Heiko Christians «Daß der wirkliche Vielfraß vor dem gezeichneten Vielfraß sitzt». Rolf Buschs Fernsehspiel Ami go home oder Der Fragebogen (1985) nach Ernst von Salomons Bestseller von 1951

Während der ersten anderthalb Jahrzehn- naheliegend. Monk ging den Weg nach einer te nach dem Weltkrieg wurde auf einigen sehr kurzen Lehrzeit, in der die Produktio- deutschen Theatern eine verhältnismäßig neue Spielweise ausprobiert, die sich, wegen ihres deutlich referierenden, be- nenJürgen schnell Syberberg schon 1953,filmisch der dokumentiert selbst einen schreibenden Charakters und weil sie sich wurden –vergleichbar z. B. kurzen von dem Anlauf sehr für jungen diesen Hans- Me- kommentierender Chöre und Projektio- dienwechsel nahm.3 Aber Monk kann es nen bediente, ‹episch› nannte. uns auch kurz selbst erzählen: , «Die Strassenszene. Grund- Film: modell einer Szene des epischen Theaters» Schreibtisch einen Brechtband liegen, Ver- [1940]1 suche Herr1–12 , Monk,und es ich ist sehe sicher hier kein auf Zufall,Ihrem daß dieses Buch hier liegt. Nun laufen in 1. Film oder Theater? - schüler herum, als Brecht jemals Schüler Egon Monk kam vom Theater, von Brechts gehabtDeutschland haben ja kann; gegenwärtig doch Sie mehrsind wirklich Brecht Theater, ging zum Film, genauer: zum Fern- ein Schüler von ihm gewesen? Monk: - (in der Form des ) wieder The- Fernsehspiels gagiert und war bis um Mai 1953 bei ihm; sehen ater. Man – und könnte machte das aus so sehen,dem Fernsehfilm man muss im erstenJa. Jahr Ich alswurde Assistent 1949 undvon SchauspieBrecht en- es aber nicht so sehen. Einige Einsprüche: ler, obwohl ich nie gespielt habe, von da an Brecht selbst kam vom Film, oder wollte weiter als Assistent und als Regisseur. Film: Wann sind Sie von Brecht fortgegan- gen? Noch als er lebte? zumindestWolfgang Gerschs zum Kinofilm. Film bei DasBrecht kann von man 1973, in der großartigen Ostberliner Dissertation, - reichte Brecht in den 1920er-Jahren ein – einbis heuteanderer, nachlesen. Arnolt UnzähligeBronnen, hatDrehbücher darüber 1 BertoltWerke. Brecht: Große «Die kommentierte Strassenszene. Berliner Grundmo und ein ganzes Buch geschrieben.2 Brecht woll- dell einer Szene des epischen Theaters » [1940]. In: te, in Auseinandersetzung mit dem Kino, FrankfurterSonderausgabe Ausgabe. in 32 Teilbänden. Hrsg. v. Werner Frankfurt Hecht, a. Jan M. ein anderes Theater machen – aber nicht Knopf,2006, Bd. Werner 22.1, S.Mittenzwei, 370. Klaus-Detlef Müller. einfach als Kino. Egon Monk kam also tat- 2 Vgl. Arnolt Bronnen: Tage mit Bertolt Brecht. Ge- sächlich von einem Theatermann her, der schichte einer unvollendeten Freundschaft. Mün- chen 1998. das Kino (und das Fernsehen) schon in sich 3 Siehe hatte. So war der Weg heraus einfacher, ja Brecht. Urfaust, (Dok. 8 mm, R.: Hans-Jürgen Syberberg). 232 «Daß der wirkliche Vielfraß vor dem gezeichneten Vielfraß sitzt».

Monk: Ja, das war ein paar Wochen vor men sind also von Anfang an nicht so groß: dem 17. Juni. Monks Fallada-Fernsehspiel - Film: Sind Sie dann gleich in den Westen von 1973 wirkt wie ein gegangen? Bauern, Bon Monk: Ja. zen und Bomben Film: Sie gingen dann aber nicht zum The- draußenfilmisch dokumentiertesnach Bildern von Kammerspiel George Grosz. mit ater, sondern sofort zum Fernsehen? KurtHörspiel- Tucholsky und Freiluftanteil – hatte das 1931 drinnen allerdings wie Monk: Ja, ich bin zuerst zurückgegangen schon dem Roman attestiert: «George zum Theater, das heißt, ich habe es ver- Grosz, der du das Titelbild hättest zeichnen sollen, das lies du! Es ist dein Buch.»6 Monk, inszeniert, bei Professor Schuh an der das können wir voraussetzen, nahm Tu- sucht. Ich habe in aber nur einmal cholsky sehr ernst. Sein großartiger Mehr- Film: Was haben Sie dort inszeniert? teiler über Monk:Volksbühne … - lag zwischen seiner (aufgezeichneten) Räu- führung des ersten Oelschlegel-Stücks ber Bauern, Bonzen und Bomben- Romeo undDas Juliawar indie Berlin theatralische. Bei uns hatte Urauf es ten (für die Aufzeichnung vorgesehenen) aber nicht diesen Titel, sondern es hieß -Inszenierung von 1969 und der zwei Zum guten Nachbarn. von 1975. Film: Und dann sind Sie hier zum Fernse- Inszenierung von Brechts Die Gewehre hen gegangen? derSujets, Frau Kunstformen Carrar und Medientechni- Monk: kenDie viele Ensembles Überschneidungen wiesen quer auf: durch Ernst dieJa- Berlin für den Rundfunk gearbeitet, ich habe zumNoch Teil nicht. geschrieben, Ich habe zumdann Teilerst inin- wenncobi spielte sie fast immer die Hauptrollen, immerGert Haucke entscheidend oder Edgar bei Bessen den Nebenrollen mischten – szeniert, und zwar bis zum Jahr 1957. Im nicht die Hauptrolle hatten – fast- Herbst dieses Jahres bin ich nach - zwischen mit dem bis heute verstörenden gekommen. Hier war ich allerdings auch mit.Fernsehspiel Das Jahr (man 1970 müssteschiebt eigentlichsich noch daein zuerst beim Hörfunk, als Hörspieldrama- turgabteilung in der hier Hörspielabteilung leite ich seit Jahresanfang des NDR, bis werden) - 1960.zum Winter 59/60. Diese Fernsehspiel neues Genre erfinden, (frei nach um den ihm an gerecht bürgerli zu- 4 chen WändenIndustrielandschaft hängenden Standard-Ölge mit Ein- zelhändlern - - Vielen Dank, Herr Monk. Schön auch, dass – mälden). Auch hier der wuchtige Gert Hau laut Fachpresse – der WDR ab 1965 eben (seines Lebens) sahen wir den nun – spät – voncke. seinerAber in SS-Vergangenheit der übersehenen eingeholtenHauptrolle fallsvorbei.» auf 5Ihre Linie einschwenkte: «Die Zeit- deder zwischenKonzeptlosigkeit den Medien beim undWDR Kunstfor ist nun- Wie auch immer. – Die Abstän Bemerkenswert auch, wer sonst noch al- lesHorst im Tappert.Umfeld von Monks Produktionen be- - - ressieren mich nicht» (= Junge deutsche Regis- bert, Arno Assmann, Siegfried Wischnew- 4 Manfred Delling: «PrivateFilm Leidenschaften 2 (1963), S. 56–58, inte ski,teiligt Wolfgang war: Hannelore Kieling, Hoger,Eberhard Heinz Fechner, Schu hier: S. 55. seure: Egon Monk). In: - Über den Fernsehdramaturgen Günter Rohr- 5 Egon Netenjakob: «Der Fernsehfilm istFernsehen – Film. EdgarBrauer, Bessen, Vera Tschechowa, Jürgen Pooch, Uwe Benno Friedrich Hoff- + Film mann,sen, Witta Heini Pohl Kaufeld, usw. usw.Rosel Monk Zech, versamCharles- bach und seine Arbeit beim WDR». In: - 8, H. 7 (1970), S. 35–38,Die Weltbühne hier: 35. melte gleichzeitig die zukünftigen Eliten 6 Ignaz Wrobel [Kurt Tucholsky]: »Bauern, Bon der berühmtesten niederdeutschen Volks- zen und Bomben«. In: , Nr. 14 (7. März 1931), S. 497. 233 Heiko Christians

- und Monk, die gezeichnet werden soll, um ter: Fernsehunterhaltung der Bundesrepu- zu verstehen, warum 1985 ausgerechnet blik,bühne, der Teile regionalen der gehobenen Vorabendserien Hörfunk-, späund Rolf Busch Der Frage- des späteren Jungen Deutschen Films um bogen – frei nach Ernst von Salomons Nach- sich. Mit Eberhard Fechner und seinem As- kriegsbestsellerAmi Go Der Home Fragebogen oder von 1951 – sistenten Klaus Wildenhahn (bei , 1965) beschäftigte er auch gleich seine be- Salomon selbst, der – im Fragebogen – die deutendsten Regieprätendenten. Ein Tag Lektürefür den NDR von gemachtFalladas hat.Roman Es war Bauern, Ernst Bon von- Es könnte sein, dass der ein oder ande- zen und Bomben empfahl, um sein eigenes Tun (im Verbund mit dem Vorgelegten und ist bei jenem, den mein Titel schon nennt, seinem älteren Roman Die Stadt von 1933) re in diesem Umfeld weniger auffällt: Das- besser verstehen zu können. borenen Rolf Busch, der Fall. Er assistier- bei dem am 15. Juni 1933 in Hamburg ge - assistierte bei Monks von 1962, langsamtIn Falladas und Roman,analytisch den einzigartig Monk 1973 ‹ver so- beite an der den Joachim Hamburger Fest am Kammerspielen, Buch mitarbeite er- aufwändig und intelligent, so quälend ver te, und bei Monks Anfrage eine Figur in den Bann, die gemeinhin dem führte er eigenständig Regie. filmte›,Gegner zuzurechnen‹verfernsehspielte›, ist: Es ist schlägt der ‹von einen au- 1969 – ein Jahr vorMauern Monks von 1963. Dann- ßen› kommende Fahnenträger der heimi- - schen, schleswig-holsteinischen aufständi- rolle in seinem TV-Film Einzelhänd- schen Bauern, es ist der Freikorpskämpfer ler – holte er Horst Tappert für die Haupt war 1985 schon einer vonDie TransplantaBuschs späten zentraler Auftritt? Er hält noch in äußers- tion (neben O. W. Fischer). Ami Go Home undter Bedrängnis rechte Ultranationalist – zwischen Fanatismus Henning. Seinund – Selbstironie eigentümlich schwankend, Filmen. Ein filmisches Brecht-Remake –7 Furcht und Elend des Dritten Reiches - nach den Symbolen eines längst vergange- warschenzeitlich 1964 sein gaberst eszweiter was zueigenständiger. Lenin in Zü- nenverletzt Krieges auf gefertigtedem Pflaster Fahne liegend der Landvolk – eine- Auch hier also Brecht-›Verfilmung›. Zwi bewegung hoch. Er hatte sie nach dem Ori- etwas zu - rich,Lessing Trotzki in Braunschweig, in Mexiko und zur Hasenclever Oktoberrevo in- marscher Bauern vielleicht einmal in ei- lutionDeutschland. aus Suchanows Nach Ami Perspektive go home oder zu nemginal längsteigenhändig vergessenen gebastelt, Krieg das gegen die Dith die

1931 war Falladas Roman zu den Ereig- LudwigTeilnehmer). Börne, Seit Johann 1992 arbeitetHeinrich Busch Voss vorund- nissenDänen insvon Feld 1929 führten. in der schleswig-holsteini - dennehmlich Grafen im Stolberg Ausland. (als Eine fiktive Station, Talkshow- viel- schen Provinz im Verlag von Ernst Rowohlt leicht die wichtigste, ist die Australian Film erschienen. Sein erster wirklicher Erfolgs- and Television School in Sydney. Mehr her- roman. Nicht ganz ein Jahr später erschien Ernst von Salomons Roman Die Stadt – Verlassen unseres sehr deutschen Themen- gleichfalls bei Rowohlt. Von Salomon hatte kreises.auszufinden, fällt schwer und zwingt zum sich publizistisch und aktiv vor Ort, in der

2. Bauern und Bomben umkämpften Provinzstadt, in den Konflikt Es gibt aber – neben Brecht, Tappert (oder eingeschaltet. Der Fahnenträger heißt in Wolfgang Kieling, Jan Fedder, Edgar Bes- 7 FurchtMarcus Scholz,und Elend und Claus-Peterdes Dritten Witt Reiches – Busch (NDR in- 1964) Regie: Rolf Busch, Peter Michel Ladiges, sen und Jürgen Pooch), Hamburg oder dem NDR – eine Verbindung zwischen Busch szeniert die Szene «Rechtsfindung« 234 «Daß der wirkliche Vielfraß vor dem gezeichneten Vielfraß sitzt».

schon eine halbe Million Exemplare von genauso wichtig wie bei Fallada – schon ihm in Umlauf. seinem Roman Hinnerk. Die Fahne ist hier Was hatte mit jenem ‹Fragebogen› auf Autoren sahen das ganz ähnlich und ganz - pragmatisch:aus Prinzip. Die beiden so gegensätzlichen - stelltsich? Ernstvon Constanze von Salomon, Engelbrecht) seit 1934 mitzusam sei- Eine marschierende Bewegung mußte men,ner jüdischen war Freikorpskämpfer, Freundin Ille (im schrieb Film darge 1938 - das Das Buch vom Deutschen Freikorps- terte, die man schwingen konnte, die man eine Fahne haben, die dem Zuge voranflat kämpfer nicht zuletzt mit vollem Rechte zu schla- , war Drehbuchautor nach fürVulpius die vonUfa aufpflanzengen hatte. Je konnte, nun, eine und Fahne, um die sagten man sich die 1968),(z. B. Carl war Peters wortgewandt-charmanter von 1943) und die ARD le- Bauern, und lächelten ein bißchen, wie (z. B.benslanger Rinaldo Freund Rinaldini Ernst Rowohlts – und er war dereinst ein blutjunger Attentäter, buntes Stück Tuch, doch ganz schön. Auch ein verurteilter Mordgehilfe, der fünf Jahre siefür daden flatterte, Polizeimeister war sie nichtvon Neumünstermehr als ein war sie nicht mehr als ein buntes Stück verbüßt hatte, und ein Mitglied rechtsra- Tuch; aber wenn zwei dasselbe denken, so dikalerHaft einer Geheimbünde. sechseinhalbjährigen Kurz: ein HaftstrafeRepublik- ist es noch lange nicht dasselbe.8 - Als der Film - toriker Martin Sabrow nachgewiesen hat.9 am 29. September 1985 im Pro- feindFragebogen der schlimmsten bespricht Sorte – er das wie noch der Hisein- Ami Go Home oder Der Fra mal mit dem Lesepublikum als ‹sachliche gebogen Romanze›Im – wie die zeitgenössischen Feuil- gramm der ARD lief – viel häufiger war er- letons es eigentlich ganz treffend vom Au- genwohl Ernst nicht von zu sehen –, Salomon spielte (und MichaelHeinz Hoenig- Weck- tor übernahmen. Honigbaum (später: Heinz Hoenig) den jun- pathie zu verspüren, die irgendwie diesen 3. Das Gift unbedarftenler den von 1945). Fahnenträgern Es war ein ausRest längst von Sym ent- schwundenen, brutalen Zeiten galt. Warum hatten sie ausgerechnet dieses bunte Tuch Einmal aus dem langen Schlussteil, in dem an einem langen Sensenstiel so verteidigt? Das Gift kommt aus zweierlei Richtungen: Um dem Publikum den Bestseller aus der (‹irrtümlich›, wie ihm später bedauernd Gründungsphase der Republik noch ein- mitgeteiltvon Salomon wurde die –Zeit er hatte seiner ja schonInternierung ‹geses- mal nahe zu bringen, wurde das Fragebo- gen-Buch 1985, kurz nach der Ausstrah- lung des Films, erneut in gebundener Form sen‹) in den ‹Civilian Internerment Camps› bei Rowohlt aufgelegt. Bis dahin waren auf derSalomon US-Besatzungsmacht einen Lagermitinsassen, von Juni den1945 zeit bis- Septemberweiligen Statthalter 1946 beschreibt. der Nationalsozialis Hier baut von- ten in der Slowakei und zum Tode verur- Deutsch, Englisch und Französisch aber 8 Ernst von Salomon: Die Stadt teiltenvon Willkürakten Kriegsverbrecher geprägten Hanns amerikani Ludin, zu- 9 Martin Sabrow: Die verdrängte [1931]. Verschwörung. Koblenz einer integeren Gegenfigur der angeblich Der2007, Rathenau-Mord S. 40. und die deutsche Gegenrevo- - lution. Frankfurt a. M. 1999. - schenan anderer Besatzungspolitik Stelle ausführlich auf. Richard nachgewie Her- schauer. Ernst von Salomon: Konservativ-revo- zingersen hat. hat10 den Aufbau dieser ‹Gegenfigur› 10 lutionäreRichard Herzinger:Literatur zwischen«Ein extremistischer Tatrhetorik undZu Zeitschrift für Germanistik 8 (1998), S. 83–96. - Resignation.» In: N. F. Das Gift kommt zum zweiten aus dem Format selbst: Der autobiografische Ro 235 Heiko Christians man von Salomons – hier übrigens dem «Schelomeh (Friedemann)» zurück. Mit an- Ursprung des Romans, den pietistischen deren Worten: Ernst von Salomon war ein Konversionsprotokollen nicht ganz unähn- glänzender Schriftsteller, streitbar und in- lich – benutzt ja das Schema der Langver- telligent. sion der sogenannten Entnazifizierungs- So nahm von Salomon unverfroren auch bögen, indem er die Fragen einerseits in provokatorischer Ausführlichkeit beant- sich in Anspruch, die linke wie die rech- wortet und andererseits (in ostentativer diete, dieganze deutsch-protestantische deutsche Ideengeschichte wie diefür Ablehnung genau dieses Verfahrens) die deutsch-jüdische, die ideal wie die materi- al ausgerichtete, als er sein methodisches Vorgehen und seinen historischen Maßstab Fragebogen-gestützten, flächendeckende im Fragebogen erläuterte: EntnazifizierungTerrors, jene, aus derals alle‹Terror› Folgen klassifiziert: des Schre- «Dieckensregimentes Registratur ist überhaupt die sublimste erst Formresultie des- Friedrich von Schiller, hat einmal festge- ren. Ein Mann in der Kartei ist schon ein so stellt,Der Erfinder daß die des Wahrheit historischen in allem Idealismus, nur teil- gut wie toter Mann».11 weise steckt, nirgends aber ganz und in Mit dieser Kritik stand von Salomon im ihrer reinen Gestalt vorhanden ist. Um Übrigen nicht allein da – Margret Bove- sich ihrer zu bemächtigen, bedarf es ei- ri hatte sie schon früher in noch größerer ner größtmöglichen Anzahl von Zeugnis- Schärfe ausgesprochen. sen, – die Wahrheit in ihrer reinen Gestalt Zwischen 1965 und 1991 arbeitete Rolf muß also bestimmt sein durch die Quan- Busch die jüdisch-deutsche Geschichte wie tität der erfaßten Beziehungen des Ge- - schehnisses. Nun, das ist nichts anderes als das Ergebnis einer Untersuchung, die kaumdie das ein Buch, anderer ja das deutscher Leben vonRegisseur Salomons fil - mischfür Busch auf. darstellte,Die intellektuelle ergab sich Provokation, aber noch mus, Karl Marx, veranstaltet hat, – er fand auf einer anderen Ebene: Ernst von Salo- dender ErfinderPunkt, an des dem historischen die Quantität Materialis in Quali- mon war nicht einfach ein stumpfer Rech- tät umschlägt. Wenn zwei so verschiedene ter, er war kein ideales Feindbild. Er hat- Geister zu dem gleichen Resultat gelangen, te vielmehr einen Bruder, Bruno von Salo- so muß das wohl zu denken geben. Nun ge- mon, der mit den Kommunisten ‹ging›, er hören beide, Schiller wie Marx, zwar ei- hatte eine unter den Nazis als jüdisch gel- ner Nation an, deren Zeugnisse in der Welt tende Frau, die er schützte, er führte 1933 keinen sehr guten Ruf genießen, sie haben ein öffentliches Streitgespräch mit dem Pa- die barbaresken Züge eines Volkes, das nun schon seit Tausenden von Jahren hin- dem konservativen Widerstand naheste- zifistenhenden) Arminevangelischen T. Wegner Zeitschrift in einer (Michel(später sich selbst jetzt noch manches gewärtigen 1933), er schloss sich nach dem Zweiten termuß. den Aber Hügeln wenn lagert, ich angesichts und von des dem Frage man- Weltkrieg aus vielleicht zweifelhaften (an- bogens den Forderungen des Gewissens zu tiamerikanischen) Gründe der Anti-Atom- folgen gehalten bin, dann doch in den Fra- an, die ihn sogar 1961 als ‹nati- Bewegung gen der Wahrheit, und da bietet sich mir in der Tat keine andere Methode als die von auf den 7. Anti-Atom-Kongre - Schiller und Marx.12 onalen Delegierten› und offiziellenFragebogen Redner führ- te er den Familiennamen seinesss nach adeligen Hiro shimaGeschlechts führte. genüsslich In seinem und voller Stolz ge- 11 Ernst von Salomon: Der Fragebogen. Stuttgart nealogisch auf einen venezianischen Be- trüger und etymologisch auf das jüdische 12 von Salomon 1951, S. 11. (u. a.) 1951, S. 50. 236 «Daß der wirkliche Vielfraß vor dem gezeichneten Vielfraß sitzt».

4. Das komplexe Sehen jene Filmtrailer, Clips, Einspieler, die von den

- Erzähler und dem Publikum) angeschaut tische Anspruch, der die deutsche und die undHauptakteuren kommentiert (v. werden:Salomon, wahlweise Verhöroffizier, ver- Dieserdeutsch-jüdische kluge, etwas Geistesgeschichte hochtrabende analyprob- stärkend, nachdenklich oder apologetisch. lemlos zusammenführte, wo gerade frisch ein unüberbrückbarer tödlicher Graben von wir spielen, dass wir im Theater sind, um der einen Seite ausgehoben worden war, es Diezu transzendierenFilmtechnik dieses – wird Fernsehspiels nun genutzt, – musste noch einmal analysiert werden – das um dem Fernsehzuschauer die auf eine stand für Rolf Busch fest. Sein Film, seine Leinwand (vor einem faschistoiden Säulen- ‹Szenenfolge› (wie der Abspann weiß) – oder portal) projizierten Einspieler immer wie- müssen wir sagen: das Fernsehspiel, die Ver- der als das Ganze zu präsentieren. Fern- sehbildschirm und Leinwand werden als Frage- Ausschnitt zeitweise deckungsgleich, um bogenfilmung, mit das den Fernsehstück? Mitteln der Brechtisch-Monk – zerlegte den- im nächsten Moment wieder getrennt zu schen«salomonischen» Geschichtsanalytik: (Klaus Harpprecht) als Teil eines Ap- werden, um im übernächsten Moment ei- - nen Protagonisten der eingespielten Szene - leibhaftig durch das Studio laufen zu las- parats,che (selbst dessen als Protagonist)Mechanik, Besitzer nicht verstehen und Inte sen (wo er dann beispielsweise in den Chor ressenlagenkann, wenn dernicht in seinenisolierte Abläufen Szenen Befindlider Ab- übergeht): Fernsehspiel. standnahme oder der Übertreibung ihn vor den Augen des Zuschauers herausführen. ‹epische Theater› in seinen «Anmerkungen Wie geht das genau? Es gibt (gleichzei- Diese Vielfalt, wie Brecht sie 1931 als das tig) einen fabrikbesitzenden Erklärer, auch auf der Fernsehspielbühne bewältigt zurwerden: Dreigroschenoper» konzipierte, will Schaad), es gibt einen Chor, es gibt Filmein- spielungen,Kommentator es undgibt Conferenciereine Verhörsituation (Dieter - im Vordergrund, die den Autor des Frage- zuordnen, die Sucht, den Zuschauer in eine bogens mit einem amerikanischen Besat- Aber diese Manier, alles einer Idee unter nicht nach rechts und links, nach unten es gibt verschiedene Podien, als eingespiel- einlinigeund oben Dynamik schauen hineinzuhetzen,kann, ist vom Standwo er- zungsoffizier (Michael Hanemann) zeigt, - Schriftsteller des Fragebogens sich selbst alste szenische jungen Mann Darbietungen, in den nationalrevolutio auf denen der- undpunkt das der vergleichende neueren Dramatik Blättern aus einzufüh abzuleh- nären Zirkeln der Weimarer Republik agie- nen. Auch in der Dramatik ist die Fußnote- ren sieht – und es gibt ein Publikum im Stu- den. Allerdings ist dann beinahe wichti- dio, dessen (inszenierte) Reaktionen do- ren. Das komplexe Sehen muß geübt wer- kumentiert werden. Es gibt Zwischenrufe- ermöglichenger als das Imflußdenkendie Tafeln vom das Schauspieler Überden flußdenken. Außerdem erzwingen und rinnen,Vor allem die – aber inspiriert gibt es von ‹Tafeln›. Texten Es Irmgard gibt ei- Stil. Beim Ablesen der Tafelprojektionen Keuns – von Salomons Ironie bekämpfen. einen neuen Stil. Dieser Stil ist der epische-

Arno-Breker-Skulpturen,nige in den Spielfilmszenen Goethe-Schiller- aufgenommene nimmt der Zuschauer die Haltung des Rau- Requisiten des Bühnenraums – Reichsadler,- sereschend-Beobachtens und anständigeres ein. Durch Spiel, einedenn solche es ist aussichtslos,Haltung erzwingt einen er rauchenden ohne weiteres Mann, ein bes der Podeste. Die Tafeln sind einerseits nazisti also hinlänglich mit sich selbst beschäftigt sche Graffitis im Bühnenraum, andererseits ist, ‹in den Bann ziehen› zu wollen.13

13 GBA 24, S. 58 f. 237 Heiko Christians

- rückende, einfahrende Jeeps der Amerika- ner gezeigt, deren Originalaufnahme dann ‹historisch›,Immer wieder ‹Terror›, verschafft ‹Gewalt›, sich der‹Erlebnis›, Studio unmerklich in s/w-Spielszenen übergeht, chor‹Kampf› Gehör: intonierend. Vokabeln Sowie werden ‹Sieg›, ‹Heimat›,nomina- lisierte ideologische Restbestände der fa- als Ernst von Salomon löst – um schließ- schistischen ersten Jahrhunderthälfte un- lichaus denen(in Farbe) sich überraschendauf seine auf ihnHeinz wartende Hoenig

Gebrüder Jünger, von Salomon fast expres- - terlegt. Die gespielten Dichterlesungen der- wechselFreundin selbstIlle zuzulaufen: multimedial Ankunft forciert, in derum Spielszene.das von Brecht Daneben geforderte wird Artistisch-Num(2.) der Szenen- einesionistische gespenstische Hasstiraden Atmosphäre. auf die Zwischen Zivilisa- mernhafte, das uns einzig etwas lehren durchtion und wird O-Töne ostentativ von Hitlerreden (und fernseheigen) schaffen kann, zu realisieren – ohne in das Revue- die Studiokameratechnik gezeigt, dann hafte zu verfallen. - Bühne und es werden ‹Krauts› gesucht. zähler oder Conferencier durchaus, aber wieder rast ein GI-besetzter Jeep auf die- nichtDoch allzu das aufdringlich, Stück bekam eine von Leitfrage seinem mitEr ne› war das zentrale Tool der Brechts- auf den Weg. Vierzig Jahre nach Kriegsende chenEs istÄsthetik. eben eine Erst ‹Szenenfolge›. indem sie herausgelöst Die ‹Sze stellte Rolf Busch einsam noch einmal die wird aus dem geschlossenen, ‹bannenden› Frage nach dem Sinn des ‹Fragebogens›. - gegnungen Ernst von Salomons mit sich Handlungsfluss,etwas analysiert werden:indem sie vorgezeigt und selbstDie szenisch (unter arrangierten,Anleitung eines lehrhaften Besatzers) Be reflexiv verdoppelt wird, kann überhaupt folgten aus der forcierten Medialität des - Fernsehspiels heraus immer noch streng dem Brechtschen Konzept der Szene von TheatersDer Schauspieler wird dabei dieses alles einertun müssen, nichtaris um - sichtotelischen als zwischen Dramatik Beschauer dienenden und epischenVorgang fraß vor dem gezeichneten Vielfraß sitzt. - 1931: «[…] derart, daß der wirkliche Viel derte, daß der Zuschauer, aus Nachlässig- stehend bemerkbar zu machen. […] verhin sich aus im Fluß, was im Bild steckt.» keit und alter Gewohnheit, sich in eine be- Die Szene wiederholt gleichermaßen von stimmte Stube versetzte und sich für den unsichtbaren Augenzeugen und Belauscher Der Kern des Fernsehspiels ist die Szene.- einer einmaligen intimen Szene hielt. Darin liegt sein theatrales, vor allem aber 14 denken des Szenischen auf der Linken und sein Brechtsches Erbe. Das strenge Durch Mittel aus, indem es (1.) die technisch-ma- Fragebogen-Format auf der Rechten tref- terialenDas Fernsehspiel Übergänge schöpft zu irritierenden seine technischen Seher- fender sichäußerst in diesem reflektierte einzigartigen Umgang Werk mit dem des lebnissen macht: Zu Beginn des Films wird - - mate sind die Gelenke der Auseinanderset- terial vom Ende des Zweiten Weltkriegs zung.Brecht-Monk-Schülers Rolf Busch. Die For undbeispielsweise der deutschen filmisches Ruinenlandschaft Dokumentarma der großen Städten gezeigt, dann werden ein-

14 Ebd., S. 156.

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