Auszug aus dem Buch

"Forever Young – Die Klänge der kühlen Dekade"

von Holger Stürenburg, Hamburg 2001

Saga

In den 80er Jahren existierte kaum eine Band, die derart polarisierte, wie SAGA, die fünfköpfige Truppe um den damaligen Wahlkanadier Michael Sadler, der in Wales geboren wurde und nun seit acht Jahren in

Deutschland lebt. Während z.B. das Hamburger Szenemagazin „OXMOX“ im Herbst 1985 die Frage aufwarf

„Was ist noch langweiliger als das Fernsehtestbild um Mitternacht?“ und darauf frech antwortete „Das jeweils neueste Album von SAGA!“, liebten und verehrten besonders die deutschen Fans SAGAs einmalige Mischung aus sphärischen Keyboards, rockenden Gitarren und mystischen Texten, dargeboten zu treibenden, eingängigen Melodien. Zwischen 1981 und 1987 geriet jedes Album von SAGA umgehend in die deutschen

Top 10, die größten Hallen wurden von der Band auf ihren ausgedehnten Tourneen regelmäßig ausverkauft.

Ihre Hits „The Flyer“ (1983) oder „What do I know“ (1985) zählten zu den gerne gespielten Radiohits. Kurzum:

SAGA waren ein wichtiges Thema des „legendären Zeitgeistes“ der mittleren 80er!

Begonnen hatte alles im Jahre 1977, als Jim Crichton (b), (dr) und Vokalist Michael Sadler in

Kanada die Band „Pockets“ gründeten, die sich später – nach der Hinzunahme von zwei weiteren Musikern – in

SAGA umbenannte. Mit nur acht Songs im Programm, starteten SAGA ihre ersten Tourneen, bis 1979 mit dem

Album „“ die umfassende Weltkarriere der Band beginnen sollte. Auf diese gelungene LP, die bereits die oben erwähnten Qualitäten SAGAs deutlich präsentierte, folgte die LP „Silent Knight“ (mit dem ersten größeren SAGA-Hit „Don’t be late“!), bevor es richtig losging: Bereits 1982 waren SAGA, die im

Frühjahr jenen Jahres die Top-LP „Worlds apart“ veröffentlicht hatten, ein wichtiges, viel diskutiertes und immer wieder polarisierendes Thema der Rockfans, vor allem in Deutschland – und wie Michael Sadler mir stolz berichtete – in Puerto Rico! Weshalb gerade die deutschen Rockfans so intensiv auf Michael und seine Mannen abfuhren, konnte nie so richtig geklärt werden. Fest steht jedoch, daß damals eine

Deutschlandtournee von SAGA nicht nur ein einträgliches Geschäft für die Veranstalter war, sondern auch für den Fan treibende, schwitzige Rockshows präsentierte, während Großbritannien und die USA kaum mehr als ein mattes Lächeln für SAGA und ihren Prog-Rock übrig hatten. Nahezu alle Songs der A-Seite von „Worlds apart“ wurden als Single ausgekoppelt. Hier wäre zunächst das treibende, schnelle „On the Loose“ zu nennen, gefolgt vom eingängigen, anregenden Synthirock „Wind him up“. Die dritte Singleauskoppelung „Time’s up“ ließ – selbst wenn Michael dies immer abgestritten hat – deutliche Referenzen in Richtung New Wave erkennen. Hier klangen SAGA so – und dies ist durchaus positiv gemeint – als wären The Cars eine

Progressive Rock Band gewesen! Mehrere Tourneen untermalten den Erfolg des Albums, dem im Herbst 1982 ein Livealbum unter dem Titel „In Transit – Live“ folgte, das die gekonnte Umsetzung der oft „schwierigen“, weil sehr filigran anmutenden Kompositionen SAGAs auch auf der Bühne erfolgreich dokumentierte. Auch

1983 war ein reines SAGA-Jahr. Im Spätsommer erschien das Album „“, dessen erste

Singleauskoppelung „The Flyer“ nicht nur erstmals auch Mainstream-Rezipienten für die Kanadischen Prog-

Rocker begeistern konnte, sondern auch den „kleinen, dicken“ Holger Stürenburg, der „The Flyer“ oft gemeinsam mit Klassenkameraden nutzte, falls der Lateinunterricht mal wieder allzu langweilig geraten war, und der ansonsten muntere Schüler dem Einschlafen seiner nur mit der Intonation harter Rocksongs widerstehen konnte.

Und man wird es kaum glauben: Nachdem „Wind him up“ und „On the Loose“ in den deutschen Charts nur auf

Platz 45 bzw. 33 klettern konnten, war „The Flyer“ der erste (und leider auch einzige) Top 20-Hit der Band, die nun nicht nur Prog-Rock-Fans und Altrocker begeisterte, sondern auch Mainstream-Teenies und

Sandkasten-Rocker. Auf der großen SAGA-Tournee im Herbst 1983 erwiesen sich Michael und seine Band zusätzlich als „Talent Scouts“: Der (damals noch recht unbekannte) vollbauchige irische Songwriter Chris Rea begleitete die Band als „Special Guest“, und konnte mit seinen ebenfalls groß gefeierten Auftritten als „Special

Guest“ den Grundstein für seine spätere Karriere in Europa legen. Damals erlaubten mir meine Eltern noch nicht allzu viele Konzertbesuche. Ich war ja gerade mal zwölf Jahre alt, aber den Auftritt von SAGA wollte ich mir nicht entgehen lassen. Lieber verzichtete ich freiwillig auf das Konzert von Kim Wilde (wie konnte ich damals nur dorthin wollen???), als daß ich versäumte, mit Michael Sadler und den Tausenden Fans im

Hamburger Congress Centrum gemeinsam den „Flyer“ anzustimmen!

1984 nahmen sich SAGA eine verdiente Auszeit, bevor im Herbst 1985 mit der Single „What do I know“ der erste Vorbote des nächsten SAGA-Albums „Behaviour“ erschien. Zwar hatten Teenies und Kindergarten-

Rocker die Band inzwischen vergessen (und sich statt dessen A-Ha oder Kajagoogoo zugewandt), aber die traditionellen Rockfans waren vom „Benehmen“ der Band weiterhin sehr angetan. Die Presse jedoch nicht.

SAGA-Alben wurden fast durchgehend verrissen, und dem OXMOX fiel in seiner September-Ausgabe 1985 zur Veröffentlichung von „Behaviour“ nur eingangs erwähnter blöder Vergleich mit dem Fernsehtestbild ein.

Obgleich „Behaviour“ weiterhin gehobenen klassischen Rock, mit symphonischen Klängen vermischt, beinhaltete, hatte es doch den Anschein, als wollten SAGA zukünftig in seichtere Gefilde einsteigen. „What do

I know“ war (wie immer) eine eingängige Komposition, ein Ohrwurm, aber was sollte das poppige

Arrangement? Was hatten die weiblichen Chorstimmen dort zu suchen, die Sadlers oft ängstlich, stressig klingende Stimme untermalten??? Die „Behaviour“-Tour war wiederum ausverkauft, aber der Zeitgeist mußte nach und nach ohne SAGA auskommen (respektive SAGA ohne die Unterstützung des Zeitgeistes!). Ihr 87er-

Album „Wildest Dreams“ beinhaltete zwar mit dem Titelsong und dem krachigen „Only Time will tell“ zwei eingängige Ohrwürmer, aber hatte man die Titelzeilen der beiden Lieder nicht so eben von den Prog-Rock-

Kollegen Asia vernommen??? Ich gestehe ein, sowohl die Asia- als auch die SAGA-Nummern gleichen Titels zu lieben, aber waren SAGA nun nicht Kopisten geworden? Derartiges setzte sich auf ihrem 89er-Album fort, das fast gänzlich ohne Charterfolge auskommen mußte. Als im Jahr 1993 einige Altrocker der 80er Jahre kleinere Comebacks starteten (so z.B. Flash and the Pan, Bryan Ferry oder Robert Plant), erschien von SAGA das Album „The Security of Illusion“, das zwar gut gemachten harten Rock enthielt, der z.B. bei der Single

„Days like these“ - schon wieder ein Titel von Asia geklaut! - durchaus ansprechend klang, aber eben nicht mehr SAGA war. So blieb auch „Security of Illusion“ ein zwar gutgemeintes Lebenszeichen der Band, das aber keine bleibenden Eindrücke hinterließ. Und über das, was SAGA sonst so in den 90er Jahren getätigt haben, wollen wir lieber den Mantel des Schweigens hüllen: Alben wie „“ oder „Pleasure & Pain“ waren mährige Konzeptalben, gingen zum einen Ohr ´rein und zum anderen Ohr wieder raus! Hits gab es nun keine mehr, die Tourneen glichen matten Revivalshows.

Erst 1999 kehrten SAGA mit echtem SAGA-Sound und (so hoffe ich!) SAGA-Hits(!) auf die Bildfläche zurück!

Das aktuelle Album „Full Circle“ schlägt tatsächlich einen vollen Bogen aus den 90er Jahren zurück zu den

Anfängen der Band, als SAGA – so wie damals der „Melody Maker“ schrieb - ihren speziellen Stil, eine

„futuristische Synthese aus Pop und klassischen Elementen“ erschufen, der bis heute einmalig ist. Bereits der

Eingangstrack „Remember when“ zeigt alle Qualitäten der Band in nur fünf Minuten gesammelt vereint: Eine schnelle, treibende Melodie mit Ohrwurmqualität, sphärische, ab und zu auch fette Keyboards, symphonische

Elemente, rockende Gitarren – und Michael Sadlers unverwechselbare Stimme, die er selbst, wie er mir sagte, oft kaum anhören mag – nur diese neue CD hat er voller Begeisterung mit nach Hause genommen, und sich dort in den CD-Spieler geschoben. Und das Bonmot an „Remember when“, dem Eröffner von „Full Circle“, ist, daß Sadler in diesem Text tatsächlich augenzwinkernd zu den Anfängen zurückkehrt, und aus seinen einstigen Hits „Don’t be late“ oder „How long“ zitiert. Mit dem betont poppigen, aber durchaus „sagaish“ klingenden Song „The One“ könnte sogar mal wieder ein echter Singlehit dabei sein! Im Herbst 1999 starten

SAGA ihre aktuelle Deutschlandtournee, die die Band durch alle wichtigen Städte Deutschlands führt. Zu

Deutschland hat Michael Sadler sowieso ein sehr positives, enges Verhältnis. Nicht nur, weil die Band hier schon immer ihre größten Erfolge feiern konnte, sondern auch Sadlers Ehefrau aus der BRD stammt, so daß er bereits 1991 nach Deutschland, genauer gesagt, ins Saarland übersiedelte. Kurz vor Beginn der Tournee veranstaltete Michael ein paar Promo-Termine zur neuen CD „Full Circle“. Und bei seinem Münchener Termin stellte er sich auch meinen Fragen. Er ist ein absolut witziger Typ, mit heißen

Sprüchen und kein ernster, abgehobener „Rockstar“. Sein bester Spruch während unseres Interviews, den ich mir garantiert merken werde, und den ich in Zukunft sicherlich oft zitieren werde, war jenes Statement zur aktuellen Chartsmucke: "Die Musik der 90er Jahre klingt, als würden Geldscheine statt Tönen aus dem Radio strömen!“ Und damit hat er bekanntlich durchaus recht, wenn man sich all die Venga Boys und Britney

Spears’s dieser Welt anhört und anschaut. Aber der SAGA-Fan hört vermutlich sowieso kein Radio. Der lehnt sich lieber zurück, träumt davon, „The Flyer“ zu sein, befindet sich „On the Loose“ – und wenn man ihn nach dem logischen Grund seines romantischen Tuns fragt, antwortet er bestimmt: „What do I know?“

Gespräch mit Michael Sadler

Du hast Ende der 70er Jahre begonnen, mit SAGA Musik zu machen. Wo sahst Du Deine Einflüsse? Was wolltest Du mit Deiner Musik ausdrücken?

„Wir wollten eigentlich nichts Großes aussagen mit unserer Musik. Wir waren nur vier einfache Menschen, die zusammengekommen sind, um Musik zu spielen. Alle vier hatten wir vollkommen verschiedene musikalische

Hintergründe. Steve Negus kam vom traditionellen Rhythm’n’Blues, Ian Crichton hatte sich zuvor viel mit Jeff

Beck, Led Zeppelin oder Jimi Hendrix beschäftigt, Jim Gilmour sogar einmal klassisches Piano gespielt. Und

Jim Crichton und ich sind mit frühem aufgewachsen, wie z.B. Gentle Giant oder King

Crimson. All diese Einflüsse haben wir zusammengebracht und daraus entstand unsere Musik. Wir haben all dies gar nicht im Voraus geplant. Es passierte einfach!“

Als Eure Karriere begann, bestimmte New Wave die Musikszene. Was hieltest Du von dieser Musikrichtung?

„Eigentlich waren wir selbst nicht von der New Wave beeinflußt. Aber es ist schon richtig, sie herrschte zur gleichen Zeit, als wir erfolgreich waren. Aber es besteht kein Kontext zu unserer Musik.“

Also, einige Eurer frühen Hits erinnern mich schon durchaus an New Wave. „Time’s up“ klang doch ein bißchen so, als wenn The Cars eine Progressive Rock Band gewesen wären...

„Ich mag die Cars, und bin über diesen Vergleich gar nicht böse. Ich mag alle möglichen Musikrichtungen, alle möglichen Lieder, solange diese mit Seele, mit Gefühlen vorgetragen werden.“

So ab 1981/82 wurdet Ihr vor allem hier in Deutschland „echte Popstars“... „Nein, keine POPstars – ROCKstars!“

Wolltest Du schon immer ein Rockstar werden? Mit Teeniefans, großen Konzerten etc.?

„Ich habe niemals geplant, ein Rockstar zu werden. Ich ließ damals alles auf mich zukommen. Ich war glücklich, wenn wir auf die Bühne gingen, und viele Menschen uns sehen wollten. Ich habe es geliebt, zu spielen, ich habe es aber natürlich auch geliebt, eines Tages Rockstar zu sein.“

Ihr hattet ja auch einige „Hitsingles“ wie z.B. „The Flyer“. Hast Du Dich da hingesetzt und gedacht: Jetzt schreib‘ ich einen Hit?

„Nein, auch das nicht. Mir hat niemals jemand gesagt: Du mußt jetzt einen Hit schreiben, der dann im Radio gespielt wird. Wir haben immer Songs geschrieben. Und wenn die Menschen diese Songs mochten, auch im

Radio hören wollten, haben wir uns gefreut. Aber geplant war da nichts.“

Ihr wart in den 80er Jahren vor allem in Deutschland erfolgreich. Wie kam denn das?

„Ich weiß eigentlich selbst nicht warum. Wir haben mit SAGA im Jahre 1977 begonnen, zwei Jahre später erschien unser erstes Album. Die ersten beiden Länder, in denen unsere Lieder erfolgreich wurden, waren

Deutschland und – man höre und staune – Puerto Rico. Da frage ich mich auch, wie das kommt. Denn das sind ja eigentlich zwei vollkommen unterschiedliche Märkte. Aber: Wenn Du eine neue Band gründest und siehst, daß Dich irgendwo Menschen gerne hören, gehst Du natürlich hauptsächlich in diesen Ländern, wo man Dich gerne hören will, auf Tour. Also tourten wir sehr, sehr viel durch Deutschland.“

Das erste Konzert von SAGA, das ich besucht habe, war das Eurer „Head or Tales“-Tour im Herbst 1983 in

Hamburg. Damals hatte Euch Chris Rea als Vorband begleitet. Einige Zeitungen schreiben damals, Chris Rea hätte Euch mächtig an die Wand gespielt...

„Das mag schon stimmen, daß das damals geschrieben wurde. Aber die gleichen Zeitungen, die 1983 das geschrieben haben, sagten nur zweieinhalb Jahre später über uns, daß unser Album „Behaviour“ eine wundervolle Platte sei...“

Magst Du die Musik von Chris Rea? „Ja, durchaus!“

Dennoch mußt Du doch zugeben, daß SAGA damals ganz schön polarisiert haben. Viele Zeitungen hielten

Eure Musik für langweilig und schlecht, aber Tausende Fans liebten Euch und Eure Klänge. Wie erklärst Du Dir das?

„Ich habe mich nie um schlechte Presse gekümmert. Die Menschen dürfen denken, was sie wollen. Ich bin sehr stolz, wenn uns viele Menschen hören wollen. Die Journalisten, die schlechte Rezensionen schreiben, scheinen ihren Beruf verfehlt zu haben. Es scheint, die haben überhaupt kein Verhältnis zur Musik. Aber mir sind diese schlechten Kritiken egal. Wenn mir jemand sagt: Ich mag Deine Musik nicht, antworte ich Aha?! –

Ich habe meine Songs auch nicht für Dich geschrieben!“

Aber es ist doch wahr: Die Fans mochten Eure Musik, die Journalisten nicht...

„Das ist natürlich schon merkwürdig. Auch unsere neue CD „Full Circle“ wurde ziemlich mies rezensiert. Aber, wie gesagt: Hauptsache die Fans mögen auch unsere neuen Lieder. Das ist mir das wichtigste!“

1985 habt Ihr die Platte „Behaviour“ aufgenommen, die meine Lieblings-LP von Euch ist. Aber sie beinhaltete einen ganz neuen Sound. Die Lieder klangen poppiger, bei der Single „What do I know“ sangen sogar weibliche Backgroundstimmen mit. Wolltet Ihr damals mehr in Popgefilden fischen?

„Wir wollten einfach einmal dies und einmal das ausprobieren. Wenn Du immer den gleichen Stil spielst, wird es auf die Dauer langweilig. Das wird bei Dir das gleiche sein. Du wirst auch nicht immer das gleiche schreiben, die gleichen Worte nutzen, die gleichen Aussagen.“

Mochtest Du den Pop der mittleren 80er, dem „Behaviour“ damals, so finde ich, recht nahe kam?

„Wie gesagt: Ich mag alle Musikrichtungen mit Soul und Emotionen. Auch heute höre ich noch gerne Rock- und Popsongs aus den 80er Jahren, auch aus den 70ern und natürlich auch von heute. Ich bin kein musikalischer Snob, der nur eine spezielle Richtung mag und die anderen Stile verachtet. Was mir gefällt, was sich gut anhört, das mag ich dann auch. Wenn mir ein Lied gefällt, höre ich es mir an, ohne zu fragen, welcher Stil das nun genau ist.“

Was für ein Verhältnis hast Du zu der Chartsmusik der heutigen Zeit? „Kein Kommentar... Na gut, es gibt schon einige aktuelle Lieder, die mir gefallen. Aber die meisten Lieder, die ich heutzutage so im Radio höre, wirken künstlich auf mich. Sie haben keine Seele. Diese Lieder dauern 3.47

Minuten, passen also genau ins Radio, es zählt nicht ihr Text, sondern nur die ‚Beats per Minute‘.

Es geht bei vielen neuen Liedern nur um das Geld, um den Markt. Wo ist die Stimmung, die Leidenschaft in diesen Liedern? Es gibt kaum noch welche, die direkt aus dem Herzen kommen, die einen richtig guten, aussagekräftigen Text haben. Wie gesagt: Mir ist die Stilrichtung egal. Hauptsache ein Lied hat einen großartigen Text, eine schöne Melodie und es wurde mit Soul und Passion geschrieben und aufgenommen.“

Aber die meisten Hits der 90er wurden ja nur gemacht, um das große Geld zu verdienen...

„Das ist richtig. Wenn man so manche Lieder hört, meint man, Deutschmarks kämen einem aus dem Radio entgegen geflogen.“

Da hast Du ein sehr gutes Bild gezeichnet!

„Ja, man sitzt am Radio und es kommen einem keine Töne, sondern Geldscheine entgegen.“

Ich selbst glaube, genau dieses Problem begann Ende der 80er Jahre, als Stock/Aitken/Waterman auftauchten und den Pop totkommerzialisierten...

„Ja, diese Musik war extrem künstlich, nur zum Geld verdienen da“

Aber zeitgleich schwand ja auch der Erfolg von SAGA. Da gab es noch ein Album 1989, das so einen langen

Titel hatte...

„The Beginners go to throwing the shapes“???

Genau!!! Ich hatte diese CD damals bei einem Radiogewinnspiel des einstigen Hamburger Rocksenders „OK

Radio“ gewonnen, hatte mir die Platte auch angehört, aber irgendwie paßte der Sound nicht mehr. Ich bin ehrlich, mir hat diese LP nicht mehr so gut gefallen...

„Sie war wohl nicht mehr typisch „sagaish“?? Im Nachhinein glaube ich, die Fans warteten seit damals auf unsere neue CD „Full Circle“. Die sagen jetzt „Endlich macht Ihr wieder echte SAGA-Musik. Herzlichen Dank!“ Genau dies sind meine Worte! Aber bleiben wir Ende der 80er mal stehen. Es gab keine großen Tourneen mehr, keine Charterfolge für SAGA. Wie kam das Deiner Meinung nach?

„Nun gut, ich bin damals nicht mehr die Radiostationen abgelaufen. Ich war immer in erster Linie ein

Singer/Songwriter. Wir haben unsere Musik geschaffen für uns und für unsere Fans. Wir sind keinem Trend nachgelaufen. Wenn uns damals keiner mehr hören wollte, o.k., müssen wir akzeptieren. Wir mußten auch akzeptieren, daß damals sogar unsere echten Fans ein paar Platten von uns nicht mochten...“

Im Jahre 1993 gab es ein kleines Comeback von SAGA. Ihr hattet die CD „The Security of Illusion“ veröffentlicht, mit der durchaus netten Single „Days like these“. Aber dieses Lied war auch kein SAGA-Sound, sondern härterer Gitarrenrock.

„Was verstehst Du unter SAGA-Sound???“

Eine Menge sphärischer Keyboards, wehende Melodien...

„Eine Single wird meist von der Plattenfirma ausgesucht. Manche Leute wollen eher Gitarren hören, andere eher Keyboards. Jeder hat seinen speziellen Favoriten!“

Und ich mochte nun mal diese spezielle, einmalige Mischung, aus wehenden Keyboards und rockenden

Gitarren!

„Ja, genau dies ist der SAGA-Sound!“

Nun ein anderes Thema. Du bist Anfang der 90er Jahre ins Saarland übersiedelt. Wie kam das denn?

„Ja, das war 1991. Folgendes dazu: Ich wurde in Wales geboren, bin aber in Kanada aufgewachsen. Wir sind natürlich viel durch Deutschland getourt und haben somit ein enges Verhältnis zu dem Land bekommen. Ich habe mich immer lieber auf dieser Seite des Ozeans aufgehalten, als auf der anderen. Und der zweite Grund ist, daß meine Frau aus dem Saarland kommt und ich zu ihr ziehen wollte.“

Im Saarland gibt es eine sehr berühmte, aber auch berüchtigte Person. Oskar Lafontaine. Was hältst Du von dem? „Dazu möchte ich eigentlich nichts sagen. Ich rede allgemein nicht in der Öffentlichkeit über Politik. Im

Freundeskreis, in der Familie schon. Aber eben nur dort. Wenn ich Dir nun ein Interview gebe, möchte ich nur der Singer/Songwriter sein und darüber reden. Wenn mich irgendwann mal ein politisches Magazin, wie der

„Spiegel“ oder der „Stern“ befragt, rede ich gerne über Politik. Aber im Musikumfeld gar nicht.“

Du schreibst ja auch keine Zeigefinger-Lieder, in denen Du Deinen Fans sagst, was sie politisch zu tun und zu lassen haben.

„Nein, so etwas mache ich gar nicht. Und ich denke auch nicht, daß dies die Aufgabe eines Musikers sein sollte. Der Grund der Musik ist ja eigentlich, daß Du die politischen, gesellschaftlichen Dinge vergessen kannst, während Du Musik hörst. Musik sollte dazu da sein, sich am Ende des Tages zurückzulehnen, sich an ihr zu erfreuen und ein bißchen die Dinge um Dich herum zu vergessen.“

Und was hältst Du von Liederschreibern, die fast ausschließlich politische Songs geschrieben habe, wie etwa

Bob Dylan?

„Ja, es gab durchaus eine Zeit, in der dies nötig war. Damals mußte eine ganze Generation aufgeweckt werden. Woodstock war tatsächlich notwendig. Aber heutzutage sehe ich keine Notwendigkeit für übertrieben politische Lieder. Viel eher soll Musik erfreuen und entspannen. Wir erleben so viel Kommunikation derzeit:

Datenautobahnen, Internet, ständig Nachrichten im Fernsehen, so daß ich denke, daß Musik von all dem entfernen soll. Man soll sich am Ende des Tages ausstrecken, die Füße hoch legen, ausatmen und sagen: Jetzt habe ich genug gearbeitet, nun möchte ich mich mit Musik entspannen!“

Wenn Du also keine politischen Dinge als Inspiration für Deine Texte nimmst, worüber schreibst Du dann?

„Hauptsächlich über das menschliche Verhalten. Davon werde ich immer inspiriert. Ich sehe etwas im

Fernsehen, ich sitze z.B. in der Lobby dieses Hotels, oder stehe an der Bushaltestelle. Ich beobachte die

Menschen, und schon fallen mir die besten Texte ein. Ich liebe es, die Art und Weise zu beschreiben, wie wir miteinander umgehen. Ich will auf keinen Fall in meinen Texten predigen: So mußt Du leben und so nicht.

Jeder macht mal Fehler, und da möchte ich mich nicht aufspielen. Der Mensch fasziniert mich, und so schreibe ich über ihn meine Songs.“

Kommen wir nun zu Eurer neuen CD „Full Circle“. Bitte erzähle uns Deine eigenen persönlichen Gefühle über dieses Album! „Ich bin sehr stolz darauf. Es beinhaltet original SAGA-Sound. Und ich glaube, ich fühle mich bei diesem

Album genauso wie bei unserem ersten Ende der 70er Jahre. Als wir „Full Circle“ beendet hatten, nahm ich es mit nach Hause. Du mußt wissen: Meistens weigerte ich mich, unsere Alben nach deren Abschluß mit nach

Hause zu nehmen. Denn ich wollte meine Stimme niemals selbst hören. Ich hasse meine Stimme irgendwie immer noch. Viele sagen mir oft: Du hast eine großartige Stimme, aber ich mag dies gar nicht glauben. Aber dieses Album gefällt mir sehr gut, sogar meine Stimme darauf. Ich kann es gar nicht glauben!“

Da gibt es ein Lied auf dem Album, das heißt „The One“. Es ist die erste Single, und eigentlich recht poppig geraten. Kann dies ein neuer Hit werden?

„“The One“ ist wohl doch eher ein Pop-ROCK(!)-Song. Aber ich bin gespannt, wie er läuft. Derzeit ist es für eine Bewertung noch zu früh. Für mich ist „The One“ so eine Art 99er-Version von „On the Loose“. Es hat schon Popelemente, aber eine gefühlvolle Stimmung.“

Im Herbst diesen Jahres beginnt Eure neue Tour. Du wirst auch hier in München auftreten. Was wird uns denn in diesem Konzert erwarten?

„Wir werden natürlich die Songs spielen, die wir immer gespielt haben: „Don’t be late“, „How long“, „On the

Loose“, „Wind him up“, Humble Stance“ oder „The Flyer“. Diese Lieder müssen wir einfach spielen. Aber wir werden manche Lieder in anderen Versionen spielen, einige auch akustisch bzw. „unplugged“. Wir haben sogar schon mal „The Flyer“ akustisch gespielt. Es macht großen Spaß, die alten Lieder neu zu arrangieren.

Aber natürlich werde ich auf jeden Fall dafür sorgen, daß etwa 75 Prozent des neuen Albums auch live gespielt werden. Zusätzlich werden wir auf Songs von ganz alten Alben zurückgreifen, die wir noch niemals live gespielt haben. Ich habe oft gemerkt, daß Fans ab und zu ihre speziellen Favoriten bei den verstecktesten

Songs unserer alten Alben gefunden haben. Also wollen wir nun auch mal die zufriedenstellen. Es ist eine witzige Sache: Als wir 1978 zu touren begannen, hatten wir nur acht Songs im Programm, und wir wußten gar nicht, wie wir eine, eineinhalb Stunden füllen sollten. Heute haben wir zig Alben gemacht und spielen zweieinhalb Stunden. Und da gibt es immer wieder Songs, die einfach rausfallen müssen, weil keine Zeit dafür ist. Wir setzen uns zusammen, jeder von uns schreibt eine Liste, welche Songs er spielen möchte – und dann treten unter Umständen Differenzen auf. Bei einem Song liebt einer die Gitarre, beim nächsten ein anderer die Keyboards – aber wir haben immer einen Weg gefunden, uns und auch die Fans mit unserem

Konzertprogramm zufrieden zu stellen. Ich liebe dieses Problem, ein Programm herauszufinden, das allen behagt.“

Letzte Frage: Wie fandest Du die 80er Jahre allgemein? „Damals liebten die Mitarbeiter der Plattenfirmen die Musik und wollten die Bands fördern. Heute denken die meisten nur noch ans Geld. Die ganze Musikszene, auch viele Teile des sonstigen Lebens, sind künstlich geworden heutzutage. Besonders bei den Majorlabels zählen nur noch Verkäufe und Kommerz. Sie geben nur solchen Bands Verträge, die absolut an Geschäft und Profit ausgerichtet sind, keinem kreativen Nachwuchs, dem die Musik Spaß macht, ohne ans große Geld zu denken. Da sind mir die Independentfirmen heutzutage wesentlich sympathischer. Die denken zuerst an die Musik und erst in zweiter Linie an den Profit. Die Leute, die in solchen kleineren Firmen arbeiten wuchsen auf mit der Freude an der Musik. Ihnen ist das Geschäft nicht ganz so wichtig. Die sagen: Wir lieben die Musik und Musik ist das größte für uns. Diesen Vergleich möchte ich ziehen: Früher zählte die Musik (auch bei den Majors) heute hauptsächlich das Geld. Bei unserer

Firma SPV ist das so: Die Menschen dort lieben die Musik und pfeifen auf große kommerzielle Erfolge. Daher sind wir auch froh, bei dieser Firma zu sein. SPV glaubt an unsere Musik, wir glauben an unsere Musik. Und dies ergibt eine gute Zusammenarbeit. Wir machen die Musik, sie das Geschäft. Das ist wie eine kreative

Hochzeit.“

Und nun: Was erwartest Du von der Zukunft?

„Die Zukunft der Erde oder der Band?“

Beides!

„Es wird sich nichts großartiges ändern, am 1. Januar des nächsten Jahres, zumal die Dekade ja auch erst ein

Jahr später, am 31. Dezember 2000 endet. Aber viele Menschen glauben nun mal die Verarschung, daß das neue Jahrhundert am 1. Januar 2000 beginnt. Ich hoffe, daß es weniger Konflikte gibt, da wir aufhören die

Erde zu zerstören und daß wir mehr Respekt vor der Natur und der Schöpfung haben. Die Kinder müssen eine lebenswerte Umwelt haben. Behaltet die Leidenschaft, die Emotionen, das Gefühl. Dies wünsche ich mir für die Zukunft!“

© Holger Stürenburg, 2001

ISBN: 3831116164

EAN: 9783831116164

Libri: 3988805

Paperback.

Books on Demand GmbH

März 2001 - kartoniert - 344 Seiten