Inklusion Im Bildungswesen Eine Große Herausforderung!
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aus der anthroposophischen Arbeit in Deutschland Ausgabe 11/2012 November Ein Leben sprühender Leib (an) Zwei bemerkenswerte Sätze können die Inklusion im Bildungswesen Leserinnen und Leser dieser Ausgabe der «Mitteilungen” in Franziska Bücklers Bericht von der Kölner Tagung «ZeitZeichenZwölf» lesen: eine große Herausforderung! « …denn die Zeit der Zweige ist wieder im Kommen, und durch sie entsteht ein gesunder Blutkreislauf, welcher auf den Gesamtorganis- mus belebend wirkt. Anthroposophie braucht Johannes Denger als eine Inkarnationsbedingung einen Leben sprühenden Leib.» Genau danach wurde im Editorial der Oktober-Ausgabe schon gefragt: In der Juli-Ausgabe hatten wir durch Johannes Denger bereits von den gewaltigen Umwäl- «Was bewegt uns»? Und es wurde hingewiesen zungen im Bereich der heilpädagogischen Bewegung erfahren, die auf gesellschaftliche auf die in der Eurythmie (What moves you?- Wandlungen im Hinblick auf das Verständnis von Menschen mit Behinderung zurück- Projekt in Berlin) bewegte Jugend. Franziska zuführen sind. Diese Veränderungen betreffen nun aber nicht nur die heilpädagogische Bücklers gehört ebenfalls zu dieser Jugend, Bewegung, sondern auch die Waldorfschulen. Davon wird im Folgenden berichtet, weil und mit der Kölner Tagung ist es ihr wohl diese Veränderungen zugleich das anthroposophische Menschenverständnis betreffen tatsächlich gelungen, unsere Gesellschaft in und insofern auch im Bewusstsein der Mitglieder der Anthroposophischen Gesellschaft in Bewegung zu bringen. Dafür sei ihr auch von Deutschland leben sollten. dieser Stelle aus herzlichst gedankt! «Inklusion» ist als ein gesellschaftlicher Schlüs- Eichholz weiter unten stehende «Grundle- selbegriff unserer Zeit in aller Munde. Zwar gende Gesichtspunkte zur Verwirklichung von Die Zeitenwende in der geht das Thema weit über die schulische Inklu- Inklusion im Bildungswesen» erarbeitet und Anthroposophischen Gesellschaft sion hinaus, aber in der Schule wird es beson- verabschiedet. Nach einem bundesweit ange- Hartwig Schiller schaut im zweiten Teil seiner ders konkret greifbar, zumal ein Bewusstsein kündigten «Thementag Inklusion» im Februar Serie auf den sogenannten «äußeren Kräftevor- der Dazugehörigkeit aller Menschen – z.B. mit in Kassel, an dem über 630 interessierte Kolle- stand», ein Verbund von Mitarbeitern aus ganz und ohne ausgesprochene Behinderung – als gInnen aus Waldorfschule, Kindergarten und Europa, die Rudolf Steiner um den Vorstand am zukünftige gesellschaftliche Realität am ehesten Heilpädagogik teilnahmen, werden der Bund Goetheanum herum gruppieren wollte. in der Schule vorbereitet und geübt wird. Die der Freien Waldorfschulen, der Verband für Seite 4 und 5 Bundesrepublik Deutschland befindet sich in anthroposophische Heilpädagogik, Sozialthe- der Umsetzung der Ziele der UN-Konvention rapie und soziale Arbeit und die Vereinigung Erkennen und Erleben an der Schwelle über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, der Waldorfkindergärten vom 27. – 29. Sep- Nach konstruktiven Gesprächen über gei- gerade was den Veränderungsbedarf in der tember 2013 einen gemeinsamen Kongress zu stiges Erleben und Geisteswissenschaft der Schule angeht, in einer ausgesprochen ambi- Inklusion in Berlin veranstalten. Hier entsteht Gegenwart haben sich Judith von Halle und valenten Phase. Einerseits werden die Ideale eine fruchtbare, zukunftsträchtige Zusammen- Freunde ihrer Arbeit mit einigen Mitgliedern der Teilhabe und Selbstbestimmung propagiert, arbeit der drei Verbände! des Arbeitskollegiums der deutschen Landes- andererseits existiert hierzulande ein differen- gesellschaft zu einem öffentlichen Austausch ziertes Sonderschulwesen mit einem hohen Grundlegende Gesichtspunkte zur Ver- über diesen Themenkreis verabredet. Einla- fachlichen Standard, das aber per se segregie- wirklichung von Inklusion im Bildungs- dung zu einer Tagesveranstaltung nach Essen rend wirkt. So besuchen europaweit ca. 20% wesen auf der SchülerInnen mit besonderem Förderbedarf Seite 6 eine Sonderschuleinrichtung, während 80% «Ich bin gar nicht nur im Zentrum, ich bin gleich- integriert oder inkludiert unterrichtet werden. zeitig auch in den anderen Menschen; wenn ich Anthroposophie als Wissenschaft In Deutschland ist es genau umgekehrt: ca. 80% nicht auch in ihnen wäre, dann wäre ich über- Jost Schieren hat mit einem Aufsatz zur Wissen- besuchen besondere, 20% integrierende oder haupt nicht. Man ist zugleich im Zentrum und schaftlichkeit der Anthroposophie eine breite inkludierende Schulen. Der Umbau verlangt, im Umkreis, und man entdeckt in sich ein höheres Diskussion zu diesem Thema ausgelöst. In wenn man ihn ernst nimmt, nach einer Revo- Selbst, das auch wahres Selbst genannt werden einer Veranstaltung in Stuttgart wir er sich der lution im Schulwesen, gleichzeitig aber nach kann, das man im tiefsten Innern und gleichzeitig Diskussion mit Lars Grünewald und den Zuhö- einem verantwortungsbewussten Umgang von in den anderen Menschen im Umkreis findet.» rern stellen. Einladung auf Fachleuten und Politikern mit den menschen- (Jörgen Smit, Meditation und Christuserfah- Seite 6 rechtlichen Zielen, ohne einzelne Kinder als rung ) quasi «Kollateralschaden» auf der Strecke zu tegut wird von Migros übernommen lassen. 1. Durch die UN-Konvention über die Rechte Die Schweizer Migros übernimmt die tegut- Vor diesem herausfordernden Hintergrund von Menschen mit Behinderungen (BRK) Kette des anthroposophischen Unternehmers stellt sich auch die Waldorfpädagogik der epo- ist «Inklusion» zu einem Schlüsselbegriff Wolfgang Gutberlet. chalen Aufgabe. Der Arbeitskreis Inklusion Seite 8 hat unter der Federführung von Dr. Reinald Fortsetzung Seite 2 1 Inklusion im Bildungswesen Diskriminierung aufgrund von Behinde- das einzelne Kind in der Gemeinschaft im rung» (Art. 5 BRK). Die «uneingeschränkte Mittelpunkt steht. Die zunehmende Indi- Fortsetzung von Seite 1 Teilhabe» im «Gefühl der Zugehörigkeit» vidualisierung des Daseins kennzeichnet (Präambel Buchst. m BRK) ist Ausdruck der heute aber mehr noch als früher auch des Bildungswesens geworden. Die Staa- «angeborenen Würde und der gleichen und Kindheit und Jugend. Am Lebensort der tenverpflichtung, ein «inklusives Bildungs- unveräußerlichen Rechte aller Mitglieder Schule müssen daher individuelle Lernorte system» zu schaffen, und jedem Kind mit der Gemeinschaft der Menschen» (Satz 1 für verschiedene Lebens- und Lernwege Behinderung «ohne Diskriminierung» den der Allgemeinen Erklärung der Menschen- ausgebaut werden, die jedem Kind die Ent- Zugang zum allgemeinen Bildungssystem rechte) und damit der Menschenwürde faltung der in ihm liegenden Möglichkeiten zu gewährleisten (Art. 24 II BRK), wirkt selbst. erlauben. Differenzierung des Lernens und sich bis in die tägliche Praxis des Lebens 5. Das Übereinkommen über die Rechte von der Lernformen ist notwendig – als Binnen- und Lernens vor allem in der Schule aus. Menschen mit Behinderungen vertieft differenzierung und ‚zieldifferentes Lernen‘ Der individuelle Anspruch jedes Kindes mit das Menschenrechtsverständnis, indem gerade auch da, wo gemeinsam gelernt Behinderung, «nicht vom allgemeinen Bil- sie Menschenwürde und Inklusion nicht wird. Herkömmliche Unterrichtsformen dungssystem ausgeschlossen (zu werden)», nur als Grundwerte objektiv anerkennt, müssen überdacht und diesen Bedürfnissen erhöht den Veränderungsdruck, auch wenn sondern fordert, dass sich Menschenwür- angepasst werden. Dabei gilt es auszu- die deutschen Gerichte ein unmittelbar de und Selbstwertgefühl – sense of dignity schöpfen, dass sich Lernen wie schon im einklagbares Individualrecht bisher nicht und self-worth (Art. 24 BRK) – sowie das Kleinkindalter nicht nur im aufmerksamen anerkannt haben. Recht auf Teilhabe – sense of belonging, also Ergreifen des jeweiligen Lerngegenstandes 2. Die in der Konvention ausdrücklich für das Gefühl der Zugehörigkeit (Präambel vollzieht, sondern auch in Tiefenschichten, Anthroposophische Gesellschaft Anthroposophische Menschen mit Behinderung anerkannten Buchst. m BRK) – in der konkreten Leben- in denen im Zusammenleben der Kinder Rechte haben ihre Quelle in der Men- sumgebung dem Fühlen des Menschen und Jugendlichen wechselseitiges Lernen schenwürde. Sie ist die allen Menschen auch subjektiv mitteilen. Inklusion erschöpft stattfindet und grundlegende Qualitäten geschuldete Anerkennung ihres individu- sich daher nicht in dem Bekenntnis der wie die Achtung des Anderen, Initiative und ellen Menschseins und ihrer unbedingten Zugehörigkeit zur menschlichen Familie, Verlässlichkeit, Teamfähigkeit und Verant- Zugehörigkeit zur menschlichen Gemein- sondern verlangt menschliche Nähe, die im wortung praktisch angelegt und ausgebildet schaft. Der menschenrechtliche Gehalt der Alltag des Lebens das Gefühl der diskrimi- werden. Inklusion ist deshalb kein Sonderrecht für nierungsfreien Zugehörigkeit zum Ganzen 8. Insbesondere die ‚inklusive Waldorfschule‘ Menschen mit Behinderung, sondern bringt spüren lässt. Die Beheimatung in der mensch- braucht die Kompetenzen der in den Schu- ein für alle Menschen geltendes Grundver- lichen Gemeinschaft muss als Grundgefühl len praktizierten Waldorfpädagogik eben- ständnis von Menschenwürde und Men- für Menschen mit und ohne Behinderung so wie die der Heilpädagogik. Inwieweit schenrechten zum Ausdruck. Diese Rech- erlebbar werden. Gemeinschaft bedeutet allgemein-menschenkundliche oder heil- te gelten universell in allen menschlichen menschenrechtlich indessen nicht ständige pädagogische Gesichtspunkte zum Tragen Zusammenhängen. Gemeinsamkeit. Vielmehr gehört es zu