gender thoughts

New Perspectives in Gender Research Working Paper Series 2020, Volume 2

Katharina Jäntschi Untersuchung von Weiblich- keitsdarstellungen in der Serie aus einer feministisch-medientheoretischen Perspektive

Mit einem Kommentar von Tullio Richter-Hansen gender thoughts New Perspectives in Gender Research Working Paper Series

(ISSN 2509-8179)

EDITORS-IN-CHIEF Christoph Behrens, Maximiliane Hädicke, Susanne Hofmann, and Oliver Klaassen

Official Series of the Göttingen CentreSolveig for Gender Lena Hansen, Studies (GCG) Gender(ed) Thoughts Goettingen as a scholarly platform for discussion and exchange on Gender Studies. The series By 2017 the Göttingen Centre for Gender Studies starts a new working paper series called project-related results. makes the work of affiliates of the Göttingen Centre visible and allows them to publish preliminary and- ments to each contribution. The series aims at interdisciplinary exchange among Humanities, Social All contributions to the series will be thoroughly peer-reviewed. Wherever possible, we publish com

Sciences as well as Life Sciences and invites researchers to publish their results on Gender Studies. If you would like to comment on existing or future contributions, please get in touch with the editors-in-chief. asThe an series individual is open and to socialtheoretical perspective discussions in academia on established and day-to-day and new life. approaches in Gender Studies as well as results based on empirical data or case studies. Additionally, the series aims to reflect on Gender

All papers will be published Open Access with a Creative Commons License, currently cc-by-sa 4.0, with the license text available at https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/de/. 2020, Volume 2 Katharina Jäntschi Untersuchung von Weiblichkeitsdarstellungen in der Serie Game of Thrones aus einer feministisch-medientheoretischen Perspektive

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Suggested Citation Tullio Richter-Hansen Jäntschi, K. (2020): Untersuchung von Weiblichkeitsdarstellungen der Serie Game of Thrones aus einer feministisch-medientheoretischen Perspektive; Gender(ed) Thoughts, Working Paper Series, Vol. 2, https:// dx.doi.org/10.3249/2509-8179-gtg-16 in

Göttingen Centre for Gender Studies

Georg-August-Universität Göttingen CentrumProject Office für Geschlechterforschung Platz der Göttinger Sieben 7 ∙ D - 37073 Göttingen Germany

[email protected] ǀ www.gendered-thoughts.uni-goettingen.de gender thoughts New Perspectives in Gender Research Working Paper Series 2020, Volume 2 DOI: 10.3249/2509-8179-gtg-16

Untersuchung von Weiblichkeitsdarstellungen in der Serie Game of Thrones aus einer feministisch-medientheoretischen Perspektive Katharina Jäntschi1 1 Institut für Diversitätsforschung, Georg-August-Universität Göttingen; [email protected]

Zusammenfassung Der Beitrag analysiert die beiden Frauenfiguren Daenerys Targaryen und Brienne of Tarth der HBO- Serie Game of Thrones im Hinblick auf ihre Weiblichkeitsdarstellungen. Als Zugang wird eine ge- schlechtertheoretische Medienanalyse verfolgt. Dieser Analyse liegt die Beobachtung zugrunde, dass die Serie in vielen Fan-Blog-Artikeln aufgrund ihrer Frauencharaktere als feministisch besprochen wird. Mithilfe von Instrumenten der feministischen Filmanalyse werden sowohl die Inhaltsebene als auch die Darstellungsebene der Eigenschaften der Frauenfiguren untersucht und gegenübergestellt. Ausgehend von dekonstruktivistischen und popfeministischen Geschlechtertheorien wird analysiert, ob die aus der Fangemeinde vorgenommene Bewertung der Figuren als feministisch Bestand hat. Als Ergebnis lässt sich festhalten, dass die beiden Frauenfiguren viele Möglichkeiten feministischer Inter- pretation bieten, allerdings durch die Art der Inszenierung bei Daenerys Targaryen oder durch die brüchige Weiblichkeit bei Brienne of Tarth diese verunmöglicht wird. Die Schwerpunktsetzung auf die beiden genannten Figuren ermöglicht zudem eine kritische Auseinandersetzung mit dem Konzept Weiblichkeit und seinem feministischen Potential in Abgrenzung zum Konzept der female masculinity bzw. der Frage nach Formen weiblicher Herrschaft in Fantasy-Serien.

Schlagworte Feminismustheorie; Game of Thrones; Weiblichkeitsdarstellungen; female masculinity; feministische Medi- enwissenschaft

Abstract The article analyzes the two female characters Daenerys Targaryen and Brienne of Tarth of the HBO series Game of Thrones with regard to representations from a feminist media studies perspective. This analysis is based on the observation that the series is discussed as feminist in many fan blog articles due to its female characters. Using instruments of feminist film analysis, both the content level and the level of representation of the characteristics of the female characters are examined and compared. On the basis of deconstructivist and pop-feminist gender theories, it is analysed, whether the assessment of the series as feminist made by the fan community can withstand and what difficulties can be found with it. As a result, it can be said that the two female figures offer many possibilities for feminist in-

Gender(ed) Thoughts, Working Paper Series 2020, Volume 2 1 Jäntschi: Untersuchung von Weiblichkeitsdarstellungen in der Serie Game of Thrones

terpretation, but the way in which Daenerys Targaryen is presented and the fragile femininity of Brienne of Tarth make this impossible. The focus on the two figures mentioned also enables a critical examination of the concept of femininity and its feminist potential in contrast to the concept of female masculinity or the question of forms of female domination in fantasy series.

Keywords feminist theory, Game of Thrones, images of femininity, female masculinity, feminist media studies

sonders beliebtes Attribut in der Serienland- 1. Einleitung schaft des Mainstream-Fernsehens darstellt.2 Das erste oben genannte Zitat stammt von „I am not your little princess [...] And I will take what Daenerys Targaryen (gespielt von Emilia Clar- is mine.“ – Daenerys Targaryen (S02E06) ke), welche zu Beginn der Handlung als abhän- „All my life men like you snared at me. And all my life gige, unmündige und objektivierte Frau darge- I’ve been knocking men like you into the dust.“ – stellt wird, sich im Verlauf der Serie jedoch zu Brienne of Tarth (S02E08) einer der mächtigsten Frauen ihrer Zeit entwi- ckelt. Daenerys weist Eigenschaften auf, die Diese beiden Zitate stammen aus der Serie Ga- vom Serienpublikum als feministisch bewertet me of Thrones, eine der erfolgreichsten Fernsehse- werden (Inhaltsebene), und wird gleichzeitig rien des US-Senders HBO.1 Sie deuten an, dass immer wieder objektifizierend dargestellt (Dar- in der Serie starke und differenziert gezeichnete stellungsebene). Die Verwendung von einer Frauenfiguren zu finden sind, was für das Fan- objektifzierenden Darstellungsweise lässt ver- tasy-Mittelalter-Genre nicht alltäglich ist. Zitate muten, dass es keine etablierten erfolgver- wie diese sind ein Grund für den immensen Er- sprechenden (im Sinne der Serienschaffenden) folg der Serie und die vielen Debatten darum, Darstellungen von Herrscherinnen gibt, die sich wie sich in Rezensionen immer wieder zeigt. zwar männlich konnotierter Strategien und Die Serie bietet viele unerwartete Momente und Handlungsdispositionen bedienen (zum Beispiel Wendepunkte und gerade im Hinblick auf Frau- Streben nach Macht und Anführen eines enfiguren lassen sich etliche für das Genre un- Heeres), aber dennoch eine weibliche (nicht- typische Plotlines ausmachen. Viele Zuschau- objektifizierte) Figur verkörpern. er_innen sowie Kritiker_innen bewerten Game Das zweite Zitat stammt von Brienne of of Thrones als feministisch, was derzeit ein be- Tarth (gespielt von Gwendoline Christie), die mit ihrer gesamten Erscheinung, Figur und 1 Game of Thrones spielt in einer fiktiven mittelalterli- Rolle in der Serie eine außergewöhnlich chen Welt mit einigen Fantasy-Elementen, wie z.B. Drachen, Magie und Untoten. Die Handlung dreht sich männliche Frau darstellt und deswegen um die Frage, wer an der Macht ist und auf dem Iron ständigen Anfeindungen ausgesetzt ist. Die Throne (Regierungssitz des Kontinents) sitzt. Es gibt Besonderheit bei der Figur von Brienne liegt verschie-dene Dynastie-Familien. Die wichtigsten sind die Targaryens, die Lannisters und die Starks. Die Welt darin, dass sie als Frau eine männliche Rolle als von Westeros hat verschiedene Kontinente, die Haupt- Ritterin einnimmt und damit stetig auf Irritatio- handlung spielt in Westeros, Nebenstränge finden in Essos statt. Die Serie lief von 2011 bis 2019, umfasste 2 Vergleiche beispielsweise folgende Artikel hierzu: acht Staffeln mit insgesamt 73 Episoden. Produziert www.buzzfeed.com/kateaurthur/9-ways-game-of- wurde sie von David Benioff und D. B. Weiss in den thrones-is-actually-feminist, USA. Grundlage ist die Romanreihe des Schriftstellers www.indiewire.com/2016/05/game-of-thrones-has- George R. R. Martin A Song of Ice and Fire, der auch bei given-us-more-than-just-the-most-feminist-moment- der Produktion der Serie involviert war. Vergleiche on-tv-this-year-289073/ oder https://en.wikipedia.org/wiki/Game_of_Thrones www.returnofkings.com/38518/how-feminism-is- <28.07.2020>. ruining-game-of-thrones <28.07.2020>.

2 Gender(ed) Thoughts, Working Paper Series 2020, Volume 2 Jäntschi: Untersuchung von Weiblichkeitsdarstellungen in der Serie Game of Thrones nen stößt bzw. diese hervorruft. Dadurch wird 2.1 Dekonstruktivistische Ansätze eine feministische Bewertung der Figur komplex, da sie zwar einerseits über einen Die dekonstruktivistische Geschlechtertheorie, außergewöhnlichen Handlungsrahmen für eine deren bekannteste Vertreterin die US- weibliche Figur, aber gleichzeitig als männlich amerikanische Philosophin Judith Butler ist, wi- angesehene Eigenschaften aufweist und in derlegt die Annahme, dass es biologische oder vielen Fällen deshalb nicht als Frau angesehen natürliche Gründe für den heteronormativen wird. Dreiklang von sex, gender und desire gibt – der Daenerys Targaryen, die als das feministische sogenannten heterosexuellen Matrix (Butler 1991, Aushängeschild der Serie in etlichen Fan-Blog- 1995). Identitäten konstituieren sich innerhalb Artikeln gilt, und Brienne of Tarth, die in die- von gesellschaftlichen Machtkonstellationen sem Diskurs weitaus weniger Aufmerksamkeit durch performative Leistungen, welche Wieder- bekommt, bieten sich für einen produktiven holungen oder Zitate von diskursiven Macht- Vergleich mit Blick auf das Konzept Weiblichkeit formationen darstellen – vereinfacht gesagt gibt an. Die beiden Figuren bilden die Ausgangs- es eine bestimmte Menge an hegemonial- punkte für die vorliegende Analyse, die der anerkann Identitätsentwürfen, den Ge- Frage nachgeht, inwieweit diese Figuren als schlechternormen, an dene sich viele Personen feministisch gelesen werden können und welche orientieren und diese nachahmen bzw. Weiblichkeitsvorstellungen dabei eine Rolle wiederholen. Es kann dabei aber auch zu spielen. Dabei stellt sich auch stets die Frage Verwerfungen kommen, verursacht durch nicht nach etablierten Figuren weiblicher Herrschaft erfolgreiche performative Leistung geschlecht- im TV. licher Subjekte – dies kann willentlich und nicht willentlich geschehen. Nicht hegemoniale Iden- titätsentwürfe können sanktioniert werden, in- 2. Feminismustheoretische dem sie von der Gesellschaft nicht (an-)erkannt werden. Den Verwerfungen liegt aber auch ein Konzeptualisierung transformatorisches Potential inne, da die Um Frauenfiguren bzw. Weiblichkeitsbilder Sprechakte neue Bedeutungen innerhalb hinsichtlich ihres feministischen Potentials konventioneller Diskursrahmungen erhalten analysieren zu können, bedarf es einer feminis- können, welche subversive Veränderungen mustheoretischen Konzeptualisierung. Ver- hervorzubringen vermögen.3 Diese politische schiedene Feminismen können unterschiedliche Handlungsoption der dekonstruktivistischen politische Ausrichtungen und Inhalte haben Herangehensweise findet sich in der femi- (Müller 2012: 192). Nur wenige Kernelemente, nistischen Medienwissenschaft wieder. Durch wie „Selbstverwirklichung/Selbstbestimmung/ solche öffentlichen und medien-wirksamen Autonomie/Befreiung aus persönlicher Abhän- subversiven Performanzen, das heißt bewusste gigkeit einerseits und Gleichheit andererseits“ in Inszenierungen abseits hegemonialer Identitäts- Bezug auf das Geschlechterverhältnis gelten als entwürfe, kann es zu Transformationen oder Gemeinsamkeit der verschiedenen Feminismen zumindest produktiven Irritationen eines (ebd.: 193). Konkret werden für die vorliegende Diskurssystems kommen, wodurch jedes Subjekt Analyse Perspektiven dekonstruktivistischer und popfeministischer Geschlechtertheorien 3 Um ein Beispiel zu nennen: Conchita Wurst, eine herangezogen. Diese bieten wichtige Analyseka- Kunstfigur als Drag Queen des österreichischen Sängers tegorien bezüglich der Frage nach geschlechter- Thomas Neuwirth, gewann 2014 den Eurovision Song Contest. Durch die mediale Präsenz der Kunstfigur als stereotypen Darstellungen und weiblicher Herr- bärtige Diva (Selbstbezeichnung unter schaft. www.conchitawurst.com wird das Bild einer Frau mit Bart alltäglicher <28.07.2020>). Dies bedeutet nicht, dass dieses Bild normalisiert ist, aber es existiert und wird dadurch in das Diskurssystem geschlechtlicher Identifizierungen aufgenommen. Gender(ed) Thoughts, Working Paper Series 2020, Volume 2 3 Jäntschi: Untersuchung von Weiblichkeitsdarstellungen in der Serie Game of Thrones prinzipiell zur Kritik an der heteronormativen tragen werden“ (ebd.: 44). Mediale Produkte Geschlechterordnung befähigt wird. seien auf dieser Ebene anzusiedeln und prägen Das dekonstruktivistische Potential dieser die gesellschaftlichen und normativen Vorstel- Theorie lässt sich nicht nur auf die vermeintlich lungen von Männlichkeit und Weiblichkeit biologische Verfasstheit der heterosexuellen (ebd.). Dem zeitgenössischen Popfeminismus Matrix anwenden, sondern auch auf alle Arten ging die Riot-Grrrl-Bewegung der 1990er Jahre von Texten „mit dem Anspruch, Sinngebungs- voraus, bei der sich die Aktivistinnen demonst- prozesse durch neue Lesarten (Relektüren) zu rativ übersexualisiert inszenierten (Kauer 2009: subvertieren“ (Moser 2003: 234). Medientexte 15). Sexuell aufgeladene Aggressivität und zur von Serienschaffenden sind Teil des Diskurssys- Schau gestellte Wut auf das patriarchale System tems und somit relevant für eine feminismus- dienten als politische Instrumente. Dies bedeu- theoretische Betrachtung. Eine popkulturell er- tete jedoch keine generelle Gleichsetzung von folgreiche Darstellung von Brüchen der hetero- sexualisierter Inszenierung von Weiblichkeit normativen Ordnung, die zu guten Einschalt- und popfeministischen Anliegen. quoten führt, kann somit einen Beitrag zur Auf- Im Folgenden wird mithilfe mithilfe lösung rigider Geschlechternormen leisten. dekonstruktivistischer und popfeministischer Ansätze gefragt, inwiefern die Weiblichkeitsdar- stellungen feministische Inhalte und Interven- 2.2 Popfeministische Ansätze tionen darstellen oder heteronormative Weib- Bei popfeministischen Geschlechtertheorien ist lichkeitsbilder rezitieren. dieses dekonstruktivistische Denken ebenso elementar. Geschlecht wird als gesellschaftlich 3. Methodisches Vorgehen und diskursiv konstruierte Kategorie gesehen 3.1 Figureninterpretation (Eismann et al. 2012: 42f.).4 Dieser Ansatz kann Die zu Beginn genannten Figuren, Daenerys also als eine Weiterentwicklung des ersten gese- Targaryen und Brienne of Tarth, werden an- hen werden, hat aber weitere zentrale Punkte: hand exemplarischer Szenen des Seriengesche- Ein Hauptanliegen popfeministischer Ansätze hens näher untersucht. Dabei werden teilweise ist die Aufwertung von als typisch weiblich filmanalytische Kategorien verwendet wie bei- geltenden Eigenschaften und Symbolen, wie spielsweise die Kameraperspektive. Bei der beispielsweise „Lippenstift, Nagellack oder Figureninterpretation lassen sich zwei Arten Handarbeit“, welche mit Begriffen wie „Gir- unterscheiden (Scheer 2013: 104): Bei der ersten lism“ oder „Girl Culture“ aufgewertet werden Lesart wird die Figur als Individuum betrachtet, (ebd.: 43). Das Intervenieren in popkulturellen welches eigenständig denkt und handelt. Dies Räumen und Mainstream-Diskursen ist wichtig, sei nach John Fiske (1987) die bevorzugte Les- da „die Kämpfe um Gleichberechtigung nicht art seitens der Medienproduzent_innen – nicht nur in der politischen Sphäre, sondern zuneh- zuletzt, da sie unkritisch gegenüber sozialen und mend auch auf der symbolischen Ebene ausge- politischen Dimensionen ist (Scheer 2013). Die zweite Lesart ist eher diskursiv und findet in der 4 Weitere wichtige identitätsprägende Kategorien wie beispielsweise race, Klasse und sexuelle Orientierung Analyse Verwendung; die Figur wird „als ein sind für Analysen zu berücksichtigen, weil Wirkungen textuelles Mittel gesehen, das auf der Basis von von Identitätskategorien nicht getrennt voneinander Diskursen und Ideologien konstruiert wird und gedacht werden können – sie sind intersektional ver- schränkt, beeinflussen sich also gegenseitig. Im Zuge diese verkörpert“ (ebd.: 104). So werden fiktive der zweiten Frauenbewegung gab es hierzu eine Ausei- Personen als Personifizierung von kulturellen nandersetzung und starke Kritik vor allem von Seiten Normen und sozialen Positionen verstanden Schwarzer Frauen, die sich nicht mitrepräsentiert ge- fühlt haben. Dadurch ist das Konzept der Intersektio- und damit ist eine Kritik oder Analyse der do- nalität in viele geschlechtertheoretische Analysen inte- minanten Ideologie möglich (ebd.). griert worden. Diese weiteren Kategorien können in diesem Beitrag leider nicht näher betrachtet werden.

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3.2 Analyse der Geschlechter- Die innerdiegetische Ebene der Geschlechter- verhältnisse ordnung der Fiktion, welche ausgehend von der bekannten Geschlechterordnung der Zuschau- Die Filmtheoretikerin Ursula Ganz-Blättler enden, also die zweite Ebene, erfasst und inter- (2006: 285) vertritt die Ansicht, dass es sich bei pretiert wird. Die innerdiegetische fiktive medial vermittelten Fiktionen um „spezifische, Geschlechterordnung von Westeros, dem konzipierbare Kommunikationsprozesse, die Hauptkontinent der Handlung, ähnelt einer stets mehrere Beteiligte involvieren“, handelt. einer nicht-fiktiven, heteronormativen Ge- Fiktion ist also eine Form des Erzählens, wel- schlechterordnung westlicher Gesellschaften. ches zwei Seiten involviert: diejenigen, die die Die beiden Geschlechterordnungen weisen also Story konzipieren, erzählen und ihre Inhalte durchaus (historische) Ähnlichkeiten auf, auch medial vermitteln (die Serienmacher_innen), wenn westliche nicht-fiktive Gesellschaften und diejenigen, die die Story lesen. Die mittlerweile in ihren Geschlechternormen freier Betrachtenden sollen die Geschichten „als und offener sind: In Westeros herrschen eine Bausätze und Imaginationsangebote erst einmal heterosexuelle und monogame Norm und mit eigenen Versatzstücken aus Fantasie und starke patriarchale Machtverhältnisse. Norm- kontextuellem Wissen, aus emotionalen Impli- brüche kommen in der Handlung immer wieder kationen und Sinngebungen anreichern und er- vor, werden aber sanktioniert, tabuisiert oder gänzen“ (ebd.). Das bedeutet, dass die deutlich als unrühmliches Verhalten kommen- Serienmacher_innen nicht gänzlich kontrollie- tiert. ren können, wie ihr Werk interpretiert wird. Ganz-Blättler (2006) spricht von einem kommu- 4. Analyse der filmischen Weib- nikativen Vertrag, den man bei der Rezeption lichkeitsdarstellungen solcher Kommunikationsmedien eingeht. Die- ser Vertrag regelt, dass auf der einen Seite das Ausgangspunkt der Analyse war folgende Be- Medium so ausgestaltet ist, dass es eine sinn- obachtung: Viele Artikel in Online-Blogs, die hafte Konstruktion einer alternativen Realität sich mit der Serie und einzelnen Frauenfiguren ergibt und auf der anderen Seite die Zuschau- befassen, weisen in der Überschrift auf einen enden sich mit eigener Energie dieser Welt Zusammenhang mit Feminismus hin, beziehen zuwenden und diese erweitern und/oder sie sich allerdings im Artikel selbst nicht weiter zumindest zu verstehen versuchen. Dabei ist es darauf.5 Feministisch fungiert hierbei häufig als notwendig, dass die Zuschauenden in eine inhaltsleeres Qualitätsmerkmal, da eine diffe- Beziehung treten mit den „Spielfiguren der Ge- renzierte Analyseperspektive mit feministischen schichte (die an meiner Stelle oder als mir Wissensbeständen meist gänzlich fehlt – was vertraute Bezugspersonen handeln, leiden und aus einer wissenschaftlichen Perspektive irritiert. genießen, triumphieren und scheitern) und nicht Blog-Artikel, die sich positiv auf den postulier- zuletzt mit all jenen, die an derselben ten feministischen Gehalt der Serie beziehen, Geschichte und ihrem Fortgang Interesse und verweisen meist ausschließlich auf die inhaltli- Vergnügen zeigen“ (ebd.: 291). Daraus folgt, che Ebene – also etwa auf nach Macht streben- dass durch diese individuelle und kollektive den Frauen, Sexismus-Artikulationen der Cha- Leistung des Interpretierens die fiktionale raktere, Vergewaltigungsracheakten von Frauen- Geschichte Teil einer diskursiven Praxis wird, welche Einfluss auf die Gedankenwelt der 5 Beispiele für Überschriften solcher Artikel in Bezug Zuschauenden hat. auf Daenerys Targaryen sind: „Daenerys Targaryen: In der vorliegenden Analyse stehen die Ge- Feminism for the Iron Throne“ (Keyhan 2013), schlechterverhältnisse (und sich daraus ablei- „‘Game of Thrones’ Daenerys Targaryen is a Feminist First, Mother of Dragons Second“ (Ghahremani 2013), tende Weiblichkeitsbilder) der Serie im Mittel- „Game of Thrones inspiration: Why Daenerys Tar- punkt. Dabei gibt es zwei Ebenen zu beachten: garyen is a feminist icon“ (Potter 2013) oder „Daenerys Targaryen Is A Feminist“ (Hanks-Akins 2016).

Gender(ed) Thoughts, Working Paper Series 2020, Volume 2 5 Jäntschi: Untersuchung von Weiblichkeitsdarstellungen in der Serie Game of Thrones figuren oder Ähnliches. Hier bietet die Serie tat- mee. Das Volk der Dothraki stammt von dem sächlich etliche Handlungsstränge. Vernachläs- anderen Kontinent Essos und wird als ,wildes sigt wird in den medialen Rezensionen aller- Reitervolk‘ dargestellt. Es wird deutlich, dass dings meist die Ebene der Darstellung und In- Viserys seine Schwester Daenerys als Frau bzw. szenierung sowie deren Verknüpfung mit der Mensch missachtet, beispielsweise als er sagt: „I inhaltlichen Ebene, was dieser Artikel nachholt. would let his whole tribe fuck you all forty Die im Folgenden untersuchten Frauenfi- thousand men – and their horses too if that’s guren verkörpern ganz unterschiedliche Charak- what it took“ (S01E01). Es wird gezeigt, wie tere und stehen in unterschiedlichen Verhältnis- Viserys den Körper von Daenerys einer sen zu historisch anerkannter Weiblichkeit. Bei Tauschware gleich begutachtet, welche der der Analyse werden beide Ebenen betrachtet: Fortpflanzung und dem männlichen Vergnügen die innerdiegetische Geschlechterordnung als dienlich sein soll. Daenerys’ Körper verknüpft auch die Geschlechterordnung auf der Ebene den ehemaligen Königstitel der Targaryens mit der Zuschauer_innen. unschuldiger und reiner Weiblichkeit und ist damit ein perfektes Instrument für Viserys, um an Macht zu gelangen. Ihre jungfräuliche Weib- 4.1 Daenerys Targaryen: lichkeit wird auch in der sich anschließenden Entwicklung von lukrativem Darstellung der Hochzeitsnacht von Daenerys und Khal Drogo deutlich, in der Drogo die jun- Ehematerial zur mächtigen ge Braut zum Geschlechtsverkehr zwingt, also Drachenmutter vergewaltigt. Daenerys wird in einem hellen Daenerys Targaryen ist eine der Hauptfiguren Kleid mit ihren weißblonden Haaren in einem der Serie. Sie entstammt der Targaryen- romantisch anmutenden Setting gezeigt; ihre Dynastie, die ehemals Eroberer von Westeros Mimik zeigt ihre Unsicherheit und Angst vor waren und von dem zu Beginn der Serie herr- dem, was sie erwartet. Vor allem die filmische schenden König von Westeros entmachtet wur- Gestaltung der knapp zweiminütigen Sequenz den. Daenerys behauptet sich im Verlauf der wurde in den Medien vielfach kritisiert. Elemen- Serie gegen ihren Bruder und es gelingt ihr, eine te wie ein stimmungsvoller Sonnenuntergang machtvolle Position einzunehmen. Die Figur über dem Meer, die Silhouetten der beiden Pro- entspricht einem in filmischen Medien häufig tagonist_innen, Pferde, sphärische Musik und vorzufindendes Schönheitsideal, wozu auch ihre Meeresrauschen im Hintergrund sollen die emo- Kleidung, Gestik und Mimik beitragen – blasse tionale Disposition der Zuschauenden beein- Haut, blondes Haar, schlanke Figur und feine flussen und diese in eine romantische Stimmung Ge-sichtszüge. Der damit einhergehende versetzen. Drogo wird mit einem expliziten Objekt-Status und ihre passive Rolle werden male gaze ausgestattet.6 durch ihre voyeuristisch aufgeladene Nacktheit 6 Der male gaze ist ein Begriff aus der feministischen immer wieder bestätigt, was in den Einfüh- Filmtheorie, welche den Film als in eine patriarchale rungsszenen ihres Charakters besonders deut Gesellschaft eingebettete soziale Praxis betrachtet und - „repressive Strukturen und emanzipatorische Möglich- lich wird: In der allerersten Folge der Serie wird keiten“ untersucht (Klippel 2002: 168). Der male gaze sie zusammen mit ihrem Bruder Viserys beschreibt eine bestimmte Form der Kameraausschnit- Targaryen (gespielt von Harry Lloyd) te und -bewegungen, die den betrachtenden Blick eines männlichen Protagonisten auf eine passive und meist vorgestellt, welcher als letzter männlicher sexualisierte weibliche Protagonistin mimt. Klippel be- Nachfolger von Arys Targaryen, dem zieht sich auf die britische feministische Filmtheoreti- ehemaligen, getöteten König, den Iron Throne kerin Laura Mulvey (1975). Sie stellt die These auf, dass filmische Repräsentationen klar zweigeschlechtlich zurückerobern möchte. Er ver-kauft Daenerys strukturiert sind. Dabei seien Aktivitäten „wie der an den Dothrakischen Heeres-führer Khal Blick, das Handeln und die raumgreifende Bewegung“ Drogo (gespielt von Jason Momoa) und fordert männlich konnotiert und an „männliche Protagonisten gekoppelt“, wohingegen körper- und sexualitätsbezo- als Gegenleistung von diesem eine Dothraki-Ar- gene Momente „sowie das Angesehen-werden“ und

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Er umkreist Daenerys, betrachtet sie und ihren Fans und Kritiker_innen das feministische Po- Körper und entkleidet sie dabei. Daenerys wird tential der Figur.7 Vernachlässigt wird in sol- damit zum Objekt, wie auch das verwendete chen Rezensionen allerdings meist, dass ihre fil- Blickregime vermittelt durch die Kameraein- mische Inszenierung anhaltend objektifizierend stellung offenbart: Drogo blickt in Daenerys‘ und dadurch sexistisch ist, indem für die Hand- Richtung. Man sieht sie an der Küste stehend lung unnötiger Weise ihr (nackter) Körper zur im close up (S01E01, Minute 55). Der nächste Betrachtung verfügbar gemacht wird.8 Es gibt Schnitt folgt ihrem Blick und zeigt das offene zwei Szenen, in denen sie besonders machtvoll Meer, als Symbol ihrer Sehn-sucht, dieser ist und dieser objektifizierende Vorgang beson- Situation entfliehen zu wollen. Die Kamera ders deutlich wird: In der ersten Szene tritt sie nimmt dann Drogos Blickperspektive ein und aus der Asche ihres verstorbenen und in einer präsentiert Daenerys’ nackten (Ober-) Körper, Feuerzeremonie bestatteten Ehe-manns Khal stets vor dem Sonnenuntergang und im Drogo heraus (S01E10). Sie ist dabei vollständig sinnlichen Ambiente. Daenerys versucht die nackt; ihr Genitalbereich wird von frisch ganze Zeit beschämt, ihren von Drogo entblöß- geschlüpften Drachen verdeckt. Eine ähnliche ten Körper mit den Händen zu bedecken. Oh- Szene vollzieht sich in einer der späteren ne ein Zeichen von Einwilligung drückt Drogo Staffeln, als sie den Tempel der Dosh Khaleen, schließlich die weinende Daenerys nach unten eine wichtige religiöse Stätte, nieder-brennt und und beginnt, sie von hinten zu penetrieren, was dabei alle männlichen Dothraki-Anführer tötet nicht weiter gezeigt wird. (S06E04). Sie schreitet abermals komplett nackt Diese ersten Auftritte von Daenerys sind aus dem brennenden Tempel und das Dothraki- sehr körperzentriert und mit absoluter Passivität Volk verbeugt sich anschließend vor ihr. Diese und simultanem Unwohlsein gekoppelt; sie hat beiden Situationen stehen sinnbildlich für ihren in diesen Szenen kaum Redeanteile. Die filmi- Aufstieg an die Macht, da sie sich jeweils damit sche Umsetzung ist mitunter explizit und ge- eine große und treue Gefolgschaft sichert. Es waltvoll, wenn auch mit Daenerys als Mittel- ist filmisch kein Zufall, dass sie beide Male punkt der Aufnahmen, was eine ermächtigende komplett entblößt vor der Kamera steht. In Entwicklung ihrerseits nahelegt. diesem Beitrag wird angenommen, dass so die Diese bedrückende Rolle von Daenerys, die weiblichen Charakteranteile der Figur gesichert noch einige Folgen aufrechterhalten wird, än- werden und eine männliche Einordnung ihres dert sich im Verlauf der nächsten Staffeln. Sie Charakters verhindert wird, obwohl sie eine entwickelt sich zu einer nach Macht und Ge- dezidiert männliche Position als Heeresführerin rechtigkeit strebenden und selbstbewussten und Eroberin einnimmt. Sexistisch wird diese Frau, die für ihr Machtstreben und ihre politi- Vorgehensweise dadurch, dass es auch andere sche Agenda den Tod ihres Bruders Viserys in Möglichkeiten gäbe, Weiblichkeit darzustellen, Kauf nimmt. Sie schafft es, anstatt seiner eine als stets mit objektifizierender Nacktheit. ernstzunehmende Anwärterin für den Eisernen 7 Thron zu werden, die ein großes Heer, eine In der letzten Staffel wird diese Rolle aber durchaus wieder teilweise gebrochen, da die Figur zunehmend Kriegs-Flotte und drei Drachen befehligt. Die wahnsinnig erscheint und Entscheidungen trifft, die beeindruckende Entwicklung, die Daenerys moralisch sehr problematisch sind – sowohl aus Zu- vollzieht und damit die tradierte Subjektposition schauer_innensicht als auch aus Sicht der anderen Fi- guren der Serie. Diese Entwicklung bleibt in diesem einer Frauenfigur verlässt, verbildlicht für viele Artikel aber unberücksichtigt, da zum Zeitpunkt der Untersuchung die letzten Staffeln noch nicht ausge- strahlt waren. 8 Es ist ein auffälliges Merkmal, dass in der gesamten die Handlung verlangsamende Elemente hingegen klas- Serie vor allem weibliche Körper nackt und in sexuelle sischerweise weiblich sind (Klippel 2002: 170f.). Handlungen (oftmals unfreiwillig) involviert gezeigt Dadurch wird das Machtverhältnis zwischen Männern werden, wohingegen männliche Körper sehr viel weni- und Frauen auch im gesellschaftlichen Normgefüge ger und wenn weniger zur-Schau-stellend nackt gezeigt abseits der Filminhalte iteriert und verfestigt. werden.

Gender(ed) Thoughts, Working Paper Series 2020, Volume 2 7 Jäntschi: Untersuchung von Weiblichkeitsdarstellungen in der Serie Game of Thrones

In anderen Szenen, in denen Daenerys sich 4.2 Brienne of Tarth: gegenüber Kontrahenten behauptet, muss sie Umkämpfte Geschlechtsidenti- sich meist sexualisierten und denunzierenden Kommentaren stellen, wobei stets ihre fizierung und der feminist gaze Weiblichkeit und ihr weiblicher Körper eine Brienne of Tarth ist ebenso wie Daenerys in der zentrale Rolle spielen.9 Deutlich wird also, dass Sphäre des Krieges und der Gewalt tätig, aller- ihre machtvolle Position in starkem Kontrast zu dings als aktive quasi-Ritterin.12 Sie verkörpert ihrem Geschlecht steht und dies nicht unbe- eine Art female masculinity.13 Dieses Weiblich- merkt und unkommentiert bleibt. In einem Blog keitskonzept offenbart die prekäre hierarchische wird for-muliert: „When Khal Drogo dies, she Vormachtstellung von Männern, da sich auch takes up his mantle of leadership and attempts Frauen unter bestimmten Voraussetzungen in to act in his stead for the good of the people Butlers Worten den Phallus aneignen können she now leads“ (Albone 2013a: o.S.).10 Aller- und dadurch subversiv zur hegemonialen Ge- dings gelingt es Daenerys im Butlerschen schlechterhierarchie stehen (Butler 2009: 123f.). Sinne11 nicht, den performativen Sprechakt der Das normative Konstrukt Männlichkeit und da- Inanspruchnahme einer machtvollen Position mit einhergehende Werte und Eigenschaften, vollständig zu vollziehen, da sie aus einer mit wie in der westlichen Kultur Macht, Stärke, Pri- einem weiblichen Körper markierten Sprecher- vileg und Legitimität (Halberstam 1998: 2), wer- innenposition heraus spricht. Ausübung von den hierdurch brüchig und bedroht. Diese An- Herrschaft und Macht ist eng mit einer eignung von männlichen Attributen und Pri- männlichen Position verknüpft und Daenerys vilegien muss deswegen unter Umständen durch kann diese Position nicht problemlos einneh- Männer gewaltvoll verhindert werden. Brienne men: „the development of Daenerys’ authority of Tarth wird in diesem Beitrag als ein solcher and her growth as a ruler and leader both Charakter analysiert und es wird in diesem depend on her internalisation and exhibition of Zusammenhang nach den Möglichkeiten und masculinised traits“ (Clapton und Shepherd Fallstricken sowie den feministischen Interpre- 2017: 13). tationsmöglichkeiten gefragt. Die Figur von Daenerys ist in der Dialektik Die Einführung ihres Charakters ist be- gefangen, einerseits weiblich zu sein und zeichnend: Sie kämpft in einem Ritterturnier ge- andererseits eine männliche Position beziehen gen Loras Tyrell (gespielt von Finn Jones) und zu wollen. Dies wird filmisch unter anderem ist nicht als Frau, sondern als vermeintlich mit sehr deutlichen objektifizierenden männlicher Ritter inszeniert – man sieht nur ei- Inszenierungen ihrer Weiblichkeit gelöst. ne Person in einem Vollharnisch (S02E03). Erst als sie als Siegerin des Zweikampfes nach Auf- forderung ihren Helm abnimmt, werden die Zu- schauer_innen des Turniers über ihr Geschlecht informiert – und spätestens durch das Erstau- nen des Turnierpublikums über diese unerwar- tete Wendung letztendlich auch die Se- rienzuschauer_innen. Brienne of Tarth fordert als Preis für ihren Sieg von Renly Baratheon (ge- 9 Vergleiche hierzu beispielsweise die Szene, in der Daenerys in Astapor das Slavenheer der Unsullied des Sklavenhändlers Kraznys mo Nakloz (gespielt von Dan 12 Tatsächlich ist es in Westeros nur Männern erlaubt, Hildebrand) erwirbt (S03E04). in den Ritterstand einzutreten, was Brienne zu einer 10 Die Blogeinträge sind leider nicht mehr aufrufbar. unmöglichen (und dadurch auch tragischen) Ritter- Ich habe die betreffenden Blogeinträge ar-chiviert Figur macht. und kann diese bei Bedarf gerne zur Verfügung stellen. 13 Dies hat Jack Halberstam (1998) in Female Masculinity 11 Vergleiche weiterführend zum Performativitätskon- grundlegend theoretisiert. Es geht dabei maßgeblich zept Butler (1991). um die Möglichkeit, auch als biologische Frau Männlichkeit zu verkörpern.

8 Gender(ed) Thoughts, Working Paper Series 2020, Volume 2 Jäntschi: Untersuchung von Weiblichkeitsdarstellungen in der Serie Game of Thrones spielt von Gethin Anthony), dem Ausrichter tere, die sie als Kriegerin akzeptieren: „few des Turniers, die Aufnahme in die Kingsguard14, women accept her for who she is without welche traditionell nur Männer aufnimmt – zur mocking or scorn, indicating that gender sub- Überraschung aller wird ihr der Wunsch ge- version is indeed possible in this highly gender- währt. Das Setting dieser Szene weist folgende role led society“ (Albone 2013b: o.S.). So geht Besonderheit auf: Loras Tyrell und Renly Ba- sie beispielsweise mit der vor allem durch ihre ratheon sind homosexuell und damit im Sinne Mutterrolle geprägten Figur Catelyn Stark (ge- der heteronormativen Welt der Turnier- spielt von Michelle Fairley) ein Bündnis ein und Zuschauer_innen sowie der Geschlechterord- verspricht dieser, ihre Töchter zu finden.18 Dies nung von Westeros marginalisierte Männlich- geschieht nach dem Vorbild typischer Szenen keiten (Connell 2014).15 Brienne befindet sich in dieser Art zwischen Lords und ihren Rittern dieser Szene in einem rein männlich geprägten Bereich der Ritter und sticht als groß ge- (S02E05). Frankel fügt dazu an: „While Brienne wachsene und im Kampf überlegene Frau appoints herself a protector of women (Catelyn heraus. Dass Loras von einer Frau im Kampf and her daughters), she rejects everything femi- besiegt wird und Renly Brienne den Zugang zur nine in herself“ (Frankel 2014: 52). Kingsguard gewährt, verdeutlicht die prekären Auch in den folgenden Episoden nimmt sie Männlichkeiten und subversiven; sowie margi- immer wieder Rollen ein, die typischerweise von nalisierten Geschlechtsentwürfe der beteiligten Männern gespielt werden; als sie beispielsweise Charaktere: Loras und Renly als homosexuelle den Krieger Jaime Lannister (gespielt von Niko- Männer und Brienne als biologische Frau mit laj Coster-Waldau), Gefangener der Starks, der männlichem Habitus. Briennes Kampfstil und herrschenden Familie im Norden, nach King’s dessen Inszenierung sind ebenso bemerkens- wert: Sie kämpft auf ebenso unästhetisierte Landing (Regierungssitz des Königs) bringt. Weise wie die anderen männlichen Ritter und Jaime Lannister selbst ist Mitglied der Kingsguard Krieger16 und nicht, wie für kämpfende Frauen von Robert Baratheon (gespielt von Mark Ad- im Film üblich, mit ästhetischer und sexueller dy), dem herrschenden König zur damaligen Attraktivität aufgeladener Kampftechnik, wie Zeit. Jaime steht unter Briennes Schutz und den martial arts, die sich beispielsweise in der Obhut und während der gemeinsamen Reise Serie bei den Sand Snakes17 wiederfinden. nach King’s Landing kommt es immer wieder zu Briennes ungewöhnliche Erscheinung wird vor Situationen, in denen Jaime auf Briennes allem von Männern fortlaufend herablassend uneindeutige Ge-schlechtsidentität anspielt, wie kommentiert. Es gibt aber auch Charaktere, die beispielsweise in folgendem Dialog: Jaime: Do you think you could beat me in a fair fight? Brienne: I’ve never seen you fight.

14 Die Kingsguard ist eine auserwählte Gruppe von Jaime: The answer is ‘no’. There are three men in sieben Rittern, deren ehrenvolle Aufgabe es ist, den the kingdom who might have a chance. König zu beschützen. You’re not one of them. 15 In der Serienwelt wiederum gibt es unterschiedliche Brienne: All my life men like you snared at me. And Geschlechterordnungen: In Westeros ist Homosexuali- all my life I’ve been knocking men like you tät eher verpönt und Machthabende verheimlichen sie into the dust. (wie Renly Baratheon). In Essos gilt eine wesentlich Jaime: If you’re so confident, unlock my chains. freiere Geschlechterordnung. 16 Besonders deutlich wird dies in der Szene, in der sie Let’s see what happens. in brutaler Manier gegen Gregor Clegane (gespielt von Brienne: Do you take me for an idiot? [...] Rory McCann) kämpft und ihm dabei ein Ohr abbeißt (S04E10). Jaime: I took you for a fighter. A man... pardon, a 17 Die Sand Snakes sind acht Frauen aus Dorne, einem woman of honour. (S02E08) der sieben Königreiche in Westeros. Sie sind Bas- tardtöchter des Fürsten von Dorne. In Dorne sind 18 Ein ähnlicher Dialog ergibt sich in der sechsten uneheliche Kinder nicht verpönt, weswegen die Sand Staffel zwischen Sansa (gespielt von Sophie Turner) Snakes ein normales Leben führen können. Sie erinnern und Brienne erneut, als Brienne Sansa ebenso die optisch an Amazonen. Treue schwört (S06E01).

Gender(ed) Thoughts, Working Paper Series 2020, Volume 2 9 Jäntschi: Untersuchung von Weiblichkeitsdarstellungen in der Serie Game of Thrones

Brienne wird hier zweimal von Jaime als Mann ist, hat keine Vergewaltigung zu befürchten, was angerufen und mit der Rhetorik eines Ritters Stereotypen sexueller Gewalt bestätigt und versehen. Diese Anerkennung manifestiert sich deutlich die Einordnung in verschiedene Ge- spätestens dann als ernstzunehmende, als Jaime, schlechterrollen bei Jaime und Brienne nahelegt. nachdem er seine Schwerthand verloren hat, Eine weitere Sequenz zeigt den Versuch ei- Brienne sein ehrbares Schwert aus Valyrischem ner gewaltvollen Einordnung von Briennes Ge- Stahl schenkt, einem besonders wertvollen und schlechtsidentifikation durch andere: Sie wird hochwertigem Material (S04E04). Sieht man das von den gleichen gegnerischen Männern zu ei- Schwert als phallisches Element an, reicht Jaime nem Zweikampf mit einem Bären gezwungen, hier seinen, für ihn durch den Verlust seiner muss dabei ein rosafarbenes Kleid tragen und Schwerthand nun unbrauchbaren, Phallus an bekommt nur ein nutzloses Holzschwert – zur Brienne weiter. Belustigung der zuschauenden Männer Neben diesen umkämpften Anerkennungen (S03E07).20 Durch ihre ‚Ausrüstung‘ kann sie ihrer Position als Kriegerin kommt es auch ihre Fähigkeit des Kämpfens nicht nutzen und immer wieder zu Sanktionierung aufgrund ihrer wird mit ihrer von anderen als androgyn wahr- untypischen Erscheinung und defizitären weib- genommenen Geschlechtsidentität vorgeführt. lichen Performanz aus Sicht der sie umgeben- In dieser Szene ist sie weder Lady noch Ritterin den patriarchalen Gesellschaft: und kann nur durch Hilfe von außen entkom- [T]he androgynous knight Brienne of Tarth [...] who men. Es benötigt allerdings einen ausgewachse- purposefully seeks to step outside the power structures of nen Bären und ein Holzschwert, um sie als ver- heterosexuality [... is] shamed and punished, demon- zerrtes Abbild einer damsel in distress (Jungfrau in strating those who remove themselves from sexual rela- Nöten) zu inszenieren. tionships are less socially acceptable and valued. (Genz Briennes Figur wird als ungewöhnlich große 2016: 254) und muskulöse Frau inszeniert und erfährt immer wieder ihre Als in einer Episode Jaime und Brienne auf dem , dass andere Figuren Weiblichkeit erabwürdigend ommentie en.21 Weg nach King’s Landing gefangen genommen h k r Sie wird in keiner Szene zum Objekt d s male werden, warnt Jaime sie vor einer drohenden e gaze und wird von anderen Figuren als hässlich mehrfachen Vergewaltigung durch die Gegner, und unattraktiv beschrieben. Sie betont mehr sobald sie lagern. Auf seinen Ratschlag an Bri- - fach, dass sie keine Lady ist und auch nicht so enne, es über sich ergehen zu lassen, fragt sie angesprochen werden möchte danach, was er an ihrer statt tun würde. Er ant- . Demnach ist sich also ihrer androgynen Ge wortet: „If I was a woman, I’d make them kill Brienne - schlechterrolle durchaus bewusst. Es wird dabei me. But I’m not, thank the gods“ (S03E03). immer deutlich, dass ihre nicht zu den Dass Jaime Brienne von Gegenwehr abrät und vorhandenen normativen Geschlechtsiden- selbst aber den Tod vorziehen würde, zeigt die tifikationen passende Selbstidentifizierung ihr Entwürdigung, die aus Sicht eines Mannes uner- Schwierigkeiten bereitet. träglicher scheint als für eine Frau. Eine Verge- Eine Ausnahme bildet waltigung ist ein zutiefst gegendertes Verbre- das Aufeinandertreffen mit dem Krieger chen und obwohl Brienne des Kampfes und Tormund Giantsbane (gespielt von Kristofer somit der Gegenwehr eigentlich fähig ist, muss um den Preis seiner Schwerthand, die ihm aufgrund sie diesen Gewaltakt (wahrscheinlich) durchlei- einer Lüge, die er erzählt, abgehakt wird (S03E03). den.19 Jaime hingegen, der ebenso Gefangener 20 Vergleiche Bild auf https://www.hbo.com/game- of-thrones/season-03/7-the-bear-and-the-maiden- fair/synopsis < 28.07.2020>. 21 Beispielsweise als sie sich unbekleidet vor Jaime in einem Bad zeigt und sein Kommentar auf ihre Scham 19 Es wird nicht deutlich, ob die Vergewaltigung voll- darauf ist: „Don’t worry. I’m not interested“ (S03E05). zogen oder vorzeitig unterbrochen wurde, da sie sich Auch die Kameraeinstellungen verdeutlichen, dass Bri- im Hintergrund der Szene abspielt und der Fokus auf enne zwar eine Frau ist, aber nicht als objektiviert/ Jaime liegt, der sie aus der Situation rettet – wenn auch sexualisiert wahrgenommen wird.

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Hivju), welcher Interesse an Brienne zu haben ren, misslingen. Die Verunmöglichung eindeuti- scheint. In einer späteren Staffel (zum Beispiel ger weiblicher Identifizierung ist auch (explizi- in S06E04) wirft er ihr mehrfach anerkennende ter) Teil ihres Handlungsstranges, was einer Ar- und bewundernde Blicke zu. Dies wird in dieser tikulation von Kritik am heteronormativen Sys- Arbeit in Abgrenzung zum male gaze als feminist tem gleichkommt – beispielsweise in den Sze- gaze bezeichnet und meint, dass eine Frau mit nen, in denen sie fälschlicher Weise als Lady selbstgewählter, von normativer Weiblichkeit oder knight angesprochen wird und sagt: „I’m abweichender Identifizierung von einem Mann no Lady“ (S02E03). Ebenso ist sie aber auch mit kriegerischer Männlichkeit als attraktiv davon überzeugt, kein Ritter [sic!] zu sein, gefunden gezeigt wird, somit mit ihrer Ge- wenn sie credo-mäßig zu Podrick Payne schlechtsidentität Anerkennung erfährt und dies (gespielt von Daniel Portman), ihrem ohne Objektifizierung der Frau geschieht. Tor- Knappen, sagt: „I’m not a knight“ (S04E05). mund, der nicht aus der patriarchalen Gesell- Deutlich wird, dass ihr und ihrem Umfeld schaft von Westeros stammt, sondern aus dem (außer Tormund aus dem Free Folk) Free Folk kommt, in welchem das Geschlechter- innerdiegetisch kein Vokabular für ihre verhältnis gleichberechtigter ist als im Rest von Identifizierung zur Verfügung steht, was aber Westeros, nimmt Brienne nicht als Frau mit nicht zu Lasten der Ernsthaftigkeit ihrer irritierendem männli-chen gender wahr, sondern Figur geht. als attraktive Frau. In diesen Begegnungen wird die heterosexuelle Attraktivität einer female 5. Weiblichkeitsbilder und masculinity inszeniert – ein ungewöhnlicher feministisches Potential der Umstand, mit dem auch Brienne offensichtlich nicht viel anzufangen weiß. beiden Figuren Hannah Albone (2013b) zufolge ist der Cha- Die vorangegangene Analyse der beiden Frau- rakter von Brienne nicht nur bei Tormund äu- enfiguren bringt zutage, dass Stärke, Macht, ßerst beliebt, sondern auch in der Fangemeinde Weiblichkeit und Objektifizierung in sehr unter- von Game of Thrones. Dadurch schafft es Brienne schiedlichen Verhältnissen inszeniert werden als gender bending female einen populären Platz in können. Bei medialen Analysen ist nicht nur die der Medienlandschaft einzunehmen und kann Plotline wichtig, sondern auch die filmische Um- so zur Akzeptanz subversiver Geschlechtsiden- setzung muss berücksichtigt werden, da sie die titäten beitragen: Ergebnisse einer reinen Analyse der Handlungs- Brienne’s male gender marks that females do not need to ebene maßgeblich beeinflussen kann. use their sexuality in order to establish themselves, and Die Art und Weise der Darstellung von that she eventually earns genuine respect and honour Daenerys ist geprägt von der Objektifizierung from the other characters only makes her triumphs better ihres weiblichen Körpers, mit welcher ihre earned. Brienne is not the first female character to sub- hetero-normative Weiblichkeit trotz ihrer vert gender roles, but she is most surely one of the most Mächtigkeit gesichert wird. Deutlich wird da- recognisable and one of the most popular to do so. (Ebd., durch, dass Bilder weiblicher Herrscherinnen o.S.) in der kontemporären Medienlandschaft feh- Aus einer feministischen Perspektive heraus ist len, welche auch ohne sexiness interessant sind. der Charakter von Brienne wichtig, da sie eine Gleichzeitig ist es auch ihre weibliche Er- beliebte Figur der Serie ist und gänzlich ohne scheinung, die ihre Machtposition immer den mit sexueller Schaulust ausgestatteten male wieder zur Diskussion stellt, wenn sie auf gaze inszeniert wird. Die Dynamik zwischen ihr andere Männer trifft. Die hohe Sexualisierung und Tormund illustriert eine neue Ebene von und Körperzentrierung ihrer Figur kann nicht Zuwendung zu Brienne. Die Versuche, ihr gender mit einer medialer popfeministischen Inszenie- bending als Attraktion versuchsweise vorzufüh- rung parallelisiert werden, da diese eine selbst- ren, wie beispielsweise im Kampf gegen den Bä- gewählte und politische Herangehensweise der Inszenierung des eigenen weiblichen Körpers Gender(ed) Thoughts, Working Paper Series 2020, Volume 2 11 Jäntschi: Untersuchung von Weiblichkeitsdarstellungen in der Serie Game of Thrones als Spektakel voraussetzt, welche nicht bei der Einordnung als feministische Figur lässt sich Figur Daenerys zu finden ist. Es ist viel eher die allerdings anbringen, dass bei Figuren wie Bri- Entscheidung der Produzenten der Serie, die enne Weiblichkeit nahezu vollständig abwesend mit kriegerischer Macht und Führungsposition ist und sie als Frau kaum Anerkennung erfährt. versehene Figur mit hoher Sexualisierung und Erfolg hat Brienne vor allem durch körperliche Körperzentrierung in ihre weibliche Position Stärke, Ritterlichkeit/Loyalität und Kriegertum, und damit einhergehen-den ästhetischen also stark männlich konnotierte Eigenschaften. Erwartungen zu verweisen. Die fehlende Was das für eine feministische Bewertung und Berücksichtigung in vielen Blog-artikeln, dass kriegerische Weiblichkeitsdarstellung in populä- Daenerys nur aus einer objektifizierten und ren Fernsehmedien bedeutet, ist in diesem Arti- sexistisch inszenierten Position heraus Macht kel nicht zu klären. Zudem gibt es hierzu ausüben kann, deutet auf ein Defizit bislang kaum wissenschaftliche Literatur und zeitgenössischer populärer Feminismusdebatten Studien. hin: Filmische Darstellungen arbeiten häufig mit Mit Hinblick auf popfeministische Weiblich- Kameraeinstellungen, die als male gaze interpre- keitsdarstellungen kann man F olgendes festhal- tiert werden können, die aber in Auseinander- ten: Brienne lässt sich als phallische Frau lesen, setzungen mit dem Medienprodukt von femi- da ihr Schwert den Phallus symbolisiert. Eine nistischen Blogger_innen unreflektiert bleiben. phallische Frau im Sinne der Riot-Grrrls nimmt Sichtbarmachung von starken Frauenfiguren auf eine paradox besetzte Phallus-Position ein, da der Plotebene allein ist nicht genug, um einem sie und phallisch zugleich ist. Bei Brienne fehlt feministischen Anspruch gerecht zu werden: erstere Eindeutigkeit, was von manchen Grundsätzlich gibt es einen Unterschied zwischen feministischen Kritikern_innen auch negativ star-ken Frauenfiguren und feministischen angemerkt wird: Sie gehe gewissermaßen als Charakteren. Starke Frauen werden entworfen, weil es Mann durch. Valerie Estelle Frankel sagt über eine Frauen-bewegung gab, die Rollenbilder veränderte, den Typus warrior woman, den sie unter anderem so dass brave, naive Figuren heute nicht mehr als bei Brienne sieht: Identifikationsmodelle taugen. Zuschauerinnen wollen The warrior women are second-wave feminism’s ideal: heute starke Frauenfi-guren. Explizit feministische career-focused and completely independent without spouse Figuren sind hingegen im-mer noch rar. (Scholz 2010: o.S.) or children, equal to ‘the boys,’ immune to love or softer emotions. As discussed, however, these women have all Betrachtet man die Figur von Brienne of Tarth cast aside all traces of femininity to compete with men als phallische Frau oder als Frau mit female mas- and thrive in a man’s world. (Frankel 2014: 48) culinity, ist die Frage nach ihrer möglichen Inter- Die offensichtliche Nähe zur Männlichkeit pretation als feministische Serienfigur noch bzw. männlichen Position ist zwar da, dennoch nicht geklärt. Wie feministisch kann eine männli- wird Brienne auch immer wieder als Frau mit che Weiblichkeit sein? In diesem theoretischen hetero-sexuellem Begehren22 dargestellt und Widerstreit können folgende Argumente für sieht sich auch selbst als Frau.23 Wenngleich feministisches Potential sprechen: Die phalli- Emotio-nen und Weiblichkeit auf einer Meta- sche Frau zeichnet sich durch eine alternative Ebene diskutiert und ausgehandelt werden, Weiblichkeit aus, die Stärke und Unabhängigkeit werden sie stets verunmöglicht.24 Nicht von Männern symbolisiert. Im Fall von Brienne Brienne selbst stellt ihre Weiblichkeit immer ist sie eine Figur, die ihre eigenen Aufgaben und wieder auf den Prüfstand: Es ist die Gesell- Missionen verfolgt, sich viele Male gegen männ- 22 Sie begehrt beispielsweise Jaime Lannister und Lo-ras liche Gegner behauptet – sowohl in der Tat als Tyrell. auch rhetorisch – und auch von einigen männli- 23 Vergleiche hierzu beispielweise ihren Ausspruch zu Jaime Lannister: „And I’m a woman. I was still beating chen wie weiblichen Charakteren Anerkennung you” (S03E03). erlangt. Mit ihrer Figur stellt sie eine erfolgrei- 24 Beispielsweise als sie Podrick Payne von einer Ball- che Subversion im Mainstream-TV etablierten nacht in ihrer Jugend erzählt, in der sie gedemütigt Weiblichkeitsdarstellungen dar. Gegen eine wurde (S05E03).

12 Gender(ed) Thoughts, Working Paper Series 2020, Volume 2 Jäntschi: Untersuchung von Weiblichkeitsdarstellungen in der Serie Game of Thrones schaft um sie herum, die diese in Frage stellt Brienne of Tarth hingegen wird in Blogbei- oder die defizitäre Weiblichkeitsperformanz trägen der Game of Thrones-Community kaum als sanktioniert. Ausnahmen bilden die Szenen mit feministisch betitelt. Allgemein gilt sie weniger Tormund Giantsbane, die deswegen in diesem als eine Hauptfigur der Serie. Ihr Charakter Artikel besondere Beachtung erfahren haben schafft es dennoch zunehmend, eine beim Pub- und Potentiale feministischer Weiblichkeitsdar- likum beliebte Figur zu sein, die eine männliche stellungen andeuten. Rolle einnimmt und sich dennoch als Frau be- hauptet. Ob ihre Weiblichkeitsinszenierung ge- lingt, ist allerdings umstritten, da sie ihre Weib- 6 Fazit und Ausblick lichkeit aufgeben muss, um als Ritterin agieren Dieser Beitrag hat die Weiblichkeitsdarstellun- zu können. Die Episoden mit Tormund Gi- gen der fiktiven Seriencharaktere Daenerys antsbane und dem hier postulierten feminist gaze Targaryen und Brienne of Tarth mit Hinblick bietet allerdings hohes Potential für eine femi- auf auf ihre feministischen Potentiale hin nistische Interpretation ihres Charakters, da ihre analysiert. Daenerys wird in Teilen der female masculinity letztendlich doch Anerkennung Fangemeinde als feministische Heldin gefeiert, mit ihrer Weiblichkeit erfährt. weil sie eine erstrebenswerte Figur in der zeit- Das Verhältnis von Weiblichkeit und femi- genössischen Medienlandschaft abbildet – einen nistische Bewertung medialer Frauenfiguren ist dreidimensionalen, weiblichen, nach Macht sicherlich umkämpft; die Serie Game of Thrones strebenden und gleichzeitig auf Gerechtigkeit bietet allerdings eine interessante und vielseitige bedachten Charakter. Vernachlässigt wird in Bühne für diese Aushandlungen. Die siebte und diesen Bewertungen aber, dass sie immer wieder achte Staffel bietet hier sogar noch mehr An- einem explizit männlichen Blickregime ausge- knüpfungspunkte, die es in einer weiteren Un- setzt ist und ihr Charakter nicht ohne Körper- tersuchung herauszuarbeiten gelte, sowohl was zentrierung und Sexualisierung auskommt. Der den Aufstieg und Fall von Daenerys als auch die Preis für ihre Mächtigkeit ist die Explizitheit ih- Anerkennung von Brienne angeht. Die Serie res nackten Körpers. Es lässt sich festhalten, leistet einen Beitrag dazu, den Diskurs um dass die Tat eines weiblichen Charakters, starke und auch feministische Frauenfiguren zu prägen, die sich um ihrer Emanzipation wil-len welcher aus analytischer Sicht feministisch neue Handlungsräume erschließen. gelesen werden kann, dann an emanzipato- rischem Gehalt verliert, wenn der Charakter wenn der Charakter filmisch eine objektifizie- rende Inszenierung erfährt. Literatur Albone, Hannah (2013a). „Game of Thrones Essay Collection: Women, Sex, Exploitation and Em- powerment Volume 1: Daenerys Targaryen“. In: hjalbone media. URL: https://hjalbonem edia.wordpress.com/2013/06/24/game-of-thrones-essay-collection-women-sex-exploitatio n- and-empowerment-volume-1-daenerys-targaryen/ <29.03.2017>. – (2013b). „Game of Thrones Essay Collection: Women, Sex, Exploitation and Empowerment Volume 2: Brienne of Tarth“. In: hjalbone media. URL: https://hjalbonemedia.wordpress.com/2013/08/02/game-of-thrones-essay-collection-women- sex-exploitation-and-empowerment-volume-2-brienne-of-tarth/ <29.03.2017>. Butler, Judith (1991). Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt am Main: Suhrkamp. – (1995). Körper von Gewicht. Frankfurt am Main: Suhrkamp. – (2009). Körper von Gewicht. 6. Auflage. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Gender(ed) Thoughts, Working Paper Series 2020, Volume 2 13 Jäntschi: Untersuchung von Weiblichkeitsdarstellungen in der Serie Game of Thrones

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Episodenangaben von Game of Thrones S01E01. Winter Is Coming (2011). Regie: Timothy Van Patten. Drehbuch: David Benioff und D. B. Weiss. US: HBO. 62 Min. S01E10. Fire and Blood (2011). Regie: Alan Taylor. Drehbuch: David Benioff und D. B. Weiss. US: HBO. 52 Min.

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S02E03. What Is Dead May Never Die (2012). Regie: Alik Sakharov. Drehbuch: David Benioff und D. B. Weiss. US: HBO. 53 Min. S02E05. The Ghost of Harrenhal (2012). Regie: David Petrarca. Drehbuch: David Benioff und D. B. Weiss. US: HBO. 55 Min. S02E06. The Old Gods and the New (2012). Regie: David Nutter. Drehbuch: David Benioff und D. B. Weiss. US: HBO. 55 Min. S02E08. The Prince of Winterfell (2012). Regie: Alan Taylor. Drehbuch: David Benioff und D. B. Weiss. US: HBO. 54 Min. S03E03. Walk of Punishment (2013). Regie und Drehbuch: David Benioff und D. B. Weiss. US: HBO. 56 Min. S03E04. And Now His Watch Is Ended (2013). Regie: Alex Graves. Drehbuch: David Benioff und D. B. Weiss. US: HBO. 53 Min. S03E05. (2013). Regie: Alex Graves. Drehbuch: David Benioff, D. B. Weiss und Bryan Cogman. US: HBO. 57 Min. S03E07. The Bear and The Maiden Fair (2013). Regie: Michelle MacLaren. Drehbuch: David Benioff und D. B. Weiss. US: HBO. 59 Min. S04E04. Oathkeeper (2014). Regie: Michelle MacLaren. Drehbuch: David Benioff, D. B. Weiss und Bryan Cogman. US: HBO. 56 Min. S04E05. First of His Name (2014). Regie: Michelle MacLaren. Drehbuch: David Benioff und D. B. Weiss. US: HBO. 53 Min. S04E10. The Children (2014). Regie: Alex Graves. Drehbuch: David Benioff und D. B. Weiss. US: HBO. 65 Min. S05E03. High Sparrow (2015). Regie: Mark Mylod. Drehbuch: David Benioff und D. B. Weiss. US: HBO. 60 Min. S06E01. (2016). Regie: Jeremy Podeswa. Drehbuch: David Benioff und D. B. Weiss. US: HBO. 50 Min. S06E04. Book of the Stranger (2016). Regie: Daniel Sackheim. Drehbuch: David Benioff und D. B. Weiss. US: HBO. 59 Min.

Gender(ed) Thoughts, Working Paper Series 2020, Volume 2 15 gender thoughts New Perspectives in Gender Research Working Paper Series 2020, Volume 2 DOI: 10.3249/2509-8179-gtg-16

Kommentar Dr. Tullio Richter-Hansen1 1 Freie Universität Berlin; [email protected]

„Medien und Gender sind mit ihren Objekten verstrickt und auch miteinander.“ Diese simpel Paradigmen der Medienforschung anmutende These von Kathrin Peters und An- Gerade weil Gender-Medien-Forschung per se drea Seier (2016: 14) ist von enormer Tragweite. disziplinäre Grenzen überschreitet, scheinen mir In ihr verdichtet sich die Ansicht, dass beide innerhalb dieses Geflechts gewisse methodolo- Konzepte einander ko-konstituieren, also in gische Unter- und Entscheidungen unvermeid- letzter Konsequenz nicht getrennt verstanden lich. Die Befragung medialer Artefakte, Ak- werden können: Medienvorstellungen erschei- teur*innen und Verhältnisse ist im deutschspra- nen ebenso stets gegendert wie Gendervorstel- chigen Raum in zwei akademische Fachgebiete lungen stets medialisiert. Diese in meiner Lesart verzweigt, die etliche Fächer beherbergen: ei- relationale Konstellation gilt auch für die wissen- nerseits kommunikationswissenschaftliche und schaftliche Untersuchung beider Konzepte, ihre andererseits medien(kultur)wissenschaftliche. transdisziplinäre Verschränkung wirft grundle- Diese Grenzziehung kann und sollte kritisch gende methodische Fragen auf. Über einige die- diskutiert werden, sie besteht jedoch im ser Problemstellungen nachzudenken, dazu gibt praktischen Vollzug der jeweils priorisierten Katharina Jäntschis Beitrag Anlass. Jäntschis Erkenntnisinteressen und Methoden: Während enorm wichtiges Anliegen, der ebenso breit re- auf Mediennutzung und -wirkung konzentrier- zipierten wie umstrittenen Inszenierung von te Kommunikationswissenschaft vorwiegend Weiblichkeit in der Serie Game of Thrones auf den mit empirischen Mitteln und damit tendenziell Grund zu gehen, möchte ich schlaglichtartig sozialwissenschaftlich operiert, versteht sich methodologisch situieren und einige ergänzende Medienkulturwissenschaft in ihrer v.a. ästhe- Zugangs- bzw. Sichtweisen vorschlagen. Mein tischen und historischen Orientierung als zentraler Gedanke ist es, das Prinzip einer kon- geisteswissenschaftliche Kulturforschung. Hin- stitutiven Relationalität für die verstrickte Un- zu kommen unterschiedliche theoretische tersuchung von Serien und Gender produktiv Genealogien, begriffliche Apparate und Praxis- zu machen. Auch Jäntschis Themenstellung lie- bezüge. ße sich insofern gewinnbringend weiterver- Bislang nicht eigens institutionalisiert, folgen, indem sie noch stärker in den Mittel- kann Serienforschung einerseits etwa auf die punkt rückt, wie die Kategorien Geschlecht Vermittlung kommunikativer Botschaften zie- und Medien sich gegenseitig beeinflussen und len, serielle Formate andererseits etwa als bedingen. medienästhetisches Dispositiv untersuchen. Mit einigem Mehraufwand können beide Methodenparadigmen sicherlich durchaus pro- duktiv kombiniert werden (z.B. Bee 2018).

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Am vorliegenden Gegenstand könnte das analyse rezipiert allerdings ihrerseits, ist also heißen: anhand einer qualitativen Studie Teil des prozessualen Gefüges. Dieser Umstand konkrete Rezeptionsweisen von Game of Thrones ist stets produktiv einzubeziehen: Aus wel- zu erheben, diese mit einer systematisierten cher Warte bearbeiten wir unter welchen Formanalytik zu konfrontieren und schließlich Bedingungen das audiovisuelle Material? Wenn deren Verhältnis serientheoretisch zu syn- wir Medien nicht nur als Repräsentationen ge- thetisieren. Gerade für kleinere Arbeits- sellschaftlicher (Gender-)Vorstellungen auf- formate ist ein solches transmethodologisches fassen, sondern auch als Ko-Konstruktionen Wagnis wenig ratsam. Auch wer sich aus ebendieser Vorstellungen: Wie konzeptualisie- pragmatischen Gründen auf eine der beiden ren wir dann das Scharnier zwischen Media- Methodologien fokussiert, sichert durch den lem und seinem Äußeren? Und vor allem: konsequenten Einsatz der jeweiligen Begrifflich- Was bringen unsere Zugriffe ihrerseits her- keiten und Werkzeuge die innere Konsistenz vor? Diese Fragen sollen nicht zu einem der eigenen Studie. Bei einer gründlichen möglichst neutralen Standpunkt animieren, medienästhetischen Figurenanalyse beträfe dies sondern ganz im Gegenteil für unser eigenes, etwa die präzise Differenzierung von Charakter ganz unvermeidliches Hervorbringen von Wissen und Figur, von gesellschaftlichen und fiktionalen sensibilisieren. Rollen, von Performativität und Performanz. Sie Diese Problematik der Rezeption hätte an kurzen Beispielszenen sehr detailliert durchkreuzt den analytischen Umgang mit der multiple Aspekte der Inszenierung herauszuar- Ebene der Medienproduktion. Es scheint mir beiten, einschließlich der auditiven Ebene. An- fraglich, inwiefern über den Verlauf von acht gesichts des erheblichen Umfangs serieller Serienstaffeln inszenierten fiktionalen Figuren Erzählungen ist es eine große Herausfor- eine eindeutige Gender-Perspektive unterstellt derung, explizit exemplarisch zu arbeiten, d.h. werden kann. Fragen nach der Au- (selbst)bewusst entlang der Prägnanz szenischer tor*innenschaft werfen weitere nach der Me- Eingrenzungen. thodik auf: Eine fundierte Argumentation mit vorherrschenden Intentionen seitens der Serienschaffenden (welcher?) wäre wohl allen- Achsen der Perspektivität falls empirisch zu sichern. Der von Jäntschi genannte Ansatz von Laura Anhand der beiden von Jäntschi unter- Mulvey (1975) kann helfen, einige wesentliche suchten Serienfiguren lassen sich demgegen- Gefahren und Chancen der breit gefächerten über relationale Ansätze feministischer Me- Frage der Perspektivität (in) der Gender- dienkulturwissenschaft konkretisieren: Als Kri- Medien-Forschung nachzuvollziehen. Zunächst tik an den sexistischen Implikationen des ex- ist zu betonen, dass sich Mulveys feministisch- zessiven Ausstellens weiblicher Körper in Game filmtheoretisches Konzept des male gaze keines- of Thrones ist es wichtig, eine Figur wie Dae- wegs auf gegenderte Blickachsen innerhalb der nerys Targaryen aus genderpolitischer Sicht Diegese beschränkt, sondern den Blick der Ka- als problematisch ausgestaltet auszuweisen. mera sowie den des Publikums einschließt. Zu- Diese Erkenntnis kann aber keine weitere In- mindest in meiner heutigen Lesart liegt der ent- terpretation „verunmöglich[en]“ – erst recht scheidende Punkt in der Relationalität dieser keine feministische. Meine Anregung ist es Achsen – wobei Mulvey eine Subordination der vielmehr, an derartigen Reibungspunkten über- Kamera- und Publikumsblicke unter die diegeti- haupt erst anzusetzen und gerade in die schen Blicke feststellt. Abstrahiert erlaubt es das Schwierigkeiten, Geflechte und Ambivalenzen Konzept, mediale Genderdarstellungen (ver- solcher Genderdarstellungen ‚hineinzufor- kürzt) als relationales Dreieck vorzustellen, in schen‘. Feministisch-medienwissenschaftlich dem sich Produktion, Ästhetik und Rezeption können wir in diesem Sinne entlang ganz konkreter ästhetischer Strategien wechselseitig aufeinander beziehen. Jede Medien- argumentie- ren, flankiert von diskursiv-materiellen Um- 2 ständen.

Gender(ed) Thoughts, Working Paper Series 2020, Volume 2 T. Richter-Hansen: Kommentar zu Jäntschi: Untersuchung von Weiblichkeitsdarstellungen

Ein Beispiel hierfür ist die Debatte um die nahme ausgehen, dass beide Gegenstands- vertragliche Reglung von Nacktszenen der bereiche und unsere Zugriffe auf sie in einem Darstellerin Emilia Clarke, die auf sehr allseitigen Bedingungsverhältnis zueinander grundlegende, prekär verflochtene Fragen von stehen. Es ginge also um Relationalität als ein Weiblichkeit, Medialität und Ökonomie übergreifendes Gedankengerüst, aus dessen verweist. verstrickter Anordnung in Einzelanalysen ganz explizit nur einzelne Stränge herausge- zogen und beleuchtet werden (können). Queering Gender Media Wenn Haraways SF-Konzept (2016) „specula- Mulveys gaze-Modell ist auch von feministischer tive feminism“ und „string figures“ (Fadenfigu- Seite vielfach kritisiert, variiert und erweitert ren) vorschlägt, meint das alles andere als belie- worden. Oft geäußerte Einwände, wie v.a. ge- bige Verknüpfungen. Gerade in einer relationa- gen das allzu fatalistische Dilemma ihrer Rezipi- len Untersuchung von Gender und Medien entin (Doane 1982) und die implizite ‚Weißheit‘ bräuchte es vielmehr – um Haraways ernsthafte des Modells (hooks 1992), sollten auch in heuti- SF-Sprachspiele entlang meiner o.g. Argumente gen Fragestellungen nicht ausgeblendet werden. weiterzuspinnen – subjektivierende Formanaly- Gerade mit Autor*innen wie Judith Butler sen, stringentes Fabulieren und spezifische Fi- und Judith [Jack] Halberstam scheinen gurationen. Gender-Medien-Analysen jenseits binärer Ord- Katharina Jäntschis Beitrag wirft vielfältige nungen möglich und nötig. Muss Daenerys‘ Fragestellungen auf, an die in diesem Sinne an- körperbetonende Weiblichkeit zwangsläufig geschlossen werden kann und sollte. Es gälte dann, in Hinblick auf theoretische Kon- gegen vermeintlich (!) männliche Qualitäten wie Personalführung positioniert werden? Muss die zepte und mögliche Ergebnisse perspekti- visch offener zu arbeiten – den Zugriff in serielle Darstellung Briennes in heteropa- Hinblick auf die Gegenstände und Metho- triarchalen Kategorien von Gender und Sexua- dik der Analyse dagegen enger einzu- lität aufgehen? Oder kann es nicht vielmehr grenzen. So können anhand konkreter Ver- gerade der Einsatz feministischer Neu- strickungen von Serienästhetik und Ge- perspektivierungensein, durch normative schlechterpolitik gleichzeitig weitere Er- Ausschlussdifferenzierungen im Barad’schen kenntnisse zum grundlegenden Verhältnis Sinne hindurchzudenken? Im Falle der Figur von Medien und Gender gewonnen werden. Brienne of Tarth könnten queer- und trans- Konzepte helfen, zugunsten konstitutiver Un- eindeutigkeiten und Überlagerungen hartnäckige Geschlechteressenzen und Ja/Nein-Dichoto- mien (hier: das Gelingen/Scheitern von Weib- lichkeit) zu vermeiden. In der Tat deutet eine analytisch und theoretisch fundierte Abkehr von ‚klaren Verhältnissen‘ direkt auf die ein- gangs behauptete Gender-Medien-Relationalität. Im Anschluss an die These von Peters und Seier sowie inspiriert durch Karen Barad (2007), Butler (2020) und Donna Haraway (2016) möchte ich daher perspektivisch für eine relationale Methodologie queerfeministischer Medienforschung plädieren. Auch die Gender- Serien-Forschung müsste dann von der Grundan-

Gender (ed) Thoughts, Working Paper Series 2020, Volume 2 3 T. Richter-Hansen: Kommentar zu Jäntschi: Untersuchung von Weiblichkeitsdarstellungen Literatur

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