nicht ausreichend „aufrüsten“. Aber darum geht es: Es geht um Aufrüstung Geld für Schulen. In der Schule in meiner Nachbarschaft und nicht um Ausrüstung. sind die Schüler gebeten worden, ihre Hände doch an den Hosen abzutrocknen, weil es ab mittags keine Papier- Sehr geehrte Damen und Herren, Die Linke fordert handtücher mehr gibt, weil eine zweite Säuberungswelle einen Stopp der Aufrüstung und der Verschwendung von pro Tag nicht fnanzierbar sei. Steuergeldern – Ihrer Gelder – für die Bundeswehr. Aus Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2018 5119

Dr. Alexander S. Neu (A) Sicht der Linken wäre es ausreichend, wenn maximal Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C) 1 Prozent des BIP für die Landesverteidigung ausgege- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen ben würde. Das wäre genug. Es wären immer noch rund und Kollegen! Mit dem Haushalt 2019 soll der Verteidi- 30 Milliarden Euro. Die 16 Milliarden Euro, die frei wür- gungshaushalt erstmals seit Ende des Kalten Krieges auf den, könnten wir in Gesundheit, Bildung, Schule usw. über 40 Milliarden Euro steigen. Und bevor diese histori- usf. stecken. sche Erhöhung überhaupt beschlossen ist, streiten Sie in (Beifall bei der LINKEN – Dr. Marie-Agnes der Koalition schon darüber, ob er in den folgenden vier Strack-Zimmermann [FDP]: Sie haben die Pa- Jahren womöglich auf 60 Milliarden Euro steigen soll. piertaschentücher vergessen!) (Dr. Fritz Felgentreu [SPD]: Wir streiten doch Das wäre in der Tat eine Umverteilung im Interesse der gar nicht!) Mehrheit der Bevölkerung. Aber der Haushaltsentwurf, den Sie hier vorgelegt haben, spaltet diese Gesellschaft Grund dafür ist angeblich die Wiederentdeckung der weiter und ist ein Förderprogramm für diese Partei dort, Landes- und Bündnisverteidigung. Die ist aber nicht neu für die AfD. und war schon immer Aufgabe der Bundeswehr. Frau Ministerin, ich hatte gerade nicht die Möglich- Neu ist tatsächlich, dass seit dem Amtsantritt von Frau keit, Ihnen eine Frage zu stellen. Ich nutze dafür die letz- von der Leyen Auslandseinsätze ohne UN-Mandat au- ten Sekunden, aber vielleicht können Sie trotzdem darauf ßerhalb eines Systems kollektiver Sicherheit im Rahmen antworten. Was ist eigentlich, wenn es einen Chemiewaf- von Koalitionen der Willigen zum Aufgabenbereich der fenangrif seitens der aufständischen Terroristen in Idlib Bundeswehr gehören sollen. gibt? (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (Zuruf von der AfD: Gute Frage!) [FDP]: Das sieht Ihr Kollege Lindner aber an- ders! – Henning Otte [CDU/CSU]: Rot-Grün Würden Sie die auch bombardieren, oder geht das nur, hat Afghanistan damals angefangen!) wenn das bei der Regierung von Assad der Fall ist? Es war schon sehr interessant, Frau Ministerin, heute (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann Ihren Staatssekretär Hoofe im Verteidigungsausschuss [FDP]: Pfui!) zu hören, der uns noch mal erklärt hat, dass man sich in Können Sie das erklären? Es gab ja vier angeblich nach- der Bundesregierung – hört, hört, SPD: in der Bundes- gewiesene Fälle, die man der syrischen Regierung an- regierung! – doch schon beim letzten Mandat geeinigt lasten kann, zwei des „Islamischen Staates“, sieben sind habe, dass man ein System kollektiver Sicherheit nach (B) unaufgeklärt. Artikel 24 Grundgesetz gar nicht mehr brauche; das sei (D) doch schon obsolet. Ich erinnere nur an den Streit beim (Henning Otte [CDU/CSU]: Polemik! – letzten Syrien-Mandat. Da war die SPD zumindest noch Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: so weit, dass sie das System kollektiver Sicherheit nach Das ist ja schrecklich!) Artikel 24 nicht zur Disposition gestellt hat, auch wenn Was ist, wenn ein Chemiewafenangrif durch die Rebel- ich sagen muss, dass die Voraussetzungen leider schon len inszeniert wird? beim letzten Mandat nicht vorlagen. Aber ich hofe doch sehr darauf, dass die SPD diesmal standhaft bleibt und (Alexander Graf Lambsdorf [FDP]: Der ist sich von dieser Abkehr vom Völkerrecht nicht in den Ab- irgendwann auf die schiefe Bahn geraten! Ir- grund ziehen lässt. gendwann ist er auf die schiefe Bahn geraten!) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Würden Sie dann auch bombardieren, oder gilt das nur für die syrische Regierung? – Das ist eine Frage. Ich bitte Für diese grundgesetzwidrige Aufgabenerweiterung um Ihre Antwort. können wir als Parlamentarier natürlich keine Ressourcen (Beifall bei der LINKEN – Der Redner bleibt zur Verfügung stellen. Was die Bundeswehr hingegen zur am Rednerpult stehen – Unruhe) Erfüllung ihrer legitimen Aufgaben braucht, das wollen auch wir Grüne ihr nicht verwehren. Leider müssen wir seit Jahren feststellen, dass alle Neuanschafungen, be- Vizepräsidentin Petra Pau: sonders die Neuentwicklungen, nicht das leisten, was die Jeder entscheidet hier, wie er agiert, und Ihre Zeit ist Industrie jeweils versprochen hat, und die Bundeswehr beendet, Herr Kollege Neu. deswegen auf wesentliche Fähigkeiten verzichten muss. (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Ich be- Um die Forderung nach mehr Geld zu untermauern, komme ja keine Antwort! – Gegenruf der Abg. hat die Ministerin jetzt ein neues Fähigkeitsprofl vorge- Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: legt. Aber vielleicht wäre es ja sinnvoll, zunächst einmal Irgendwas muss in Ihrer Kindheit falsch ge- dafür zu sorgen, dass die Fähigkeiten, für die man be- laufen sein! – Gegenruf des Abg. Patrick reits viel Geld gezahlt hat, auch wirklich zur Verfügung Schnieder [CDU/CSU]: Rhein-Sieg-Kreis!) stehen. Mehr Schife, die nicht schwimmen, mehr Trans- Das Wort hat die Kollegin Katja Keul für die Fraktion portfugzeuge, die nicht fiegen, machen die Welt garan- Bündnis 90/Die Grünen. tiert nicht sicherer. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 5120 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 48 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 12 September 2018

Katja Keul (A) Solange die strukturellen Defzite bei Beschafung und Ohne eine solche Strategie führen höhere Ausgaben nur (C) Entwicklung nicht beseitigt sind, brauchen wir auch kei- zu einer Rüstungsspirale und damit zu weniger Sicher- ne weiteren Steuermittel zu verbrennen. heit für alle. Besonders das Vertragsmanagement scheint mir mehr Vielen Dank. als katastrophal organisiert zu sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Zuruf der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE NEN sowie der Abg. Dr. Gesine Lötzsch LINKE]) [DIE LINKE] – Dr. Marie-Agnes Strack-­ Zimmermann [FDP]: Das ist historisch Da will man beispielsweise die Panzerwerkstätten an die falsch! – Henning Otte [CDU/CSU]: Wir Industrie verkaufen und stellt plötzlich fest, dass niemand brauchen keine Feuerwehr!) mehr weiß, welche Reparaturrechte der Staat eigentlich an diesen Panzern hat, und niemand kann die Dokumen- tation zu diesen Verträgen noch fnden. Angeblich hat ein Vizepräsidentin Petra Pau: Hochwasser in Koblenz die Dokumente im Keller ver- Das Wort hat der Kollege Dr. Johann Wadephul für die nichtet – aber genau weiß es keiner –, und die Industrie CDU/CSU-Fraktion. hat merkwürdigerweise auch keine Unterlagen mehr. Je- (Beifall bei der CDU/CSU) der Bürger, der sich einen Gebrauchtwagen kauft, würde sorgfältiger mit seinen Vertragsunterlagen umgehen. Dr. Johann David Wadephul (CDU/CSU): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Herren! Wir diskutieren hier den Verteidigungshaushalt, Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: und deswegen möchte ich vorausschicken, dass die Uni- Das stimmt!) onsfraktion natürlich der Aufassung ist, dass wir die Wenn die Beschafung für die Bundeswehr tatsächlich Herausforderungen, die wir international sicherheitspoli- funktionieren würde und wenn wir dann auch noch euro- tisch haben, niemals allein militärisch lösen können, son- päisch besser zusammenarbeiten würden, was wir ja alle dern dass unsere diplomatischen Anstrengungen, unsere wollen, dann könnten wir mit den fnanziellen Mitteln, entwicklungspolitischen Anstrengungen, unsere humani- wie wir sie bislang ausgegeben haben, schon sehr viel tären Anstrengungen immer im Vordergrund stehen, im tun, um das Fähigkeitsprofl zu verbessern. Warum wir Übrigen auch in der vergangenen Legislaturperiode im aber gerade jetzt, wo wir europäischer werden wollen, Vordergrund der Politik dieser Koalition gestanden ha- nationale Beschafungen noch mal kräftig vorantreiben ben. (B) sollen, erschließt sich mir nicht. (Alexander Graf Lambsdorf [FDP]: Nicht (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) in der Finanzplanung, Herr Wadephul! – Dr. Marie-Agnes­ Strack-Zimmermann [FDP]: Oder hat die Industrie etwa Angst, es könnte tat- Wo ist denn das Geld für die Diplomatie? – sächlich mal klappen mit der Konsolidierung des euro- Zuruf der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) päischen Rüstungsmarkts? In Anbetracht der aktuellen Rhetorik braucht sich die Rüstungsindustrie nun wirk- Es hätte mit Sicherheit oder mit großer Wahrscheinlich- lich keine Sorgen zu machen. Einige hören sich an, als keit das Abkommen mit dem Iran über die Nuklearwaf- stünde der Angrif Russlands auf die NATO im Baltikum fen und das Klimaabkommen, um nur mal zwei große unmittelbar bevor. Dabei geben allein die europäischen wirklich erfolgreiche Abkommen zu nennen, nicht gege- NATO-Staaten heute schon dreimal so viel für Rüstung ben, wenn die deutsche Diplomatie, die deutschen Au- aus wie Russland – und die USA allein zehnmal so viel. ßenminister und die deutsche Bundeskanzlerin sich nicht Glaubt irgendjemand ernsthaft, dass wir die sicherheits- dafür eingesetzt hätten. politischen Herausforderungen unserer Zeit dadurch lö- Wir haben uns in diesem Koalitionsvertrag, der unserer sen, dass wir aus einer 13-fachen Übermacht eine 20-fa- Arbeit zugrunde liegt, deshalb verpfichtet – da wir jetzt che Übermacht machen? Wohl kaum! über Geld reden, will ich zu diesem Punkt kommen –: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wenn wir die fnanziellen Mittel im Verteidigungsetat Dr. Marcus Faber [FDP]: Fragen Sie mal die aufstocken, was nach unserer Aufassung dringend not- Ukrainer! – Gegenruf der Abg. Dr. Marie-­ wendig ist – dazu werde ich gleich etwas sagen –, dann Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Genau! – werden wir auch die Mittel der Entwicklungszusammen- Alexander Graf Lambsdorf [FDP]: Auf arbeit, die sogenannten ODA-Mittel, im Entwicklungs- welchem Rubelkurs beruht diese Rechnung? hilfeetat ebenso wie die humanitären Mittel im Etat des Ohne den Rubelkurs können Sie doch so Auswärtigen Amtes entsprechend eins zu eins erhöhen. gar nicht argumentieren! – Dr. Marie-Agnes (Tobias Pfüger [DIE LINKE]: Sie machen Strack-Zimmermann [FDP]: Wie naiv!) genau das, was im Koalitionsvertrag drinsteht, Frieden ist mehr als Sicherheit, und Sicherheit ist eben nicht!) mehr als hohe Rüstungsausgaben. Was wir brauchen, ist Für diese Koalition – für CDU, CSU und SPD – be- eine politische Strategie und die Rückkehr zur kollekti- steht eine nachhaltige Außen- und Sicherheitspolitik im- ven Sicherheit. mer auch darin, humanitäre Hilfe und Entwicklungshilfe (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu leisten und die Staaten, die verunsichert sind, die labil Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2018 5121

Dr. Johann David Wadephul (A) sind, die sich einer inneren und äußeren Bedrohung aus- gitalisierung, auch im Bereich der Kommunikation, fort- (C) gesetzt sehen, innerlich zu erstarken und ihnen die Mög- schreiben und dort etwas tun. lichkeit zu geben, Stabilität selber herbeizuführen. Das ist Grundlage unserer Arbeit. Zwar ermöglicht der Ausrüstungsstand der Bundes- wehr die Erfüllung ihres Auftrages, aber wir sind an man- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. cher Stelle wirklich an der Grenze. Man muss ehrlicher- Dr. Fritz Felgentreu [SPD]) weise sagen – das müssen wir auch als Abgeordnete, die Aber es lässt sich überhaupt nicht leugnen, dass wir in die Soldatinnen und Soldaten in Einsätze schicken –: Wir den letzten Jahren – das ist auch unter Verantwortung von bewegen uns an der Grenze, und wir muten Soldatinnen Ministern meiner Partei und unserer Schwesterpartei und und Soldaten an einigen Stellen vieles zu. Vieles wird ebenso in Koalitionen mit Freien Demokraten gesche- mit Kreativität und Einsatzbereitschaft ausgeglichen; das hen – den Verteidigungsetat zu stark haben abschmelzen dürfen wir nicht übertreiben. Wir haben eine Verantwor- lassen. tung gegenüber den Soldatinnen und Soldaten. Sie haben eine bessere Ausstattung, eine modernere Ausstattung, (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann eine sichere Ausstattung verdient. Und sie haben es auch [FDP]: Richtig!) verdient, dass wir neueste Ausrüstungsgegenstände be- Dabei haben wir uns der Illusion hingegeben – das betrift schafen. Dafür brauchen wir die hinreichenden fnanzi- uns ebenso wie viele andere in diesem Hause und auch ellen Mittel, liebe Kolleginnen und Kollegen. Dazu be- in vergangenen Legislaturperioden –, es würde keine kennen wir uns. dringende Notwendigkeit zur Landes- und Bündnisver- teidigung mehr geben. Dem hat das Weißbuch Rechnung Es geht dabei um zwei Aspekte – ich fnde, hier soll- getragen, aus dem letzten Endes das Fähigkeitsprofl ten wir uns die Schuld nicht gegenseitig zuschieben –: entwickelt und jetzt vorgelegt worden ist – übrigens in einerseits die fnanziellen Mittel und andererseits die einem organischen Prozess, nicht überraschend oder in Umsetzung. taktischen Manövern; sondern das ist schlicht und ergrei- fend eine organische Entwicklung. Zum ersten Aspekt, den fnanziellen Mitteln, liebe Kolleginnen und Kollegen der sozialdemokratischen Nun ist natürlich vollkommen klar, dass wir uns in- Fraktion, gehört, dass wir uns unter Außenminister nerhalb Europas wünschen, dass sich das Verhältnis zu Steinmeier in der NATO verpfichtet haben, bis 2024 das Russland positiver gestaltet. Nur, Herr Kollege Neu, 2-Prozent-Ziel zu erreichen. Ich bin zwar Jurist und kein sich hierhinzustellen und zu sagen, dass es überhaupt besonders guter Rechner, aber 1,5 Prozent bis 2024 sind (B) keine Bedrohung aus russischer Sicht gibt, leugnet das, eben nicht 2 Prozent. Wir müssen unsere Bündnisver- (D) was kriegerisch noch immer jeden Tag in der Ostukraine pfichtungen an dieser Stelle einhalten. Die Unionsfrak- geschieht, und leugnet, dass die NATO jeden Tag, zum tion steht dazu. Wir wollen 1,5 Prozent am Ende dieser Beispiel im Luftverkehr mit Rotten, an denen sich auch Legislaturperiode erreichen, und da müssen wir noch die deutsche Luftwafe beteiligt, darauf reagieren muss, Geld draufpacken, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das dass unser NATO-Gebiet und baltische Staaten verletzt schulden wir unseren Bündnispartnern, das schulden wir werden. unseren Soldatinnen und Soldaten. Vor dem Hintergrund dessen, was in der Ukraine ge- schehen ist, gibt es eine neue Notwendigkeit, Landes- (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Marie-Agnes und Bündnisverteidigung ernst zu nehmen und die Bun- Strack-Zimmermann [FDP]: Das sagen Sie deswehr entsprechend auszustatten. Das ist einfach ein mal Ihrem Finanzminister!) Zeichen der Zeit, das wir erkennen. Darauf müssen wir reagieren. Und das Zweite – und da will sich niemand wegdrü- cken – ist das Thema der Umsetzung; das ist vollkommen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- klar. Das hat die Ministerin auch erkannt. Wir müssen et- ordneten der FDP) was machen. Niemand will übrigens eine Privatisierung. Malen Sie nichts an die Wand. Aber wir müssen natürlich Vizepräsidentin Petra Pau: auch das eine oder andere mit Privaten machen. Dann Kollege Wadephul, gestatten Sie eine Zwischenfrage? wird gesagt: Da gibt es riesige Beraterhonorare. – Das ist an der einen oder anderen Stelle für die Professionalität auch notwendig, weil Ausschreibungen – das haben Sie Dr. Johann David Wadephul (CDU/CSU): selber berichtet – von Top-Kanzleien angefochten wer- Nein, ich würde gerne fortfahren. den. Darauf müssen wir eingestellt sein.

(Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Sie Wir müssen auch mal darüber nachdenken – das sage haben mich direkt angesprochen!) ich dem Haushaltausschuss –, ob die 25-Millionen-Eu- Zum Thema „Ausstattungssituation in der Bundes- ro-Grenze für Beschafungsvorhaben immer noch not- wehr“. Einige der Transporthubschrauber – das ist von wendig ist. Die 25-Millionen-Euro-Grenze trägt der Herrn Lucassen hier vollkommen zu Recht angesprochen Infationsrate nicht Rechnung. Das bürdet dem Ministe- worden – müssen modernisiert werden. Es gibt andere rium und allen Behörden sehr viel Arbeit auf und verzö- Notwendigkeiten, die unstrittig sind. Wir müssen die Di- gert schlicht und ergreifend auch Beschafungsvorhaben. 5122 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 48 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 12 September 2018

Dr. Johann David Wadephul (A) Das heißt, das Parlament ist für eine gewisse Trägheit in Herr Hohmann, Sie haben noch eines vergessen in Ih- (C) diesen Prozessen mitverantwortlich. rer Geschichtsbetrachtung – die Geschichte ist nun mal mehr als 50 Jahre alt –: Wenn es die Befreiung vom deut- (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das ist schen Nationalsozialismus und europäischen Faschismus ja der größte Quatsch! – Tobias Pfüger [DIE nicht gegeben hätte, könnten Sie hier nicht stehen, um LINKE]: Das ist unglaublich, was Sie sagen!) eine solche Rede zu halten. Auch dem müssen wir uns stellen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Es lebe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- die Intransparenz!) geordneten der CDU/CSU) – Nein, nein, nein, Intransparenz will niemand. Wenn ich schon mal dabei bin: Herr Dr. Neu (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Doch!) (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Och nee!) Es wird alles auf den Tisch gepackt. Es gibt keine Armee, die transparenter ist als die Bundeswehr. Dazu stehen – ja –, wenn Sie mal in die Verteidigungsdoktrin, die wir. Malen Sie nichts an die Wand. Das ist eine Parla- im Dezember 2014 von der russischen Regierung ver- mentsarmee. Da kommt alles auf den Tisch. abschiedet worden ist, hineinschauen und dort lesen, dass Kapazitäten der atomaren Art aufgebaut werden (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) sollen, um eine mögliche gegnerische Überlegenheit Deswegen gilt insgesamt: Wir sind gemeinsam dafür sehr schnell, und zwar präventiv, mit atomaren Schlägen verantwortlich, dass wir das notwendige Geld im Haus- zu beseitigen, dann werden Sie sehen, dass man dieses halt zur Verfügung stellen und dass es dann auch sinn- durchaus nicht als freundliche Ankündigung ansehen voll verwendet wird, um unsere Soldatinnen und Solda- kann. Und wenn ich gleichzeitig auf einer Demonstrati- ten vernünftig auszustatten, und dafür zu sorgen, dass on die Darstellung von Hyperschalltechnologie und Ra- Deutschland ein verlässlicher Bündnispartner ist. keten, die mit atomaren Sprengköpfen besetzt sind und die Pole überschreiten können, sehe, dann sage ich: Das Herzlichen Dank. ist eine technologische Entwicklung, die für uns auf die (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Alexander S. Tagesordnung von Abrüstung und Rüstungskontrolle ge- Neu [DIE LINKE]: Das ist das Wichtigste!) hört, aber nicht auf die Tagesordnung von gegenseitigen Bedrohungen. Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen, damit Sie auch wissen, um welche Diskussionen – auch Vizepräsidentin Petra Pau: (B) bezüglich technologischer Entwicklungen – es tatsäch- (D) Der Kollege Wolfgang Hellmich hat für die SPD-Frak- lich geht. tion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD) der CDU/CSU) Unsere Bündnispartner nehmen die Debatte hier sehr (SPD): Wolfgang Hellmich deutlich wahr. Wir waren am vergangenen Wochenende Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Her- in Frankreich bei einer Sommeruniversität. Die dortigen ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte Delegierten und Vertreterinnen und Vertreter fast aller verleitet mich zu drei Vorbemerkungen. Frau Strack-­ europäischen Ausschüsse, nicht nur der französischen Zimmermann, Ausschüsse, verfolgen sehr genau die Debatte, die wir (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann hier im Bundestag über den Haushalt führen, unter der [FDP]: Ja, hier!) Fragestellung, ob wir ihnen gegenüber demonstrieren können, dass wir erstens bündnisfähig und zweitens wenn Sie über die Schreibtische philosophieren, dann bündniswillig sind und dies auch entsprechend fnanziell vergessen Sie, dass dieses Vergaberecht, mit dem wir hinterlegen. Da hat niemand mir gegenüber von 2 Pro- gerade zu kämpfen haben, eine schwarz-gelbe Bundesre- zent gesprochen. Die Esten schon; das ist mir aber nicht gierung geschafen hat. neu. Aber es haben alle die Frage gestellt: Wozu ist ei- (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann gentlich die Bundesrepublik Deutschland bereit? Ist sie [FDP]: Das macht nichts! Es ist trotzdem bereit, im Bereich der technologischen Entwicklungen schlecht! Das macht es nicht besser!) der Bundeswehr und im Bereich der Prävention und der Früherkennung von Krisen Mittel zur Verfügung zu stel- Deshalb warte ich auf Ihre Vorschläge, wie man das Ver- len, um in den internationalen Bündnissen, in der NATO, gaberecht verändern kann, damit wir aus solchen Situati- UN und EU wirksame Beiträge zu leisten, die über das onen herauskommen. hinausgehen, was wir gerade demonstrieren leisten zu können? (Dr. Marcus Faber [FDP]: Sie müssen vor allem nicht alles europäisch ausschreiben!) Den Hinweis darauf, was wir im technologischen – Das ist falsch, was Sie da gerade sagen. Das ist schlicht- Bereich, sogar bei Satelliten und im Weltraum, bei der weg falsch. mobilen taktischen Kommunikation, den Fähigkeiten bei der deutsch-französischen Brigade, technologisch inter­ (Dr. Marcus Faber [FDP]: Das ist richtig!) operabel zu werden, leisten, hatten viele der dortigen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2018 5123

Wolfgang Hellmich (A) Delegierten bzw. Vertreterinnen und Vertreter gar nicht Vizepräsidentin Petra Pau: (C) erst zur Kenntnis genommen. Man musste ihnen lange Der Kollege Dr. Reinhard Brandl hat für die CDU/ erklären, dass Deutschland auf dem Weg ist, die Bünd- CSU-Fraktion das Wort. nisfähigkeit zu stärken. (Beifall bei der CDU/CSU) Das wollen wir auch mit diesem Haushalt leisten. Das Logistikzentrum oder das Logistikkommando in Ulm, das europäische Sanitätskommando bzw. die Vorberei- Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU): tung dafür, die aufwachsenden fnanziellen Mittel für Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wissenschaft und Technologie, mit denen wir auch die Wenn heutzutage über den Zustand der Bundeswehr ge- europäischen Fähigkeiten stärken wollen – all dies ge- sprochen wird, dann wird oft gesagt: Schuld ist der Spar- hört in den Kurs einer Stärkung der Verteidigungs- und kurs der letzten 25 Jahre. Das stimmt. Bündnisfähigkeit Europas, der NATO und auch der UN und zeigt das deutsche Bemühen darum. Das Problem ist nur: Wir lernen nicht in allen Berei- chen daraus. Ich mache mir keine Sorgen um die Bundes- Das Delta ist da; das ist mir klar. Das wissen wir alle. wehr im Jahr 2019. Ich mache mir auch keine Sorgen um Das ist in den letzten drei Jahren und heute wohl zum die Bundeswehr im Jahr 2020 oder 2021. Der Haushalt, 295 000. Mal beschrieben worden – ungefähr so oft habe der heute hier vorgelegt wird, stimmt. Die Trendwenden, ich es gehört –; aber bei der Beschreibung fehlen oft die die Ministerin von der Leyen auf den Weg gebracht hat, konkreten Vorschläge für die Roadmap, die den Weg wirken. Die Bundeswehr wird von Tag zu Tag attraktiver, weist, wie man dieses Delta schließen soll, das tatsäch- und die Materiallage wird besser. lich da ist. Wenn ich zum Beispiel das Kapitel Materialerhal- Ich sehe mir diesen Haushalt an und stelle fest: Es gibt tung im Haushalt betrachte, stelle ich fest, dass wir dafür zumindest fnanzielle Möglichkeiten und Mittel, die Lü- im nächsten Jahr über 4 Milliarden Euro vorsehen. Bis cken, die tatsächlich da sind, an den zentralen Stellen, an 2015 – Henning Otte und ich haben das oft bemängelt – denen es notwendig ist, gerade im Interesse der Soldatin- waren wir noch bei einem Niveau von etwa 2 Milliarden nen und Soldaten zu schließen. Euro. Wir stellen fest: Es funktioniert; es läuft. Deshalb fnde ich es richtig, mit den Investitionen für Meine Damen und Herren, Sorgen mache ich mir um die Digitalisierung zu beginnen. Beim Thema MoTaKo die Bundeswehr im Jahr 2025 und in den daraufolgen- oder bei der Fähigkeit einer deutsch-französischen Briga- den Jahren; denn wenn wir dann noch eine Truppe haben de, technologisch zusammenwirkend zusammenzuarbei- wollen, die unser Land verteidigen kann, dann müssten ten, geht es um eine Schlüsselfähigkeit, die europäische (B) wir jetzt zu einem echten technologischen Sprung an- (D) Kräfte erst in Zukunft in die Lage versetzt, zusammen- setzen, wie wir ihn zum letzten Mal in den 1970er- und zuwirken, zusammenzuarbeiten und am Ende auch eine 1980er-Jahren gemacht haben und von dem wir heute gemeinsame Führungsphilosophie zu entwickeln. noch zehren. Die Ansätze in diesem Haushalt spiegeln genau die- se Linie wider, die sich auch darin niederschlägt, die Heute ist schon der Transporthubschrauber CH-53 an- persönliche Ausstattung der Soldatinnen und Soldaten gesprochen worden. Er fiegt in Afghanistan jeden Tag. zu verbessern. Bei allen Besuchen in Fritzlar, in Pful- Der Hubschrauber wurde 1972 in die Bundeswehr ein- lendorf und an vielen anderen Standorten – der Kollege geführt, vor 46 Jahren. Heute ist auch der Tornado an- Felgentreu war ja auch viel unterwegs – kam immer ei- gesprochen worden. Der Tornado kam 1981 zur Bundes- nes zum Ausdruck: Die Frage der persönliche Ausstat- wehr, vor 37 Jahren. Das Patriot-Raketenabwehrsystem tung bzw. des Kümmerns darum ist zusammen mit der ist heute noch nicht angesprochen worden, ist aber auch Frage des Materials und des Zustandes des Materials für wichtig. Es wurde 1989 in die Bundeswehr eingeführt, die Soldatinnen und Soldaten Indikator, ob wir sie und vor 29 Jahren. Es schützt uns gegen Raketen der 1990er- ihren Beruf entsprechend wertschätzen oder nicht. und 2000er-Jahre, aber in der Zwischenzeit nicht mehr vor modernen Langstreckenraketen, die ja genau dafür Deshalb senden wir, wenn wir für unsere Soldatinnen entwickelt worden sind, diese Systeme zu überwinden. und Soldaten dort einen Schwerpunkt setzen, genau das Signal, das zeigt, dass wir sie nicht nur ernst nehmen, Wissen Sie, was all diese Projekte gemeinsam haben, sondern wertschätzen, dass wir ihren Einsatz für unser auch mit dem Thema Mehrzweckkampfschif? Ich könnte Land wertschätzen und uns auch entsprechend um sie das weiterführen. Alle diese Projekte haben gemeinsam, kümmern. dass sie im Haushalt zwar vorhanden sind, aber nicht f- nanziert sind. Das heißt: Das Ministerium kann alle diese Deshalb ist dieser Haushalt ein Signal des Weiter-so, Projekte nicht starten. Das heißt jetzt nicht, dass keines ein Signal, das zeigt, dass wir in die richtige Richtung der Projekte jemals kommen wird. Wahrscheinlich wer- gehen. Ich bin sehr dafür, dies zu verstetigen. Wir werden den wir das eine oder andere auch auf den Weg bringen dieses Signal auch in den nächsten Jahren gemeinsam können. Aber wenn sich die Bundeswehr heute entschei- weiter verstärken. det, die neuen Mehrzweckkampfschife, die sie für die Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Marine dringend braucht, zu beschafen, bedeutet das au- tomatisch, dass viele andere Systeme hinten runterfallen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Das ist kein Problem für das Jahr 2019. Das wird aber ein der CDU/CSU) großes Problem in 10 oder 20 Jahren werden. 5124 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 48 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 12 September 2018

Dr. Reinhard Brandl (A) Meine Damen und Herren, um das zu ändern, müssen Vizepräsidentin Petra Pau: (C) wir, muss die Bundesregierung endlich den Widerspruch Weitere Wortmeldungen zum Einzelplan des Ge- aufösen, in dem wir seit Jahren und auch in diesem Jahr schäftsbereiches des Bundesministeriums der Verteidi- leben. Der Widerspruch besteht darin, dass im Juli auf gung liegen mir nicht vor. einen NATO-Gipfel die Bundeskanzlerin im Namen der Bundesregierung, abgestimmt mit allen Bundesmi- Wir kommen schließlich zum Geschäftsbereich des nistern, erklärt hat, dass im Jahr 2024 von Deutschland Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammen- 1,5 Prozent des BIP für Verteidigungsausgaben erbracht arbeit und Entwicklung, Einzelplan 23. werden, und im gleichen Monat der Bundesfnanzminis- Ich bitte, die ofensichtlich notwendigen Umgruppie- ter, auch Teil der Bundesregierung, einen Haushalt vor- rungen in den Fraktionen zügig vorzunehmen. – Wenn es gelegt hat, der vorsieht, dass im Jahr 2022 die Ausgaben noch Diskussionsbedarf gibt, auch in der SPD-Fraktion, für Verteidigung auf 1,23 Prozent des BIP absinken, also verlagern Sie ihn doch bitte an den Rand des Plenums, genau die andere Richtung. sodass ich die Debatte eröfnen kann. Meine Damen und Herren, dass die Mittel im Vertei- Das Wort hat der Bundesminister für wirtschaftliche digungshaushalt dann absinken werden, glaube ich noch Zusammenarbeit und Entwicklung, Dr. Gerd Müller. nicht einmal. Das ist unrealistisch. Aber wissen Sie, was passieren wird? Es wird Folgendes passieren, wenn jetzt (Beifall bei der CDU/CSU) nichts geändert wird und wenn wir so weitermachen wie bisher: Im Jahr 2021 wird der Titel für 2022 erhöht. Dann Dr. Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche hat die Bundeswehr 2022 genügend Geld zur Verfügung. Zusammenarbeit und Entwicklung: Das Problem ist: Sie kann im Jahr 2019 keine neuen Pro- Vielen Dank. – Meine Damen und Herren! Frau Prä- jekte starten. Das heißt, die Bundeswehr braucht jetzt die sidentin! Die Rede wäre auch für Verteidigungspolitiker Planungssicherheit über die nächsten Jahre hinweg. Wir interessant, aber Sie werden die Fakten dann bekommen. haben gestern den Bundesfnanzminister gehört. Da war ich ganz positiv überrascht, weil er nämlich gesagt hat, Manchmal fragt man sich, ob man angesichts der Ka- er sieht die Notwendigkeit, dass wir für die Bundeswehr tastrophen um uns herum nicht verzweifeln könnte. Ich auch in Zukunft mehr Geld zur Verfügung stellen. Ich denke – die Regierungsbank schaut auf – an Idlib, an bitte, ihm auszurichten – seine Staatssekretärin sitzt heu- die Menschen unter dem Bombenhagel. Man fragt sich te hier –: Wir nehmen ihn beim Wort. in einer Haushaltsdebatte angesichts dessen, was wir an Wohlstand verteilen – jeder Einzelne sollte sich das ein- Wir glauben jetzt einmal nicht Carsten Schneider, dem mal fragen –: Darf es uns so gut gehen, wenn es ande- (B) Parlamentarischen Geschäftsführer der SPD-Fraktion, ren in der Welt so schlecht geht? Ich möchte Ihnen kein (D) der heute wieder genau in die andere Richtung gerudert schlechtes Gewissen einreden, sondern ich sage Ihnen ist, sondern wir glauben der Bundesregierung, dass wir natürlich die Antwort: Uns darf es so gut gehen. Aber der, wenigstens die 1,5 Prozent – die nicht 2 Prozent sind; dem es gut geht, der Starke, muss Verantwortung für den das ist ja noch einmal eine andere Debatte –, die Sie im Schwachen übernehmen. Das ist unsere Message. Juli zugesagt haben, in den nächsten Jahren planbar auf die Spur bringen. Denn die Bundeswehr braucht eine (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) langfristige Planungssicherheit, und eine genauso lang- Wie können wir Krisen, Armut und Kriege verhin- fristige Planungssicherheit braucht die wehrtechnische dern? Diese Frage muss sich in der Haushaltsberatung Industrie in Deutschland. Heute, habe ich gesehen, sind vor allem der Finanzminister stellen, aber auch wir, wenn auch einige Arbeitnehmer der wehrtechnischen Industrie wir auf den EZ-Haushalt des reichsten europäischen mit in diesem Raum und verfolgen die Debatte. Meine Landes blicken. Mit dem Haushaltsansatz 2019 wird die Damen und Herren, wenn wir heute den Menschen keine ODA-Quote sinken. Ich kann viel tun mit meinem Haus- Sicherheit geben, wenn wir ihnen nicht sagen, dass es halt der letzten Jahre, der aufgewachsen ist, aber ich kann weitergeht, wenn uns dann in fünf Jahren einfällt, dass dringend notwendige Programme nicht fnanzieren. Ich wir plötzlich Material brauchen, aber dann keinen mehr sage allen, die in ihrer Rede Fluchtursachenbekämpfung haben, der es produziert, und wir es im Ausland kaufen fordern: Ich kann dringende Programme nicht fnanzie- müssen, dann ist unserer Souveränität auch nicht gedient. ren. Wir haben in Deutschland einen Rücklagefonds für Flüchtlingsausgaben beim Finanzminister in Höhe von In diesem Sinne, verehrte Kolleginnen und Kollegen: 25 Milliarden Euro gebildet. Unser Haushalt steigt um Lassen Sie uns daran arbeiten. Ich will im Jahr 2025 hier 285 Millionen Euro. keine Debatte hören, wo der Zustand der Bundeswehr be- klagt wird und wo die Schuld dann auf die Politiker im Ich baue, meine Damen und Herren, und vertraue auf Jahr 2018 geschoben wird. Um das zu ändern, haben wir das Parlament, zumindest auf der Basis des Koalitions- nicht mehr viel Zeit, aber wir sollten sie nutzen. Es wer- vertrages, den Haushaltsansatz in den Haushaltsberatun- den entscheidende Wochen für die Bundeswehr werden. gen aufzustocken. Die Bedarfe sind enorm. Vielleicht haben Sie es in der letzten Woche gelesen: UNICEF Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und freue schließt bereits wieder Schulen. Wir konnten noch ein- mich auf die Zusammenarbeit. mal Mittel zusammenkratzen – so sage ich es einmal; wir Herzlichen Dank. mussten Mittel aus Langfristprojekten abziehen – und konnten UNICEF als Hauptunterstützer noch einmal mit (Beifall bei der CDU/CSU) 10 Millionen Euro unterstützen. Es werden in und um Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2018 5125

Bundesminister Dr. Gerd Müller (A) Syrien bereits wieder Schulen geschlossen. In Idlib – wir Schrott, ankommt. Zehntausend Kinder versuchen, in (C) diskutieren über einen möglichen Militäreinsatz – ster- dieser Schrotthalde zu überleben. ben die Menschen aber heute. Es bedürfte heute eines Konzeptes, um humanitäre Hilfe zu leisten, um Sterben Ja, wollten alle so leben, konsumieren und wirtschaf- zu verhindern. Wir müssen jetzt dort handeln. ten wie wir, bräuchten wir zwei bis drei Erden. 20 Pro- zent der Weltbevölkerung, wir, die Industrieländer, ver- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- brauchen 80 Prozent der Ressourcen und hinterlassen ordneten der LINKEN) zwei Drittel der Umweltbelastungen. Diesen Trend müs- sen wir stoppen. Ich habe in Mosambik gesehen, dass Meine Damen und Herren, wir könnten Hunger und sich China, Indien, Japan im Kampf um Öl, um Gas, um Armut stoppen, das Flüchtlingselend wirksam bekämp- Ressourcen die Hand geben, dass aber das Land und die fen: mit einem höheren weltweiten Stellenwert der EZ. Menschen arm bleiben und hoch verschuldet sind. Da- Jetzt wird es für die Militär- und Verteidigungspolitiker her muss es der Weltstaatengemeinschaft gelingen, die- interessant: Die jährlichen Rüstungsausgaben weltweit ser Form des Neokolonialismus Grenzen zu setzen. Wir steigen in diesem Jahr auf circa 1 700 Milliarden Dollar. brauchen Regeln und Standards für die multinationalen Das sind fast 5 Milliarden Euro jeden Tag – 5 Milliar- Konzerne und Staaten. den Euro jeden Tag! Die weltweiten Ansätze für Ent- wicklungszusammenarbeit stagnieren bei weniger als (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- 10 Prozent – bei 160 Milliarden Euro –, und die USA neten der SPD, der LINKEN und des BÜND- reduzieren ihren Anteil. Wir könnten 50 000 Dorfapo- NISSES 90/DIE GRÜNEN) theken in Afrika für den Preis eines einzigen Militärjets Der Ressourcenreichtum Afrikas muss bei den Menschen fnanzieren – 50 000 Dorfapotheken! Mit 1 Prozent der ankommen. Rüstungsausgaben weltweit könnten wir alle humanitä- ren Bedarfe – alle! –, Wenn Sie nachher über Geld diskutieren: Das ist der entscheidende Punkt – der Ressourcenreichtum. Afrika, (Tobias Pfüger [DIE LINKE]: Das ist eine aber auch Indien sind reich. Ihr Reichtum muss bei den tolle Aussage!) Menschen vor Ort ankommen – durch Wertschöpfung, Krisen und Katastrophen, Hunger und andere Nöte vom Steuern, Löhne usw. Wir können dafür heute in der Digi- Jemen, über Bangladesch – ich erinnere auch an das talgesellschaft durch Transparenzstandards sorgen. Schicksal der Rohingya –, den Tschad bis Venezuela, de- Meine Damen und Herren, wir haben viel bewegt. Ich cken – mit 1 Prozent! Guterres hat diesen Wert für die danke den Kolleginnen und Kollegen hier in der Koaliti- Deckung des Bedarfs weltweiter humanitärer Einsätzen on, aber auch außerhalb und in der Zivilgesellschaft für (B) berechnet. Insofern ist es eine Frage des Wollens und des die großartige Unterstützung. Wir haben viel bewegt. Wir (D) Handelns, und das müssen wir einfordern. fangen ja nicht bei null an. Wir haben in den letzten fünf (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Jahren die Säulen der EZ erheblich ausgebaut. ordneten der SPD und der LINKEN) Was meinen beiden Parlamentarischen Staatssekre- tären, Frau Dr. Flachsbarth und Herrn Barthle, und mir Ich fordere das weltweit, europäisch und national ein. wirklich wichtig ist, das ist, wirksamer zu gestalten. Wir Jeder, der anders handelt, muss sich dieser Frage stellen. verbessern die Rahmenbedingungen für Privatinves- Gegen die Globalisierung von Gleichgültigkeit und titionen, liebe Kollegen aus der FDP. Das ist ein ganz des Wegschauens hat Papst Franziskus aufgerufen. Willy entscheidender Hebel. Ich werde am 30. Oktober 2018 Brandt war es, der am 9. Dezember 1977 – ich bin in der Grundzüge eines Wirtschaftsförderungspaketes vorstel- damaligen Zeit politisch aktiv geworden – bei der kon- len. Aber auch da brauche ich wiederum den Wirtschafts- stituierenden Sitzung der Nord-Süd-Kommission dazu minister und den Finanzminister, der endlich auch grünes aufrief – ich zitiere ihn –: Licht für bessere Rahmenbedingungen für deutsche In- vestitionen in unseren Entwicklungsländern geben muss. Die Aufgabe besteht darin, die Menschheit von Ab- hängigkeit und Unterdrückung sowie von Hunger Wir machen Eigenleistung zur Voraussetzung für und Not zu befreien. Neue Bande müssen geknüpft Fortschritt: Bekämpfung der Korruption, Einhaltung werden, welche die Aussichten auf Frieden, Gerech- der Menschenrechte, Wahrung der Rechte der Frauen. tigkeit und Solidarität für alle verbessern. Wir haben bisher drei Reformländer ausgemacht. Wir konzentrieren unsere Zusammenarbeit – ausgenommen Das ist der Spirit, den wir heute, 2018, wieder aufnehmen LDC, Hungerbekämpfung, selbstverständlich – und kön- müssen. nen nicht mehr überall fördern. Ich werde in einer der nächsten Haushaltsberatungen auch die Länderliste kri- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der tisch hinterfragen. Wir können nicht das Geld nach dem SPD und der LINKEN) Gießkannensystem in 85 Ländern der Welt ausgeben. Meine Damen und Herren, dabei geht es nicht alleine (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP so- um Geld; damit Sie mich nicht falsch verstehen. Zurück wie bei Abgeordneten der AfD) aus Afrika weiß ich, dass wir den Planeten übernutzen und dass wir, die Industrieländer, über unsere Verhält- Mit dem Marshallplan mit Afrika setzen wir deshalb nisse und auf Kosten der anderen leben. Ich war auf der ein Gesamtkonzept um. Ein Staatssekretärsausschuss – weltgrößten Müllhalde in Accra, wo unser Müll, unser das ist mir ganz wichtig; herzlichen Dank an alle Res- 5126 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 48 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 12 September 2018

Bundesminister Dr. Gerd Müller (A) sorts – koordiniert unter Leitung von BMZ und Auswär- Rupert Neudeck, der verstorbene Gründer der Hilfsor- (C) tigem Amt einen einheitlichen Ansatz aller Ressorts, und ganisation Cap Anamur, hat bereits vor zehn Jahren ge- alle sind eingeladen, ihren Beitrag einzubringen. Eine fordert, die Entwicklungshilfe auf größere Projekte und ständige Arbeitskommission habe ich vor 14 Tagen mit einzelne Staaten zu konzentrieren. Und außerdem müss- der Afrikanischen Union vereinbart, um das Afrika-Eu- ten klare Bedingungen vereinbart und Kontrollen durch- ropa-Abkommen 2020, das wir unter deutscher Ratsprä- geführt werden, damit die Mittel nicht durch Korruption sidentschaft unterzeichnen wollen, vorzubereiten. Eine in den Taschen von Potentaten versickern. Und dies ge- BMZ-Kommission unter Leitung von Staatssekretärin schieht leider immer noch, meine Damen und Herren. Dr. Flachsbarth wird den SDG-Prozess umsetzen und stärken. Eine zweite Staatssekretärskommission un- (Beifall bei der AfD) ter Leitung von Staatssekretär Barthle wird das Thema „Wachstum, Handels- und Finanzfragen in einer nach- Es geht darum, nicht Almosen, sondern konkrete haltigen EZ“ mit Partnern und Experten der Zivilgesell- Hilfe zur Selbsthilfe zu gewähren. Die Entwicklungs- schaft bearbeiten. Meine Damen und Herren, ich selbst zusammenarbeit setzt Vertrauen, Kooperationsbereit- werde Ihnen demnächst ein neues Konzept „Entwicklung schaft – auch bei der Rücknahme nicht als Flüchtlinge und Klima“ vorstellen. Klima muss wieder Priorität auf anerkannter Landsleute – und Vertragstreue voraus. der Tagesordnung haben. Wenn diese elementaren Bedingungen nicht eingehalten werden, müssen wir konsequent sein und unsere Mittel (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der kürzen. Wohlgemerkt gilt dies nicht für Nothilfemaßnah- SPD, der FDP und der LINKEN) men – das ist ein anderes Thema. Bei der Entwicklungs- Wir gehen voran und erhöhen die Schlagzahl. Ich zusammenarbeit sind selbstverständlich die Interessen freue mich und bedanke mich sehr für die gute Zusam- unseres Landes in diesem Zusammenhang zu berück- menarbeit und Unterstützung. sichtigen, meine Damen und Herren. Herzlichen Dank. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Das Ministerium sollte seinem Namen gerecht werden und verstärkt wirtschaftliche Zusammenarbeit fördern. Vizepräsidentin Petra Pau: Diese kommt nach wie vor zu kurz. Die Entwicklungs- Das Wort hat der Abgeordnete Volker Münz für die zusammenarbeit sollte auch Außenwirtschaftsförderung AfD-Fraktion. sein. Deutsche Unternehmen sollten verstärkt gefördert werden bei Investitionen in Entwicklungsländern. Sie (Beifall bei der AfD) (B) haben gerade angekündigt, Herr Minister, in Kürze ein (D) entsprechendes Programm vorzulegen. Ich bin gespannt. Volker Münz (AfD): Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Geehr- Wir brauchen Maßnahmen, die den Menschen in den te Kolleginnen und Kollegen! Die Entwicklungszusam- wenig entwickelten Ländern wirklich helfen. Aufstreben- menarbeit ist ein wichtiger Politikbereich; denn die Ent- de Schwellenländer wie Brasilien sollten keine Entwick- wicklungshilfe und die wirtschaftliche Zusammenarbeit lungshilfe mehr bekommen. China erhält immer noch sind, verantwortungsethisch betrachtet, die wichtigste deutsche Entwicklungshilfe aus früheren Bewilligungen, Antwort auf den anwachsenden Wanderungsdruck der auch wenn es jetzt angabegemäß keine Neuzusagen mehr Menschen aus den Krisenländern – damit die Menschen gibt. Aber noch 2016 wurden allein an kirchliche Träger sich eben nicht auf den Weg nach Europa machen. Aber für soziale Projekte in China für die Jahre 2017 bis 2021 es kommt darauf an, wie die Entwicklungszusammenar- 5,6 Millionen Euro bewilligt, zum Beispiel für die Be- beit qualitativ und quantitativ ausgestaltet wird, und hier wusstseinsbildung zu Arbeitnehmerrechten und Umwelt- sehen wir von der AfD-Fraktion erheblichen Änderungs- schutz. Das ist doch absurd. Außerdem gibt es so inte- bedarf. Mit einzelnen Änderungen ist es nicht getan. ressante Projekte wie die gendersensible Männerarbeit in Wir brauchen einen Paradigmenwechsel in der Entwick- Nicaragua. Vor kurzem wurde bekannt, dass Ruanda, das lungszusammenarbeit, meine Damen und Herren. immerhin 100 Millionen Euro aus deutschen Steuermit- teln bekommt, einen englischen Fußballclub mit 38 Mil- (Beifall bei der AfD) lionen Euro sponsert. Da kann man sich nur an den Kopf Zwar hat Minister Müller einen Paradigmenwech- fassen. sel bereits vor einiger Zeit verkündet, aber er ist noch nicht erkennbar. Nach wie vor werden die Mittel mit der Wir sehen dringenden Nachbesserungsbedarf bei der Gießkanne an Hunderte von Trägern für Tausende von Evaluierung der Maßnahmen, bei der Kontrolle der Mit- Projekten in rund 100 Ländern ausgeschüttet. Und, Herr telverwendung, um eine Verschwendung von Haushalts- Minister Müller, Sie haben es ja gerade auch gesagt: Es mitteln zu verhindern. wird immer noch mit der Gießkanne ausgeschüttet. Sie sind seit 2013 Minister. Sie hätten doch hier schon was Ich freue mich auf konstruktive Berichterstatterge- ändern können. spräche und Beratungen im Ausschuss. (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. NEN]: Muss ich jetzt den Müller verteidigen? Das hat er nicht gesagt!) (Beifall bei der AfD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2018 5127

(A) Vizepräsidentin Petra Pau: den Einzelplan 23. Das wird manchmal vergessen. Sie (C) Das Wort hat die Kollegin Sonja Amalie Stefen für umfassen auch wichtige Mittel des Umweltministeri- die SPD-Fraktion. ums – Sie haben den Klimaschutz erwähnt –, sie umfas- sen Mittel des Gesundheitsministeriums – Global Health, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten darüber werden wir wahrscheinlich übermorgen reden –, der CDU/CSU) und sie umfassen vor allem – und das ist besonders wich- tig – auch Mittel des Auswärtigen Amtes. Gerade in Sonja Amalie Stefen (SPD): Zeiten wie diesen müssen wir unseren Beitrag zur huma- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin- nitären Hilfe leisten, umso mehr, da der amerikanische nen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Müller! Präsident – darauf hat der Minister schon hingewiesen – Liebe Gäste! Zunächst die guten Nachrichten: Mit Ge- umfangreiche Streichungen nicht nur angekündigt, son- samtausgaben in Höhe von insgesamt 9,72 Milliarden dern bereits hat durchführen lassen. Euro sieht der Entwurf des Einzelplanes 23 zum vierten Für 2019 bin ich zuversichtlich, dass wir die bisher er- Mal in Folge den höchsten Etat in der Geschichte des reichte ODA-Quote zumindest halten können. Wir müs- Bundesministeriums vor. Es sind knapp 284 Millionen sen uns allerdings darüber hinaus die Zahlen im Laufe Euro mehr in diesem Haushalt als im letzten Haushalt der Haushaltsberatung noch einmal genau anschauen. vorgesehen. Wenn wir das alles insgesamt betrachten und Insbesondere die Zahlen, die für die Jahre nach 2019 im den Finanzplan von Juni 2017 einbeziehen, dann können Finanzplan der Bundesregierung abgebildet sind, sehen wir feststellen, dass der Entwurf insgesamt über 1 Milli- im Hinblick auf die ODA-Quote nicht so erfreulich aus. arde Euro mehr vorsieht. Das ist doch ein gutes Signal. Ich wage zu bezweifeln, dass wir auf Basis dieses Fi- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nanzplans die ODA-Quote einhalten können. der CDU/CSU) Ich will an dieser Stelle einmal auf Folgendes hinwei- Aber es wäre keine ehrliche Haushaltsrede, wenn sie sen: Der fünfjährige Finanzplan wird vom Bundesminis- nicht auch an den Koalitionsvertrag erinnern würde. Dort terium für Finanzen jedes Jahr neu aufgestellt und dann haben wir nämlich festgelegt, dass zusätzlich entstehen- von der Bundesregierung erlassen. Er wird jährlich an die de Haushaltsspielräume prioritär dazu genutzt werden, Entwicklung angepasst und fortgeführt. Es handelt sich Verteidigungshaushalt und ODA-Quote im gleichen Ver- hierbei also um ein internes Planungsinstrument der Bun- hältnis zu erhöhen. desregierung. Wir, die MdBs, und auch der Bundesrat er- halten den Finanzplan nur zur Information. Der jährliche (Tobias Pfüger [DIE LINKE]: Das fndet Haushaltsplan hingegen, den wir heute beraten, ist ein nicht statt!) Gesetz, über das wir alle hier im Parlament zu entschei- (B) (D) Wir werden uns wahrscheinlich in den nächsten Wochen den haben. Damit möchte ich sagen: Es ist noch nicht noch viel mit dieser Vereinbarung beschäftigen, zum aller Tage Abend. Beispiel mit der Frage, welche Mittel wo anzurechnen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten und wo nicht anzurechnen sind. der CDU/CSU) Wir reden in dieser Debatte nicht über Sinn und Un- Herr Minister, Sie bauen und vertrauen auf das Parla- sinn der Erhöhung der Verteidigungsausgaben, sondern ment, und das ist auch gut so. Ich will Sie allerdings mo- über die Entwicklungszusammenarbeit. tivieren. Die Fachpolitiker der SPD müssen Sie an dieser (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Das sollten Stelle nicht überzeugen; Sie aber!) (Ottmar von Holtz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Deshalb erscheint mir eine Vereinbarung aus dem Koali- NEN]: Aber euren Finanzminister!) tionsvertrag noch viel wichtiger. Wir haben uns nämlich aber vielleicht müssen Sie noch ein wenig Überzeu- neben der Kopplung der ODA-Quote an den Verteidi- gungsarbeit in den eigenen Reihen leisten. gungshaushalt auch dazu verpfichtet, dass ein Absinken der ODA-Quote verhindert werden muss. (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Der Finanzminister kommt doch aus (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Tobias euren Reihen!) Pfüger [DIE LINKE]: Ja, aber genau das pas- siert doch gerade!) Ich möchte noch auf eine weitere Besonderheit im Entwurf 2019 hinweisen, und zwar auf die Höhe der Ver- Diese Debatte, ob die eingestellten Mittel im Haushalts- pfichtungsermächtigungen: Wir haben laut Entwurf be- plan ausreichen werden, um die ODA-Quote in dieser reits eine Steigerung der Verpfichtungsermächtigungen Legislaturperiode letztendlich zu erreichen, müssen wir um 7,7 Milliarden Euro auf knapp 10,3 Milliarden Euro führen. erreicht. Das ist eine mehr als 33-prozentige Steigerung. Das ist ein gutes Zeichen; denn die Verpfichtungser- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten mächtigungen zielen auf Aufgaben in den kommenden der CDU/CSU) Jahren ab. Sie sind für die Organisationen im Bereich der Allerdings, Herr Minister, muss ich ein bisschen Was- Entwicklungszusammenarbeit, für die GIZ, für die Kir- ser in den Wein gießen. Es heißt ja nicht, dass ODA-Mit- chen, für die Stiftungen, für die vielen NGOs, die mitwir- tel und BMZ eine alleinige, ausschließliche Einheit bil- ken, extrem wichtig für die langfristige Projektplanung. den. Die ODA-Mittel umfassen doch einiges mehr als Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass die Verpfichtun- 5128 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 48 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 12 September 2018

Sonja Amalie Stefen (A) gen auch in künftigen Haushaltsjahren ausfnanziert sind. Vizepräsidentin Petra Pau: (C) Das ist seriöse Entwicklungszusammenarbeit, und die Das Wort hat der Kollege Michael Link für die sind wir nicht nur den Organisationen schuldig, sondern FDP-Fraktion. auch den vielen Menschen, die wir weltweit unterstützen. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Michael Georg Link (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht aber nicht nur darum, Quoten zu erreichen, Für die deutsche Entwicklungspolitik gilt seit einiger und es geht natürlich auch nicht darum, Haushaltsrekor- Zeit, so kann man es fast sagen, ein neues Mantra: die de zu erzielen. Was ist unser eigentliches Ziel? Für die Fluchtursachenbekämpfung. Sie, Herr Minister, werden Sozialdemokraten kann ich das relativ einfach zusam- zu Recht nicht müde, immer wieder zu betonen, dass die menfassen: Ziel ist das Erreichen der SDGs, die Umset- Aktivitäten auch an diesem Ziel gemessen werden müs- zung der Agenda 2030. sen. Wir Freie Demokraten befürchten aber, dass die- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ses Mantra im Zusammenhang mit der Aufstellung des Haushalts manchmal zu einer Art Freibrief mutiert, nach Ich empfehle Ihnen allen in diesem Saal und auch auf dem Motto: Hauptsache mehr Geld. der Tribüne, sich diese SDGs, Sustainable Development Denn der Etat des BMZ soll auch 2019 wieder wach- Goals, einmal genauer anzuschauen. In diesen SDGs ist sen, was wir auch für richtig halten. Aber ein verstärkter festgelegt – übrigens hat das Willy Brandt mit dem, was Mitteleinsatz – das ist der Punkt, an dem wir schon etwas Sie vorhin zitiert haben, im Grunde schon formuliert –, Wasser in den Wein schütten wollen und müssen – be- was wir weltweit erreichen wollen: Wir wollen keine deutet eben nicht automatisch, dass man mehr bewirkt. Armut, wir wollen keinen Hunger, wir wollen gute Ge- Es geht um die Wirkungsorientierung unseres Handelns. sundheit, wir wollen gute Bildung, wir wollen Gleichbe- Quoten alleine – Kollegin Stefen hat davon gesprochen – rechtigung von Männern und Frauen, saubere Energien, sind kein Selbstzweck. Richtig ist, es muss auf jeden Fall sauberes Wasser, würdige Arbeit, wirtschaftliche Ent- auch an der Efzienz gearbeitet werden. Deshalb müssen wicklung – um hier nur einige Ziele zu nennen. Diese wir das Haushaltsverfahren nutzen, um unsere Verfahren Ziele sollten wir uns auf die Fahne schreiben. und Prozesse immer wieder auf den Prüfstand zu stellen. Auch in diesem Jahr gibt es deshalb aus Sicht der Freien (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Demokraten, Herr Minister, drei klare Aufträge an Sie: Die entscheidende Frage ist natürlich: Wie erreichen Erstens. Ihr Ministerium muss sich mit den anderen (B) wir diese Ziele? Das sind natürlich sehr hochrangige Akteuren, die Deutschland international vertreten, also (D) Ziele. Wir brauchen das Engagement der zivilgesell- vor allem mit dem Auswärtigen Amt, wesentlich besser schaftlichen Organisationen, und das muss ausreichend abstimmen. fnanziert werden. Und wir müssen multilaterale Initi- ativen weiter stärken und mit unseren guten bilateralen (Beifall bei der FDP) Entwicklungszusammenarbeitsinstrumenten verzahnen. Zweitens. Wir brauchen eine wirksame und auch scho- nungslose Evaluierung entwicklungspolitischer Maßnah- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der men – Stichwort „Wirkungsorientierung“ –, nicht nur CDU/CSU sowie des Abg. Michael Georg beim BMZ, sondern auch beim AA; ich habe das heute Link [FDP]) Morgen an anderer Stelle schon gesagt. Ebenso müssen auf nationaler Ebene die unterschiedli- Drittens brauchen wir vor allem ein deutlich stärkeres chen Fachressorts, die ich vorhin schon genannt habe, an multilaterales Engagement. einem Strang ziehen. (Beifall der Abg. Sonja Amalie Stefen Jetzt bleibt mir kaum noch Redezeit. Ich will nur noch [SPD]) Folgendes sagen: An diesem Entwurf gibt es noch eini- Einige Worte zur besseren Abstimmung, also zum ges zu tun. Ich erinnere an den GFATM; da steht die Wie- vernetzten Ansatz. Entwicklungspolitik, Diplomatie und deraufüllungskonferenz an. Ich erinnere an die Ziele zur Bundeswehreinsätze wollen wir nahtlos ineinandergrei- entwicklungspolitischen Bildung bei uns in Deutschland. fen lassen. Statt die Etats isoliert zu betrachten, wollen Ich erinnere an den Zivilen Friedensdienst und die ande- wir Freie Demokraten langfristig 3 Prozent unseres BIP ren Dinge, die im Koalitionsvertrag festgelegt sind. Da in die sogenannten drei Ds investieren: in Development, wollen wir auf jeden Fall noch eine Schippe draufegen. Diplomacy und Defense. Wir wollen also Entwicklung, Diplomatie und Verteidigung gemeinsam denken. Ich freue mich auf die anstehenden Verhandlungen und wünsche mir gute Ergebnisse. Ich denke, an dem Im Koalitionsvertrag bekennt sich die Große Koali- Entwurf wird sich bis zur zweiten und dritten Lesung, bis tion blumig zum vernetzten Ansatz. Doch wie sieht die wir hier über den Etat entscheiden werden, noch einiges Realität aus? Im deutschen Außenauftritt gilt viel zu oft ändern. das Motto: Die rechte Hand weiß nicht, was die linke tut. Es gab ja Hofnung, dass sich daran etwas ändert. Viele (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Monate lief zwischen dem BMZ und dem Auswärtigen der CDU/CSU) Amt eine Analyse zu diesem Thema. Das Ergebnis: dünn Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2018 5129

Michael Georg Link (A) bis durchsichtig. An die Kernfrage dieser sogenannten Ihren Reisen nach Gutdünken Mittel verteilen – an der (C) Spending Review – die Lektüre lohnt sich – haben Sie eigentlichen Systematik des Haushaltes vorbei. sich nicht herangetraut, nämlich klar zu defnieren, wer im Konzert des deutschen internationalen Handelns wel- Deshalb kann es nicht sein, dass wir hier an dieser ches Instrument spielt. Oder einfacher gesagt: Wer macht Stelle einfach so weitermachen wie bisher. Das ent- was? Die Tatsache, dass man manche Sachen an man- spricht auch nicht den Grundsätzen guter Haushaltsfüh- chen Stellen nicht 100-prozentig scharf trennen kann – rung. Jetzt legen Sie sogar noch eine vierte Sonderinitia- wie Syrien –, darf nicht bedeuten, dass man bei 99 Pro- tive auf. Dabei ist doch ofensichtlich: In der EZ müssten zent zulässt, dass sie sich weiter überschneiden. Da liegt wir vor allem global und mehr multilateral handeln – ge- extrem viel im Argen. nau das werden wir auch einfordern –, statt immer mehr Schaufensterinitiativen aufzuplustern. (Beifall bei der FDP) Wir werden konkrete Vorschläge vorlegen für den Be- Im Sinne einer efzienten und nachhaltigen Hilfe reich Familienplanung, im Bereich Bildung, im Bereich vor Ort hätten Sie die verschachtelten Zuständigkeiten Schutz der Wälder, im Bereich der Multilateralität. Wir entwirren müssen. Stattdessen – zahlreiche Häuser der stehen gerne bereit, mit den Kolleginnen und Kollegen Bundesregierung sind daran beteiligt – stehen sich haupt- aus Opposition und Koalition im Ausschuss daran zu ar- sächlich das Entwicklungsministerium und das Auswär- beiten. Aber eines ist klar: So, wie dieser Haushalt jetzt tige Amt bei vielen Projekten oft weiter gegenseitig auf ist, können wir nicht zufrieden sein. Dieser Haushalt den Füßen. muss besser werden. Menge allein genügt nicht, wir müs- sen an der Qualität noch sehr viel arbeiten. Zweites Thema: die Evaluierung. Das Mantra der Fluchtursachenbekämpfung, so richtig dieses Thema ist, Vielen herzlichen Dank. darf nicht zum Blankoscheck werden, um sich jeder kon- struktiven Kritik zu entziehen. Das wäre auch unwürdig (Beifall bei der FDP) angesichts der vielen Menschen, die sich dienstlich, be- rufich und ehrenamtlich in der Entwicklungszusammen- Vizepräsidentin : arbeit engagieren: im BMZ, in der GIZ, in der KfW und Vielen Dank, Michael Link. – Einen schönen Nach- vielen anderen Organisationen und Nichtregierungsorga- mittag oder Restnachmittag, liebe Kolleginnen und Kol- nisationen, denen ich im Namen meiner Fraktion ganz legen! – Nächste Rednerin in der Debatte: Helin Evrim ausdrücklich danke. Sommer für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der LINKEN) (B) In der deutschen Entwicklungspolitik muss gelten: (D) Qualität vor Menge. Deshalb wollen wir stets besser wer- Helin Evrim Sommer (DIE LINKE): den, um zielgenauer unterstützen zu können. Dafür muss Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Verehrte Kollegin- man sich aber möglichst von unabhängigen Experten nen und Kollegen! Lieber Herr Entwicklungsminister bewerten lassen. Eine solche externe Evaluierung, mei- Müller! Liebe Gäste! Die Vereinten Nationen sagen, die ne Damen und Herren, fndet in der deutschen Entwick- reichen Länder sollen 0,7 Prozent ihres Einkommens für lungsarbeit bei weitem nicht ausreichend statt. Denn wie Entwicklungshilfe ausgeben. 0,7 Prozent – diese Vorgabe wir durch den letzten Bericht des Rechnungshofes wis- gibt es seit 1972. Deutschland hat diese Quote nie erfüllt. sen, hat das BMZ-nahe Evaluierungsinstitut DEval nicht Was machen wir jetzt? Aktuell setzen wir ein 15 : 1 dage- einmal ausreichend Zugang zu den Unterlagen ebendie- gen. Das heißt, unsere Rüstungsausgaben steigen 15-mal ses Ministeriums. so stark wie die Entwicklungsgelder. Im Grunde müsste man die Maßnahmen des BMZ und (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Hört! Hört!) des AA auf die gleiche Weise evaluieren. Warum zum Beispiel nicht das DEval aus dem BMZ herauslösen und 15 : 1 ist vielleicht ein tolles Ergebnis bei einem Län- als unabhängiges Institut mit der Evaluierung der Wir- derspiel, aber in diesem Fall moralisch falsch und wirt- kungsorientierung deutschen internationalen Handelns schaftlich unvernünftig, meine Damen und Herren. beauftragen? Durch ungenügende Evaluierung wird (Beifall bei der LINKEN) viel Geld weiter in zweifelhafte Projekte gesteckt. Doch wenn wir mit mehr Mitteln auch mehr bewirken wollen, Ich glaube – nein, ich bin fest davon überzeugt, dass es dann ist es unglaublich wichtig, dass wir an der Evaluie- besser geht, liebe Bundesregierung, lieber Entwicklungs- rung arbeiten. minister Müller. Der letzte Punkt. Herr Minister, die Fluchtursachen- In den letzten Jahren hat die Bundesregierung sich die bekämpfung nutzen Sie sehr oft, um Ihr Lieblingsthema, Zahlen schöngerechnet, und zwar mit einem Trick: Sie die Sonderhaushalte bzw. die sogenannten Sonderiniti- hat die Kosten der Flüchtlingshilfe hier in Deutschland ativen, zu fahren. Darin tummeln sich eine Reihe von einfach mit in die Entwicklungshilfe eingerechnet. Das Maßnahmen, die das BMZ auch an anderer Stelle bear- ist ja so, als würden wir uns hier selber Entwicklungs- beitet. Um es klar zu sagen: Wir haben nichts gegen die hilfe zahlen, meine Damen und Herren. Meinen Sie das inhaltlichen Schwerpunkte dieser Initiativen. Wogegen wirklich ernst? Würde man ehrlich rechnen, würde sofort wir etwas haben, ist ein riesiger Sonderhaushalt, eine Art klar: Wieder und wieder bleiben wir hinter den 0,7 Pro- persönlicher Einzelplan des Ministers, aus dem Sie bei zent zurück. 5130 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 48 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 12 September 2018

Helin Evrim Sommer (A) Mit einem Budget von 0,7 Prozent, das tatsächlich in Das müsste doch zu machen sein, lieber Herr Müller, (C) die Entwicklungszusammenarbeit fießt, kann Deutsch- oder? land Schulen und Krankenhäuser in Afghanistan bauen, Mikrokredite in Marokko vergeben und die Landwirt- (Beifall bei der LINKEN) schaft in Kolumbien mit Know-how unterstützen. Denn Fordern wir den Entwicklungsminister, Herrn Müller, das, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist wirk- heraus! Lassen Sie uns die Kosten, die wir in Deutschland lich der beste Weg, um Fluchtursachen zu bekämpfen haben, nicht mit unserer Entwicklungshilfe verrechnen! Die Wählerinnen und Wähler erwarten von uns transpa- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. rente Entscheidungen und kein Schönrechnen hintenhe- Dr. Sascha Raabe [SPD]) rum. Es ist der Umgang mit dem Geld der Bürgerinnen Doch in der Entwicklungszusammenarbeit geht es und Bürger. Wir sollten etwas Gutes daraus machen. Fan- nicht nur um unsere Interessen in Sachen Migration. Es gen wir mit echten 0,7 Prozent an! geht darum, in anderen Ländern nachhaltige Lebensbe- Vielen Dank. dingungen zu schafen: Milch und Obst, Straßen und Häuser, Handel und Investitionen, medizinische Versor- (Beifall bei der LINKEN – Dr. Kirsten gung und Bildung, Bildung, Bildung – das müssen die Tackmann [DIE LINKE]: Die Union klatscht Eckpunkte unserer Entwicklungspolitik sein, meine Da- immer an der falschen Stelle! – Weiterer Zuruf men und Herren. von der LINKEN: Das werden die nicht ler- nen! – Gegenruf des Abg. Alois Rainer [CDU/ Ja, Herr Müller hat viele ausgezeichnete Ideen; CSU]: Wichtig ist, dass ihr das alles lernt!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: sie hat er hier auch noch mal vorgetragen. Ich weiß das Vielen Dank, Kollegin Sommer. – Nächster Redner: auch aus persönlichen Gesprächen. Ich denke, wir sollten Ottmar von Holtz für Bündnis 90/Die Grünen. ihm mit einem soliden Budget den Rücken stärken; das meine ich auch ernst. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abge- ordneten der CDU/CSU und des BÜNDNIS- Ottmar von Holtz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): SES 90/DIE GRÜNEN) Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Minister Dr. Müller, damals bei der Ein- Das bedeutet, meine Damen und Herren: 0,7 Prozent, bringung der Regierungserklärung, nachdem der Koali- (B) ohne Schönrechnerei. Und auch genau daran werden wir tionsvertrag unterschrieben war, hatte ich mich ja schon (D) Sie messen, lieber Herr Müller. gewundert. Heute habe ich mich erst recht gewundert. (Beifall bei der LINKEN) Ich habe mich allerdings weniger über Sie gewundert; denn ich weiß ja, wie Sie zur Entwicklungspolitik stehen Im Koalitionsvertrag der Großen Koalition steht, dass und was Sie hier vortragen. Ich teile das alles – vielleicht die Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit in der- mit Ausnahme des sogenannten Marshallplans; da würde selben Höhe steigen sollen wie die Ausgaben für Vertei- ich Abstriche machen. Was mich allerdings gewundert digung. hat, ist, dass Ihre Fraktion hier sitzt und Beifall klatscht, den Haushalt am Ende aber nicht so gestaltet, wie Sie (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Das stimmt es hier einfordern. Das ist das, was mich heute hier am nicht!) allermeisten gewundert hat. – Ja, das weiß ich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Heiterkeit bei der LINKEN) sowie bei Abgeordneten der FDP und der LIN- KEN) Soll ich also als überzeugte Linke einem höheren Ver- Sie haben es sehr anschaulich dargestellt: Mit 1 Pro- teidigungsetat freudestrahlend zustimmen, damit mehr zent der weltweiten Militärausgaben würden wir sämt- Geld in die Entwicklungshilfe fießt? liche humanitäre Hilfe fnanzieren können. Ich würde (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) mir in diesem Zusammenhang – wir haben ja gerade über den Verteidigungshaushalt gesprochen – von Ihnen, Ein perfder Gedanke, meine lieben Damen und Herren! liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, wün- schen, dass Sie sich hierhinstellen und mit der gleichen (Beifall bei der LINKEN) nachdrücklichen Vehemenz das Einhalten des 0,7-Pro- Aber ganz unabhängig von Ihren politischen Vorlie- zent-Ziels einfordern, wie Sie die 2 Prozent für den ben appelliere ich trotzdem an Sie, liebe Kolleginnen und Wehretat hier auch einfordern. Wenn wir uns auf diesen Kollegen: Mit 0,7 Prozent des Bruttoinlandseinkommens Weg machen würden, würden wir uns Ihrem eigenen Mi- wird Deutschland zunächst mal seinen internationalen nister annähern. Verpfichtungen gerecht und zum Vorbild anderer Geber- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) länder. Konkret bedeutet das: Im Einzelplan 23 müssen für 2019 11,9 Milliarden Euro bereitgestellt werden. Das Herr Müller, Sie haben in den vergangenen Reden ist gerade einmal ein Dreißigstel des Gesamthaushalts. Antworten gefordert und gesagt, dass wir eine neue Wirt- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2018 5131

Ottmar von Holtz (A) schafts- und Handelspolitik brauchen. Aber wo sind denn re in einem Landesministerium tätig. Doch es wird Zeit, (C) diese Antworten? Sie könnten diese Antworten gemein- dass die Entwicklungspolitik, die Innen- und Außenpo- sam mit Ihrer Fraktion hier eigentlich geben. Wo sind die litik und die Verteidigungspolitik miteinander arbeiten Antworten für die neue Sozial- und Agrarpolitik, die Sie statt nebeneinander oder gar gegeneinander. Liebe Kol- einfordern? Wo sind die Antworten für die Umwelt- und leginnen und Kollegen, Sie haben es schon angedeutet: Klimapolitik? Der Haushalt wird am Ende nicht so verabschiedet, wie er eingebracht wird. – Lassen Sie uns also darüber spre- Erneut müssen wir anmahnen, dass Sie mehr für glo- chen, wie wir das gemeinsam hinbekommen. bale Bildung tun. Ja, Sie richten eine Sonderinitiative „Ausbildung und Beschäftigung“ ein. Mit Ihren Sonder- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN initiativen ist das aber so eine Sache. Ich weiß, dass wir sowie bei Abgeordneten der FDP und der LIN- in Deutschland sehr stolz auf das duale Bildungssystem KEN) in der Ausbildung sind – auch zu Recht. Aber ist das des- halb auch gleich ein Exportschlager? Fragen wir in den Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat Ländern, in die wir das exportieren wollen, überhaupt sich in internationalen Abkommen zum Kampf gegen nach, ob sie es in dieser Form auch haben wollen und ob Armut, Ungleichheit und den Klimawandel verpfichtet. das System dort auch so funktioniert? Deutschland muss auch die Agenda 2030 umsetzen. Nur gemeinsam mit der internationalen Gemeinschaft ist die- Ich war letztens im Senegal und habe mir dort das Bil- se Aufgabe zu bewältigen. Deshalb sage ich nochmal in dungssystem angeschaut. Der Bildungsminister hat mir Ihre Richtung, Herr Dr. Müller: Hören Sie auf, Ihr ei- die Pläne der Regierung, das Schulsystem dort umzubau- genes Süppchen zu kochen, stattdessen sollten Sie sich en, vorgestellt. Vor allem sollen die Koranschulen wieder absprechen und eine koordinierte Vorgehensweise mit an das staatliche Schulsystem herangeführt werden. Mit anderen Geberländern hinbekommen. Deutschland sollte Modellschulen wird das Ganze erprobt. Das alles kostet Vorreiter der multilateralen Zusammenarbeit sein. Geld. Also habe ich nach der Finanzierung gefragt, und der Minister hat mir gesagt, dass ein Großteil davon aus Vielen Dank. dem GPE-Fonds fnanziert wird, also aus der Globalen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bildungspartnerschaft. sowie bei Abgeordneten der SPD) An diesem Beispiel sehen wir, wie wichtig und wie hilfreich multilaterale EZ-Finanzierung ist, und ich fnde, Vizepräsidentin Claudia Roth: dass Sie dafür zu wenig tun, Herr Dr. Müller. Vielen Dank, Ottmar von Holtz. – Nächster Redner: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Volkmar Klein für die CDU/CSU-Fraktion. (B) (D) sowie bei Abgeordneten der SPD und der (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- FDP) ordneten der SPD) In dem Regierungsentwurf haben Sie zwar den Beitrag zur Globalen Bildungspartnerschaft mit 18 Millionen Volkmar Klein (CDU/CSU): Euro festgehalten, aber wir sind der Meinung, das ist im- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und mer noch viel zu wenig. Herren! Vor genau vier Wochen bin ich im Tschad ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wesen, vier Tage gemeinsam mit dem Chef des World sowie bei Abgeordneten der SPD und der Food Programmes, David Beasley. Es waren vier sehr FDP) eindrucksvolle Tage; es gab drastische Eindrücke, Ein- drücke von Armut, von Angst, auch ganz viele Eindrücke Meine Damen und Herren, als Sprecher für zivile Kri- von Scheitern vor Ort. Es waren aber auch Tage, die mo- senprävention ist es mir ein Anliegen, ein paar Worte zu tiviert haben – falls das bei mir oder anderen noch nötig einem sehr wichtigen Thema loszuwerden: Deutschlands sein sollte –, nicht zu akzeptieren, dass die Situation dort Rolle als Friedensmacht. Die Prävention von Konfikten und anderswo in Afrika so bleibt. und die Förderung von Frieden sind auch eine internati- onale Verpfichtung Deutschlands aus der Agenda 2030. Es geht darum, einerseits Perspektiven für Menschen Im Sommer 2017 hat die Bundesregierung die Leitlinien zu haben; das ist schon ein wichtiges ethisches Anliegen. „Krisen verhindern, Konfikte bewältigen, Frieden för- Es geht aber auch darum, Stabilität zu erreichen und nicht dern“ verabschiedet. Hierin bekennt sie sich zu einem zuzulassen, dass dieser Teil des nördlichen Afrikas, also ressortgemeinsamen Ansatz, um schneller, strategischer die G 5 Sahel, die Länder zwischen Tschad und Maure- und koordinierter im Sinne der Krisenprävention tätig tanien, am Ende zu einem neuen Ort des Terrors wird. zu werden. Das muss nun endlich in eine institutionelle Deswegen gilt es, einzugreifen und etwas zu tun. Form gegossen werden, in der die Selbstverpfichtungen Andere greifen massiv ein. Fast alle Staatschefs aus und Vorhaben auch wirklich umgesetzt und koordiniert Afrika waren gemeinsam in China. Die Chinesen haben werden. Zusagen in Höhe von 60 Milliarden Dollar für Afrika Wir möchten eine solche verbesserte Koordination gemacht. Ich halte es für fraglich, ob das am Ende wirk- zwischen den Ministerien dadurch fördern, dass die ko- lich der Entwicklung und der Stabilität dient. Auch jetzt ordinierenden Stellen mit gemeinsam bewirtschafteten schon sind einige afrikanische Länder an der Grenze der Mitteln ausgestattet werden. Ich weiß aus eigener Erfah- Überschuldung, aber gegenüber Peking. Ich befürchte, rung, dass das nicht einfach ist. Ich war selbst lange Jah- diese Überschuldung jenseits des Pariser Clubs wird uns 5132 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 48 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 12 September 2018

Volkmar Klein (A) in Zukunft noch große Probleme bereiten. Wir müssen Der eine oder andere hat vielleicht in dem Interview (C) dem etwas entgegensetzen. Wir müssen nicht China et- des UNDP-Chefs Achim Steiner in der „Zeit“ vom 6. Sep- was entgegensetzen, sondern wir müssen den Problemen tember gelesen, dass auch er darauf drängt, dass wir mehr etwas entgegensetzen. Wir müssen aus unserem eigenen private inländische Investitionen, aber auch andere brau- Interesse – Stichwort „Sicherheit“ –, aber auch aus Grün- chen, um Jobs und Chancen für die Menschen zu schaf- den der Ethik heraus etwas tun. fen. Darauf müssen wir uns sehr viel stärker ausrichten, als wir es in der Vergangenheit getan haben. Deswegen Deswegen ist es richtig, dass wir im Budget des Mi- ist es auch wichtig, dass Minister Müller demnächst den nisteriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwurf eines Investitionsfördergesetzes – oder welchen Entwicklung erneut, wie eben schon geschildert, ei- Namen auch immer es tragen wird – vorlegt. Deswegen nen erheblichen Aufwuchs um 284 Millionen Euro auf ist es auch wichtig, dass wir sehr viel mehr Druck in dem 9,7 Milliarden Euro haben. einen oder anderen Land ausüben. Denn wenn zum Bei- Deswegen ist es auch richtig, dass wir im Koalitions- spiel im Tschad – ich komme abschließend noch einmal vertrag diese Problematik und unsere Verpfichtung, dort darauf zurück – ein bisschen bessere Regierungsführung etwas zu tun, sehr prominent abgebildet haben, weil wir praktiziert würde, dann könnte in diesem potenziell sehr um unsere Verantwortung wissen, weil wir wissen, dass reichen Land auch ein sehr viel besseres Leben gelebt diese Menschen, wenn sie keine Chancen in ihrer Hei- werden. Das muss unser Anliegen in der Zukunft sein. mat fnden, diese Chancen woanders suchen, und weil wir wissen, dass es am Ende auch für uns sehr viel preis- Ich würde mich freuen, wenn wir einen noch verbes- werter ist, zu helfen, dass die Chancen dort, wo die Men- serten Budgetentwurf abschließend beschließen und da- schen leben, entwickelt werden, sodass sie dann eben mit unserem guten und engagierten Minister Gerd Müller nicht bei uns diese Chancen vergeblich suchen. für die Zukunft gute Arbeitsmöglichkeiten geben. Vor diesem Hintergrund ist der eben geschilderte Auf- Herzlichen Dank für euer Zuhören. wuchs nicht mehr ganz so groß. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das war jetzt aber eine freundliche In- terpretation!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Und vor diesem Hintergrund ist der Hinweis von Volker Vielen Dank, Volkmar Klein. – Nächster Redner für Kauder heute Morgen an Bundesfnanzminister Scholz, die AfD-Fraktion: Ulrich Oehme. den Koalitionsvertrag doch noch einmal genau durchzu- (Beifall bei der AfD) (B) lesen, durchaus berechtigt. Ich freue mich auch sehr, dass (D) die Kollegin Sonja Stefen aus dem Haushaltsausschuss eben noch einmal darauf hingewiesen hat. Liebe Sonja, Ulrich Oehme (AfD): ich würde dich bitten, deinen norddeutschen Parteifreund Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Minister Müller! vielleicht noch einmal ganz persönlich ins Gebet zu neh- Meine Damen und Herren! Wir als Abgeordnete ent- men, damit er aus unserem Kreis, hier aus dem Plenum scheiden in der Haushaltsdebatte über Mittel, die viele heraus, noch einmal deutlich gesagt bekommt: Das liegen Menschen in diesem Land schwer erwirtschaftet haben. wirklich Prioritäten für eine vernünftige deutsche Politik. Daher sind wir ihnen auch Rechenschaft und Anstand (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- schuldig und sollten tunlichst auf eine sparsame Verwen- neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE dung dieser Gelder achten. GRÜNEN – Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: muss das auch Wenn wir nun auf den Einzelplan des Ressorts Ent- wissen!) wicklungszusammenarbeit schauen, stellt sich mir folgende Frage: Welche Eigenschaften teilen Ihr Bun- Natürlich ist auch richtig, dass es nicht nur um Geld desministerium, Dr. Müller, und viele der von Ihnen geht, sondern dass letztlich Wirksamkeit entscheidet. Die geförderten Staaten, Organisationen und Projekte? Sie deutsche Entwicklungszusammenarbeit wird in vielen sind bürokratisch aufgebläht, träumerisch verklärt und Ländern und von vielen Ländern, die beispielsweise wie inefektiv. Australien die GIZ von sich aus engagieren, sehr gelobt, weil sie sich – Stichwort „Value for Money“ – an Projekte Seit den letzten drei Haushalten hat sich die Zahl der unserer GIZ anhängen. Deswegen will ich mich an dieser hochbezahlten Arbeitsstellen Ihres Bundesministeriums, Stelle erst einmal ganz herzlich bei den vielen NGOs, bei der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit und unseren Implementierungsorganisationen, aber auch bei des Deutschen Evaluierungsinstituts, DEval, stetig er- den multilateralen Institutionen, die wir maßgeblich mit- höht, das jedoch, ohne dass sich deren Arbeit verbessert fnanzieren – beim World Food Programme und bei der hat. Weltbank –, dafür bedanken, dass sie an vielen Stellen wirksam helfen. Zufrieden können wir damit aber noch (Widerspruch bei Abgeordneten des BÜND- nicht sein, weil es in Zukunft noch mehr Erfolge braucht. NISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich fnde, dass die neue Sonderinitiative „Ausbildung Im Fall DEval zeigte sich in einer Anhörung während und Beschäftigung“ eine gute Antwort ist. einer Ausschusssitzung, dass trotz nunmehr Investitio- (Beifall bei der CDU/CSU) nen von fast 20 Millionen Euro in den letzten drei Jahren Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2018 5133

Ulrich Oehme (A) diese Institution hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt überprüfbaren und messbaren Faktoren und drittens die (C) war. Konzentration auf wenige Großprojekte mit dem Ziel des Schutzes der Außengrenzen vor ungeregelter Mas- (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- senmigration, NEN]: So ein Unsinn! – Sonja Amalie Stefen [SPD]: Doch alles Blödsinn! Vielleicht schau- (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- en Sie sich das dort einfach einmal an!) NEN]: Hat ja lange gedauert! – Weitere Zuru- fe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE Der Hauptgrund für die bisher kaum erfolgte Auswer- GRÜNEN) tung der Efektivität unserer Entwicklungszusammenar- beit sind fehlende Daten aus anderen Ministerien, unter Sicherung der Handelswege und langfristiger Wirt- anderem aus dem Außenministerium. Ist das Ihr so oft schaftsinteressen Deutschlands. beschworener vernetzter Ansatz, Dr. Müller? (Beifall bei der AfD) Vergleichen wir diese Mittelverwendung im Bun- desministerium und in den Tochterunternehmen mit der Damit schafen wir ein System, das efzient, realistisch Vielzahl der Staaten, die wir derzeit mit unserer Ent- und ökonomisch-wirtschaftlich ist. wicklungspolitik fördern, zeichnen sich erschreckende Vielen Dank. Parallelen ab. Selten haben die Nehmerländer den Re- formwillen, die erhaltene Unterstützung zum Wohle der (Beifall bei der AfD) Gesamtbevölkerung einzusetzen. Es werden die Staats- apparate künstlich aufgebläht, Gelder abgezweigt. Kor- Vizepräsidentin Claudia Roth: ruption und Bürokratie blühen und gedeihen. Nutzen für Vielen Dank, Kollege Oehme. – Nächste Rednerin: den deutschen Steuerzahler: Null! Gabi Weber für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der AfD – Sonja Amalie Stefen (Beifall bei der SPD) [SPD]: Das sind lauter Fake News!) Durchsetzung deutscher Interessen durch die Bundes- Gabi Weber (SPD): regierung: Null! Dass es anders geht, zeigt das Beispiel Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen China. Dort versucht man nicht, utopische Ziele durch- und Kollegen! Herr Minister Müller, seit 2015 konzen- zusetzen, sondern arbeitet mit knallharten Forderungen. triert sich die deutsche Entwicklungspolitik unter Ihrer Leitung massiv auf den afrikanischen Nachbarkontinent. (Ulli Nissen [SPD]: Mit knallharten! Ja!) Das ist gut. Aber wer investiert denn am stärksten dort? (B) – Ja. China. Frau Merkel reiste vor zwei Wochen nach Ghana, (D) Senegal und Nigeria, vornehmlich mit dem Ziel, Men- Die Entwicklung Afrikas mittels eines Marshallplans schenschleusungen nach Europa und Fluchtursachen zu zu revolutionieren, ist ein Traum. Nicht wir müssen Afri- minimieren. Drei Tage später lud der chinesische Präsi- ka retten, sondern die Regierungen in Afrika müssen dent alle Staatsoberhäupter des afrikanischen Kontinents endlich ihrer Verantwortung für ihre Bevölkerung ge- ein. Von 55 Staatsoberhäuptern kamen 53. Er sagte ihnen recht werden. Investitionen Chinas in den kommenden drei Jahren in (Beifall bei der AfD) Höhe von 60 Milliarden US-Dollar zu; das sind 52 Mil- liarden Euro. Um dies zu erreichen, muss Entwicklungszusammen- arbeit an Bedingungen geknüpft sein. Kredite müssen Chinas Investitionen dienen einzig der Rohstofge- dinglich abgesichert werden winnung und der Schafung eines riesigen Absatzmarktes für chinesische Produkte. Lassen Sie mich dabei folgen- (Sonja Amalie Stefen [SPD]: Wie denn? Wo- de Frage stellen: Wo bleibt die notwendige eigene Ent- mit denn, wenn nichts da ist? Mein Gott!) wicklung der afrikanischen Länder und ihrer Wirtschaft? und Zuwendungen an einen messbaren Zuwachs, bei- Ich kann es Ihnen sagen: Sie bleibt auf der Strecke. spielsweise den HDI-Index, geknüpft sein. ( [SPD]: Ja, leider!) (Markus Grübel [CDU/CSU]: Dinglich absi- Bisher hatte die afrikanische Wirtschaft – und da irren chern? Soll sich Namibia versteigern?) Sie fatal – überhaupt nichts oder nur wenig von der Er- Bei Nichterfüllung der Kennzahlen muss die Entwick- richtung vieler Infrastrukturprojekte. Deshalb muss bei lungszusammenarbeit drastisch reduziert oder ganz ge- staatlich geförderten deutschen Investitionen in Afrika strichen werden. hauptsächlich die Hebung der vorhandenen Potenziale afrikanischer Länder im Fokus stehen. (Ulli Nissen [SPD]: Super! – Gabi Weber [SPD]: Und wem nützt es dann?) (Beifall bei der SPD) Um wirklich einen Mehrwert für die Menschen in un- Dabei ist ein wesentliches Mittel für die wirtschaft- serem Land und für die Menschen in den zu entwickeln- liche Entwicklung Afrikas der Aufbau eines innerafri- den Regionen zu erhalten, fordern wir folgende Schritte: kanischen Marktes. Afrikas Staaten wollen es, wir wol- erstens eine Verschlankung und Reduzierung des Bun- len es; also lassen Sie es uns gemeinsam anpacken. Die desministeriums und seiner Töchter, zweitens eine Ver- Agenda 2063 der Afrikanischen Union muss dabei als gabe von Mitteln der Entwicklungszusammenarbeit nach Richtschnur dienen, und die von den Staaten Afrikas for- 5134 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 48 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 12 September 2018

Gabi Weber (A) mulierten Vorstellungen sind gemeinsam mit den Men- für bräuchten wir auch keine neuen Instrumente. Ich bin (C) schen in Afrika umzusetzen. Herr Minister Müller, dafür aber noch nicht davon überzeugt, wie ein sogenanntes ist ein echter Dialog Vorbedingung und die Abkehr von Entwicklungsinvestitionsgesetz hier funktionieren soll. der Fixierung auf die Interessen Europas unbedingt not- Herr Minister, Sie gehen damit schon lange hausieren wendig. Wir müssen mit den Augen der Afrikaner darauf und haben es auch eben angesprochen. Das Einzige aber, schauen. was wir bisher darüber wissen, ist, dass ein solches Ge- setz in den 60er-Jahren des vorigen Jahrhunderts schon (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie einmal existiert hat, aber schnell eingestampft wurde, der Abg. Eva-Maria Schreiber [DIE LINKE] weil es nichts gebracht hat. und Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]) (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Mitnahmeefekte!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, staatliche Förde- rung von Investitionen wird ja immer stärker diskutiert. Es müsste diesmal also intelligenter laufen als damals. Sie ist notwendig – das haben wir im Koalitionsvertrag festgehalten –, aber unbedingt zu knüpfen an internati- Anstatt Steuergelder Firmen hinterherzuwerfen und onal anerkannte Arbeitsnormen, Umweltschutz, soziale Mitnahmeefekte zu erzeugen, bin ich eher dafür, mit Absicherung und vor allem an Ausbildung. den Mitteln der Entwicklungspolitik tatsächlich die not- wendigen Rahmenbedingungen für Investitionen in den (Zuruf von der AfD: Deutschen Mindest- Staaten Afrikas zu schafen. Deutsche Unternehmen, vor lohn!) allem die kleinen und mittleren Unternehmen, sollen sich trauen können, auf diesem wirtschaftlich interessanten Zwei wesentliche Grundlagen aller Investitionen in Afri- und wachsenden Kontinent zu investieren, und dies vor ka sind darüber hinaus Sicherheit und gut ausgebildete allen Dingen auch nachhaltig. Arbeitskräfte. Das bedeutet wiederum für unsere Ent- wicklungspolitik: Rechtsstaatlichkeit ist zu fördern, und Herr Minister, liebe Kolleginnen und Kollegen, ja, vor allem ist Bildung entlang der gesamten Bildungsket- Afrika gehört in den Fokus. Trotzdem sollten wir die te gleichberechtigt herzustellen. Darüber hinaus müssen dringend benötigte Unterstützung in den Partnerländern wir einen Weg fnden, Kleptokratie und Willkürherr- anderer Kontinente nicht herunterfahren. Eine ganz neue schaft ein Ende zu setzen. Wir müssen deshalb zielge- Herausforderung ist zum Beispiel die Fluchtsituation in richteten Druck auf die entsprechenden Eliten ausüben Südamerika. Die Nachbarländer Venezuelas sind zurzeit und unsere Bemühungen um Good Governance erheb- massiv überfordert mit Hunderttausenden von Flüchtlin- lich verstärken. gen. Wir sollten auch die Situation dort im Auge behalten und die Flüchtlinge unterstützen. (B) (Beifall bei der SPD) (D) Eine zentrale Aufgabe ist immer wieder Bildung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe mit China Bildung ist eine der klassischen Aufgaben der Ent- begonnen, um unseren menschenrechtsbasierten Ansatz wicklungspolitik. Ich bin daher froh, dass wir im Haus- in der Entwicklungspolitik nochmals zu verdeutlichen. halt 2018 die Mittel für die Globale Partnerschaft für Bil- Heute Morgen hat die Kanzlerin die Entwicklungszu- dung auf 18 Millionen Euro verdoppeln konnten. Aber sammenarbeit ganz besonders hervorgehoben. Ich gehe das reicht nicht. Wir müssen unsere Anstrengungen im davon aus, dass die nachhaltige Entwicklungspolitik als Bereich Bildung intensivieren, und das nicht mit einer Querschnittsaufgabe in der gesamten Regierung ange- neuen Sonderinitiative. kommen ist. Dies muss dann auch in der mittelfristigen Finanzplanung fnanziell zu Buche schlagen, damit die (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des ODA-Quote endlich auf die richtige Höhe kommt. BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Olaf in der Beek [FDP]) Vielen Dank. Vielmehr brauchen wir ein ausreichendes Maß an Grund- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten bildung. Denn nur dann können Menschen weiterge- der CDU/CSU) schult werden und auch zu Facharbeiterinnen und Fach- arbeitern ausgebildet werden. Vizepräsidentin Claudia Roth: Apropos Facharbeiter, Herr Minister: Machen Sie auf Vielen Dank, Gabi Weber. – Nächster Redner für die Ihrer Seite des Kabinettstisches doch bitte Werbung für FDP-Fraktion: Olaf in der Beek. den Spurwechsel hier in Deutschland. Egal in welchen (Beifall bei der FDP) Betrieben ich unterwegs bin, alle befürworten es. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie Olaf in der Beek (FDP): des Abg. Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! GRÜNEN]) Hinter uns liegt schon eine beeindruckende Woche: Kaum sind die Kanzlerin und der Entwicklungsminister Hören Sie doch auf die Stimmen der Wirtschaft! Das von ihren Afrikareisen zurück, erklärt der Bundesinnen- können Sie doch sonst auch so gut. minister die Migrationsthematik zur alles bestimmenden Liebe Kollegen und Kolleginnen, wichtig ist auch eine Menschheitsfrage. Dass die Union ihre Streitigkeiten auf staatliche Absicherung deutscher Investitionen. Natür- dem Rücken der fast 20 Millionen Menschen mit Migra- lich können wir über Hermesbürgschaften absichern; da- tionshintergrund in Deutschland austrägt, fnde ich uner- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2018 5135

Olaf in der Beek (A) träglich. Lassen Sie mich das mal ganz deutlich sagen: jährlich, und da geben wir auch so lange nicht Ruhe, bis (C) Wer behauptet, dass Migration die Mutter aller Probleme wir das haben. sei, der macht sich wahrlich, liebe Kolleginnen und Kol- legen, zum Horst. (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Genauso sieht es bei der Gesundheitsversorgung aus. LINKEN) Wenn wir dem Bevölkerungsboom in Afrika entgegen- wirken wollen, dann geht das nur über Aufklärung und Die Mutter aller Probleme sind nicht Migranten, sondern Beratung. Gerade jetzt, wo sich die USA massiv aus Politiker, die sich seit Jahrzehnten der Realität verwei- diesem Programm zurückziehen, brauchen wir eine star- gern und keine Visionen für die Zukunft entwickeln. ke gemeinsame europäische Gegeninitiative. Und was kommt aus Ihrem Haus? Stille! (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD) Den dritten Baustein, liebe Kolleginnen und Kolle- gen, die wirtschaftliche Entwicklung, hat die Bundes- Genau diese Visionen fehlen auch in der Entwick- regierung aus den Augen verloren. China wird in den lungszusammenarbeit. Die ist der entscheidende Hebel, nächsten drei Jahren 52 Milliarden Euro allein in Afrika wenn es um die globalen Migrationsströme geht. Nur in Infrastrukturprojekte investieren – mit wenig Nutzen wenn wir den Menschen in ihrer Heimat Perspektive ge- für die Menschen vor Ort. Und wir? Wir schauen vom ben, werden sie nicht zu Flüchtlingen, und genau das, lie- Spielfeldrand zu. ber Herr Minister Müller, machen Sie zurzeit nicht. Seien es Ihr Marshallplan mit Afrika, ein EU-Afrika-Kommis- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir tatsäch- sar oder die Plastiksteuer – im Ankündigen und Fordern lich dafür sorgen wollen, dass die Menschen in Entwick- sind Sie groß. Wenn man dann jedoch genauer nachfragt, lungsländern in ihrer Heimat eine Perspektive bekom- wird es dünn: Erstens. Den Marshallplan mit Afrika gibt men, dann braucht es vor allem eins: Jobs, Jobs, Jobs und es zurzeit eigentlich eher nur auf dem Papier. Zweitens. Jobs. Allein um den Investitionsstau bei der Infrastruktur Der EU-Afrika-Kommissar ist nach der Antwort Ihres in Afrika abzubauen, braucht es jährlich 160 Milliarden Ministeriums auf meine schriftliche Frage – ich zitiere Euro. Um das zu bewerkstelligen, müsste also jedes Jahr mit Erlaubnis der Präsidentin hieraus – dann doch nur im die komplette weltweite Entwicklungshilfe in diesen Be- Sinne eines Beauftragten zu verstehen. reich fießen. Das ist nicht leistbar. Das wissen wir auch. Dafür brauchen wir eine engere Kooperation mit der (Michael Georg Link [FDP]: So ist es!) (B) Wirtschaft. Ihre Signale, Herr Minister Müller, haben wir (D) Wenn es drittens um die Bedeutung von sauberen Welt- gerade in der FDP vernommen. meeren für unseren Planeten geht, zeigt Ihnen gerade ein 24-jähriger Niederländer mit seinem Projekt „The Ocean Wir brauchen endlich eine sinnvolle Koordinierung Cleanup“, wo der Hammer hängt. der Entwicklungszusammenarbeit. Laut dem Deutschen Institut für Entwicklungspolitik sind 14 Ministerien mit (Beifall bei der FDP) Maßnahmen in diesen Bereichen aktiv. Dieser Flicken- teppich ist nicht akzeptabel. Selbst der Afrika-Beauftrag- Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit ist leider te der Kanzlerin sagt mittlerweile öfentlich, dass unsere noch reine Ankündigungspolitik, und das setzt sich lei- Entwicklungszusammenarbeit europäisch werden muss der auch im Haushalt fort. Sie fordern mehr gemeinsame und dass sie sich vor allem an den Interessen Afrikas und europäische und internationale Entwicklungspolitik, aber nicht an denen der Ministerien ausrichten muss. Richtig Sie erhöhen zurzeit nur die Mittel für Ihre kleinteilige bi- so! laterale Entwicklungszusammenarbeit. Mittlerweile sind das schöngerechnet 70 Prozent des Gesamthaushalts. Das Frau Präsidentin, ich komme zum Ende. Liebe Kolle- sind Maßnahmen, deren Wirkungen Sie nicht einmal alle ginnen und Kollegen, für erfolgreiche Entwicklungsar- benennen können. Bildung und Gesundheitsversorgung beit brauchen wir mehr als warme Worte. Wir brauchen für die Ärmsten der Armen, aber auch den weltweiten die Wirtschaft, wir brauchen Europa, und wir brauchen Klimaschutz werden wir nicht mit dem Klein-Klein der internationale Partner. deutschen Entwicklungszusammenarbeit angehen kön- nen. Das wissen Sie. Das sagen Sie. Aber warum tun Sie Herzlichen Dank. es dann immer noch? (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN) Fangen wir mit der Grundbildung an! Hier tun wir Vizepräsidentin Claudia Roth: zu wenig. Gerade einmal 18 Millionen Euro sind für die Vielen herzlichen Dank, Olaf in der Beek. – Nächs- Globale Bildungskampagne vorgesehen. Das ist eines der te Rednerin: Eva-Maria Schreiber für die Fraktion Die weltweit besten Projekte in diesem Bereich, das Sie mit Linke. einem Kleckerbetrag abspeisen. Uns reicht das nicht. Wir wollen dafür nach wie vor mindestens 50 Millionen Euro (Beifall bei der LINKEN) 5136 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 48 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 12 September 2018

(A) Eva-Maria Schreiber (DIE LINKE): unkoordinierten Projekten zu verlieren. Doch das Instru- (C) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und ment der Budgethilfe hat an Bedeutung verloren. DEval Kollegen! Lieber Herr Minister Müller! Liebe Gäste! hat in der aktuellen Studie die negativen Auswirkungen Die UN haben gestern bekannt gegeben, dass die Zahl der Einstellung der Budgethilfe für Malawi, Ruanda, der Hungernden weltweit auf 821 Millionen gestiegen Uganda oder Sambia beschrieben. ist. Gleichzeitig sinkt der Entwicklungsetat von knapp 10 Milliarden Euro im nächsten Jahr auf 8,5 Milliarden Hören Sie auf Ihre eigenen Experten: Machen Sie Euro im Jahr 2020 – und das, obwohl sich der Gesamt- Budgethilfe zu einem zentralen Pfeiler Ihrer Politik! Dort haushalt um knapp 20 Milliarden Euro erhöht. Auch ist das Geld viel besser aufgehoben als bei den Maßnah- der Verteidigungsetat wächst deutlich. Damit beweist men, die Sie zurzeit im Bereich der Migrationsabwehr die Bundesregierung einmal mehr, welche Priorität sie fnanzieren. Gesundheit, Bildung und der Bekämpfung von Hun- Danke schön. ger – also tatsächlicher Fluchtursachenbekämpfung – in Wirklichkeit einräumt. Mehr Geld fürs Militär, weniger (Beifall bei der LINKEN) für globale Entwicklung. Sie sind auf dem Holzweg. Die globalen Herausforderungen der Zukunft werden sich nicht mit noch mehr Militär lösen lassen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Doch natürlich ist nicht nur die Höhe des Entwick- Vielen Dank, Eva-Maria Schreiber. – Nächste Redne- lungsetats wichtig, sondern auch, wie man das Geld ein- rin: Anja Hajduk für Bündnis 90/Die Grünen. setzt. Dazu drei Beispiele, wo in meinen Augen Ände- rungsbedarf besteht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Erstens. Herr Müller, Sie betrachten die Rückführung (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): von Flüchtlingen in ihre Herkunftsländer als eine der Anja Hajduk zentralen Aufgaben Ihrer zweiten Amtszeit. Ein Großteil Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und der zusätzlichen Budgetmittel fießt in das Programm Herren! Es ist in dieser Debatte schon mehrfach gesagt „Perspektive Heimat“. Hauptaufgabe des Programms worden: China hat große Aktivitäten unternommen, sei- soll sein, Arbeitsperspektiven für Flüchtlinge in Ländern ne Handelspartnerschaft mit Afrika zu stärken. Auf dem wie Afghanistan oder dem Irak zu fnden, die es dort chinesisch-afrikanischen Gipfel ist jetzt in der Tat ver- einfach nicht gibt. Dass dieses Programm auch in den kündet worden, dass es in den nächsten Jahren Investiti- AnKER-Zentren angesiedelt werden soll, zeigt, wie weit onen in Höhe von 60 Milliarden Dollar umzusetzen gilt. (B) die Verseehoferung der deutschen Entwicklungspolitik (D) schon vorangeschritten ist. Wir sollten uns ruhig einmal veranschaulichen, wie das für Deutschland aussieht. Deutschland rangiert mit (Beifall bei der LINKEN) voraussichtlich 1 Milliarde Euro im Jahr 2018 auf den Zweitens. Lieber Minister Müller, ganz zu Recht ha- hinteren Rängen in Bezug auf Direktinvestitionen in ben Sie in letzter Zeit immer wieder den Neokolonialis- Afrika. Deutschland investiert in Ungarn, wenn man das mus angeprangert und die Steuerfucht internationaler mal vergleicht, mehr als in allen 55 afrikanischen Staa- Konzerne verurteilt. Gleichzeitig sorgen Sie dafür, dass ten zusammen. Das ist sicherlich keine kluge Strategie. das Kerninstrument der internationalen Steuerfucht wei- Insofern ist es auch ein Weckruf für die EU und auch für ter salonfähig bleibt: die Steuerparadiese. Die staatseige- Deutschland, das strategisch noch mal klug zu durchden- ne Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft, ken. DEG, parkt dort 60 Prozent all ihrer Beteiligungen in Andere Kollegen haben hier durchaus auch kritisch Unternehmen und Fonds. Ihr Haus unterstützt die Crème angemerkt: Es ist nicht unbedingt ein Selbstgänger, dass de la Crème der weltweiten Schattenfnanzplätze: auf die Aktivitäten, die China dort im Bereich Investment den Kaimaninseln, Mauritius, Bermuda, in Panama, in tätigt, nachhaltig sind und genügend Wertschöpfung in Luxemburg. Insgesamt ist Ende 2017 nahezu 1 Milliarde Afrika selbst belassen. Insofern, Herr Müller, haben Sie Euro der DEG in diese Finanzzentren gefossen – acht- auch unsere Unterstützung, wenn Sie die deutsche Wirt- mal mehr als noch 2008. Die DEG arbeitet mit einem Ge- schaft aufordern und animieren wollen, in Afrika mehr schäftsmodell, dem Sie als Minister den Kampf angesagt zu investieren; denn mit sozialen, ökologischen Stan- haben. Also entweder läuft da was ganz gewaltig aus dem dards und auch mit der bisherigen Überzeugung, dort Ruder, oder der Kampf ist nicht ernst gemeint. Arbeitsplätze zu schafen und für Ausbildung zu sorgen, (Beifall bei der LINKEN) können wir sehr sinnvolle Maßnahmen betreiben. Drittens. Gute Entwicklungspolitik trägt zum Auf- Ich möchte diese Debatte auch nutzen, um über Au- bau nachhaltiger Strukturen in Entwicklungsländern bei. genhöhe mit Afrika und über die sehr positive Reaktion Genau diese Aufgabe erfüllen Budgethilfen. Die Linke der afrikanischen Regierungen auf die chinesische Initi- fordert seit Jahren, dieses Instrument auszubauen. Eine ative zu sprechen; die müssen wir ja ernst nehmen. Das aktuelle Studie ihres hauseigenen Evaluierungsinstituts bedeutet für uns, dass wir auch eigene Interessen in Afri- DEval bestätigt diese Forderung. Damit können Sie den ka suchen und sie dann partnerschaftlich umsetzen soll- Aufbau staatlicher Gesundheits- oder Bildungssysteme ten. Es dürfen eigene Interessen sein, wenn sie ehrlich nachhaltig unterstützen, statt sich in Tausenden kleinen, artikuliert werden. Augenhöhe ist nicht gegeben, wenn Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2018 5137

Anja Hajduk (A) man nur Hilfe gewährt, sondern Augenhöhe ist ein ehrli- Vizepräsidentin Claudia Roth: (C) cher Interessenausgleich. Vielen Dank, Anja Hajduk. – Nächster Redner für die (Markus Grübel [CDU/CSU]: Mit dem CDU/CSU-Fraktion: Dr. Wolfgang Stefnger. Marshallplan!) (Beifall bei der CDU/CSU) Ich glaube, dass wir in Deutschland und in Europa an dieser Stelle noch transparenter und ehrlicher mit unse- ren strategischen Zielen umgehen sollten. Dr. Wolfgang Stefnger (CDU/CSU): Herr Müller, ich möchte Ihnen aber auch mit auf den Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Weg geben: Längst nicht jedes Instrument ist sinnvoll. In Kollegen! Ich darf dem Ausschuss für wirtschaftliche der Tat hat zum Beispiel das DEval, Ihr Evaluierungsin­ Zusammenarbeit und Entwicklung zum ersten Mal an- stitut, bei der deutschen Entwicklungszusammenarbeit in gehören. Ich habe in dieser Zeit, in dem knappen Jahr, diesem Jahr hervorgebracht, dass zu viele Programme in die vielseitigen und großen Aufgaben des Ausschusses der derzeitigen Ausgestaltung die eigenen Erwartungen zu den zahlreichen Fragen der Zukunft kennengelernt. nicht erfüllen können. Ich zitiere: Ich möchte an dieser Stelle ein herzliches Dankeschön sagen. Es geht an unseren Minister Müller – für seinen Ansprüche bezüglich größerer Einkommens- und Einsatz, für seine Initiativen, für seine Visionen und da- Beschäftigungsefekte oder gar der Stärkung privat- für, dass die Entwicklungspolitik, seitdem er Minister ist, wirtschaftlicher Strukturen … werden nicht erfüllt. immer stärker in den Fokus gerückt ist. Ein großes Dan- Es muss uns auch nachdenklich machen, dass es ein keschön an den Minister und sein Team. wirklich unkoordiniertes Nebeneinander von sogenann- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ten Entwicklungsscouts, Infodesks in Außenhandelskam- ordneten der SPD) mern und Beratungen über Agenturen für Wirtschaft gibt. Die Tätigkeit von dort beratenden Institutionen ist nicht Wir haben große Aufgaben vor uns. Wir haben vor genügend abgestimmt zwischen BMZ und zum Beispiel allem auch langfristige Aufgaben vor uns. Ich habe im dem Wirtschaftsministerium. Ausschuss bisher eines gelernt: Es kommt in der Ent- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wicklungszusammenarbeit vor allen Dingen auf Verläss- sowie des Abg. Michael Georg Link [FDP]) lichkeit und Planungssicherheit an. Man braucht bei vie- len Themen in der Entwicklungszusammenarbeit Geduld Wir erwarten, dass Sie auch da eine positive Entwicklung und einen langen Atem. in Gang setzen. (B) Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen. Sie, Ich darf beim Stichwort „Ankündigungspolitik“ schon (D) Herr Müller, haben hier deutlich gemacht – damit wir einmal daran erinnern, dass in der Vergangenheit sehr, Ihre Worte ernst nehmen, müssen Sie sich korrigieren –, sehr viel erreicht wurde, zum Beispiel beim Kampf ge- dass es doch eigentlich widersprüchlich und widersinnig gen den Hunger. Die Zahlen steigen zwar gerade wie- ist, dass wir es nicht schafen, mit der internationalen der; das liegt aber auch daran, dass die Weltbevölkerung Gemeinschaft genügend Geld für Entwicklung global wächst. Wir konnten bei den Krankheiten viel erreichen. zu generieren. Dann müssen wir Ihnen mit auf den Weg Die Pocken konnten besiegt werden. Die Flussblindheit geben: Steuern Sie auch im eigenen Haus um. Fördern konnte besiegt werden. Auch die Kindersterblichkeits- Sie bitte mehr multilaterale Programme, und stecken Sie rate wurde reduziert. Das sind doch alles Erfolge, auf nicht zu viel und zu einseitig in Ihre hauseigenen Son- denen man aufbauen kann und die sich vor allem auch derinitiativen. sehen lassen können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wir sehen aber auch, dass die Aufgaben gerade ange- sowie bei Abgeordneten der SPD und der sichts der wachsenden Zahl an Krisenherden nicht weni- FDP) ger werden. In diesem Zusammenhang habe ich noch et- was gelernt: Entwicklung braucht Sicherheit. Sie braucht Ihre eigene Schwerpunktsetzung sollten Sie korrigie- ein stabiles Umfeld. Gerade deswegen ist es wichtig, ren. dass wir Verteidigung und Entwicklungszusammenarbeit Last, but not least. Sie haben gesagt: Klima und Ent- zusammen betrachten. wicklung müssen wieder wichtiger werden. – Das unter- streichen wir. Und dann nehmen wir Sie und die Koali- Vor kurzem durfte ich den Minister nach Mossul be- tionsfraktionen beim Wort. Sie regieren. Sie haben hier gleiten. Den Kampf gegen den IS, liebe Kolleginnen von heute eine Menge Krokodilstränen vergossen. Wir wol- den Linken, kann man nicht im Stuhlkreis gewinnen. len von den 25 Milliarden Euro Rücklagen, die in diesem Vielmehr musste man mit militärischen Mitteln eingrei- Haushalts- und Finanzplan verbraten werden, nicht nur fen und die Menschen dort von dieser Terrorherrschaft 1 Prozent mehr für Entwicklung, sondern 5 Prozent. Das befreien. Heute ist wieder Entwicklungszusammenarbeit entscheiden wir Ende November mit Ihnen zusammen. möglich. Vielleicht haben Sie selber die Gelegenheit, Hier einfach nur Krokodilstränen zu vergießen, reicht mal dort hinzureisen. Wenn Sie in die Augen der Kinder wirklich nicht. schauen, die dort wieder in die Schule gehen dürfen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Ich sowie bei Abgeordneten der FDP) weiß, was Krieg bedeutet!) 5138 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 48 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 12 September 2018

Dr. Wolfgang Stefnger (A) und wenigstens für ein paar Stunden am Tag ein sicheres Vizepräsidentin Claudia Roth: (C) Umfeld, eine geordnete Struktur erleben, dann werden Vielen Dank, Dr. Stefnger. – Nächster Redner für die Sie das höchstwahrscheinlich auch etwas anders sehen. AfD-Fraktion: Dietmar Friedhof. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der AfD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Herausforde- rungen werden nicht kleiner. Der Minister hat das ange- Dietmar Friedhof (AfD): sprochen. Deswegen muss der Etat für Entwicklungshilfe Frau Präsidentin! Werter Herr Minister! Sehr geehrte weiter ansteigen. Jeder Euro, den wir vor Ort investieren, Kolleginnen und Kollegen! Ich beginne meine Rede mit spart 20 Euro an Folgekosten für Integration bei uns im einem Zitat aus einem Buch, aus dem Buch „Unfair!“ Land. Wir haben eine klare Vereinbarung im Koaliti- von Ihnen, Herr Minister Müller. Dort wird im Vorwort onsvertrag, und Verträge sind einzuhalten. Deshalb bitte über Sie berichtet: ich das Finanzministerium – auf Bayerisch tat i sag’n –: Mit einem unvoreingenommenen jugendlichen Schaut’s no mal nach im Geldbeit’l, ob ned no a bissl a Blick, vielleicht dem Blick eines katholischen Pfad- Geld do is‘. fnders, … schaut er auf die Welt.

Vizepräsidentin Claudia Roth: Das erklärt manches, aber nicht alles. Das erklärt aber zumindest den Anfang Ihrer letzten Rede hier im Bun- Können Sie das bitte übersetzen? destag – Zitat –:

Dr. Wolfgang Stefnger (CDU/CSU): Liebe Jugend auf den Tribünen! … Entwicklungs- politik ist Zukunftspolitik, … für die Erhaltung der Bitte? Schöpfung und des Planeten (Ulli Nissen [SPD]: Genau!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Können Sie das bitte übersetzen? für euch, für das Jahr 2050. (Markus Grübel [CDU/CSU]: Also, bislang Dr. Wolfgang Stefnger (CDU/CSU): war die Rede gut!) Ich übersetze das gerne: Schauen Sie bitte noch mal Es geht darum, den Planeten als Ganzes … zu erhal- nach in der Geldbörse, ob nicht noch etwas Geld da ist. – ten. … Es geht um eure Zukunft. Sie also sehen: Die Bayern können auch Hochdeutsch. (B) Ich bitte also darum, dass wir noch einmal nachsehen und (Markus Grübel [CDU/CSU]: Immer noch (D) die Vereinbarung im Koalitionsvertrag auch einhalten; gut!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das Ganze war dann gefolgt von dem Rezitieren im- mer gleicher Mantras wie den Klangkörpern Marshall- denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht am Ende plan, den 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung und dem nicht nur um Zahlen und Euros, sondern es geht um die Satz: Ein „Weiter so“ darf es nicht geben. Menschen vor Ort, es geht um die Menschen in den Kri- senregionen und in den Entwicklungsländern. Bei all dem, Herr Minister, unterstelle ich Ihnen so- gar, dass Sie das wirklich wollen und ernst meinen. Aber Ich möchte auch eine Lanze für die bilaterale Zu- Wollen bedeutet nicht automatisch Können. Sie wollen sammenarbeit brechen. Die GIZ und unser Engagement efzienter, schneller und nachhaltiger sein. Aber sind vor Ort genießen einen hervorragenden Ruf. Ich möchte Sie das, oder blähen Sie diesen ganzen Entwicklungsap- mich an dieser Stelle auch einmal ganz herzlich bei den parat nicht einfach nur weiter auf? Denn wer efzienter Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vor Ort in den Län- sein möchte, muss Entwicklungsgelder auch nutzen, um dern hierfür bedanken. Druck auszuüben. Ist es richtig, dass Länder, die klar (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- gegen die Menschenrechte verstoßen, weiter Gelder be- ordneten der SPD) kommen, wie zum Beispiel Myanmar und Südafrika? Wer efzienter sein möchte, gibt das Geld dorthin, wo Liebe Kolleginnen und Kollegen, die wichtigste Wäh- es defnitiv gebraucht wird und man auch Veränderungen rung im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit – ich bewirken kann. Deswegen: Schluss mit Entwicklungs- habe das vorhin schon angesprochen – ist Vertrauen und geldern in Ländern, die selber Entwicklungspolitik be- Verlässlichkeit. Das geht nur mit einer langfristigen Pla- treiben, wie China, Indien und die Türkei. nung der Haushaltsmittel. Deswegen freue ich mich auf (Beifall bei der AfD) die weiteren Beratungen. 300 Millionen Euro Aufwuchs sind ein Anfang, sind ein erster Schritt. Da muss aber Deswegen erstens: weniger Wasserköpfe, weniger In- noch ganz klar mehr gehen. Es gibt hervorragende Initi- stitute, weniger Bürokratie, die Unsummen von Geldern ativen und Projekte, die unsere Unterstützung brauchen. verschlingen. Dafür, lieber Gerd Müller, hast du mich als Kämpfer an deiner Seite. Zweitens: Man kann Visionär sein, man kann Macher sein und auch Pfadfnder. Eine Unternehmung, ein Un- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ternehmen führt man jedoch besser wie ein Unternehmer. ordneten der SPD) Das vermissen wir hier gänzlich. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2018 5139

Dietmar Friedhof (A) Drittens: strengeres und transparenteres Controlling. in Hunger und Armut und denen müssen wir helfen, mei- (C) So fnden wir immer wieder Defzite in der Kosten- und ne sehr verehrten Damen und Herren. Leistungstransparenz der GIZ und der Projekttranspa- renz der Kirchen. Dazu nur 2 von 100 Aktionsnebelgra- (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie naten der Sonderinitiative „Fluchtursachen bekämpfen – bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Flüchtlinge reintegrieren“. Da wird zum Beispiel erstens GRÜNEN – Zuruf von der AfD: Alte Zöpfe!) ein Projekt zur Stärkung der Resilienz von Hirtennoma- – Da brauchen Sie gar nicht so zynisch und höhnisch zu den und Halbsesshaften in Somalia mit 2 Millionen Euro lachen. gefördert oder zweitens – speziell für Frau Weber, weil es ja irgendwie immer um Fußball geht – eine Fußballschu- ( [AfD]: Das haben wir von le für den Frieden in der Zentralafrikanischen Republik Ihnen gelernt!) mit 1,5 Millionen Euro. Wir haben vorhin gehört: 821 Millionen Menschen Herr Minister Müller, die von Ihnen im Haushalt ge- hungern. Das ist der höchste Stand seit zehn Jahren. Das forderte Summe von rund 9,7 Milliarden Euro können hat gestern, passend zu dieser Debatte, die Welternäh- wir mittragen, die Mittelverwendung und den Einsatz rungsorganisation der Vereinten Nationen dargelegt. Das aber eben größtenteils nicht. Wir können nur dann Ent- ist ein ganz schlimmer Wert. Deswegen reden wir auch wicklungszusammenarbeit verändern und zum Erfolg im Haushalt nicht nur über Zahlen, sondern konkret über führen, wenn wir unseren Denkansatz verändern. Dann Menschenleben. Lassen Sie uns daher endlich genug bekommt man neue, andere Perspektiven – unserer Mei- Geld zur Verfügung stellen, damit Menschen nicht mehr nung nach bessere. Schluss mit einer Entwicklungspoli- hungern müssen und Fluchtursachen bekämpft werden tik, die aus einer ewigen Schuld und einem karitativen können. Darum bitte ich Sie, meine lieben Kolleginnen Ansatz herrührt. und Kollegen. Herr Müller, es gibt im Pfadfndergesetz einen Grund- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten satz: die Pficht gegenüber sich selbst. Das bedeutet, dass der CDU/CSU und der LINKEN) ein Afrika sich erst dann aus sich heraus befreien kann, In diesem Sinne muss man den Haushalt natürlich auch wenn es die Verantwortung für sein Selbst selbst über- mit Blick auf das bewerten, was wir im Koalitionsvertrag nimmt. Wir können, müssen und sollten nur die sein, die vereinbart haben. Der Koalitionsvertrag, Herr Minister, den Vorgang begleiten, aber eben nicht leiten. Die Men- hat einen Vorlauf. Wir haben in den Sondierungsgesprä- schen müssen Eigenverantwortung übernehmen; denn chen zwischen CDU, CSU und SPD erneut – dass man ohne die eigene Übernahme der Verantwortung Afrikas so vorgeht, habe ich in meiner langen parlamentarischen (B) für Afrika werden wir sonst einen Kampf gegen Wind- Zeit nie verstanden; ich fnde dies auch absurd – eine (D) mühlen führen. Deswegen wollen wir zukünftig von mittelfristige Finanzplanung aus einer vergangenen Le- Selbstentwicklungspolitik reden. Das Selbst muss im gislaturperiode, die noch nicht einmal parlamentarisch Zentrum stehen, das Selbstmanagement, die Selbstent- beschlossen wurde, sondern hier nur von der Regierung wicklung, aber vor allen Dingen die Selbstverantwor- 2017 erstellt wurde, als Grundlage genommen. tung. Und die müssen die Länder für sich übernehmen, so auch wir für uns; denn auch Deutschland ist und bleibt (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- in vielen Bereichen ein Entwicklungsland. Dazu sind NEN]. Es wäre nicht nötig gewesen!) wir, die AfD, bereit. Herr Müller: Pfadfnderehrenwort. Wir als SPD haben damals unsere Zustimmung daran Danke schön. geknüpft – und das ist mit einer Protokollnotiz belegt –, dass in den Haushaltsberatungen der neuen Legislatur die (Beifall bei der AfD) Mittel im Verhältnis 1 : 1,5 hätten steigen müssen, also ein Anteil von 1 für die Verteidigung muss dann einem Anteil von 1,5 für die Entwicklungszusammenarbeit ent- Vizepräsidentin Claudia Roth: sprechen. Dieser Grundsatz ist in den Sondierungen auf- Danke schön, Kollege Friedhof. – Nächster Redner: gegeben worden. Daraus ergab sich das Grundproblem, Dr. Sascha Raabe für die SPD-Fraktion. dass wir im Prinzip eine Finanzplanung hatten, in der bereits der Verteidigungshaushalt stark steigt und unser (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Haushalt auf dem gleichen Niveau bleibt, also bis 2021 Dr . Georg Kippels [CDU/CSU]) immer bei 8,7 Milliarden Euro. Dann haben wir alle zusammen im Koalitionsvertrag – Dr. Sascha Raabe (SPD): wir Entwicklungspolitikerinnen und Entwicklungspoliti- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und ker, der Minister, bei uns auch als Ver- Herren! Herr Kollege Friedhof, was Sie zum Schluss handlungsführer – eine dreifache Sicherung für den Fall bezüglich der Selbstentwicklung und des neuen Pro- eingebaut, dass wir zusätzliche Haushaltsspielräume be- gramms, das Sie von der AfD vorschlagen, gesagt haben, kommen, also Steuermehreinnahmen nach Abschluss des erinnert mich ein bisschen an eine andere Partei, die im- Finanztableaus in den Koalitionsverhandlungen. Schon mer das Motto hatte: Wenn jeder an sich selbst denkt, ist in der vergangenen Legislatur gab es Steuermehreinnah- an alle gedacht. – Das ist in der Entwicklungspolitik aber men. Deshalb war ich verhalten optimistisch, dass wir das falsche Motto; denn hier gibt es Menschen, die leben nachträglich noch mehr Mittel bekommen. 5140 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 48 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 12 September 2018

Dr. Sascha Raabe (A) Was bedeutet die dreifache Sicherung? Sie steht im oder dem Minister streiten. Unsere 463 000 Mitglieder (C) Koalitionsvertrag. Da brauche ich gar nicht nachzuse- haben über den Koalitionsvertrag abgestimmt, in dem hen, ich kenne sie auswendig. Die erste Sicherung be- auch diese dreifache Sicherung beschrieben wird. sagt: Wenn zusätzliche fnanzielle Spielräume da sind, sollen sie prioritär, also vorrangig, für Verteidigung und Vizepräsidentin Claudia Roth: Entwicklung genutzt werden. Die zweite Sicherung sagt, Herr Dr. Raabe, erlauben Sie eine Zwischenfrage des dass die ODA-Quote nicht absinken darf. Sie soll stei- Abgeordneten Dr. Christoph Hofmann? gen. Die dritte Sicherung ist: Wenn es Steigerungen im Verteidigungshaushalt gibt, müssen sie eins zu eins mit den Mitteln für Entwicklung und für die Erfüllung der Dr. Sascha Raabe (SPD): ODA-Quote gekoppelt werden. Ja, gern. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: – Da kann man ruhig einmal klatschen. Gut. Bitte schön, Herr Kollege. Damals haben uns einige NGOs gesagt: Oijoijoi! Wa- rum koppelt ihr das daran? – Ich als Entwicklungspoliti- Dr. Christoph Hofmann (FDP): ker sage, dass ich das nicht gebraucht hätte. Ich hätte es Herr Raabe, ich habe eine ganz kurze Frage: Fühlen lieber gehabt, dass das Geld auch so bereitgestellt wird. Sie sich von der Regierungsspitze hinters Licht geführt, Aber ich habe dieses Vorgehen immer verteidigt, weil nachdem alles, was Sie hier aufgezählt haben, darauf hin- ich hier in fast 20 Jahren gemerkt habe: Am Ende ist für deutet? Verteidigung immer Geld da. Deswegen habe ich auch dieser Eins-zu-eins-Kopplung zugestimmt. Die Entwick- (SPD): lung jetzt gibt mir recht. Auf einmal werden die Mittel Dr. Sascha Raabe für den Verteidigungshaushalt über das hinaus, was im Lieber Herr Kollege, ich sehe mich als Parlamentarier. Koalitionsvertrag ursprünglich vereinbart war, noch ein- Die Regierung bringt einen Gesetzentwurf ein, und wir mal kräftig erhöht. Ich sage aber auch: Dann werde ich sind nicht in der zweiten Beratung, sondern in der ersten. nicht um mehr Mittel bitten und betteln – liebe Christine, Ich mache deutlich, dass ich diesen Entwurf in der Tat sage das auch deinem Finanzminister – für unzureichend halte, dass ich ihn auch nicht für mit dem Koalitionsvertrag vereinbar halte. Aber es geht ja (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) nicht um die Verabschiedung des Haushalts, Herr Kolle- und nicht wieder anfangen, noch einmal einzufordern, ge. Deswegen – das ist der ganze Sinn der sechs Minuten (B) dass keine Kürzungen vorgenommen werden, sondern Redezeit, die ich hier habe; ich freue mich, wenn Sie von (D) Steigerungen. Denn: Eins zu eins heißt auch eins zu eins. der Opposition das mit unterstützen – sollten wir alle ge- meinsam hier parteiübergreifend dafür sorgen, dass der Der jetzige Haushaltsentwurf für 2019 mit der Finanz- Koalitionsvertrag an dieser Stelle eingehalten wird. So planung bis 2020 und 2021 ist ein dreifacher Bruch des können Hunger und Armut endlich beseitigt werden. Das Koalitionsvertrages, weil wir die fnanziellen Spielräume sind wir den Menschen in Afrika und auf der ganzen Welt nicht prioritär für Entwicklung nutzen; denn wir bekä- schuldig. men demnach äußerst wenig. Da wird sogar von 2019 auf 2021 gekürzt, während der Verteidigungsetat auf 44 Mil- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der liarden Euro steigt. CDU/CSU) In Zahlen hieße es, wenn man es fair auf der 51. Fi- Ich möchte meinen Gedanken zu unserem Mitglieder- nanzplanung aufbaute, dass es 6,2 Milliarden Euro mehr votum noch zu Ende führen; ich bin an dieser Stelle näm- für Verteidigung und nur 1,8 Milliarden Euro mehr für lich unterbrochen worden. Entwicklung gibt. Wenn ich die Mittel vom Auswärtigen Amt dazurechne, komme ich auf maximal 2,9 Milliarden Vizepräsidentin Claudia Roth: Euro für Entwicklung. Mit anderen Worten: 6,2 Milli- Ja, aber kurz. arden Euro mehr für Verteidigung, 2,9 Milliarden Euro mehr für Entwicklung. Das ist ein Verhältnis von mehr Dr. Sascha Raabe (SPD): als 2 : 1 und nicht von 1 : 1. Deswegen sage ich: Es wäre Ja, kurz. – Ich bin der Aufassung, dass wir es den ein dreifacher Bruch. Erstens. Es ist nicht prioritär. Zwei- 463 000 SPD-Mitgliedern, die über diesen Koalitionsver- tens. Die ODA-Quote wird im Haushalt 2019 absinken; trag abgestimmt haben, schuldig sind, ihn einzuhalten. der Minister hat es geschildert. Danach wird sie noch Das Wichtigste aber ist, dass wir unsere Verpfichtungen drastischer absinken. Drittens. Das Ganze erfolgt nicht den ärmsten Menschen gegenüber einhalten. Seit 1970 1 : 1. gibt es das Versprechen, dass die reichen Länder 0,7 Pro- Insofern bin ich kampfbereit bis zum Gehtnichtmehr. zent des Bruttoinlandsproduktes für Entwicklungshilfe Ich sage hier: Ich erwarte von der SPD-Fraktion – ich bereitstellen. Jetzt, wo wir Steuermehreinnahmen haben, glaube das auch –, dass wir das verändern werden. Wir ist die Zeit dafür, das Versprechen endlich einzulösen. sind das übrigens auch unseren Parteimitgliedern schul- Wenn nicht jetzt, wann dann? Dann muss es endlich auch dig; denn wir haben ein Mitgliedervotum über diesen passieren. Deswegen lassen Sie uns bis Ende November Koalitionsvertrag durchgeführt. Das war anders als bei dieses Ding hier erkämpfen und rocken, damit wir das der Union. Sie muss sich vielleicht nur mit der Kanzlerin auch hinbekommen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2018 5141

Dr. Sascha Raabe (A) Danke. diesen multilateralen Organisationen von Wichtigkeit ist, (C) zeigt sich spätestens seit dem vollkommen unverständli- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten chen Rückzug der USA aus diesen Organisationen. Diese der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNIS- Lücke muss dringend geschlossen werden. SES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Dr. Sascha Raabe. – Nächster Redner: Und dass die Arbeit auch von Erfolg gekrönt sein kann, Dr . Georg Kippels für die CDU/CSU-Fraktion. zeigt der Kampf gegen Polio: Im Jahre 2017 gab es welt- weit nur noch 22 Fälle in zwei Ländern, nämlich in Pa- (Beifall bei der CDU/CSU) kistan und in Afghanistan. Das Ziel ist in Sicht, aber die Anstrengungen dürfen nicht zu früh eingestellt werden. Dr. Georg Kippels (CDU/CSU): (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr der SPD) Minister! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr ge- ehrte Damen und Herren! Wenn wir zurzeit über Ent- Dies zeigt aber auch, dass der Kampf systematisch und wicklungspolitik diskutieren, fällt eigentlich schon im unter Einbindung der Länder geführt werden muss. Wirt- ersten Atemzug das Wort „Fluchtursachenbekämpfung“. schaft, Zivilgesellschaft und Politik müssen Allianzen Das haben wir heute ja mehrfach erlebt, und das ist von bilden – zum Nutzen aller. der Priorisierung her auch richtig und wichtig. Aber es Deutschland ist nicht erst seit der prominenten Auf- birgt in der Debatte ein bisschen die Gefahr, dass weitere nahme dieser Bereiche in die G‑7- und G‑20-Gipfel der Positionen der Entwicklungspolitik, mit denen wir uns letzten Legislaturperiode ein relevanter und angesehener schon seit langen Jahren erfolgreich und mit herausra- Partner in diesen Organisationen. Das Thema der globa- gender Bedeutung beschäftigen, etwas aus dem Fokus len Gesundheit ist in Deutschland auf der Agenda. Ich verschwinden. freue mich deshalb sehr auf den 10. World Health Sum- Ich möchte deshalb heute bei der Bewertung des Ein- mit, der im Oktober dieses Jahres wieder hier in Berlin zelplans 23 nachdrücklich auf die Themen „Gesundheit“, stattfnden wird, und auf das anschließende Grand Chal- „Systemstärkung“ und vor allen Dingen „Krankheitsbe- lenges Annual Meeting der Bill-und-Melinda-Gates-Stif- kämpfung“ aufmerksam machen. Dass diese Themen von tung mit zahlreichen Fachleuten, die sich diesem Thema Bedeutung sind, wissen wir nicht erst seit der Aufnahme intensiv widmen werden. Die Veranstaltungen zeigen in die Millennium Development Goals im Jahre 2000 und deutlich, dass die Arbeit des BMZ auf diesem Sektor (B) an prominenter Stelle in die Nachhaltigkeitsziele im Jah- Früchte trägt. (D) re 2015 mit dem SDG 3, „Gesundheit und Wohlergehen“. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Krieg und Vertreibung, Gewalt und Verfolgung, Hun- Zum Schluss aber noch eine Bemerkung zu den ja ger und Armut sind sicher alles dramatische Gründe für auch heute mehrfach angesprochenen ODA-Mitteln bzw. Flucht und deshalb auch ein wichtiger Inhalt unserer Ar- dem 0,7‑Prozent-Ziel. Ja, das Ziel ist vereinbart worden, beit, die mit größtmöglicher Aufmerksamkeit, allerdings und leider haben wir es in diesem Jahr erneut gerissen. auch mit Efzienz betrieben werden muss. Daneben gibt Und ja, das kann nicht zufriedenstellend sein, und wir es aber die lautlosen Extremisten und Terroristen, wie ich müssen alle an einer Verbesserung arbeiten. Aber ja, sie nennen möchte, die heimtückischen Krankheiten, die meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe die überall lauern und die durch Wasser, Insekten oder durch Zuversicht, dass wir angesichts der Erkenntnis, dass zwi- den menschlichen Kontakt übertragen werden können: schen Entwicklung und Sicherheit ein untrennbarer Zu- HIV/Aids, Malaria, Tuberkulose, Hepatitis C, aber auch sammenhang besteht, noch mit einer Verbesserung des die vernachlässigten Tropenkrankheiten, Resistenzen, Haushalts rechnen können. Aber nein, meine Damen und Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Diese Krank- Herren, ich bin nicht der Meinung, dass der Erfolg von heiten belasten Millionen von Menschen in den Entwick- Entwicklungsarbeit mit einer mathematischen Formel an lungsländern und hindern sie daran, ihr Leben eigenver- der ODA-Quote bemessen werden kann. Sie ist sicher- antwortlich zu gestalten. Tod und Siechtum, dauerhafte lich ein Hilfsmittel, aber Geld ist auch kein Ausdruck von Behinderungen und Belastungen der Familien verhin- Efzienz. dern eine wirtschaftliche Entwicklung und vor allem auch den Erfolg der weiteren Initiativen des BMZ. Bil- Ich nutze deshalb ausdrücklich hier die Gelegenheit, dung und Ernährung, Berufsausbildung und die Schaf- dem BMZ und Minister Gerd Müller für den unermüd- fung von Wirtschaftsstrukturen sind nur möglich, wenn lichen Einsatz in der Entwicklungspolitik und in der die Menschen auch körperlich und geistig ausreichend Fluchtursachenbekämpfung zu danken, vor allen Dingen leistungsfähig sind, um sich diesen Aufgaben zu stellen. auch dafür, dass er bereit ist, konzeptionell innovative Arbeit zu leisten und den ständig wiederum neu hinzutre- Im Kapitel 2303 des Einzelplans 23 fnden sich da- tenden Anforderungen gerecht zu werden. Aber an dieser her die notwendigen Mittel für die Mitwirkung innerhalb Stelle werden Sie aus meinem Mund auch nicht die Fest- der Vereinten Nationen, zum Beispiel bei UNICEF, bei stellung hören, dass alles getan wurde, was nötig ist. Das der Gesundheitsorganisation GAVI, der Impfallianz, und ist allerdings aus meiner Sicht bei diesem Thema kurz- dem GFATM, dem Globalen Fonds zur Bekämpfung von fristig auch kaum möglich. Ich werde jedoch sehr wohl Aids, Tuberkulose und Malaria. Dass unser Beitrag in feststellen, dass das getan wurde, was derzeit möglich ist. 5142 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 48 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 12 September 2018

Dr. Georg Kippels (A) An einer Verbesserung bis zur Verabschiedung des Haus- ation zu verbessern. Menschen den Zugang zu Bildung (C) haltes sollten wir meiner Meinung nach alle gemeinsam verwehren, heißt, ihnen ein elementares Menschenrecht entschlossen arbeiten. und damit wichtige Entwicklungschancen für den Ein- zelnen und für ganze Gesellschaften vorzuenthalten. Bil- Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. dung zu fördern, ist deshalb eine wichtige Aufgabe der (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) internationalen und der deutschen Entwicklungszusam- menarbeit.

Vizepräsidentin Claudia Roth: Ich begrüße es sehr, dass Minister Müller die Sonder- Vielen Dank, Dr. Kippels. – Der letzte Redner am heu- initiative „Ausbildung und Beschäftigung“ ins Leben tigen Tag in dieser Debatte: Carsten Körber für die CDU/ gerufen hat. Hierfür stehen für 2019 f. in einem ersten CSU-Fraktion. Schritt 200 Millionen Euro bereit. Diese neue Sonderini- (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. tiative ist deshalb richtig, weil Bildung und Ausbildung Sonja Amalie Stefen [SPD]) das zwingende Fundament einer sich entwickelnden Ge- sellschaft sind.

Carsten Körber (CDU/CSU): Haben Sie sich eigentlich schon mal die Frage ge- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen stellt, was die deutsche und die europäische Entwick- und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Müller! Erst lungszusammenarbeit ausmacht? Wir machen in der EZ vor wenigen Wochen haben wir hier an dieser Stelle den nicht nur fnanzielle Angebote, sondern wir fördern auch Haushalt 2018 beraten und verabschiedet, und nun direkt Menschenrechte und Demokratie. Andere, aktuell zum nach dem Ende der sitzungsfreien Zeit beraten wir den Beispiel China, machen das in dieser Form nicht. Beim Etat 2019 oder besser gesagt: Wir sind schon mittendrin. China-Afrika-Gipfel vor wenigen Tagen hat China Afri- Auch der neue Haushalt des BMZ verzeichnet, wie ka für die nächsten drei Jahre 60 Milliarden US-Dollar die Haushalte der vergangenen Jahre, ein Plus: insgesamt an Krediten und Investitionen zugesagt. Dabei kümmert knapp 300 Millionen Euro. Das ist einerseits erneut ein sich China nicht in der Form, wie wir es tun, um die The- kräftiger Aufwuchs, andererseits aber wäre angesichts men Korruption, Menschenrechte und Flüchtlinge. Mitt- der großen und in dieser Debatte auch schon mehrfach lerweile ist China noch vor den USA und der ehemaligen genannten gewachsenen internationalen Herausforde- Kolonialmacht Frankreich der größte Handelspartner der rungen ein deutliches Mehr im Regierungsentwurf sehr afrikanischen Staaten. Unser Anspruch gleichberechtig- wünschenswert gewesen. Doch darüber werden wir in ter Partnerschaften ist da ein anderer, und ich halte das (B) den nächsten Wochen im parlamentarischen Verfahren nach wie vor für richtig. (D) beraten. Wir müssen aber auch anerkennen, dass unsere Ange- Aktuell beläuft sich der Etat 2019 auf 9,7 Milliarden bote der Entwicklungszusammenarbeit vor diesem Hin- Euro. Das ist eine Rekordmarke. Daran sieht man, dass tergrund an Attraktivität verlieren, dass dieser neue – ich die Entwicklungszusammenarbeit eine der wichtigsten nenne ihn mal: chinesische – Stil von Entwicklungszu- Säulen der deutschen Außenpolitik ist. Es geht darum – sammenarbeit – Geld gegen Geschäfte, Rohstofe und das zeigt der Aufwuchs –, mit den Entwicklungs- und Einfuss – unmittelbare Auswirkungen auf unsere Ent- Schwellenländern insbesondere in Afrika eine enge und wicklungszusammenarbeit haben wird. Wollen wir mit vertrauensvolle Zusammenarbeit zu entwickeln. Mit der unseren Angeboten dauerhaft Erfolg haben, dann müssen Entwicklungszusammenarbeit wollen wir nicht nur als wir unsere Hilfe zielgenauer einsetzen, unsere Angebo- Krisenfeuerwehr die schlimmsten Nöte lindern und die te verstetigen und uns in dem einen oder anderen Punkt schlimmsten Übel beseitigen. Nein, wir wollen Partner auch ein Stück weit ehrlich machen. der Staaten Afrikas sein und auf Augenhöhe kommuni- zieren. Das bringt mich zu meinem letzten Punkt. Es kann Es geht immer mehr darum, dass unsere Projekte mit nicht sein, dass wir Europäer uns wegen unserer Ent- unseren Partnern vor Ort – seien es staatliche Akteure, wicklungszusammenarbeit gegenseitig auf die Schulter NGOs, Stiftungen oder Kirchen – nachhaltig sind; denn klopfen, wir durch unsere Zollschranken aber beispiels- fehlende Nachhaltigkeit war in der Vergangenheit einer weise afrikanischen Bauern zugleich verwehren, ihre der entscheidenden Fehler, die in der Entwicklungszu- Produkte bei uns in Europa im Supermarkt zu verkaufen. sammenarbeit gemacht wurden. Es ist viel zu häufg der Fall gewesen, dass, sobald keine Entwicklungshelfer (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- mehr vor Ort waren, zahlreiche Projekte zusammenbra- neten der FDP und der Abg. [SPD]) chen, dass Schulen und Krankenhäuser verwahrlosten, Brunnen versandeten und Wasserpumpen kaputt gingen. Nein, es ist sogar noch schlimmer: Wir überschwemmen Nachhaltigkeit ist also auch in diesem Sinne nicht nur die Märkte in Afrika mit Schlachtabfällen aus unserer eine Kategorie des Umweltschutzes. Die Nachhaltigkeit, Gefügelindustrie und sorgen mit Agrarsubventionen die ich hier meine, ist die Hilfe zur Selbsthilfe, und diese dafür, dass Treibhaustomaten und Zwiebeln aus Europa entsteht nur durch Bildung. auf dem Markt in Gambia billiger sind als Gemüse von lokalen Kleinbauern. Bildung befähigt die Menschen, ihre politische, sozia- le, kulturelle, gesellschaftliche und wirtschaftliche Situ- (Beifall des Abg. Olaf in der Beek [FDP]) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2018 5143

Carsten Körber (A) Hier müssen wir endlich umdenken, wenn wir dauerhaft Vizepräsidentin Claudia Roth: (C) erfolgreich sein wollen. Vielen Dank, Carsten Körber. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesord- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- nung. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Restabend geordneten der FDP) mit guten Tomaten. Wir haben viel zu tun. In diesem Sinne freue ich mich Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes- auf konstruktive Beratungen in den nächsten Wochen. tages auf morgen, Donnerstag, den 13. September 2018, 9 Uhr, ein. Vielen Dank. Die Sitzung ist damit geschlossen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) (Schluss: 18.16 Uhr)

(B) (D)

Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 48 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 12 September 2018 5145

(A) Anlagen zum Stenografschen Bericht (C)

Anlage Entschuldigte Abgeordnete

Abgeordnete(r) Abgeordnete(r)

Baerbock, Annalena BÜNDNIS 90/ Neumann, Dr. Martin FDP DIE GRÜNEN Ramsauer, Dr. Peter CDU/CSU Bareiß, Thomas CDU/CSU Schulz, Jimmy FDP Bilger, Stefen CDU/CSU Strasser, Benjamin FDP Brugger, Agnieszka* BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Weinberg, Harald DIE LINKE Haug, Jochen AfD Werner, Katrin DIE LINKE Held, Marcus SPD Wiese, Dirk SPD- Heßenkemper, Dr. Heiko AfD Zdebel, Hubertus DIE LINKE Kessler, Dr. Achim DIE LINKE Zimmermann, Pia DIE LINKE Leutert, Michael DIE LINKE * aufgrund gesetzlichen Mutterschutzes (B) Müller, Hansjörg AfD (D)

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