Egon Monk und das gesellschaftskritische Fernsehspiel

Aufbau, Konzeption und Entwicklung der Hauptabteilung Fernsehspiel im Norddeutschen Rundfunk 1960 bis 1968 unter der Leitung des Regisseurs, Dramaturgen und Autors Egon Monk

Dissertation Zur Erlangung der Würde der Doktorin / des Doktors der Philosophie Fachbereiche Sprache, Literatur und Medien I & II Fakultät für Geisteswissenschaften der Universität

vorgelegt von Sylvia Büttner aus Hamburg

Hamburg, 5. Januar 2015

Hauptgutachter: Prof. Dr. Knut Hickethier

Zweitgutachter: Prof. Dr. Joan Kristin Bleicher

Datum der Disputation: 27.06.2014

Angenommen von der Fakultät für Geisteswissenschaften der Universität Hamburg am: 20.08.2014

Veröffentlicht mit Genehmigung der Fakultät für Geisteswissenschaften der Universität Hamburg am: 05.01.2015

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Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung 7

2 Zielsetzung 8

2.1 Problembeschreibung und –abgrenzung 9 2.2 Recherchen zum Thema 10 2.3 Gang der Untersuchung 11 2.4 Methodisches Vorgehen 11

3 Fernsehen und Fernsehspiel – Das Selbstverständnis einer Gattung 13

3.1 Das neue Medium Fernsehen und seine >Krönung< 13 3.2 Vom Kunstanspruch einer Programmform zum >amphibischen Film< 17 3.3 Typologiebildung und Genreausbildung 20 3.4 Etablierung des Fernsehens 23 3.5 Das NWDR/NWRV-Fernsehspiel - Produktionsgruppen vor Gründung der Hauptabteilung Fernsehspiel im NDR 25

4 Egon Monk 33

4.1 1927 bis 1932: Familiärer Hintergrund und dessen Prägung 33 4.2 1932 bis 1945: Kindheit und Kino Die Entstehung eines Berufswunsches 35 4.3 1945 bis 1947: Jugend und Filmschule Erste Erfahrungen mit dem Medium >Film< 37 4.4 1948 bis 1953: Egon Monk und Bertolt Brecht Ausbildung im Theater – Konsequenz für das Fernsehspiel 39 4.5 1953 bis 1957: West-Berlin Ein >Brecht-Schüler< im Westen 47 4.6 1957 bis 1960: Hamburg Dramaturg in der Hörspielabteilung 49 4.7 Zusammenfassung 51

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5 1960 bis 1968: Egon Monk und das Fernsehspiel 52

5.1 Das Fernsehspiel zwischen Unterhaltung und Anspruch 52 5.2 Egon Monk und die >Hamburger Dramaturgie< 55 5.3 Die Anfänge – Verwaltung und Konzeption 56 5.4 Die Entwicklung der Hauptabteilung Fernsehspiel Die Mitarbeiter – Zwischen >Gästen und Festen< 59 5.5 Zusammenfassung 65

6 Die Umsetzung der >Hamburger Dramaturgie< 66

6.1 Originalfernsehspiel und Adaption 66 6.2 Schwerpunkte im Programm 75 6.3 Beschreibung einzelner Fernsehspiele 81 6.3.1 Waldhausstraße 20 82 6.3.2 Nach all der Zeit 84 6.3.3 Die Sendung der Lysistrata 85 6.3.4 Korczak und die Kinder 88 6.3.5 Die Revolution entlässt ihre Kinder 91 6.3.6 Der 50. Geburtstag 95 6.3.7 Schönes Wochenende 96 6.3.8 Stalingrad 100 6.3.9 Der Prozess Carl von O. 101 6.3.10 An der schönen blauen Donau 102 6.3.11 Die Kette an deinem Hals 104 6.3.12 Ende einer Saison 106 6.3.13 Das Traumhaus 106 6.3.14 Die eigenen vier Wände 107 6.3.15 Standgericht 108 6.3.16 Zuchthaus 109 6.3.17 Zwischen Samstag und Montag 113 6.4 Zusammenfassung 113

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7 Vom empathischen Film zum didaktischen Aufklärungsinstrument Egon Monks 115

7.1 Das Leben des Galilei 116

7.2 Anfrage 118 7.2.1 Anmerkungen zur Produktionsgeschichte 118 7.2.2 Die Filmhandlung 122 7.2.3 Die Exposition 123 7.2.4 Narrative Gestaltung 125 7.2.5 Visuelle, auditive und darstellende Gestaltung als Träger der Intention 131 7.2.6 Im Spiegel der Zeit: Kritiken zu Anfrage 133

7.3 Schlachtvieh 135 7.3.1 Anmerkungen zur Produktionsgeschichte 135 7.3.2 Die Filmhandlung 136 7.3.3 Die Exposition 137 7.3.4 Narrative Gestaltung 138 7.3.5 Visuelle, auditive und darstellende Gestaltung als Träger der Intention 139 7.3.6 Im Spiegel der Zeit: Kritiken zu Schlachtvieh 143

7.4 Mauern 147 7.4.1 Anmerkungen zur Produktionsgeschichte 147 7.4.2 Die Filmhandlung 149 7.4.3 Die Exposition 150 7.4.4 Narrative Gestaltung 151 7.4.5 Visuelle, auditive und darstellende Gestaltung als Träger der Intention 155 7.4.6 Im Spiegel der Zeit: Kritiken zu Mauern 161

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7.5 Wilhelmsburger Freitag 164 7.5.1 Anmerkungen zur Produktionsgeschichte 164 7.5.2 Die Filmhandlung 165 7.5.3 Die Exposition 165 7.5.4 Narrative Gestaltung 167 7.5.5 Visuelle, auditive und darstellende Gestaltung als Träger der Intention 169 7.5.6 Im Spiegel der Zeit: Kritiken zu Wilhelmsburger Freitag 173

7.6 Ein Tag 175 7.6.1 Anmerkungen zur Produktionsgeschichte 175 7.6.2 Die Filmhandlung 176 7.6.3 Die Exposition 180 7.6.4 Narrative Gestaltung 182 7.6.5 Visuelle, auditive und darstellende Gestaltung als Träger der Intention 185 7.6.6 Im Spiegel der Zeit: Kritiken zu Ein Tag 191

7.7 Der Augenblick des Friedens: Berlin N 65 194 7.7.1 Anmerkungen zur Produktionsgeschichte 194 7.7.2 Die Filmhandlung 196 7.7.3 Die Exposition 200 7.7.4 Narrative Gestaltung 202 7.7.5 Visuelle, auditive und darstellende Gestaltung als Träger der Intention 206 7.7.6 Im Spiegel der Zeit: Kritiken zu Der Augenblick des Friedens 210 7.7.7 Preis der Freiheit 212

8 1968 bis heute: Neue – alte Wege 214

8.1 1968: Intendanz am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg 214 8.2 1969 bis 1981: Rückkehr zur Fernseharbeit 218 8.3 1983 und 1988: Zeitgeschichte als große Fernsehproduktionen 219 6

9 Zusammenfassung der Ergebnisse 225

10 Anhang 237

Tabellarischer Lebenslauf Egon Monks 237 Preise und Ehrungen 238 Werkzusammenhang 238 Unveröffentlicht 240 Verzeichnis der erwähnten Sendungen 241 Personenverzeichnis 246 Verzeichnis der Grafiken und Tabellen 255 Auswahl aus dem Fernsehspielprogramm 1960-68 / Sendedatum 256 Bibliographie der Presseartikel 260 Literatur: Einzelbeiträge in Medien-Fachliteratur 263 Bücher 268 Videos 270 Infratest 270 Unveröffentlichte Quellen 270 Private Redemanuskripte 270 ARD/NDR-Sendebegleitmaterial 270 Informationsmaterial unterschiedlicher Herkunft 271 Fernsehsendungen 271 Lexika 271

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Egon Monk und das gesellschaftskritische Fernsehspiel

1 Einleitung

Egon Monk hat als Autor, Regisseur, Dramaturg und Leiter einer Fernsehspiel- abteilung immer wieder und ganz bewusst im Sinne des Wortes >Kritik an der Ge- sellschaft< geübt. Dies geschah in einer Zeit, die allgemein als >Wirtschaftswunder- jahre< in die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland einging, den 1960er Jahren. Eine Zeit, die sich, wie Egon Monk fand, „ ausnahm wie ein Tümpel, in dem sich nichts mehr bewegte “. 1 Seine Art, etwas >zu bewegen<, war das zielgerichtete Engagement in der Tradition Bertolt Brechts, nicht die Wirklichkeit zu spiegeln, sondern „ die unter der Oberfläche der Wirklichkeit verborgenen Zusammenhänge, das, was Brecht die soziale Kausalität nannte, sichtbar zu machen “. 2 Dabei ging es ihm nicht darum, sich „mit Gegenständen zu beschäftigen, die ausschließlich privater Natur sind und private Leidenschaften, private Temperamentsäußerungen, private Gefühls- äußerungen zum Inhalt haben “, sondern vielmehr um eine übergreifende Analyse: „Meine Art von Vergnügen richtet sich auf das Sehen, Betrachten, Beobachten, den Versuch, zu analysieren, was in der Gesellschaft vor sich geht. “3 Sein Ziel formulierte Egon Monk 1963 erkenntnisorientiert: „ Ein Teil unserer Fernsehspiele ist deshalb darauf gerichtet, etwas mehr Mißtrauen an die Stelle von Vertrauen zu setzen und, neben der Bereitschaft zu glauben, die Fähigkeit zu zweifeln etwas zu aktivieren. “4 Sein Arbeitsgebiet war das Fernsehspiel im Norddeutschen Rundfunk (NDR), dessen Fernsehspielabteilung er als eigenständige Hauptabteilung aufbaute, strukturierte und mit seiner Handschrift prägte.

1 Egon Monk in: >Ort der Handlung Deutschland. Egon Monk und seine Filme< . Eine Film- dokumentation von Stephan Reichenberger, 1985. Produktion NDR in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut. Erstausstrahlung am 29.9.1987 2 Egon Monk in: Das Fernsehspiel auf der Suche nach Identität . Eine Diskussionsaufzeichnung mit Hans Janke, Mainzer Tage der Fernseh-Kritik. In: Hillrichs, Hans Helmut; Ungureit, Heinz (Hrsg.): Fernseh-Kritik. Filmkultur – Filmverbrauch. Zum Stand der Beziehungen zwischen Kino und Fern- sehen. Mainz 1984 3 Egon Monk in: Delling, Manfred: Private Leidenschaften interessieren mich nicht . In: Film 1963, H. 2, S. 56-58 4 Egon Monk in: Ebd. 8

Seine Arbeitsweise wurde auch über das Jahr 1968 hinaus in seinen Jahren als freiberuflicher Fernsehspielautor und Regisseur deutlich. In den Fernsehmehrteilern - Bauern, Bonzen und Bomben, NDR 1973, Die Geschwister Oppermann , ZDF 1983 und Die Bertinis , ZDF 1988 - zeigt sich die akribische Detailgenauigkeit eines Dramaturgen und Regisseurs, der Zusammenhänge von Geschehnissen klarer machen will und dies dadurch, „ dass er sich an den Intellekt der Menschen wendet, ihnen auf gedankliche Weise ein Problem versucht klarzumachen, um dadurch ihre Gefühle für oder dagegen zu wecken “. 5 Monks eigenes Verständnis, zu wissen auf welcher Vergangenheit die deutsche Gegenwart beruht, Ereignisse nicht als isoliertes Zeitphänomen, sondern aus ihrer Entwicklung heraus zu betrachten, war maßgeblich für die Auseinander- setzung mit seiner Arbeit: „Zeitkritisch ist mir viel zu allgemein. Zeitkritisch kann fast alles sein. Gesellschaftskritisch heißt, mit dem Bau der Gesellschaft, ihren Fundamenten, ihren Regungen, ihrem Entwicklungsprozess, den so genannten sozialen Kausalitäten und was alles damit zusammenhängt zu sein – ist viel spezieller, also genauer, um ein deutsches Wort zu benutzen .“ 6 So wird an dieser Stelle der Terminus >Gesellschaftskritik< im Kontext dieser Arbeit wie folgt definiert: Gesellschaftskritik im Fernsehspiel Egon Monks ist zu verstehen als Kritik in der Gegenwart durch das Aufzeigen bestehender Verhält- nisse im Bezug zu vergangenen oder zukünftig möglichen Entwicklungen.

2 Zielsetzung

Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, den Regisseur, Dramaturgen und Autor Egon Monk in seiner Funktion als ersten Leiter und Begründer der Hauptabteilung Fern- sehspiel im Norddeutschen Rundfunk zu dokumentieren, unter besonderer Berück- sichtigung seiner Arbeit als Autor und Regisseur eigener Fernsehspiele während der Jahre 1960 bis 1968.

5 Eberhard Fechner (Regisseur) in: >Ort der Handlung Deutschland. Egon Monk und seine Filme.< Eine Filmdokumentation von Stephan Reichenberger, 1985. Produktion NDR in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut. Erstausstrahlung am 29.9.1987 6 Egon Monk in: Interview am 26.11.2001 mit Sylvia Büttner (in nachfolgenden Fußnoten mit >S.B.< gekennzeichnet) 9

2.1 Problembeschreibung und -abgrenzung Um Egon Monk in seiner Entwicklung zu kennzeichnen, wird ein biographischer Überblick zu Ausbildung und Werdegang gegeben. Eine Kurzdarstellung zu Leben und Werk findet sich in tabellarischer Form im Anhang. Nicht Thema dieser Arbeit sind Stationen der beruflichen Tätigkeit vor und nach 1960 bis 1968, sie werden aber innerhalb der Ausführungen erwähnt. Dieses erscheint notwendig, da eine nur auf die angegebene Zeit begrenzte Beschreibung seiner Arbeit, Egon Monk in seinem gesamten Lebenswerk nicht gerecht werden könnte. Zusammenfassend wird seine Zeit als Intendant am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg, seine Rückkehr zum Fernsehen und die Zeit als freier Autor und Regisseur beschrieben. Eine mögliche Anschlussarbeit über die Zeit nach 1968 bleibt offen. Monks Kindheit und Jugend sowie die Zeit bei Brecht werden chronologisch als Hinwendung zu und Umsetzung eines Berufswunsches geschildert. Diese Basis für die spätere Berufsausübung sowie Monks Zeit der Jahre im NDR wurden vor- rangig in Interviews der Verfasserin mit Egon Monk im November 2001 und im Juni 2004 ermittelt. Das Vorgehen einer biographischen Erschließung und Analyse des Werkzusammenhangs erscheint gerechtfertigt, da Monks Arbeit entscheidend durch Herkunft und Ausbildung geprägt wurde. In Folge dieser Prägung ist für seine Fern- sehspielinszenierungen erkennbar, „ dass der Regisseur sich mit einer eigenen Hand- schrift in diesen Produktionen artikuliert und dass im Oeuvre ein Konzept, ein Stil deutlicher als im Einzelwerk zutage tritt “. 7 Eine Übertragung dessen ist auch für seine Tätigkeiten als Autor, Dramaturg und Leiter der Fernsehspielabteilung möglich, ohne jedoch zu verkennen, dass sich keinesfalls alle „ Anlässe für einzelne Produktionen in der Lebensgeschichte “8 Monks wieder finden lassen. Die Anlässe einzelner Produktionen sind eher in Monks Interesse an den aktuellen Ereignissen der damaligen Zeit (Mauerbau, Ost-West- Konflikt u. a.), deren sozial-historische Hintergründe und deren Folgen zu finden. Da die Thematik der vorliegenden Arbeit sich hauptsächlich mit Egon Monk beschäftigt, werden einzelne Filme anderer Regisseure und Autoren zwar exemplarisch heraus- gestellt, sie dienen aber immer dazu, die ästhetische Konzeption Monks und dessen Vorstellungen für eine zeitgenössische Fernsehspielabteilung zu verdeutlichen. Auch die quantitative Erfassung und qualitative Auswertung des recherchierten Materials soll Akzentuierungen in Monks Fernsehspielprogramm herausstellen.

7 Hickethier, Knut: Film- und Fernsehanalyse . Stuttgart 1996, S. 197 8 Vgl. zur Werkerschließung ebd., S. 196-198 10

2.2 Recherchen zum Thema Für die Darstellung erfolgten umfangreiche Recherchen in medienrelevanter Literatur, in der NDR-Bibliothek, der Pressedokumentation und im biographischen Archiv des Norddeutschen Rundfunks, in allen hauseigenen NDR-Datenbänken sowie im NDR-Mikrofilmarchiv. Sie wären ohne die freundliche Genehmigung der NDR-Fernsehfilmabteilung und der Abteilung für Lizenzrechte nicht möglich ge- wesen. Das Resultat einer Recherche im Staatsarchiv Hamburg, in das der NDR historisches Archivmaterial aller Art ausgelagert hat, deckte sich mit den NDR- Recherchen ohne wesentliche Ergänzungen. An dieser Stelle ist besonders die großzügige Unterstützung Egon Monks zu erwähnen, der der Verfasserin in mehrstündigen Interviews (6. November 2001, 26. November 2001, 1. Juni 2004 und 9. Juni 2004) zur Verfügung stand. Weiterhin stellte er persönliche Unterlagen zur Verfügung, die weder vom NDR archiviert wurden noch anderweitig zu finden waren, und bot auch für weitere aufkommende Fragen, die sich im Verlauf der Arbeit ergeben könnten, seine Mithilfe an. Zu den persönlichen Unterlagen zählen besonders die Ankündigungen von Fernsehspielen zwischen 1960 und 1966 in Form von Programmheften, Theaterprogrammheften nachempfunden, die neben einer Inhaltsangabe der Thematik, Szenenfotos und Be- setzungslisten auch persönliche Anmerkungen enthalten. Ergänzende Erinnerungen trug auch Ulla Monk in den Interviews bei, die seit 1947 an der Seite ihres Ehe- mannes dessen Werdegang miterlebte. Als Zeitzeugin konnte ebenfalls eine Mitarbeiterin Egon Monks befragt werden. Es handelt sich um die Sekretärin Waltraud Lohmann, die nach Aussage Monks „ von der ersten Stunde an dabei und eine meiner engsten Mitarbeiterinnen war “. 9 Sie stand für ein Interview am 21. Juni 2004 zur Verfügung und steuerte einige Unterlagen bei, darunter eine handsignierte Bühnenfassung von Erwin Sylvanus´ Theaterstück Korczak und die Kinder 10 . Der NDR brachte 1961 eine Fern- sehspielbearbeitung auf den Bildschirm, für die Sylvanus auch das Drehbuch schrieb.

9 Egon Monk in: Interview am 1.6.2004 mit S.B. 10 Sylvanus, Erwin: Korczak und die Kinder. St. Gallen (Schweiz) 1959. Dieses Buch wurde in nur 75 Exemplaren handgearbeitet in Halbpergament gebunden. 50 Seiten Text, im Anhang 1 Foto Korczaks, 4 Fotos von Bühneninszenierungen in Krefeld, Göttingen, Bern und Wien. 11

2.3 Gang der Untersuchung Die Vorgehensweise innerhalb der einzelnen Arbeitsschritte umfasst verschiedene Aufgaben und Phasen zum Thema, die an dieser Stelle kurz dargestellt werden: • Evaluation : Es wird eine Materialprüfung des recherchierten Materials vor- genommen, auf die die nachfolgenden Schritte aufbauen. Bei der Evaluation des recherchierten Materials werden Prioritäten gesetzt, die in ihrer Klassifikation zunächst die persönlichen Aussagen Egon Monks in ihrer Relevanz für die vor- liegende Arbeit als wichtigste Basis eingestuft, da das Thema eng an die Person Monks gebunden ist. Bei der Auswertung der Interviews werden fehlende Daten ergänzt, Angaben, soweit verifizierbar, als gesichert übernommen bzw. korrigiert. • Kurzdarstellung einer Fernsehspielgeschichtsschreibung als Rahmen für die bio- grafische Untersuchung : 1. Die technischen Voraussetzungen 2. Die Genese des Fernsehspiels 3. Das Fernsehspiel im NWRV/NDR • Untersuchung des Themas Egon Monk und das gesellschaftskritische Fernseh- spiel : Auf Basis einer Erfassung und Auswertung des zur Verfügung stehenden Materials erfolgt die Ermittlung quantifizierbarer Daten, eine thematische Be- schreibung exemplarisch vorgestellter Fernsehspiele sowie eine Stilanalyse der Fernsehspiele Egon Monks. • Zusammenfassung: In einem abschließenden Kapitel werden die Biografie Monks, sein beruflicher Werdegang, seine Arbeit als Leiter der Fernsehspiel- abteilung und die Entwicklung in der Inszenierungsweise eigener Filme zu- sammenhängend dargestellt.

2.4 Methodisches Vorgehen Für die quantitative Erfassung der NDR-Fernsehspiele werden das erste, vom Deutschen Rundfunkarchiv herausgegebene Fernsehspielverzeichnis der Jahre 1952 bis 1972 11 und Egon Netenjakobs TV-Filmlexikon von 1952 bis 1992 12 durch eine Gegenkontrolle des NDR-Datenbankmaterials sowie der verfügbaren NDR- Fernsehspielverzeichnisse auf Auslassungen und Übereinstimmungen der hier relevanten Jahre 1960 bis 1968 geprüft und optimiert. Erfasst und ausgewertet wird

11 Deutsches Rundfunkarchiv (Hrsg.): Klünder, Achim; Lavies, Hans-Wilhelm: Fernsehspiele in der ARD 1952-1972 . Frankfurt a. M. 1978 12 Netenjakob, Egon: Regisseure, Autoren, Dramaturgen 1952-1992. Frankfurt a. M. 1994 12

Material zu 105 Fernsehspielen im Fernsehspielprogramm Egon Monks von 1960 bis 1968. Die qualitative Auswertung erfolgt auf Basis der quantitativen Ergebnisse und entsteht durch einen thematischen Vergleich der Fernsehspiele in ihrer Aktualität, ihrem historischem Hintergrund und den daraus resultierenden möglichen Ent- wicklungen. Hierzu wird die in der Einleitung gegebene Definition von >Gesell- schaftskritik< zugrunde gelegt und einer Hypothese gleichgesetzt. In Anlehnung an inhaltsanalytische Verfahrensbeispiele und -methoden 13 wird für diese Arbeit ein eigenes Vorgehen entwickelt. Die exemplarische Herausstellung einzelner Fernsehspiele Monks orientiert sich an der hermeneutischen Film- und Fernsehanalyse. Filmthematiken und Film- strukturen werden beschrieben, Zusatzinformationen zum Film, respektive Fernseh- spiel, geliefert. Themen, Strukturen und Informationen werden in einen Kontext ge- stellt und letztlich wird eine Interpretation auf Basis des untersuchten Materials (Videos, Inhaltsangaben etc.) und des eigenen Verstehens der Verfasserin an- geboten. 14 Die Stilanalyse wird in schematisierter Abfolge durchgeführt, die durch ihren immer gleichen Aufbau eine vergleichende Beschreibung in der Entwicklung der Inszenierungsweise Monks ermöglicht. In einem ersten Schritt werden vorhandene Informationen zur Produktionsgeschichte geliefert, die zur Idee und Umsetzung der Fernsehspiele führten. Die nachfolgende Filmhandlung fasst die Thematik und den Handlungsverlauf der Fernsehspiele zusammen. Die Exposition beschreibt den An- fang der Fernsehspiele. Es ist der Einstieg in Thematik und Handlung mit einer Vor- stellung der Handlungsorte und Filmfiguren. Die narrative Gestaltung zeigt Monks jeweilige Erzählstruktur auf. Hier wird beschrieben, wie eine Geschichte erzählt wird und welche Intention des Regisseurs sich deuten respektive erkennen lässt. Mit welchen Gestaltungsmitteln die Intentionen umgesetzt wurden, wird auf der visuellen, auditiven und darstellenden Ebene sichtbar. Hier wird deutlich, wie von Film zu Film Veränderungen in der Wahl und in den Ausschöpfungsmöglichkeiten der Gestaltungsmittel auftreten. Die einzelnen Analyseschritte ermöglichen das Sichtbarmachen einer Entwicklung in der Arbeitsweise Egon Monks. Welche Resonanzen die ausgestrahlten Fernsehspiele hervorriefen, wird in einer Auswahl von Fernsehkritiken und Zuschauermeinungen in den verschiedensten Presseorganen gezeigt.

13 Vgl. Merten, Klaus: Inhaltsanalyse. Opladen 1983 sowie Friedrichs, Jürgen: Methoden empirischer Sozialforschung. Opladen 1980 14 Vgl. Hickethier, Knut: Film- und Fernsehanalyse. Stuttgart 1996, S. 34-35. 13

3 Fernsehen und Fernsehspiel – Das Selbstverständnis einer Gattung

Bevor Egon Monk mit seinem gesellschaftskritischen Verständnis die Fernsehspiel- geschichtsschreibung der 1960er Jahre prägte, waren technische und organisatorische Voraussetzungen geschaffen worden, die das Fernsehen zum Massenmedium werden ließen. Innerhalb des Fernsehens entwickelte sich das Fernsehspiel der Nachkriegs- zeit bis in die 1960er Jahre hinein zum Fernsehfilm. Die ersten Fernsehspiel- produktionen orientierten sich noch deutlich an den Gestaltungsformen und –mitteln der älteren Medien. Besonders die Nähe zum Theater wurde in den zunächst über- wiegend live gespielten Studio-Fernsehspielen erkennbar, deren Inszenierungen hauptsächlich aus Adaptionen dramatischer Texte bestanden. In den Fernsehtheorien der 1950er Jahren wurde zudem vielfach ein Kunstanspruch an das Fernsehspiel er- hoben, den es als eigenständige Besonderheit des neuen Mediums stilisierte.

3.1 Das neue Medium Fernsehen und seine >Krönung< Die Genese des Fernsehspiels ist eng verknüpft mit der Technikgeschichte des Fern- sehens, dessen erste regelmäßige Programmsendephase 1935 begann. Der Berliner NS-Sender >Paul Nipkow< 15 strahlte ein etwa zweistündiges Programm aus, dass in den öffentlichen >Fernsehstuben< Berlins zu sehen war. Das Fernsehen des Nationalsozialismus war jedoch noch weit davon entfernt, ein Massenmedium zu sein. „Als machtvolles Dispositiv gesellschaftlicher Wahrnehmung und Bewusst- seinsbildung gewann das NS-Fernsehen noch keine Bedeutung. Es war über den be- grenzten Berliner Sendebereich hinaus kaum zu empfangen, die Zahl der Empfangs- geräte blieb gering .“ 16 Für Propagandazwecke wurden der Hörfunk und das Kino eingesetzt. 17

15 Benannt n. Paul Nipkow (1860-1940), dt. Erfinder des ersten >Bildzerlegers< 1883, der >Nipkow- Scheibe<. Vgl. zur Technikgeschichte des Fernsehens: Elsner, Monika; Müller, Thomas; Spangen- berg, Peter M.: Zwischen utopischer Phantasie und Medienkonkurrenz. Zur Frühgeschichte des deutschen Fernsehens (1926 bis 1935). In: Hickethier, Knut (Hrsg.): Fernsehen: Wahrnehmungswelt, Programminstitution und Marktkonkurrenz. Frankfurt a. M. 1992, S. 131-143 sowie Kreuzer, Helmut: Von der Nipkow-Scheibe zum Massenmedium. In: Kreuzer, Helmut; Prümm, Karl (Hrsg.): Fernseh- sendungen und ihre Formen. Stuttgart 1979, S. 9-22 16 Zit. n. Hickethier, Knut: In: Ders. (Hrsg.): Geschichte des Fernsehens in der Bundesrepublik Deutschland. München 1993, Bd. 1, S. 179 17 Vgl. u. a. Moeller, Felix: Der Filmminister. Goebbels und der Film im Dritten Reich. Berlin 1998 sowie Witte, Karsten: Film im Nationalsozialismus. In: Jacobsen, Wolfgang; Kaes, Anton; Prinzler, Hans Helmut: Geschichte des deutschen Films. Stuttgart 1993, S. 119-170 14

Fernsehgeräte in den eigenen vier Wänden hatten nur wenige Menschen. Dazu zählte auch der Fernsehkritiker Kurt Wagenführ, der aus seiner Erinnerung be- schreibt, weshalb ihm ein Fernsehempfänger kostenlos von der Industrie zur Ver- fügung gestellt wurde: „ Sie [die Fernsehgeräte] wurden denen, auf deren Urteil Wert gelegt wurde, kostenlos zur Verfügung gestellt, und natürlich auch denen, in deren Heim oder Dienststelle das Fernsehgerät eine repräsentative Aufgabe wahrzu- nehmen hatte. “18 Zu den Bevorzugten zählten u. a. NSDAP-Mitglieder und im Sender be- schäftigte Mitarbeiter. Für das Gros der interessierten Bevölkerung blieb jedoch nur der Gang in die Postämter, in deren Räumen die öffentlichen Fernsehstuben unter- gebracht waren. In Berlin gab es etwa 25 öffentliche Fernsehstuben. 19 Die ersten Live-Aufführungen des >Spiels im Fernsehen< wurden im Hinblick auf die Produktionen der älteren Medien – Theater (Schauspiel), Kino (Spielfilm) und Hörfunk (Hörspiel) von >Fernsehinteressierten< als eigenständige Kunstgattung diskutiert. Gerhard Eckert, neben Kurt Wagenführ einer der „ ersten kontinuierlich schreibenden Fernsehkritiker “20 , der bereits seit 1937 die ersten Fernsehspiele ver- folgte, suchte frühzeitig eine Positionierung des neuen Mediums Fernsehen. Dabei suchte er nach eigenen Gesetzmäßigkeiten des Fernsehens, das er als Kunstform zwischen den anderen Medien sah und „ betonte die, wenn auch erst zukünftig sich zeigende `Selbstständigkeit´ vor allem des Fernsehspiels und der Fernsehfolge (Dokumentation) “. 21 Nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges und der technischen Wiederauf- nahme und Weiterentwicklung des Mediums Fernsehens wurde die Definitionssuche, das Fernsehspiel als Kunstgattung näher zu bestimmen, u. a. auch von Eckert weiter verfolgt. Dass das Fernsehspiel klar abzugrenzen sei von Theaterstücken und Kino- filmen, forderte er 1952 in einem Aufsatz: „ Das Fernsehspiel dürfe weder die Über- tragung einer Theateraufführung noch die Sendung eines Films sein. “22

18 Wagenführ, Kurt: Die Anfänge der Fernsehkritik. In: Sauer, Karl-Otto; Steinmetz, Rüdiger (Hrsg.): Fernsehkritik. Kritiker und Kritisierte. München 1988, S. 14 19 Vgl. zur Entwicklung des >Fern-Sehens< auch Hickethier, Knut: Zwischen Einschalten und Aus- schalten. Fernsehgeschichte als Geschichte des Zuschauens. In: Faulstich, Werner (Hrsg.): Vom Autor zum Nutzer: Handlungsrollen im Fernsehen. (= Geschichte des Fernsehens in der Bundesrepublik Deutschland hrsg. v. Kreuzer, Helmut und Thomsen, Christian W. Bd. 5) München 1994, S. 237-300 20 Zit. n. Hickethier, Knut: Geschichte der Fernsehkritik in Deutschland. Berlin 1994, S. 34 21 Zit. n. Hickethier, Knut: Ebd., S. 42 22 Eckert, Gerhard: Was ist das Fernsehspiel? In: Rufer u. Hörer 1952, 7. Jg., H. 2 15

Der Entwicklung des Hörspiels als eigenständig herausgebildete Form des Hör- funks folgend, erklärte er 1953 die Zielsetzung für das Fernsehspiel als „ Krönung des Fernsehens “. 23 Die Eigenständigkeit des Fernsehspiels erschloss sich Eckert aus den technischen Gegebenheiten des Fernsehens. Im Unterschied zum Film sah er die Möglichkeit eines kontinuierlichen Durchspielens sowie die Live-Präsenz des Ereig- nisses. Vom Bühnenstück grenzte er das Fernsehspiel ab, indem er die Ein- blendungen von Filmstreifen während notwendiger Studioumbauten der Live- Übertragung als fernsehspezifische Möglichkeit sah. Das organisatorisch und technisch im Aufbau befindliche Fernsehen der 1950er Jahre produzierte jedoch Fernsehspiele, die thematisch und aufführungs- technisch vor allem von dramatischen Texten ausgingen, gefolgt von Adaptionen epischer Vorlagen, während Hörspiele seltener adaptiert wurden. 24 Eine Anlehnung am Spielfilm war zu Beginn der 1950er Jahre weder aufgrund des Selbstverständ- nisses der Fernsehspielmacher, noch aus Kostengründen und der vorhandenen Konkurrenzsituation zwischen Kino und Fernsehen gegeben. „ Dennoch hatte das Fernsehspiel mit dem Film wiederum gemeinsam, dass ein zweidimensionales Bild entstand, ganz im Gegensatz zum immer räumlichen Theater, das sich zudem noch durch eine räumliche Einheit von Schauspielern und Publikum auszeichnet. “25 Durch die fortschreitende Technik konnte der wesentliche Nachteil mangelnder Aufzeichnungs- und Wiederabspielbarkeit des überwiegend im Studio hergestellten >Live-Spiels< überwunden werden, dessen >Wiederholung< immer eine erneute Live-Aufführung bedeutete. Die Erfindung der Magnetbildaufzeichnung (MAZ) 26 , die im Studio mit Kameras arbeitete, „ die ihr Bild nicht auf chemischem Weg erzeugen, wie die motorangetriebenen Filmkameras, sondern durch die

23 Eckert, Gerhard: Die Kunst des Fernsehens . Emsdetten 1953 24 Vgl. zur Herkunft von Adaptionsvorlagen des Fernsehspiels u. a. Hickethier, Knut: Für eine Programmgeschichte des Fernsehspiels. In: Kreuzer, Helmut (Hrsg.): Literaturwissenschaft- Medienwissenschaft. Heidelberg 1977, S. 81-102 sowie Hickethier, Knut: Das Fernsehspiel der Bundesrepublik. Themen, Form, Struktur. Theorie und Geschichte 1951-1977. Stuttgart 1980, S. 92 ff. 25 Zit. n. Hickethier, Knut: Das Fernsehspiel oder Der Kunstanspruch der Erzählmaschine Fernsehen. In: Schanze, Helmut; Zimmermann, Bernhard (Hrsg.): Das Fernsehen und die Künste. (= Geschichte des Fernsehens in der Bundesrepublik Deutschland hrsg. v. Kreuzer, Helmut und Thomsen, Christian W. Bd. 2) München 1994, S. 307 26 MAZ: Amerikanische Erfindung, ab 1957 durch die Firma AMPEX hergestellte Aufzeichnungs- geräte, 1958 im deutschen Fernsehen erstmals eingesetzt. Vgl. Zielinski, Siegfried: Zur Technik- geschichte des BRD-Fernsehens. In: Hickethier, Knut (Hrsg.): : Institution, Technik und Programm. Rahmenaspekte der Programmgeschichte des Fernsehens. (= Geschichte des Fernsehens in der Bundesrepublik Deutschland hrsg. v. Kreuzer, Helmut und Thomsen, Christian W. Bd. 1) München 1993, S. 135-168 sowie Hickethier, Knut: Das Fernsehspiel der Bundesrepublik . Stuttgart 1980, S. 39 ff. 16 elektronische Übertragung von Lichtimpulsen auf ein Magnetband “27 , machte eine Konservierung von Fernsehspielen und deren wiederholte Ausstrahlung möglich. Durch den zunächst nur zusätzlichen Einsatz von Filmkameras bei Außenauf- nahmen verwandelte sich das >Fernsehspiel< in den 1960er Jahren zunehmend in den >Fernsehfilm<. 28 Die Filmproduktion eröffnete nun neue Gestaltungsmöglich- keiten für das Fernsehspiel, wie die Einbeziehung der Außenwelt, Montage- und Schnitttechniken. Der Süddeutsche Rundfunk realisierte bereits 1957 das erste, aus- schließlich mit filmischen Mitteln hergestellte Fernsehspiel, eine Literaturadaption nach Friedrich Dürrenmatts Der Richter und sein Henker . Da für dieses Fernsehspiel sehr viele Außenaufnahmen vorgesehen waren, entschloss man sich auf eine kombinierte Produktion mit Studio- und Filmkameras zu verzichten und setzte nur die Filmkamera ein. Der zweite Fernsehfilm wurde ein Jahr später, 1958, ebenfalls vom SDR produziert: Besuch aus der Zone , die Bearbeitung eines Hörspiels von Dieter Meichsner durch Helmut Pigge, die den >Ost-West-Konflikt< Deutschlands thematisch aufgriff. 29 Elektronisch und filmisch realisierte Produktionen und deren Mischformen bestanden trotzdem weiterhin nebeneinander bis in die 1970er Jahre hinein. Beispiele von Mischformen sind u. a. Egon Monks Fernsehspiele Anfrage (NDR 1962) oder Mauern (NDR 1963), auf die im weiteren Verlauf dieser Arbeit noch eingegangen wird. Der Grund für den Fortbestand der elektronisch produzierten Fernsehspiele bestand u. a. in den vorhandenen Studiokapazitäten, deren Ausnutzung ökonomisch notwendig war. Die ausschließliche Studioproduktion wurde aber immer mehr zu- gunsten filmisch hergestellter Fernsehspiele verdrängt. „Die Methode, das Live-Spiel durch Filmeinblendungen zu ergänzen und dadurch vom Spieltext geforderte Situationen und Bilder zeigen zu können, die mit der Liveproduktion nicht herstellbar waren, konnte nicht beliebig ausgeweitet werden. Die Einblendungen mussten die Ausnahme bleiben. Da dies jedoch nicht immer mit den Stücken, die die Fernsehspielredaktionen ins Programm bringen wollten, vereinbar war, war der Übergang zur Filmproduktion, in der nicht nur

27 Vgl. zur Herstellung einer MAZ: Scholz, Markus: Die Drehbuchmacher . Köln 1988, S. 18-21 28 Im Verlauf dieser Arbeit wird weiterhin meistens der Begriff >Fernsehspiel< verwandt, da es sich um einen etablierten Terminus handelt und dieser innerhalb der vorliegenden Arbeit keine >technische Wertung< erfährt. 29 Siehe zu >Besuch aus der Zone< auch innerhalb dieser Arbeit unter >Die Kette an deinem Hals<. Ausführungen zum Genre der >Ost-West-Filme<. 17 einzelne Teile, sondern das gesamte Spiel mit der Filmkamera aufgenommen wurde, nur eine Frage der Zeit “.30

3.2 Vom Kunstanspruch einer Programmform zum >amphibischen Film< Analog zur fortschreitenden technischen Entwicklung erfuhr das Fernsehspiel eine lang anhaltende ästhetische Diskussion über seine Positionierung zwischen Hörfunk, Kino und Theater. Von der technischen Entwicklung geprägt und den Vorbildern des Theaters, Kinos und Hörfunks beeinflusst, suchten Fernsehtheoretiker und Fernseh- schaffende das Fernsehspiel zu positionieren. Die besonderen Merkmale, die für die Spezifik des Studio-Fernsehspiels der 1950er Jahre bestimmend wurden, waren >Nähe< und >Intimität<. Der Kammerspiel-Charakter der Studioproduktionen mit seinen Großauf- nahmen wurde bestimmend für das Fernsehspiel. Die schwerfälligen Studiokameras bildeten Szenen in Innenräumen, jedoch keine realen Außensituationen ab. Die kleinen Bildschirme der damaligen Fernsehgeräte und deren Standorte bei den Menschen zu Hause trugen ebenfalls zur Stilbildung des Fernsehspiels bei. Die Welt wurde in >Innenansichten< dargestellt, „ als eine Welt, die im Privaten spielt und dort die großen Konflikte austrägt. Mimik und Gestik der Darsteller sollten das seelische Erleben sichtbar machen “. 31 Der Fernsehspielautor und –dramaturg der Bavaria-Atelierbetriebsgesellschaft, Oliver Storz, nannte diese Form der Fernsehspielgestaltung in den 1960er Jahren kritisch „ Wohnküchendramaturgie “.32 Zudem bestand in den 1950er Jahren ein kultureller Anspruch an das Fernseh- spiel, das sich vom Film, und hier vor allem vom amerikanischen Kinofilm, als „kulturzerstörendes Element “ durch theaternahe Live-Dramaturgie unterscheiden und „ kulturstiftenden und kulturvermittelnden Charakter “ vermitteln sollte. 33 Unter Leitung Hans Gottschalks, dem Fernsehspieldramaturgen des SDR (von 1953 bis 1959) und führenden Fernsehspieltheoretiker der 1950er Jahre, wurde eine stilistische Form der Adaption entwickelt, deren Sinn es war, „ das Fernsehspiel als Kunstform gleichberechtigt neben der modernen Theaterinszenierung und dem

30 Zit. n. Hickethier, Knut: Das Fernsehspiel der Bundesrepublik . Stuttgart 1980, S. 46 31 Zit. n. Hickethier, Knut: Geschichte des deutschen Fernsehens. Stuttgart 1998, S. 152 32 Vgl. Storz, Oliver: Gibt es schon Fernseh-Regeln oder wie kann man sie lernen? In: Katz, Anne Rose (Hrsg.): Vierzehn Mutmaßungen über das Fernsehen. München 1963, S. 135 33 Vgl. zur Formbestimmung des Fernsehspiels: Hickethier, Knut: Fernsehspielforschung in der Bundesrepublik und der DDR 1950-1985. Bern 1989, S. 38-53 18

Avantgardefilm zu etablieren “. 34 Die Ausstattung der Kulisse wurde oft auf das Minimalste reduziert, um einen illusionsstiftenden Charakter zu verhindern. Gegen- stände im Raum waren spärlich vorhanden, oder wurden nur grafisch angedeutet, vor deren Ausstattungsdetails eine Konzentration auf Sprache und Darstellung der Schauspieler stattfand. In die Fernsehgeschichtsschreibung gingen Gottschalks Vor- stellungen und Umsetzungen im Fernsehspiel als >Stuttgarter Stil< ein. Gottschalk befürwortete eine Eigenständigkeit des Fernsehspiels als Kunstgattung, wobei er diese jedoch über eine filmische Produktionsweise realisiert wissen wollte, die für ihn „ im Wesen doch künstlerischer “ war. 35 Die Abgrenzung zum Spielfilm sah Gott- schalk dennoch durch den Unterschied der Möglichkeiten des kleinen Bildschirms zur großen Leinwand. Die daraus resultierenden Groß- und Nahaufnahmen machten auch für Gottschalk den intimen, privaten Charakter des Fernsehspiels aus. Von Gottschalk und der SDR-Fernsehspielredaktion ging 1955 jedoch auch eine Hinwendung zum so genannten >Fernsehrealismus< mit dem Anspruch an Originalfernsehspielen aus, in deren originärem Ursprung sich für Gottschalk gerade die Kunstform des Fernsehspiels erkennen ließ. Die Zunahme der Adaptionen für das Fernsehspiel ließ Gottschalk die Eigenständigkeit des Fernsehspiels vermissen. Er forderte daher eine Abkehr von Adaptionen und das Schreiben genuiner Fernseh- spiele von zeitgenössischen Autoren, da er einen >Kahlschlag< epischer Ausbeute prognostizierte, die eine Krise des Fernsehspiels nach sich ziehen würde. 36 Gottschalk sah die Krise des Fernsehspiels jedoch weniger vor dem Hinter- grund mangelnder dramatischer und literarischer Vorlagen, sondern „ erkannte viel- mehr, dass die Fernsehinszenierung von Theaterklassikern zwar die Inszenierungs- fähigkeit der Fernsehregisseure bewies, dem Fernsehen innerhalb des Kulturbetriebs jedoch nicht zur Anerkennung verhalf. Diese konnte nur durch literarische Eigen- ständigkeit, durch das spezifische Schreiben von Schriftstellern für das Fernsehen errungen werden “. 37 Heinz Schwitzke, Leiter der Hörspielabteilung im Hamburger Sender, setzte sich auch für das Originalfernsehspiel ein. Hörspielautoren und -dramaturgen seiner

34 Zit. n. Hickethier, Knut: Das Fernsehspiel der Bundesrepublik . Stuttgart 1980, S. 207 35 Vgl. Gottschalk, Hans: Fernsehspiel und Fernsehfilm. In: Rundfunk u. Fernsehen 1954, 2. Jg., S. 66 36 Vgl. Gottschalk, Hans: Kahlschlag im Zauberwald der Literatur. Zur Situation des Fernsehspiels. In: Rundfunk u. Fernsehen 1955, 3. Jg., H. 9 37 Zit. n. Hickethier, Knut: Das Fernsehspiel oder Der Kunstanspruch der Erzählmaschine Fernsehen. In: Schanze, Helmut; Zimmermann, Bernhard (Hrsg.): Das Fernsehen und die Künste. (= Geschichte des Fernsehens in der Bundesrepublik Deutschland hrsg. v. Kreuzer, Helmut und Thomsen, Christian W. Bd. 2) München 1994, S. 310 19

Abteilung produzierten zeitweilig auch Fernsehspiele. 38 1953 theoretisierte er den Unterschied von Film und Fernsehen dahingehend, dass er das Fernsehen als eher „menschlich “ und „ gesünder “ durch ein gemäßigteres „ Tempo der Blende und des Bildwechsels “ im Gegensatz zum schnelleren Spielfilmablauf sah.39 In seinem Vor- wort der ersten >Fernsehspiel-Anthologie< 40 grenzt Schwitzke das Hörspiel vom Fernsehspiel ab und theoretisiert den Wesensunterschied Hörspiel-Fernsehspiel dahingehend, dass er das Hörspiel eher der Lyrik und das Fernsehspiel eher dem Film vergleichbar sah und erst eine Einheit daraus eine eigenständige Kunstform für das Fernsehen ergeben würde. Karl Veit Riedel sah 1963 zunächst die Notwendigkeit, die „Begriffverwirrung “, die nicht zwischen Fernsehspiel, Fernsehfilm und Spielfilm unterschied, zu entschlüsseln. 41 Wie Gerhard Eckert sah auch Riedel das Fernseh- spiel als spezifisches Kunstprodukt des Fernsehens an. Im Unterschied zu Eckerts Thesen einer Gattungsbestimmung von 1953, sah er jedoch, zehn Jahre später, von einer unbedingten Live-Präsenz einer Studioproduktion ab. Für Riedel war das Live- Erlebnis des Zuschauers unerheblich und für die Gattungsbestimmung bedeutungs- los, denn „ der Charakter eines Kunstwerkes richtet sich nicht nach der Art der Hervorbringung, sondern nach der Wirkungsmöglichkeit des fertigen Ganzen “. 42 Die praktizierte Kameraführung zu >Nähe und Intimität< wertete Riedel eher als Reaktion auf den kleinen Bildschirm und der daraus resultierenden mangelnden Bildqualität bei Totalaufnahmen. Während für die einen das Fernsehspiel un- umstritten der Kunst zuzurechnen blieb, gab es auch andere Anschauungen. Oliver Storz ergriff eine entgegengesetzte Position, in dem er generell eine eigenständige Form des Fernsehspiels negierte, denn die Fernsehspielproduktionen waren für ihn auch als Film oder Theaterstück denkbar. 43 Die Durchsetzung der Filmtechnik und die Ökonomisierung des Produkts Fernsehspiel entschied letztlich die Richtung zum Film. Die Verlagerung der Produktion in ehemalige, privatwirtschaftlich betriebene Filmstudios, die von einzel- nen Fernsehsendern übernommen wurden, ließen die Grenzen verschwinden. In

38 Schwitzkes Position wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit noch genauer ausgeführt. 39 Vgl. Schwitzke, Heinz: Drei Grundthesen zum Fernsehen. In: Rundfunk u. Fernsehen 1953, 1. Jg., H. 2 40 Schwitzke, Heinz: Das Wort und die Bilder. Überlegungen zur künstlerischen Betrachtung des Fernsehspiels. In: Schwitzke, Heinz (Hrsg.): Vier Fernsehspiele. Stuttgart 1960 41 Vgl. Riedel, Veit Karl: Das Fernsehspiel als Kunstgattung . In: Rundfunk u. Fernsehen 1963, 11. Jg., H. 1, S. 1-15 42 Zit. n. Riedel, Karl Veit: Ebd., S. 7 43 Vgl. Storz, Oliver: Gibt es schon das Fernseh-Regeln oder wie kann man sie lernen? München 1963 20

Hamburg verkaufte 1960 die Realfilm von Gyula Trebitsch und Walter Koppel ihre Studios an die NDR Werbefernseh mbH, aus der die Atelier Betriebsgesellschaft mit dem späteren Namen >Studio Hamburg<, entstand. Doch nicht nur die Eigen- produktionen der Sender und Auftragsproduktionen, die an private Filmfirmen ver- geben wurden, ließen die Grenzen zwischen Fernsehfilm und Spielfilm ineinander übergehen, sondern besonders die Koproduktion der 1970er Jahre. „Im Fernsehspielbereich führte die Form der Koproduktion zu einer völligen Beseitigung jeglicher Abgrenzung zwischen Kinofilm und Fernsehspiel, da die Fern- sehspielabteilungen und –redaktionen in den Rundfunkanstalten diese Ko- produktionen betreuten. Günter Rohrbach, beim WDR zuständig für die Programm- bereiche Fernsehspiel und Unterhaltung, hatte bereits Ende der 60er behauptet, `Fernsehspiel ist Fernsehfilm´. “44 Der immer wieder diskutierte Kunstanspruch, das Fernsehspiel innerhalb des Programmangebots im noch relativ neuen Medium Fernsehen neben den Produktionen der älteren Medien, Theater und Film, als eigenständige Kunstgattung zu sehen, verlor sich durch die Hinwendung zum „ amphibischen Film “. 45 Es entstand eine, durch das Filmförderungsgesetz von 1974 geregelte Form finanzieller und kreativer Zusammenarbeit zwischen Fernsehen, Filmwirtschaft und der Filmförderungsanstalt, die Fernsehspiele mit filmischen Mitteln produzierte, den Fernsehspielabteilungen die Fernsehrechte und den Spielfilmproduktionen vor Aus- strahlung im Fernsehen die Kinorechte vorab bis zu zwei Jahren sicherte. 46

3.3 Typologiebildung und Genreausbildung Mit der Erweiterung der Programmbereiche bildeten sich Typen und Genres im Fernsehspielbereich heraus, die schwerpunktmäßig zusammengefasst und thematisch weiter ausdifferenziert wurden. Die Bestimmung dessen, was Fernsehspieltypen und –genres unterscheidet, ist zum einen die übergeordnete Struktur (Typologie) und zum anderen die inhaltliche Form (Genre). Innerhalb des Genres werden ganz bestimmte Themenbereiche dramaturgisch variiert, z.B. der >Ost-West-Konflikt< des geteilten Deutschlands. „ Als eine bestimmte Sammlung erzählter Geschichten beschreibt Rainer Winter das Genre, wobei die Zahl der erfassten Geschichten zumeist begrenzt

44 Zit. n. Hickethier, Knut: Das Fernsehspiel der Bundesrepublik. Stuttgart 1980, S. 50 45 Vgl. Rohrbach, Günter: Das Subventions-TV. Plädoyer für den amphibischen Film. In Pflaum, Hans Günther (Hrsg.): Jahrbuch Film. München/Wien 1977/78, S. 95-100 46 Vgl. Hickethier, Knut: Geschichte des deutschen Fernsehens. Stuttgart 1998, S. 353 21 ist und diese Modellgeschichten vielfältig variiert werden können. Genre bestimmend sind wiederkehrende Erzählmuster, Themen und Motive. “47 Genre-Geschichten sind daher generell auf spezielle Bereiche begrenzt und stellen eine Kombination aus verschiedenen Konstanten dar, wie einer immer gleichen regionalen Ansiedlung der Geschichten (Ost- u. Westdeutschland / dem amerikanischen Westen des >US-Western-Genres< usw.) und gleicher Motive, wie dem >Flucht-Motiv< oder beispielsweise das des >Lonesome Cowboys<). 48 Im Unterschied zu den Genres, die durch bestimmte thematische oder stilistische Gemeinsamkeiten erkennbar sind, wird die Typologie der Fernsehspiele durch die äußere Form bestimmt. Es entstand z. B. die serielle Form, die einzelne Episoden in Folgen aus- strahlte. „ Im Gegensatz zum Genre bestimmt sich der Fernsehspieltypus nicht durch eine thematische bzw. motivliche Konstante, sondern stellt eine `Variation der Formbestimmung´ dar, wie beispielsweise das Dokumentarspiel oder die Serie. Typus und Genre schließen sich nicht gegenseitig aus, Genres können sich quer zu einzelnen Typen entfalten, wobei allerdings durchaus Affinitäten eines Genres zu einem bestimmen Fernsehspieltypus vorhanden sein können. “49 Letzteres ist besonders für das Genre >Krimi< erkennbar, das gerade als >Serie< oder >Reihe< fester Programmbestandteil wurde. Die seit 1970 bestehende Krimireihe >Tatort< als Gemeinschaftsproduktion der ARD-Sendeanstalten und des ORF steht beispielhaft für die Affinität eines Genres zu einem bestimmten Fernseh- spieltypus. Hier stehen einzelne, in ihrer Handlung abgeschlossene Filme an ver- schiedenen Orten, mit wechselnden Hauptakteuren für ein bestimmtes fiktionales Angebot. Als Krimiserie, im Unterschied zum Reihencharakter mit immer gleichen Protagonisten und thematischer Fortsetzung, sei hier beispielhaft die US-Serie Auf der Flucht genannt. Unzählige andere in- und ausländische Krimiserien wurden zum festen Programmbestandteil aller Fernsehsender. Darunter zunächst überwiegend in den USA eingekaufte Serien wie Der Chef (ARD) oder Tennisschläger und Kanonen

47 Zit. n. Hickethier, Knut: Film- und Fernsehanalyse. Stuttgart 1996, S. 199. Vgl. Winter, Rainer: Filmsoziologie. München 1992, S. 37 ff. 48 Vgl. Brunow, Dagmar: Western, „Rasse“, Geschlecht, Nation und der amerikanische Mythos. In: Zur Entwicklung von Filmgenres und ihrer Bedeutung in der Medienkultur und Medienwissenschaft der Gegenwart. Beitrag Ringvorlesung Genre Reloaded, Universität Hamburg WS 2010/11. Vgl. auch: Brunow, Dagmar: Western. In: Kuhn, Markus; Scheidgen, Irina; Weber, Nicola Valeska (Hrsg.): Filmwissenschaftliche Genreanalyse. Eine Einführung. Berlin 2013, S. 39-61 49 Zit. n. Hickethier, Knut: Fernsehspielforschung in der Bundesrepublik und der DDR 1950-1985. Bern 1989, S. 62 22

(ZDF). Bald folgten in Europa produzierte Serien wie die beiden britischen Mit Schirm, Charme und Melone oder Kommissar Maigret . Letztere wurde zum Vorbild für die deutsche Krimiserie Der Kommissar (ZDF). Aber auch Krimi-Mehrteiler wie Das Halstuch von Francis Durbridge (WDR 1962) oder Die Gentlemen bitten zur Kasse (NDR 1966) gehörten dazu. Serien- charakter hatten auch Familiengeschichten wie Unsere Nachbarn heute Abend: Die Schölermanns (NWDR/NWRV, 111 Folgen von 1954 bis 1960) und Die Unver- besserlichen (NDR, 1965 bis 1971, ein Fernsehspiel pro Jahr). Zur seriellen Unter- haltung zählten weiterhin Western, wie die US-Serie Bonanza , die erstmalig in den 1960er Jahren in der ARD gesendet und in den folgenden Jahren auf verschiedenen Sendern mehrfach wiederholt wurde. Bereits 1958 unterschied Clemens Münster sechs Stückgruppen mit unter- schiedlicher Thematik, jedoch willkürlich, ohne innere Systematik.50 Dabei handelte es sich um: 1. Lustspiele, 2. Kriminal- und Gesellschaftsstücke, 3. Klassiker, 4. Dokumentarspiele, 5. Volksstücke und 6. Historische Stücke neuerer Autoren. Im Gegensatz zu Clemens Münster, dessen Aufschlüsselung sich zwangs- läufig auf die frühen Fernsehspiele bezog, deren Grundlage Literatur- und Theater- adaptionen waren, stellt Thomas Koebner 1975 für die 1960er Jahre eine bestimmte thematische Wiederkehr der Fernsehspielinhalte fest, die er nach >Problemgruppen< ordnete. 51 Dabei handelt es sich um: 1. Der kleine Angestellte und die Verkäuferin, 2. Karrieremacher, 3. Die zerrüttete Familie, 4. Plädoyer für die Ausgestoßenen: Alte Leute und Strafgefangene, 5. Aufstand der Jungen, 6. Ungerechtigkeit in der Arbeitswelt, 7. Die verdrängte Vergangenheit, 8. Die deutsche Spaltung und 9. Pannen des Systems. Das vorwiegend angestrebte Unterhaltungsmoment im Fernsehspiel der 1950er Jahre erfuhr mit der Veränderung der Gesellschaft in den 1960er Jahren zu- sätzlich einen oftmals kritischen Zeitanspruch, den Koebner in der sozialen Problematik der Gesellschaft im Fernsehspiel thematisch verarbeitet sah: „ Die Skala reicht von den Problemen des Privatlebens zu Auffassungen von Familie und Jugend,

50 Münster, Clemens. Die Auswahl von Fernsehspielen. In: Rundfunk u. Fernsehen 1958, H. 2, S. 127- 139 51 Koebner, Thomas: Das Fernsehspiel – Themen und Motive. In: Rüden, Peter von (Hrsg.): Das Fernsehspiel. Möglichkeiten und Grenzen. München 1975, S. 20-65 23

Berufs- und Gesellschaftserfahrungen, schließlich Vorstellungen von Geschichte und Politik. “52 Gesellschaftskritische Fernsehspiele, die mit Einführung der filmischen Produktionstechniken vermehrt zeitgenössische Problematiken aufgriffen, zeigten häufig eine Affinität zur Dokumentation. Es entstanden Mischformen, wie der dokumentarische Film mit Spielszenen und der >Interview-Dokumentarismus<. Als Beispiele seien hier die Fernsehspiele Novemberverbrecher von Dieter Meichsner (NDR 1968) oder Nachrede auf Klara Heydebreck von Eberhard Fechner (NDR 1969) genannt. Der Dokumentarfilmer Klaus Wildenhahn drehte 1968 für die Fern- sehspielabteilung Egon Monks die Dokumentation In der Fremde . Ein Mehrteiler, der keine Spielszenen beinhaltete, sondern einen Bauarbeitertrupp auf Montage dokumentarisch begleitete. 53

3.4 Etablierung des Fernsehens Unabhängig von technisch basierten oder thematisch-strukturell deklarierten Unter- scheidungen, definiert Peter von Rüden das Fernsehspiel 1975 über Reichweite und (mögliche) Wirkung eines Massenmediums: „ Fernsehspiel ist jede szenisch-fiktive Darstellung, die durch das Medium Fernsehen verbreitet und dadurch quantitativ ungleich mehr Zuschauer als der Film im Kino oder die Aufführung im Theater er- reicht und durch die Glaubwürdigkeit des Mediums insgesamt qualitativ größere Wirkungen möglich sind. “54 Die Bedeutung der Wirkung des Fernsehspiels ist so zunächst vor dem Hintergrund eines wachsenden Mediums und seiner Akzeptanz zu sehen. Die Aus- weitung der Programmangebote und die zunehmende Verbreitung des Fernsehens in den deutschen Haushalten veränderten allmählich die Gewohnheiten der Menschen. So bedeutete der mediale Einfluss des Fernsehens zunächst Veränderungen mensch- lichen Beisammenseins. Unterhaltung und Information durch das Fernsehen sind bis

52 Zit. n. Koebner, Thomas: Ebd., S. 20 53 Vgl. u.a. zur Entstehung von Informations- u. Dokumentarsendungen: Ludes, Peter; Schumacher, Heidemarie; Zimmermann, Peter (Hrsg.): Informations- und Dokumentarsendungen. (= Geschichte des Fernsehens in der Bundesrepublik Deutschland hrsg. v. Kreuzer, Helmut und Thomsen, Christian W. Bd. 3) München 1994. Vgl. zur Entstehung von Fernsehspielen, Dokumentationen und deren Mischformen sowie Angaben zu den genannten Fernsehspielen u.a. : Hickethier, Knut: Das Fernseh- spiel oder Der Kunstanspruch der Erzählmaschine Fernsehen. In: Schanze, Helmut; Zimmermann, Bernhard (Hrsg.): Das Fernsehen und die Künste. (= Geschichte des Fernsehens in der Bundes- republik Deutschland hrsg. v. Kreuzer, Helmut und Thomsen, Christian W . Bd. 2) München 1994, S. 326-327 54 Rüden, Peter von: Fernsehspiel oder Spiel im Fernsehen – Anmerkungen zu einer Programmform. In: Ders. (Hrsg.): Das Fernsehspiel. Möglichkeiten und Grenzen. München 1975, S. 12 24 in die heutige Zeit vielfach vorrangige Freizeitgestalter. 55 Bis Mitte der 1950er Jahre war die Anschaffung eines Fernsehgerätes für die Mehrheit der Bevölkerung un- erschwinglich. Der Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg machte andere An- schaffungen vordringlich. Ein Fernsehgerät gehörte zu den Luxusgütern. Vor dem Hintergrund der sich allmählich verbessernden wirtschaftlichen Situation der Be- völkerung der 1950er Jahre erfuhr das Fernsehen im häuslichen Bereich einen ver- mehrten Stellenwert. Die zunächst nur Besserverdienenden vorbehaltende, teure An- schaffung eines Fernsehempfängers wurde nach und nach, auch durch zusätzliche Reduzierung der Gerätekosten, für weite Teile der Bundesbürger erschwinglich. 56 Die Bequemlichkeit der eigenen vier Wände verschafften dem >Pantoffel- kino< zudem einen Vorteil vor dem Kino- oder auch Theaterbesuch und anderen Unterhaltungsmöglichkeiten. Die Integration des Fernsehens in die Haushalte galt bald als „ Familien bindend “, da es „ durch die schon früh bemerkte größere häusliche Anbindung der Familienmitglieder eine zumindest zeitweise wirksam werdende Stärkung des familiären Zusammenhalts “ erreichte. (…) „ Die Auswirkungen des Fernsehens auf den Familienzusammenhang wurden in den fünfziger und sechziger Jahren als besonders gewichtig genommen, weil die Familie als ‚Keimzelle´ der Ge- sellschaft galt und ihr in der konservativ ausgerichteten Bundesrepublik besondere Wertschätzung zuteil wurde “. 57 1955 wurde durch die NWDR-Hörerforschung eine Untersuchung durch- geführt, die den Einfluss des Fernsehens auf die Lebensgewohnheiten der Zuschauer ergründen sollte. Dabei wurde u. a. festgestellt, dass die Besitzer eines Fernseh- gerätes „ einen stärkeren Hang zur Häuslichkeit “ entwickelten und „ die eigenen vier Wände zum bevorzugten Aufenthaltsort machten “. Es beurteilten einundsiebzig Pro- zent der Befragten die Bedeutung des Fernsehens für sich und ihre Familie als günstig, neun Prozent als teilweise günstig, drei Prozent als ungünstig und keine An- gaben dazu machten siebzehn Prozent. 58 Zweiundachtzig Prozent der Fernseh- teilnehmer schalteten sich schon 1955 täglich in das Fernsehprogramm ein, das mit

55 Vgl. dazu u.a.: ARD/ZDF Langzeitstudie Massenkommunikation seit 1964 zum Medienkonsum. Vgl. auch die Statistischen Jahrbücher hrsg. v. Statistischen Bundesamt zum Mediennutzungsver- halten, Stand 1.1. des jeweiligen Jahres 56 Vgl. u. a. zur Entwicklung der Kaufkraft in Bezug zu Anschaffungskosten langlebiger Konsumgüter Angaben des statistischen Bundesamtes, z. B. Kaufkraft pro Lohnminute für ein TV-Gerät: 1950: 351 Std. u. 38 Min. / 2009: 35 Std. u. 31 Min., Statistisches Bundesamt Köln, 10/2013 57 Zit. n. Hickethier, Knut: Zwischen Einschalten und Ausschalten. Fernsehgeschichte als Geschichte des Zuschauens. In: Faulstich, Werner (Hrsg.): Vom Autor zum Nutzer: Handlungsrollen im Fern- sehen. (= Geschichte des Fernsehens in der Bundesrepublik Deutschland hrsg. v. Kreuzer, Helmut und Thomsen, Christian W. Bd. 5) , München 1994, S. 261 f. 58 Fernsehen durch die Zuschauerbrille. Das Ergebnis einer Hörerforschung des Nordwestdeutschen Rundfunks . In: Frankfurter Allgemeine, 29.6.1955 25 der Überschreitung des millionsten Fernsehgebührenzahlers am 1. Oktober 1957 zum Massenmedium wurde. Nach Etablierung des Fernsehens in deutschen Wohnzimmern wurde das neue Unterhaltungsmedium zunehmend als politisches Instrument erkannt. Die Bundesregierung unter Konrad Adenauer strebte die Einrichtung eines zweiten Fern- sehprogramms an, was jedoch vom Bundesverfassungsgericht 1961 untersagt wurde. Darauf erfolgte durch die Bundesländer die Gründung einer zweiten, öffentlich- rechtlichen Fernsehanstalt (ZDF), die 1963 auf Sendung ging. Die ARD strahlte bis zum Sendebeginn des ZDF am 1. April 1963 vom 1. Juni 1961 bis zum 31. März 1963 als Übergangslösung ein zweites ARD-Programm aus. 59 Analog zur Etablierung des Fernsehens stieg der Programmbedarf, der auch für den Fernseh- spielbereich Veränderungen mit sich brachte. Die schnell ansteigende Ausbreitung des Fernsehens nach 1957 60 ermöglichte durch die Gebühreneinnahmen auch einen größeren Etat für die Fernsehspielproduktion. Strukturelle und personelle Ver- änderungen der Sender kamen hinzu. 61 Am Beispiel des NWDR/NWRV bis hin zum NDR wird im Folgenden die Entwicklung des Fernsehspiels nachgezeichnet.

3.5 Das NWDR/NWRV-Fernsehspiel - Produktionsgruppen vor Gründung der Hauptabteilung Fernsehspiel im NDR Während der britischen Besatzungszeit erfolgte 1948 in der britischen Besatzungs- zone die Wiederaufbauphase des Fernsehbetriebs im Nordwestdeutschen Rundfunk (NWDR), bestehend aus den Sendern Hamburg, Köln und Berlin. Am 12. Juli 1950 sendete der NWDR-Hamburg das erste Fernsehtestbild nach dem Krieg und startete ab dem 25. Dezember 1952 ein regelmäßiges Programm aus dem Bunker auf dem Hamburger Heiligengeistfeld. Ab dem 20. Oktober 1952 übertrug der Berliner Sender seinen Programmanteil nach Hamburg. Ein einheitliches Programm für alle NWDR-Sender war erst nach Überwindung technischer Schwierigkeiten möglich

59 Vgl. zur Gründung des Zweiten Fernsehprogramms: Bleicher, Joan Kristin: Institutionsgeschichte des bundesrepublikanischen Fernsehens. In: Hickethier, Knut (Hrsg.): Institution, Technik und Programm. Rahmenaspekte der Programmgeschichte des Fernsehens. (= Geschichte des Fernsehens in der Bundesrepublik Deutschland hrsg. v. Kreuzer, Helmut und Thomsen, Christian W. Bd. 1) München 1993, S. 100-103 60 1960 wurden bereits über 3 Millionen Fernsehteilnehmer gezählt, 1970 über 15 Millionen. Vgl. zur Statistik der Fernsehexpansion u. a.: Adolph, Jörg; Scherer, Christina: Tabellen zur Programm- u. Institutionsgeschichte des Fernsehens in der Bundesrepublik Deutschland. In: Hickethier, Knut (Hrsg.): Institution, Technik und Programm. Rahmenaspekte der Programmgeschichte des Fern- sehens. (= Geschichte des Fernsehens in der Bundesrepublik Deutschland hrsg. v. Kreuzer, Helmut und Thomsen, Christian W. Bd. 1) München 1993, S. 405-418 61 Vgl. u.a. Hickethier, Knut: Das Fernsehspiel der Bundesrepublik. Themen, Form, Struktur, Theorie und Geschichte. 1951-1977. Stuttgart 1980, S. 10-16 26 geworden. Das Übertragungsnetz der Deutschen Bundespost musste West-Berlin, das als Insel im DDR-Gebiet lag, über eine 120 Kilometer lange Distanz sende- technisch mit Hamburg verbinden. Auf einer Anhöhe an der Grenze, im Bereich Dannenberg, wurde eine Übertragung mittels Dezimeterwellen zum Berliner Stand- ort Nikolassee eingerichtet. Am 1. Januar 1953 stand auch die Sendestrecke von Hamburg nach Köln, so dass das Fernsehgemeinschaftsprogramm der drei NWDR- Sender ausgestrahlt werden konnte. Im November 1954 waren alle Sendeanstalten der ARD miteinander verbunden.62 Da für die einzelnen Landesrundfunkanstalten die Produktion eines eigenen Programms zu teuer war, wurde ein Gemeinschaftsprogramm angestrebt, zu dem die einzelnen Sender ihren Beitrag zu leisten hatten. Für den Anteil der jeweiligen Sendeanstalten wurde vom Programmausschuss eine Beitragsquote gemäß dem An- teil ihrer Gebühren zahlenden Fernsehzuschauer ermittelt. Dies bedeutete für den größten Sender, den NWDR, auch entsprechend den größten Programmanteil, der 1953 etwa 50 Prozent der Produktion des Fernsehprogramms entsprach. Der Programmanteil des Bayerischen Rundfunks (BR) betrug 1953 20 Prozent, der des Hessischen Rundfunks (HR), des Süddeutschen Rundfunks (SDR) und des Südwest- funks (SWF) jeweils 10 Prozent. 63 Ab dem 8. April 1954 entschied die >Ständige Programmkonferenz< über Gestaltung und Zusammensetzung des Programms. Der 1. November 1954 war der offizielle Beginn des Gemeinschaftsprogramms der Arbeitsgemeinschaft der Rund- funkanstalten Deutschlands (ARD). 1954/55 kam es zur Aufteilung des NWDR. Am 12. November 1953 wurde der Sender Freies Berlin (SFB) gegründet. Auch die ver- bleibenden Sender Hamburg und Köln lösten sich als gemeinsame Sendeanstalt auf. Aus dem NWDR-Hamburg und dem NWDR-Köln entstanden die Landesrundfunk- anstalten Norddeutscher Rundfunk (NDR) und Westdeutscher Rundfunk (WDR). Am 12. Mai 1954 verabschiedete das Bundesland Nordrhein-Westfalen ein Gesetz zur Gründung des WDR. Am 16. Februar 1955 wurde der NDR für den Sendebereich der Länder Hamburg, Schleswig-Holstein und Niedersachen gegründet.64

62 Vgl. Hickethier, Knut: Geschichte des deutschen Fernsehens. Stuttgart 1998, S. 77 f. 63 Vgl. Bleicher, Joan Kristin: Chronik der Institutionsgeschichte des deutschen Fernsehens. In: Hickethier, Knut (Hrsg.): Institution, Technik und Programm. Rahmenaspekte der Programm- geschichte des Fernsehens. (= Geschichte des Fernsehens in der Bundesrepublik Deutschland hrsg. v. Kreuzer, Helmut und Thomsen, Christian W . Bd. 1) München 1993, S. 371-403 64 Am 1.3.1992 trat mit dem Beitritt von Mecklenburg-Vorpommern der neue Staatsvertrag des NDR zur Vier-Länder-Anstalt in Kraft. 27

„WDR und NDR arbeiteten jedoch auch weiterhin in einer besonderen öffentlich-rechtlichen Körperschaft, dem ‚Nord- und Westdeutschen Rundfunkver- band´ (NWRV) zusammen: neben sendetechnischen und juristischen Aufgaben be- trieb er vor allem das Fernsehen. Diese Form des zusätzlichen Verbundes war jedoch nur eine Übergangslösung, WDR und NDR strebten auch in den dem NWRV übertragenen Bereichen die Selbständigkeit an. Ab 1958 wurde deshalb die Auf- lösung des NWRV betrieben, mit dem 31.3.1961 hörte der NWRV zu bestehen auf .“ 65 Der NDR war jedoch gegenüber dem WDR besser ausgestattet. In Hamburg gab es mehr Studios und Personal als in Köln. Dies änderte sich jedoch in der Folge- zeit. „ Aufgrund unterschiedlicher Gebührenaufkommen im Gebiet des NDR und des WDR war vor allem der WDR schon bald an der Aufrechterhaltung des NWRV nicht mehr interessiert. 1957 nahm der WDR rund 16 Millionen, der NDR aber nur 6 Millionen DM Fernsehgebühren ein, denn drei Viertel der Fernsehteilnehmer des NWRV wohnten im Sendegebiet des WDR. Als schließlich der WDR auch als Fern- sehanstalt technisch und organisatorisch autark war, kündigte der damalige NRW- Ministerpräsident Meyers den NWRV-Staatsvertrag im September 1959. “66 Für die Entwicklung des Fernsehspiels bedeutete die, zu Beginn des NWDR bestehende, bessere Ausstattung des Hamburger Senders auch ein größeres Engagement in der Fernsehspielproduktion. Personell gesehen hatten sich etliche Menschen mit >Fernseherfahrung< aus der Vorkriegs- bzw. Kriegszeit in Hamburg eingefunden. Doch es zeichnete sich erst langsam eine geordnete Konzeptionierung im noch jungen Medium ab. Mehrere NWDR-Mitarbeiter, vom Theater, NS- Fernsehen oder Hörfunk kommend, produzierten Fernsehspiele. Darunter, maßgeb- lich für das Fernsehspiel, die Regisseure Hanns Farenburg und John Olden sowie der Leiter der Hörfunkabteilung, Heinz Schwitzke, in nachfolgenden Ausführungen be- schrieben. Hanns Farenburg 67 erhielt nach dem Abitur und seiner Dienstzeit beim Militär >dramatischen Unterricht< in Hannover und bekam 1920 sein erstes Engagement beim Theater, was ihn über verschiedene Bühnen als Schauspieler und Regisseur in Hannover, Flensburg, Stuttgart und Rostock 1928 nach Berlin führte. Dort arbeitete er in mehreren Berliner Theatern, u. a. von 1932 bis 1933 als Ober-

65 Zit. n: Hickethier, Knut: Das Fernsehspiel der Bundesrepublik. Stuttgart 1980, S. 11 66 Zit. n. Bleicher, Joan Kristin: Institutionsgeschichte des bundesrepublikanischen Fernsehens. In: Hickethier, Knut (Hrsg.): Institution, Technik und Programm. Rahmenaspekte der Programm- geschichte des Fernsehens. (= Geschichte des Fernsehens in der Bundesrepublik Deutschland hrsg. v. Kreuzer, Helmut und Thomsen, Christian W. Bd. 1) München 1993, S. 95 67 Hanns Farenburg, geb. 28.2.1900 in Steinau a. d. Oder, gest. 3.6.1964 in Hamburg 28 spielleiter am Schlosspark-Theater in Berlin-Steglitz. 1937 erhielt er eine Anstellung als Oberspielleiter am Rundfunksender Saarbrücken, bei dem er ein >eigenes Funk- ensemble für Hörspiele< gründete. 1939 wurde er ebenfalls in der Position eines Oberspielleiters an den Berliner NS-Fernsehsender Paul Nipkow berufen. Von 1945 an arbeitete er freiberuflich in Berlin bei Theater, Film und Rundfunk, bevor er 1950 zunächst ohne festen Dienstvertrag als Oberspielleiter im NWDR für Fernsehspiele, Musik- und Opernproduktionen, musikalische Lustspiele, Unterhaltung, Dramaturgie und das Besetzungsbüro zuständig war. 68 1951 inszenierte er als Regisseur im NWDR-Versuchsfernsehen das erste Fernsehspiel nach dem Krieg: Goethes Vorspiel auf dem Theater . Im Eröffnungsprogramm des NWDR am 25. Dezember 1952 in- szenierte er das Fernsehspiel Stille Nacht, heilige Nacht . Am 1. Juli 1952 unter- zeichnete der Generaldirektor des NWDR, Adolf Grimme, einen befristeten Dienst- vertrag Farenburgs als Oberspielleiter, der zum 1. Januar 1953 in Kraft trat und am 31. Dezember 1954 enden sollte. 69 Bis 1957 wurde er jedoch als Oberspielleiter und danach als erster Spielleiter im NWRV /NDR beschäftigt. Er war ein Verfechter des Live-Spiels, da „ bei einer Aufzeichnung der Glanz verloren geht. Der Glanz der Premiere, die ja jede Live-Sendung ist “. 70 Er verkannte jedoch nicht, dass Live-Inszenierungen in den 1960er Jahren nicht mehr ausschließ- lich machbar gewesen wären. „ Das wäre nicht mehr möglich. Das Fernsehen ist ja heute ein Riesenapparat geworden. Und wollten Sie ein Spiel live senden, so würden Sie während der ganzen Probezeit bis zur Sendung das Studio blockieren. Das ist natürlich unmöglich. Für repräsentative Stücke sollte man aber doch wieder mehr zur Live-Sendung zurückkehren. “ Rückblickend bemerkte er 1962: „ Das waren noch Zeiten! Und Arbeits- bedingungen, die heute ihrer Primitivität wegen für Märchen gehalten würden. “71 Farenburg hatte bereits 1952 als freier Mitarbeiter des NWDR begonnen, seinen Aufgabenbereich, die Abteilung >Sendung und Programm<, neu zu strukturieren. Diese war ihm vom Fernsehintendanten des NWDR, Werner Pleister, als eine von drei gegründeten Hauptabteilungen, unterstellt worden. 72 Farenburgs Verantwortungsbereich umfasste den gesamten Unterhaltungsbereich: Fernsehspiele,

68 In: Interpress . Internationaler biographischer Pressedienst, Nr. 56, 17.2.1960 sowie Biographisches Archiv des NDR 69 In: Biographisches Archiv des NDR 70 Zit. n. Farenburg, Hanns: Das Fernsehgespräch: Das waren noch Zeiten. In: Stuttgarter Nach- richten, 14.12.1962 71 Zit. n. Farenburg, Hanns: Ebd. 72 Die beiden anderen Hauptabteilungen waren >Betriebstechnik< und >Verwaltung<. Vgl. Hickethier, Knut: Geschichte des deutschen Fernsehens . Stuttgart 1998, S. 72 29

Musik- und Opernproduktion, musikalische Lustspiele, Unterhaltung (Quiz), Drama- turgie sowie das Besetzungsbüro. 73 In einem Brief an Pleister schildert Farenburg detailliert seine Vorstellungen für den Fernsehspielbereich, nachdem ihm inner- betrieblich der Vorwurf einer „ ungenügend vorausschauenden Planung “ gemacht wurde. 74 Im Folgetext legte er eine Aufstellung bei, die seine Vorstellungen verdeut- lichten. „ Ich richte 4 Produktionsgruppen ein, für die zunächst probeweise je 1 Gast- regisseur eingesetzt werden soll. Diese Produktionsgruppen werden nach von mir gegebenen Richtlinien arbeiten und unter meiner Anleitung Fernsehspiele ein- studieren, so dass wir etwa ab Mitte Juli zunächst wöchentlich 1 Fernsehspiel liefern können. Ich habe ein genügendes Repertoire vorliegen und werde 2 Gruppen für moderne Unterhaltung einsetzen, während die beiden anderen Gruppen für Klassiker und Biographien berühmter Männer und berühmter Liebespaare gedacht sind. “75 Im weiteren Verlauf teilte Farenburg Fernsehspiele ein in >Moderne Literatur<, >Klassiker< und >Oper< und stellte nicht weiter bezeichnete „ Neu- erwerbungen “ in Aussicht sowie ihm „ angekündigte Stücke der Gruppe 47 “, der dem Fernsehen eher skeptisch gegenüber stehenden Gruppe namhafter Schriftsteller der Gegenwartsliteratur. Den organisatorischen Rahmen versah er mit sich als Oberspiel- leiter, einem aus drei Personen bestehenden, ihm direkt unterstellten Stab und den Unterteilungen in Dramaturgie, Lektorat, Sekretariat, vier Produktionsgruppen und Archiv. Besonders das Gewinnen renommierter Literaten, Theater- und Filmautoren für das neue Medium Fernsehen gestaltete sich in den Fernsehspielanfängen schwierig. Die Problematik der Autorensuche belegt Farenburgs Schilderung aus dem Jahr 1953, die über eine langsam anlaufende Fernsehspielproduktion berichtete, die immerhin schon für „ 2 und 3 Monate im Voraus einzustudieren “ in der Lage war. 76 Neben der technisch und organisatorisch besseren Ausstattung des Hörfunks im Gegensatz zum Fernsehen, beklagte Farenburg vor allem den Mangel an finanziellen Mitteln, der es ihm unmöglich machte, zeitgenössische Autoren für das

73 In: Biographisches Archiv des NDR 74 Brief von Hanns Farenburg an Werner Pleister, 30.5.1952. In: Biographisches Archiv des NDR 75 Zit. n. Farenburg, Hanns: Ebd. 76 Farenburg, Hanns: Von der Hand in den Mund. Gedanken zur Fernseharbeit. In: FFF-Press, 15.6.1953 30

Fernsehspiel zu gewinnen. So war das Honorar für Film- und auch Hörspielautoren erheblich höher. Farenburg bezifferte dies in seinen Ausführungen mit Zahlen: „Gute Filmautoren sind selten. Sie werden von den Produktionsgesellschaften gehegt, gepflegt und verwöhnt…auch mit dem Honorar! Der Rundfunk [gemeint ist der Hörfunk/S.B.] lässt seit einiger Zeit seinen Autoren ebenfalls eine gesunde Honorarpflege angedeihen. Nennen wir Zahlen: Der Filmbuchautor von Rang kann mit Honoraren zwischen 10 und 40000 DM rechnen; der Rundfunkautor eines Hör- spiels zwischen 2000 und 8000 DM. Beim Fernsehautor aber reicht es im heutigen Stadium höchstens mit einigen Wiederholungen bis zur untersten Grenze der Hör- spielhonorare. “77 Nicht nur der fehlende monetäre Anreiz, sondern auch das Unbekannte des neuen Mediums ohne die erprobten Formen des Theaters und des Kinofilms, wirkte auf Autoren eher abschreckend denn motivierend. Zu dem von Farenburg be- schriebenen, mangelnden finanziellen Anreiz, für das Fernsehen zu arbeiten, kam als wesentlicher Punkt hinzu, dass den meisten Autoren die kulturelle Anerkennung im Kreise renommierter Dramatiker und Literaten fehlte. Die geringe Mitarbeitsbereit- schaft der Autoren war jedoch nicht das einzige Problem. In den frühen 1950er Jahren arbeiteten die meisten Schauspieler und Regisseure noch für den Film und beim Theater. Aber da das Fernsehspiel >live< gesendet wurde und sich mit den Theaterzeiten am Abend überschnitt, mangelte es Farenburg an guten Darstellern. „Sehr schwierig haben wir es beim heutigen Stand des Fernsehfunks vielfach mit den Schauspielern und Regisseuren. Wie sollen wir Rollen besetzen, wenn doch nur ein Teil der Schauspieler, und zwar der geringste und nicht immer leistungs- fähigste, greifbar ist? Auf das Wohlwollen und auf den Weitblick der Theater- direktoren sind wir heute angewiesen, weil wir doch nur zwischen 20 und 22 Uhr senden können. Und das ist ja gerade die Zeit der Abendvorstellungen im Theater. “78 So kam Farenburg in seinem Fazit zu der Erkenntnis, dass sich dieses nur durch verstärkte finanzielle Zuwendungen lösen ließe. „ Auf die Dauer gesehen werden wir nicht daran vorbeikommen, besondere Schauspielerensembles für die ausschließliche Arbeit im Fernsehfunk zu entwickeln. Sie müssen uns ständig zur Verfügung stehen und das wird recht erhebliche finanzielle Mittel in Anspruch

77 Zit. n. Farenburg, Hanns: Ebd. 78 Zit. n. Farenburg, Hanns: Ebd. 31 nehmen. “ Dahingehend folgerte er: „ Erst die weite Verbreitung des Fernsehens und die steigenden Teilnehmerzahlen können uns diese Möglichkeit geben. “79 Der von Farenburg als finanziell und organisatorisch besser ausgestattet be- schriebene Hörfunk unterstand im NWDR Heinz Schwitzke. 80 Zwanzig Jahre lang leitete er die Hörfunkabteilung, deren Leiter er am 1. November 1951 wurde. 81 Heinz Schwitzke wuchs in Berlin auf, machte dort sein Abitur und promovierte 1931 nach dem Studium der Philosophie, Kunst- und Musikwissenschaft an der Berliner Uni- versität. Nach kurzer Tätigkeit als Hörspielkritiker wurde er von 1932 bis 1938 literarischer Redakteur im Deutschlandsender. Nach seiner Teilnahme am Zweiten Weltkrieg von 1939 bis 1945 kam er in russische Kriegsgefangenschaft, aus der er erst 1948 entlassen wurde. Danach arbeitete er als Kritiker beim Evangelischen Pressedienst und war Mitbegründer der Medienkorrespondenz epd/Kirche und Rund- funk. 1951 wurde er von Adolf Grimme als Leiter der Hörfunkabteilung in den NWDR berufen. Neben dieser Tätigkeit veröffentlichte Schwitzke eine Reihe von Publikationen über das Hörspiel. 82 Seine Arbeit im Hörfunk zeichnete sich durch einen großen Einsatz in der Entwicklung des Originalhörspiels aus. Schwitzkes Hörspielredaktion arbeitete in den 1950er Jahren auch für das Fernsehspiel, für das es einen Oberspielleiter (Farenburg) gab, aber noch keine eigene Abteilung und zu wenige Autoren. So kamen viele Autoren des frühen Fernsehspiels nicht nur aus den Reihen der Theater- autoren, sondern auch aus dem Bereich des Hörfunks. An dieser Stelle seien stellver- tretend für den NWDR/NWRV Claus Hubalek, Dieter Meichsner und Horst Lommer genannt, da sie später eng mit Egon Monk in dessen Fernsehspielabteilung zu- sammen arbeiteten. Auch Monk fing 1957 als Hörspieldramaturg unter Leitung Schwitzkes an zu arbeiten. So wie Schwitzke sich für die Entwicklung für das eigens für den Hörfunk geschriebene Stück einsetzte, bemühte er sich auch um die Ent- stehung des Originalfernsehspiels. 83 Auch zum neuen Medium Fernsehen und dem Fernsehspiel publizierte Schwitzke zahlreiche Beiträge. 84

79 Zit. n. Farenburg, Hanns: Ebd. 80 Heinz Schwitzke, geb. 13.2.1908 in Helbra, gest. 25.10.1991 in Braunlage 81 In: Biographisches Archiv des NDR 82 In: Interpress. Internationaler biographischer Pressedienst, Nr. 31, 6.2.1978. Veröffentlichungen zum Hörfunk u. a. Schwitzke, Heinz: Das Hörspiel. Dramaturgie und Geschichte. Köln/Berlin 1963 83 Vgl. Hickethier, Knut: Das Fernsehspiel der Bundesrepublik. Themen, Form, Struktur, Theorie und Geschichte 1951-1977. Stuttgart 1980, S. 88 84 Veröffentlichungen zum Fernsehen u. a.: Schwitzke, Heinz: Das Fernsehen ist da – was nun? An- sätze zu einer dramaturgischen Besinnung. In: epd/Kirche u. Rundfunk 29.12.1952, Nr. 26, S. 2-4. 32

Für den NWDR und NWRV inszenierte auch John Olden, 85 von dem Monk nach dessen Tod sagte: „ Er war völlig sicher in der Beurteilung dessen, was Zu- schauer gefangen nimmt und dessen, was sie langweilt. “86 Der Wiener Olden hatte nach dem Schauspielunterricht ein Engagement am Wiener Volkstheater, spielte Kabarett, emigrierte 1939 nach England und nahm als britischer Panzergrenadier am Zweiten Weltkrieg teil. 1945 kam er als englischer Theateroffizier im Rang eines Majors nach Deutschland. Zunächst setzte er sich für Hamburger Theater ein. „Olden sorgte dafür, dass das Schauspielhaus schnell in Gang kam, dass Schauspieler spielten, dass Stücke aufgeführt wurden, die zwölf Jahre lang nicht ge- zeigt werden durften – auch zu sehen waren. Er entschloss sich hier zu bleiben, denn er verliebte sich in die Schauspielerin Inge Meysel und heiratete sie. Olden interessierte sich weniger für das Theater, sondern mehr für das neu in Gang gesetzte Fernsehen. “87 Monk hielt Olden im Fernsehspielbereich für „ den führenden Regisseur Ende der 1950er Jahre im gesamten Sendebereich des NWRV. Es war schon fast eine eigene Produktionsgruppe, die sich um John Olden herum gebildet hatte. “88 Olden arbeitete im Rundfunk als Regisseur und zu Beginn der 1950er Jahre auch als Produzent von Rate- und Spielsendungen im Fernsehen, u. a. mit dem Showmaster Peter Frankenfeld. Seit 1953 inszenierte er für den NWDR und den NWRV. Darunter war 1954/55 eine zusammengehörende Reihe von drei Studio- produktionen: Im sechsten Stock , in der auch Oldens Ehefrau Inge Meysel wie in vielen weiteren seiner Fernsehspiele mitspielte. Er starb 1965 während der Dreh- arbeiten für Die Gentlemen bitten zur Kasse (NDR 1966). Farenburg, Schwitzke und Olden standen für das unterhaltende Familienfern- sehen der 1950er Jahre im NWDR und NWRV. Deren Vorlagen waren meist Adaptionen, da sich das Fernsehen zwar als Massenmedium des Publikums etablieren konnte, jedoch nicht im Kreise zeitgenössischer Autoren. Erst im Laufe des nächsten Jahrzehnts begannen Autoren allmählich vermehrt für das Fernsehen zu arbeiten. 89 Das Medium Fernsehen war etabliert und begann als bewusstseinsprägende Institution selbst zu wirken. „ Es ist dies eine Phase fernsehgeschichtlicher Neu-

85 John Olden, geb. 3.10.1918 in Wien, gest. 12.9.1965 in Hamburg 86 Monk über Olden, Nachruf. In: NDR (Hrsg.): Fernsehspiele 1966 , S. 2 87 Egon Monk in: Interview am 6.11.2001 mit S.B. 88 Egon Monk in: Ebd. 89 Vgl. Hickethier, Knut: Das Fernsehspiel der Bundesrepublik. Themen, Form, Struktur, Theorie und Geschichte 1951-1977. Stuttgart 1980, S. 222-230 33 orientierung insgesamt, als der öffentlich-rechtliche Status des Rundfunks aus dem verfassungsrechtlichen Streit gestärkt hervorging, als eine Programmausweitung und der Aufbau neuer Programme stattfanden und sich das Fernsehen als ein ge- sellschaftliches Medium, also auch als ein Medium der Kritik an Staat und Gesell- schaft verstand. “90 In den 1960er Jahren entwickelte es sich weiter „ mit neuen, signi- fikanten, damals besonders beachteten und umstrittenen Sendeformen wie dem politischem Magazin und bestimmten Formen des Dokumentarismus und des fiktionalen Engagements. “91

4 Egon Monk

Für das kritische >fiktionale Engagement< der 1960er Jahre steht insbesondere Egon Monk, der im NDR eine Fernsehspielabteilung aufbaute, mit dem Ziel, in den Zu- schauern ein kritisches Bewusstsein für die Realität zu schaffen. Egon Monks Weg vom jugendlichen Kinogänger und späteren Regieassistenten bei Brecht bis zum Fernsehspielautor, Regisseur und Leiter der Hauptabteilung Fernsehspiel im NDR schildern die nachfolgenden Kapitel.

4.1 1927 bis 1932: Berlin - Familiärer Hintergrund und dessen Prägung Egon Monk wurde am 18. Mai 1927 in Berlin geboren und wuchs im Stadtteil Wedding als Sohn des Metallarbeiters Otto Monk und dessen Frau Frieda auf. Monks Mutter war in erster Ehe mit Arno Schröder verheiratet, der 1919 bei einer Grippe- epidemie starb. Aus dieser Ehe gingen drei Halbbrüder Egon Monks hervor. Einen von ihnen, der wie der Vater Arno hieß, kannte Monk nur aus Erzählungen seiner Mutter. Er starb während derselben Grippeepidemie im Jahr 1919. Zu dieser Zeit lebte die Familie, die aus Sachsen stammte, bereits in Berlin. Frieda Thiel war die Tochter eines Bauernsohnes, der jedoch als Zweitältester nicht Hoferbe werden konnte. Mit einer kleinen Abfindung ausgestattet, erlernte er das Schlachterhandwerk und machte in Berlin eine Fleischerei auf.

90 Zit. n. Hickethier, Knut: Das Fernsehspiel in der Adenauer-Ära. In: ARD (Hrsg.): ARD- Fernsehspiel. 1981, H. 1, S. 16 91 Kreuzer, Helmut; Thomsen Christian W.: Vorwort zur Geschichte des Fernsehens in der Bundes- republik Deutschland. In: Hickethier, Knut (Hrsg.): Institution, Technik und Programm. Rahmenaspekte der Programmgeschichte des Fernsehens. (= Geschichte des Fernsehens in der Bundesrepublik Deutschland hrsg. v. Kreuzer, Helmut und Thomsen, Christian W. Bd. 1) München 1993, S. 13 34

Egon Monk erlebte den geliebten Großvater Thiel als „ stark sächselnden, freundlichen Mann “, 92 der so nachhaltigen Eindruck auf ihn machte, dass er ihn, in seinem Fernsehspiel Augenblick des Friedens – Berlin N 65 (NDR 1965), filmisch verewigte. Der älteste Hausbewohner, mit Schnauzbart und Stock, war äußerlich und in seiner Art fast dessen Ebenbild. Allerdings sächselte die Filmfigur nicht, da „ man ihn sonst kaum verstanden hätte “. Auch Monks Filmmutter entsprach in ihrem Aus- sehen und Verhalten „ ein wenig “ Monks Mutter Frieda. Die verwitwete Frieda Schröder arbeitete als Dienstmädchen und heiratete 1926 Otto Monk in zweiter Ehe, einen „ Urberliner “, dessen Familie „ schon immer aus der untersten Arbeiterklasse stammte “. Er war im Ersten Weltkrieg „ begeisterter Uniformträger und liebte alles Militärische. Mein Vater wäre gern Offizier ge- worden, aber aufgrund seiner Herkunft war ihm das nicht möglich. “ Otto Monk galt als >Schwerenöter<, „ der irgendwann aus dem Blickfeld verschwand “. 93 Monks Halbbrüder aus der Ehe seiner Mutter mit Arno Schröder, Kurt und Harry Schröder, waren wesentlich älter als der 1927 geborene Egon Monk. Kurt Schröder ging Ende der 1920er Jahre, nach seiner Berufsausbildung zum Buchhalter einer Maschinenbaufirma nach Argentinien. Er blieb dort und heiratete eine Süd- amerikanerin. Anfang der 1930er Jahre kehrte er noch einmal nach Deutschland zurück. Monks Erinnerungen an ihn sind vage, nur ein gemeinsames Weihnachtsfest in Deutschland blieb haften. Eines Tages, im Dezember 1932, brachte Harry Schröder, Lehrling in einer Lackfabrik, seinem kleinen Bruder Egon dreißig schmale Hefte mit. Es waren die Märchen von Hans Christian Andersen. Als Werbegeschenke eines Verlages an den Direktor der Lackfabrik, der diese nicht haben wollte und auch sonst niemand seiner Angestellten, gelangten sie in die Hände des Lehrlings Harry, der sie mit nach Hause nahm. Egon Monks Liebe zu den Kunstmärchen Andersens zog sich fortan bis in sein Erwachsenleben hinein. Ein Beitrag Monks von 1980 über Andersen zeugt davon. 94 Darin erinnert sich Monk: „ Nun hatte ich die Heftchen, aber was stand drin? Ich konnte noch nicht lesen. Das musste meine Mutter für mich tun. Sie hat mir

92 Egon Monk in: Interview am 1.6.2004 mit S.B. 93 Egon Monk in: Alle persönlichen Angaben ebd. 94 Monk, Egon: Hans Christian Andersen. Märchen. In: Raddatz, Fritz J. (Hrsg.): Die Zeit-Bibliothek der 100 Bücher. Frankfurt a. M. 1980, S. 245-250. Als Monk um einen Beitrag über ein Werk seiner eigenen Wahl für diese literaturkritische Anthologie gebeten wurde, entschied er sich für Andersens Märchen. Dies erstaunte damals viele Menschen, die ihn nur mit seinen zeitkritischen Fernsehspielen in Verbindung brachten. Monks Wertschätzung für Andersens Märchen hat sich bis in die heutige Zeit (2004) erhalten, wie ich es im Gespräch mit Monk erlebte. 35 die Märchen Abend für Abend vorgelesen, vom ersten bis zum letzten, alle hundert- sechsundfünfzig. (…) Noch heute liebe ich jeden Satz. “95 Harry Schröder wurde Soldat und fiel 1942 im Kaukasus.

4.2 1932 bis 1945: Kindheit und Kino - Die Entstehung eines Berufswunsches Jahrzehnte vor der Selbstverständlichkeit des Fernsehkonsums ganzer Kinder- generationen hatte das Kino einen großen Stellenwert im Leben des heran- wachsenden Egon Monk im Berlin der 1930er und 1940er Jahre. „ Also da, wo ich aufwuchs, war es nicht üblich, dass man ins Theater ging, aber man ging ins Kino. Ich bin als Junge, solange ich konnte, so oft es überhaupt ging, am liebsten täglich ins Kino gegangen in dem Stadtteil, in dem ich groß geworden bin, im Wedding, und kannte mich in Filmen sehr gut aus – als Zuschauer. Im Theater überhaupt nicht. “96 Kinobesuche gehörten schon seit den frühen 1920er Jahren zum Freizeitver- gnügen der Arbeiterklasse; „ für die bildungsbürgerliche Mittelklasse konkurrierte das Kino mit Theater, Revue und Rundfunk “. 97 In Deutschland hatte sich die Kino- industrie am schnellsten in der Großstadt Berlin entwickelt und die ersten >Film- paläste< mit Kinosälen bis zu tausend Plätzen waren entstanden. „ 1921 gab es 418 Kinos in Berlin mit einem Gesamtplatzangebot von rund 148.000 Sitzen, um 1932 war die Anzahl der Kinos zwar auf 358 zurückgegangen, die Zahl der Plätze aber auf rund 189.000 gestiegen, da Großkinos (mit über 1.000 Plätzen) wie der Ufa-Palast am Zoo, das Capitol, der Titania-Palast und das Universum viele der kleineren Film- theater überflüssig machten. Die jährliche Besucherzahl schwankte zwischen 40 und 60 Millionen) .“ 98 In der Einleitung zu Stephan Reichenbergers Filmdokumentation Ort der Handlung Deutschland schildert Monk seine ersten Kinoerfahrungen: „ Mein älterer Bruder hat mich zum ersten Mal ins Kino mitgenommen. Das muss im Winter 1931/’32 gewesen sein, als ich fünf war. Und fortan bin ich, also bis in die Nach- kriegszeit hinein, wöchentlich mindestens zwei-, dreimal, eine Zeit lang sogar täglich ins Kino gerannt. Manchmal zweimal, wenn das Geld langte. Ich hatte Filme sehr

95 Zit. n. Monk, Egon: Ebd., S 245 96 Egon Monk in: Interview am 6.11.2001 mit S.B. 97 Zit. n. Kaes, Anton: Film in der Weimarer Republik. In: Jacobsen, Wolfgang; Kaes, Anton; Prinzler, Hans Helmut: Geschichte des deutschen Films. Stuttgart 1993, S. 41 98 Zit. n. Kaes, Anton: Ebd., S. 62 36 gerne, sah sie sehr gerne und wusste schon mit siebzehn, dass ich einmal unbedingt Filmregisseur werden wollte. “99 Zu Anfang sah der junge Egon Monk Filme der Kindervorstellungen, die „ in Berlin sehr beliebt waren und Sonntagmittags in den Kinos liefen. Dabei handelte es sich meist um amerikanische Abenteuer- und Trapperfilme, die es reichlich gab in dieser Zeit, aber auch deutsche Produktionen wie ,F. P. 1 antwortet nicht´ 100 mit Hans Albers in der Hauptrolle. Abenteuerfilme gab es reichlich in dieser Zeit, und die konnte man auch als Kind ansehen. Später, als ich größer wurde, sah ich auch Filme des Abendprogramms. Ich erinnere mich, dass ich viele Revuefilme gesehen habe. Die habe ich als Jugendlicher, der sich schon anfing für Mädchen zu interessieren, mit großem Vergnügen gesehen. Amerikanische Filme mit wilden Ver- folgungsjagden gab es auch, eigentlich genau das, was es heute noch gibt, nur eben wie man im >Schwarz-Weiß-Zeitalter< und unter anderen Bedingungen filmt. Diese >Trickabteilungen< existierten ja noch nicht und die Sensationsdarsteller, so nannte man die Kinohelden, die alles selber machten, sprangen wirklich von Brücken auf fahrende Züge usw.“. 101 Monk besuchte die Volksschule und das Gymnasium. Von Jahresanfang 1943 bis zum Sommer 1944 wurde Monk Luftwaffenhelfer. Danach musste er sich für kriegsbedingte Arbeitseinsätze bereithalten. Der Gymnasiast Monk erhielt, wie viele noch nicht wehrpflichtige Jungen seines Alters, eine >vormilitärische Ausbildung< und wurde in seiner luftkriegsgefährdeten Heimatstadt Berlin zur Verteidigung an der >Flak< eingesetzt. Ihre Geschützstellung war in der Scharnweberstraße, ihre Unterkunft in einem halbmilitärischen Barackenlager. Die Erinnerungen an diese beiden letzten Kriegsjahre sind geprägt vom Dienst und von der Liebe zum Jazz, der neben dem Kino einen großen Stellenwert im Leben des heranwachsenden Egon Monks bekam. Wenn er den begehrten >Urlaubsschein< in Händen hielt, suchte er, sooft es ging, einen Jazz-Club auf – das Café Leon. Die Erinnerungen daran ver- arbeitete Egon Monk in einem Drehbuch. 102

99 Egon Monk in: >Ort der Handlung Deutschland. Egon Monk und seine Filme<. Eine Film- dokumentation von Stephan Reichenberger, 1985. Produktion NDR in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut. Erstausstrahlung am 29.9.1987 100 1932 für den internationalen Kinomarkt in drei Fassungen von Karl Hartl gedreht mit Hans Albers in der deutschen, Conrad Veidt in der englischen und Charles Boyer in der französischen Fassung. Vgl.: Kaes, Anton: Film in der Weimarer Republik . In: Jacobsen, Wolfgang; Kaes, Anton; Prinzler, Hans Helmut: Geschichte des deutschen Films . Stuttgart 1993, S. 86 101 Egon Monk in: Interview am 6.11.2001 mit S.B. 102 Monks Erinnerungen an das >Cafe Léon<, den Treffpunkt der Berliner >Swing-Kids< im Berlin der Jahre 1943 bis 1945 waren zum Zeitpunkt meiner Dissertation , Stand Mai 2005, unvollendet und blieben es nach meiner Kenntnis auch bis zum Tod Monks, 2007. (S.B.) 37

4.3 1945 bis 1947: Jugend und Filmschule - Erste Erfahrungen mit dem Medium >Film< Monks Berufswunsch, Regisseur zu werden, ließ sich in der Nachkriegszeit nur durch Umwege in die Tat umsetzen. Um ins Filmmetier zu kommen, besuchte er zunächst von 1945 bis 1947 die Schauspielschule in Berlin. Während dieser Zeit arbeitete Monk gelegentlich in Jazz-Clubs als Barmixer, um Geld zu verdienen. Vor der Deutschen Bühnengenossenschaft bestand Monk 1947 die Abschlussprüfung als Schauspieler, weil „ dieses der einzig gangbare (Um-) Weg zu seinem Berufsziel als Regisseur war “. 103 Er bereiste danach mit verschiedenen Wanderbühnen West- deutschland, spielte „ an kleinen Stadttheatern Detektive, Liebhaber, senile Greise und trat in Kabaretts auf “. 104 Zu diesem Zeitpunkt lernte er Ulla Wollank kennen, seine spätere Ehefrau. Sie war Schauspielschülerin an den Westdeutschen Kammerspielen in Nordrhein- Westfalen, an denen Monk ein kurzes Engagement hatte. Ihre eigenen Ambitionen auf den Schauspielerberuf gab sie „ der Liebe wegen auf “. 105 Sie begleitete Monk fortan und heiratete ihn 1950. Seine Engagements waren jedoch nirgends von langer Dauer, da ihm gemachte Zusagen, „ auch Regie führen zu dürfen, nie eingehalten wurden “. 106 Doch genau das war es, was Monk wollte – Regisseur werden, nicht Schauspieler. Im Winter 1948/49 wurde er in die Regie-Klasse der DEFA auf- genommen. „Ich war ein Schüler der eben gegründeten DEFA-Filmschule. Da wurden junge Schauspieler zu Filmschauspielern ausgebildet, aber der Betrieb war eigent- lich der einer regelrechten Theaterschauspielschule. Ein wenig später wurde eine Regie-Klasse eingerichtet. Ich erfuhr davon, man konnte sich dafür bewerben. Ich wurde angenommen und war da mit vielleicht zehn, zwölf anderen Regieschülern so ein halbes bis dreiviertel Jahr. Ich habe etwas gehört über Filmdramaturgie und Filmregie, aber bis zu ein bisschen eigene Praxis ist das nie vorgedrungen. Es gab einen Klassenraum, in dem man sich versammelte, und wo dann hauptsächlich der Regisseur Wolfgang Schleif erschien, der vor 1945 Assistent bei Veit Harlan war. Er

103 Stamm, Dieter: Wir sprachen mit Egon Monk. In: Junge Stimme, Nr. 6, 26.3.1966 104 Egon Monk in: Ebd. 105 Ulla Monk in: Interview am 1.6.2004 mit S.B. 106 Egon Monk in: Interview am 1.6.2004 mit S.B. 38 unterrichtete uns in Regiefragen. Und dann gab es einen Dramaturgielehrer, Herrn von Gordon, der unterrichtete eben >Dramaturgisches<, und das war’s. “107 Die Ausbildung als Regieschüler vermittelte dem 21jährigen Monk nur den nachhaltigen Eindruck, dass es auch einen anderen Weg geben müsste, Regisseur zu werden. Die recht bald von Monk abgelehnte dramaturgische Ausbildung bezog sich auf eine konkrete Aufgabenstellung in der Regie-Klasse. „Der Chefdramaturg, Herr von Gordon, wählte als Thema für eine ganze Weile – Monate haben wir damit verbracht – Rilkes Novelle Der Cornet. 108 Ich wäre nie auf die Idee gekommen Rilke zu verfilmen, aber da es nun die Aufgabe war sich auszudenken wie man denn nun Rilke verfilmen könnte, mühte ich mich mitzudenken, widersprach aber sozusagen innerlich bei jedem einzelnen Gedanken. Ich war ein sehr unbotmäßiger Schüler in diesem Zusammenhang. Zum Beispiel, wie Herr von Gordon dachte, dass man vielleicht die Liebesnacht des Cornets zeigen könnte im Film, der ein Wegschwenken der Kamera empfahl auf irgendeinen Hocker, auf welchen sacht ein Kleidungsstück der Geliebten sinken könnte. Da schauderte es mich förmlich und ich wusste, dass ich nie Filme, in denen Kleidungsstücke nieder- sinken, machen wollte. So nicht! “109 Unverfängliche Liebeszenen, nur angedeutete Erotik mit romantischem, melodramatischem oder frech-fröhlichem Pathos der Revue- und Operettenfilme nach Ufa-Tradition, hatten auf den jungen Kinogänger Monk der 1930er und 1940er Jahre zwar Eindruck gemacht, standen dem kritischen Intellekt des jungen Er- wachsenen jedoch entgegen. Die einzige Möglichkeit außerhalb der Schauspielschule seinen Berufswunsch in die Tat umzusetzen war bei einem Regisseur als Assistent. „Man konnte das damals nirgendwo lernen außer bei einem Meister. Man ging zu einem Regisseur, um dessen Assistent zu werden – und eben das tat ich auch. “110

107 Egon Monk in: Interview am 6.11.2001 mit S.B. 108 Der Cornet wurde 1956 von Walter Reisch verfilmt. Vgl. Göttler, Fritz: Westdeutscher Nachkriegs- film. In: Jacobsen, Wolfgang; Kaes, Anton; Prinzler, Hans Helmut (Hrsg.): Geschichte des deutschen Films. Stuttgart 1993, S. 171-210 109 Egon Monk in: Interview am 6.11.2001 mit S.B. 110 Egon Monk in: Zschau, Mechthild: Lernen bei einem Meister . In: Frankfurter Rundschau, 10.2.1998 39

4.4 1948 bis 1953: Egon Monk und - Ausbildung im Theater – Konsequenz für das Fernsehspiel Monks Herkunft aus einem Berliner Arbeiterviertel sah er selbst als eine der Vor- bedingung beruflicher Entwicklung: „ Natürlich spielt es eine Rolle, dass ich ein Berliner bin, und zwar aus einer ganz bestimmten Berliner Gegend, nämlich aus dem ältesten Berliner Arbeiterviertel, Kind von Arbeitern, aufgewachsen unter Arbeitern, auf dem dritten Hof der damals, wie man sagte, größten europäischen Mietskaserne überhaupt. Und dies auch zu einer bestimmten Zeit, nämlich der großen Krise. “111 Außer seiner Milieuprägung führte sein literarisches Interesse und die damit verbundene Entdeckung politisch links stehender Schriftsteller wie Kurt Tucholsky zu den „ bestimmten Vorbedingungen “112 , die die Entwicklung zu Brecht nicht als zufällig erscheinen lassen. So war es auch zunächst nicht der Dramatiker Bertolt Brecht, dessen Werk den jungen Monk beeindruckte, sondern der Lyriker Brecht, dessen Gedichte er kannte und schätzte. „ Wenn ich mich zurückerinnere, bin ich gar nicht mal so sehr zum Theatermann Brecht gegangen. Das erste, was mich angezogen hat, waren die Gedichte und das Denken Brechts, das sich in den Gedichten besonders klar aus- drückt. “113 Zu dem Zeitpunkt, als Brecht in der Schweiz lebte (1948) und seine Rückkehr nach Deutschland vorbereitete, 114 war Monk mit einem Bühnenprogramm Brechtscher Texte unterwegs auf Berliner >Kleinkunstbühnen<. Seine Bewunderung für Brecht, durch das Lesen „ aller Brecht-Texte, die mir unterkamen “115 hatte dazu geführt, dass er ein Programm aus Gedichten und Szenen aus Theaterstücken zu- sammenstellte und diese mit den Freunden Isot Kilian und Bruno Lorenz „ auf jeder Bühne aufführte, die uns engagierte. Das konnte in Hinterhofkneipen, auf Betriebs- veranstaltungen oder sonst wo sein “. 116 Theaterbühnen waren es jedoch nicht. Das einstündige Programm hieß: Eine Stunde mit Bert Brecht und war ein Ausschnitt aus dem Leben und Werk Brechts. Monk selbst hatte die Funktion des >Conférenciers< inne und erzählte aus Brechts Leben „ alles was ich über ihn wusste.

111 Egon Monk in: Netenjakob, Egon: Realismus und Fernsehspiel. In: Programmdirektion Deutsches Fernsehen/ARD (Hrsg.): 25 Jahre Deutsches Fernsehen 1952 bis 1977 . München 1977, S. 113 f. 112 Egon Monk in: Ebd., S. 114 113 Egon Monk in: Ebd., S. 114 114 Vgl. zu Brechts Leben u. Werk u. a.: Kesting, Marianne: Brecht . In: Rowohlts Bildmonographien . Hamburg 1959/4. Aufl. 2001 sowie Hecht, Werner (Hrsg.): Brecht. Sein Leben in Bildern und Texten. Frankfurt a. M. 1988 115 Egon Monk in: Interview am 9.6.2004 mit S.B. 116 Egon Monk in: Ebd. 40

Viel war es allerdings nicht “. 117 Außerdem rezitierte er aus Brechts Gedichten. Isot Kilian und Bruno Lorenz spielten kleine Ausschnitte aus Brechts Dramen, die Monk vorab dem Publikum erläuterte. Begleitet wurde das Trio von Fritz Hemmann am Klavier. Dessen Name „ war Programm, das heißt, „Hämmer“ hämmerte eindring- lich auf die Klaviertasten ein “. 118 Der aus dem Exil zurückgekehrte Bertolt Brecht gründete nach mehreren Stationen im europäischen und amerikanischen Ausland 1949 mit seiner Frau, der Schauspielerin Helene Weigel, das . Als Brecht in Berlin war und für die Mutter Courage und ihre Kinder probte, machte Monk seine erste Theater- erfahrung mit Brecht, die nachhaltigen Eindruck auf ihn machte. „Das erste, was ich von Brecht erfuhr – das war 1948 in der Generalprobe von `Mutter Courage und ihre Kinder´ war: jetzt wird´s hell. Es wurde hell auf der Bühne, so hell, wie ich es noch nie in einem Theater erlebt hatte. Und auch im über- tragenen Sinne war Schluss mit der bis dahin geübten Dunkelheit, die ich allerorten kennen gelernt hatte. Es wurde hell in den Köpfen. “119 Brecht war in Berlin und Monks Entschluss, mit Brecht arbeiten zu wollen, stand fest. „ Als Brecht nach Deutschland zurückkehrte, gab es für mich überhaupt kein Halten mehr. Ich setzte alles, was ich einzusetzen hatte, dran um zu Brecht zu kommen und wurde auch tatsächlich von ihm genommen und war dann von 1949 bis 1953 Mitglied des Berliner Ensembles – und damit war die Filmschule erledigt. Ich kann also nicht behaupten, ich hätte eine Filmschule absolviert. Immerhin war das aber der Anfang eines Kontaktes zur >Filmerei< und ich hatte schon eine Ahnung davon bekommen, was Fachleute dachten, wenn es darum ging, einen Film zu machen. Und diese Ahnung war insofern befruchtend, als alles das, was ich damals in der Filmschule hörte, zu dem Entschluss führte: Das wirst du nie machen! Denn dann kämen all diese furchtbaren Filme heraus, die ich nicht mochte. “120 Isot Kilian war es, die im Beisein von Egon Monk den Mut fand, Brecht um ein >Vorsprechen< zu bitten. Sie erzählte Brecht und Weigel von dem Trio und dem einstündigen Brecht-Programm, mit dem sie auftraten. „Sie erzählte einfach, dass es uns gab! Das es in Berlin Menschen gab, die Brecht nicht vergessen hatten, trotz langer Abwesenheit aus Deutschland. Ich könnte

117 Egon Monk in: Ebd. 118 Egon Monk in: Ebd. 119 Egon Monk in: Zschau, Mechthild: Lernen bei einem Meister. In: Frankfurter Rundschau, 10.2.1998 120 Egon Monk in: Interview am 6.11.2001 mit S.B. 41 mir vorstellen, dass das Brecht gut getan hat, aber das ist nur eine Vermutung, die dazu führte uns zu nehmen. “121 Alle drei, Kilian, Lorenz und Monk, erhielten bei dieser >zufälligen Be- gegnung< mit Brecht und Weigel im Theater, die Zusage zu dem begehrten Termin. Monk wurde von Brecht einige Tage später ins Foyer des Hotels Adlon bestellt, von dessen Vorkriegspracht nicht viel übrig war. Hier wohnten Brecht und Weigel für kurze Zeit nach ihrer Ankunft im Oktober 1948 in Berlin. Nach einer kurzen Unter- haltung wurde Egon Monk von Bertolt Brecht als Schauspieler und Regieassistent engagiert. Auch die anderen beiden wurden genommen. Vom Gründungsjahr des Berliner Ensembles im Jahr 1949 bis zu seinem Weggang im Jahr 1953 gehörte Monk zu den Regieschülern Brechts. 122 Als Schauspieler hat Monk „ nie auf der Bühne gestanden “, stattdessen kam er seinem Ziel, Regisseur zu werden, langsam näher. Er wurde „` fünfter´ Regieassistent “123 von Brecht, der auf seine Chance, in- szenieren zu dürfen, wartete. Brechts Lehrweise und Umgang mit seinen Schülern wird von Monk als „ immer freundlich, aber in der Sache, der Umsetzung seiner Stücke, auch streng “124 charakterisiert. Zu Brechts Arbeitsweise gehörte es, immer einen großen Kreis von wechselnden Mitarbeitern um sich zu scharen, mit denen er Aufführungen diskutierte und denen er schnell selbstverantwortliche Aufgaben übertrug. „Er [Brecht/S.B.] räumte auch innerhalb der Arbeit im Ensemble eine große Selbständigkeit ein. Das war überhaupt die Basis der Zusammenarbeit mit ihm. Wenn jemand nicht selber kam, Pläne entwickelte, Initiative zeigte, zugriff, dann kümmerte er sich überhaupt nicht um ihn. Aufträge vergab Brecht keine. “125 Sie alle hatten immer Zugang zu ihm. Er interessierte sich für jeden einzelnen und behandelte sie mit Höflichkeit. „ Er liebte es, mit einem Stab von Schülern zu inszenieren. Dabei sprach er immer laut und rief seine Vorschläge zumeist von unten aus dem Zuschauerraum her den Schauspielern zu – das tat der Unmerklichkeit seines Eingreifens keinen Abbruch-; damit alle alles hören konnten. Und er bemühte sich während des Sprechens zu hören. Glückliche Vorschläge gab er sofort weiter

121 Egon Monk in: Interview am 9.6.2004 mit S.B. 122 Monks Erinnerungen an die Zeit als Regieassistent bei Brecht sind ebenfalls unvollendet, Stand Mai 2005. Die Beschreibung der Jahre im Berliner Ensemble sollen als Buch veröffentlicht werden mit dem Titel: >Auf dem Platz neben Brecht<. Erinnerungen an die ersten Jahre im Berliner Ensemble. Angabe Egon Monks am 1.6.2004 123 Egon Monk in: Interview am 9.6.2004 mit S.B. 124 Egon Monk in: Ebd. 125 Egon Monk in: Netenjakob, Egon: Realismus und Fernsehspiel. In: Programmdirektion Deutsches Fernsehen/ARD (Hrsg.): 25 Jahre Deutsches Fernsehen 1952 bis 1977 . München 1977, S. 115 42 und immer mit Nennung des Vorschlagenden. (…) Dadurch wurde die Arbeit eine Arbeit aller. “126 Brechts Interesse an seinen Schülern wurde unterstützt von Helene Weigel, die ihrem Mann auch alltägliche Schwierigkeiten seiner Schüler zutrug. 1950 er- wartete Ulla Monk ihr erstes Kind. Die Schwangerschaft war mit Komplikationen verbunden und Monk telefonierte in irgendeiner Probenpause von einem Theatertele- fon aus nach Hause. Ulla und Egon Monk lebten zu dieser Zeit bei Monks Mutter im Wedding, die die bettlägerige Ulla Monk betreute. Es wurde ein Arzt gebraucht und die Familie hatte kein Geld. Monk bat Brecht nach dem Telefonat darum, nach Hause gehen zu dürfen. „ Frei gab es bei Brecht nur bei eigener Krankheit, Krankheit eines Angehörigen oder bei einem finanziell lohnenden, anderweitigen Engagement. Er war immer dafür, dass man sein Geld verdiente .“ 127 Helene Weigel hatte Teile des Telefonats mitbekommen und Brecht von Monks Nöten erzählt. Kurz nachdem Monk zu Hause war, „ klingelte es und ein Arzt erschien. Ein Freund Brechts, von Brecht geschickt, der sich weder seinen Besuch noch die Medikamente, die besorgt wurden, bezahlen ließ. Irgendwie regelte Brecht das “. 128 Im selben Jahr bekam Monk dann auch die Chance, auf die er gewartet hatte. Von jeder seiner Aufführungen ließ Brecht ein so genanntes >Modellbuch< an- fertigen, das in Fotos und Texten die von Brecht gewünschte endgültige Spielfassung enthielt. Hunderte von Fotos mussten sorgfältig eingeklebt werden. Diese Aufgabe oblag den Assistenten, die gerade nicht an einer Inszenierung beteiligt waren. Auch in Probenpausen wurde an den Modellbüchern gearbeitet. Zu Beginn des Jahres 1950 saß Monk in einem Zimmer neben Brechts Büro in der ersten Etage eines an- gemieteten Hauses in Theaternähe und klebte Fotos in ein Modellbuch. Im Rostocker Stadttheater liefen zu dem Zeitpunkt die Proben für eine Aufführung des Brecht- Stücks Herr Puntila und sein Knecht Matti . Der Theaterleiter, Allmeroth, 129 war nach Berlin gekommen, da er Brecht um Rat bitten wollte. Die Proben verliefen nicht zur Zufriedenheit und Brecht wurde um Erläuterungen und Unterstützung zum Stück

126 Zit. n. den Aufzeichnungen der >Schriften zum Theater< 1954. In: Hecht, Werner (Hrsg): Brecht. Sein Leben in Bildern und Texten. Berlin 2000, S. 290 127 Egon Monk in: Interview am 9.6.2004 mit S.B. 128 Egon Monk in: Ebd. 129 Angabe Monks in: Interview am 1.6.2004 mit S.B. Dr. Heinrich Allmeroth wurde 1952 Intendant der Staatsoper in Ostberlin u. 1954 Intendant des Dresdner Staatstheaters. Sein Rostocker Engagement war nicht verifizierbar. 43 gebeten. Er gab dem Theaterleiter das Modellbuch zum Puntila mit und riet diesem, sich genau danach zu richten. Als dieser gegangen war, sah Monk, der die Unterredung mitbekommen hatte, seine Chance gekommen. Er ging sofort zu Brecht und bat darum, den Puntila in Rostock inszenieren zu dürfen. Brecht sah ihn an und fragte nur: „ Trauen Sie sich das zu? “ Das tat dieser natürlich und Brecht gab sein Einverständnis zu Monks erster selbständiger Regiearbeit. 130 Monk reiste, ausstaffiert mit einem neuen Pullover, für den die Familie „ alles Geld zusammenlegte, das wir hatten “131 nach Rostock und inszenierte erfolgreich. Es folgten weitere Aufführungen, an denen Monk als Assistent beteiligt war oder die er selbst inszenierte, wie Der Hofmeister von Jakob Michael Reinhold Lenz (Urauf- führung 1778), Maxim Gorkis Wassa Schelesnowa (Uraufführung 1910), Johann Wolfgang von Goethes Urfaust (Uraufführung 1775), die Gerhart-Hauptmann- Stücke Der Biberpelz (Uraufführung 1893) und Der rote Hahn (Uraufführung 1901). Von Monks Arbeiten für das Berliner Ensemble sind einige Unterlagen er- halten geblieben, die das Bertolt-Brecht-Archiv der Stiftung der Akademie der Künste in der Chausseestraße in Berlin archiviert hat. 132 Darunter auch Modellbücher für die Urfaust-Inszenierung 1952 in Potsdam und 1953 in Berlin, an denen Monk als Regisseur beteiligt war. Die Premiere am Deutschen Theater in Berlin war am 13. oder 15. März 1953. 1993 fasste Egon Monk für das Bertolt-Brecht-Archiv einige Anfragen zum Urfaust zusammen. Darin fügt Monk die Chronologie der Bearbeitung von den ersten Besprechungen über die Proben bis zur Premiere zu einer Einheit zusammen, die von „ fast allen DDR-Kritikern durcheinander gebracht wurde “. 133 Die Diskrepanz verschiedener Premierenangaben in Berlin (13. resp. 15. März 1953) erklärt Monk mit einer Gepflogenheit am Berliner Ensemble: „ Es war üblich, neue Inszenierungen schon vor der offiziellen Premiere Zuschauern zu zeigen, um noch Änderungen vornehmen zu können. Vielleicht waren die Proben am 13. und 14. März öffentlich. Ich habe mehrere solcher Proben in Erinnerung. Es wurde dann, ohne dass die Probe als Vorstellung galt, vor Zuschauern gespielt. Brecht, Regisseur, Assistenten und alle, die noch dazu gehörten, beobachteten die

130 Egon Monk in: Interview am 1.6.2004 mit S.B. 131 Egon Monk in: Ebd. 132 Das Bertolt-Brecht-Archiv ist im ehemaligen Wohnhaus Brechts u. Weigels, in der Chausseestraße untergebracht. Unterlagen sind einsehbar. 133 Zit. n. Monk, Egon: Ebd., S. 135 44

Aufführung und das Verhalten der Zuschauer von der Mittelloge im ersten Rang aus. “134 Zu den Gründen, den Urfaust zu inszenieren, sagte Monk: „ Ich war damals fünfundzwanzig Jahre alt und sehr glücklich, als Brecht mich fragte, ob ich den auf- führen wolle, das war zunächst alles. Brecht entschied, welche Stücke das Berliner Ensemble aufführte. “135 In der Urfaust-Inszenierung zeigten sich deutlich Brechts Prinzipien des epischen Theaters, das dem Publikum eine emotionale Anteilnahme mit den Figuren versagt. Kein Mitfühlen, kein Einfühlen in das Verhalten der Darstellenden, sondern Distanz und kritische Auseinandersetzung mit dem Gezeigten prägten die Auf- führungen. Verfremdungseffekte im Spielablauf des Dramas verringerten den Illusionismus. Der Zuschauer wurde direkt angesprochen, oder durch den Einsatz von Schrifttafeln auf einen Vorgang hingewiesen. Die Schauspieler stellten nicht nur eine Figur dar, sondern traten aus dem Spiel heraus, übernahmen häufig die Funktion des Erzählers. Der Verfremdungseffekt des Dramas verhinderte die Identifikation des Zuschauers mit der Figur. Brechts Bühne hatte eine didaktische Aufgabe. Die In- szenierungen sollten zum eigenen Nachdenken anregen und so ein kritisches (politisches) Bewusstsein schaffen. Brecht war nicht der erste und nicht der einzige, der in seinen >Lehrstücken< den Illusionismus brechen wollte. Der Verfremdungseffekt wurde u. a. bereits in Wsewolod Meyerholds russischem Revolutionstheater eingesetzt. In den Stücken des amerikanischen Dramatikers Thornton Wilder Unsere kleine Stadt (Uraufführung 1938, SWF-Fernsehspiel 1954) und Wir sind noch einmal davongekommen (Urauf- führung 1942) wird die bürgerliche Illusionsbühne ebenso mit den Mitteln der Ver- fremdung, Distanz und exemplarisch herausgestelltem Verhalten verändert. Wilder verzichtete in Unsere kleine Stadt auf jegliche Requisiten und ließ einen Schauspieler die Handlung kommentierend begleiten. (Auch in Monks erstem Fernsehspiel An- frage (NDR 1962) sind diese illusionsaufbrechenden Gestaltungselemente deutlich erkennbar.) Die Motive Brechts, den Urfaust zu inszenieren, lagen u. a. in Brechts Interesse an der intellektuellen Figur des Fausts, in der Form der Fabel und in der Möglichkeit, einen „ guten alten Klassiker neu zu lesen: in einem wissenschaftlichen

134 Zit. n. Monk, Egon: Ebd., S. 136 135 Zit. n. Monk, Egon: Auskünfte zur Urfaust-Aufführung. In: Bertolt-Brecht-Archiv (Hrsg.): Berliner Ensemble 1953. Berlin 1993, BBA-Drucksache 4, S. 139 45

Zeitalter und für ein sozialistisches Publikum. “136 Die Aneignung eines Theater- klassikers bedeutete für Brecht eine Neuinterpretation. Brecht „ lehnte es ab, die SED-offizielle-Erbe-Traditionslinie mit dem Erfordernis des positiven Helden, der verändernd auf die gesellschaftlichen Verhältnisse wirkt, über Goethes Urfaust zu stülpen “. 137 Die Neuinterpretation der Inszenierung legte den Faust als eine Figur an, „ die – ähnlich der Courage - nichts aus ihrem Handeln lernt “. 138 Zur Konzeption der Hauptfiguren: Faust: „Der Zuschauer sollte zu Faust kritischen Abstand gewinnen. Brecht suchte jegliche Identifizierung zwischen dem Zuschauer und der Titelfigur zu ver- meiden. Dadurch wurde Faust gegen den herrschenden Standard angelegt – ein negativer Held, der Brecht harte Kritik seitens der Parteioberen einbrachte. (…) Die Inszenierung sieht Faust als einen Menschen, der sich verantwortungslos, rücksichts- los und parasitär eigene Genüsse verschafft. (…) Brecht und Monk wollten den Egoismus Fausts (…) zeigen. Gretchen: „Auf keinen Fall wollten Monk und Brecht ein rührendes, sentimentales deutsches Gretchen: Es hatte ein klein wenig dumm, aber derb und nicht ohne kleinere Bosheiten zu sein. Als Mädchen aus den unteren Volksschichten diente es nicht zuletzt dazu, eine typische Klassensituation zwischen ihr, der klein- bürgerlichen Handwerkstochter, und dem Hochschulprofessor Faust zu konstituieren. “139 Mephisto: „Wie Faust, so sollte auch Mephisto vom geltenden Standard ab- weichen: wobei Brechts Entsetzen gegenüber dem Gründgensschen Mephisto eine wesentliche Rolle gespielt habe. Mephisto durfte (…) keineswegs dämonisch wirken. Er war vielmehr der Subalterne, ein Unterteufel der Hölle, keinesfalls deren Herr. Faust hatte zu gehorchen. (…) Alles in allem war Mephisto mehr ein Befehls- empfänger Fausts als dessen Widersacher, mehr der Unterlegene als ein Kumpan – eine Rolle, die dieser Teufel missmutig zu mimen hatte. “140 Die Urfaust-Inszenierung widersprach dem gängigen Bild des nach Erkennt- nis strebenden Gelehrten, der sich vom Teufel verführen lässt und einem Gretchentyp, der Mitleid erregenden Geschwängerten, die in äußerster Not zur

136 Zit. n. Mahl, Bernd: Brechts und Monks >Urfaust<-Inszenierung mit dem Berliner Ensemble 1952/53. Stuttgart 1986, S. 25 137 Zit. n. Mahl, Bernd: Ebd., S. 26 138 Zit. n. Mahl, Bernd: Ebd., S. 39 139 Zit. n. Mahl, Bernd: Ebd., S. 40 140 Interpretation n. Mahl, Bernd: Ebd., S. 39-41 46

Kindesmörderin wird. Die Missbilligung der staatlich gelenkten Kulturkritik der DDR, die das klassische deutsche humanistische Erbe für sich beanspruchte und gerade das Werk Goethes als lebendiges Erbe der DDR ansah, betraf in erster Linie Brecht selbst. „Diese Aufführung kann nur verstanden werden als Absage an die klassischen Traditionen unserer Nationalkultur. (…) Wir glauben sagen zu müssen, dass die jungen Mitarbeiter des Berliner Ensembles durch methodische Prinzipien in eine falsche Richtung geführt werden, die Bertolt Brecht als künstlerischer Leiter des Berliner Ensembles bei der Bearbeitung von Klassikern anwendet. “141 Während die Potsdamer Aufführung 1952 in der Märkischen Volksstimme zunächst noch eine positive Wertung erfuhr, die den Kulturfunktionären in den Be- trieben nahe legte: „ Organisiert den Besuch der Kollegen zu diesen Vorstellungen! Es wird keinen geben, der euch nicht dafür dankbar wäre. “142 , war die Antwort der SED-Betriebsparteiorganisation an die Redaktion der Zeitung eine klare Ablehnung. Die SED-Betriebsparteiorganisation urteilte in der Märkischen Volksstimme über die Regieleistung Monks in der Potsdamer Inszenierung: „ Die Konzeption des Regisseurs Monks ließ erkennen, dass er das Negative, Dekadente an jeder handelnden Figur in den Vordergrund seiner Aufführung schob. (…) Bei Monk ist der Faust von der ersten bis zur letzten Szene nichts anderes als ein konsequent durchgeführter Scharlatan. (…) Der Regisseur der Urfaust-Aufführung hat mit dieser Inszenierung zweifellos ein künstlerisch einwandfreies, hochinteressantes Experiment gemacht, das in seiner Auswirkung aber sowohl für das Publikum, als auch für die Theaterschaffenden, außerordentlich gefährlich ist. Die Aufgabe des Regisseurs besteht nicht in interessanten Experimenten, sondern in der unver- fälschten Wiedergabe unserer Klassiker. “143 Die Gründe Brechts, den Urfaust vom Spielplan zu streichen, sind mutmaß- lich im Einschalten allerhöchster Parteifunktionäre zu sehen, deren Druck zu groß für Brecht und das Fortbestehen des Ensembles war. Walter Ulbricht äußerte sich ver- nichtend über die Inszenierung, die er „ als Missachtung des deutschen Kulturerbes “ und als „ Verfälschung und Entstellung der deutschen Kultur “ ansah. Ulbricht sah die

141 Rudolph, Johanna: Weitere Bemerkungen zum >Faust<-Problem. Zur Aufführung von Goethes Urfaust durch das Berliner Ensemble. In: Neues Deutschland, 28.5.1953. Vgl. Mahl, Bernd: Brechts und Monks >Urfaust<-Inszenierung mit dem Berliner Ensemble 1952/53. Stuttgart 1986, S. 23 142 Kritik in: Märkische Volksstimme, 29.4.1952. Vgl.: Mahl, Bernd: Ebd., S. 189 143 Kritik der >SED-Betriebsparteiorganisation< (N.N.) anlässlich der Potsdamer Premiere am 23.4.1952. In: Märkische Volksstimme, 29.4.1952. Vgl. Mahl, Bernd: Ebd., S, 189 47

Aufgaben der DDR auf kulturellem Gebiet als Fortführung der großen Leistungen der Klassiker, mit dem Ziel „ eine wirkliche sozialistische Kultur zu entwickeln “. 144 Brechts Verhältnis zur DDR-Parteiführung war von Spannungen durchzogen. „Der Ausspruch seiner nächsten Freunde: Brecht stand auf keiner offiziellen Linie, er stand auf seiner eigenen - dürfte richtig sein. “145 Vom Westen in den Zeiten des Kalten Krieges abgelehnt, wird seine Haltung zum ostdeutschen Staat und dessen Politik vielfach als >zwiespältig und wider- sprüchlich< beschrieben. Auf vielen Bühnen Westdeutschlands wurden Brechts Dramen bis in die 1960er Jahre hinein nach seiner, in der Art der Wiedergabe um- strittenen, Loyalitätserklärung gegenüber der Sozialistischen Einheitspartei Deutsch- lands anlässlich der Niederschlagung des Volksaufstandes am 17. Juni 1953, boykottiert. Neben Monks letzter Regiearbeit am Berliner Ensemble entstand 1953 Monks erste >Fernseharbeit<. Monk verfilmte das Brecht Drama Die Gewehre der Frau Carrar für das Versuchsprogramm des Fernsehzentrums in Ost-Berlin auf 35-mm- Film. Es war die erste Arbeit des Theaters im Fernsehen, für das die Mitglieder des Berliner Ensembles die Theaterbühne verließen und mit einem Filmstudio in den ehemaligen Tobis-Filmstudios vertauschten. Helene Weigel spielte die Hauptrolle in Brechts 1937 geschriebenem Stück über den spanischen Bürgerkrieg. Monks spätere Fernsehspiele im NDR sind geprägt von der Zeit im Berliner Ensemble. Die Bedeutung Brechts für Egon Monk ist weit reichend. In Monks Arbeit der 1960er Jahre wurde die Umsetzung des epischen Theaters in eine fernsehgemäße Form die Konsequenz des Bekenntnisses zu Brecht: „ Alles was ich weiß, habe ich von ihm. “146

4.5 1953 bis 1957: West-Berlin - Ein >Brecht-Schüler< im Westen Nach vier Jahren im Berliner Ensemble verließ Monk das Theater und die DDR. Die Grenze hinderte 1953 noch nicht den Wechsel in den Westen, in dem Monk fortan leben und arbeiten wollte. Doch erfuhr er schnell, dass das Leben im Westen ein ganz anderes als im Osten war. Er war auf sich gestellt, was kein Gefühl von >Frei- heit< auslöste, sondern vielmehr „ stellte sich ein Gefühl von Verlassenheit ein: hier

144 Ulbricht, Walter: Die Aufgaben der Intelligenz beim Aufbau des Sozialismus in der Deutschen Demokratischen Republik. Rede am 27.5.1953 in Berlin. Vgl. Mahl, Bernd: Ebd., S. 199 145 Zit. n. Kesting, Marianne: Brecht . In: Rowohlts Bildmonographien . Hamburg 1959/4. Aufl. 2001, S. 135 146 Egon Monk in: Interview am 6.11.2001 mit S.B. 48 kannst du bis ans Ende der Tage zubringen, ohne dass einer anfängt, sich dafür zu interessieren, dass du auch nur da bist “. 147 Es folgten achtzehn Monate, in denen Monk von Arbeitslosenunterstützung lebte und sich ergebnislos um eine Anstellung an Theaterbühnen und beim Berliner Fernsehen, dem SFB bemühte. Monk sah als Hauptgrund für diese erste schwierige Zeit im Westen Deutschlands die Skepsis gegenüber einem ehemaligen Brecht- Schüler: „ Brecht war damals eine außerordentlich schlechte Visitenkarte für mich. Ich kam den meisten sofort verdächtig vor. “148 Zur Kinofilmproduktion hatte er keine Verbindung. Er beschrieb den Zugang zu Filmstudios als eine unbekannte, nicht zu erreichende Welt, deren Produktionen ihm zudem nicht sehenswert erschienen. „ Filmleute lernte ich kaum kennen. Das waren ungeheure Größen, die mit dem gemeinen Theatervolk damals überhaupt nichts zu tun hatten. Es war völlig aussichtslos, sich auch nur ins Vorzimmer irgend- einer der damals noch florierenden 50er-Jahre-Filmgesellschaften zu setzen. Es wäre aussichtsreicher gewesen, sich von West-Berlin aus an Metro-Goldwyn-Mayer zu wenden. Ein 26jähriger Regisseur: undenkbar. Film interessierte mich damals sehr, aber ich sah bei ersten schüchternen Besuchen in fünf Minuten ein, dass das nicht eine geschlossene, sondern eine verschlossene Gesellschaft war, zu der man Zutritt fand über mir nicht bekannte Wege. Ich wusste gar nicht, was die machen. Wenn ich mir Filme ansah, dann waren es ausländische. Die hiesigen Erzeugnisse zu dieser Zeit waren unansehnlich in des Wortes gröbster Bedeutung. “149 Nach anderthalb Jahren im Westen verpflichtete Oskar Fritz Schuh, Intendant des Theaters am Kurfürstendamm, Monk für die Theaterinszenierung Zum guten Nachbarn .150 Monks hauptsächliche Arbeit in Berlin wurde jedoch seine Tätigkeit als Hör- spielautor und -regisseur beim Radiosender RIAS-Berlin, die er von 1954 bis 1957 ausübte. Dort schrieb er „ Features zu allen möglichen thematischen Bereichen für den Schulfunk und später auch Hörspiele “. 151

147 Egon Monk in: Netenjakob, Egon: Realismus und Fernsehspiel . In: Programmdirektion Deutsches Fernsehen/ARD (Hrsg.): 25 Jahre Deutsches Fernsehen 1952 bis 1977 . München 1977, S. 116 148 Egon Monk in: Interview am 9.6.2004 mit S.B. 149 Egon Monk in: Netenjakob, Egon: Realismus und Fernsehspiel . In: Programmdirektion Deutsches Fernsehen/ARD (Hrsg.): 25 Jahre Deutsches Fernsehen 1952 bis 1977 . München 1977, S. 117 150 Monk wies an anderer Stelle ( Private Leidenschaften interessieren mich nicht , Film 1963, H. 2) darauf hin, dass es sich um „ die theatralische Uraufführung des ersten Oelschlegel-Stücks >Romeo und Julia in Berlin< “ handelte. Monks Angabe ist ungesichert und in der Formulierung unklar. An- merkung S.B.: Oelschlegels Romeo und Julia war zunächst ein Hörspiel, das er zu einem Fernsehspiel und danach zu einem Theaterstück umarbeitete. 151 Egon Monk in: Interview am 1.6.2004 mit S.B. 49

Monk, der inzwischen einen kleinen Sohn hatte und mit seiner Frau Ulla nach wie vor bei seiner Mutter lebte, schrieb häufig nachts, da der Junge tagsüber, wenn er seinen Vater sah, „meine Aufmerksamkeit wollte und ich nicht in der Lage war ihn abzuweisen “. 152 Auf die Dauer erwies sich die Arbeit in Berlin jedoch als finanziell wenig einträglich. Die Familie konnte von Monks Arbeit beim RIAS nicht leben. 1957 zog Familie Monk zunächst nach Großhansdorf, einem Vorort nordöstlich von Hamburg. Egon Monk hatte sich beim Hamburger Rundfunk erfolgreich beworben. Zu Beginn der 1960er Jahre zog Familie Monk in eine Wohnung innerhalb einer NDR-eigenen Villa im Hamburger Mittelweg, die zum privaten Wohnsitz bis zu Monks Tod am 28. Februar 2007 wurde.

4.6 1957 bis 1960: Hamburg - Dramaturg für Hörspiele Egon Monk erhielt zunächst eine Anstellung als Dramaturg in der Hörspiel- produktion Heinz Schwitzkes. Er führte u. a. Regie bei der Reifeprüfung , einem Hör- spiel von Werner Klose 153 , sowie bei einer Hörspielfassung des Schauspiels Maria Stuart von Goetz Kozuszek nach Friedrich von Schiller. 154 Das Hörspiel Reife- prüfung war eine thematische Auseinandersetzung über die deutsche Vergangenheit und deren Auswirkung nach dem Nationalsozialismus am Beispiel einer >Vater- Sohn-Beziehung<. Die Reifeprüfung war ein doppeltes Experiment. Geschrieben und an den NDR gesandt von einem 36-jährigen Deutschlehrer; gespielt von Laien, seinen Schülern eines Internats in St. Peter-Ording an der Nordsee. Im Unterricht hatte man das Hörspiel theoretisch behandelt, aber keiner von ihnen war zuvor mit der Hör- spielpraxis vertraut. Sowohl der Autor als auch die Darsteller waren Neulinge, die zu den Proben vom 9. bis 18. Juli 1959 das erste Mal eine Sendeanstalt betraten. Nicht alle der zwanzig angereisten Schüler konnten mitwirken. Zehn von ihnen wurden für das Hörspiel von Egon Monk und Heinz Schwitzke ausgewählt, die zuvor nach St. Peter-Ording gereist waren, um bei der Endfassung des Hörspiels fachlichen Rat zu geben. 155

152 Egon Monk in: Ebd. 153 >Reifeprüfung<. Hörspiel. Sendedaten: 23.8. u. 30.9.1959. In: Original-Hörspielfassung. Im Besitz von Waltraud Lohmann, ehemalige NDR-Sekretärin in der Hörspiel- u. Fernsehspielabteilung der 1950er u. 1960er Jahre. 154 >Maria Stuart<. Hörspiel. Sendedatum: 16.9.1959. In: NDR-Archivdatenbänke 155 Alle Angaben zum Hörspiel >Reifeprüfung< sind den Anlagen der Original-Hörspielfassung von 1959 entnommen. Dabei handelt es sich um NDR-Informationen, Presse- u. Hörerkritiken. 50

Doppeldeutig war auch der Titel. Die Reifeprüfung stand für die bevor- stehende Abiturprüfung eines Neunzehnjährigen und seiner >Reife< zum Er- wachsenwerden in der Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Ver- gangenheit seines Vaters. Die zweifache Bedeutung erfährt ihren Höhepunkt in der Konfliktzuspitzung der Schuldfrage, als der Sohn, vom Vater, der einen Kriegsver- brecherprozess vor sich sieht, in ein Internat fortgeschickt, selbst das Gefühl von Macht und dessen Gebrauch kennen lernt. Die Macht in Händen über einen Mit- schüler, den er beim Diebstahl ertappt, lässt ihn nach dessen Selbstmordversuch den Zugang zu seinem Vater finden, der in den letzten Kriegstagen am Tod eines Menschen mitschuldig wurde. Das Hörspiel mit der Hauptthematik von >Schuld und Sühne< wurde nur in den Rollen der Erwachsenen von erfahrenen Hörspielsprechern wie Hans Paetsch in der Rolle des Vaters besetzt. Heinz Schwitzke, Leiter der Hörspielabteilung, und sein Regisseur Egon Monk übten während der Aufnahme eine dramaturgisch beratende Tätigkeit aus. Das Hörspiel hatte nach der Erstausstrahlung eine große Resonanz in Presse- und Hörerkritiken. Die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit Deutschlands und deren Auswirkungen am Beispiel einer Familie der Nachkriegszeit, beschäftigten Hörer wie Medien gleichermaßen. Schulen und Laien- spielgruppen baten für Besprechungen im Unterricht und eigenes Nachspielen um Manuskripte. 156 Das Ergebnis der Gemeinschaftsarbeit von Lehrer, Schülern und dem NDR wurde u. a. als Ansporn für viele Erzieher gesehen, die „ so oder ähnlich, jedenfalls spielend und darum mit größtem Ernst, auf eine charakterliche Reife ihrer Schüler hinzuarbeiten “ hätten. 157 Monks dramaturgische Führung der Hörfunklaien war „ be- hutsam “ und „ setzte dort den Rotstift an, wo Klose [der Autor/S.B.] von den Jugend- lichen Ironie, Zynismus oder Ausbrüche verlangte. Die Primaner waren naturgemäß dort am überzeugendsten, wo sie nichts weiter als eben Primaner zu spielen hatten. (…) Zu Beginn der Sendung hatte Heinz Schwitzke betont, dass diese Produktion als Experiment aufzufassen sei und als eine Gemeinschaftsarbeit zwischen allen Be- teiligten, die Öffentlichkeit an ein heikles Thema heranzuführen. Das ist dem Spiel ohne Zweifel gelungen “. 158 Unter Schwitzkes Leitung, der zeitweise nicht nur für die Produktion von Hörspielen, sondern auch für Fernsehspiele zuständig war, entstanden Monks erste

156 Verweis auf Fußnote 155 157 hn: Wer wird nicht schuldig? In: Funk-Korrespondenz 9.9.1959, H. 36 158 Uskow, Hans-Jürgen: Laien im Hörspiel. Experiment mit Zeitgeschichte. In: Die Welt, 25.8.1959 51

Fernsehspiele in Hamburg: Das Geld, dass auf der Straße liegt , nach einem Hörspiel von Werner-Jörg Lüddecke, vom 10. Februar 1958 und Die Brüder , Wolfgang Bentel nach einer Novelle von Guy de Maupassant, vom 21. Dezember 1958. Egon Monks Arbeitsweg führte ihn in den nachfolgenden Jahren nicht zum Film – er wurde kein Kinofilmregisseur, sondern „ ganz und gar ein Kind des Fernsehens “. 159

4.7 Zusammenfassung In den ersten drei Jahrzehnten seines Lebens lebte Egon Monk in Berlin. Er wuchs in einer Arbeiterfamilie auf, die im Berliner Stadtteil Wedding lebte. Zwei Dinge übten schon in frühester Jugend einen prägenden Einfluss auf ihn aus: Bücher und Kino- filme. Die Märchen Hans Christian Andersens, die er als Kind so sehr liebte, schätzt Monk noch heute als Erwachsener. Kinobesuche wurden schon ab seinem fünften Lebensjahr, in Begleitung seines älteren Halbbruders, zu einem stetig zunehmenden Vergnügen. Mit siebzehn Jahren hatte Monk bereits den Entschluss gefasst, einmal selbst Filmregisseur zu werden. Schauspieler wollte er nie werden. Zu dieser Zeit, 1943, befand sich Deutschland bereits seit vier Jahren im Krieg und dessen Aus- wirkungen waren auch an der Heimatfront in der Hauptstadt spürbar. Als jüngster von vier Söhnen seiner Mutter besuchte Monk als einziger das Gymnasium, dass er verlassen musste, als er zum Luftwaffenhelfer ausgebildet wurde. Wie viele andere Jugendliche seines Alters, hatte er eine Vorliebe für Jazzmusik, die, neben dem Lesen und den Kinobesuchen, wichtig für ihn wurde. Sooft es ging, verbrachte er seine dienstfreie Zeit in einem Jazzclub. Als der Krieg zu Ende war, lebte Monk zunächst weiterhin im Wedding. Er machte sich ernsthaft daran, seinen Berufswunsch in die Tat umzusetzen. Nach einem Umweg über die Schauspielschule und kleinen Engagements als Bühnendar- steller, bei denen er seine spätere Ehefrau Ulla kennen lernte, wurde er Ende 1948 in die Regie-Klasse der Defa-Filmschule aufgenommen. Seine Ausbildungszeit dort war jedoch nur von kurzer Dauer. Monk gelang es 1949, als Regieschüler von Bertolt Brecht am Berliner Ensemble aufgenommen zu werden. Vier Jahre lang arbeitete er als Regieassistent und führte auch selbständig Regie. Nach einer einmaligen Regiearbeit für das Ver- suchsprogramm des DDR-Fernsehens wechselte Monk 1953 in den Westteil . Nach monatelanger Arbeitslosigkeit, kurzem Engagement als Regisseur am Theater

159 Egon Monk in: Geschichte verschont keinen. In: Hamburger Abendblatt, 10./11.4.1999 52 am Kurfürstendamm und einer Arbeit als Hörfunkregisseur beim RIAS-Berlin ver- ließ Egon Monk 1957, inzwischen dreißig Jahre alt, Berlin. Er zog mit seiner Familie nach Hamburg und bekam eine Anstellung als Regisseur in der Hörspielabteilung des NDR. 1958 entstanden seine ersten beiden Fernsehspiele, die von der Hörspielabteilung produziert wurden. Drei Jahre später übernahm er eine neue Aufgabe. Er wurde Leiter der Fernsehspielabteilung des NDR.

5 1960 bis 1968 – Egon Monk und das Fernsehspiel

In den 1960er Jahren rückte die Bedeutung des Fernsehspiels auf anderer Basis als der technisch-ökonomisch basierten Diskussion der Formbestimmung in den Vordergrund. In einer sich verändernden Gesellschaft war der Kunstanspruch des Fernsehspiels und dessen technische Entwicklung und ökonomische Auswertung Teil der Entwicklungsgeschichte des Fernsehspiels. Innerhalb der einzelnen öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten entwickelte sich das Fernsehspiel unterschied- lich – zwischen Unterhaltung und Anspruch, Information und Bildung. Neue Ver- mittlungsformen kamen hinzu, wie das Dokumentarspiel und seine semi- dokumentarische Form mit fiktionalen Spielszenen. Die inhaltlichen Konzepte konnten sich nun mit ihren filmischen Herstellungsmöglichkeiten mehr an der Wirk- lichkeit orientieren. Anspruch und Umsetzung in der Konzeption der Fernsehspiel- abteilungen waren zu Beginn der 1960er Jahre eine Orientierungsphase und Konzeptionsfindung in allen Sendeanstalten. Egon Monk hatte von Anbeginn seiner Tätigkeit als Leiter der NDR- Fernsehspielabteilung ein gesellschaftskritisches Fernsehspiel zum Ziel. Ein Ziel, das er im genuinen Fernsehspiel und mit epischen und dramatischen Werken zeit- genössischer Thematik verwirklicht sehen wollte.

5.1 Das Fernsehspiel zwischen Unterhaltung und Anspruch In einer Artikelreihe in der Funk-Korrespondenz verglich Egon Netenjakob über mehrere Jahre die Fernsehspielpläne der ARD-Sendeanstalten und des ZDFs mit- einander. Während für alle ARD-Sender ein hoher Anteil epischer und dramatischer Adaptionen im Fernsehspiel der 1960er Jahre und ein geringerer des >Original- 53

Fernsehspiels< zu verzeichnen war, wurde dieser Unterschied besonders deutlich im Vergleich der Sender NDR und BR. Dem Bayerischen Rundfunk attestierte Netenjakob ein Programm, in dem „die Suche nach dem originalen Fernsehspiel (…) nicht oder kaum “160 stattfand und stattdessen, unter Leitung des Programmdirektors Clemens Münster, ein an deutscher Dramatik orientiertes Fernsehspielprogramm kultiviert wurde. Im NDR, unter Leitung Egon Monks, ermittelte Netenjakob einen 40- prozentigen Anteil von „ unmittelbar für das Medium geschaffenen Spiele “, der in seinem Vergleichszeitraum von 1961 bis 1965, „ nirgendwo anders so hoch “ war. 161 Dem einstigen NWRV-Partner des Hamburger Senders, dem WDR, warf Netenjakob Konzeptionslosigkeit im Spielplan vor. Die Ankündigung des WDR- Programmdirektors Hans Joachim Lange von 1963, ein anspruchsvolles Programm mit Gegenwartsthematik zu bieten und zeitgenössische Autoren für das Fernsehspiel gewinnen zu wollen, sah Netenjakob auch nach Jahren noch nicht verwirklicht. „ In der Praxis wurde doch wohl eher das vor allem unterhaltend Gemeinte dem An- spruchsvollen, das Bequeme dem Risiko vorgezogen. “162 Die schwierige Autorensuche und das eher zufällig zusammengestellte Programm mit einem gewissen „ human touch “ sah er als Ergebnis einer, mit ihrer „Mammutaufgabe überforderte(n) Hauptabteilung “. 163 Günter Rohrbach, der neue Chefdramaturg im WDR seit 1965, reagierte mit der Ankündigung eines grundsätzlichen Wandels im Fernsehspiel des WDR, das sich mit filmischen Mitteln an der Wirklichkeit orientieren sollte. Rohrbach plädierte für den Film im Fernsehen, ohne jedoch der Theateradaption eine generelle Absage zu erteilen. 1967 bescheinigte Netenjakob dem vorliegenden WDR-Spielplan „ endlich eine Fernsehspiel-Konzeption “, die „ bessere Leistungen verspricht “. 164 Im Gegensatz zu Netenjakob, der dem ZDF einen hohen Anteil an Adaptionen bescheinigt, 165 stellt Knut Hickethier für das ZDF, einen, von Beginn

160 Vgl. Netenjakob, Egon: Was für das Publikum gut ist. Fünf Jahre Fernsehspiel des Bayerischen Rundfunks. Anmerkungen zu einem Spielplan, der für Zuschauer gemacht ist. In: Funk-Korrespondenz 15.12.1966, Nr. 51-52, S. 2 161 Vgl. Netenjakob, Egon: Eine politische Mission. Fünf Jahre Fernsehspiel des NDR (1961-1965). Eine Konzeption und ein Spielplan. In: Funk-Korrespondenz 17.11.1966, Nr. 47, S. 1 162 Zit. n. Netenjakob, Egon: Das Leben der Menschen miteinander. Genügt das als Konzeption? Fünf Jahre Fernsehspiel des WDR-Anmerkungen zu einem Spielplan. In: Funk-Korrespondenz 20.10.1966, Nr. 43, S. 2 163 Vgl. Netenjakob, Egon: Ebd., S. 4 164 Vgl. Netenjakob, Egon: Endlich eine Fernsehspiel-Konzeption beim WDR. In: Funk- Korrespondenz 19.1.1967, Nr. 3, S. 7 165 Vgl. Netenjakob, Egon: Weltliteratur für alle. Drei Jahre Fernsehspiel beim ZDF – Anmerkungen zu einem Spielplan und seiner Tendenz. In: Funk-Korrespondenz 26.5.1966, Nr. 22 54 seiner Sendetätigkeit an, niedrigeren Adaptionsanteil fest. Hickethier begründet dies u. a. mit der Entstehungsstruktur des ZDF, die, im Gegensatz zu den vielzähligen ARD-Sendeanstalten, eine alleinige Programmverantwortung zur Folge hatte. Durch das größere Fernsehspielangebot des zentralistischen ZDF konnte so augenscheinlich der Eindruck entstehen, dass der Anteil an Adaptionen relativ hoch war, was pro- zentual nicht nachweisbar war. Das größere Programmaufgebot des ZDF ermöglichte diesem jedoch auch „ in ganz anderer Weise Autoren an sich zu binden als die einzel- nen ARD-Anstalten mit ihrem, gemessen am ZDF, relativ kleinen Programmteil. (…) Die ARD-Anstalten mussten dagegen bei ihrem oft sehr schmalen Programm-Anteil eine prozentual höhere Zahl Literaturadaptionen bringen, um überhaupt eine ge- wisse Vielfalt und Breite aufweisen zu können “. 166 Die Gründung einer selbständigen Fernsehspielredaktion im ZDF, aus der 1963 die Hauptabteilung Dokumentarspiel hervorging, und die Einrichtung von Programmplätzen wie >Das kleine Fernsehspiel<, >Das Fernsehspiel der Gegen- wart< und >Das Fernsehspiel des Auslands< waren ebenfalls Gründe für den höheren Anteil von Originalfernsehspielen mit zeitgenössischer Thematik im ZDF. 1969 resümiert Netenjakob zur Fernsehspielthematik und -intention nach er- neutem Vergleich der Fernsehspielangebote der Sender: „ Es tut sich etwas im Fern- sehspiel, zweifellos. In den letzten Jahren sind neue Akzente gesetzt worden (…). Der ursprünglich nur in Monks Fernsehdramaturgie klar realisierte Wille, im Fernseh- spiel die Möglichkeiten des Mediums zu nutzen, formal und pädagogisch, ge- sellschaftliche und politische Vorgänge dem Zuschauer sichtbar zu machen, Gesell- schaftsanalyse und –kritik zu treiben, ist heute nicht mehr allein auf Hamburg be- schränkt. “167 Dennoch waren auch 1969, „ mehr als die Hälfte der Spiele aller deutschen Sender Adaptionen von Bühnenstücken. (…) Je mehr sich ein Sender noch am Theater orientiert, so kann man schlicht folgern, desto weniger produktiv ist er für die Entwicklung des Fernsehspiels. Das Extrem in dieser Hinsicht ist nach wie vor der Bayerische Rundfunk. (…) Das andere positive Extrem ist der Norddeutsche Rundfunk, der nur in Ausnahmefällen von zwingendem thematischen und formalen Gewicht Bühnenstücke inszeniert “. 168

166 Zit. n. Hickethier, Knut: Das Fernsehspiel der Bundesrepublik. Stuttgart 1980, S. 86 167 Vgl. Netenjakob, Egon: Wo steht das Fernsehspiel? Ein paar Fakten und Gedanken zu einer Art Zwischenbilanz. In: Funk-Korrespondenz 7.8.1969, Nr. 32, S. 1 168 Vgl. Netenjakob, Egon: Ebd., S. 2-3. Zu den Theateradaptionen des NDR zählte >Die Ermittlung< von Peter Weiss, Erstausstrahlung 29.3.1966 55

Zwar gab es, im Gegensatz zu den 1950er Jahren, inzwischen Autoren, die ausschließlich für das Fernsehen schrieben, doch herrschte in den Sendern immer noch ein Mangel vor. Den 1969 immer noch existenten Autorenmangel sah Netenjakob allerdings nicht mehr in der >Fremdheit des Mediums< begründet, sondern in einer eingeschränkten Autorensouveränität. Netenjakob entwickelte für das Fernsehspiel ein Szenario der Bedeutungslosigkeit innerhalb der kulturellen Entwicklung und beklagte dessen Entwicklung in den Fernsehspielabteilungen, deren Fernsehspielproduktionen einerseits von der Begrenztheit der Etats und andererseits von einer Anpassung an den >Massengeschmack< diktiert wurden, die für die Autoren „ eine Einschränkung der Freiheit “ bedeutete. 169 Die Positionierung des Fernsehspiels krankte an dem Dilemma, einerseits „ auf die davoneilende kulturelle Entwicklung, für die es selbst nicht relevant ist “ zu starren und andererseits „ zurück auf ein Publikum, für das es von Bedeutung ist “. 170

5.2 Egon Monk und die >Hamburger Dramaturgie< Häufig wider den populären Geschmack war das Fernsehspiel im NDR. Medien und Zuschauer wurden mit dem Programm einer Abteilung konfrontiert, für deren Leiter und Mitarbeiter das politische Engagement „ die selbst gewählte und uns selbstver- ständlich erscheinende Voraussetzung für unsere Arbeit“ war. 171 Die Entwicklung des genuinen Fernsehspiels mit gegenwartsbezogener Thematik wurde in der Hamburger Fernsehspielredaktion besonders forciert. Die Inszenierungen in Monks Fernsehspielkonzeption erfuhren eine Abkehr vom Sicht- barmachen der privaten Konfliktaustragung und dem empathischen Erleben vor dem Fernsehschirm. Das Fernsehspiel war für ihn ein Instrument der Aufklärung ge- sellschaftlicher Verhältnisse. Wie Bertolt Brecht sah auch Egon Monk das Ziel seiner Arbeit in der Schaffung eines kritischen Bewusstseins der Zuschauer. Eine Er- neuerung im Fernsehspiel, die Medienkritiker in den Folgejahren vielfach zu einem zeitgemäßen Vergleich der Erneuerung des Theaters nach Ephraim Lessings >Hamburger Dramaturgie< veranlasste. 172

169 Vgl. Netenjakob, Egon: Ebd., S. 5 170 Vgl. Netenjakob, Egon, Ebd., S. 6 171 Egon Monk in: Netenjakob, Egon: Eine politische Mission. Fünf Jahre Fernsehspiel im NDR (1961-1965). Eine Konzeption und ein Spielplan. In: Funk-Korrespondenz 17.11.1966, Nr. 47, S. 1 172 u.a. Delling, Manfred: Augenblick des Friedens. Süddeutsche Zeitung, 25.11.1965. Kließ, Werner: Egon Monks Hamburger Dramaturgie. Das Fernsehspiel Zuchthaus, inszeniert von Rolf Hädrich, produziert von Egon Monk. In: Film 1967, Nr. 6, S.38-39 56

5.3 Die Anfänge – Verwaltung und Konzeption Die beiden maßgeblichen Verantwortlichen für die Beauftragung Egon Monks mit der Gründung der Hauptabteilung Fernsehspiel waren der damalige Intendant Walter Hilpert 173 und sein Stellvertreter und der spätere Programmdirektor Fernsehen Hans Arnold 174 . In die Amtszeit Hilperts und Arnolds fiel die Neustrukturierung der Programmproduktion der Landesrundfunkanstalt. Nach Beendigung des NWRV durch Kündigung des NWRV-Staatsvertrages im September 1959 (Auflösung 31.3.1961) organisierte der NDR seine Programmproduktion und Abteilungen neu. 175 In Monk sah Hilpert „ einen ungewöhnlich intelligenten und fachkundigen und engagierten Mann “. 176 Hilpert und Arnold beauftragten den 32-jährigen Monk vor Jahreswechsel 1959/60 mit der Einrichtung der Hauptabteilung Fernsehspiel. Monk selbst mutmaßt über deren Gründe: „1958 habe ich, in Zusammenarbeit mit Schwitzke, die ersten beiden Fern- sehspiele gemacht: ,Das Geld, dass auf der Straße liegt´ und ,Die Brüder´. So habe ich Bekanntschaft gemacht mit dem Fernsehen. Und vielleicht waren diese beiden Inszenierungen auch mit ein Beweggrund für Dr. Arnold und Dr. Hilpert mich zu fragen, ob ich eine Hauptabteilung Fernsehspiel aufbauen und leiten wollte. Es gab zu diesem Zeitpunkt mehrere Personen oder Gruppen, die Fernseh- spiele machten. John Olden, ein von den Engländern beauftragter Kulturoffizier und sehr fähiger Regisseur. Hanns Farenburg, ein richtiger >Berufsregisseur< und Heinz Schwitzke, der in seinem Programm >das Literarische< vermisste. 177 Der NWRV hat aus dem Bunker 178 und später dann aus dem neu errichteten Fernseh- zentrum in Lokstedt zunächst einmal >wild< gesendet. Der Sender hat sich Regisseure gesucht, die damit einverstanden waren sich selbst und den Sender aus- zuprobieren. Filmregisseure, die das Geschäft schon ein bisschen kannten, waren, wenn ich mich recht erinnere, nicht darunter. Denn die verdienten, wenn sie einen Kinofilm machten, ungefähr das Zwanzigfache dessen, was man beim Fernsehen

173 Walter Hilpert, geb. 12.4.1908 in Plaschken (Ostpreußen), gest. 10.7.1962 in Hamburg 174 Hans Arnold, geb. 1908 in Mannheim, gest. 15.11.1988 in München 175 Publikationen zur NDR-Geschichte: Rüden, Peter von; Wagner, Hans Ulrich (Hrsg.): Die Geschichte des Nordwestdeutschen Rundfunks . Band 1, Hamburg 2005. Wagner, Hans Ulrich (Hrsg.): Die Geschichte des Nordwestdeutschen Rundfunks. Band 2, Hamburg 2008. Siehe auch: NDR- Geschichte(n) Nordwestdeutsche Hefte zur Rundfunkgeschichte . Hans-Bredow-Institut, Hamburg seit 2003 176 Delling, Manfred: Geschichte des Fernsehens. Interview mit Hans Arnold. In: NDR- Archivdatenbänke, undatiert 177 Siehe meine Ausführungen über die Arbeit Farenburgs, Schwitzkes u. Oldens. 178 Schutzbunker aus dem Zweiten Weltkrieg auf dem Hamburger Heiligengeistfeld, der Sprengungs- versuchen nach dem Krieg widerstand. 57 verdienen konnte und nahmen eher Abstand – die Arbeit war trotz des Verdienstes die gleiche. Es inszenierten also Leute, die vom Theater kamen, und es kümmerten sich dramaturgisch Leute, die auch vom Theater oder vom Hörfunk kamen, um das Fern- sehspiel. Ich kam vom Theater und vom Hörfunk, hatte aber eine Ausbildung, na ja, als ein Filmregisseur, ich will aber nicht übertreiben. “179 Monk fing zu Beginn des Jahres 1960 an, seine Abteilung von Grund auf zu organisieren. Dazu gehörte, als erster Schritt auch die Einrichtung der Räumlich- keiten, in der die neu gegründete Hauptabteilung Fernsehspiel ihren Sitz haben sollte. „Angefangen habe ich in einer Villa am Rothenbaum, die später abgerissen wurde, weil der NDR dort auf einem großen Gelände baute. Der NDR wurde nach und nach erweitert und ich war zunächst allein mit meiner Sekretärin, Fräulein Lohmann. Die war schon meine Hörfunksekretärin in der Hörfunkdramaturgie und ich habe sie einfach mitgenommen. Es gab nichts, nur leere Räume. Sie hat uns, damit wir arbeiten konnten, alles organisiert. Man muss schon sagen >zusammen- geklaut<, einfach mitgenommen was nicht niet- und nagelfest war. Eine Schreib- maschine, Schreibpapier, einen wackligen Tisch, für mich einen Stuhl und für sich selbst auch einen in einem kleinen Vorzimmer. Es war ein Altbau, ein nicht be- sonders hergerichteter, in dem es knarrte und staubte. Es gab noch mehrere Zimmer, die auf ähnliche Weise >möbliert< wurden. “180 Nach dem Anfang der Abteilung im Stadtteil Rotherbaum zog die Fernseh- spielabteilung jedoch bald in neue Büroräume auf dem Produktionsgelände des neuen Studio Hamburg. Monk wollte so nah wie möglich am >Geschehen< sein und „jederzeit erreichbar für meine Mitarbeiter. Das geht nur, wenn man seine Ver- waltungsräume nicht ganz woanders hat “. 181 Zum Aufbau der Abteilung gehörten neben der Einrichtung von Räumlich- keiten auch der administrative Teil der Arbeit und die Personalführung. „ Alles musste neu ersonnen werden. Auch die Hörfunkverwaltung wusste nicht, welche Formulare denn die geeignetsten wären für eine Fernsehspielabteilung. Denn all die Fragen, die sich da stellten, z.B. Formulare für >sichtbare< Schauspieler oder Formulare für Materialien gab es im Hörfunk nicht. Die [Verwaltungsan- gestellte/S.B.] mussten sich ihre Erfahrungen ebenso erwerben wie ich und so haben wir das gemeinsam getan.

179 Egon Monk in: Interview am 6.11.2001 mit S. B. 180 Egon Monk in: Ebd. 181 Egon Monk in: Interview am 1.6.2004 mit S.B. 58

Aber es ergab sich, dass das, was Sie den administrativen Teil meiner Arbeit nennen, eigentlich überhaupt kein Problem darstellte. Hat mir nicht die geringste Schwierigkeit gemacht, ging leicht von der Hand. Was nicht so leicht von der Hand ging, war der nicht so sehr administrative Teil meiner Arbeit eines Leiters einer Hauptabteilung Fernsehspiel. Fünfundneunzig Prozent der Arbeit sind ja nicht >Verwaltung<, sondern der Umgang mit Menschen – mit Regisseuren, Autoren, mit Schauspielern. Mir fehlten Erfahrungen als Verlagslektor oder als amtierender Theater- intendant, aber die werden ganz ähnlich sein. Das ist immer zeitraubend und schwierig, da jeder Mensch ein eigener ist, mit seinen Wünschen und ganz be- stimmten Ansichten und man mit jedem zu einem wünschenswerten Ergebnis kommen muss – nämlich zu einem sendungsreifen Film. Das ist, nehme ich an, auch heute noch der wichtigste Teil der Arbeit, der zu erledigen ist nach einer einfachen Grund- regel: Ein guter Chef einer solchen Abteilung ist einer, der fähig ist zu erkennen, dass jemand Talent hat und dann gleichzeitig die Kräfte seines Institutes dafür zu mobilisieren, dass dieses Talent sich ausdrücken kann. Das ist eigentlich alles. “182 Das, von Hanns Farenburg in den 1950er Jahren eingerichtete, Lektorat nutzte Monk nun für seine Abteilung. Einige Mitarbeiter der Hörspielabteilung, wie die Sekretärin Waltraud Lohmann sowie Autoren und Dramaturgen aus der Hör- spielabteilung, wechselten ebenfalls in die neue Fernsehspielabteilung. Aber auch >Rundfunkneulinge< wie Hans Brecht, der sich später besonders für den Dokumentarfilm und seine Mischformen, wie dem >Interview-Dokumentarismus<, einsetzte, kamen hinzu. „Es gab schon eine Lektoratschefin, Frau Schütz, so dass das Lektorat arbeitsfähig war und ich habe zwei Mitarbeiter der Hörspielabteilung, die aber freie Mitarbeiter waren, nicht fest angestellt, mitgenommen – Gerhard Lüdtke, Regisseur, der auch Erfahrungen als Verlagslektor hatte und Götz Kozuszek. 183 Kozuszek kam aus Berlin und war ein hoch gebildeter Mann, was mir völlig genügte. Es spielt in unserem Beruf eine Rolle, dass einem Menschen sympathisch sind und man sich nicht auf >den Wecker geht< wenn man zusammensitzt und überlegt, wie man vor- gehen will.

182 Egon Monk in: Interview am 6.11.2001 mit S.B. 183 Monks Mitarbeiter waren u.a. die Regisseure Hanns Farenburg, John Olden, Gustav Burmester und Fritz Schröder-Jahn, Gerhard Lütke, die Dramaturgen Goetz Kozuszek und Werner-Jörg Lüddecke. In: NDR-Archivdatenbänke 59

Dazu habe ich jemanden gebeten, der überhaupt nichts mit Fernsehen, Film, Funk oder Theater zu tun gehabt hatte – Hans Brecht. Den hatte ich in Großhansdorf kennen gelernt. Er arbeitete zu der Zeit ganz woanders, als Dolmetscher im amerikanischen Konsulat und hatte zuvor Jura studiert. Der war mir auch sehr sympathisch und da es keine >gelernten< Mitarbeiter gab, habe ich ihn einfach ge- fragt, ob er Lust habe bei mir in der Redaktion mitzumachen. Er hat sich das über- legt und dann seinen Beruf völlig gewechselt und gesagt: ,Ja, das mache ich!’ Und er hat seinen Beruf gelernt, in dem er ihn ausübte. Keiner hatte Ahnung, wie Fern- sehdramaturgie auszusehen hätte – so wie wir es machten, war es eben. “184

5.4 Die Entwicklung der Hauptabteilung Fernsehspiel - Die Mitarbeiter – Zwischen >Gästen und Festen< Monks Erneuerung im Fernsehspiel war ein Zusammenspiel seiner Vorstellungen und der Umsetzung der >Hamburger Dramaturgie< durch >Mit-Arbeiter< in der Hauptabteilung Fernsehspiel. Wie am Beispiel Hans Brechts geschildert, der aus fremder Berufstätigkeit von Egon Monk in die Redaktion der Fernsehspielabteilung geholt wurde, kamen auch andere hinzu, die im >Learning by doing-Verfahren< in der Praxis ausgebildet wurden. „Monk hatte seinerzeit etwas ganz Außergewöhnliches, was es eigentlich nach ihm nie wieder in irgendeiner deutschen Rundfunkanstalt gegeben hat, näm- lich: Er hatte eine Redaktion geschaffen, in der er eine ganze Reihe von Leuten in die Abteilung holte, die vorher direkt mit dem Fernsehen oder mit dem Film nichts zu tun hatten, gab ihnen Verträge als Redaktionsassistenten um sie langsam auf diesen Be- ruf vorzubereiten. Und es gibt ebenso eine Reihe namhafter Kollegen heute, die aus dieser Zeit hervorgegangen sind. Das ist eine ganz außerordentliche, ich glaube einmalige Geschichte, die Monk in diesen zehn [acht als Leiter/S.B.] Jahren hier im Norddeutschen Rundfunk hatte. “185 Die Entwicklung der Fernsehspielabteilung beruhte auch auf persönlichen Vertrauensverhältnissen Monks zu Menschen, die er bereits seit langer Zeit kannte und von deren Mitarbeit er sich Anregung und Unterstützung versprach. Ein wichtiger Wegbegleiter wurde Claus Hubalek, 186 ein Jugendfreund Monks aus Berliner Tagen. Er war zeitweise Dramaturg bei Bertolt Brecht im Berliner

184 Egon Monk in: Interview am 6.11.2001 mit S.B. 185 Eberhard Fechner (Regisseur) in: >Ort der Handlung Deutschland. Egon Monk und seine Filme.< Eine Filmdokumentation von Stephan Reichenberger, 1985. Produktion NDR in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut. Erstausstrahlung am 29.9.1987 186 Claus Hubalek, geb. 18.3.1926 in Berlin, gest. 16.5.1995 in Hamburg 60

Ensemble, übte nach Kriegsgefangenschaft und Studium verschiedene Berufe aus, wie Lehrer, Lektor beim Ostberliner Verlag Volk und Welt und hatte sich schon in den 1950er Jahren als erfolgreicher Dramatiker, u. a. mit dem Stück Der Hauptmann und sein Held (1953), einen Namen gemacht. Unter Egon Monk als Fernsehspielleiter wurde Hubalek von 1963 bis 1966 Chefdramaturg der Abteilung. Während Monks kurzer Zeit als Intendant des Hamburger Schauspielhauses, im Jahr 1968, arbeitete Hubalek auch dort eng mit Monk zusammen. Zu Monks Vorstellungen einer Fernsehspielabteilung gehörte es auch, zeitbegrenzt Autoren und Regisseure in die Abteilung zu holen, um neue Im- pulse zu erhalten und Ideen zu entwickeln . „Nach dieser >Urbesetzung<, Hans Brecht, Gerhard Lüdtke, Goetz Kozuszek, die dann natürlich auch Sekretärinnen bekamen, wurde langsam aus einer Idee eine funktionierende Abteilung. Ich holte aus Berlin meinen alten Schulfreund Claus Hubalek, der damals zu den bekannten jungen deutschen Dramatikern zählte, und 1953 den Gerhart-Hauptmann-Preis der Freien Volksbühne Berlin erhielt. Er erhielt ihn für ,Der Hauptmann und sein Held´. Hubalek war Lektor bei Volk und Welt in Berlin gewesen und kannte aus dieser Zeit eine Menge Autoren. Unter anderem Gunther R. Lys 187 , der in Sachsenhausen KZ-Häftling ge- wesen war. Der hatte seine Erinnerungen an den so genannten >Todesmarsch<, d. h. die Verlegung der Häftlinge bei Näherrücken der Ostfront, an dem er teil- genommen und ihn überlebt hatte, aufgeschrieben unter dem Titel ,Kilometerstein 12,6´. 188 Er war wie viele andere als aktiver Kommunist im Nazi-Regime in ein Konzentrationslager gekommen. Als er dann später die Wirklichkeit der damaligen sowjetischen Besatzungszone gesehen und am eigenen Leib erfahren hatte, verließ er die kommunistische Partei und zog sich völlig ins Privatleben zurück. 189 Hubalek und ich hatten über ihn gesprochen und riefen ihn aus der privaten Existenz zurück und holten ihn nach Hamburg. Ich bot ihm eine Stellung als fest an- gestellter Autor an. Dabei war nicht an eine Lebensstellung gedacht, sondern an

187 Gunther Reinhold Lys, geb. 25.11.1907 in Hamburg, 1925 nach Berlin gekommen, abgebrochenes Medizinstudium, Jazzpianist, Fotograf, Lektor, Übersetzer u. Kriminalromanautor, 1941 wegen ver- botener Auslandskontakte verhaftet u. ohne Gerichtsverhandlung von März 1941 bis zur Befreiung durch die Russen im April 1945, Häftling in den Konzentrationslagern Oranienburg-Sachsenhausen u. Lieberose bei Cottbus. Wanderte 1966 nach Israel aus, kehrte 1984 für kurze Zeit nach Westberlin zurück, um danach endgültig in Israel zu leben. Vgl. zu Lys: Rohrwasser, Michael, Vorwort in: Lys, Gunther: Irma Grese oder das Abgründige im Menschen. Berlin 1988 sowie Rohrwasser, Michael, Nachwort in: Lys, Gunther R.: Kilometerstein 12,6. Frankfurt a. M. 1987 188 Erstauflage 1948 im Ostberliner Verlag Volk und Welt. Lys schrieb seine Erlebnisse während eines längeren Krankenhausaufenthalts nieder. 189 Lys betrieb in Westberlin eine Leihbücherei. Angabe Monks in: Über die Genauigkeit. In: Netenjakob, Egon: Liebe zum Fernsehen . Berlin 1984, S. 161. 61 einige Jahre, in denen er als Autor für den NDR schreiben sollte. Und außerdem eine sichere Existenz hatte, denn freie Autoren hatten immer eine sehr unsichere Existenz. Mir lag daran, Leute, die dem ganzen Unternehmen nahe standen, richtig versorgt zu wissen. Also zog Lys nach Hamburg. Gunther R. Lys wurde der Autor von ,Mauern´ [NDR 1963/S.B.] und ,Ein Tag´ [NDR 1965/S.B.]. 190 Aus dem ehemaligen >Schüler< Monk wurde im NDR der 1960er Jahre der >Lehrer< Monk, der die Arbeitsweise Brechts auch in praxisorientierter Anwendung auf die Fernseharbeit übertrug. Auf der Suche nach geeigneten Regisseuren, kam Monk schnell zu der Erkenntnis, dass er junge, nicht vom Fernsehen und vom Theater der 1950er Jahre geprägte Regisseure, in seiner Abteilung ausbilden wollte. Zu den >Regieschülern< der Abteilung zählten u. a. Rolf Busch, der zuvor Regie- assistent an den Hamburger Kammerspielen war, und der Theaterdramaturg Claus Peter Witt. In Monks letzter Arbeitsphase als Leiter der Abteilung kamen der aus- gebildete Regisseur Dieter Wedel und der schauspiel- und regieerfahrene Eberhard Fechner hinzu. „Ich war nicht besonders glücklich mit den Theaterregisseuren, die manchmal bei mir, für mich, arbeiteten und auch nicht besonders glücklich bei Experimenten mit Hörspielregisseuren. Die natürlich auch alle gern Fernsehen machen wollten. Mir lag daran – wenn schon denn schon – Leute in der Praxis aus- zubilden. Das war die Überlegung, die mich wenig später veranlasste eine Art Aus- bildungsstätte in der Praxis für Regisseure beim NDR zu bilden. Ehrgeizige junge Leute, die etwas Bestimmtes wollten und nicht schon die ihnen bekannten Er- fahrungen zu bebildern gedachten. Ich habe meinen Beruf in der Praxis gelernt bei Brecht und ich konnte mir überhaupt keine bessere >Schule< vorstellen. So habe ich eine Reihe von jungen Leuten engagiert, gegen ein nicht sehr hohes, aber auch nicht zu kleines monatliches Entgelt. Deren Aufgabe war es, sich überall umzusehen, überall dabei zu sein als schreibende Assistenten im Atelier- betrieb, als dramaturgische Mitarbeiter bei uns arbeitenden Regisseuren usw. – also lernten alle im Betrieb ihren Beruf. Eine Zeit lang hat Claus Peter Witt beispielsweise eine große Rolle gespielt als Regisseur von mehr unterhaltsamen Stücken. Er hat bei uns die Reihe ,Die Un-

190 Egon Monk in: Interview am 6.11.2001 mit S.B. 62 verbesserlichen´ 191 mit Inge Meysel und Josef Offenbach berühmt gemacht. Rolf Busch, ein talentierter junger Mann, arbeitete literarischer. Ich hätte die Ausbildung in der Praxis, wäre ich länger geblieben, auf- gegeben, weil zu dieser Zeit die Filmhochschulen gegründet wurden, in Berlin und in München. Also war unsere Privatsache beim NDR, junge Regisseure zu erzeugen, nicht mehr nötig. Die wurden anderswo >hergestellt<. “192 Eine Assistentenzeit wie Monk sie bei Brecht von 1949 bis 1953 erlebte, gab es im NDR der 1960er Jahre allerdings nicht. Die Assistenten >auf dem Platz neben Monk< waren nur für die Dauer einer jeweiligen Produktion vorhanden, „ da in den Sechzigern niemand mehr einen ständigen Assistenten bezahlte. Es saß immer jemand neben mir von Beginn der Produktion an und wenn die beendet war, dann war der eben auch weg “. 193 Monks über Jahre währende Zeit als Regieassistent, die er in seinen Er- innerungen Auf dem Platz neben Brecht 194 verarbeitet, war „nur möglich, weil meine Leistungen mit bescheidenstem Honorar bezahlt wurden, ich bereit war, mein Leben davon zu bestreiten - und mein Leben im Theater verbrachte. Ich saß auf dem Platz neben Brecht und war lange Zeit derjenige, der wirklich neben ihm saß, obwohl es mehrere Assistenten gab. Ich ging jeden Morgen früh ins Theater und ging manchmal erst um elf Uhr nachts dort raus. So lange Brecht da war, saß ich neben ihm. Ich konnte und sollte dort sitzen. Er forderte, dass ich neben ihm saß. Das ist heute nicht mehr möglich “. 195 Zu den Mitarbeitern Monks gehörten auch verschiedene Kameramänner, die im Funkhaus angestellt waren. Einige von ihnen hatten ihre Kameraerfahrungen in der Versuchsphase des NS-Fernsehens und im Kino gesammelt. Der NWDR hatte in den 1950er Jahren mehrere der ehemaligen Wochenschau-Kameramänner über- nommen, darunter auch Horst Schröder. Schröder arbeitete zunächst bei der Neuen Deutschen Wochenschau in der Heilwigstraße in Hamburg, die Aktuelles für die seit 1952 existierende Tagesschau filmte. 196

191 Autor Robert Stromberger schrieb sieben Fernsehspiele mit Fortsetzungscharakter, die von 1965 bis 1971 einmal jährlich das problematische Familienleben der >Unverbesserlichen< schilderten. 192 Egon Monk in: Interview am 6.11.2001 mit S.B. 193 Egon Monk in: Interview am 26.11.2001 mit S.B. 194 Unvollendet, Stand Mai 2005. Siehe auch innerhalb dieser Arbeit unter Kapitel: 1948 bis 1953: Egon Monk und Bertolt Brecht. 195 Egon Monk in: Interview am 26.11.2001 mit S.B. 196 Vgl. Diercks, Carsten: Die Welt kommt in die Stube. Hamburg 2000, S. 17-19 63

Als Monk Leiter der Abteilung wurde, arbeitete Schröder im NDR als Kameramann für Außenübertragungen. Horst Schröder wurde in den eigenen Fern- sehspielen Monks wiederholt eingesetzt. 197 Die engere Zusammenarbeit mit Schröder war „ kein Zufall, aber auch keine tiefere Absicht, da auch ich gehalten war, möglichst sparsam zu arbeiten. Auf der einen Seite wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass doch der NDR zahlreiche Kameramänner unter Vertrag hatte und wir, nicht nur ich, sondern alle Regisseure des NDR, also auch alle aus meiner Abteilung, sich im Hause nach einem geeigneten Kameramann umsehen sollten, bevor sie Fremde in den Sender holten. Da ich der Chef war und mit gutem Beispiel voran zu gehen hatte, tat ich das auch immer “. 198 Horst Schröder hatte den wiederholten Einsatz in Monks Fernsehspielen jedoch nicht ausschließlich der Ausschöpfung der vorhandenen Ressourcen zu ver- danken, sondern seinem Ruf als nervenstarker und vor allem mit der Filmkamera vertrauter Mann. Ihre erste gemeinsame Arbeit war Anfrage (NDR 1962). „Die andere Seite war, dass auch die bewährten Kinokameraleute, die also schon mit Film umgehen und es von der Pike auf gelernt hatten, in der ersten Zeit gar nicht engagiert werden konnten, weil ihre Fähigkeiten vom Fernsehen nicht ge- nutzt werden konnten. Im Fernsehen wurde ausschließlich mit elektronischen Kameras gearbeitet und das war nun eine sehr spezielle, sich von der Filmkamera sehr unterscheidende Tätigkeit. Man muss für drei, vier Richtungen denken, und das behagte den Filmkameraleuten, die es gewohnt waren, in eine Richtung zu denken, eine Einstellung vorzubereiten, überhaupt nicht. Das war ein ästhetischer Grund, aber der andere war die Bezahlung. Damals wurde ein Kameramann für das Kino – wenn auch hundsmiserabel, egal, unvergleichlich viel besser bezahlt als der in der Entwicklung stehende, der öffentlich-rechtliche Rundfunk zu bezahlen bereit war. Das änderte sich erst später, sehr viel später. All diese Kinokameraleute, die aus diesen und ähnlichen Gründen nicht wollten, haben sich später sehr bemüht, doch noch ins Fernsehen zu kommen als Festangestellte. Schröder war ein Wochenschau-Kameramann d. h. ein Mann für das Aktuelle. Der Vorteil war, dass ich den überall hinschicken konnte, der es gewöhnt war, auch unter schwierigsten Bedingungen zu arbeiten. Bei Katastrophen, bei Be- richten aus gefährlich geltenden Gebieten. Das war also seine Spezialität. Ich hörte: ‚Der ist unerschrocken. Mit dem kann man alles aufstellen!´ – Und genau so einen

197 Horst Schröder war Kameramann in Monks Fernsehspielen >Anfrage< (NDR 1962), >Schlacht- vieh< (NDR 1963), >Mauern< (NDR 1963), >Wilhelmsburger Freitag< (NDR 1964) 198 Egon Monk in: Interview am 6.11.2001 mit S.B. 64 suchte ich für die ,Anfrage´. Schröder handelte auch völlig unerschrocken, seinem Ruf entsprechend. Wenn eine Straße zu überqueren war, dachte der nicht daran, einen Schupo zu holen und um Absperrung zu bitten. Wenn ich ihn anwies: ‚Da drüben ist ein Haus, auf das gehst du mit der Handkamera zu´ – war der schon unterwegs, lief über die Straße ohne auf den Verkehr zu achten und meinte: ‚Ach, die fahren schon um mich rum!´ Der lief einfach los, mitten im Hauptverkehr. In Hamburg war der damals zu bestimmten Tageszeiten schon beachtlich. Das gefiel mir so gut, dass ich dachte: ‚Diese Studiokameraleute vermeidest du auch künftig!´ Ähnlich war die Bekanntschaft mit Walter Fehdmer, der ein alter Berliner Kamera- mann war und fast noch aus der Stummfilmzeit kam. Er hatte als ganz junger Mann seinen Beruf erlernt – noch vor Hitler – im Kino. Fehdmer war also einer der Kino- kameramänner, die sich beim NDR fest anstellen ließen. Er blieb mein Kamera- mann, bis ich die Abteilung verließ. 199 So kam ich zu den Kameraleuten. “200 Die Präsenz ehemaliger Theater- und Filmschauspieler im Fernsehen erfuhr in den 1960er Jahren eine allgemeine Wandlung. Der noch in den 1950er Jahren von Hanns Farenburg beklagte Mangel an zur Verfügung stehenden >guten< Schau- spielern im Fernsehen wich dem zunehmenden Interesse der Darsteller am neuen Medium. Im Zuge der Etablierung des Fernsehens und der stagnierenden Kinofilm- industrie sahen viele neue berufliche Möglichkeiten als Fernsehdarsteller. Dieses Interesse war nicht zuletzt darin begründet, dass das Fernsehen ihnen neben einer Einnahmequelle auch eine völlig neue Art der Präsenz und Bekanntheit verschaffte, die ihnen als Bühnendarsteller versagt blieb. „Die immer stärkere Verbreitung des Fernsehens hat einen künstlerischen Nährboden geschaffen, der vielen Filmschauspielern zu einer zweiten Karriere ver- half. Bei den Künstlern mag dabei auch eine Rolle spielen, dass sie sich an einem einzigen Abend Millionen von Fernsehzuschauern in Erinnerung bringen können. “201 Auch in den NDR-Fernsehspielen der 1960er Jahre sah man aus Kino und Theater bekannte Film- und Bühnenschauspieler der 1950er Jahre. Darunter Martin Held und Marianne Hoppe in Der Walzer der Toreros (NDR 1962), Dieter Borsche und Hilde Körber in Adieu Prinzessin (NDR 1961) oder Ruth Maria Kubitschek und Romy Schneider in Die Sendung der Lysistrata (NDR 1961). Romy Schneider bildet in dieser Reihe insofern eine Ausnahme, da sie zu diesem Zeitpunkt bereits über-

199 Walter Fehdmer war Kameramann in Monks Fernsehspielen >Ein Tag< (NDR 1965), >Preis der Freiheit< (NDR 1966) 200 Egon Monk in: Interview am 6.11.2001 mit S.B. 201 Alles drängt zum Fernsehen. Filmschauspieler steigen um – Fernsehen ermöglichte vielen die zweite Karriere. In: Funk-Uhr, 9.-15.10.1960, Nr. 41 65 wiegend in Frankreich lebte und arbeitete. Ähnlich den wiederholt eingesetzten Kameramännern tauchten in Egon Monks eigenen Fernsehspielen der 1960er Jahre bestimmte Schauspieler immer wieder in den Besetzungslisten auf, darunter Hartmut Reck, Ernst Jacobi, Kurt Otto Fritsch und Gert Haucke. In seinen Fernsehspielen entwickelte sich eine Basis der Arbeit zwischen Regisseur und Darstellern, die einer Ensemblearbeit im Theater recht nahe kam. „Ein richtiges Ensemble wurde es ja nie, weil wie alle wieder auseinander liefen, wenn der Film zu Ende war, aber viele konnten sich geradezu darauf ver- lassen, dass, wenn ich meinen nächsten Film machte und es annähernd möglich war, dass sie dabei sein würden. Das hat durchaus dieselben Gründe wie zu der Zeit, als ich versuchte zum Theater zurückzukehren, als kurzfristiger Intendant des Schau- spielhauses. Dort war auch eines der Probleme, dass ich wollte, dass ein Ensemble zurückkehrt an dieses Theater. Ich kannte nur Ensemblearbeit und konnte mir Arbeit mit ständig wechselnden Gästen überhaupt nicht vorstellen. Und ich konnte mir auch ohne ein festes Ensemble keine von mir gewünschten Ergebnisse vorstellen. Alles war gemischt – wie im wirklichen Leben. Wir, die Schauspieler und ich, waren befreundet, sind es zu einem erheblichen Teil, ja, in fast allen Fällen, auch immer noch – bis das der Tod uns scheidet. Hartmut Reck ist gestorben, aber mit Ernst Jacobi bin ich immer noch eng befreundet. Das war die eine Seite – mit Freunden ist man gern zusammen –, die andere Seite ist die professionelle. Und das war die wesentlichere. Man muss nicht immer bei Null anfangen in der Zusammen- arbeit. Ich musste mich niemandem mehr erklären, das hatten wir sozusagen schon hinter uns und konnten gleich auf einem wesentlich höheren Niveau der Arbeit beginnen. “202

5.5 Zusammenfassung Die Anfänge in der NDR-Fernsehspielabteilung gestalteten sich in der Hauptsache durch Organisation und Administration. Zunächst mussten geeignete Räumlichkeiten gefunden und ausgestattet werden. Die Hauptabteilung Fernsehspiel fand ihren Sitz nicht in den damaligen Verwaltungsräumen in der Rothenbaumchaussee oder den Fernsehstudios des NDR in Hamburg-Lokstedt, sondern auf dem Produktions- gelände des Studio Hamburg in Hamburg-Tonndorf, Bezirk Wandsbek. Der wichtigere Teil seiner Arbeit war für Monk jedoch nicht der administrative, sondern der Umgang mit den Mitarbeitern, die in die Abteilung kamen. Dies waren teilweise

202 Egon Monk in: Interview am 6.11.2001 mit S.B. 66

Angestellte des NDR, wie Kameramänner und Mitarbeiter der Hörfunkabteilung, aber auch Menschen aus seinem privaten Umfeld. Hinzu kamen Regisseure, die er für einzelne Fernsehspielproduktionen in die Abteilung holte und Schauspieler, mit denen Monk im Laufe der Jahre wiederholt arbeitete. Erkennbar ist die ensembleähn- liche Arbeitsweise, die Monk vom Brecht-Theater her kannte und schätzte.

6 Die Umsetzung der >Hamburger Dramaturgie<

Monks Abkehr von einem Fernsehspielprogramm der dramatischen und epischen Vorlagen zu einem Programm zeitgeschichtlicher genuiner Fernsehspiele war eine langsame Erneuerung, mit Zugeständnissen an Adaptionen. Der Mangel an deutsch- sprachigen, genuinen Drehbüchern für das Fernsehspiel bestimmte ein Programm zwischen Adaptionen und der Suche nach einer eigenen Handschrift. Pioniergeist, ein gewisses Maß an Unerfahrenheit gepaart mit bestimmten Vorstellungen kenn- zeichnen die Anfänge. „ Also, wenn ich nicht so jung gewesen wäre, mehr Ahnung gehabt hätte von der gesamten Problematik, wäre ich vermutlich zu Tode er- schrocken gewesen. Aber da ich eben keine Ahnung hatte, war ich nicht erschrocken, sondern fing einfach an. “203

6.1 Originalfernsehspiel und Adaption Egon Monks Vorstellungen von einem funktionierenden Fernsehspielkonzept be- inhalteten von Beginn an die Reduzierung der dramatischen Adaptionen, die in den 1950er Jahren vorherrschten. „Das deutsche Fernsehspiel bestand zur damaligen Zeit überwiegend aus schwach adaptierten Theaterstücken. Das lag auch an den technischen Schwierig- keiten, denn das Live-Spiel war einer Theateraufführung recht ähnlich. Ich wollte trotz begrenzter technischer Möglichkeiten Stücke entwickeln, die mit der Zeit zu tun hatten, in der wir lebten. Mit den Problemen und Sorgen, mit denen wir es zu tun hatten, aber auch mit der Art von Späßen, mit denen wir lebten. Also wollte ich das, was mit dem scheußlichen Namen >Originalfernsehstück< bedacht wird. Das heißt

203 Egon Monk in: Ebd. 67 also, für die Sache selbst geschriebene Stücke, für die man Autoren brauchte. Zahl- reiche – für zwanzig Produktionen jährlich war das natürlich nicht zu machen. “204 Monks Neuaufstellung im NDR-Fernsehspielprogramm beinhaltete entgegen eigener Vorstellungen, dass Konzessionen an Adaptionen im Programm gemacht werden mussten. Besonders Theateradaptionen waren durchgängig im Programm- angebot der 1960er Jahre des NDR zu finden. In der Entwicklung eines eigenen Konzepts für die neue Fernsehspielabteilung bot auch der zusätzliche Blick auf den europäischen TV-Nachbarn England und die USA, eine Orientierung. „Natürlich gab es auch in meinem ersten Jahresprogramm Theaterstücke, aber auch aus dem Englischen übersetzte Originalfernsehspiele. Kompromisse mussten gemacht werden. Wir hatten einen >Beobachter<, Tasiemka 205 , der in London scharf zuguckte, was bei der BBC lief und danach sofort Berichte schickte. Was ihm bemerkenswert bzw. gut und ordentlich erschien, wussten wir gleich einige Tage später in Hamburg und konnten uns darum bemühen, diese Stücke, die er empfohlen hatte, zu kriegen. Und wenn sie uns gefielen, tauchten sie eben im NDR- Programm auf. 206 Wie genau man Fernsehspiele machte, war uns noch nicht klar, formale Fragen wurden heftig erörtert, aber immer unter der Oberherrschaft der inhaltlichen Fragen. Das einzige was wir wussten, was ich wusste, war ziemlich genau, wohin ich wollte. Ich wollte nicht mehr diese ewigen Theaterstücke! “207 Der Blick auf erfahrenere TV-Nationen war deutschen ARD-Sendern, wie auch dem ZDF zu Beginn der 1960er Jahre zu eigen geworden, die viele Auslands- produktionen bald in übersetzter Fassung mit deutschen Darstellern übernahmen oder synchronisierte Fassungen sendeten. Sowohl Texte amerikanischer als auch englischer Fernsehspielautoren dienten als Vorbilder, da deren genuine Stoffe sich am Alltagsleben der Menschen orientierten. Mit dem zunehmenden Blickwinkel auf

204 Der von der Hamburger Fernsehspielabteilung zu leistende Beitrag am Gemeinschaftsprogramm der ARD-Sender betrug ca. 20 Prozent, d. h. etwa 20 Fernsehspiele pro Jahr. Prozentangabe u. ab- solute Zahl entnommen aus unterschiedlichen Quellen, u.a. in: Bleicher, Joan Kristin: Institutions- geschichte des bundesrepublikanischen Fernsehens. In: Hickethier, Knut (Hrsg.): Institution, Technik und Programm. Rahmenaspekte der Programmgeschichte des Fernsehens. (= Geschichte des Fern- sehens in der Bundesrepublik Deutschland hrsg. v. Kreuzer, Helmut und Thomsen, Christian W. Bd. 1) München 1993, S. 95. Dort wird der NDR-Programmanteil mit 23 Prozent beziffert. Karl Günter Simon erwähnt 20 Fernsehspiele, d. h. ca. 2 pro Monat. In: Simon, Karl Günter: Die Anfragen des Egon Monk. In: Film 1965, Nr. 10, S. 37. 205 Hans Tasiemka war u.a. Autor in der Funk-Korrespondenz. 206 Monks >Blick über den Kanal< war eine gängige Orientierung im deutschen Fernsehen. Beispiel einer Fernsehkritik zu einer Krimireihe britischen Ursprungs: „ Der Autor Francis Durbridge festigt den Ruf der englischen Kriminalschriftsteller wie den Ruf der englischen Fernsehpraxis. Jeder Blick über den Kanal kann für unser Fernsehen von Nutzen sein. Die hohe Schule des TV steht in London. “ Schumann, Karl: Ratespiele – die große Herbstmode. In: Süddeutsche Zeitung, 13.10.1959. 207 Egon Monk in: Interview am 6.11.2001 mit S.B. 68 die eigene, deutsche Alltagsproblematik verlor sich jedoch Mitte der 1960er Jahre die Orientierung an englischsprachigen Vorbildern. 208 Im ersten Programmheft der Fernsehspielabteilung, Winter 1960/61, sind Sendungen angekündigt, die von Egon Monk per >Schreibmaschinennotiz< nach dem Druck des Heftes auf der Innenseite des Titelblattes eingeordnet und kommentiert wurden. Dabei wird deutlich, wie sehr die Abteilung noch in den An- fängen der >Hamburger Dramaturgie< steckte, doch der Wille zur Umsetzung von Monks >Richtung< ist bereits erkennbar. „12 Neuinszenierungen, 2 Ohnsorg-Übertragungen, 2 Wiederholungen. Kein programmatischer Artikel. Warum nicht: Metier zu jung, noch keine Geschichte. Gesetzmäßigkeiten noch nicht abgeleitet aus praktischer Arbeit. Neuland. Weißer Fleck. Publikationen über Fernsehdramaturgie, hypothetisch. Steht fest, was es nicht ist, was es ist, noch nicht formuliert. Hantieren mit einer Sache, von der man nicht mehr weiß als Physiker von Elektrizität. Nicht gemeint Regelkram, sondern Drama- turgie als Ausdruck der Gesamtheit der bewegenden Kräfte eines Zeitalters in der darstellenden Kunst, im Fernsehen zum Beispiel. Zeitgeschichte spielt eine große Rolle im Winterprogramm: Fernsehzuschauer laut Infratest damit einverstanden. Die Hälfte der annoncierten Stücke spielt vor zeitgeschichtlichem Hintergrund. Einige andere haben indirekt mit Zeitgeschichte zu tun. Analyse des Programms: 5 Originalfernsehspiele, 3 Theaterstücke (davon eine Uraufführung), 2 Bearbeitungen nach erzählender Prosa, 1 Hörspiel, ein Stück, das sich überhaupt nicht einordnen lässt: Lysistrata. “209 Um die Entwicklung des Fernsehspiels im NDR unter Leitung Egon Monks nachzuzeichnen, wird das unter Punkt 2.2 beschriebene Recherche-Material zu 105 Fernsehspielen (siehe unter Punkt 2.4) ausgewertet, die zum Produktions- und Ver- antwortungsbereich der Fernsehspielabteilung zu zählen sind. Es handelt sich um Fernsehspiele, die auch im Verzeichnis des Deutschen Rundfunkarchivs (DRA) er- fasst sind, wie die Gegenkontrolle des Recherchematerials ergab. Fernsehspiele, die ebenfalls im DRA des Untersuchungszeitraums von 1960 bis 1968 erfasst wurden, zu denen sich jedoch keinerlei Unterlagen in den unter 2.2 genannten Quellen fanden, werden nicht in die Untersuchung mit einbezogen. Alle Angaben und Ergebnisse stützen sich auf das beim NDR archivierte Material.

208 Vgl. zur Adaption amerikanischer u. britischer Fernsehspiele: Hickethier, Knut: Das Fernsehspiel der Bundesrepublik . Stuttgart 1980, S. 241-253 209 Egon Monk in: NDR (Hrsg.): Fernsehspiele im Winter 1960/61 , >Randnotiz< 69

Obwohl die 105 Fernsehspiele nicht die gesamte Anzahl der gesendeten Fern- sehspiele unter Leitung Egon Monks darstellen, dienen sie hier als Ausgangsmaterial für die Untersuchung der Programmarbeit der Abteilung, da sie die wichtigsten Arbeiten umfassen. Unberücksichtigt bleiben in der Untersuchung Live-Übertragungen von Theateraufführungen, Opernaufführungen, Jugendfilme, musikalische Lustspiele sowie Fernsehspiele anderer Sender der ARD-Gemeinschaft und Kinofilme, nationaler oder internationaler Herkunft. Karl Günter Simon beziffert 1965 die Zahl der Fernsehspiele im NDR unter Leitung Egon Monks auf 107, gerechnet seit 1960 bis zum Stichtag seiner Zählung am 9. Mai 1965. 210 Allerdings bezieht er „ ein paar “ Synchronisationen ausländischer Produktionen mit ein. Da Fernsehspiele weitreichend geplant und produziert wurden, finden sich unter Leitung Monks in der neuen Fernsehspielabteilung des NDR auch Fernseh- spiele, die noch vor seiner Zeit als Leiter des NDR-Fernsehspiels auf den Weg ge- bracht und verantwortet wurden. Eine exakte Trennung der Zählung, ab Januar 1960 (offizieller Status Monks als Leiter der Hauptabteilung Fernsehspiel) gerechnet, kann so nicht erfolgen, deren Überschneidung (bis zum offiziellen Ende des NWRV zum 31.3.1961) wird jedoch bewusst in Kauf genommen. Nach Einbeziehung aller recherchierten Unterlagen wird die Anzahl der im NDR ausgestrahlten Fernsehspiele, unter Verantwortung Egon Monks, auf etwa 150 von Januar 1960 bis zum 1. August 1968 (dem offiziellen Ausscheidungsdatum Monks als Fernsehspielleiter im NDR und dem Antrittsdatum seines Nachfolgers Dieter Meichsner) festgelegt. Neun davon sind von Monk selbst inszeniert worden. 211 Zum Verantwortungs-, jedoch nicht zum Produktionsbereich der Fernseh- spielabteilung gehören auch Auslandsproduktionen verschiedener Länder. Darunter, aus Monks erstem Fernsehspielprogramm auch ein japanisches, genuines Fernseh- spiel: Ich möchte eine Muschel sein , das der NDR in synchronisierter Fassung am 23. März 1961 ausstrahlte. Dazu gehört auch die US-Reihe >The Play of the week<. Die Reihe >The Play of the week< war eine New Yorker Produktion, die 1959 im amerikanischen Fernsehen wöchentlich ein Fernsehspiel ausstrahlte – und zwar jeweils eine Woche lang jeden Abend dasselbe Stück. Betont literarischen Charakters wurden Stücke von Tennessee Williams I rise in flame, cried the Phoenix (Wie der

210 Simon, Karl Günter: Die Anfragen des Egon Monk . In: Film 1965, Nr. 10, S. 36 211 Siehe Anhang 70

Phönix aus der Asche ), The Iceman Cometh ( Der Eismann kommt ) von Eugene O’Neill oder Seven Times Monday (Alle Tage Montag ) von Ernest Pendrell gezeigt. Der NDR erwarb 1962 einige dieser Inszenierungen und zeigte sie in synchronisierter Fassung mit der Absicht „ im Rahmen des kommerziellen Fernsehens künstlerische Fernsehspiele zu zeigen und großes Broadway-Theater nicht nur wenigen Auserwählten, sondern allen zugänglich zu machen “. 212 Die Erfassung unterscheidet die Fernsehspiele von daher zunächst nach ihrem Entstehungsursprung, genuin oder Adaption. Die Produktionen werden einer Klassi- fizierung (= K) unterzogen und genuine Fernsehspiele nach deutsch- (K.01) und fremdsprachiger (K.02) Autorenherkunft unterschieden. Eine zusätzliche Differenzierung der >Deutschsprachigkeit< in nationaler Herkunft - Deutschland, Österreich, Schweiz – bleibt in der Tabellendarstellung unberücksichtigt. Adaptierte Fernsehspiele werden gemäß der vorhandenen Angaben in Theateradaptionen (K.03), Literaturadaptionen (K.04) und Hörspieladaptionen (K.05) klassifiziert. Auf Basis des vorhandenen Untersuchungsmaterials sind das erste gesendete Fernsehspiel Zur letzten Instanz (NDR 22.9.1960) und das letzte Die Verfolgung und Ermordung des Jean Paul Marats (NDR 23.11.1967). Nach Auszählung des codierten Materials zu den Fernsehspielen (FS) ergab sich folgendes Ergebnis, wobei Prozentangaben immer auf- bzw. abgerundet wurden:

Tab. 01: Anzahl klassifizierter Fernsehspiele von 105 Untersuchungseinheiten Jahr 1960 1961 1962 1963 1964 1965 1966 1967 abs. % K.01 1 4 2 5 6 8 5 3 34 32 K.02 1 5 2 1 3 3 2 1 18 17 K.03 2 8 9 4 2 0 5 3 33 31 K.04 1 2 4 3 1 5 0 2 18 17 K.05 1 0 1 0 0 0 0 0 2 2 Summe FS 6 19 18 13 12 16 12 9 105 100

Das Ergebnis der Klassifikation lässt (im Kontext der Entwicklungsgeschichte des Fernsehspiels) folgende signifikante Interpretation zu: Bis 1962 blieb das Fernseh- spiel wie schon im vorangegangenen Jahrzehnt dominiert vom Einfluss der Theater-

212 In: NDR (Hrsg.): Fernsehspiele Winter 62/63 , S. 36. Redaktion: Gerhard Lüdtke, Mitarbeit u.a. Egon Monk. Das Zitat aus einem Fernsehspielprogrammheft ist im Hinblick auf den öffentlich- rechtlichen Status des Fernsehens der damaligen Zeit in Deutschland zwar falsch, zielt jedoch inhalt- lich auf den Zugang eines breiten Fernsehpublikums, nicht nur Theatergängern, der Produktionen ab. 71 stücke. Aus einem Mangel an Fernsehspieldrehbuchautoren heraus war die Stoff- auswahl an dramatischen, epischen und Hörspielvorlagen orientiert. Dennoch kristallisierte sich schon 1961 in der Fernsehsehspielabteilung Egon Monks der Wille zum genuinen Fernsehspiel heraus. Deutsch- und fremdsprachige, eigens für das Fernsehen schreibende Autoren waren durch ihre Fernsehspiele im Programm- angebot vertreten. Bis Mitte der 1960er Jahre nahm der Anteil genuiner Fernseh- spiele (mit Ausnahme des Jahres 1962) zu, während der Anteil der dramatischen und epischen Adaptionen rückläufig war. Genuine Fernsehspiele deutschsprachigen Ur- sprungs waren im Untersuchungszeitraum doppelt so häufig vertreten wie Original- fernsehspiele fremdsprachiger Herkunft. In der zweiten Hälfte der 1960er Jahre setzte eine Umkehr ein. Dramatische und epische Vorlagen nahmen anteilsmäßig wieder zu. Über den gesamten Unter- suchungszeitraum gesehen halten sich deutschsprachige Originalfernsehspiele mit 32 Prozent und Fernsehspiele nach dramatischen Vorlagen mit 31 Prozent in der Fern- sehspielabteilung des NDR jedoch in etwa die Waage. Auf epische Vorlagen wurde nur halb so oft zugegriffen wie auf dramatische Vorlagen. Hörspieladaptionen waren durchgängig nur marginal zu verzeichnen (siehe Tab. 01). Diese Ergebnisse decken sich mit den Ausführungen Hickethiers, der den hohen Anteil der Adaptionen (gemessen am Gesamtangebot der Fernsehspiele im westdeutschen Fernsehen) im Jahr 1962 mit der Programmausweitung eines zweiten ARD-Programms als Übergang bis zur Sendeaufnahme des ZDF am 1. April 1963 und der bis dato nicht ausreichenden Fernsehspielautoren und Produzenten be- gründete. Von 1963 bis 1966/67 stieg der Anteil genuiner Fernsehspiele. Danach sank der Anteil kostenintensiver Neuproduktionen bis in die 1970er Jahre hinein ab. Eine Verlangsamung neu hinzukommender Fernsehgebühreneinzahler durch die Etablierung des Fernsehens in einer Zeit allgemeiner Rezession Ende der 1960er Jahre führte zu Sparmaßnahmen der Sender, die den Rückgriff auf vorhandene Vor- lagen und vermehrte Wiederholungen zur Folge hatte.213 Der Anteil genuiner Fernsehspiele in der Fernsehspielabteilung des NDR unter Leitung Egon Monks war gemessen an der Gesamtzahl aller Fernsehspiele so hoch, dass er sich auch am Ende der Ära Monk immer noch behaupten konnte. 1964 erreichte das genuine Fernsehspiel seinen Höchststand mit 75 Prozent. Sowohl

213 Vgl. Hicketier, Knut: Quantitative Daten zur Entwicklung des Originalfernsehspiels . In: Das Fern- sehspiel der Bundesrepublik . Stuttgart 1980, S. 233 ff.; vgl. a. S. 92-96, a.a.O. 72 deutsch- als auch fremdsprachige Originalspiele waren im Fernsehspielprogramm des NDR stärker vertreten als alle Adaptionen (siehe Tab.02)

Tab. 02: Anteile genuiner Fernsehspiele (deutsch- u. fremdsprachig) zu Theateradaptionen, epischen und Hörspieladaptionen (gesamt) Jahr 1960 1961 1962 1963 1964 1965 1966 1967 Gen. FS 2 9 4 6 9 11 7 4 Adaptionen 4 10 14 7 3 5 5 5 Summe 6 19 18 13 12 16 12 9 Verhältnis 2 : 4 9 : 10 4 : 14 6 : 7 9 : 3 11 : 5 7 : 5 4 : 5 Gen. FS in % 33 47 22 46 75 69 58 44

Nachfolgend wird in einer grafischen Darstellung besonders die Entwicklung genuiner Fernsehspiele zu Theateradaptionen deutlich, die den genannten Anstieg kostengünstigerer Adaptionen und die Reduktion kostenintensiverer Originalfernseh- spiele im Jahr 1966 aufgrund der Untersuchungsbasis anschaulich zeigt.

Grafik 01: Entwicklung genuiner und adaptierter Fernsehspiele 1960-67

10 9 9 8 8 8 7 6 6 5 5 5 5 5 4 4 4 4 3 3 3 3 3 2 2 2 2 2 2 2 1 1 1 1 1 1

Einzelwerte der Klassifizierung der Einzelwerte 0 0 0 00 0 0 1960 1961 1962 1963 1964 1965 1966 1967

K.01 K.02 K.03 K.04 K.05

Der Anteil synchronisierter Fernsehspiele deckt sich mit den im Programmangebot vertretenen Auslandsproduktionen und bezog sich überwiegend auf amerikanische Herstellungen. Die Mehrheit der 105 Ausstrahlungen war jedoch deutschsprachig und wurde vom NDR produziert (siehe Tab. 03). 73

Tab. 03: Anzahl NDR- u. Auslandsproduktionen sowie Synchronisationen Jahr 1960 1961 1962 1963 1964 1965 1966 1967 abs. % NDR 6 18 16 12 11 16 11 8 98 93 Ausland 0 1 2 1 1 0 1 1 7 7 Summe FS 6 19 18 13 12 16 12 9 105 100 Synchron. 0 1 2 1 1 0 1 1 7 7

Bei der Erfassung dramatischer Adaptionen im Fernsehspielprogramm wurde deut- lich, dass Komödien und Schauspiele einen stärkeren Anteil im Programm bildeten als Tragödien. Komödien waren dabei in den >theaterstarken< Jahren 1960 bis 1963 zahlenmäßig häufiger vertreten als Schauspiele, die erst in der Gesamtauszählung von 1960 bis 1967 den geringen Vorsprung einer Erfassung aufzeigten und ein Ver- hältnis von 11:10 bildeten. Zwischen 1963 und 1965 ging das Gesamtangebot an Theateradaptionen zugunsten anderer Programmangebote jedoch so stark zurück, das in den beiden Jahren 1964/65 auf Grundlage der 105 Untersuchungseinheiten keiner- lei Theateradaptionen (nicht zu verwechseln mit Theaterübertragungen, z. B. aus dem Hamburger Ohnsorg-Theater) im Programm zu verzeichnen waren (siehe Tab. 04). Als fester Bestandteil anderer Programmangebote war ab 1963 ein vermehrtes Angebot von Kriminalstücken im NDR-Programm festzustellen. Darunter auch die bereits seit 1958 (bis 1969) bestehende serielle Form Stahlnetz , einer deutschen Produktion des Fernsehspielautors Wolfgang Menge nach Ideen von Jürgen Roland.214 Fernsehspiele, die mit Satire oder Marionettenspiel vom Sender bezeichnet wurden, waren verschwindend gering, so dass deren Anteil nicht extra ausgezählt wurde. Als Beispiel sei an dieser Stelle genannt: Das vom NDR als Marionettenspiel bezeichnete Fernsehspiel Böhmische Schneider (NDR 9.12.1962), war tatsächlich eine Darstellung mit Hilfe von Marionetten, in dem Menschen in Puppengestalt, auf das wesentlichst Menschliche reduziert oder verfremdet (Flügel, sechs Arme, Dromedarhöcker usw.), dargestellt wurden. Der Autor Günter Eich schuf in seinem

214 Vgl. u.a. Hickethier, Knut (Hrsg.): Institution, Technik und Programm. Rahmenaspekte der Programmgeschichte des Fernsehens. (= Geschichte des Fernsehens in der Bundesrepublik Deutsch- land hrsg. v. Kreuzer, Helmut; Thomsen, Christian W.) Bd. 1, München 1993, S. 209 74 ersten für das Fernsehen geschriebenen Stück 215 eine groteske Welt, in der das Normale als anormal galt. Als Beispiele für Krimis sei das dreiteilige Fernsehspiel Die Gentlemen bitten zur Kasse (NDR 8., 10. u. 13.2.1966) genannt sowie Der eiserne Henry (NDR 20.10.1965) für Satire. Während an dieser Stelle vorausgesetzt wird, dass die >Gentlemen< den Lesern dieser Arbeit bekannt sind, soll angemerkt werden, dass der >eiserne Henry< eine deutsche Bearbeitung des englischsprachigen Fernsehspiels des Autors Clive Exton von Rolf Busch war, in dem ein Mann (Horst Bollmann) während einer Fernseh-Live-Sendung erzählt, dass er langsam zu Stahl wird. Die persiflierte Fernsehshow galt als eines aus einer ganzen Reihe satirischer Fernseh- spiele von Exton. 216 Krimis waren, entgegen einiger Randerscheinungen wie das erwähnte Marionettenspiel, keine Ausnahme, sondern erwiesen sich bald als fester Bestandteil im Programm (wie auch in allen anderen ARD-Anstalten und dem ZDF). Sie waren nicht nur als >Straßenfeger< wie die Durbridge-Krimis und Die Gentlemen bitten zur Kasse , sondern bald auch als in- und ausländische Serien ständig vertreten. 217

Tab. 04: Anzahl Tragödien, Komödien, Schauspiele, Sonstiges (Krimis usw.) Jahr 1960 1961 1962 1963 1964 1965 1966 1967 abs. % Trag. 0 0 1 1 0 0 0 1 3 9 Kom. 2 3 3 0 0 0 1 1 10 29 Schsp. 1 4 2 1 0 0 2 1 11 31 Sonst. 0 2 0 2 3 3 1 0 11 31 Summe 3 9 6 4 3 3 4 3 35 100

Auf der Suche nach Gegenwartsthemen interessierte sich Monk durchaus für Theaterstücke zeitgenössischer Dramatiker, die in sein redaktionelles Konzept passten. Doch sie für das Fernsehen zu adaptieren, scheiterte oft an den fehlenden Verlagsrechten.

215 Es entzieht sich meiner Kenntnis, ob weitere folgten. In: NDR (Hrsg.): Fernsehspiele im Winter , S. 69. 216 In: NDR (Hrsg.): Fernsehspiele 1965 , S. 28. Extons (satirische) Fernsehspiele wurden auch in anderen ARD-Sendern und im ZDF gesendet, z.B. Ohne festen Wohnsitz (SWF, 1966), Ein unruhiger Tag (ZDF, 1966), Friss, Papi, friss ( ZDF1972) 217 Vgl. zum Forschungsstand über den Fernsehkrimi u.a. Brück, Ingrid: Alles klar, Herr Kommissar?. Die Entwicklungsgeschichte des Krimis unter den Bedingungen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens in den 50er und 60er Jahren. Halle, 1999. Vgl. a. Brück, Ingrid; Guder, Andrea: Viehoff, Reinhold; Wehn, Karin (Hrsg.): Der deutsche Fernsehkrimi. Eine Programm- und Produktionsgeschichte von den Anfängen bis heute. Stuttgart 2003 75

„Neue Theaterstücke sind meistens nicht zu haben, da die Verlage die Auf- führungsrechte solange zurückhalten, bis das Stück von den großen und mittleren Bühnen aufgeführt ist. Deshalb ist auch die Frage nach Hochhuths >Stellver- treter< 218 müßig. Es wird aus gleichem Grunde für lange Zeit für das Fernsehen unerreichbar sein. “219 Monks Anforderungen an die verfügbaren Dramen waren die gleichen, die er für genuine Fernsehspiele konzipierte: „ Die Stücke mussten mit dem Leben zu tun haben, mit unserer Zeit, aber da sich auf dem Theatergebiet nicht viel Brauchbares fand, erwies es sich später als wesentliche Weichenstellung für mich, dass ich ein >Extra-Lektorat für erzählende Prosa der Gegenwart< einrichtete. Das Lektorat „war ständig überschwemmt von Drehbüchern oder Vorschlägen von Leuten, die keine Bücher schrieben bzw. sich in anderer Weise auszudrücken verstanden. Die ihre Arbeiten trotzdem dem Fernsehen schickten, aber da langte die Qualität nicht. Das wurde dann zurückgeschickt. Nun muss ich sagen, dass möglicherweise, in ge- wissem Sinne mein Lektorat vielleicht fixiert auf mich und meine engeren Mitarbeiter war. Das ergibt sich so aus der Zusammenarbeit. Und wir wollten eben etwas Be- stimmtes. Es gab keine Vorschriften, wohin gedacht oder gearbeitet werden sollte, aber – und es ergab sich mehr oder weniger von selber – , dass wir an dem, was man so die Zeitgeschichte nennt, wenn sie im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Fragen stand, mehr interessiert waren als an privaten Geschichten. Was man heute so sieht am Abend, sind fast nur noch Privatgeschichten, die hätte ich damals gar nicht erst zu sehen gekriegt. Die hätte mein Lektorat gleich zurückgeschickt. Weil sie sich gesagt hätten – vielleicht nicht immer zutreffend - das interessiert den Monk und seine Leute überhaupt nicht. “220

6.2 Schwerpunkte im Programm Was >Monk und seine Leute< interessierte wird anhand eines thematischen Ver- gleichs seines Fernsehspielprogramms von 1960 bis zu seinem Ausscheiden als Leiter der Fernsehspielabteilung im Jahr 1968 deutlich. Gegenwartsereignisse, Ver- gangenheitsbewältigung und gesellschaftliche Strömungen bestimmten die Inhalte des Programms. Monks Anliegen, gesellschaftliche Zusammenhänge zu verdeut- lichen und Kritikfähigkeit zu fördern, stand im Vordergrund seines Interesses. Auf

218 Der >Stellvertreter< von Rolf Hochhuth befasst sich mit der Frage der Mitverantwortung von Papst Pius XII. (Papst v. 1939-58) und der kath. Kirche an der Judenverfolgung im Nationalsozialis- mus. Uraufführung 20.2.1963 in Berlin. Der >Stellvertreter< wurde 2002 von Costa Gavras verfilmt. 219 Claas, Reinhold: Egon Monk: „Wir werden weiter arbeiten. “ In: Deutsche Volkszeitung, 10.5.1963 220 Egon Monk in: Interview am 6.11.2001 mit S.B. 76

Basis des zur Verfügung stehenden Materials zu 105 Fernsehspielen aus diesem Zeit- raum sind folgende, immer wiederkehrende Themenbereiche der zum Produktions- und Verantwortungsbereich der NDR-Fernsehspielabteilung zu zählenden Fernseh- spiele festzustellen:

• Die politische Aufarbeitung aus den zwölf Jahren des Nationalsozialismus • Die Teilung Deutschlands durch den Bau der Mauer und der dadurch ent- stehende >Ost-West-Konflikt< am Schicksal einzelner Menschen dargestellt: Das Fluchtmotiv in seinen Varianten geglückte und gescheiterte Republik- flucht, Verarbeitung des Schießbefehls an der innerdeutschen Grenze, systemimmanente Unterschiede usw. • Die Auseinandersetzung mit gegenwartsbezogenen Ereignissen, politischen Verhältnissen und Lebensumständen im bundesrepublikanischen Alltag und derer anderer Nationen.

Der Anteil derjenigen Fernsehspiele, die Bezug zu aktuellen Ereignissen und Ge- gebenheiten der 1960er Jahre aufwiesen, historische Ereignisse und deren Aus- wirkungen thematisierten, ließ sich in 50 von 105 Fernsehspielen nachweisen. Dies entspricht einem Anteil von rund 48 Prozent der Fernsehspiele über den gesamten Untersuchungszeitraum. Das bedeutet im Ergebnis, dass fast die Hälfte der Fernseh- spiele des NDR unter Leitung Egon Monks gesellschaftskritische Bezüge hatten. Während jedoch in den Jahren 1960 bis 1963 anteilsmäßig ein Miteinanderhergehen von Aktualität, historischem Hintergrund und dessen Auswirkungen zu erkennen ist, wird ab 1964 die Dominanz aktueller Thematik im Fernsehspiel deutlich. Im Einzel- nen ließen sich Aktualität, historische Hintergründe, Entwicklungen und Aus- wirkungen wie folgt nachweisen (siehe Tab. 05):

Tab. 05: Häufigkeitsfeststellung: Aktualität, historischer Hintergrund, Entwicklung/Auswirkung in der Fernsehspielthematik Jahr 1960 1961 1962 1963 1964 1965 1966 1967 abs. % Aktual. 2 6 5 5 7 10 6 6 47 47 Hist.H. 2 4 6 4 3 5 3 3 30 30 Entw. 1 2 6 4 3 2 2 2 22 22 Summe 5 12 17 13 13 17 11 11 99 100

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Das generalisierte Ergebnis wird im Anschluss durch Zuordnung in Themen- bereiche weiter eingeengt. Dazu wird überprüft, inwieweit alle drei gesellschafts- kritischen Indikatoren ineinander greifen, ob sie direkten Bezug zueinander nehmen oder völlig separat erscheinen. Aufschluss geben thematische Veränderungen im Verlauf des Untersuchungszeitraums und deren Umsetzung. Die Fernsehinszenierungen der beiden Gerhart-Hauptmann-Stücke Der rote Hahn und Der Biberpelz sowie Wolfgang Staudtes Fernsehspiel Die Rebellion nach einer Erzählung von Joseph Roth (alle 1962 gesendet) werden in den folgenden Tabellen nicht mehr mit erfasst, da sie zwar im weitesten Sinne >sozialkritische Studien< sind, aber deren jeweilige Thematik nur bedingt in die gesellschafts- kritischen Kriterien von Aktualität, historischem Hintergrund und dessen Aus- wirkungen im Spiegel der 1960er Jahre passt. Ein in den 1960er Jahren immer wieder aufgegriffenes Thema war die unbewältigte, nationalsozialistische Ver- gangenheit Deutschlands. Innerhalb der verbleibenden 47 relevanten Produktionen beschäftigten sich 19 von ihnen (rund 40 Prozent) mit ganz unterschiedlicher Einzel- thematik aus diesem Bereich, wobei auch Auslandsproduktionen zur NS-Thematik mit einbezogen wurden. Die Aktualität der Thematik ist allen Produktionen gleichermaßen gegeben, der Ansatz der Verarbeitung jedoch unterschiedlich. Einige von ihnen sind rein fiktive Begebenheiten, andere authentisch bzw. beruhen auf authentischen Ereignissen, wobei Handlungen und Personen hingegen frei erfunden wurden. Wieder andere beziehen dokumentarisches Material mit ein, wie der japanische Fernsehfilm Ich möchte eine Muschel sein (NDR 1961), in dem zu Beginn Originalaufnahmen japanischer Kriegsverbrecherprozesse gezeigt werden. Weitere Fernsehspiele stützen sich auf Prozessbeobachtungen und -akten wie Stand- gericht (NDR 1966) und die Aufzeichnung des Dramas Die Ermittlung (NDR 1966). Grundlage und Anlass zu Brechts 24 Szenen Furcht und Elend des Dritten Reiches waren u. a. Zeitungsartikel zu tatsächlichen Begebenheiten aus dem Alltag des Nationalsozialismus. Vier von ihnen zeigte der NDR am 1. Oktober 1964 als Episodenfilm: Der Verrat (Schauplatz: Breslau 1935), Rechtsfindung (Schauplatz: Augsburg 1934), Die jüdische Frau (Schauplatz: Frankfurt 1935) und Der Spitzel (Schauplatz: Köln/1935). Der dreiteilige Fernsehfilm Adieu Prinzessin (NDR 1961) bildet insofern eine Ausnahme, als dass hier die Arbeit eines rein fiktiven britischen Spionagerings in Berlin im Stil eines Thrillers gezeigt wurde. Er wird dennoch tabellarisch mit erfasst, da er in die Reihe der Filme um Geschichten im Nationalsozialismus gehört. 78

Nachfolgend ist tabellarisch festgehalten, welche der Fernsehfilme auf einem authentischen Vorkommnis beruhend fiktional verarbeitet wurden oder reine Fiktionen sind. Die Abgrenzung wird auf Grundlage der Inhaltsangaben des NDR vorgenommen und unterscheidet zwischen tatsächlichen vorgekommenen Ereig- nissen (auth.) und solchen, die so hätten vorkommen können bzw. stellvertretend für Gegebenheiten im Nationalsozialismus und dessen Auswirkungen auf Einzelne oder Gruppen stehen (fiktiv). Die in der vorangestellten Klassifikation gemachte Unter- teilung in genuine Fernsehspiele, dramatische und epische Adaptionen (siehe Tab.01) wird in der tabellarischen Ansicht mit berücksichtigt. Einige der Fernsehspiele sind Darstellungen vergangener Ereignisse aus der Zeit des Nationalsozialismus (siehe Tab.06), während andere aus einer aktuellen Nachkriegssituation heraus Bezug zur Vergangenheit nehmen und die Folgen derer anhand von Einzelschicksalen oder Gruppierungen aufzeigen (siehe Tab. 07).

Tab. 06: Der Nationalsozialismus thematisiert im Fernsehspiel Fernsehspieltitel Jahr auth. fiktiv Gen.FS Adap. Waldhausstraße 20 1960 X X Adieu Prinzessin 1961 X X (K.04) Korczak u. die Kinder 1961 X X (K.03) Stalingrad 1963 X X (K.04) Furcht u. Elend des 3. Reiches 1964 X X (K.03) An der schönen blauen Donau 1965 X X Ende der Saison 1965 X X (K.04) Ein Tag 1965 X X Berlin N 65 (Augenbl. des F.) 1965 X X Summe (9) 6 3 4 5

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Tab. 07: Der Nationalsozialismus, historischer Hintergrund und dessen Auswirkungen Fernsehspieltitel Jahr auth. fiktiv Gen.FS Adap. Nach all der Zeit 1960 X X Ich möchte eine Muschel sein 1961 X X Anfrage 1962 X X (K.04) Zeit der Schuldlosen 1962 X X (K.03) Der 50. Geburtstag 1962 X X Mauern 1963 X X Der Prozess Carl von O. 1964 X X Die Ermittlung 1966 X X (K.03) Standgericht 1966 X X Zwischen Samstag u. Montag 1967 X X Summe (10) 5 5 7 3

Im Gegensatz zur Thematik des Nationalsozialismus, die überwiegend auf authentischen Vorkommnissen beruhend, fiktional verarbeitet wurde (siehe Tab.06 u. Tab.07), findet sich die seit 1964 einsetzende Dominanz aktueller Thematik im Fern- sehspiel des NDR in überwiegend rein fiktionalen Gestaltungen. Doch sowohl die Thematik der Vergangenheit und ihrer Auswirkungen als auch die Verarbeitung der aktuellen Thematik der 1960er Jahre wurden im NDR in der Mehrheit in Originalfernsehspielen gezeigt (vgl. Tab. 06 u. Tab.07 mit Tab. 08).

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Tab. 08: Aktuelle Problematik der 60er Jahre (BRD u. Ausland) Fernsehspieltitel Jahr auth. fiktiv Gen.FS Adap. Die Sendung der Lysistrata 1961 X X (K.03) Alle meine Söhne 1961 X X (K.03) Ein Außenseiter 1961 X X Golden Boy 1962 X (K.03) Die Revolution entlässt ihre Kinder 1962 X X (K.04) Schönes Wochenende 1962 X X Schlachtvieh 1963 X X Die erste Lehre 1963 X X Das Glück läuft hinterher 1963 X X Wilhelmsburger Freitag 1964 X X Beob. eines alten Mannes 1964 X X In einem Garten v. Aviamo 1964 X X Ich fahre Patschold 1964 X X Die Kette an deinem Hals 1965 X X (K.04) Die Unverbesserlichen (1) 1965 X X Das Traumhaus 1965 X X Die eigenen vier Wände 1965 X X Das Fahrrad 1965 X X Mach’s Beste draus 1965 X X Preis der Freiheit 1966 X X Die Unverbesserlichen (2) 1966 X X Geibelstraße 27 1966 X X Höhe 902 1966 X X Selbstbedienung 1967 X X Die Unverbesserlichen (3) 1967 X X Zug der Zeit 1967 X X Zuchthaus 1967 X X X (K.04) G. Langhammer u. d. Freiheit 1967 X X (K.04) Summe (28) 4 23 22 7

Da zu Beginn der Darstellung die Feststellung gemacht wurde, dass etwa die Hälfte der 105 Fernsehspiele gesellschaftskritisch war, wird an dieser Stelle auf die andere Hälfte eingegangen. Als nicht gesellschaftskritisch wurden diejenigen Fernsehspiele eingestuft, deren Thematik keinen der drei Indikatoren von Aktualität, historischem Hintergrund und/oder Entwicklung/Auswirkung aufwies. Da die Indikatorenbildung dem >Monkschen<, politisch geprägten Anliegen der sozialen Kausalität von Ereig- nissen unterlag, fielen etliche Fernsehspiele in der Übertragung dieser auf deren 81

Thematik durch das Raster. Ihre Thematik war im Bereich privater, emotionaler Konfliktaustragung und spannender Geschichten angesiedelt. Sie hatten keinen ge- sellschaftskritischen Anspruch. Beispiele: Der Walzer der Toreros (NDR 1962), eine Komödie von Jean Anouilh, Regie Peter Beauvais, die die Liebeserinnerungen eines alternden Generals und seiner Frau beim Walzertanz zum Thema machte. Dazu gehörte auch das Kriminalstück Haben (NDR 1964) von Julius Hays, Regie Rolf Hädrich, dessen Thema die Tötung reicher Männer durch ihre Ehefrauen war. Aber auch der Krimi-Drei-Teiler Die Gentlemen bitten zur Kasse (NDR 1966) des Autors Henry Kolarz´s, Regie John Olden/Claus Peter Witt, der sich zwar eines noch in Erinnerung der Zuschauer befindlichen authentischen Ereignisses von 1963 annahm, jedoch keineswegs eine Aktualität im Sinne gesellschaftskritischer Durchdringung sozialstrukturierter Schichtungsgefüge aufwies. Diese und andere im Fernsehen ausgestrahlte Fernsehspiele waren Beiträge zur Unterhaltung des Fernsehzuschauers, die auch im NDR einen durchaus be- rechtigten Stellenwert hatten.

6.3 Beschreibung einzelner Fernsehspiele Einige Fernsehspiele der Jahre 1960 bis 1968 werden anhand der genannten Unter- lagen und unter Einbeziehung von Infratest-Angaben und Pressekritiken exemplarisch für die genannten hundert Eigenproduktionen vorgestellt. Soweit ver- fügbar, wurden Videoaufzeichnungen, Bühnenfassungen, Drehbücher, Romane, Produktionsangaben des NDR u. a. zu einzelnen Fernsehspielen ergänzend hinzu- gezogen. Zuschauerresonanzen und Pressekritiken sind vordringlich als Zeitspiegel der 1960er Jahre zu sehen, deren Inhalt Intention und Wirkung der Fernsehspiele im Kontext der Zeit widerspiegelt. Die Unterschiedlichkeit der Informationsquellen und Materialien zu den jeweiligen Fernsehspielen verhindert eine stringente Linie der Beschreibungsart von Thematik, Produktion usw., was jedoch bewusst in Kauf genommen wurde, da sonst manch interessanter Fernsehfilm nicht erwähnt werden könnte. Der Schwerpunkt der jeweiligen Beschreibung liegt daher in der Thematik. Die Auswahl der wenigen Fernsehspiele als >Repräsentanten< unter etwa hundert Fernsehspielproduktionen der Jahre 1960 bis 1968 unterlag den Kriterien der Intention Egon Monks: Eine zeitbezogene Kritik an der Gesellschaft zu liefern, die ihre Ursachen in der Geschichte findet und/oder aktuelle Tendenzen aufgreift. 82

Durch die Menge der Filme können es nur Einblicke sein, die den Eindruck entstehen lassen könnten, es handelte sich um eine rein >politisch motivierte< Fern- sehspielabteilung, was nicht der Fall war. Auch Komödien und Kriminalfilme trugen u. a. zur Arbeit der NDR-Fernsehspielabteilung bei, doch traf die Auswahl In- szenierungen, die, von Ausnahmen abgesehen, weniger zum Unterhaltungswert als vielmehr zum kritischen Bewusstsein der Zuschauer beitragen sollten. Dabei folgt die Auswahl chronologisch aneinandergereiht den Jahren Egon Monks als verantwortlicher Fernsehspielleiter. In die Auswahl fallen Fernsehspiele, die auf historischen Ereignissen beruhend verarbeitet wurden ebenso wie rein fiktionale Szenarien. Angegeben wird jeweils nur das Datum der Erstausstrahlung, eventuelle Wiederholungstermine werden nicht angeführt.

6.3.1 Waldhausstraße 20 (NDR, 23. Oktober 1960) Das erste Fernsehspiel aus dem Jahr 1960, das hier beschrieben sein soll, ist Wald- hausstraße 20 , Regie führte John Olden. Das Buch schrieben Maria Matray und Answald Krüger, eine Autorengemeinschaft, die sich „ mit intensivem Interesse an der Aufklärung der Vergangenheit “ beteiligte. 221 Die Fernsehspiele von Matray/Krüger sind Beispiele des sich entwickelnden semidokumentarischen Stils im Fernsehspiel, die auch der >Hamburger Drama- turgie< der Erneuerung Egon Monks in jeder Hinsicht entsprachen: Genuine Fern- sehspiele als zeitgenössische Auseinandersetzungen mit der Gesellschaft vor dem Hintergrund der Geschichte Deutschlands. 222 Der Einsatz von authentischem Material in Form von Ausschnitten alter Kino-Wochenschauberichte, Einblendungen von Zeitungsschlagzeilen oder Original- redetexten in Verquickung mit Spielszenen wurde bald vielfach in den Fernseh- spielen zur Aufarbeitung der jüngsten deutschen Geschichte eingesetzt. Die Thematik der filmischen Darstellung von Waldhausstraße 20 im NDR beruht auf tatsächlichen Geschehnissen, Personen und Handlung wurden hingegen frei er- funden. Dokumentarisches Wochenschaumaterial mit Bildern zerstörter Häuser und Bombenangriffen führte in die Thematik ein, vor deren Szenerie sich die Geschichte entspann.

221 Maria Matray in: Netenjakob, Egon: TV-Filmlexikon, Regisseure, Autoren, Dramaturgen 1952 – 1992. Frankfurt a. M. 1994, S. 254 ff. 222 Vgl. über sechs Jahrzehnte deutscher (Fernseh-) Geschichte: Hißnauer, Christian; Schmidt, Bernd: Wegmarken des Fernsehdokumentarismus. Die Hamburger Schulen. Konstanz 2013 83

Während der letzten Kriegstage des Zweiten Weltkrieges suchten viele Ver- folgte Zuflucht im Haus der schwedischen Gemeinde in Berlin. In der Hoffnung auf eine Ausreise nach Schweden versteckten sie sich dort bis zum Erhalt des not- wendigen Reisepasses. Der Pastor der Gemeinde (Friedrich Domin) handelte in doppelter Hinsicht >illegal<, d.h. zum einen gegenüber dem deutschen Staat, vor dem er die Flüchtlinge verbarg, und zum anderen gegenüber seiner eigenen, der neutralen schwedischen Regierung, deren Neutralitätsstatus er durch sein Verhalten gefährdete. Nachdem er von einem bestechlichen SS-Offizier (Richard Münch), der zuvor gegen Geld die Pässe besorgt hatte, ermordet wurde, trat sein junger Nach- folger im Amt (Helmut Lange), auch dessen Nachfolge als Retter der Versteckten an. Es gelang ihm, die Flüchtlinge außer Landes zu bringen, er selbst hingegen wurde von der Gestapo gestellt. Infratest-Messungen zu diesem Fernsehsehspiel waren nicht zu finden, jedoch Pressekritiken, die als >negativ< nur die Spannung anführten, die Regisseur John Olden aufbaute, die zwar „ manchem Reißer zu wünschen wäre “, aber gerade deshalb „die Erschütterung zu kurz kommen “ ließ. 223 In ähnlicher Weise äußerte sich der Kritiker der Zeit: „ Die Kunst immer neuer Regieeinfälle, die bei Olden nicht als An- hängsel, sondern straffend wirken, wurde gelegentlich zur Gefahr. Vor lauter Spannung vergaß man nachzudenken, worum es eigentlich ging, nämlich um das Werk einer Handvoll freier Menschen zwischen den tödlichen Fallen eines Polizei- staates. “224 Monks Konzeption der Erneuerung im Fernsehspiel wurde jedoch gerade anhand dieses frühen Beispiels deutlich: „Der Bildschirm als Spiegel der Zeit: ohne Zweifel ein besonders erstrebenswerter Zustand, doch bisher nicht so häufig, wie man es annehmen sollte. Doch beginnt geduldige Arbeit offenbar nun Früchte zu tragen. Der Fernsehfilm „Waldhausstraße 20“ kann als ausgezeichnete Visitenkarte des wohlüberlegten Fernsehspielplans gewertet werden, den das neue Hamburger Fernsehspielteam unter der Leitung von Egon Monk vorgelegt hat. “225

223 „Waldhausstraße 20“ – Braune Vergangenheit im Fernsehen. In: Nürnberger Nachrichten, 24.10.1960 224 J.Z.: Vom Elend der Verfolgten. In: Die Zeit, 28.10.1960 225 Ferber, Christian: Nun trägt geduldige Arbeit Früchte. In: Die Welt, 31.10.1960 84

6.3.2 Nach all der Zeit (NDR, 16. November 1960) Jack Pulman, britischer Fernsehspielautor, schrieb ein genuines Fernsehspiel, das in der deutschen Bearbeitung des Regisseurs Hans Lietzau 226 mit dem Titel Nach all der Zeit auf die Bildschirme kam. Pulman konfrontiert einen ehemaligen KZ-Arzt, in Gestalt des „Dr. Harrer“ (Wolfgang Lukschy) fünfzehn Jahre nach Kriegsende in Amerika mit seiner NS-Arzt-Tätigkeit durch einen Überlebenden. Der NDR kündigte sein Fernsehspiel mit den Worten an: „ Das Fernsehspiel ‚Nach all der Zeit´ schrieb der junge Engländer Jack Pulman. Es wird den Zu- schauer an ähnliche Fälle der jüngsten deutschen Vergangenheit erinnern. Der Autor verzichtet auf jedes Ressentiment und gewinnt dadurch eine Distanz, die deutschen Autoren vorläufig noch verstellt sein mag. Er überlässt dem Zuschauer das Urteil. “227 Das Thema der untergetauchten NS-Täter beschäftigt(e) das Nachkriegs- deutschland und das Ausland über die Aktualität der 1960er Jahre weit hinaus. Beispielhaft genannt sei an dieser Stelle der Lagerarzt des KZ Auschwitz, Josef Mengele. Für seine Forschungen in >Erbbiologie und Rassenhygiene< insbesondere an Zwillingen und Häftlingen mit besonderen Merkmalen wie >Zwergwuchs< starben mehrere tausend Menschen. Insgesamt 400.000 Selektierte schickte er zudem ins Gas. Er entzog sich seiner Bestrafung durch Flucht. Zweimal wurde er während der Flucht durch die britische Besatzungsmacht unter seinem richtigen Namen kurz- zeitig interniert, der 1945 jedoch noch nicht mit seinen Taten verbunden wurde. Bis 1949 lebte er unter verschiedenen Identitäten in Deutschland, das ihm aufgrund der einsetzenden Suche nach ihm zu gefährlich wurde. Ein internationales Netzwerk für NS-Täter und das Geld seiner wohlhabenden Familie ermöglichte ihm die Flucht nach Südamerika. Untergetaucht in Argentinien, Paraguay und Brasilien wurde er nie ausgeliefert und starb vermutlich 1979 bei einem Badeunfall in Brasilien. Die tat- sächliche Identität des Toten wurde lange, insbesondere von überlebenden Zwillingen, angezweifelt. Dass es sich mit größtmöglicher Wahrscheinlichkeit um Mengele handelte, bewies erst die fortgeschrittene Medizintechnik, die durch ein DNA-Gutachten im Jahr 1992 Gewissheit brachte. Eine absolute Sicherheit gab es allerdings auch danach nie. 228

226 Hans Lietzau, geb. 2.9.1913 in Berlin, gest. 30.11.1991 ebd. 227 In: NDR (Hrsg.): Fernsehspiele 1960/61, S. 42 228 Informationen zu Mengele gibt u.a. die 1995 erstellte zweistündige Fernsehdokumentation des israelischen Regisseurs Dan Statton: Der Todesengel von Auschwitz – Josef Mengele . In: Spiegel-TV, VOX, 30.1.2004. 85

6.3.3 Die Sendung der Lysistrata (NDR, 17. Januar 1961) Das von Monk angekündigte Fernsehspiel, „ das sich überhaupt nicht einordnen lässt “229 war Die Sendung der Lysistrata , Buch und Regie Fritz Kortner. 230 Aus einer handschriftlichen >Randnotiz< Monks im Programmheft ist zu schließen, dass es sich hierbei um die „ erste Fernseharbeit Kortners “ handelt. 231 Kortner selbst begründete sein Interesse am Fernsehen in der Programm- ankündigung des NDR wie folgt: „ Ich versuche mich im Fernsehen, weil ich die Dinge möglichst nahe betrachten will, sozusagen aus der Wohnzimmersicht. Fern- sehen ermöglicht unter anderem, uns die Vergangenheit ins Haus zu holen und die Gegenwart in Hautnähe zu rücken. Der Weg von 400 vor Christi bis 1960 nach Christi ist eine kurze Kamerafahrt. So sehen wir die Athenerin Lysistrata gegen den vergleichsweise harmlosen spartanischen Krieg so leidenschaftlich protestieren, als ob es schon damals um die Atombombe gegangen wäre, und gleichzeitig uns, die wir tatsächlich mit ihr konfrontiert sind, in unserer heutigen Angst davor. “232 Kortners Interpretation der klassischen Komödie Lysistrate von Aristophanes, Uraufführung 411 v. Chr. in Athen, die er mit einem eindeutig politischem Hinter- grund zeitgemäß modernisierte, wurde zum Eklat. Die Thematisierung des Rollen- bilds der Frau in der Gesellschaft und vor allem der kritische Tenor an einer militärischen Wiederaufrüstung der BRD und der Nutzbarmachung atomarer und chemischer Kampfmittel stießen auf Widerstand in einigen Rundfunkhäusern. Der Bayerische Rundfunk schaltete sich aus der Übertragung des Gemeinschafts- programms der ARD mit der offiziellen Begründung der >Freizügigkeit< aus. In einer Sequenz erregte der teilweise entblößte Busen der jungen Darstellerin Romy Schneider in der Rolle der „Myrrhine“ Anstoß. Der hauptsächliche Konflikt um Kortners Stück rankte sich jedoch nicht um eine gewisse Freizügigkeit, sondern vielmehr um die mehr oder weniger deutliche Einflechtung der Kritik an einer mög- lichen atomaren Aufrüstung und deren Folgen. In Kortners Studioproduktion wurde das klassische Stück in eine Rahmen- handlung der Gegenwart integriert. Hierzu nutzte Kortner das Stilmittel >Fernsehen im Fernsehen<, in dem er das klassische Theaterstück als eine Übertragung des Fern- sehens in Szene setzte, das wiederum von einer kleinen Gruppe von Menschen in einem privaten Wohnzimmer angesehen wurde. Mit langer Schnitttechnik wechselte

229 Egon Monk in: NDR (Hrsg.): Fernsehspiele im Winter 1960/61 , >Randnotiz<. Vgl. innerhalb dieser Arbeit unter Kapitel: Originalfernsehspiel und Adaption . 230 Fritz Kortner (Fritz Nathan Kohn), geb. 12.5.1892 in Wien, gest. 22.7.1970 in München 231 Egon Monk in: NDR (Hrsg.): Fernsehspiele im Winter 1960/61 , >Randnotiz<. 232 Fritz Kortner in: NDR (Hrsg.): Fernsehspiele im Winter 1960/61 , S. 48 86

Kortner zwischen der klassischen und der gegenwärtigen Ebene. Die Figuren des Theaterstücks entsprachen teilweise den Figuren auf der Ebene der Gegenwart der Bundesrepublik Deutschland und wurden von den gleichen Schauspielern verkörpert. So spielte beispielsweise Barbara Rütting die Hauptrolle der „Lysistrata“ in Aristophanes Stück und die „Agnes“ der Gegenwart. Beide Frauen haben Angst vor einem Krieg, wobei die Angst der Gegenwart eine Angst vor einem potentiellen Atomkrieg ist. Agnes Mann, „Dr. Salbach“ (Wolfgang Kieling), ist Chemiker mit Aussicht auf eine Stellung in den USA. Er ist unentschlossen, hat Skrupel seine Dienste in die einer Atommacht zu stellen. Anwesend ist auch sein Chef, „Dr. Kienast“, Leiter einer Chemiefabrik (Franz Schafheitlin) mit Gattin (Herta Worell). Ebenso zwei Schauspielerkolleginnen (Romy Schneider als „Myrrhine/Uschi“ und Ursula Graeff in einer Nebenrolle als namenlose Athenerin/ „Frau Ellinger“) mit Ehemännern. Nach anfänglich amüsierter Stimmung kommt es nach und nach zu einem Konflikt zwischen den Anwesenden, der in einen offenen Streit der Gruppe mündet. „Lysistrata/Agnes“ und „Herr Ellinger“, ein Journalist (Ulrich Haupt), stehen mit ihrem pazifistischen Gedankengut den Vertretern der Ewiggestrigen („Kienast und Frau“) gegenüber, die weder Befürworter einer sich emanzipierenden Frau noch einer pazifistischen Gesellschaft sind. Dazwischen stehen der hin- und hergerissene Chemiker und die Frau des Journalisten, die beide erfolglos versuchen zu vermitteln und zu beschwichtigen. Die anwesenden Gäste verlassen, unvereinbar ihre Ansichten äußernd, nacheinander brüskiert die Wohnung. Die Entscheidung auszuwandern wird dem Chemiker durch die, am Ende des Fernsehspiels eingefügte, Eröffnung einer Schwangerschaft seiner Frau „Agnes“ endgültig abgenommen. Kurz zuvor teilte er ihr seine gerade gefällte Entscheidung mit zu bleiben. Noch zweifelnd an seiner Entscheidung wird diese durch die private Veränderung gefestigt. „Lysistrata/Agnes“ sucht telefonisch ein Einvernehmen mit „Dr. Kienast“ zu finden, in dem sie an sein Verständnis für eine Schwangere appellierte. Entweder ein Kind oder (Atom-) Krieg – beides erschien ihr unvereinbar. Aus persönlichen Notizen Monks ist zu schließen, dass das im „ Spät- sommer/Herbst 1960 gedrehte Stück schon nach der Anmeldung einen Einspruch Münsters “, des Intendanten des Bayerischen Rundfunks, hervorrief. Deshalb erfolgte eine „ Vorführung anlässlich der Programmdirektorenkonferenz am 18.11.1960, dem Bußtag, in Stuttgart. “ Vom NDR abgesegnet erfolgte eine „ erneute Vorführung am 8.12.1960 zur Intendantenkonferenz in Stuttgart. Nicht senden wollte der Bayerische 87

Rundfunk, der Westdeutsche Rundfunk, der Stuttgarter Sender, der Südwestfunk, Saarbrücken. “ Senden wollten der „ NDR, der Hessische Rundfunk, Bremen und der Sender Freies Berlin. Parteipolitisch ausgegliedert hieß das: Die Sender mit CDU- oder CDU-nahestehenden Intendanten lehnten ab, die SPD-regierten Sender stimmten zu “. 233 Weiterhin hielt Monk fest, dass Hans Bausch, Intendant des SDR, erklärte: „Ich kann Lysistrata nicht senden, es verstieße gegen das Rundfunkgesetz. Ich halte die Aufzeichnung für ästhetisch unter der Grenze, sittlich anstößig und politisch ein- seitig. “234 Zur Beurteilung Kortners vermerkt Monk: „ Kurt Betz, Angestellter des Bundespresseamtes, äußerte sich nicht privat, sondern bei einer Sitzung der Deutschen Wochenschau: ‚In seinem Haus werde Fritz Kortner als für das Fern- sehen nicht tragbar angesehen. “235 Und: „ Koproduzent Trebitsch, damals noch einer der beiden Chefs der Real- Film, wollte ,Lysistrata’ in Bayern ins Kino bringen, wozu es nötig war, die Zu- stimmung der Freiwilligen Selbstkontrolle einzuholen. Die FW ließ den Film ohne Beanstandung, ohne jede Schnittauflage passieren. Das mag bewirkt haben, dass der WDR, SDR, SWF und der saarländische Rundfunk sich am Vortag [der Ausstrahlung im Fernsehen/S.B.], entschlossen, doch zu senden. Nur der BR blieb bei seinem Nein. “236 Entscheidend für die Ablehnung einiger Intendanten war die Darstellung der Befürworter einer möglichen atomaren Nutzung, die diese als überzogen und un- gerechtfertigt dargestellt sahen. Der Bayerische Rundfunk hielt an seiner Haltung fest. Dazu, aus Monks Notizen, ein Zitat Dr. Clemens Münsters : „Die Verfechter einer Atomrüstung werden auf eine Weise karikiert, die einfach unfair ist. “ Monk schließt seine Ausführungen mit dem Kommentar: „ Mit Lysistrata hat die Aus- schalterei, der partielle Separatismus angefangen .“ 237

233 Egon Monk in: Persönliche Notizen zum o. g. Fernsehspiel, drei lose Schreibmaschinenseiten 234 Egon Monk in: Ebd. 235 Egon Monk in: Ebd. 236 Egon Monk in: Ebd. 237 Egon Monk in: Ebd. 88

6.3.4 Korczak und die Kinder (NDR, 26. Oktober 1961) Im Jahr 1961 entstand im Produktionsbereich der Fernsehspielabteilung ein Fernseh- spiel, das ebenso wie Waldhausstraße 20 auf tatsächlichen Begebenheiten beruht und als ein weiterer Beitrag zur Auseinandersetzung mit der, durch den Nationalsozialis- mus geprägten Vergangenheit anzusehen ist: Korczak und die Kinder . Regie führte Sam Besekow, 238 Buch und Fernsehbearbeitung schrieb Erwin Sylvanus. 239 Janusz Korczak 240 leitete im Warschauer Ghetto ein jüdisches Waisenhaus und begleitete >seine< sechsundsechzig Kinder ganz bewusst bei Evakuierung des Waisenhauses in die Gaskammern von Treblinka. Der Regisseur Sam Besekow hatte das Bühnenstück zuvor für das dänische Fernsehen inszeniert und dafür den Kritiker-Preis des Landes Dänemark erhalten. 241 Aus Autorensicht brachte Erwin Sylvanus die Intention seines Stückes in der Programmankündigung des Fernsehspiels zum Ausdruck: „ Fragen, die jetzt brennen, die noch immer brennen, möchte ich behandeln. Ich bin gegen das feige Vergessen, mir graut vor der Sattheit, ich hasse alle Selbstgerechtigkeit – um der Zukünftigen willen. (…) Es geht um die Zukunft der Demokratie. Es geht mit einer entsetzlichen Dringlichkeit um die Freiheit. Es geht immer um den geringsten Bruder. Ich jeden- falls möchte für den geringsten und verachtetsten Bruder schreiben, ich will ihn in meinen Stücken suchen und um Liebe für ihn werben. Ich will gegen jeden Hass unter den Menschen kämpfen. Darum habe ich auch das Spiel „Korczak und die Kinder“ geschrieben. Es richtet sich gegen niemanden, aber es setzt sich ein für eine wache Menschlichkeit jenseits der Phrase. “242 In die Studioproduktion des NDR wurden dokumentarische Filmaufnahmen eingeflochten. Darunter ein Transport von Juden, eine Filmaufnahme der Beta-Film München (25 Sek.), Ghetto-Szenen aus einem DDR-Fernsehmitschnitt (17 Sek.) und Ruinen-Szenen aus der filmischen Materialdokumentation der NSDAP-Filme in Hannover (ohne Längenangabe). 243 Mit dem dramaturgischen Mittel der direkten Ansprache des Zuschauers, das Monk in seinen Fernsehspielen ebenso verwandte wie Brecht in seinen Theater-

238 Sam Besekow, geb. 26.1.1911 in Kopenhagen, gest. 21.4.2001 239 Erwin Sylvanus, geb. 3.10.1917 in Soest (Westfalen), gest. 27.11.1985 ebd. 240 Janusz Korczak als Henryk Goldzmit in Warschau am 22.7.1878 geb., Arzt, Pädagoge, Schrift- steller, leitete ab 1911 das Waisenhaus >Dom Sierot< nach seinen Vorstellungen eines demo- kratischen Miteinanders von Erwachsenen und Kindern. Sein wahrscheinliches Todesdatum liegt um den 5.8.1942 im Vernichtungslager Treblinka. Vgl. u.a. auch: Licharz, Werner: Janusz Korczak – mehr als ein Credo . Frankfurt a. M., 1997 241 In: NDR-Datenbanken 242 Erwin Sylvanus in: NDR (Hrsg.): Fernsehspiele im Winter 1961/62 , S. 52 243 In: NDR-Datenbanken 89 stücken, forderte auch Sylvanus die Zuschauer heraus. Er ließ durch einen Sprecher (Paul Edwin Roth) gleich zu Beginn des Fernsehspiels die Fernsehzuschauer warnen mit den Worten: „ Drehen Sie ab, schalten Sie um, noch haben Sie mit unserer Geschichte nichts zu tun! “244 Der Kritiker der Frankfurter Allgemeinen Zeitung kommentierte: „ Wer dann auch nur für die nächsten fünf Minuten dabei blieb, der hatte etwas damit zu tun, er konnte nicht mehr von ihr loskommen. Das lag natürlich zuerst an der menschlichen Substanz (und an der poetischen Behandlung), die der Autor dem Stoff mitgab, den er leider nicht zu erfinden brauchte; es lag dann aber an der künstlerischen Ge- schlossenheit seiner Darbietung, die sich so steigerte, dass es kein Entrinnen gab .“ 245 Die Spieleinführung des Theaterstücks beginnt ebenfalls mit einem Sprecher auf einer fast requisitenfreien Bühne. Sie „ zeigt lediglich drei Stühle, von denen einer im Vordergrund links (von den Zuschauern aus) steht, während sich zwei Stühle rechts im Hintergrund befinden. Als Requisiten werden benötigt: ein großer Kinder- baukasten mit farbigen Bauklötzen; eine Zigarette. Kostüme sind unerwünscht. Das Stück muss ohne Pause durchgespielt werden. “246 Der Sprecher „ betritt die Spielfläche, ohne zunächst Kontakt mit den Zu- schauern zu suchen. In der Hand hält er einen Kinderbaukasten. Plötzlich scheint sich der Sprecher der Zuschauer zu erinnern oder sie gar erst zu bemerken: (…) Es ist ein schönes Spiel, so zu bauen. Aber –jetzt ist Krieg und jetzt wird zerstört. “247 Mit einem einzigen Fingerschnippen lässt er die Klötze des zuvor von ihm aufgebauten Turmes zusammenfallen und packt sie in den Baukasten zurück. Er schließt die Einführung in das Stück mit den Worten „ Sie erschrecken und denken an Ihr Eintrittsgeld. Noch können Sie aufstehen und diesen Raum verlassen. Noch geht es Sie nichts an, was wir hier darstellen werden. “248 Die Dramaturgie Sylvanus´ lässt Sprecher und Darsteller wiederholt die Rollenverteilung wechseln. Während die Schauspieler den Sprecher mehrfach auf- fordern, eine Person darzustellen oder die Szenerie zu beschreiben, fordert auch dieser die Darsteller auf, aus ihren Rollen heraus zu treten und die des Erzählers und

244 E.J.: Abseits der Routine . In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.10.1961 245 Ebd. 246 Erwin Sylvanus in: Korczak und die Kinder. St. Gallen (Schweiz) 1959. Bühnenfassung. Urauf- führung 1.11.1957 an den >Vereinigten Städtischen Bühnen von Krefeld u. Mönchengladbach <. Sylvanus erhielt für das Stück den >Leo-Baeck-Preis< des Zentralrats der Juden in Deutschland. 247 Ebd. 248 Ebd. 90

Spielleiters zu übernehmen. Eine Einfühlnahme des Zuschauers mit den Protagonisten wird durch zusätzliche Unterbrechungen der Monologe oder Ab- brechen der Szene verhindert. So sieht Sylvanus einen Abbruch der >Bettelszene< vor, in der „Korczak“ für seine Kinder bei den Ärmsten der Armen, den hungernden Juden im Ghetto, um Milch bettelt:

Sprecher: „Wer klopft jetzt, zu dieser Stunde, da kein Jude in Warschau… Korczak: „Ich bin es, Scholem, ich – der Janucz Korczak – und ich bin es wieder nicht. Denn die Kinder sind es. Sieh, Scholem, sieh: die Kinder. Fünfundsechzig waren es bis heute. Und nun sind es sechsundsechzig. Denn der kleine David ist hinzugekommen. Schon morgen muss er vielleicht operiert werden. Sechsundsechzig Kinder…(…) Schauspielerin: „Halt. So nicht weiterspielen! Die Bettelszene müssen wir einfach streichen. “

Sowohl die direkte Ansprache des Zuschauers als auch die fast requisitenfreie Inszenierung des Theaterstücks, der Verzicht auf Kostüme und die vorgesehenen Rollenwechsel der Schauspieler wurden für das Fernsehspiel übernommen. Die Unterschiede zwischen Bühnenfassung und Fernsehbearbeitung sind in der Be- setzungsliste erkennbar. Während die Bühneninszenierung für nur fünf Schauspieler vorgesehen ist, sind für das Fernsehspiel weitere Rollen ausgebaut worden. In der Bühnenfassung spielen neben einem Sprecher, ein >1. Schauspieler<, der die Rolle des National- sozialisten, den Leiter des Einsatzkommandos zur Räumung des Waisenhauses im Warschauer Ghettos übernimmt. Ein >2. Schauspieler< verkörpert Janusz Korczak. Eine Schauspielerin spielt die Rollen der >deutschen Frau< und die der >jüdischen Krankenschwester<. Ein einziges Kind, „David/Jürgen“, steht stellvertretend für alle Kinder, sowohl für die jüdischen Kinder im Ghetto als auch für das deutsche Kind des deutschen Offiziers. Der Sprecher tritt mehrfach in das Spiel hinein, übernimmt wechselnde Identitäten, so die Rolle eines jüdischen Geistlichen, den Korczak kurz vor der Räumung des Waisenhauses aufsucht. Die Rolle eines jüdischen Geistlichen wurde im Fernsehspiel hingegen mit einem weiteren Schauspieler (Alexander Engel) be- setzt. Die Kinderrolle teilten sich zwei Jungdarsteller (Reinhold Zobel, „David“/ Agard Chors, „Jürgen“). Die beiden Frauenrollen wurden ebenfalls mit zwei Schau- 91 spielerinnen besetzt (Inge Fabricius, >Die Frau des OffiziersKrankenschwester<). Die Rollenbesetzung des Korczak (Friedrich Domin) und des deutschen Offiziers (Heinz-Theo Branding) blieben unverändert durch zwei Dar- steller besetzt. 249 Der Journalist und Hörspielautor Wolfgang Werner Paul Baranowsky, der als Kritiker unter dem Pseudonym >Lupus< schrieb, urteilte in der >Zeit< über die Dramaturgie: „ Sylvanus will die Problematik der dramatischen Zubereitung eines derartigen Geschehens damit umschiffen, dass er die Geschichte nicht direkt spielen, sondern verfremden lässt – Erzähler und Schauspieler treten neben der eigentlichen Handlung als Erzähler und Schauspieler auf. Die Rechnung geht aber nicht auf – das technische Raffinement wirkt bei einem solchen Thema als Mätzchen, statt un- auffällig-kunstlos den Stoff sprechen zu lassen, drängt hier die dramaturgische Machart in den Vordergrund, und das ist das Schlimmste, was bei diesem Anlass passieren konnte. Mit dem Massengrab treibt man keine formalen Späße. “250

6.3.5 Die Revolution entlässt ihre Kinder (NDR, 22., 24. und 29. Mai 1962) Claus Hubalek schrieb das dreiteilige Fernsehspiel nach dem autobiografischen Roman von Wolfgang Leonhard: 251 Die Revolution entlässt ihre Kinder . Regie führte Rolf Hädrich. 252 Leonhard, im Fernsehfilm von Christian Doermer verkörpert, be- schreibt in seinem autobiografischen Roman die Jahre 1935 bis 1949. Seine Jugend in der Sowjetunion, seinen Werdegang als Parteifunktionär und seinen Bruch mit dem Stalinismus, der die Flucht aus Ostberlin nach sich zog. „Innerhalb dieser fünfzehn Jahre spielen die drei Teile unserer Sendung, die sich auf den gleichnamigen Bericht von Wolfgang Leonhard stützt. Sie schildern die Stationen und Bedingungen einer frühen und ungewöhnlich steilen Karriere inner- halb der kommunistischen Hierarchie bis zu jener Funktionärsspitze, die zusammen mit der Macht auch die Privilegien der Klasse für sich in Anspruch nimmt, an deren Stelle sie sich gesetzt hat. Der Zynismus, mit dem dieser Verrat sich kaschiert, der nackte Machtanspruch des sowjetrussischen Imperialismus gegenüber den sozialistischen Bruderstaaten und schließlich das in Jugoslawien unternommene Experiment eines eigenen, vom korrumpierten sowjetrussischen Vorbild freien Weges zum Sozialismus – dies alles bestimmte Wolfgang Leonhard im Jahre 1948, die

249 In: NDR-Datenbanken 250 Lupus: Experiment mit dem Massengrab. In: Die Zeit, 3.11.1961 251 Wolfgang Leonhard, geb. 16.4.1921 in Wien 252 Rolf Hädrich, geb. 24.4.1931 in Zwickau, gest. 29.10.2000 in Hamburg 92

Sowjetzone zu verlassen. “253 Leonhards Mutter war 1918 der Kommunistischen Partei Deutschlands beigetreten und arbeitete als Pressereferentin der sowjetischen Handelsvertretung in Berlin, „ war aber 1925 aus der Kommunistischen Partei aus- getreten und gehörte seitdem zur >Heimatlosen Linken<. Nach Hitlers Macht- ergreifung hatte sie bis zum Frühjahr 1935 illegal in Berlin gearbeitet und war dann nach Schweden gegangen. “254 Die illegale Gruppe in Berlin, in der Leonhards Mutter gearbeitet hatte, war aufgeflogen. Ihre Mitglieder wurden verhaftet. Leonhards Mutter konnte dem Zugriff der Gestapo rechtzeitig entfliehen. Ihren Sohn hatte sie bereits zwei Jahre zuvor nach Schweden geschickt und sah ihn dort erst im Frühjahr 1935 wieder. Leonhard war damals dreizehn Jahre alt. „ Es war klar, dass meine Mutter nicht nach Deutschland zurückkehren konnte. Die schwedische Aufenthalts- genehmigung war aber begrenzt. “255 Leonhards Mutter hatte Kontakte nach England und in die Sowjetunion. Nach einiger Zeit stellte sie ihren Sohn vor die Wahl in das eine oder das andere Land zu gehen. Sie überließ ihm die Entscheidung – und er entschied sich für die Sowjet- union, was sich als folgenschwere Entscheidung erwies. Nur achtzehn Monate später wurde Leonhards Mutter in Moskau im Zuge >stalinistischer Säuberungsaktionen< verhaftet und verschwand für zwölf Jahre in sowjetischen Lagern, aus denen sie erst 1948 entlassen wurde. Nach zehn Monaten erfuhr Wolfgang Leonhard durch eine verschlüsselt geschriebene Postkarte seiner Mutter den Grund der Verhaftung: >Konterrevolutionäre trotzkistische Tätigkeit<. Leonhard wuchs zunächst in einem privilegierten Kinderheim der Sowjet- union auf, das österreichische und deutsche Kinder kommunistischer Eltern be- herbergte. Ferien auf der Krim und Jalta gehörten ebenso dazu wie die Verpflegung durch eine österreichische Köchin und eine Bekleidung, „ die in besonderen Schneiderwerkstätten hergestellt wurde und ein eigener Autobus, mit dem die Zög- linge zur Schule gebracht und auch wieder abgeholt wurden und auch für alle anderen Fahrten zur Verfügung stand. Ein eigenes Ambulatorium, von einer deutschen Ärztin geleitet, überwachte den Gesundheitszustand der Kinder. “256 Der am 23. August 1939 geschlossene >Nicht-Angriffs-Pakt< zwischen Deutschland und der UdSSR zog eine Gleichstellung aller russischen Heime nach sich. Privilegien wurden abgeschafft, das Heim aufgelöst und die Kinder auf andere,

253 N.N. in: NDR (Hrsg.): Fernsehspiele Sommer 1962 , S. 10 254 Zit. n. Wolfgang Leonhard: Die Revolution entlässt ihre Kinder. Köln/Berlin 1955, S. 10 255 Zit. n. Wolfgang Leonhard: Ebd., S. 10 256 Zit. n. Wolfgang Leonhard: Ebd., S. 20 93 weniger komfortable Kinderheime verteilt. „ Nun war es plötzlich mit dieser Aus- nahmestellung vorbei. Durch den Abschluss eines Nichtangriffpakts mit Hitler- Deutschland und die Auflösung unseres Heimes hatten wir uns über Nacht in ge- wöhnliche junge Menschen der Sowjetunion verwandelt. “257 Leonhard wurde im Sinne kommunistischer Ideologie erzogen und 1940 Student des Moskauer Lehrerinstituts für Fremdsprachen mit dem Schwerpunkt Englisch. Nach dem Bruch des >Nicht-Angriff-Paktes< zwischen der UdSSR und Deutschland durch Hitler am 22. Juni 1941 war Leonhards Studentenzeit beendet. Im September 1941 wurden alle in Moskau lebenden Deutschen zwangsevakuiert. Der 19jährige Leonhard wurde nach Kasachstan umgesiedelt, in eine Siedlung ohne Namen, mit der Nummer >5<, etwa 120 Kilometer nördlich von Karaganda. Eine wechselvolle Zeit begann. Es gelang ihm für kurze Zeit in Karaganda Fuß zu fassen und einen Studienplatz in Geschichte zu belegen. Die überwiegende Mehrheit der Menschen, die Leonhard zu dieser Zeit kennen lernte, hatten Verhaftungen innerhalb der Familie erlebt. Die Erziehung in stalinistischer Zeit hatte jedoch bewirkt, dass weder nachgefragt noch hinterfragt oder gar >eine Aktion zum Wohle der Sowjet- union< in Frage gestellt wurde. „ Die meisten Studienkameraden aber werden wohl ähnlich gedacht haben wie viele meiner Moskauer Jugendfreunde und ich, deren Eltern in der Zeit der ‚Säuberungen´ von 1936-1938 verhaftet worden waren: Das Schicksal der eigenen Familie ist zwar tragisch und sicher ungerecht, aber grund- sätzlich müsse man die Sowjetunion bejahen und alle Maßnahmen seien daher zu rechtfertigen. “258 Während einer >Emigranten-Konferenz< im Dezember 1941 hatte Leonhard zum ersten Mal Kontakt zu ranghohen Funktionären der KPD, darunter auch Walter Ulbricht. Die nur kurze Anwesenheit der deutschen Exilkommunisten in Karaganda brachte Leonhard jedoch in der Folgezeit Vorteile. Er wurde zum Sekretär der ört- lichen Parteiorganisation und ins Präsidium der Lehrerkonferenz gewählt. Die kommenden Wochen und Monate waren mit vielen Ortswechseln verbunden. Nach einem halben Jahr in Karaganda versuchte er in Alma Ata sein Lehrerstudium fortzu- setzen, was ihm aufgrund mangelnder Studienplätze nicht gelang. Nach nur einem Monat war er zurück in Karaganda. Er erhielt einen Posten zur Betreuung der deutschen Emigranten und wurde nach drei Wochen per Tele- gramm in die 3000 Kilometer entfernte Stadt Ufa, 1200 Kilometer von Moskau, be-

257 Zit. n. Wolfgang Leonhard: Ebd., S. 60 258 Zit. n. Wolfgang Leonhard: Ebd., S. 152 94 ordert. Elf Monate lang wurde Leonhard in einer Parteischule, völlig isoliert von jeglichen Außenkontakten, parteipolitisch geschult. „Heute weiß ich, dass sich in jenen Tagen die entscheidende Wende in meinem Leben vollzog. Ich sollte nun die Sowjetunion aus einem völlig neuen Blickwinkel kennen lernen. In jenen Tagen wurde ich in die Funktionärsschicht aufgenommen. “259 1943 kehrte er nach Moskau zurück. Dort arbeitete er bis 1945 in der Zeitungsredaktion des Freien Deutschlands, der Rundfunkredaktion des Senders Nationalkomitee Freies Deutschland, und hatte mit der Emigrationsführung der KPD, Wilhelm Pieck und Walter Ulbricht, regelmäßigen Kontakt. Gemeinsam mit Ulbricht und anderen Funktionären kehrte Wolfgang Leonhard am 30. April 1945, nach zehn- jähriger Abwesenheit, nach Deutschland zurück. In der Folgezeit arbeitete er überwiegend als Funktionär in der Schulungs- abteilung (der sog. Agitpropabteilung) der 1946 gegründeten SED. Trotz einer aus- gefüllten Zeit der Parteitätigkeit begannen sich bei Leonhard bedrückende Zweifel an der politisch harten Linie, dem häufigen >Verschwinden< ehemaliger Weggenossen und einer schon in der Sowjetunion deutlichen >Kritikempfindlichkeit< der Partei- führung und nicht zuletzt Erinnerungen an die Verhaftung seiner Mutter zu rühren. Hinzu kam „ eines der größten Übel und auch eine häufige Ursache, politischer Bauchschmerzen´ (…) die Privilegien der Funktionäre“. 260 Die luxuriösen Villen Ulbrichts, Piecks u. a. Spitzenfunktionäre, bei denen Leonhard fast jedes Wochen- ende zu Gast war, sowie deren entsprechend gut ausgestattete Versorgung mit Lebensmitteln und Gütern, die der Masse der Parteigenossen und der Bevölkerung versagt blieb, gaben ihm nach einiger Zeit zu denken. 1948 war das Jahr des persönlichen Bruchs Wolfgang Leonhards mit der moskautreuen SED-Führung, die dem sozialistischen Bruderstaat Jugoslawien eine sowjetfeindliche Haltung und feindliche Ideologien vorwarf. „ Die SED war in ihrer Angleichung an die KPdSU wieder einen sichtbaren Schritt weitergegangen. Für mich war es daher nicht schwer, mir auszumalen, was nun noch folgen musste. “261 Im August 1948 gab es das Wiedersehen mit Wolfgang Leonhards Mutter. Sie hatte dreizehn Jahre in der Sowjetunion verbracht, die nicht spurlos an ihr vorüber ge- gangen waren. „ Sie machte einen gehetzten Eindruck und man sah ihr die Ent-

259 Zit. n. Wolfgang Leonhard: Ebd., S. 179 260 Zit. n. Wolfgang Leonhard: Ebd., S. 505 261 Zit. n. Wolfgang Leonhard: Ebd., S. 530 95 behrungen der Leidensjahre deutlich an. (…) Schon während unserer ersten Unter- haltung fiel mir auf, wie eingeschüchtert und verstört sie war. “262 Sie lebte sich jedoch nach kurzer Zeit in Ostberlin ein und wollte eine mög- lichst unpolitische Arbeit aufnehmen, die sie als Lektorin im Verlag Kultur und Fort- schritt erhielt. Leonhard weihte sie nach kurzer Zeit des Misstrauens in seinen Plan ein, nach Jugoslawien zu fliehen. Seine mangelnde deutliche Haltung zur >Jugo- slawienfrage< und ein offenherziges Gespräch mit einem Parteifreund war bereits der Parteiführung aufgefallen, die eine Stellungnahme von ihm erwartete. Ein Verhör im Februar 1949 gab den letzten Anlass zur Flucht. Über die Tschechoslowakei ge- lang ihm die dreizehntägige Flucht nach Belgrad und nachfolgend in den Westen. Wolfgang Leonhards verfilmte Lebensgeschichte, die >als positives Ergeb- nis< den Weg eines ehemaligen Funktionärs aus dem sozialistischen deutschen Staatenteil zeigte, „ stand ganz in der ideologischen Offensive gegen den Kommunis- mus und gegen die DDR (…) und „ muss in seiner Zielsetzung der Abwehr angeblich drohender ideologischer >Aufweichung< gesehen werden. “263 In diesem Sinne urteilte auch der Kritiker der >Neuen Zürcher Zeitung< über den Fernsehfilm: „ Anschaulich führt der Bericht einem breiten Publikum, das sich sonst wohl nur schwerlich eine Vorstellung vom Dasein inmitten des totalitären kommunistischen Regimes zu machen weiß, das Lebensklima in diesem großen >Konzentrationslager einer Ideologie< vor Augen. “264

6.3.6 Der 50. Geburtstag (NDR, 30. August 1962) In seinem zweiten Fernsehspiel befasste sich Erwin Sylvanus mit der Versorgungs- frage von Hinterbliebenen der NS-Kriegsverbrecher und der individuellen Ein- stufung von Schuld der Deserteure im Zweiten Weltkrieg. Regie führte Gustav Burmester. 265 Anlässlich eines Einzelschicksals thematisiert Sylvanus aus aktueller Situation der 1960er Jahre heraus wieder ein Thema zur Aufarbeitung der national- sozialistischen Vergangenheit Deutschlands. Erzählt wird die Geschichte der Soldatenwitwe „Frau Mahnke“ (Hilde Körber) anhand der Frage nach der Berechtigung einer Rentenzahlung an sie als Hinterbliebene. Als ehemals hoher Wehrmachtsoffizier erschoss ihr Mann in den letzten Kriegstagen Deserteure ohne Verurteilung. Kurze Zeit später, in Erkenntnis

262 Zit. n. Wolfgang Leonhard: Ebd., S. 532 263 Zit. n.: Hickethier, Knut: Das Fernsehspiel der Bundesrepublik. Themen, Form, Struktur. Theorie und Geschichte 1951-1977. Stuttgart 1980, S. 196 264 ha.: Die Revolution entlässt ihre Kinder. In: Neue Zürcher Zeitung, 28.5.1962 265 Gustav Burmester, geb. 14.12.1904 in Hamburg, gest. 6.7.1978 ebd. 96 eines verlorenen Krieges, desertierte er selbst und kam dabei ums Leben. An dem Tag, an dem er fünfzig Jahre alt geworden wäre, wird die Witwe mit diesen Vor- kommnissen durch den Anwalt „Dr. Schütte“ (Herbert Tiede) konfrontiert. Die Filmproblematik bestand in der Feststellung einer rechtmäßigen Erschießung von Soldaten durch einen Offizier, oder der Willkürtat eines Armeeangehörigen, der selbst als Deserteur anzusehen war. Ersteres gebot eine Rentenzahlung, Letzteres verneinte eine solche. Die Zeugen waren auf Seiten der Witwe. Bei einer 57-prozentigen Sehbeteiligung beurteilten 64 Prozent der Zuschauer das Fernsehspiel als >gut<, 17 Prozent fanden es >ausgezeichnet<, 13 Prozent >zu- friedenstellend<, 5 Prozent >mäßig< und 1 Prozent lehnten es als >sehr schlecht< gänzlich ab. Auf dem Infratest-Index der Urteilsskala -10 bis +10 erhielt das Fern- sehspiel eine Einstufung von >+ 5<, was auf die „ große Wirklichkeitsnähe “ und „Aktualität “ der Zuschauerempfindungen zurückzuführen war. 266

6.3.7 Schönes Wochenende (NDR, 30. Dezember 1962) 1962 begann eine Zusammenarbeit zwischen dem Autor Horst Lommer 267 und dem Regisseur Peter Beauvais 268 , deren Fernsehfilmproduktionen das Verhalten des >Kleinbürgertums< der Adenauer-Ära in einer Reihe von Fernsehspielen heiter- ironisch verarbeitete. Einmal jährlich, von 1962 bis 1967, wurde ein Fernsehspiel vom immer gleichen Produktionsteam (Kamera: Walter Fehdmer, Musik: Hans- Martin Majewski, Produzent: Egon Monk und meist gleiche Darsteller, wie Walter Jokisch, Dirk Dautzenberg, Uwe Friedrichsen usw.) inszeniert. Mit Schönes Wochenende wurde der Auftakt gemacht. In diesem Fernsehspiel ging es um die hohe Erwartungshaltung Einzelner für den Ablauf des ersehnten Wochenendes und deren Fehlschläge. Besitzer und An- gestellte eines Friseursalons hoffen ebenso wie ihre Kundschaft auf die Erfüllung von Sehnsüchten, die sie in außerehelichen Liebesabenteuern und dem Finden eines Lebenspartners bei verschiedenen Amüsements zu finden glauben. Am Ende sind die Einsamen jedoch genauso einsam wie zu Beginn des Tages und bestehende Partner- schaften wie die Ehe der Salonbesitzer haben sich nicht verändert. Lediglich die zu- fällige Bekanntschaft des jungen Lehrmädchens (Lotti Krekel) mit einem Fußballer (Peter Striebeck) lässt die Vermutung eines >Happyends< der beiden zu.

266 Infratest-Angaben vom 30.8.1962 267 Horst Lommer, geb. 1904 in Berlin, gest. 1969 268 Peter Beauvais, geb. 9.9.1916 in Franken (Fichtelgebirge), gest. 17.12.1986 in Baden-Baden 97

In Schönes Wochenende war der Einsatz der musikalischen Untermalung ein wesentlicher dramaturgischer Bestandteil. Die Musik Majewskis griff kabarettartig Szenenfolgen auf, kommentierte sie in eingebetteten Gesangseinlagen aus dem >Off<, die dialoglose Szenen der Schauspieler (Flanieren auf der Einkaufsmeile usw.) begleiteten. Ebenso wurden in Liedern einer Nachtclubsängerin (Maria Sebaldt) die jeweiligen Handlungen respektive Wunschdenken der Protagonisten thematisch aufgenommen, bevor eine schnelle Schnitttechnik zur nächsten Sequenz überging. Bei einer Sehbeteiligung von 57 Prozent des ersten Fernsehspiels von Lommer/Beauvais beurteilten 20 Prozent das Fernsehspiel als >ausgezeichnet<, 53 Prozent als >gut<, 14 Prozent fanden es >zufriedenstellend<, 12 Prozent nur >mäßig< und nur 1 Prozent aller Zuschauer lehnte das Stück als >sehr schlecht< gänzlich ab. Auf der Urteils-Index-Skala (-10 bis +10) von Infratest wurde ein Gesamtwert von +4 aller Zuschauerwertungen angegeben. 269 Aus einer Fülle von Zuschauermeinungen fasst Infratest zusammen (Auszüge): „ Die Handlung des Stückes erschien vielen Zuschauern außerordentlich lebensecht, sie fanden es unter- haltend und auch interessant. Dagegen waren andere Zuschauer derartig schockiert, dass sie negativ urteilten und in ihren ‚Spontanäußerungen´ recht scharf gegen ‚diese verrottete Gesellschaft´ wetterten. “270 Auch die Presse nahm die Gesellschaftssatire mit großer Resonanz zur Kenntnis, die Horst Lommer u. a. als „ Glücksfall für den bundesdeutschen Bild- schirm “ bezeichnete, weil „ er ein brillanter Beobachter ist, der festhält, was so die kleinen und ganz kleinen Tragödien ausmacht “ und den Regisseur als „ feinsinnig “ lobte. 271 Durchaus als gewollten >Denkanstoß< erkannt, wurde der Film auch hinter- gründig beurteilt: „ Nicht nur Vergnügen bereitete das Fernsehspiel Horst Lommers ‚Schönes Wochenende´. Es hinterließ doch wohl bei manchem auch nachdenkliche Gesichter .“ 272 Zusammenfassend sind auch für die jährlich nachfolgenden Fernsehspiele von Lommer/Beauvais Das Glück läuft hinterher (NDR 3.12.1963), Ich fahre Patschold (NDR 8.12.1964), Mach’s Beste draus (NDR 28.12.1965), Geibelstraße 27 (NDR 22.11.1966) und Zug der Zeit (NDR 9.5.1967) anhand der vorhandenen Infratest-Auswertungen und Zuschauerzuschriften an den NDR eine hohe Seh-

269 Infratest-Angaben vom 30.12.1962 270 Ebd. 271 K. Schönes Wochenende . In: Hamburger Abendblatt, 31.12.1962 272 A.L.: Schönes Wochenende. In: Kieler Nachrichten, 2.1.1963 98 beteiligung (im Durchschnitt über 50 Prozent) und überwiegend positive Resonanzen (um +4 auf der Infratest-Indexskala), bei denen die >Lebensnähe< der Thematik im Vordergrund der positiven Beurteilung stand, festzustellen. Pressekritiken erkannten „sozialkritische Aspekte “273 , deren >Alltäglichkeit< von manchem Kritiker schon mal als langweilig empfunden wurde, während gerade „ der alltägliche Kleinkram “ von anderen als „ fesselnd dargestellt “274 angesehen wurde. Die teils heftige Ablehnung der Lommer/Beauvais-Filme durch Zuschauer und Kritiker nahm Anstoß an Szenen, die, aus heutiger Sicht kaum mehr nach- vollziehbar, als allzu freizügig galten. So nahm u. a. ein Zuschauer Anstoß an einer Szene in Schönes Wochenende , in der sich eine Friseurin im Negligé allein auf einem Teppich rekelte. „ Ein solches Stück sollte man als Spätvorstellung zeigen, es widerte mich an, wie sich die Friseuse auf dem Teppich wälzte. “275 Ein anderer kommentierte den Film mit den Worten: „ Na, die haben es getrieben, eine verrottete Gesellschaft! Nichts für mich als Familienvater. “276 Ähnlich urteilte ein weiterer Zuschauer: „ Das hatte ich mir anders vorgestellt, bin nicht für das ausschweifende Leben wie Wochenendliebschaften usw.. “277 Infratest nennt hauptsächlich zwei Gründe für die negativ urteilenden Zu- schauer: Erstens die Darstellung von Erotik und zweitens die Übertreibung in der >Typisierung< der Figuren. Zu Punkt Eins stellt die Infratest-Auswertung fest: „Es hat sich ja immer wieder gezeigt, dass die Zuschauer Erotik auf dem Bildschirm nicht sehen wollen. Alles, was von den Vorstellungen bürgerlicher Moral abweicht, wird von ihnen abgelehnt. (…) Dieses Phänomen partieller Prüderie ist teilweise durch die Familiensituation zu erklären, in der das Fernsehen erlebt wird. Dabei spielt die Gestaltung eine untergeordnete Rolle, denn es geht dem Fernseher in erster Linie nicht um Ästhetik, sondern um Moral: entscheidend ist daher nicht das ‚Wie´, wohl aber das ‚Dass´. 278 Die Darstellung des >Prototyps des Managers< in Ich fahre Patschold , in der Verkörperung des Bauunternehmers „Rainer Patschold“ (Walter Jokisch), unter- schied sich von den anderen Lommer/Beauvais-Filmen dadurch, dass hier keine un- bedingte Identifikationsmöglichkeit der Zuschauer vorliegen konnte. Die Beurteilung des Fernsehspiels durch Zuschauer wurde bei einer Sehbeteiligung von 43 Prozent

273 fi: Menschen wie du und ich . In: Aachener Nachrichten, 5.12.1963 zu >Das Glück läuft hinterher< 274 Geibelstraße 27 . In: Südkurier Donaueschingen, 25.11.1966 275 N.N. in: Infratest-Angaben vom 30.12.1962 276 N.N.: Ebd. 277 N.N.: Ebd. 278 Ebd. 99 außerdem von ihren Vorurteilen beeinflusst, da es sie „ nicht selbst betraf, gleich- zeitig aber ihren Klischeevorstellungen vom heutigen Wirtschaftsleben in vielfältiger Form entgegenkam “. 279 Auf der Urteilsskala erreichte das Fernsehspiel, trotz vielfacher Ablehnung der Darstellung des >neureichen Karrieristen< als „unglaubwürdig “, eine Gesamt- wertung von +3, da „ man begriff, dass hier die faulen Stellen der Wirtschafts- wunderbetriebsamkeit kritisch unter die Lupe genommen wurden “. 280 Auch die Kritiker der kirchennahen Medienfachblätter sahen manch an- rüchige Darstellung in den Fernsehspielen. Sogar „ einen angeblichen Verstoß gegen die 21-Uhr-Jugendschutzgrenze “ machte die katholische Funk-Korrespondenz aus; während der Fachdienst der evangelischen Kirche epd/Kirche und Rundfunk (später epd/Medien) feststellte: „ Widerlich, was man an Anzüglichkeiten und Geilheit in all diesen Szenen vorgeführt bekommt. “281 Als „ unmoralisch und zudem „ ordinär “ empfanden Zuschauer, laut Infratest, beispielsweise auch die „ Kreuz- und Querver- bindungen der Personen untereinander “ im Fernsehspiel Ich fahre Patschold aus dem Jahr 1964. 282 Der moralische Anspruch der 1960er Jahre stand der aufgezeigten Doppel- moral der Fernsehfilme Lommer/Beauvais stark ablehnend entgegen. Nicht nur die Darstellung von Erotik, sondern auch implizierte Zweifel an der Redlichkeit manch aufgezeigten Verhaltens stießen auf Protest. Der NDR sah seine ARD- Programmbeiträge des Autors Lommer jedoch jeweils als „ Variationen über ein Thema: über den bundesbürgerlichen Alltag der Gegenwart, den Lommer durch die Lupe betrachtet, die manches vergrößert, einiges verkleinert, die den komischen Situationen die ernste Seite, den traurigen die versöhnliche abgewinnt “. 283 Egon Monk urteilte rückblickend in den 1970er Jahren über Horst Lommers Darstellung der Figuren: „ So genau er auch diese Figuren, manchmal wie ein Insektensammler, aufspießte und drehte und aufstellte, so dass man sie von allen Seiten besichtigen kann, und meist auch von sehr scheußlichen Seiten: er kündigte ihnen aber nicht seine Zuneigung. “284

279 Ebd. 280 Ebd. 281 Zit. n.: Netenjakob, Egon: Jeden Sommer einen Lommer. In: Medium, 1976, 6. Jg., S. 18-20. 282 Infratest-Angaben vom 8.12.1964 283 In: NDR (Hrsg.): Fernsehspiele 1966, S. 20, Zusammenfassung der Lommer/Beauvais-Filme an- lässlich der Ankündigung von >Geibelstraße 27< 284 Egon Monk in: Netenjakob, Egon: Jeden Sommer einen Lommer. In: Medium, 1976, 6. Jg., S. 18-20 100

Als nachfolgende Milieustudie des Kleinbürgertums in den 1960er Jahren sei an dieser Stelle nochmals auf Die Unverbesserlichen verwiesen 285 , deren Aus- strahlung während der Zeit Monks begann (ab 1965) und darüber hinaus bis 1971 fortgeführt wurde.

6.3.8 Stalingrad (NDR, 31. Januar 1963) Die Auseinandersetzung mit der deutschen faschistischen Vergangenheit im NDR wurde auch in Claus Hubaleks Fernsehbearbeitung von Theodor Plieviers Roman Stalingrad fortgesetzt. Regie führte Gustav Burmester. Das Fernsehspiel zeigt aus der Perspektive derer, die Befehle gaben, den Generälen und Offizieren, und Be- fehlsempfängern, den Soldaten, Szenen aus den letzten Tagen des Kampfes der sechsten Armee und deren Scheitern vor Stalingrad im Januar 1943. Obrigkeits- denken, blinder Soldatengehorsam, Kameradschaft und die Sinnfrage des Tötens und Sterbens wurden auf der Befehlsnehmer und –geberseite der Studioproduktion ge- zeigt. Die Hauptrollen spielten Ulrich Haupt in der Rolle des Befehlsführers Generalmajor „Vilshofen“ und Carl Lange, als am Sinn des Krieges zweifelnder, blind geschossener General „Hartwitz“ sowie Hanns Lothar als Soldat „Gnotke“. „Theodor Plieviers Roman Stalingrad gehörte zu den Büchern, die Monk sofort nach der Veröffentlichung gelesen hatte. Eine der frühesten Ideen, die in der Hamburger Fernsehspielabteilung diskutiert wurde, war, zum zwanzigsten Jahrestag der Beendigung der Kämpfe um Stalingrad ein Fernsehspiel nach Plieviers Roman zu zeigen. “286 Die Bearbeitung des Themas führte zu einem Konflikt, den Monk wie folgt beschreibt: „ Um dieses Fernsehspiel gab es heftigen Streit: Mit dem Stellvertreter des Intendanten von Hammerstein; mit einem ehemaligen Offizier, der zu den ‚hervorragenden Nazis´ gehört hatte. Nach der Vorführung kam es ‚zu einem fürchterlichen Krach´ zwischen Herrn von Hammerstein und mir. Der seinerzeitige Generalinspekteur der Bundeswehr, Förtsch, ordnete für den Abend der Aus- strahlung eine Nachtübung an, um so bundesweit zu verhindern, dass die Soldaten die Sendung sehen können. “287

285 Vgl. innerhalb dieser Arbeit unter Kapitel: Die Entwicklung der Hauptabteilung Fernsehspiel. 286 Jenke, Martin: Geschichte des Fernsehens . Fernsehinterview mit Egon Monk 1975. In: NDR- Archivdatenbänke. Die Sendedaten wurden mit mehreren >Nullen< gekennzeichnet, was, auf Nach- fragen im NDR auf >keine< Ausstrahlung hinweist, d. h., das Interview wurde nicht gezeigt. Angabe ungesichert. 287 Egon Monk in: Ebd. 101

6.3.9 Der Prozess Carl von O. (NDR, 12. Februar 1964) Auf Basis von Prozessmaterial erstellte das Autorengespann Maria Matray/Answald Krüger den Prozess Carl von O.. John Olden inszenierte im typischen Fernsehspiel- stil der 1960er Jahre, dessen häufige Nah- und Großaufnahmen der Figuren kenn- zeichnend waren. Carl von Ossietzky 288 war in der Weimarer Republik von 1926 bis 1933 Herausgeber und Chefredakteur der Wochenzeitschrift Die Weltbühne. Der überzeugte Pazifist wurde 1933 unter dem Vorwand des >literarischen Landesver- rates< verhaftet und als >Schutzhäftling Nr. 562< jahrelang festgehalten. Den Friedensnobelpreis, der ihm 1936 verliehen wurde, durfte er nicht entgegennehmen. Er starb 1938. 289 Matray/Krüger zeigen, in zwei Prozessen parallel verhandelt, obrigkeits- gelenkte Gerichtsurteile von 1931. Der SA-Schläger „Gustav Pehlke“ (fiktive Figur, gespielt von Kurt Conradi) wird vom Vorwurf des Mordes an einem politisch Andersdenkenden freigesprochen, von Gesinnungsgenossen auf der Zuschauerbank lautstark unterstützt – der Pazifist „Carl von O.“ (Rolf Henniger) wird des Landes- verrates und der Spionage angeklagt und unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu achtzehn Monaten Haft verurteilt. Im Fernsehfilm tritt Ossietzky die Haftstrafe bewusst an, nachdem ihm und seinem ebenfalls angeklagten Redakteur Jäger die Möglichkeit, das Land zu ver- lassen, nahe gelegt wurde. Ossietzky glaubt damit, die Weltöffentlichkeit auf die Ungerechtigkeiten unter dem zunehmenden nationalsozialistischen Einfluss in Deutschland, Anfang der 1930er Jahre, aufmerksam zu machen. Das wirkliche Ende Ossietzkys, der durch Krankheit und die willkürlich verlängerte Haft geschwächt starb, erzählt der Film nicht. Der Schwerpunkt der Geschichte liegt auf dem „ bereit- willigen und bequemen Opportunismus der Justiz “290 gegenüber einer freien Publizistik und ihrer Vertreter. Nur kurze Zeit nach Ende der Adenauer-Ära in der Bundesrepublik entstand hiermit ein Fernsehspiel, dessen Nähe zur >Spiegel-Affäre< von 1962 um den Herausgeber Rudolf Augstein, der am 26. Oktober 1962 unter dem Vorwurf des

288 Carl von Ossietzky, geb. 3.10.1889 in Hamburg, gest. 4.5.1938 in Berlin 289 Vgl. u.a.: Goral-Sternheim, Arie: Der Hamburger Carl von Ossietzky und das Gewissen einer Stadt . In: Veröffentlichung der Landeszentrale für politische Bildung, Hamburg 1989. C. v. O. wurde zweimal in der Weim. Rep. durch Gerichte zu Gefängnisstrafen verurteilt, da er als polit. Journalist die geheime Aufrüstung der Armee aufdeckte. Im sog. 3. Reich wurde niemals offiziell Anklage gegen ihn erhoben, noch fand ein Prozess mit rechtskräftiger Verurteilung statt. Die >Notverordnung< machte es den Nazis möglich, jeden Menschen ohne Begründung und so lange sie wollten festzu- setzen. 290 U.J.: Der Prozess Carl von O. In: Süddeutsche Zeitung, 14.2.1964 102

>publizistischen Landesverrates< verhaftet wurde, deutlich wurde. Sowohl Ossietzky als auch Augstein hatten in ihrer Eigenschaft als zuständige Leiter einer Zeitschrift, Artikel ihrer Redakteure über angeblichen militärischen Geheimnisverrat zu ver- antworten. Die Durchsuchung der Hamburger Redaktionsräume und die Verhaftung Augsteins und seines Redakteurs Conrad Ahlers wegen des Vorwurfs der Be- stechung hoher Bundeswehroffiziere und Geheimnisverrat löste in der Bundes- republik eine Protestwelle für die Pressefreiheit aus. Während der >Spiegel-Affäre< war wiederholt an den >Fall Ossietzky< erinnert worden. Die Unterdrückung einer freien Presse durch die Nationalsozialisten und die Verhaftung von Redakteuren in der Bundesrepublik, dreißig Jahre später, hatten heftigen Widerstand in der Bevölkerung hervorgerufen. So kommt ein Fernseh- kritiker des Films zu dem Fazit: „ Es bleibt die Anerkennung für eine Sendung (des NDR Hamburg), die neben einer gewissen Aktualität die beispielhafte Bedeutung einer wachsamen Publizistik klargemacht hat. “291 Neben Würdigung schauspielerischen Könnens: „ Die Figuren, ausnahmslos hervorragend besetzt “ und der Erkenntnis: „ Nicht die Intellektuellen und linken Kritiker der Republik brachten Hitler hervor, sondern die vermeintlichen Verfechter, die opportunistischen Mitmacher “ kommt der Kritiker der Frankfurter Rundschau zur abschließenden Beurteilung über das Fernsehspiel: „ Es ist gut, dass es solche aufklärenden Sendungen gibt. Denn die alten deutschen Vorurteile gegen die intellektuellen Kritiker, gegen vermeintliche ,Nestbeschmutzer’ und zivile Skeptiker gegen militärische Machtentfaltung sind längst nicht überwunden. “292

6.3.10 An der schönen blauen Donau (NDR, 14. Januar 1965) Während in den 1950er Jahren aus Mangel an genuinen Stoffen für das Fernsehspiel dramatische und epische Vorlagen genutzt wurden, wurde die Aufbereitung historischer Thematik im Fernsehspiel zur Grundlage der Stoffwahl zu Beginn der 1960er Jahre. „ Durch seine Hinwendung zu historischen Themen stand dem Dokumentarspiel der schier unerschöpfliche Raum der Geschichte als >Steinbruch< zur Verfügung. (…) Der Rückgriff auf historische Ereignisse, vornehmlich Sensationsprozesse, politische Affären, Spionagefälle, auf die Biographien

291 E.J.: Abgründige Welt . In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.2.1964 292 Ossietzky und die Teufelsspur . In: Frankfurter Rundschau, 19.2.1964 103 politischer oder militärischer Berühmtheiten, von Anarchisten, Attentätern usw. ver- sprach hier genügend Material. “293 Dabei stand der Bildungs- und Aufklärungsanspruch des Dokumentarspiels als spezifische Variante des Fernsehspiels im Vordergrund. Auch das Fernsehspiel, mit dem harmlos-unterhaltsam klingenden Titel An der schönen blauen Donau , sollte alles andere als unterhaltsam sein. Ansinnen des Films des Österreichers Franz Hiesel (Regie führte der gebürtige Österreicher John Olden) war es, die Voraus- setzungen und die Umstände des Putsches, bei dem der österreichische Bundes- kanzler Engelbert Dollfuß ermordet wurde, aufzuzeigen. Hier wurde ein historisches Ereignis nachgezeichnet, das den frühen Versuch der Nationalsozialisten zeigte, Österreich über eine innere Gleichschaltung der Machtbesetzung an >das Reich< anzugliedern. Am 25. Juli 1934 versuchten die österreichischen Anhänger des Nationalsozialismus, Österreichs Regierung zu stürzen. Der Putsch scheiterte und Benito Mussolini ließ von italienischer Seite her Truppen am Brenner aufmarschieren, um sein (damaliges) Interesse an der Un- abhängigkeit der Alpenrepublik zu demonstrieren. 294 Das Fernsehspiel An der schönen blauen Donau beleuchtet die Vorstufen zu den kommenden Ereignissen und Katastrophen faschistischer Jahre in Deutschland und Europa und wurde am historischen Schauplatz in Wien gedreht. Der Kritiker der Neuen Zürcher Zeitung urteilte: „Das Fernspiel Franz Hiesels hat diese Ereignisse als Hintergrund für die Schilderung der politisch zer- rissenen Atmosphäre im Wien der dreißiger Jahre benützt. Die tragende Story, die Freundschaft zwischen der Tochter [Christiane Hörbiger/S.B.] eines Sozialdemo- kraten [Attila Hörbiger] und dem nationalsozialistisch eingestellten Sohn [Hans Peter Musäus/S.B.] eines hohen Heimwehrführers 295 [Erik Frey/S.B.], erweist sich zwar als etwas dünn. Das Stück erhält sein Leben hauptsächlich von den prägnant charakterisierten Einzelpersonen und Gruppen; besonders gelungen ist dabei die in krassem Gegensatz zum sprichwörtlichen österreichischen Charme stehende Brutali- tät der nationalsozialistischen Wiener Putschisten. (…) Alles in allem: es war ein Fernsehspiel, das ausgezeichnet das Klima des hoffnungslos in einer Sackgasse an-

293 Zit. n. Hickethier, Knut: Fiktion und Fakt. Das Dokumentarspiel und seine Entwicklung bei ARD und ZDF. In: Kreuzer, Helmut; Prümm, Karl (Hrsg.): Fernsehsendungen und ihre Formen. Typologie, Geschichte und Kritik des Programms in der Bundesrepublik Deutschland. Stuttgart 1979, S. 54 294 Vgl. u.a.: Becker, Marie-Luise: Vom Revisionismus zur Großmachtstellung. Deutsche Außenpolitik 1933 bis 1939 . In: Bracher, Karl-Dietrich; Funke, Manfred; Jacobsen, Hans-Adolf (Hrsg.): Deutsch- land 1933 bis 1945. Neue Studien zur nationalsozialistischen Herrschaft . Bonn 1992, S. 315-330 295 Die schweizerische Bezeichnung >hoher Heimwehrführer< entspricht dem Rang eines Obersten. In: NDR (Hrsg.): Fernsehspiele im Winter 1964/65, S. 12. 104 gelangten, innenpolitisch durch Arbeitslosigkeit und Parteienharder gelähmten und außenpolitisch isolierten Osterreich der dreißiger Jahre schilderte, das 1938 schließlich eine leichte Beute der Aggressionspolitik Hitlers wurde. “296

6.3.11 Die Kette an deinem Hals (NDR, 24. Februar 1965) Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges setzte eine starke Flüchtlingswelle aus den sowjetisch besetzten Gebieten Richtung Westen ein. Auch nach Gründung der DDR, am 7. Oktober1949, riss der Flüchtlingsstrom nicht ab. Er stieg in den 1950er Jahren weiter an. Die meisten kamen über die Berliner Sektorengrenze. Der Bau der Mauer, am 13. August 1961, der den Exodus der DDR-Bevölkerung und damit den öko- nomischen Kollaps der DDR mangels arbeitsfähiger Menschen verhindern sollte, führte zum unerlaubten Verlassen der DDR, der so genannten >Republikflucht<. Von 1949 bis zum 13. August 1961 flohen 2.600.000 Menschen aus der DDR; nach dem Mauerbau bis zu deren Fall 1989 etwa 72.000. Fast 1000 Menschen kamen dabei ums Leben. 297 Mauerbau und Flucht waren in den 1960er Jahren ein hoch aktuelles Thema in Westdeutschland, sowohl privat als auch in Politik und Medien. Viele Menschen hatten Verwandte und Freunde in der DDR, Familien waren getrennt worden. Der Anlass, privater, wirtschaftlicher und politischer Gründe als Motiv für den ver- botenen Wechsel in den Westen und seines Erfolges bzw. Scheiterns, zog auch eine unterschiedliche Herausarbeitung des Themas im Fernsehspiel nach sich. Dabei wurde das >Fluchtmotiv< in mehreren Varianten gezeigt: „Grundsätzlich differenziert sich die >Flucht< aus der DDR in drei Variationen aus: Die >abzuwägende Flucht<, aber verworfene Flucht, die an Hand der Motivationen der Protagonisten vorgeführt werden kann (>Besuch aus der Zone<, SDR 1958). Die >geglückte< Flucht, die dann auch eine Auseinandersetzung mit dem >Goldenen Westen< und dem Gegensatz Ost-West beinhaltet (Gerhard Langhammer und die Freiheit, NDR 1967) sowie die >gescheiterte Flucht<, die meist mit dem Tode des Flüchtlings, zumindest aber seiner Verhaftung endet. (>Sonderurlaub<, ZDF 1963). “298

296 ac.: An der schönen blauen Donau. In: Neue Zürcher Zeitung, 17.1.1965 297 Übereinstimmende Zahlenangaben aus unterschiedl. Quellen, u. a. in: >Zentrale des Terrors.< Fernsehdokumentation über Stasi-Gefängnisse. MDR, 10.11.2004. 298 Vgl. Hickethier, Knut: Deutsche Verhältnisse im Fernsehfilm. Die Herstellung der Einheit als Aufgabe im Fernsehfilm und ihre Analyse als Aufgabe eines Projekts. In: Universität Siegen, DFG- Sonderforschungsbereich (Hrsg.): Deutsche Verhältnisse. Beiträge zum Fernsehspiel und Fernsehfilm in Ost und West. Siegen 1993, Arbeitshefte Bildschirmmedien, Nr. 41, S. 7-32 105

Als eines der ersten Fernsehspiele des Ost-West-Genres, noch vor dem Mauerbau, gilt das o. g. Besuch aus der Zone . Die Hörspieladaption von Dieter Meichsner/Helmut Pigge löste nach seiner Ausstrahlung einen politischen Eklat im Bundestag aus, weil es „ sich nicht an das übliche Wertungsschema in der Ost-West- Problematik hielt und auch die im Westen lebenden Menschen als eigennützig und zum Teil skrupellos aus eigenen Interessen handelnd zeigte “. 299 Das Schema >Gut gegen Böse, gleich West gegen Ost< funktionierte nicht im Fernsehfilm Meichsners, in dem die habgierigen Vertreter westdeutscher Wirt- schaftsinteressen gegen den ostdeutschen Hersteller einer Chemiefaser und sein Ver- antwortungsgefühl gegenüber seinen Mitarbeiter in der DDR gestellt wurden. Die Darstellung zweier ehemaliger Kompagnons, von denen der eine im Westen integriert lebt und der andere am Ende des Films freiwillig in die DDR zurückreist, wurde, vor dem politischen Hintergrund des >Kalten Krieges<, als Propaganda für den Osten empfunden und gipfelte in einer Diskussion im Bundestag. Die massive Kritik des damaligen Bundestagsabgeordneten der CSU, Friedrich Zimmermann, und des damaligen CDU-Innenministers, Gerhard Schröder, am Intendanten des aus- strahlenden Senders, Fritz Eberhard vom Süddeutschen Rundfunk, wurde jedoch durch den Rundfunkrat abgefedert, der sich hinter Eberhard stellte und die Aus- strahlung nicht beanstandete. Mit dem Fernsehspiel Die Kette an deinem Hals aus dem Genre der >Ost- West-Filme<, bei dem Claus Peter Witt Regie führte, wird ein Fall von Republik- flucht und das Leben danach in der BRD behandelt. Die Fernsehbearbeitung schrieb Claus Hubalek nach dem autobiographischen Roman von Ute Erb. Am Beispiel der siebzehnjährigen Schülerin Gudrun Flach (Gertraud Heise), die eine typische DDR- Jugend als aktives Mitglied der FDJ erlebt, wird der Konflikt der Anpassung inner- halb der Familie und der Gesellschaftssysteme im Osten und im Westen Deutsch- lands erzählt. „Zwei Zitate aus dem Text des Buches erläutern den Titel und geben einen Hinweis auf den Inhalt dieser Bekenntnisse: ‚Mein Kind, gehorche der Zucht deines Vaters und verlass´ nicht das Gebot deiner Mutter. Denn solches ist ein schöner Schmuck deinem Haupt – und eine Kette an deinem Hals.´ (Sprüche Salomos) und:

299 Zit. n. Hickethier, Knut: Das Fernsehspiel der Bundesrepublik. Themen, Form, Struktur. Theorie und Geschichte 1951-1977. Stuttgart 1980, S. 267 106

‚Die Proletarier haben nichts zu verlieren als ihre Ketten; sie haben eine Welt zu gewinnen.´(Kommunistisches Manifest). “300 Die Teilung Deutschlands und die damit verbundenen Lebensumstände Heranwachsender wurde in der darstellerischen Leistung und Umsetzung durch die Regie von der Kritik als „ durchaus glaubhaft “301 empfunden und der Beitrag zur >Ost-West-Problematik< im Fernsehspielprogramm des NDR positiv beurteilt: „Insgesamt: wieder einmal eine erstklassige Arbeit aus der NDR-Fernsehwerkstatt von Egon Monk .“302

6.3.12 Ende einer Saison (NDR, 7. April 1965) Ein Beispiel einer fiktiven Geschichte, angesiedelt im Zweiten Weltkrieg, ist der Fernsehfilm Ende der Saison nach der Erzählung Die Auferstehung von Jakov Lind. Der jüdische Autor, 1927 in Wien geboren, ging 1938 nach Holland und überlebte den Krieg mit gefälschten Papieren. 1962 erschien sein Erzählband >Eine Seele aus Holz<, in dem auch die genannte Geschichte enthalten ist. 303 Der Fernsehfilm Ende der Saison schildert das notgedrungene Zusammen- leben zweier sich völlig fremder Juden in einer winzigen Dachkammer, die ihnen als Versteck diente – und letztlich beide doch nicht vor der Deportation in ein Ver- nichtungslager schützte. Die Not der Flucht und des Verbergens, wie sie diese Geschichte schildert und so oder ähnlich tausendfach im Nationalsozialismus vor- kam, ist ein eindringliches Beispiel für Glaube, Hoffnung und Tod. Der NDR ge- wann den niederländischen Regisseur Theun Lammertsee auch für die deutsche In- szenierung. Lammertsee hatte das Fernsehspiel zunächst für das holländische Fern- sehen nach der dramatischen Erzählung Linds inszeniert. 304

6.3.13 Das Traumhaus (NDR, 17. Juli 1965) Die Zeit der so genannten Wirtschaftswunderjahre in der Bundesrepublik brachte nach den Entbehrungen des Krieges und des Wiederaufbaus auch den Wunsch nach Haus- und Grundbesitz mit sich. Mit der Sehnsucht nach einem eigenem Haus, den damit verbundenen Hoffnungen, Sorgen und Enttäuschungen, beschäftigten sich

300 In: NDR (Hrsg.): Fernsehspiele 1965, S. 14 301 W.K.: Die Kette an deinem Hals . In: Hamburger Abendblatt, 18.10.1965 302 Der Blick zurück . In: Landeszeitung Lüneburg, 19.10.1965 303 1962 im Luchterhandverlag, Neuwied. Unveränderter Nachdruck 1984 im Carl Hanser Verlag, München. 304 In: NDR (Hrsg.): Fernsehspiele im Winter 1964/65, S. 14 107

1965 in kurzer Folge nacheinander zwei Fernsehspiele: Das Traumhaus und Die eigenen vier Wände. Im Traumhaus von Willy Purucker, Regie: Gustav Burmester, wird das lebenslange mühsame Ansparen auf einen Lebenstraum, das eigene Haus, durch den Aberwitz eines unerwarteten Lottogewinns zu einer Sinn entleerenden Lebens- führung degradiert. Der alternde Postbeamte „Hans Kressmann“ (Karl Heinz Schroth), Sonntag für Sonntag mit dem Modellbau seines Traumhauses beschäftigt, wird durch einen „ hässlichen Glücksfall “305 seines Lebensinhaltes beraubt. Seine Frau „Marie“ (Elisabeth Kuhlmann) gewinnt auf einen Schlag eine halbe Million Mark. Kressmann hingegen hat sein halbes Leben jeden Pfennig auf die Seite gelegt, um sich eines Tages seinen Traum erfüllen zu können. Am Ende des Films zerstört „Kressmann“ sein kleines Modellhaus, denn „ mit einer halben Million in der Tasche träumt man anders “. 306 Der jahrelange Verzicht auf die kleinen und größeren An- nehmlichkeiten des Lebens war selbstverständlich für „Kressmann“. Der große Ge- winn etwas, womit er nicht umgehen kann. Die schauspielerische Leistung Karl Heinz Schroths in der Verkörperung des kleinen Mannes mit einem großen Lebenstraum wurde als „ ohne Pathos und gerade deshalb glaubwürdig “307 empfunden. „ Man glaubte es Schroths Kressmann, dass er glücklich war, solange er sparen musste. (…) Für ihn wäre es besser gewesen, der Dukatenesel wäre nicht vor seine Tür gekommen. “308

6.3.14 Die eigenen vier Wände (NDR, 8. August 1965) Lange vor den >Semmelings< 309 konnte sich so mancher Bundesbürger in Curth Flatows Die eigenen vier Wände , Regie: Wolfgang Glück, als >Häuslebauer< auf dem Bildschirm wieder erkennen. Humoristisch und durchaus kritisch gesehen wurde der Bundesbürger der sechziger Jahre persifliert. Anders als im Traumhaus wurde nicht die untere Mittelschicht, sondern der Typus >gehobener Mittelstand< in Verkörperung des promovierten Schriftstellers „Dr. Martin Bernhard“ (René Deltgen) und seiner Familie gezeigt. Inge Meysel als „Lotti Bernhard“ spielte in diesem Fernsehspiel ihre Paraderolle als resolute Mutter (der Nation), die sie be- sonders durch ihre Rolle in den Unverbesserlichen bekannt machte. Als treibende

305 In: NDR (Hrsg.): Fernsehspiele 1965, S. 6 306 T.P.: Das Traumhaus. In: Badische Neueste Nachrichten, 24.7.1965 307 E.-G. R.: Das Traumhaus. In: Gong, Funk- und Fernsehwelt, Nr. 32, 7.8.1965 308 Ebd. 309 Dreiteiliges Fernsehspiel um den Bau eines Eigenheims von Dieter Wedel: > Einmal im Leben< , NDR 1972 108

Kraft der Familie Bernhard nimmt sie das >Unternehmen Hausbau< in Angriff, während ihr Mann sich bei Schwierigkeiten in seine Schriftstellerei flüchtet und die drei Söhne schon mal aufbegehren. Am Ende erreicht sie jedoch ihr Ziel: Die eigenen vier Wände. Die >Hannoversche Allgemeine Zeitung< sah in diesem Fernsehspiel einen „Silberstreif am Horizont “, da das Spiel aus dem Leben der Bundesbürger gegriffen schien und so „ der Fernsehkonsument, der so lange auf das von einem deutschen Autor der Gegenwart für das Medium Fernsehen geschriebene, die Gegenwart be- handelnde Spiel gewartet hat, seine Geduld belohnt sah. “310

6.3.15 Standgericht (NDR, 13. Oktober 1966) Zur weiteren Aufbereitung der jüngsten Vergangenheit trug wieder ein Fernsehspiel von Matray/Krüger bei: Standgericht . Grundlage der Stoffgebung waren Prozess- unterlagen und Zeitungsberichte dreier Kriegsverbrecherprozesse und seiner Hinter- gründe. Regie führte in diesem Fernsehfilm Rolf Busch. Die Hauptrollen spielten als Staatsanwalt: Wolfgang Kieling, als vorsitzender Richter: Heinz Giese, als Ver- teidiger: Heinz-Theo Branding, Elert Bode und Friedrich Schütter. Die Angeklagten spielten P. Walter Jacob, Willy Berling und Tilo von Berlepsch. Diesmal ging es um den sinnlosen Einsatz von Hitlerjungen gegen die an- rückenden Alliierten in den letzten Kriegstagen und deren >Rettung durch Ent- waffnung< von Seiten einiger couragierter Zivilisten. Ihren Mut zahlten diese letzt- endlich mit dem Tode. Noch kurz vor Kriegsende, am 10. April 1945, wurden sie hingerichtet. Mehr als zehn Jahre nach diesen Ereignissen, am 23. April 1955, kam es zum ersten Prozess gegen die Hauptverantwortlichen, die am Ende der Ver- handlungen, im Oktober des Jahres, freigesprochen wurden. In einem Revisions- prozess der Staatsanwaltschaft von 1958 wurden die drei Angeklagten, ehemalige Angehörige der Waffen-SS, erneut von jeder juristischen Verantwortung frei- gesprochen. Erst der dritte Prozess endete im Juli 1960 mit der Verurteilung eines der Angeklagten zu dreieinhalb Jahren Gefängnis. Die anderen beiden wurden erneut freigesprochen. Am Beispiel dieser authentischen Geschichte wurde hier ein Fernsehspiel geschaffen, das das >Davonkommen< vieler Nazi-Schergen nach dem Krieg auf- zeigt. Ein unbequemes Stück, das durchaus an das Gewissen rührte und nicht immer

310 Müller-Fehn, Gert: Silberstreif am Bildschirm-Horizont. In: Hannoversche Allgemeine Zeitung, 13.8.1965 109 auf Verständnis stieß. Bei einer Sehbeteiligung von 26 Prozent stellt Infratest einen positiven Urteilsindex von +4 fest, doch gab es nicht nur zustimmende Kritik von Seiten der Zuschauer. 18 Prozent der Zuschauer waren der Ansicht: „ Nun lasst doch endlich die Vergangenheit ruhen! “ Infratest stellte jedoch ergänzend fest: „ Doch nicht immer war diese Meinung auch mit einem negativen Urteil verbunden. Oftmals war die Erschütterung über die Vorfälle oder der Eindruck, ‚die Wahrheit´ gesehen zu haben, doch stärker positiv wirksam. “311 In die gleiche Reihe der Prozess verarbeitenden Dokumentarspiele gehört auch das im selben Jahr ausgestrahlte Fernsehspiel Die Ermittlung (NDR 29.3.1966) über den lang andauernden Auschwitz-Prozess von 1963 bis 1966 gegen Angehörige des SS-Aufsichtspersonals im Vernichtungslager Auschwitz. Der Autor, Peter Weiss, hatte den Prozess und seine Hintergründe (neben den Aufsehen erregenden Nürnberger-Prozessen von 1945/46 der zweite große Nazi-Prozess) zuvor bereits in einer dramaturgischen Fassung verarbeitet. Das Theaterstück gehört zu den erfolg- reichsten deutscher Nachkriegsaufführungen.

6.3.16 Zuchthaus (NDR, 25. Mai 1967) Dem Fernsehfilm Zuchthaus von Claus Hubalek nach dem Roman Die bestrafte Zeit von Henry Jaeger lagen ebenfalls authentische Begebenheiten zugrunde. 1956 über- fiel Jaeger mit zwei Komplizen eine Rentenzahlstelle der Bundespost in Frankfurt. Die Beute betrug 79.000 DM, die Täter wurden gefasst. Jaeger wurde zu zwölf Jahren Zuchthaus verurteilt und nach acht Jahren entlassen. 312 Zuchthaus ist ein Fernsehspiel aus der Reihe der Gegenwartsproblematik der Bundesrepublik, die einen immer größeren Anteil an der Fernsehspielthematik ab Mitte der 1960er Jahre einnahm. Die von Koebner festgestellte Hauptthematik im Fernsehspiel dieser Zeit beinhaltete u. a. die kritische Beschäftigung mit sozialen Randgruppen, zu denen auch Strafgefangene gehörten.313 In Zuchthaus werden Zustände aufgezeigt, die den Haftbedingungen der Vor- kriegs- und Kriegsjahre nahe waren. Nicht die Resozialisierung der Verurteilten war das Ziel der Haft, sondern Verwahrung und reibungslose Eingliederung in den Ge- fängnisalltag. Buch und Film beschreiben einen konservativen Strafvollzug. Straf- vollzugsbeamte personifizieren das strenge Reglement der Zuchthäuser. Unter ihnen

311 Infratest-Angaben vom 13.10.1966 312 Alle Angaben in: Bütow, Thomas: Reformideen hinter Gittern. In: Sonntagsblatt, 23.4.1967. 313 Vgl. Koebner, Thomas: Das Fernsehspiel – Themen und Motive. In: Rüden, Peter von (Hrsg.): Das Fernsehspiel. Möglichkeiten und Grenzen. München 1975, S. 20-65. Siehe auch innerhalb dieser Arbeit unter Kapitel: Typologiebildung und Genreausbildung. 110 sind Männer, die schon im Nationalsozialismus Dienst taten, wie der Gefängnisarzt „Obermedizinalrat Groth“ (Heinz-Theo Branding). Mitgefühl für die Gefangenen ist jedoch im Verhalten des älteren Beamten „Rübsam“ (Robert Lossen) erkennbar. Er hat als Vollzugsbeamter selbst vierzig Jahre hinter Gittern verbracht. Der Inszenierungsstil des Regisseurs Rolf Hädrich im Fernsehspiel Zuchthaus ist ein Beispiel für Egon Monks stilbildender Wirkung auf andere Fernsehspiel- produktionen. Der Motivähnlichkeit einiger Szenen in Zuchthaus entsprechen Szenen aus Monks eigenem, zwei Jahre zuvor gesendeten Fernsehspiel Ein Tag über ein Konzentrationslager. 314 Es lassen sich Parallelen zum administrativen Ablauf des Gefängnisalltags zu jenen im Konzentrationslager erkennen. Die Ankunft neuer In- sassen in einem Bus, die Übergabeformalitäten mit Abzeichnung etlicher Papiere durch das Aufsichtspersonal sowie das Einkleiden in Anstalts- respektive Lager- kleidung und das Scheren der Haare sind Übertragungen eines Lageralltags der 1930er/1940er Jahre in die 1960er Jahre der Bundesrepublik. Hädrich nutzte >Schwarz-Weiss-Effekte< der grafisch wirkenden Muster eines Gefängnisgeländers zu Bildern mit harten Kontrasten. Die Kamera fährt am endlos langen Gang entlang, in dem die Menschen, Insassen und Personal gleicher- maßen einsam wirken. Die immer wieder eingesetzten Großaufnahmen der Gesichter zeigen die Gefühle der Protagonisten und erzeugen ein Mitfühlen des Zuschauers, eine Empathie in die Figuren. Dies wird besonders deutlich in den verschiedenen Zellenaufnahmen des Hauptdarstellers, Vadim Glowna, der den Häftling „Robert Labitzke“ spielt. Die Kamera folgt ihm beim Zusammenkauern im Bett, dem Ver- such ein Stück Himmel durch das kleine Fenster zu sehen und beim Lesen von Sprüchen, die namenlose Häftlinge an den Wänden hinterließen. Die Kameraführung lässt den Zuschauer die Dinge mit seinen Augen sehen. Er nimmt jeden Gegenstand in Augenschein: Blechtasse und Blechlöffel, die Waschschüssel, von der ein Stück Emaille abgeplatzt ist, das Brett mit dem Stück Kernseife, die Hausordnung. In Glownas /„Labitzkes“ Gesicht spiegeln sich Einsamkeit, Ausgeliefertsein, Wut und später auch Resignation wieder. Der Film zeichnet die Haftzeit des wegen verschiedener Raubüberfälle zu zwölf Jahren Zuchthaus verurteilten Mannes nach. Er stellt die Jahre seiner Aufsässigkeit dar, bis zum gebrochenen Mann, der nur noch im Gefängnis glaubt existieren zu können. „Labitzke“ kann sich in den ersten Jahren nur schwer in den Haftalltag einfügen. Seine Aufsässigkeit wird jedoch hart bestraft.

314 Auf Monks eigene Fernsehspiele wird in einem gesonderten Kapitel innerhalb der vorliegenden Arbeit eingegangen. Die Vorwegnahme einer Anmerkung über die Stilbildung Monks erscheint im Zusammenhang mit >Zuchthaus< jedoch unumgänglich. 111

Arrestzelle, jahrelange Einzelhaft und der gefürchtete >Schweigehof<, bei dem es dem Häftling generell verboten ist zu sprechen, einem Gefängnisrelikt aus dem 19. Jahrhundert, sind die Folge. Die Verlegung in eine Gemeinschaftszelle und die Be- schäftigung durch Arbeit nach einem Hungerstreik verbessern seinen depressiven Zustand zwar, doch besiegelt die Bekanntschaft mit zwei anderen Häftlingen auch „Labitzkes“ Werdegang. Der gemeinsam durchdachte Fluchtplan wird in die Tat umgesetzt, doch nur der Ausbrecher „Bleich“ (Eberhard Fechner) vermag die Flucht allein fortzusetzen. „Labitzke“ und sein verletzter Freund „Fürst“ (Wolfgang Schwalm) stehen weder die Strapazen der Flucht durch, noch sind sie psychisch in der Lage, die Freiheit zu nutzen. Sie geben auf, werden ins Zuchthaus zurück- gebracht, geschlagen und voneinander isoliert. Im Roman endet „Labitzke“ in geistiger Umnachtung, in der Verfilmung liegt er zusammengeschlagen auf seiner Pritsche, sein weiteres Schicksal wird nicht gezeigt. Die Hamburger Justizbehörde erteilte für diesen Film die Erlaubnis in der real existierenden Strafvollzugsanstalt Fuhlsbüttel zu drehen, „obwohl ausdrücklich be- tont wurde, dass damit kein bedingungsloses Ja zum Drehbuch gesagt sei. Diese liberale Einstellung beweist, dass auch den Verantwortlichen für Gefängnisse und Zuchthäuser nicht immer ganz wohl in ihrer Haut ist, wenn die Problematik des Strafvollzuges zur Diskussion gestellt wird. Die NDR-Fernsehspielabteilung hat mit ‚Zuchthaus´ ein heißes Eisen angefasst “. 315 Der Regisseur und das 230 Mann starke Filmteam, inklusive Komparsen, belegten eine freie Etage des Gefängnisses. Sie durften jedoch nur nach einem Zeit- plan drehen, „ wenn die regulären Haus-Insassen der Arbeit nachgingen. Zum Mittagessen und nach Zuchthaus-Feierabend musste der Aufnahme-Apparat ver- schwinden, das ,Zuchthaus-Team’ wurde von Originalwärtern abgezählt und vom Drehort entlassen “. 316 Trotz der Nähe zur Realität war das Hamburger Gefängnis nicht das Zucht- haus Henry Jaegers: WC statt Kübel, „Labitzkes“ Haarschnitt entsprach auch nach dem Scheren noch Normallänge statt dem Kahlschlag, den Jaeger erfuhr. Seiner Forderung nach einer kahlen Arrestzelle wurde ebenso wenig entsprochen wie der Drehgenehmigung für die Ausbruchsszene. Beide Szenen wurden im Studio Hamburg gedreht.

315 Hallerbach, Walter: Strafe muss sein – aber muss Strafe so sein? In: Lübecker Nachrichten, 21.5.1967 316 Team im Knast. In: Der Spiegel, 22.5.1967 112

„Ohnehin wurden die Filmer in Fuhlsbüttel mit Misstrauen betrachtet – von Belegschaft und Aufsichtspersonal. So entdeckten echte Häftlinge bei den NDR- Gefangenen Armbanduhren, die in Wirklichkeit abgeliefert werden müssen. Die wilde Schreierei der Film-Wärter empfanden sie als „Theater“. Strafanstalts- Direktor Hermann Hörnemann, 53, entschied nach den Dreharbeiten: „Ein zweites Mal würde ich das nicht machen. So sieht es ja eben nicht aus. “317 Nach Ausstrahlung von Zuchthaus setzte eine breite Diskussion über Reformen des Strafvollzugs in Deutschland ein. Um die Identifizierung des Drehorts zu erschweren, verbot Hörnemann vorab die Nennung seines Hauses im Abspann. Henry Jaeger, der die tatsächlichen Zustände abgemildert dargestellt sah, sagte zu seiner Intention in einem Interview: „ Es ist höchste Eisenbahn, dass sich an den üblen Zuständen in den deutschen Strafanstalten etwas gründlich ändert. Das war mein Hauptanliegen. Dem deutschen Fernsehzuschauer wird allerhand zu- gemutet. Manchem wird es dabei eiskalt über den Rücken laufen. Aber das tut sicher nur gut .“ 318 Der Kritiker von Film urteilte über den Fernsehfilm aus Egon Monks Fern- sehspielabteilung: „ Es ist nicht das erste Stück aus Egon Monks Hamburger Drama- turgie, das so nachdrücklich auf alltägliche Aktionen schaut… “319 Am Tage der Ausstrahlung von Zuchthaus , am 25. Mai 1967, erschien der Ausschnitt einer Rede Monks vor Mitgliedern des >Hamburger Presseclubs< und der >Neuen Literarischen Gesellschaft<, in dem er seine Fernsehspielarbeit als einen Prozess darstellte, der als Ergebnis bewusster Entscheidungen die Beeinflussung des Publikums „ in einem bestimmten Sinne “320 anstrebte. Dies führte er mit folgenden Worten aus: „Wissend, dass 10 bis 15 Millionen Menschen einem Fernsehspiel zusehen, die der Tradition verhaftet sind, der Obrigkeit mehr zu glauben als sich selber – wissend, dass die Gleichgültigkeit des einzelnen sich selbst gegenüber groß ist, wollten wir immer Zweifel höher setzen als den Glauben, um die Urteilsfähigkeit zu schärfen, um aufzufordern, sich um seine Angelegenheiten zu kümmern. Wenn diese Absicht gelänge, sei der Zweck einer Fernsehspielinszenierung erfüllt. Wer die ab-

317 Ebd. 318 Henry Jaeger in: Galweit, George M.: Henry Jaeger über seinen Fernsehfilm: Ich habe gewiss nicht übertrieben. In: Kölner Stadtanzeiger, 12.4.1967 319 Kließ, Werner: Egon Monks Hamburger Dramaturgie. Das Fernsehspiel „Zuchthaus“, inszeniert von Rolf Hädrich, produziert von Egon Monk. In: Film 1967, Nr. 6, S. 38-39 320 fc.: Mit dem Fernsehspiel beeinflussen . In: fff-Courier. Nr. 25, 25.5.1967 113 sichtliche Beeinflussung unterlasse, beeinflusse dennoch – er fördere die Kritiklosig- keit des Publikums, sein Desinteresse an der eigenen Sache. “321

6.3.17 Zwischen Samstag und Montag (NDR, 25. Juli 1967) Am 25. Juli 1967 zeigte der NDR den synchronisierten japanischen Film Zwischen Samstag und Montag von Koichi Otsu. Die Regie führte Tsutomu Konno. Vor dem Hintergrund der olympischen Sommerspiele in Tokio 1964 werden die verdrängten Schuldgefühle japanischer Kriegsteilnehmer zum Thema. Am Beispiel eines japanischen Arztes, „Dr. Muroi“ (Hideo Takamatsu/ Synchronisation: Rolf Boysen) und ehemaligen Kampffliegers, der durch einen fehl- geleiteten Bombenangriff den Tod vieler japanischer Zivilisten zu verantworten ge- habt hätte, wird die zufällige Aufdeckung der Schuld zwanzig Jahre später zur Aus- einandersetzung mit der Verantwortlichkeit. Die freudige Atmosphäre der Olympiade und der zehnte Hochzeitstag als Anlass eines geselligen Beisammenseins werden für die Ehefrau des Arztes, „Nobuko“ (Yoko Minamida/Synchronisation: Renate Heilmeyer), die Erkenntnis bringen, dass ihr Mann schuld am Tod ihrer ganzen Familie ist. Die eigene Schuld verdrängend, ist der Arzt jedoch nicht in der Lage, seine fliegerischen Fähigkeiten als Kamikazepilot zu leugnen und seine >Erfolge< einem anderen zu gönnen. „ Langsam kehrt dem Arzt am folgenden Tag die Erinnerung an die damaligen Ereignisse zurück. Wie das Ehepaar nun Miteinander weiterleben wird, bleibt offen. “322 1965 erhielt Koichi Otsu für seinen Film in Florenz den Film- preis >Prix Italia<. 323

6.4 Zusammenfassung Monks Suche nach Erneuerung im Fernsehspiel beinhaltete vor allem eine Orientierung an zeitgemäßen Stoffen und eine Abkehr von Adaptionen. Aus einem Mangel an eigens für das Fernsehen geschriebenen Stoffen heraus, gab es in Monks Fernsehspielgestaltung jedoch auch Theater-, Literatur- und in geringem Maße auch Hörspieladaptionen. Er richtete innerhalb seiner Redaktion ein Lektorat ein, das ständig auf der Suche nach geeigneter Gegenwartsthematik war. Geschichten, die im privaten, emotionalen Konfliktbereich angesiedelt waren, interessierten Monk dabei

321 Egon Monk in: Ebd. 322 NDR (Hrsg.): NDR-Fernsehspiele 5/67: Zwischen Samstag und Montag 323 Ebd. 114 wenig. Vielmehr waren Monk und seine Mitarbeiter an zeitgeschichtlicher Thematik interessiert, die versuchte, Hintergründe und Zusammenhänge erkennbar werden zu lassen. Das Lektorat filterte so von vornherein Literatur und eingereichte Drehbücher aus, die Monks Ansprüchen weder thematisch noch qualitativ genügt hätten. Der Anteil genuiner Fernsehspiele, deutsch- und fremdsprachigen Ursprungs, nahm bis 1964 auf 75 Prozent zu. Deutschsprachige, genuine Fernsehspiele hatten im gesamten Untersuchungszeitraum einen Anteil von 32 Prozent am Programm. Neben unterhaltenden Fernsehspielen wie Krimis wies etwa die Hälfte des untersuchten Fernsehspielprogramms des NDR in- und ausländische Fernseh- produktionen auf, die sich kritisch mit dem Nationalsozialismus, dessen Aus- wirkungen und der Gegenwartsproblematik der 1960er Jahre beschäftigten. Am Beispiel der siebzehn beschriebenen Fernsehspiele ist ersichtlich, dass Monk wiederholt mit Autoren arbeitete, deren Arbeiten in sein Konzept einer kritischen Fernsehspielgestaltung passten. Das Autorengespann Maria Matray/Answald Krüger und der Autor Erwin Sylvanus schrieben mehrere Fernseh- spiele, die sich authentischer Ereignisse aus dem Nationalsozialismus annahmen, sie aufarbeiteten und teilweise in Bezug zur Gegenwart setzten. Während in Sylvanus´ Korczak und die Kinder (NDR 26.10.1961) deutlich die dramaturgischen Ver- fremdungseffekte des epischen Theaters erkennbar sind, wiesen die Fernsehspiele Matray/Krügers einen eher dokumentarisch-filmischen Stil auf. In Der Prozess Carl von O. (NDR 12.2.1964) und in Standgericht (NDR 13.10.1966) bedienten sie sich vorhandener Prozessunterlagen, um obrigkeitsgelenkte Justizurteile und –verbrechen aufzuzeigen und Parallelen zur Gegenwart zu ziehen. Claus Hubalek, Chefdramaturg in der Fernsehspielabteilung und Jugendfreund Egon Monks, schrieb u. a. die Fern- sehfassungen authentischer Lebensgeschichten und historischer Ereignisse. Er adaptierte z. B. die Romane Wolfgang Leonhards Die Revolution entlässt ihre Kinder (NDR 22., 24. und 29. Mai 1962) über das Leben eines Heranwachsenden im Sozialismus, Theodor Plieviers Schilderung der Schlacht um Stalingrad (NDR 31.1.1963) und Henry Jaegers Erfahrungen in einem Zuchthaus (NDR 25.5.1967) der Bundesrepublik. Diese und andere Fernsehspiele bildeten über Jahre ein Programm aus, das im Spiegel der Zuschauer- und Kritikermeinungen häufig die >große Wirklichkeits- nähe< und >Aktualität der Thematik< bestätigte. Doch selbstverständlich blieben negative Kritiken nicht aus, die sich teilweise auch durch alle Landesrundfunkan- stalten der ARD-Gemeinschaft zogen. Das Fernsehspiel Die Sendung der Lysistrata 115

(NDR 17.1.1961) von Fritz Kortner sorgte schon im Vorfeld der Ausstrahlung für einen Eklat, da die Thematik der atomaren Aufrüstung und Emanzipation der Frau auf Ablehnung stieß. Auch Stalingrad war ein Fernsehspiel, das Konfliktstoff barg. Nach Monks Angaben führte die Thematik der Sinnfrage von Krieg und Kriegsdienst zu einer bewussten Verhinderung der Sehbeteiligung von Bundeswehrangehörigen durch die Anordnung einer Übung während der Ausstrahlung. Monk hielt trotzdem (oder gerade deshalb) an seinem Ziel fest, den >Zweifel höher zu setzen, als den Glauben<, was sich auch in seinen eigenen Fernsehspiel- inszenierungen niederschlug. Er sah den Zweck einer Fernsehspielinszenierung in der >Schärfung der Urteilsfähigkeit< der Zuschauer, wobei ihm bewusst war, dass er die Zuschauer in bestimmter Weise beeinflusste. Eine Unterlassung absichtlicher Beeinflussung war für ihn jedoch die Förderung von Kritiklosigkeit, die für ihn weit- aus schlimmer wog.

7 Vom empathischen Film zum didaktischen Aufklärungs- instrument Egon Monks

Im weiteren Verlauf dieser Arbeit soll auf sechs von neun Filmen Egon Monks näher eingegangen werden, bei denen er nicht nur als Leiter der Fernsehspielabteilung im NDR verantwortlich zeichnete, sondern selbst Regie führte und/oder das Drehbuch schrieb bzw. daran beteiligt war. Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf Fernsehspiele, die ihren Ursprung während des Aufbaus der Abteilung hatten. Fern- sehspiele, die ihre Existenz fanden durch die Suche nach zeitgemäßem Stoff. Dies war verbunden mit einer Suche nach neuen Autoren, die genuine Fernsehspiele schrieben und Monks Willen, mit dem Medium Fernsehen die Gesellschaft zu beein- flussen, ihr Denkanstöße zu geben. So stehen die ausgewählten Fernsehspiele stellvertretend für das thematisch bevorzugte Spektrum Egon Monks und seiner Intention. Die Bearbeitung der beiden Theateradaptionen von Bertolt Brecht Das Leben des Galilei (NDR 11.1.1962) und Maxim Gorkis Wassa Schelesnowa (NDR 4.4.1963) sind dabei nur von marginaler Bedeutung. Das Fernsehspiel Das Leben des Galilei wird zu Beginn der Be- schreibung von daher auch nur zur Veranschaulichung der Arbeitssituation am An- fang der neuen Fernsehspielabteilung erwähnt. 116

Die Einflechtungen produktionsgeschichtlicher Informationen und Kritiker- meinungen, soweit vorhanden, dienen der Vergegenwärtigung des Kontextes der Zeit. 324 Die Schwerpunktsetzung der Ausführungen liegt auf der Herausarbeitung der Entwicklung der Inszenierungsweise Monks in seinen Fernsehspielen – seines Stils.

7.1 Das Leben des Galilei (NDR, 11. Januar 1962) In den ersten beiden Jahren seiner Funktion als Leiter der Abteilung war Monk fast vollständig mit administrativen und organisatorischen Tätigkeiten beschäftigt. „Das eigentlich Verwaltungstechnische erwies sich zwar nicht als besonders aufregend, aber der Umgang damit nimmt alle Kräfte in Anspruch. Ich komme demzufolge im ersten Jahr meiner Amtsführung als Regisseur überhaupt nicht vor. Dann ergab es sich aus einer Verkettung von Umständen, dass ich doch inszenieren musste. “325 In Monks Programmplanung gab es zwar das vordringliche Vorhaben, genuine Fernsehspiele zu schaffen, doch waren auch in seinem Fernsehspiel- programm, besonders zu Beginn der 1960er Jahre, dramatische Vorlagen stark ver- treten (vgl. Tab. 01). Von Bertolt Brecht kommend, von seinem Berliner Ensemble geprägt, fiel die Wahl auf ein Stück von Brecht – in einer Zeit, die Brecht auf west- deutschen Bühnen mit Skepsis begegnete. Brecht schrieb die erste Fassung von Das Leben des Galilei 1938/39 im dänischen Exil. Das 1943 in Zürich uraufgeführte Stück über Galileo Galileis Eintreten für das Kopernikanische Weltsystem und dessen späteren Widerruf auf Druck der Inquisition erhielt während Brechts Jahre im kalifornischen Exil aktuelle Brisanz durch die möglich gewordene Herstellung und den Einsatz der Atombombe. Brechts weiter geführte Bearbeitung des Stückes stellte nun den moralischen Konflikt des Wissenschaftlers in den Mittelpunkt. Galileis Widerruf hatte den Charakter eines sittlichen Vergehens angenommen. 326 Die Folgen wissenschaftlicher Entdeckungen und die Verantwortung ihrer Anwendung in Brechts Das Leben des Galilei wurden zum ersten Fernsehspiel Monks im NDR. „Eines meiner ersten Vorhaben war, entgegen meiner Ankündigungen, ein Theaterstück. Eines von Brecht: ,Das Leben des Galilei´. Die Mauer durch Deutsch- land war gebaut worden und die Diskussion darüber, ob man Brecht in der Bundes-

324 Informationen zur Produktion einzelner Fernsehspiele waren nicht durchgängig auffind- u. nach- vollziehbar. Eine immer gleiche Eingehensart auf alle Fernsehspiele ist von daher leider nicht mög- lich. Dennoch wird nicht auf einzelne Bausteine zur Gestaltung der Beschreibung verzichtet. 325 Egon Monk in: Interview am 6.11.2001 mit S.B. 326 Vgl.: Kesting, Marianne: Brecht . In: Rowohlts Bildmonographien . Hamburg 1959/4. Aufl. 2001, S. 91 u. S. 114-116 117 republik überhaupt spielen durfte, war außerordentlich heftig. Meinen Standpunkt können Sie sich ja denken. Ich kam von Brecht und war entschlossen das deutsche Fernsehpublikum, wenn es sein musste mit >Gewalt<, mit Brecht bekannt zu machen. Ich griff nach dem Stück ,Das Leben des Galilei´, wollte es aber nicht selbst inszenieren. Mein Wunsch war, dass Kortner, der für mich der geborene Galilei war und ein Freund Brechts und von mir zudem, den Galilei im Fernsehen spielte. Ich kannte Kortner gut. Die erste Inszenierung wurde schon im Herbst 1959 verabredet und zwar in Koproduktion mit Studio Hamburg. Da war ich noch gar nicht richtig im Amt, aber als >Neuhinzutretender< war ich sehr daran interessiert, dass mit Kortner verhandelt wurde. Es wäre geradezu sündhaft gewesen, es nicht zu tun. “327 Fritz Kortners Verpflichtung als Darsteller des Galilei erwies sich aber im weiteren Verlauf als schwierig und scheiterte schließlich ganz. „ So langsam rückte es auf den ins Auge gefassten Produktionstermin zu, aber Kortner zögerte und zögerte und verlangte schließlich, dass er nur spielen würde, wenn ich selbst inszenierte. Ich war einverstanden, machte alle bis dahin getroffenen Vereinbarungen rückgängig, weil ich unbedingt den Kortner als Galilei wollte. Als Kortner dann kommen sollte, sagte er aus gesundheitlichen Gründen ab. Er spielte in seinem Alter nur noch ungern und hatte schon seit ein, zwei Jahren überhaupt nicht mehr gespielt. Manchmal geht es ja alternden Schauspielern so, dass ihre Fähigkeit, sich etwas zu merken, nachlässt. Das geht ihnen so wie allen anderen alternden Menschen, nicht allen, aber vielen. Und das ist natürlich eine echte und große Behinderung beim Spielen. Es sollte ein >Filmprojekt< werden, keines mit elektronischen Kameras, schon Kortners wegen, sondern Einstellung für Einstellung mit einer Filmkamera. Dabei sind die so genannten >Takes<, die einzel- nen Einstellungen, nicht so lang. Ich dachte, es würde gehen, aber er traute es sich dann doch nicht zu. Ernst Schröder 328 spielte dann die Rolle. “329 Einen Tag nach der Fernsehausstrahlung war in der Hamburger Presse u. a. zu lesen: „ Der ‚Galilei´ ist eine Hamburger Produktion, die sich sehen lassen kann und Maßstäbe setzen wird. So sorgfältig, so ausgewogen im Optischen, so exzellent in der Bildmagie des Totalen wie des Details, dass man sich über diese erste Fern- sehregie (und -bearbeitung) des einstigen Brecht-Schülers Egon Monk nur freuen

327 Egon Monk in: Interview am 6.11.2001 mit S.B. Zu Kortner siehe auch innerhalb dieser Arbeit unter Kapitel: Die Sendung der Lysistrata. 328 Ernst Schröder, geb. 27.1.1915 in Wanne-Eickel, gest. 26.7.1994 in Berlin 329 Egon Monk in: Interview am 6.11.2001 mit S.B. 118 kann. Wir sahen die Filmaufzeichnung auf der Leinwand des Realfilm-Studios und wünschten, dass sie später einmal in die Lichtspielhäuser käme, wenn die Brecht- Erregung ganz abgeklungen ist. “330 An anderer Stelle wurde geurteilt: „ Die NDR-Sendung von Egon Monks In- szenierung, in den Hauptrollen hervorragend besetzt, gehört zu den Sternstunden des deutschen Fernsehens. “331 Doch vor dem Hintergrund des >Brecht-Boykotts< 332 gab es zwangsläufig auch negative Kritik, die einerseits „ die Programmgestalter des Deutschen Fernsehens nicht mehr ernst nehmen “ konnten und „diesen Galilei penetrant leninistisch-marxistisch “ fanden. 333 Die Verweigerung der Ausstrahlung des Hamburger Beitrags am ARD- Gesamtprogramm durch den SFB-Berlin wurde von der Bildzeitung mit den Worten kommentiert: „ Der SFB in Berlin tat recht, wenn er ihn nicht zeigte. Er will Brecht überhaupt nicht zeigen. Weil Brecht in der Sowjetzone nach wie vor als Kommunist gilt. “334 Doch bei aller Empörung über Brecht im Fernsehen urteilte andererseits selbiger Kritiker an gleicher Stelle über den Regisseur und seine Arbeit: „Hervorragend inszeniert von Egon Monk. Mit einer hervorragenden Besetzung, mit einem sich selbst übertreffenden Ernst Schröder als Galilei. Schade um das Geld, um die Mühen, um die Zeit. “335 Die von Monk erwähnten, anderweitig getroffenen Vereinbarungen bezogen sich auf die zeitgleichen Vorbereitungen zum Fernsehspiel Anfrage , dessen Produktionsgeschichte, Thematik und Inszenierung im Folgenden beschrieben wird.

7.2 Anfrage (NDR 15. Februar 1962) 7.2.1 Anmerkungen zur Produktionsgeschichte Wie bereits geschildert, richtete Monk ein >Extra-Lektorat< ein, auf der Suche nach aktuellen Stoffen. Als der Lektor, Hans-Günter Martens, Monk auf den Roman von Christian Geissler: Anfrage aufmerksam machte, war schnell das Interesse Monks geweckt, daraus einen Film zu machen. Monk über seinen zuständigen Lektor und dessen >Entdeckung< für den NDR: „ Hans-Günter Martens war beim Hörfunk auch schon Lektor gewesen, ist später nach München gegangen. Man kennt ihn heute aus

330 Brecht auf Bühne und Bildschirm. In: Hamburger Abendblatt, 12.1.1962 331 Sternstunde des Fernsehens. „Galilei“-Aufführung ein Beitrag zur Meinungsfreiheit . In: Hamburger Echo, 12.1.1962 332 Zu Brecht siehe auch innerhalb dieser Arbeit unter Kapitel: 1948 bis 1953: Egon Monk und Bertolt Brecht. 333 Volbracht, A.: Gestern Abend: Brecht. Roter Kanal. In: Bild Zeitung, Ausgabe Berlin, 12.1.1962 334 Ebd. 335 Ebd. 119 dem Fernsehen als Schauspieler in der Rolle des Chefs der Kriminalkommissarin Lena Odenthal aus dem Tatort. 336 Der arbeitete also im Lektorat und las lauter neu erschienene Romane. Schon nach kurzer Zeit kam er zu mir und sagte: „Das müssen Sie sofort lesen! Gemeint war der Roman ,Anfrage´ von Christian Geissler. “337 Christian Geissler stellte mit seinem, dem parlamentarischen Sprachgebrauch entlehnten Begriff >Anfrage<, die Frage nach der Schuld >der Väter< am Holocaust des Nationalsozialismus. Es war die Frage der >Nachgeborenen< an die Generation der Kriegsteilnehmer, die Geissler zum Thema machte. Monk las das Buch und war mit Martens einhellig der Meinung, dass es die Grundlage eines Fernsehspiels werden sollte. Er wandte sich an die Verwaltung des NWRV und schilderte sein Interesse an Geisslers Buch mit der Bitte, den Verlag Geisslers, den Claassen-Verlag in Hamburg, um die Rechte am Buch zu bitten (Auszug): „Ich möchte aus dem Buch ‚Anfrage´ von Christian Geissler ein Fernsehspiel machen und bitte Sie, für uns die Senderechte vom Claassen-Verlag, Hamburg, zu erwerben. Das Fernseh-Manuskript soll der junge Geissler, von dem ich mir künftig Original-Fernsehspiele erhoffe, selbst schreiben. “338 Nur vier Tage darauf kam zwischen dem NWRV und dem Claassen-Verlag ein Vertrag zustande, die dem Sender die Produktions-, Sende- und Verwertungs- rechte sicherten, wozu die Ausstrahlung im bundesdeutschen Sendegebiet aber auch im Rahmen der Eurovision sowie Wiederholungen zählten. 339 Christian Geissler schrieb dann auch das Drehbuch, das nach Monks Fest- stellung „ ein fast originales Fernsehspiel “340 wurde. Monk hätte gern selbst Regie geführt, doch zu diesem Zeitpunkt war er mit den Vorbereitungen für Das Leben des Galilei beschäftigt und wollte auf Kortners Wunsch hin selbst inszenieren. „An Christian Geissler und der ,Anfrage´ lag mir außerordentlich viel – mindestens genauso viel wie am ,Galilei´, aber es ging einfach nicht beides. Der ,Galilei´ ist ein riesiges Projekt, und ich konnte mich nicht um die gleichzeitig zu produzierende ,Anfrage´ kümmern, was ich natürlich eigentlich vorhatte. Wir haben

336 Martens arbeitete neben seiner Tätigkeit des Lektors als Schauspieler und Regieassistent am Hamburger Thalia-Theater, später in vielen TV-Produktionen wie >Schwarz-Rot-Gold< von Dieter Meichsner, NDR oder als Kriminalrat Friedrichs im SWR-Tatort. Er starb mit siebzig Jahren am 1.1.2001 in Hamburg. Quelle: NDR-Pressemitteilung vom 3.1.2001 u. SWR-Meldung vom 3.1.2001. 337 Christan Geissler, geb. 25.12.1928 in Hamburg 338 Egon Monk an die >Programmverwaltung< des Senders, z. Hd. Herrn Müller, Hamburg 5.5.1960 339 Vertrag vom 9.5.1960. Auf Nennung sämtlicher persönlicher Zahlungsleistungen an alle Be- teiligten wird in diesem und allen weiteren in dieser Arbeit vorkommenden einzelnen Vertrags- erwähnungen verzichtet. 340 Egon Monk nach Lesung des vorliegenden Manuskripts, im Rahmen vertraglicher Zusatzver- handlungen zum Honorar des Autors, 26.3.1961 120 parallel gearbeitet. Die ,Anfrage´ habe ich einem Regisseur aus Berlin anvertraut, Hannes Dahlberg, den ich kannte und schätzte, sowohl den Menschen als auch seine Ansichten. Und als der ,Galilei´ abgedreht war, war auch die ,Anfrage´ abgedreht und fertig. Ich sah mir das Produkt an, aber wie das manchmal so geht – wir hatten in allem was wir vorher besprachen übereingestimmt – müssen aber etwas ganz Ver- schiedenes darunter verstanden haben. Denn herausgekommen war ein Ufa-Film [was an dieser Stelle als Synonym für leichte, unterhaltsame Filmkost verstanden sein soll/S.B.]. Das war nun am wenigsten zu vermuten gewesen, denn dieser nicht sehr viel ältere Regisseur als ich war im Konzentrationslager gewesen und ich wäre am allerwenigsten darauf gekommen, dass er aus dem Thema einen Ufa-Film macht. Es war ein Trugschluss von mir zu denken: „Na, da ist der Film ja in richtigen Händen!“ Aber das war dumm von mir gedacht, denn warum sollte jemand, der unter den Hitlerleuten leiden musste, nicht auch gleichzeitig Ufa-Filme lieben? Ich war überhaupt nicht darauf gekommen, dass man es so machen könnte. Es war in meinen Augen ein Ufa-Film und eben eine Sache, die mit der sehr provokativen, teils satirischen, teils grob und brutal die Wahrheit schildernden An- frage so wie Geissler sie schrieb überhaupt nichts zu tun hatte. Wenn ich Ober- studienrat gewesen wäre, hätte ich an den Rand geschrieben: Thema verfehlt, fünf! Ich dachte, das kann man dem Geissler nicht antun, er kann nicht so interpretiert werden. Ich sagte die Sendung ab und bat Dr. Arnold und Dr. Hilpert, sich den Film mit mir gemeinsam anzusehen. Die waren beide meiner Meinung, dass der Film so nicht gezeigt werden sollte und er verschwand im Archiv. “341 Nach Sichtung des fertigen Films setzte Monk die eigentlich für den 26. Oktober 1961 vorgesehene Ausstrahlung aus den genannten Gründen ab. An Stelle der Anfrage von Dahlberg wurde in der Programmplanung nun Sylvanus Korczak und die Kinder vorgesehen. Im Einvernehmen mit Hilpert und Arnold nahm sich Monk nun selbst Geisslers Anfrage an: „ Ich machte eine neue Inszenierung, sozusagen im Schnellverfahren, aber so, wie ich meinte, dass der Film sein sollte. “342 Der >doppelte Dreh< in all seiner Konsequenz, also auch der Bereitstellung und Genehmigung der Kosten, ist ein Novum der damaligen Zeit und heute, Jahr- zehnte später, nicht mehr vorstellbar. 343

341 Egon Monk in: Interview am 6.11.2001 mit S.B. 342 Egon Monk in: Ebd. 343 Die Nachkalkulation zur >Anfrage< ergab inkl. Honorare aller Art, Urhebervergütungen, Reise-, Film-, Foto-, Atelierkosten, Hilfsleistungen aller Art usw. die Gesamtsumme von exakt 431.013,35 DM für beide Fassungen der >Anfrage<. Davon wurden 274.191,37 DM für die Zweitfassung ver- anschlagt. Quelle: Abrechnung Kostenstelle 417, aufgelaufene Kosten zur Produktion per 27.2.1962. 121

Für Monks Fassung der Anfrage sollten Filmaufnahmen im ehemaligen Konzentrationslager Dachau gedreht werden. Die Bitte um Drehgenehmigung wurde am 29. August 1961 durch das bayrische Staatsministerium für Finanzen respektive dessen Unterabteilung für Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen positiv beschieden. Allerdings mit Auflagen, die die Produktionsleitung des NDR in einem Punkt ablehnte. So wurde als Bestandteil der Drehgenehmigung gefordert: „Im Rahmen der Sendung ANFRAGE ist in deutlicher Form darauf hinzu- weisen, dass die im Drehbuch zum Ausdruck kommende Auffassung, die Gescheh- nisse in den ehemaligen Konzentrationslagern des Dritten Reiches würden heute abgeschwächt werden und man sei amtlicherseits bestrebt, die Konzentrationslager in Vergessenheit geraten zu lassen, für Bayern und insbesondere für das ehemalige KZ/Lager Dachau, in dem die Aufnahmen zu dem Film „ANFRAGE“ gemacht wurden, nicht zutrifft. “344 Der NDR bemerkte zu dieser Klausel, dass auf den Inhalt des Vertrages nur unter Ausschluss dieses Punktes eingegangen werden könnte, da es sich um ein Fern- sehspiel handelte, „ das allein die Gedanken des Autors zu dem von ihm gewählten Thema zum Ausdruck bringt, nicht aber um einen Dokumentarbericht, in dem die jeweils zuständigen Länder und Behörden zu der aufgeworfenen Frage Stellung nehmen und bei dem wir den maßgeblichen Stellen für ihre Form der freien Meinungsäußerung besonders dankbar sind. Wir glauben nicht, dass unser Fernseh- spiel ‚Anfrage´ nach der Sendung, die ja erst den endgültigen Eindruck vermitteln kann, Anlass zu berechtigten Einsprüchen Ihrerseits geben wird, doch steht Ihnen dieses Recht durchaus und jederzeit zu. Das gleiche Gesetz aber, das Ihnen dieses Einspruchsrecht zusichert, erlaubt auch dem Autor seine freie Meinungsäußerung und die Abhängigkeit von der Zustimmung oder Ablehnung einer staatlichen Institution zu einer in einem literarischen Werk gemachten politischen Äußerung würde gänzlich im Widerspruch zu Buchstaben und Geist des Grundgesetzes stehen “. 345 Auf alle anderen Bedingungen konnte eingegangen werden. Dazu gehörte u. a. auch die Anforderung der Bayrischen Verwaltung, dass Filmaufnahmen von der >Sühnekapelle der Todesangst Christi< im Filmmaterial eingebunden wurden, um

344 Freiherr von Gumppenberg, Präsident der Bayr. Verwaltung für Schlösser, Gärten und Seen in seinem Schreiben vom 29.8.1961 an die Produktionsleitung des NDR, z. Hd. Herrn Fröhlich 345 NDR-Antwortschreiben an Freiherr von Gumppenberg vom 9.10.1961, i.V. unleserlich 122 deutlich zu machen „dass das ehemalige Häftlingslager zu einer Gedenkstätte um- gewandelt werden und als solche der Nachwelt erhalten bleiben soll .“346 Am 15. Februar 1962, vier Monate nach dem eigentlich vorgesehenen Sende- termin, wurde die Anfrage von Christian Geissler in der Fernsehspielrealisierung Egon Monks ausgestrahlt.

7.2.2 Die Filmhandlung Die Anfrage behandelt vordergründig die unbewältigte Vergangenheit der Schuld- frage an der Judenverfolgung und ist doch, wie der Hauptakteur des Films feststellt, eher die Bewältigung der Gegenwart. Sechzehn Jahre nach Ende des Zweiten Welt- krieges wird ein zweiunddreißigjähriger wissenschaftlicher Assistent (Hartmut Reck als „Klaus Köhler“) mit der Bitte seines Professors (Carl Lange als „Professor Fischer“) konfrontiert, ihn bei der Betreuung eines aus den USA angereisten Juden (Konrad Wagner als „Mr. Weismantel“) zu vertreten, der seinen letzten lebenden Verwandten in Deutschland besuchen will. Der Professor ist sich der Schuld der Mitwisser bewusst, verdrängt und reduziert jedoch die eigene Beteiligung: „ Früher war ich Nationalsozialist – heute arbeite ich! “ Er zieht es vor, dem Besuch und mög- lichen Fragen durch Nichtanwesenheit zu entgehen. Auf der Suche nach dem Überlebenden des Holocaust, des Anwalts „Dr. Joachim Valentin“, der sich unter einem anderen Namen versteckt halten soll, trifft „Köhler“ auf Menschen, die für sich in Anspruch nehmen, entweder nichts ahnend oder unbeteiligt gewesen zu sein. Nur dem Gärtner (Erich Dunskus als „Mollwitz“) des wissenschaftlichen Instituts, das einmal ein Wohnhaus gewesen war, in dem der Jude und der Gärtner Nachbarn waren, sowie dem ehemaligen Lehrer (Albert Johannes als „Dr. Kramer“) des verschwundenen Juden ist das Wissen um die Ge- schehnisse der jüngsten Vergangenheit und damit das Zulassen des Holocaust aus Angst um das eigene Leben eine schwere seelische Last. Eine Last, die sie seit Jahren in sich tragen, sich erst dem jungen „Köhler“ mitteilend. Der Schwager des Juden, ein erfolgreicher Unternehmer (Walter Jokisch als „Huber“), kann und will „Köhler“ auf seiner Suche nicht helfen und spricht einzig auf die Zukunft gerichtet aus: „ Jetzt muss endlich mal Schluss sein. Soll einer doch abtreten, soll einer doch Schluss machen, wenn er nicht vergessen kann. “

346 Bestandteil der Drehgenehmigung vom 29.8.1961. Ergänzendes Material zu diesem Vorgang war nicht zu finden, doch offensichtlich konnten sich die Vertragspartner einigen, da in >Anfrage< Film- aufnahmen des KZ Dachau vorhanden sind, u.a. auch von der Sühnekapelle. 123

„Köhler“ findet den Juden nicht und die Anfrage wird zur Anklage an die Generation der Väter. Jeder könnte ein Schuldiger sein. „Köhler“, anfangs nicht sehr interessiert, nur bemüht seinem Professor einen Gefallen zu tun, wird zunehmend aggressiver, analytischer in der Beobachtung der Menschen und verliert den Glauben an die Unschuld der Väter; den Glauben an die Gesellschaft: „ Ich habe einen Mann gesucht und fand die Gesellschaft. “ Der amerikanische Besucher, ein Mittfünfziger, schon in Amerika geboren und den Holocaust von daher nicht selbst erlebend, versucht zunächst den zornigen Köhler davon zu überzeugen, „ein bisschen mehr Liebe “ für die Väter zu empfinden. Er versucht, ihn zu überzeugen, dass weder Einzelaktionen der Liebe noch des Hasses etwas bewirken würden, sondern nur eine Veränderung des gesellschaftlichen Denkens. Das wiederum würde nur mit Geduld zu erreichen sein. Nachdem ihm „Köhler“ jedoch das Konzentrationslager Dachau gezeigt hat, „ damit die Gemütlich- keit aufhört “, reist er ab.

7.2.3 Die Exposition Dem eigentlichen Einstieg in die Geschichte geht ein Prolog voraus, der dem Zu- schauer die Thematik des Fernsehspiels näher bringt. > Der Stolz der Kinder sind ihre Väter < ist auf einer eingeblendeten Spruchtafel vorangestellt. Während die Kamera über einen leeren Gerichtssaal fährt, wird der Prozessgrund durch eine Stimme aus dem Off deutlich. Ein Mann steht vor Gericht. Ein Mann, der zwischen 1933 und 1945 dabei war. Dabei ist es nicht von Belang, was genau er tat. Er ist ein Stellver- treter seiner Generation, der befragt, angeklagt und zur Verantwortung gezogen wird. Aber auch ein Vater, der in seinem Schlusswort darum bittet, nicht unter Zuweisung des >Paragraphen 51< als unzurechnungsfähig eingestuft zu werden. Vielmehr be- harrt er auf seiner Schuld, um seinem Sohn die Schande zu ersparen. „Es ist besser für einen Sohn, er hat einen schuldigen Vater, der seine Schuld kennt, als er hat einen nicht zurechnungsfähigen Vater. Einem Menschen, dem man die Fähigkeit abspricht, schuldig werden zu können, tut man keinen Gefallen. Man entzieht ihn der Gerechtigkeit – und also entzieht man ihn auch der Vergebung (…). “ Die Eingangssequenz wird abgeschlossen durch schnelle Musik und den ein- geblendeten Hinweis, dass diese Szene frei erfunden war, jedoch alle nachfolgenden Szenen, besonders die >der Väter< nicht frei erfunden sind und dieses zur Anfrage führt. Nach Einblendung des Fernsehspieltitels und Namen des Autors wird in der nachfolgenden Sequenz die Herkunft des Begriffs >Anfrage< mit Originalszenen aus 124 dem deutschen Bundestag erläutert. Ebenfalls aus dem Off wird nachfolgend zu Dokumentarszenen einer nationalsozialistischen Massenveranstaltung erklärt, worum es bei der Anfrage des Films geht: Um die Notwendigkeit der Anfrage der Nach- folgegeneration an >die Väter<, weil diese schweigen. Erst nach Vermittlung dieser Vorinformationen beginnt der eigentliche Ein- stieg in die Geschichte. In einer Studioaufnahme stellt sich ein Mann vor. Die Kamera zeigt ihn in Naheinstellung vor neutralem Hintergrund. Er richtet sich mit direkter Rede an die Zuschauer: „ Guten Abend. Ich heiße Klaus Köhler. Ich habe studiert, Physik (…) “. Während seine Stimme aus dem Off weiter spricht, wird die Außenaufnahme eines Hauses zeigt. Die Kamera fährt über die Fassade eines Mehr- familienhauses. „Köhler“ erklärt die Durchschnittlichkeit seines Mietshauses, das sich nicht von anderen Häusern unterscheidet. Die anschließende Studioaufnahme zeigt einen fast kahlen Raum. In den ersten Fernsehspielen Monks ist außer dem ausgeprägt didaktischem Element, das seinen Produktionen immer wieder den Ruf des >Lehrstücks< einbrachte, auch eine besonders sparsame, geradezu spartanische, die späteren Fernsehspiele nicht mehr kennzeichnende Ausstattung der Szenerie zu Eigen. „Köhler“ weist auf die wenigen Requisiten wie Stuhl, Tisch, Schaukelstuhl und Bücherregal hin, die er einzeln be- nennt und deren Zweck er erläutert. Monks Inszenierungsweise übernimmt hier dramaturgische Gestaltungsmittel des epischen Theaters, 347 wie sie sich auch in anderen Theater- und Fernseh- inszenierungen dieser Jahre finden lassen. Die requisitenarme Kulisse sowie die direkte Zuschaueransprache und -einbeziehung findet sich z. B. bereits in der Fern- sehbearbeitung des Thornton Wilder Stücks Unsere kleine Stadt (SWF 1954) oder 1963 in Erwin Piscators Uraufführung von Rolf Hochhuths Stellvertreter der Freien Volksbühne, Berlin, wieder. 348 Monk erfindet nicht neu; er überträgt jedoch das epische Theater seiner >Lehrzeit< bei Brecht in die (politisierende) Thematik seiner Fernsehspiele. Monk begründete den weitgehenden Verzicht auf Requisiten mit der Konzentration auf das ihm am wesentlichsten Erscheinende: „ Ich strich also alles weg – Texte,

347 Der Begriff des epischen Theaters wird in der Literatur sowohl von Bertolt Brecht als auch von Erwin Piscator in den 1920er Jahren in seinem Ursprung beansprucht. Vgl. dazu u. a. Fischer-Lichte, Erika: Kurze Geschichte des deutschen Theaters, Tübingen 1993/1999 und definiert sich durch die Verbindung zweier Gattungen, des Dramas und der Epik, der Theaterbühne und der erzählenden Literatur. Zum Begriff „episches Theater“ findet sich eine Fülle an Quellen, die an dieser Stelle nicht weiter aufgezählt werden. 348 Siehe auch innerhalb dieser Arbeit unter Kapitel: 1948 bis 1953: Egon Monk und Bertolt Brecht. 125

Dekorationen – was vom Beobachten des Verhaltens, vom Denkprozess der vor- geführten Personen hätte ablenken können. (…) Eine beinahe klinisch interessierte Kamera, die den Befragten, wie später in den Interviews, nicht aus den Augen ließ, konzentrierte die dramatischen Momente der Zeugenschaft. “349 Die Studioszenerie schließt mit dem Auflegen einer Jazz-Schallplatte als überleitende Begleitmusik zu abendlichen Filmaufnahmen einer belebten Einkaufs- straße. „Köhler“ beschließt seine persönliche Vorstellung mit der Mitteilung, vor dem nächsten Arbeitstag in der Universität gern in der Dunkelheit, sinnierend dem Strom der Menschen folgend, spazieren zu gehen. Die Exposition der Hauptfigur ist hiermit abgeschlossen und leitet mit der nächsten Sequenz in die Exposition der Geschichte über. In der folgenden Studioaufnahme findet, ebenfalls in einem fast requisitenfreien Raum, das Gespräch zwischen „Köhler“ und dem Professor statt, das zum Ausgangspunkt der Handlung wird. Die Bitte des Professors an seinen Assistenten, ihn bei dem amerikanischen Besucher zu vertreten, ist die Überleitung der Exposition in den Handlungsablauf des Fernsehspiels.

7.2.4 Narrative Gestaltung Monks Erzählstruktur der Anfrage folgt seinem didaktischen Anliegen, den Zu- schauer mit der jüngsten Vergangenheit zu konfrontieren und ihn zur Auseinander- setzung mit dem Gezeigten anzuregen. Monk verfolgt ein Konzept des distanzierten Sehens, in dem er aus der Erzählperspektive „Köhlers“ den weiteren Handlungsver- lauf entwickelt und dabei die Erzählstruktur als Muster des analytischen Betrachtens erkennbar werden lässt. Dazu fungiert Hartmut Reck in der Rolle des jungen Assistenten gleichzeitig als Erzähler der Geschichte und unterbricht den Erzählfluss immer wieder, um die Zuschauer mit einzubeziehen, indem er sie auf Aussagen und Verhalten der Protagonisten aufmerksam macht. Szenen werden wiederholt, mit der Maßgabe „Köhlers“ auf einzelne Sätze besonders zu achten. Das Hinweisen und Hinterfragen zum Umgang mit der Schuld der Figuren am Holocaust zwang den Menschen am Fernsehgerät so ein Nachdenken über eigenes Verhalten in gleicher Situation auf. Die Geschichte wird linear als Suche nach dem verschwundenen Juden fort- geführt. Die Chronologie der Ereignisse hält sich dabei immer an „Köhlers“ Ge- sprächen mit Menschen, die den Juden kannten. Monk formt in dieser Kette von Be-

349 Egon Monk in: De Haas, Anneliese: Zeitkritik im Fernsehspiel. Gespräch mit dem Regisseur Egon Monk. In: Die Welt, 21.8.1965 126 gegnungen ein bruchstückhaftes Bild des Juden und seiner Mitmenschen. Die einzel- nen Zusammenkünfte „Köhlers“ mit den Prototypen menschlichen Verhaltens werden durch Montagen eingeblendeter Überschriften zu einem Handlungsablauf verknüpft. Eine erste Schrifttafel leitet zunächst von der Exposition der Geschichte in den einsetzenden Handlungsablauf über. Nach „Köhlers“ Verabschiedung bei seinem Professor erscheint die Aussage: > Keiner hat gewusst, wie es wirklich war, damals <. Dieser Satz wird von einer jungen Sekretärin (Anneli Granget) auf- genommen, mit der „Köhler“ über die Generation der Väter spricht. Sie kennt weder Opfer noch Täter und weist eine Kenntnis der Schuld der Generation der Väter von sich. Sie steht als Prototyp derjenigen in der Nachfolgegeneration, die auch nichts mehr wissen wollen. Auch in den nachfolgenden Szenen leiten Zitate in Schrift- inserts eine Unterhaltung ein und betonen in sprachlicher Wiederholung der Aussage den Kern des Gesprächs. Die nächste Szene wird eingeleitet mit dem Bibelzitat: > Wer hebt den ersten Stein <. 350 In seinem Gespräch mit dem Gärtner erfährt „Köhler“, dass der Nazi, der die Verhaftungen der Angehörigen des Juden 1941 vorgenommen hat, noch in der Stadt lebt. Auf „Köhlers“ erstaunte Frage, warum denn >so einer< noch frei rum- laufen würde, antwortet der Gärtner: „ Es war doch so schwierig damals. Wer hebt den ersten Stein? “ Der Gärtner weigert sich jedoch, „Köhler“ die Adresse des Nazis zu geben. Und dies, trotz aller Schuldgefühle über sein passives Verhalten, sein Zulassen der Verhaftungen ohne Protest oder Eingreifen. Nachdem ihm der Gärtner ein altes Foto des Juden überließ, macht sich „Köhler“ auf den Weg zu einem Fotografen, bei dem er das Foto vergrößern lassen will. Der nächsten Sequenz geht der eingeblendete Ausspruch > Wenn das wahr ist < voraus. Die einsetzenden Filmaufnahmen zeigen eine belebte Straße bei Tages- licht. Die Kamerafahrt geht über die Straße auf ein kleines Ladengeschäft zu. Die Auslage des Schaufensters zeigt Kameras und Fotoapparate aller Art. Wieder wechseln Film- und Studiokameras. „Köhlers“ Zusammentreffen mit einem alten Fotografen zeigt eine Studio- szenerie. Zwei große Fotos im Hintergrund und ein kleiner Ladentisch bilden die Ausstattung. Der Fotograf (Gerhard Bünte) kannte die jüdische Familie und hatte

350 Innerhalb des Fernsehspiels abgewandeltes Bibelzitat. Wird umgangssprachlich für „schuldhafte bzw. schuldlose“ Menschen verwendet u. entspringt in seinem Ursprung der Bibel: Jesus und die Ehebrecherin, Johannes Kapitel 8, Vers 7. Zitat n. Jesus: Wer von euch noch nie gesündigt hat, der soll den ersten Stein auf sie werfen. 127 auch nie etwas gegen die Juden, wie er behauptet. Vorsichtig formuliert er mit der Umschreibung „ Wenn das wahr ist, was mit den Juden gemacht worden ist “ eine >Ungeheuerlichkeit<, die er gar nicht wahr haben will. Dennoch bezeichnet er die Juden als „ irgendwie anders “. Hier unterbricht der darstellende Erzähler „Köhler“ den weiteren Handlungsverlauf, um nochmals auf diese Aussage hinzuweisen und sie vom Fotografen wiederholen zu lassen. Der Gärtner und auch der Fotograf sind >Mitwisser<, jeder auf seine Art ein Schuldiger. Während der eine sich jedoch quält, schiebt der andere die Ereignisse der damaligen Zeit ins Unvorstellbare. Eine eigene, direkte Beteiligung durch einfaches >Zulassen< wird ihm nicht bewusst. An diesem Punkt setzt eine Veränderung ein. Die Erzähltechnik „Köhlers“ wird vorausgreifend, indem er vor dem weiteren Verlauf der Geschichte berichtet, dass er in den folgenden Tagen drei weitere Gespräche führte, um etwas über den Aufenthaltsort des gesuchten Juden zu erfahren. Er kündigt nachforschende Unter- redungen mit einem Regierungsassessor, der mit >Judenfragen< betraut ist, mit dem alten Lehrer und mit dem Bruder der Ehefrau des Juden an. Spannung wird erzeugt, indem „Köhler“ für jedes der Gespräche „ einen eigenartigen und für eines sogar einen überraschenden Verlauf “ ankündigt. Er selbst wirkt zunehmend ungeduldiger, aggressiver und persönlich beteiligt. Wieder wird eine Straße bei Nacht gezeigt. „Köhlers“ Stimme aus dem Off berichtet, dass er sich wie schon so oft in der Menschenmenge treiben lässt. Doch nicht mehr gedankenlos vor sich hin schauend, sondern über den Juden und die Zeit damals nachdenkend. Die nächsten Filmaufnahmen zeigen Menschen in Restaurants. Dabei werden überwiegend Männer eingeblendet, die ihrem Alter entsprechend, Kriegs- teilnehmer sein müssten. Während die Kamera verschiedene Männer beobachtet, stellvertretend für „Köhlers“ Augen, stellt seine Stimme aus dem Off Überlegungen an: „ Waren sie dabei, was haben sie gedacht und getan? Waren alle potentielle Täter ?“ >Ich möchte wirklich nicht, dass sie einen falschen Eindruck von mir mit- nehmen < lautet die Einleitung zu den angekündigten Gesprächen. Es werden Außen- aufnahmen eines modernen Behördengebäudes und lange Gänge in den Stockwerken gezeigt, bevor wieder eine Studioszene mit geringer Möblierung ein Amtszimmer darstellt. Ein schweigsamer, vor sich hin arbeitender Kollege des Assessors und zwei Schreibtische umschreiben die Atmosphäre eines Behördenbesuchs. Der Assessor (Kurt Otto Fritsch) ist in „Köhlers“ Alter. Die Fälle der ver- schwundenen Juden bearbeitet er höflich bemüht, ohne jede persönliche Anteil- 128 nahme. >Köhler< kann er nicht weiterhelfen. Mit einer Geste des Zurechtstreichens seiner ohnehin korrekt anliegenden Frisur – oder dem Wegwischen eines Zweifels – ist die Sequenz beendet. Bevor „Köhler“ auf den alten Lehrer des verschwunden Juden trifft, sind Außenaufnahmen eines Schulgebäudes, aus dem Schüler strömen, zu sehen. Ein karger Raum, eine Tafel, ein Schreibtisch, an dem ein alter Mann sitzt und schreibt, leitet die nächste Unterredung ein. „Köhler“ begreift im Laufe des Gesprächs, dass der alte Lehrer sich nicht nur gut an den Juden erinnert, sondern auch erinnern will. Der Lehrer zeigt kontrolliertes Gefühl, lässt durchblicken, dass er einen Sohn im Krieg verlor. Er erinnert sich exakt an den Juden, Jahrgang 1912. „ Ein so ge- nannter Jude (…). Sehr klug, sehr unruhig, ungeheuer diskret und gleichzeitig maß- los geltungsbedürftig. “ Er erinnert sich an alles. Er will wissen, warum „Köhler“ ihn sucht. Dieser kündigt den amerikanischen Besucher an. Der Lehrer berichtet von seinem Leben, distanziert, kühl und ohne Rechtfertigungsabsicht. Er spricht von drei Stationen in seiner persönlichen Beziehung zu „Joachim Valentin“. Dieser hatte ihn 1939, längst selbst ein erwachsener Mann, um Rat gebeten. Sollte er Deutschland verlassen? Die Möglichkeit war ihm gegeben. Der Lehrer pochte auf Vaterlandstreue im Krieg, die auch den Juden maßgeblich sein musste. „Valentin“ blieb. 1942 kam dessen Frau „Martha“ zu dem Lehrer und bat um einen Mantel für ihren Mann. Er verweigerte die wärmende Kleidung aus Angst, die Verbindung zu Juden könnte bekannt werden. Er bat die Frau, nie wieder zu kommen und hatte den Wunsch, sie mögen tot sein. 1943 fiel der Sohn des Lehrers, ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz. Schon da wusste der Lehrer, dass eine falsche Tapferkeit ausgezeichnet worden war. Er lebte damals wie heute mit einer Lüge, dessen war er sich bewusst. Die Schuld des deutschen Volkes, wie auch seine eigene, wurden zum dauerhaften Bestandteil seines Lebens. „Köhler“ war überrascht; auf tief aufwühlende Emotionen anderer war er nicht gefasst. >Inwendig da schlägt das Herz. Oder: Verstehen Sie, wie man so was ver- gessen kann? < fragt der Schriftzug auf der montierten Tafel vor der nächsten Sequenz. Eine nächtliche Autofahrt mit „Huber“, dem Schwager des Juden „Valentin“, eröffnet dem suchenden „Köhler“ die Perspektive derjenigen, die im Nachkriegs- deutschland zu Geld und Erfolg gekommen sind. Ein erfolgreicher Unternehmer mit wenig Zeit für rückblickende Gedanken. Ein Deutscher, dessen Schwester einen Juden geheiratet hatte. Soldat im Krieg, der >mitgemacht< hat, um nicht abseits zu 129 stehen. 1938 hat er dem Schwager die Ausreise nahe gelegt. Doch der wollte nicht. Deutschland war auch seine Heimat. Der Kriegsausbruch führte zum Erliegen des familiären Kontaktes. „Valentin“ versteckte sich unter falschem Namen. Die deutsche Ehefrau „Martha“ bat den Bruder nicht mehr nach ihnen zu sehen, was dieser ohnehin offenbar nur selten getan hatte. „Huber“ erinnert sich nicht mehr an den neuen Namen des Schwagers. Eine gewisse Bewunderung „Hubers“ für die Geschäftstüchtigkeit der Juden im Allgemeinen und seine Meinung über Versager, zu denen er seinen Schwager zählt, wird spürbar. Dieser hatte seiner Einschätzung nach „ inwendig pleite ge- macht “. Aus Angst, da „ die Nazis ihn verrückt gemacht haben. (…) Feiner Junge, aber irgendwie nicht mehr lebenstüchtig. “ Wobei nach „Hubers“ Ansicht auch ein „gewisser Grad der Intellektualität geradezu zur Untüchtigkeit prädestiniert. “ Er hingegen zieht „ Vorsicht und Abstand bei zu viel differenzierter Intelligenz “ und tat- kräftige Energie vor. Nach vorn sehen ist seine Devise. „ Nicht vergessen können ist lebensuntüchtig “. Auf „Köhlers“ erneutes Nachfragen nach dem angenommenen Namen seines verschwundenen Schwagers antwortet „Huber“: „ Verstehen Sie, wie man so was vergessen kann? Man soll sich doch, weiß Gott, schämen. “ Im Anschluss an diese Szene wird wieder eine belebte, nächtliche Straßen- szenerie gezeigt, von „Köhlers“ Gedanken aus dem Off untermalt. Er ist fast geneigt seine Suche aufzugeben, geht dann aber nochmals zu dem Gärtner, um nach der Adresse des Nazis zu fragen: „ Wo wohnt dieser Mann heute ?“ Nach anfänglichem Sträuben „Mollwitz´“ verrät er dem ungläubigen „Köhler“, dass dieser in seinem Mietshaus wohnt. In dem Haus, in dem auch „Köhler“ wohnt. Die Kamera ersetzt „Köhlers“ suchende Augen von Stockwerk zu Stockwerk, von Verdacht zu Verdacht. Sie zeigt Türen, Namensschilder, Treppenstufen und den Fahrstuhl. Niemand ist zu sehen. Seine Stimme aus dem Off trägt sein weniges Wissen über seine Mitbewohner zusammen, das ihn dennoch nicht weiterbringt. Er weiß nicht, wer in Frage kommt an der Verhaftung der jüdischen Familie Mitschuld zu tragen. „ Hinter welcher Tür schläft er? “ Er weiß nicht, wer dafür verantwortlich ist, das ein Jude seit Jahren un- auffindbar ist. >Ein bisschen mehr Liebe< lautet die Einblendung vor der Begegnung >Köhlers< mit dem amerikanischen Besucher, „Mr. Weismantel“. „Köhler“ ist nur noch ungeduldig und zornig. Er versucht dem Amerikaner >deutsches Gemüt< zu verdeutlichen. Sie sitzen in „Köhlers“ Zimmer und „Mr. Weismantel“ rät ihm die Suche nach seinem Verwandten und die Vergangenheit zu vergessen. „Köhler“ will, 130 dass Täter aufgedeckt werden, damit die Opfer leben. „Mr. Weismantel“ versucht eine Brücke von der Vergangenheit in die Gegenwart zu bauen, indem er an die Ge- duld „Köhlers“ appelliert. Innerhalb dieser Sequenz wird ein Ortswechsel vor- genommen. „Köhler“ will dem Amerikaner zeigen, was ihn so ungeduldig macht. Etwas, was dieser noch nicht gesehen hat, „ damit die Gemütlichkeit aufhört “. „Köhler“ und „Mr. Weismantel“ erscheinen selbst nicht mehr im Bild. Das Konzentrationslager Dachau wird gezeigt. Im Schnee, der auf den Dächern der Lagerbaracken und den Gedenksteinen liegt. 1´30 Minuten lang wird nicht ge- sprochen, bis „Köhlers“ Stimme aus dem Off von „Mr. Weismantel“ erzählt, der ihn fragt: „ Warum haben Sie mich hier her geführt? “ Der Innenraum der Gedenkstätte wird gezeigt. Fotos skelettierter Juden, die Lagerstraßen, das >Brausebad<, die Duschköpfe, die Öfen des Krematoriums und die Stricke der Erhängten. Die Stimme verstummt. Nur das Bellen eines Hundes ist in der Ferne zu hören. 3´45 Minuten wird geschwiegen. Die Kamerafahrt braucht keine begleitenden Worte. Nach dieser >wortlosen Schilderung<, die auch von keinerlei Musik unterlegt ist, erfährt man durch die Off-Stimme, dass der Amerikaner abreist. Das Fernsehspiel nimmt im Anschluss an diese Sequenz die Eingangsszene wieder auf. > Der Stolz der Kinder sind ihre Väter < wird vorangestellt. Ausschnitte aus „Köhlers“ Gesprächen mit seinem Professor, der Sekretärin, dem Gärtner, dem Fotografen, dem Assessor und „Huber“ werden wiederholt. Dann fährt die Kamera wieder durch den leeren Gerichtssaal. Das Gerichtsurteil wird verkündet. Es ordnet die Überführung des Angeklagten in eine Heil- und Pflegeanstalt an. „ Der Vor- sitzende wusch also seine Hände im Unglück und die Leute im Saal gingen um mindestens zwölf Jahre erleichtert nach Hause. “ Dem Ende des Fernsehspiels geht ein Epilog voraus. Der Ich-Erzähler „Köhler“ erscheint in der letzten Einstellung im Bild. Der Sohn des Angeklagten „kaufte Gift, aß das Gift, starb - und lebt noch heute “ fasst „Köhler“ dessen Un- fähigkeit zur Erleichterung über das Urteil zusammen. Mit einem freundlichen „ Gute Nacht “ verabschiedet sich der Erzähler. Der Abspann läuft durch, von schneller Jazzmusik begleitet. Monks Erzählstruktur der >offenen Form< 351 bietet dem Zuschauer keine bequeme Antwort der im Raum stehenden >Frage nach der Schuld<. Es wird kein

351 Vgl. zur Erzähltechnik der offenen u. geschlossenen Form: Hickethier, Knut: Film- und Fernseh- analyse. Stuttgart 1996, S. 117-120 131 einzelner Schuldiger präsentiert und keine Möglichkeit geboten, emotionales Ver- ständnis für die Akteure und deren Verhalten zu entwickeln. Anfrage stellt Fragen, gibt jedoch keine Antworten. Das Fernsehspiel lässt die Interpretation zu: Der Zu- schauer wird mit der unausgesprochenen, aber stets präsenten Frage des Autors Geissler und des Regisseurs Monk zurückgelassen: Wie kam es, dass ihr euch damals so verhieltet und wie könnt ihr euch heute so verhalten? Der Handlungsverlauf wird nicht auf einen Höhepunkt in der Konflikt- zuspitzung und dessen Auflösung getrieben, aus dem sich der dramaturgische Spannungsbogen ergibt. Einzelne Sequenzen reihen sich episodenhaft und gleich- berechtigt aneinander, die zu einem Ende des Films führen, der kein Ende der Geschichte erzählt. Spannung entsteht durch die >Suche<, die jedoch nicht mit dem Auffinden des Gesuchten endet. Der Zuschauer bleibt mit offenen Schluss- folgerungen zurück.

7.2.5 Visuelle, auditive und darstellende Gestaltung als Träger der Intention Für die Vorinformationen der Anfrage wird dokumentarisches Material ver- schiedener Produktionen genutzt. Monk montiert zu Beginn der Erläuterungen des Begriffs der >Anfrage< Tagesschaumaterial einer Debatte im Bundestag ein. Der Bundestag in Bonn wird in Außen- (8 Sek.) und Innenansichten (6 Sek.) gezeigt. Aufnahmen des >Wochenspiegels<, Sendenummer 271, zeigen einen Schwenk über den Bundesadler und die Fraktionsbühne mit einer Gesamtlänge von 10 Sekunden. Der Rückblick in die Geschichte erfolgt durch Filmaufnahmen der >Transit-Film<. Es werden >Heilrufer< vor dem Sportpalast in einer Gesamtlänge von 16 Sekunden gezeigt. Die Ausschnitte sind der Filmproduktion >Hitlers 50. Geburtstag< ent- nommen. 352 Die Montage dokumentarischen Materials erfolgt nur vor den Spielszenen und wird im weiteren Handlungsverlauf nicht mehr aufgenommen. Sie hat erklärende Funktion und gibt den Zuschauern Hinweise, worauf sie im Fernsehspiel zu achten haben. Bild und Ton der Gerichtsszenerie sind asynchron. Zwei Off-Stimmen ver- mitteln zwei Positionen, die des Angeklagten und die des vorsitzenden Richters. Man erfährt auch von einem imaginären Publikum im Saal.

352 In: Produktionsprotokoll zu >Anfrage<, (ohne Prod.-Nr.), Filmlizenzgeber zur Einblendung be- nutzter Filme 132

Die Kamera zeigt jedoch keine Menschen, die zu den Stimmen gehören. Dies hat eine zunächst irritierende Wirkung, bevor man sich ganz auf die Bedeutung der Worte einlässt. In diesem frühen Fernsehspiel wird deutlich: Die Aussagekraft der Sprache, und damit die Vermittlung eines Anliegens durch Worte, hat mehr Gewicht als die Bilder. Die Bildebene dient als Träger der narrativen Überordnung und ist damit die Vermittlungsplattform des Autors und Regisseurs Egon Monk. Dieser fasst selbst zusammen, was die Charakteristika seiner Filme ausmacht: „ Die Geschichte stand stets im Vordergrund, nicht das Bild. Auch die Figuren agieren immer in Bezug zur gesellschaftlichen Problematik, die erzählt wird. “353 Der Einsatz des geschriebenen Wortes, in Form von Inserts, verstärkt zusätz- lich das Gewicht des gesprochenen Wortes, welches selbst wiederum durch Wieder- holung der schriftlichen Aussage die Bedeutung der Inserts hervorhebt. Die Dialoge zwischen dem darstellenden Erzähler und seinen Gesprächs- partnern werden durch außerordentlich sparsame Gestik und Mimik begleitet. Sie haben keine unterstützende oder gar verstärkende Wirkung der Aussagen. Mit einer Ausnahme: Die Selbstanklage des alten Schullehrers und seine Darstellung der Sicht der Vergangenheit werden begleitet von aufgerissenen Augen, während die Stimme sich gleichzeitig mit dem angespannten Körper erhebt. Die Kamera fährt mit der lauter werdenden Stimme langsam auf das erregte Gesicht zu, um es beim letzten Wort in Großaufnahme zu zeigen. Auch diese Darstellung dient der Betonung der Wucht der anklagenden Aussage. Die Geste des Zurückstreichens der Haare des Regierungsassessors wirkt da- gegen betont überakzentuiert. Sie ist nicht natürlich, nicht beiläufig. Der Erzähler weist auch noch zusätzlich darauf hin, um dem Zuschauer zu verdeutlichen, dass dies möglicherweise einen leisen Zweifel an der zur Schau gestellten Unbeteiligtheit des Beamten sein könnte. Der darstellende Erzähler zeigt seine Emotionen, wie Ungeduld und Aggression, durch eine schärfer werdende Stimmlage. Erst während der letzten Be- gegnung mit „Mr. Weismantel“ zeigt er seinen Zorn durch eine alltägliche Geste des Ärgers: Er wirft kleine, unbedeutende Gegenstände über seinen Schreibtisch. Monk erzählt in Anfrage meist in langen Einstellungen. Die Studiokameras zeigen die Menschen in Nah- oder Großaufnahmen. Die Nahaufnahme, bei der der Mensch vom Kopf bis zur Mitte des Oberkörpers gefilmt wird, überwiegt. Der

353 Egon Monk in: Interview am 9.6.2004 mit S.B. 133

Standpunkt der Kamera wechselt kaum. Der fragende „Köhler“ wird, wie ein Inter- viewer, häufig im Profil gezeigt oder ist gar nicht im Bild, während man seine Stimme aus dem Off hört. Die Kameraeinstellung bleibt während der Dialoge zu- meist auf dem Befragten. Als „Köhler“ die Aussage des Fotografen wiederholen lässt, wird dieser in der >Halbtotalen< gezeigt, bei der er ganz zu sehen ist. Er steht dabei fast starr. Nur seine Hand liegt, zur Beweisführung der Glaubwürdigkeit seiner lauteren Gesinnung, auf seinem Herzen. Dies lenkt dennoch nicht von der Be- deutungsschwere seiner (unglaubwürdigen) Worte ab. Der Einsatz der Filmkamera zeigt Straßen und Gebäude in manchmal ein wenig wackliger Kamerafahrt des ehemaligen Wochenschaukameramanns Horst Schröder. 354 Menschen sind nur als vorbeieilende Massen im Bild. Die Restaurant- szenen zeigen Unbekannte, Namenlose. Die darstellenden Figuren des Fernsehspiels agieren nicht vor einer Film-, sondern ausschließlich vor Studiokameras. Der Einsatz von Musik in der Anfrage unterliegt dem persönlichen Geschmack Egon Monks: Jazz. Der Jazzmusiker Thelonious Monk nahm Musik eigens für das Fernsehspiel im NDR auf. > Rhythm-A-Nning < heißt das einzige, spar- sam eingesetzte Stück, das während der Titeleinblendung und des Abspanns zu hören ist sowie teilweise Straßenszenen untermalt. 355 Erst fast zum Ende des Fernsehspiels lässt Egon Monk Bilder statt Worte sprechen. Die Filmaufnahmen in Dachau sind bildhafte Zeugnisse der Geschichte, die alles Geschehene und Gesagte zusammenfassen. Hierbei sollte man sich heute, über vierzig Jahre später, vergegenwärtigen, dass 1962 längst nicht allen Zuschauern Bilder aus Konzentrationslagern bekannt waren. Die Wirkung dieser Bilder und die der Thematik des Fernsehspiels auf jeden einzelnen Zuschauer und Fernsehkritiker sind heute nur schwer vorstellbar. Einige Beispiele werden im Folgenden belegt.

7.2.6 Im Spiegel der Zeit: Kritiken zu >Anfrage< Monks Hauptintention mit dem Fernsehspiel zu beeinflussen, rührt in Anfrage an oft verdrängte Schuldkonflikte einer Generation, die in den 1960er Jahren der Generation mit >der Gnade der Spätgeborenen< Rede und Antwort stehen sollte. Auch der Regisseur Egon Monk und sein Autor Christian Geissler zählten zu den Nachgeborenen und so war es nicht verwunderlich, dass manch Fernsehkritiker

354 Siehe zu Horst Schröder auch innerhalb dieser Arbeit unter Kapitel: Die Entwicklung der Hauptab- teilung Fernsehspiel. 355 In: Produktionsprotokoll zu >Anfrage<, zur Einblendung benutzter Musikstücke 134

(dessen Generationszugehörigkeit nur unterstellt werden könnte), gerade diesen Um- stand in das Zentrum seiner Filmkritik setzte: „Das Thema ist nicht neu. Einer, der 1933 noch im Kindergarten war, zieht aus, die ältere Generation, die Väter, die Schuldigen, die Zeugen, die Stillhalter, die Nichtswissenwoller zu stellen und anzuklagen. Er will, wie es heißt, ‚anfragen´ bei denen, die damals geschrieben, geredet, getan und gefeiert haben, damit sie selbst endlich ihren Irrtum erkennen. Physiognomien gestandenen Bürgertums ziehen vorüber, Segmente eines friedvollen Innenlebens, Phrasen werden gedroschen, Ver- teidigung und Entschuldigung wandeln sich in der ‚Notwehr´ gegen die unbequeme Befragung unversehens zur Gegenattacke, zur Mäkelei und Entrüstung. “356 Eine Leserzuschrift drückt einen weiteren Aspekt der Kritik aus: „ …die Dis- kussion wäre erst dann wirklich aufschlussreich gewesen, wenn der Ankläger Klaus Köhler gefragt worden wäre, wie er wohl gehandelt hätte. Der Inquisitor, der sich selber nie in ähnlicher Lage befand, kann sich unter den heutigen sicheren Verhält- nissen nicht vorstellen, was ein erheblicher Teil der Befragten für Ängste um sich und um die nächsten Angehörigen ausstehen musste. “357 Auch die polarisierende Schuldzuweisung erlebte nicht immer Zuspruch: „Unbewältigte Vergangenheit – alle Deutschen sind schuldig an den Verbrechen des Nazismus und stehen auch heute noch dazu in einem dummen und selbstgefälligen Leben, das sie neu begannen, ohne das Blut an ihren Händen zu bemerken. Das alles wird vorgetragen mit dem Elan des hassenden Inquisitoren, der nur zwei Farben kennt. “358 Die >Schwarz-Weiß-Darstellung< in schuldig oder unschuldig wirkte provokativ und plakativ, doch war das Ziel, mit Fernsehspielen zeitgenössische Thematik zu verarbeiten und zum (Nach-) Denken anzuregen, erreicht: „Es geschah im Grunde gar nichts ‚Dramatisches´, aber es geschah etwas anderes: Es vollzog sich ein innerer Aufruhr, ein ruheloses Fragen in des Zuschauers Gehirn. “359 „Monks Regie ist klar, auf das Wesentlichste reduziert, seine Schauspieler agieren eindeutig. So „ wirkte Monks Regie am bestechendsten dort, wo die Aggressivität das Pauschale vermied und die bitteren Wahrheiten exemplarisch aus dem Menschen herauskristallisierte. “360

356 s-y: Anfrage . In: Süddeutsche Zeitung, 17./18.2.1962 357 O. F., Nürnberg (Leserzuschrift). In: Nürnberger Nachrichten, 24./25.2.1962 358 ts: Anfrage . In: Westfälische Nachrichten, 17./18.2.1962 359 Rijn van, Ric: Fragen, die ohne Antwort bleiben . In: Allgemeine Zeitung Mainz; 17./18.2.1962 360 Bilder deutscher Vergangenheit. In: Badische Neueste Nachrichten, 23.2.1962 135

Der Kritiker der Frankfurter Allgemeinen resümiert: „ Dass wir es nur ge- stehen, es sind die üblichen Ausflüchte, die vorgebracht werden: zusammen gezählt ergeben sie die Summe jener Verlogenheit, die nach des Verfassers Meinung be- wirken müsste, dass die Gemütlichkeit aufhöre. Hat sie sich aber jemals stören lassen, die deutsche Gemütlichkeit dieser Väter und Täter? Wenigstens für die Dauer der anderthalb Stunden dieser ,Anfrage´ war sie dahin. “361 Infratest ermittelte auf der Urteilsskala von -10 bis +10 einen Gesamturteils- index von +2. Dabei wurde eine Sehbeteiligung von 40 Prozent festgestellt. 362

7.3 Schlachtvieh (NDR, 14. Februar 1963) 7.3.1 Anmerkungen zur Produktionsgeschichte Fast genau ein Jahr nach der Ausstrahlung der Anfrage war die zweite Arbeit Monks als Regisseur eines NDR-Fernsehspiels zu sehen. Aus der ersten Zusammenarbeit mit Christian Geissler „ war schon ziemlich deutlich die Richtung abzulesen, die ich wollte und die sich dann ergab. Er schrieb dann auch Schlachtvieh. “363 Schlachtvieh ist ein genuines Fernsehspiel mit dem provozierenden Untertitel: Für Menschen in einem unterentwickelten Land. Für die Filmaufnahmen sollte in einem Zug der Bundesbahn gedreht werden, der vom NDR ein Drehbuch zu- geschickt wurde. Die Symbolik des Schlachtviehs und dessen Transport zum Schlachthof, die Herde, die Masse der Gedankenlosen und deren obrigkeitstreu dar- gestellte Organe (im Film in Verkörperung eines Bundeswehrangehörigen und der Eisenbahner) erscheinen aggressiv und bewirkten schon im Vorwege Ablehnung. So verweigerte die Bundesbahn ihre Unterstützung nach Lesen des Drehbuchs und stellte keinen ihrer Züge für die Dreharbeiten zur Verfügung. In einer Stellungnahme begründete die Bundesbahndirektion ihre Ablehnung mit der Unverhältnismäßigkeit der Mittel (Auszug): „Die Rollen der in diesem Spiel dargestellten Eisenbahner waren jedoch so negativ gehalten, dass die Deutsche Bundesbahn mit Rücksicht auf die Interessen des Personals sich nicht zu der gewünschten Mitwirkung entschließen konnte. Sie hat daraufhin dem NDR hinsichtlich der Darstellung des Eisenbahnerpersonals Änderungsvorschläge für einzelne Stellen des Drehbuchs übermittelt, die nichts an Sinn und Aussage des Spiels änderten. Diese Änderungswünsche wurden jedoch vom NDR brüsk abgelehnt. Bereits im Verlauf der Verhandlungen war vom NDR an-

361 E.J.: Ende der Gemütlichkeit? In: Frankfurter Allgemeine, 19.2.1962 362 Infratest-Angaben vom 16.2.1963 im Vergleich zu Angaben von >Schlachtvieh< 363 Egon Monk in: Interview am 6.11.2001 mit S.B. 136 gedroht worden, dass die Verweigerung der gewünschten Mithilfe bei den Auf- nahmen durch einen negativen Vorspann dem Fernsehpublikum mitgeteilt werden sollte .“ 364 Gedreht wurde schließlich in einem Zug der dänischen Bahn. Im Produktionsprotokoll wird unter >besondere Bemerkungen< der „Dank an die Dänische Staatsbahn für großzügige Mithilfe am Zustandekommen des Fernseh- spiels“ 365 vermerkt. Der Regisseur erinnert sich an die Dreharbeiten mit besonderem Vergnügen: „, Schlachtvieh´ war eine von drei, vier Produktionen, die ich am lustigsten in Er- innerung habe. Dieses Ding zu drehen war ein einziges Vergnügen. Ich habe mich jeden Morgen auf den Arbeitstag gefreut. Es ist, so glaube ich, den anderen ebenso gegangen. Am Rande, in den Pausen und während der Arbeit ging es außerordent- lich fröhlich zu, ohne dass deswegen geschlampt wurde. Der Spaß entwickelte sich aus der Präzision und aus dem immer besseren Entstehen eine Pointe so leicht zu machen, dass sie eben ihre äußerste Giftigkeit entfalten konnte. “366

7.3.2 Die Filmhandlung Schlachtvieh beschäftigt sich thematisch mit dem Gegenteil der Anfrage . Es ist die Darstellung der Lethargie der Nachfolgegeneration >der Väter< deren (inzwischen wieder) allzu angepasstes Obrigkeitsdenken durch Kritiklosigkeit gekennzeichnet ist. Es ist die Geschichte eines dahinrasenden Zuges mit unbekanntem Ziel. Besetzt mit Menschen unterschiedlichen Alters und aus ganz verschiedenen Berufs- gruppen. Unter den Passagieren sind ein Pfarrer (Ernst Jacobi), ein Bundeswehr- angehöriger (Bruno Dietrich als Leutnant), ein Rentnerpaar (Mita von Ahlefeldt und Albert Johannes) sowie zwei Journalisten (Hartmut Reck und Gert Haucke) und das Personal der Bahn. Die Handlung ist allegorisch. Menschen verhalten sich gleich willenlosem Schlachtvieh, lassen sich zum Schlachten treiben und sind gleichzeitig Schlächter. Die Szenerie dieses Gleichnisses spielt in dem >dahinrasenden Zug der Bundesrepublik Deutschland<, dessen Fenster sich nicht öffnen lassen, dessen Not- bremse nicht funktioniert und der an keiner Bahnhofsstation anhält. Lautsprecher- durchsagen ergeben keinen Sinn. Der aufkeimende und beharrlicher werdende Zweifel und Protest an der Richtigkeit der unerklärlichen Geschehnisse wird in der Hauptsache durch eine junge Zugsekretärin (Ingmar Zeisberg) geäußert.

364 Stellungnahme der Bundesbahndirektion Nürnberg. In: Nürnberger Zeitung, 23.2.1963 365 In: Produktionsprotokoll zu >Schlachtvieh<, Prod.-Nr. 17/10/417 366 Egon Monk in: Interview am 6.11.2001 mit S.B. 137

Es kommt zum Konflikt zwischen ihr und den Reisenden, von denen die Mehrheit nur Ruhe will und nicht bereit ist, zu hinterfragen. Auch unter den Reisenden wird teilweise Zweifel deutlich, doch am Ende des Fernsehspiels ist aller Protest unterdrückt. An einem unbekannten Zielbahnhof steigen alle aus und streben dem Schlachthof zu. Schlachtvieh und Schlächter, Opfer und Täter, Gehorsame und Machtausübende gleichermaßen.

7.3.3 Die Exposition Wie in Anfrage , geht der eigentlichen Spielhandlung eine Einleitung voraus. Ein Insert verkündet: > Es ist spannend, einem erstaunlichen Vorgang beizuwohnen. Aber bestimmen, was er bedeutet, kann gefährlich sein. Heinrich Mann< Nach Einblendung des Titels und des Autorennamens, sieht man Kühe auf einer Wiese. Sie liegen, kauen, stehen und laufen herum, während aus dem Off eine Frauen- und eine Männerstimme zu hören sind. Zu einem genussvoll kauenden Kuhmaul in Großaufnahme und gut genährt aussehenden Kühen wird im Wechsel und auch synchron von beiden Stimmen freudig kundgetan, dass >es geschafft ist< . „Wir leben nicht mehr unter Trümmern. Wir haben Sorge, dass wir zu dick werden könnten. (…) Aber was nun, mal was Neues probieren? Nein! (…) .“ Ein Lastwagen fährt auf die Wiese. Drei Männer in Schlachterkleidung und langen Stiefeln marschieren im Gleichschritt auf die Kühe zu und treiben diese mit Stöcken in den Transporter. Die Off-Stimmen verkünden zwischen Werbeslogans, dass man sich im Falle einer eventuellen atomaren Sprengung schützen kann, indem „ vor den Strahlungen einfach ein nasses Kleid über den Kopf zu ziehen ist .“ Einer Kuh wird ein großer Lappen über den Kopf geworfen. „ Machen Sie doch mit. (…) Jeder hat eine Chance “ wird verkündet, während die Kühe auf den Transporter verladen werden. Der Laster wartet in der folgenden Einstellung vor einer roten Ampel. Es ist fast dunkel. Eine Kuh sieht hinten aus dem Laster. Die Kamera folgt ihrem Blick auf die beleuchtete Auslage eines Metzgerladens. Der Laster fährt weiter. Im Anschluss wird gezeigt, wie die Kühe in ein Gebäude getrieben werden - in einen Schlachthof. Einer der Männer verschließt das schwere Tor. Die Off-Stimmen sind zu hören: „Wohin geht denn die Reise? (…) Ihr Lebensstandard hat sich erhöht. (…) Sicherheit und Geborgenheit. (…) Jeder hat eine Chance. (…) Nichts aufs Spiel setzen. (…) Die Lebensform freier Menschen. “ 138

Nach diesem filmischen Vorspann erfolgt der Einstieg in die erste Spielszene. Es ist Abend. Menschen stehen wartend an einem Bahngleis. Ein Geistlicher ist an- hand seiner Kleidung als solcher erkennbar. In einem Wartesaal vertreiben sich Reisende und Bahnpersonal am Spielautomaten, lesend und Kaffee trinkend die Wartezeit. Der Bundeswehroffizier kauft sich an einem Kiosk einen Kriminalroman. Alle steigen ein. Die Türen werden verschlossen, der Zug wird gestartet und die Fahrt beginnt.

7.3.4 Narrative Gestaltung Schlachtvieh unterscheidet sich von Anfrage und auch allen nachfolgenden Fernseh- spielen Egon Monks durch die Wahl der Parabel. Es ist eine Erzählung auf zwei Ebenen. Dem Zuschauer wird einerseits eine Handlung auf sichtbarer Ebene an- geboten und gleichzeitig eine allegorische Verschlüsselung der Realität präsentiert. Diese doppelte Erzählstruktur zwischen gezeigtem Handlungsablauf und Symbol- charakter des Dargestellten dient dem Aufzeigen von Verhaltensmustern in der bundesrepublikanischen Gesellschaft der 1960er Jahre. Die Reisenden stehen dabei für die Bürger der Bundesrepublik, der Zug ist die Bundesrepublik Deutschland, die Symbolfigur des Pfarrers steht für die unantast- bare Autorität und (glaub-) würdige Institution der Kirche. Die Journalisten stehen für >kritische Stimmen< der Medien, die sich jedoch anpassen und eindämmen lassen. Der Offizier verkörpert den Idealismus der noch jungen Institution der Bundeswehr - staatstreu, aggressionsfrei und einer gewissen Korrektheit verpflichtet. Dieser und ein Flüchtling aus der DDR (Uwe Friedrichsen), der in der Bundes- republik Fuß gefasst hat, zeigen ein gewisses Verständnis für die hartnäckige Auf- lehnung der Zugsekretärin in unverständlicher Situation. Doch bleibt ihr eigener Ein- satz zur Aufklärung der unerklärlichen Vorgänge zurückhaltend und ohne wirkliche Gefährdung der eigenen Person. Das Rentnerpaar verkörpert die ältere Generation, die, trotz leisen Zweifels, schon eher der Meinung ist, dass wohl alles seine Richtigkeit hat. Dass es noch Folgegenerationen in Deutschland geben wird, für die sich ein Nach- bzw. Hinter- fragen lohnt, wird durch die schwangere Frau (Ina Peters) des einen Journalisten ge- zeigt. Sie will wissen, worin die Bedeutung der eigenartigen Geschehnisse liegt, ver- hält sich aber abwartend und im Hintergrund. Das Bahnpersonal, in Verkörperung des ersten und zweiten Zugführers (Siegfried Wald und Harald Eggers) und des Schaffners (Kurt Otto Fritsch), hat die 139

Funktion ausführender Staatsorgane, wobei es Über- und Unterordnungen gibt. Zug- kellner (Hans Ulrich), Koch (Curt Timm) und Bardame des Zuges (Renate Pichler) sind rangnieder, ohne Weisungsbefugnis und Durchsetzungskraft. Die Position des typischen Wortführers und Machtmenschen mit Kriegs- erfahrung (eine Tapferkeitsauszeichnung steckt am Revers) ist in Gestalt eines Be- triebspsychologen (Gerlach Fiedler) symbolisiert. Ein Toningenieur beim Hörfunk (Peter Lehmbrock) steht für die Sorglosen, die sich amüsieren wollen. Erzählt wird so auch keine >echte< Geschichte, sondern eine >Zustands- beschreibung< aus Geisslers und Monks Perspektive der Verhältnisse in Deutsch- land. Der didaktische Charakter des Fernsehspiels ist offensichtlich. Es ist ein Appell an die bundesdeutsche Gesellschaft, mit offenen Augen durch das Leben zu gehen, Missstände wahrzunehmen und dagegen aufzubegehren. Der historische Bezug ist implizit erkennbar, steht als Mahnmal im Hintergrund und führt in dessen Konsequenz zu der Frage: Wollt ihr es wieder so weit kommen lassen?

7.3.5 Visuelle, auditive und darstellende Gestaltung als Träger der Intention Schlachtvieh ist eine reine Filmproduktion, keine Studio- und auch keine Misch- produktion wie ein Jahr zuvor Anfrage . Der Vorspann besteht in Schlachtvieh nicht aus Archivmaterial, sondern aus völlig neutralen Aufnahmen von Kühen. Erst durch das Auftauchen der drei Männer auf der Wiese und den asynchron unterlegten Text werden weidende und wiederkäuende Kühe zum willenlosen >Schlachtvieh- Mensch< assoziiert. Sprache und Bild stehen also in völligem Widerspruch zu- einander. Auch hier wird, wie in Anfrage , deutlich, dass Sprache eine größere Be- deutung zukommt als Bildern. Das Bild erhält erst durch die Sprache Aussagekraft bzw. eine Bedeutung für den Spielverlauf. Bis auf die Eingangssequenz auf dem Bahnhof (Warten und Einsteigen der Menschen in den Zug) und die Schlusssequenz (Aussteigen der Menschen aus dem Zug) wird kein Ortswechsel vorgenommen. Der einzige, abrupte Zwischenstopp führt nicht zum Verlassen des Zuges. Auch hierin liegt Symbolkraft – niemand ver- lässt die Bundesrepublik, trotz aller Ungereimtheiten, trotz dieser eingebauten respektive vorhandenen Möglichkeit dazu. Der Kamerastandpunkt vermittelt stets eine Sichtweise von außen auf das Geschehen. Es ist die distanzierte Abbildung der Verhältnisse. Keine Kameraein- stellung erzeugt Nähe zu den Figuren. Meinungen und Reaktionen der Figuren 140 werden durch Aktion vor der Kamera, nicht mit der Kamera, stellvertretend für den Blick der Agierenden, vermittelt. Die Protagonisten stellen im Sinne des Wortes etwas dar. Sie sind, ähnlich wie in Anfrage , als Prototypen erkennbar, jedoch auch übertragbar auf Institutionen wie Kirche und Staat. Nur in dem Moment, als die Zug- sekretärin in der Position des Störenfrieds die Notbremse ziehen will und ihr der Pfarrer den Zugang verweigert, stellt die Kamera ihren Blick dar. Alle anderen stehen, teils hämisch grinsend, teils kopfschüttelnd oder sich abwendend, vor ihr. Die Kamera schwenkt aus ihrer Sicht im Halbkreis und fängt so die verschiedenen Re- aktionen ein. Es wird deutlich: Sie ist allein, eine Außenseiterin. Kameraeinstellungen und Schnitttechnik wechseln in Schlachtvieh wesentlich häufiger und schneller als in Anfrage . Dies geschieht synchron mit dem raschen Schlagabtausch der Wortwechsel. Schlachtvieh ist von den Dialogen her wohl Monks und Geisslers originellstes Fernsehspiel. Schnell und geistreich fliegen die pointierten Spitzen hin und her. Aus dem Lautsprecher schallen zunächst unverständ- liche Durchsagen: > Auftrieb – Sicherheit zuerst – Sicherheit gleich Tarnung – Tarnung gleich Sicherheit – Punktzeit – keine Experimente – Friedenskrieg 402 – mit allen Mitteln Punktzeit – Gleitdifferenz <. Als die Zugsekretärin im Beisein des Pfarrers vergeblich versucht, telefonisch zu erfahren, was die seltsamen Laut- sprecherdurchsagen zu bedeuten haben, will dieser beschwichtigen. „ Da kann man nichts machen. Das ist höhere Gewalt. “ „ Wie hoch? “ fragt sie zurück. Im Zentrum des Fernsehspiels wird >das Schlachten< gezeigt. Der Pfarrer schlägt zur Besänftigung der Gemüter vor, irgendetwas zu spielen. An dieser Stelle wechselt die Vorrangigkeit der Sprachebene im Fernsehspiel zur Vorrangigkeit der darstellenden Gestaltung. Die Schauspieler vermitteln die Symbolik im Film durch körperbetontes Agieren. Einer der beiden Journalisten (Hartmut Reck) beschreibt das Spiel >Schlachtvieh<: „ Es ist fürchterlich einfach und fürchterlich lustig. “ Nacheinander führen einige pantomimisch das Schlachten verschiedener Tiere vor. Die anderen sollen jeweils erraten, um welche Tiertötung es sich handelt. Wer die Lösung errät, ist als Nächster dran. Ein wenig zögerlich zuerst, doch mit wachsender Begeisterung, spielen die meisten mit. Der Leutnant errät das Töten eines Karpfens durch die Darbietung der älteren Dame. Er wird aufgefordert, selbst >zu töten<. Er antwortet: „ Ich habe aber noch nie etwas geschossen. “ „ Immer nur Sandkastenspiele? “ fragt der Journalist ironisch zurück. Daraufhin >tötet< der Soldat eine Taube, indem er ihr den Hals umdreht. Pfarrer und Journalist zitieren aus der 141

Bibel. Die symbolträchtige Ebene wird deutlich: Es ist die Friedenstaube. Der Leutnant wischt sich die Hände an seiner Uniform ab. Die Leute amüsieren sich. Der Pfarrer tötet einen Hahn und lässt das Blut auslaufen. „ Na, Sie machen es aber gründlich! “ stellt das Barmädchen fest und zieht zum Schutz vor dem imaginären Blut angeekelt die Beine auf die Sitzpolster. Alle lachen. Der Betriebs- psychologe tötet einen Ochsen mit einem Bolzenschuss und bleibt, stellvertretend für diesen, zuckend am Boden liegen. Alle lachen. Es wird applaudiert. Zum Schluss der Darbietungen ist der andere Journalist (Gert Haucke) dran. Er führt auch eine Art von Schlachten vor, doch ist dieses die Tötung des Menschen durch eine Atombombenexplosion. Unterstützt durch eine schnelle Schnittfolge, die das Gesicht des >Spielers< hart und gefährlich näher kommen lässt, wird eine be- klemmende Vision frei. Der Journalist setzt sich in den Mittelgang, seine Hände um- klammern ein imaginäres Steuer. Durch seine Stimme, die leiser und immer lauter werdend brummt, wird klar, dass es das Steuer eines Flugzeuges sein muss. Es kommt näher. Der Blick ist starr geradeaus gerichtet; auf ein Ziel, den Abwurfpunkt. Der Betriebspsychologe und der Toningenieur fangen ebenfalls an zu brummen. Der Pfarrer und der erste Journalist beobachten. Der Pfarrer blickt abwartend, die Hände fast wie zum Gebet gefaltet. Er (die Kirche) brummt (macht) nicht mit, doch er greift auch nicht ein. Er versucht nicht >das Spiel< (den Krieg?) zu verhindern. Dem Geschichtskundigen wird die Haltung der (katholischen) Kirche im Zweiten Weltkrieg in Erinnerung sein. Wie viele der Zuschauer mögen es wohl 1963 gewesen sein? Der Journalist stützt sich, leicht gelangweilt aussehend, an einer Lehne ab. Auch er macht nicht mit, unterbricht aber auch nicht die drastische Darstellung. Seine kritische Haltung ist längst dahin. Der Soldat geht aus dem Abteil. Er (die Bundeswehr) will kein Aggressor sein. Der spielende Journalist ruft: „ Achtung Jungs. Zehn, neun, acht… und ab! “ Er formt mit beiden Händen den Fall der Bombe. Langsam sinkt sie zu Boden, während ringsherum das Fallen von dem typischen Pfeifton einer abgeworfenen Bombe be- gleitet wird. Das Geräusch scheint den Menschen noch bekannt; sie erzeugen es ohne Aufforderung. Die Bombe schlägt ein. In sehr schneller Schnittfolge zeigt die Kamera die Gesichter der >Opfer<. Sie schließen alle reflexartig die Augen - die ältere Dame, ihr Mann, der Betriebspsychologe, der Toningenieur. Der Journalist behält unverändert seine Haltung bei und lächelt ein wenig abschätzig. Der Pfarrer 142 wird nicht gezeigt. In die folgende Stille hinein formt der Spieler den Umriss eines Atompilzes. Die Zuschauer applaudieren und rufen begeistert: „ Bravo! Bravo !“ Im Nachbarabteil sind der Soldat, die Zugsekretärin, die Schwangere und der Ostflüchtling versammelt. Der Soldat schätzt die Situation ein: „ Sie spielen draußen verrückt. Sie spielen schlachten!“ Die Zugsekretärin antwortet: „ Das passt. “ Inzwischen spielen die anderen Karten. Aggression liegt in der Luft. Die Stimmung ist aufgeheizt. In diesem Moment erfolgt der abrupte Stopp. Es ist dunkel im Zug. Das Staatsorgan in Gestalt des Schaffners schreitet ein. Mit einer Taschen- lampe in der Hand verkündet er, dass „alles in Ordnung ist “. Dies wird von beiden Zugführern bekräftigt. Das Licht geht wieder an. Der Pfarrer, der sich bis zu diesem Zeitpunkt im Hintergrund hielt, schreitet unverzüglich ein, als der Ostflüchtling, unterstützt von den anderen >Aufsässigen<, den Zugschlüssel für die Türen an sich reißt. Dass >die Macht< von einem >von drüben< ergriffen werden könnte, ist auch für den älteren Mann völlig unvorstellbar. Der Soldat schlägt ein demokratisches Verhalten vor. Es soll abgestimmt werden, wer den >Schlüssel der Macht< behält. Die Mehrheit stimmt gegen den >von drüben< und bildet so ein >Bollwerk gegen einen sozialistischen Übergriff<. Der Schlüssel wird vom Schaffner, dem bundesdeutschen Staatsorgan, entgegen- genommen. Der Soldat wird als >feige und peinlich< beschimpft. „ Sie wollen uns beschützen? “ ruft der Betriebspsychologe mit Tapferkeitsauszeichnung. Die anderen wenden sich ab. Es herrscht wieder Ruhe und Disziplin im Zug. Die allgemeine Er- heiterung ist verflogen. Niemand lacht mehr. Es folgt ein emotionaler Ausbruch der Zugsekretärin, die verzweifelt zum >Fragen, Fragen, Fragen< auffordert. Sie wird in Nahaufnahme gefilmt. Die Kameraeinstellung fängt ihren Blick ein. In frontaler Ansprache wendet sie sich scheinbar an die Mitreisenden und das Bahnpersonal. Doch sie sieht den Zuschauer an. Es ist ein direkter Blick, wie er bisher in Schlachtvieh nicht gezeigt wurde. Es ist klar - sie, und damit der Autor und der Regisseur, meint(en) die Menschen am Fernsehschirm. Pfarrer (Kirche) und Schaffner (Staatsorgan) stehen dabei im Hintergrund. Die anderen (die Bürger) wenden sich ab und gehen. Sie wollen ihre Ruhe und setzen sich für nichts ein. Die Zugsekretärin wird von den anderen isoliert (verhaftet) und nach dem Aussteigen aller vom Schaffner abgeführt. Die anderen treten zuerst als Reisende, dann nochmals als Schlächter angezogen, aus dem Zug. Schlachtvieh wird eingeblendet. In der letzten Einstellung erhält eine Kuh einen Bolzenschuss in die Stirn. 143

Häufig eingeblendete Inserts, wie in Anfrage, gibt es bei Schlachtvieh nicht. Nur vor Einsetzen des Vorspanns, also ganz am Anfang des Fernsehspiels, wird ein Zitat eingeblendet. Der vor Einsetzen der Spielszenen eingeblendete Untertitel des Fernsehspiels: Für Menschen in einem unterentwickelten Land erscheint am Ende des Films noch einmal. Weitere Schrifttafeln werden nicht verwendet. Kein Ich- Erzähler führt durch die Handlung und weist auf bestimmte Dinge hin, wie in An- frage . Trotzdem ist das Fernsehspiel durch die Erzählform der Parabel außerordent- lich didaktisch angelegt und mit Symbolik belegt. Musik wird im Gegensatz zur Anfrage etwas häufiger eingesetzt. Die NDR- Bigband-Kompositionen mit dem Jazzmusiker Hans Koller 367 haben ein langsames, >dunkel< wirkendes Grundmotiv mit einem Saxophon im Vordergrund. Die Hand- lung wird nicht konstant von Musik untermalt, sondern im Vorspann, zu Beginn, am Ende und als verstärkende Wirkung in einer besonders dramatischen Sequenz ein- gesetzt. Dies geschieht nach dem >Schlachtenspielen<. Die aufgeheizte Stimmung wird beim anschließenden Kartenspielen durch Jazzmusik als >Aggressionsver- stärker< begleitet. Sie ist schneller und lauter, leicht schrille Töne begleiten lautes Geschrei, das durcheinander geht. In dieser Sequenz wird die Musik synchron zum Bild eingesetzt, d. h. die Zugsekretärin legt eine Schallplatte auf. Die Quelle der Musik wird sichtbar. In einer kurzen Tanzszene vor dem >Schlachten< erklingt Musik aus unsichtbarer Quelle. Das Barmädchen leitet die Szene mit einem Tablett voller Sektgläser ein. Im Hintergrund erklingt Musik. Eine besondere Akzentuierung durch Musik ist ansonsten jedoch nicht nachweisbar.

7.3.6 Im Spiegel der Zeit: Kritiken zu >Schlachtvieh< Monks Vorliebe der ensembleähnlichen Arbeitsweise 368 bedeutete für ihn Qualität, für die er rückblickend jedoch eine gewisse Unsensibilität bei den Kritikern seiner Filme sieht. „Ich finde, was die Arbeit der Schauspieler angeht, bis auf ganz wenige Aus- nahmen, sieht man es den Filmen auch an. Das Resultat ist ungewöhnlich, gemessen an dem, was man sonst so sieht. Und es entsprach immer meinem größten Bedauern, dass unsere Rezensenten dafür so gar keinen Blick hatten. Die Kritiker haben sich immer mit der Thematik meiner Filme auseinandergesetzt, was an sich kein Vorwurf ist. Doch hatte jemand fünfhundert Zeilen für seine Kritik in einer Zeitung zur Ver-

367 In: Produktionsprotokoll zu >Schlachtvieh<, zur Einblendung benutzter Musikstücke 368 Siehe auch innerhalb dieser Arbeit unter Kapitel: Die Entwicklung der Hauptabteilung Fernseh- spiel. 144 fügung, beschäftigten sich vierhundert Zeilen mit dem Thema. Ob richtig oder falsch, die Schauspieler wurden nur, wenn sie Glück hatten, erwähnt. Dass das Ensemble- spiel von hohem Grad ist, hat bis zum heutigen Tag niemand bemerkt. Nehmen wir nur das Beispiel ,Schlachtvieh´. Man sieht wie die Figuren, die in diesem Zug fahren, auf die Idee kommen >Schlachten< zu spielen. Auf welche Ideen die einzelnen in ihren verschiedenen Charakteren kommen, um ein bestimmtes Tier darzustellen, ist alles in den Kritiken untergegangen. Dass das auch ein leichtes, über lange Strecken satirisches Boulevardspiel ist, ist alles untergegangen. Nur das Thema war interessant. “369 Dieser Rückblick ist richtig. Für Schlachtvieh gilt wie für alle anderen Fern- sehspiele Monks, dass das Thema im Zentrum der Kritiken stand. Als Boulevard- spiel, bei dem man sich auch amüsieren sollte oder könnte, ist Schlachtvieh bei den Kritikern und Zuschauern jedoch nicht angekommen. Beim Sender gingen, noch während das Fernsehspiel über den Bildschirm lief, Protestanrufe ein. Es waren „ zwischen 90 und 100 Anrufen, von denen der überwiegende Teil gegen das Stück war: Haarsträubend, unverschämt, idiotisch, links infiltriert, destruktiv, beschämend, Wasser auf die Mühlen der Bild-Zeitung, wir wollen Unter- haltung… “ vermerkte der Leiter vom Dienst in seinen Aufzeichnungen. 370 Die Zuschauer wollten oder konnten sich nicht mit dem Gezeigten identi- fizieren. Ausschlaggebend für die schlechten Kritiken war, nach Monks Ein- schätzung, dass „ eine Parabel für viele Zuschauer eine schwierige Form der literarischen Darstellung ist. Zudem noch eine satirische. Man muss als Tatsachen- feststellung hinnehmen, dass Satiren nicht immer als solche erkannt werden. Eine hohe Zahl von Zuschauern nimmt was sie sehen und hören wörtlich “. 371 Auch für die heutige Zeit sieht Egon Monk (für sich) keine Möglichkeit, eine solche Form der Darstellung im Fernsehen umzusetzen. „ Das Fernsehen ist einfach der falsche Ort. Parabel und Satire gehen nicht. Ich habe auch nie wieder eine ge- macht. Für Pflege von Minderheiten ist das Fernsehen schlicht nicht der richtige Ort. Dann muss man woanders hingehen – ans Theater, oder ein Buch schreiben. Es gibt viele Möglichkeiten. Wenn man aber in einem Massenmedium wie dem Fern- sehen arbeitet, dem größten Volkstheater aller Zeiten, (…) muss man wissen, dass bestimmte Sachen gehen und bestimmte Sachen nicht. Das hat nichts mit Selbst- zensur zu tun, sondern mit Einsicht über die Beschaffenheit des Berufs, den man aus-

369 Egon Monk in: Interview vom 6.11.2001 mit S.B. 370 Tagesbericht des Leiters vom Dienst zu >Schlachtvieh<, Unterschrift unleserlich. 371 Egon Monk in: Interview am 6.11.2001 mit S.B. 145

übt. (…) Ich würde es als äußersten Luxus beschreiben, einen wirklich satirischen Film zu machen, wissentlich für das Fernsehen, von mir aus auch für das Kino. Wissend, dass die Kassen leer bleiben. Da muss man schon Zyniker sein. Ich habe das begriffen. Zyniker bin ich nicht. “372 Die Anrufe kamen nicht nur am Ausstrahlungsabend, sondern auch noch Tage danach. Schlachtvieh war für die Abteilung „ ein Anlass einen Dienst einzu- führen, der Zuschaueranrufe entgegennimmt. Der Reihe nach war jeder Redakteur dran und musste abends als Diensthabender nach Lokstedt. Dort liefen die tele- fonischen Beschwerden ein und die Redakteure mussten für die Antworten am Tele- fon zur Verfügung stehen. Die armen Telefonistinnen, die bei ,Schlachtvieh´ Dienst taten, waren natürlich völlig verzweifelt. Sie wussten gar nicht, was sie den Leuten antworten sollten, haben still die Beschimpfungen hingenommen und ein paar Zeilen aufgeschrieben. Herr Lütdke, Herr Kozuszek und alle anderen mussten der Reihe nach hin. Wenn mal keine Beschwerde, keine bösen Anrufe kamen, waren sie ganz enttäuscht und sagten: ‚War nischt. War ganz still!’ “373 Die Darstellung des Pfarrers, und damit die Haltung der Kirche, rief ganz besonders die Empörung vieler Kritiker hervor. Egon Monk und seine Mitarbeiter „haben damit gerechnet. Einen Priester derart auf die Hörner zu nehmen war ein starkes Stück. Ein Priester als Prediger der Anpassung wurde sehr übel ge- nommen “. 374 Der Vergleich des kritiklosen Menschen gegenüber der Staatsmacht mit willenlosem Schlachtvieh, unweigerlich im Schlachthof endend (erste Einstellung des Films: Kühe auf einer Weide, letzte Einstellung: Kuh erhält Bolzenschuss) und die als Affront gegen die Kirche aufgefasste Darstellung des Geistlichen war so manchem Fernsehkritiker zu drastisch (Beispiele/Auszüge): „ Man nennt solche pädagogischen Mittel Holzhammermethode. Dem ist weiter nichts hinzuzufügen. “375 „Das Fernsehspiel war antikirchlich. Es rief zum Widerstand gegen die herrschende Gesellschaftsordnung auf, der bescheinigt wurde, sie führe wieder eine junge Generation ins Massengrab. Regie führte Egon Monk, der keine Möglichkeit, die Tendenz des Pamphlets so drastisch, wie optisch möglich, darzustellen, schuldig blieb. Künstlerischen Rang hatte das Stück nicht. “376 „Ein Fernsehspiel war das nicht, sondern eine Unverschämtheit. Es kann einer ruhig behaupten, dass junge

372 Egon Monk in: Ebd. 373 Egon Monk in: Ebd. 374 Egon Monk in: Ebd. 375 M.L.: Am Bildschirm. In: Westdeutsche Allgemeine, 15.2.1963 376 M.A.: Pamphlet . In: Kölnische Rundschau, 15.2.1963 146

Menschen von heute mehr Typen als eben Individuen sind, aber dass sie deshalb gleich mit einer Herde Hornvieh zu identifizieren wären – dazu hat niemand das Recht. Der Hamburger Chefdramaturg Egon Monk und dessen Liebkind Christian Geißler glauben, es sich anmaßen zu können. “377 In Anspielung auf den Untertitel des Films, > Für Menschen in einem unter- entwickelten Land <, urteilte ein Kritiker: „ Die Herren des NDR betrachten sich an- scheinend als die einzig Entwickelten und fühlen sich als solche isoliert. In ihrer Ein- samkeit drehen sie durch und beschimpfen die, von deren Gebühren sie leben. Wenn sie konsequent wären, gäben sie ihren öffentlichen Auftrag freiwillig zurück. “378 Gerade den öffentlichen Auftrag, nicht nur zu unterhalten, sondern auch zu unterrichten, war jedoch das Anliegen Monks und seiner Mitarbeiter der Hamburger Fernsehspielabteilung. Nicht >Beschimpfen<, sondern Sensibilisieren für die eigenen Belange der Bürger in der Bundesrepublik der 1960er Jahre war ihr Bestreben. Menschen den Spiegel der Zeit vorzuhalten und in unbequemer Hartnäckigkeit wenig leichte Unterhaltungskost zu bieten, war die Art des öffentlichen Auftrags, die unter Monks Leitung die Fernsehspielabteilung des NDR charakterisierte. Trotz massiver Proteste zum Fernsehspiel Schlachtvieh wurde der Aufruf gegen blinden Gehorsam und politisches Desinteresse auch erkannt: „ Für mich war es eine der besten Sendungen der letzten Jahre. Sie zeigte ohne Scheu, wie es um die Masse der Menschen in unserem Lande bestellt ist. “379 „Diese Sendung war not- wendig, auch wenn mancher vielleicht nicht zufrieden war. So ehrlich müssen wir alle gegen uns selber sein. “380 „Vorwürfe, Angriffe, sicherlich auch Parlaments- anfragen werden dem NDR noch einigen Kummer bereiten. Er trage ihn mit Fassung, des Beifalls vieler gewiss. “381 "Solange es solche Unbequemen gibt, die ihr Unbehagen zu formulieren suchen und an den Nutzen der Provokation glauben, lohnt es noch, über den eigenen Standort nachzudenken. Deshalb ist ‚Schlachtvieh´ trotz aller Einwände eine der aktuellsten und wichtigsten Sendungen dieses Jahres. “382 Doch Tatsache war, dass das Fernsehspiel manche auch langweilte und offen- sichtlich zu anstrengend war. Für viele blieb „das Spiel zu synthetisch. Geisslers

377 H. M.: Ein Haufen Verrückter auf Urlaub . In: Die Rheinpfalz, 16.2.1963 378 Will der NDR Amok laufen? In: Rheinische Post, 15.2.1963 379 Jakob, Hans-Jürgen, Dornheim (Leserzuschrift): Schlachtvieh. In: Hören und Sehen, 10.-16.3.1963 380 k.m.: Keine Show – Schock. In: Hamburger Morgenpost, 15.2.1963 381 Dr. K.: Unruhe ist die erste Bürgerpflicht. In: Hamburger Echo, 15.2.1963 382 Habernoll, Kurt: Eine neue Anfrage. Geisslers Schlachtvieh will provozieren. In: Der Abend Berlin, 15.2.1963 147

Argumente sind besser als ihre Formulierung und deshalb gehen sie dem Zuschauer nicht in dem Maße unter die Haut, wie sie es verdient hätten “. 383 Auch Infratest stellt zu diesem Fernsehspiel fest, dass viele Zuschauer sagten: „Man habe sich dabei gelangweilt. Es war viel zu schwer zu verstehen und man haben keinen ‚roten Faden´ gefunden. “ 384 Insgesamt erfuhr Schlachtvieh dennoch eine hohe Sehbeteiligung von 61 Pro- zent, die Egon Monk rückblickend so beurteilte: „ Das war manchmal so. Die Leute haben manchmal wütend bis zum Schluss zugeschaut, waren wild entschlossen, sich bis zum Schluss zu ärgern. “385 Das zweite Fernsehspiel Monks in Zusammenarbeit mit Geissler wurde im Gegenteil zur Anfrage wesentlich schlechter beurteilt und fand eine ungünstige Gesamtbeurteilung von -2 auf der Urteilsskala von -10 bis +10. Als >ausgezeichnet< wurde es nur von 7 Prozent beurteilt. 386

7.4 Mauern (NDR, 30. Mai 1963) 7.4.1 Anmerkungen zur Produktionsgeschichte Das Fernsehspiel Mauern entstand in Zusammenarbeit mit dem Autor Gunther R. Lys 387 und war eine Reaktion auf den Bau der Mauer zwischen Ost- und Westberlin. Monk war 1961 in Berlin und sammelte Eindrücke, die ihn nicht mehr losließen. Als er wieder in Hamburg war, wusste er, dass er diese in einem Fernsehspiel verarbeiten wollte. Er ging zu Lys und sagte: „ Darüber müssen wir etwas machen! Und er schrieb. So schnell es ging, haben wir es gemacht. Darin drückt sich auch aus, wohin ich wollte. Möglichst dicht an den Ereignissen, dicht an der Zeit, in der wir lebten. “388 Monk war immer daran interessiert, Aktuelles auch schnell umzusetzen. Was für diese Fernsehproduktion hieß: Die Umsetzung zwischen Idee, Drehbuch, Dreh- arbeiten und Sendetermin dauerte etwa ein Jahr und neun Monate. Gedreht wurde im Frühjahr 1963, zwischen Februar und März, in Koproduktion mit dem Sender Freies

383 hdr.: Schlachtvieh. In: Süddeutsche Zeitung, 16./17.2.1963 384 Infratest-Angaben vom 17.4.1963 385 Egon Monk in: Interview am 6.11.2001 mit S.B. 386 Infratest-Angaben vom 17.4.1963 387 Vgl. zu Lys auch innerhalb dieser Arbeit unter Kapitel: Die Entwicklung der Hauptabteilung Fern- sehspiel. 388 Egon Monk in: Interview am 6.11.2001 mit S.B. 148

Berlin. 389 Monk erinnerte sich an die Entstehungsgeschichte von Mauern in Stephan Reichenbergers Filmdokumentation: ,Mauern´ entstand spontan. Ich hatte damals immer die Vorstellung, und ich glaube sie ist nicht ganz falsch, dass Fernsehspiel im Gegensatz zum etwas schwerer beweglichen Kinofilm unter anderem auch die Aufgabe hatte aktuell zu reagieren auf Ereignisse. Ein aktuelles Ereignis war damals der Bau der Mauer quer durch Berlin. Ich war ein paar Tage danach dort und habe mir angesehen, da wo ich auf- gewachsen war, was da vor sich ging und wie es vor sich ging. Ich habe die Regung, den Wortwechsel der überall war wo die Mauer entstand mir angehört und an- gesehen und habe sehr oft den Vorwurf von der Westberliner Seite aus gesprochen und herüber gerufen gehört: ‚Ihr wollt Deutsche sein? Deutsche schießen auf Deutsche? ´ - Es wurde nicht geschossen, aber es wurde angenommen, dass es zu Schüssen wohl kommen würde. Und das ging mir durch den Kopf. Ich fand diesen Satz: Deutsche schießen auf Deutsche… zwar nahe liegend, aber ebenso falsch wie nahe liegend. Und das war der Ursprung von ,Mauern´. Weil die Vorgeschichte dieser Mauern, auch der Plural im Titel ,Mauern´ zeigt es ja schon deutlich, eine sehr lange und eine sehr schwierige ist. Die Annahme Deutsche hätten nicht auf Deutsche geschossen ist schlicht eine falsche. Es genügt vollständig, in Berlin vor allen Dingen, zurückzudenken an die Ereignisse im Zusammenhang mit dem Ende des Ersten Weltkrieges, die November- revolution, die dann folgenden vierzehn Jahre der Weimarer Republik, in denen Straßenkämpfe – sich bekämpfende Gruppen, mit bestimmten festen politischen An- sichten, die aber ihre Ansichten nicht parlamentarisch, d. h. redend und miteinander argumentierend ausfochten, sondern mit Fäusten, Messern und Revolvern – auf- einander schießend also. Das, was dann den Inhalt des Films ausmacht war ja noch lange nicht vergessen als ,Mauern´ produziert wurde. Und so wollte ich versuchen, die lange, die unerfreuliche Vorgeschichte dazu zu geben, um wieder, was ich mit allen meiner Filme mache, zu vermitteln, den realistischen Blick von den gegenwärtigen, aktuellen Ereignissen zurückrichtend in die Geschichte und Vorgeschichte dieses Ereignisses. Zum besseren Verständnis was passiert, aber auch nicht nur zu dem Zweck zum Nachdenken anzuregen, sondern sich vielleicht aktiv selbst auch den Kopf zu zerbrechen. Welche friedlichen und

389 Der Zeitraum der Dreharbeiten lässt sich aufgrund unterschiedlicher Darstellerverpflichtungen festlegen. Der gesamte Arbeitszeitraum lässt sich aufgrund der Drehbuchabgabe des Autors u. auch der Verpflichtung des Regisseurs (Vertragseinsicht von mir) eingrenzen. 149 demokratischen Möglichkeiten gibt es, den eingetretenen Schreckenszustand vielleicht als überwindlich und aufhebbar erscheinen zu lassen in Zukunft. Das war der Sinn von ,Mauern´. 390

7.4.2 Die Filmhandlung Das Fernsehspiel Mauern schildert Ereignisse aus drei Jahrzehnten der deutschen Geschichte, von Beginn der 1930er bis in die 1960er Jahre. Am Beispiel der beiden Berliner Familien „Nast“ und „Koslowski“, deren Schicksale sich im Anschluss an eine Straßenschlacht zwischen Kommunisten und Nationalsozialisten zum ersten Mal kreuzen, werden die historischen Bedingungen und Voraussetzungen der Situation zwischen ihnen rückblickend aus den 1960er Jahren geschildert. Die Macht der politischen Umstände führt die Väter von ursprünglicher Freundschaft bis zur Entfremdung, schließlich Feindschaft. Ihre Fähigkeit, sich über Parteilinien mit menschlicher Solidarität hinwegzusetzen, geht in den Kämpfen und verbitternden Erfahrungen der 1930er, 1940er und 1950er Jahre verloren. Während „Werner Nast“ (Siegfried Wischnewski) als Parteimitglied Nutznießer des Faschismus wurde, sorgte er für die langjährige Internierung seines ehemaligen Freundes, des Kommunisten „Paul Koslowski“ (Ernst Ronnecker). Nach dem Krieg wird „Koslowski“ zum über- zeugten Funktionär des Ulbricht-Regimes. „Nast“ kehrt erst 1952, uneinsichtig und alle Schuld von sich weisend, aus russischer Gefangenschaft zurück. Zwischen beiden gibt es keine Verständigungsmöglichkeit mehr. Die Söhne beider, befreundet wie einst die Väter, stehen zwischen ihnen. Voller Hass erwartet „Paul Koslowski“ von seinem Sohn „Walter“ (Hartmut Reck), einem Volkspolizisten, dass er „Werner Nast“, den Nazi, wieder einsperren würde. Auch „Werner Nast“ erwartet eine eindeutig ablehnende Haltung von seinem Sohn „Hans“ (Ernst Jacobi) gegenüber der Familie „Koslowski“. Beide Söhne sind nicht bereit, den Hass zu teilen. Sie scheitern dennoch an der Entwicklung der Lebensum- stände und der Vergangenheit der Väter. Obwohl die Freunde die DDR aus unter- schiedlichen Beweggründen heraus nicht verlassen wollten, entschließen sich beide letztendlich zur Flucht. Während der eine den geplanten Fluchtversuch mit dem Leben bezahlt, gelingt diese dem anderen, der sich spontan dazu entschloss. Glück kann er darüber jedoch nicht empfinden. Sein Freund ist tot.

390 Egon Monk in: >Ort der Handlung Deutschland. Egon Monk und seine Filme< . Eine Film- dokumentation von Stephan Reichenberger, 1985. Produktion NDR in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut. Erstausstrahlung am 29.9.1987 150

7.4.3 Die Exposition Monks Ansatz aus der Historie heraus die Teilung Deutschlands und die daraus ent- stehenden Folgen am Beispiel zweier Familien zu erzählen, wird vor Beginn der Geschichte, wie in Anfrage und Schlachtvieh , mit einem Vorspann eingeleitet. Es wird eine Einleitung mit Archivbildern vom Mauerbau, Ereignissen aus der Weimarer Republik und der zwölf Jahre währenden Hitler-Diktatur vorangestellt. Danach sieht man in einer Studioaufnahme einen uniformierten Mann an einem Schreibtisch sitzen. Es ist ein Westdeutscher, der einem unsichtbaren Inter- viewer von einem Fluchtversuch >von drüben< berichtet. Er erzählt von einer Be- schießung von Flüchtlingen an der Spree, bei der nach Beobachtungen der Grenz- posten „ ganze Serien abgefeuert “ wurden. Nur ein Flüchtling scheint angekommen zu sein, schwer verletzt, von einem Westdeutschen mit einer Stange aus der Spree gezogen. Zu anschließenden Filmaufnahmen von Mietshäusern, der Spree und Straßen- zügen in Berlin erklingen vielfältige Stimmen aus dem Off. Männer und Frauen be- richten unterschiedliche Beobachtungen des Ereignisses. Dazwischen hört man an- klagende Schreie: „ Ihr wollt Deutsche sein? KZ-Mörder seid ihr, Schweine! “ Ein Mann sagt: „ Deutsche schießen auf Deutsche! Dies und „KZ-Mörder“ wird von einer anderen Stimme wiederholt. Dann erscheint wieder der Uniformierte am Schreibtisch zwischen seinen Papieren. Er spricht den Unsichtbaren mit >Herr Kommissar< an, was auf eine Untersuchung des Vorfalls hindeutet: „ Wissen Sie, Herr Kommissar, die Spree ist ja dieselbe, aber die Menschen…Das hat´s doch früher nicht gegeben. “ Ein Insert wird eingeblendet: > Der Mensch, sein Leben, sein Wohl stehen im Mittelpunkt unseres Tuns und Denkens. Walter Ulbricht< Im Folgenden wird in einer Studioszenerie eine der Figuren des Films ein- geführt. Eine junge Frau sitzt an einem Schreibtisch, in gleicher Position wie zuvor der Uniformierte, diesmal jedoch mit anderen Requisiten. Sie trägt einen weißen Kittel und vor ihr auf dem Tisch stehen Instrumente: ein Mikroskop und Reagenz- gläser sind zu erkennen. Die anonyme Stimme befragt sie nach „Hans Nast“. Sie gibt zu, ihn zu kennen, >von drüben<. Es wird schnell klar, dass sie ein Flüchtling ist. Ihr Name ist „Hilde Weiss“ (Lis Verhoeven). Sie war mit „Hans Nast“ (Ernst Jacobi) verlobt, >drüben<. Offensichtlich floh sie ohne ihn. Die Stimme, die dem >Kommissar< zuzuordnen ist, berichtet ihr von dessen Fluchtversuch und auch, dass er noch in derselben Nacht, schwer verletzt, verstarb. Zeugenaussagen zufolge soll er 151 auf seiner Flucht einen Namen gerufen haben: „Walter“. Sie wird befragt, ob sie diesen „Walter“ kennt und was sie zum Geschehen um den Toten beizutragen hat. Sie fängt an, rückblickend von den Ereignissen um „Hans Nast“ zu berichten. Mit einer Überblendung in eine Filmszene, die eine regennasse Straße und eine Toreinfahrt zeigt, wird eine nächtliche Begegnung zwischen ihr und „Hans Nast“ suggeriert. Die Schauspieler agieren jedoch erkennbar im Studio. Sie erzählt ihrem Verlobten, dass sie >nach drüben< fliehen will. Sie will, dass er mitkommt, gleich morgen. Er will Arzt werden und sie macht ihm klar, dass er dies in der DDR nicht werden kann, „ weil deine Eltern Bürgerliche sind. Drüben kannst du es! “ Er lehnt es jedoch ab, mitzukommen, „ Es können nicht alle weglaufen. Ich laufe nicht, nur weil alle weglaufen. “ „Walter“ (Hartmut Reck) erscheint. Ein Mann in der Uniform der nationalen Volkspolizei. Alle drei kennen sich offensichtlich sehr gut. „Walter“ ist ein Freund von „Hans Nast“. Scherzhaft wird über die Fluchtpläne von „Hilde“ gesprochen, die von „Walter“ „ eigentlich gleich verhaftet werden müsste. “ „Hilde“ verlässt die beiden Freunde und ruft „Hans“ nochmals zu, mitzukommen. Mit einer Überblendung in die gefilmte Außenwelt, für die eine Rückwärtsfahrt der Kamera aus dem Torborgen verwendet wurde, endet die Sequenz. Die Einführung von zwei Hauptfiguren („Hans Nast“ und „Walter Koslowski“) sowie die Konflikt- vorbereitung durch eine Nebenfigur („Hilde Weiss“) sind damit abgeschlossen.

7.4.4 Narrative Gestaltung Für Mauern wurde ein Einstieg gewählt, der in komprimierter Form deutsche Geschichte vermittelt. Innerhalb von 4´06 Minuten werden 35 (!) Ausschnitte aus unterschiedlichen Quellen gezeigt. Der längste Ausschnitt ist 21 Sekunden lang und zeigt >Jubelnde< zur Zeit des Nationalsozialismus in verschiedenen Einstellungen. 391 Zwei 20 und 19 Sekunden lange Ausschnitte vom Bau der Berliner Mauer in ver- schiedenen Einstellungen sind Archivmaterial der ARD-Sendeanstalt SFB. 13 der insgesamt 35 Ausschnitte sind jeweils nur eine bzw. zwei Sekunden lang. Diese winzigen Ausschnitte bieten dem Zuschauerauge in rasantem Wechsel u. a. Auf- märsche des antifaschistischen Widerstandes 392 sowie der nationalsozialistischen Gruppierungen SA und SS. 393

391 Ausschnitt aus >Echo der Heimat<, Nr. 7, Transit-Film GmbH, Bundesarchiv. In: Produktions- protokoll zu >Mauern<, Prod.-Nr. 17/19/417, Filmlizenzgeber 392 Ausschnitt aus >Antifa-Aufmarsch in Berlin, Transit–Film GmbH, Bundesarchiv. In: Ebd. 393 Ausschnitt aus >Echo der Heimat<, Nr. 7, Transit-Film GmbH, Bundesarchiv. In: Ebd. 152

Ebenso kurz wird ein Marsch von Regierungstruppen durch das Branden- burger Tor 394 wie auch die KZ-Torinschrift > Arbeit macht frei <395 gezeigt. Dumpfer Paukenschlag und Trommelwirbel begleiten die schnellen Schnitte. Das > Horst- Wessel-Lied < erklingt zum Aufmarsch der Faschisten, > Die Internationale < sowie >Brüder zur Sonne - zur Freiheit < zu linken Aufmärschen. Mehrere übereinander liegende Lieder sind in Folge zu hören. 396 Man hört die Stimme Adolf Hitlers zu Filmaufnahmen von KZ-Baracken und sieht Bilder von Ernst Thälmann während einer Rede. Ein Filmausschnitt zeigt Rotarmisten mit der Sowjetfahne in Händen bei der Erstürmung des Reichstages. Dann erscheinen wieder Bilder des Mauerbaus. Anschließend werden der Titel des Fernsehspiels und der Name des Autors ein- geblendet. Die Montage dokumentarischer Filmaufnahmen verleiht dem Fernsehspiel einen semidokumentarischen Charakter. Die Verwendung der verschiedenen Archiv- aufnahmen erfolgt, wie in Anfrage, nur im Vorspann und wird nicht zwischen die Spielszenen geschnitten. Der Vorspann dient der Orientierung, worum es geht, ohne eine Erklärung für den Plural im Titel zu liefern. Diese wird erst im Spielverlauf er- kennbar. In Anfrage wird zu Beginn der Titel erklärt und begründet. Mauern ruft den Zuschauern deutsche Geschichte zunächst im Zeitraffer in Erinnerung, um diese dann, in rückblickender Erzähltechnik durch die Figuren, langsam aufzurollen. Die Dramaturgie der Erzählstruktur in Verbindung mit dem Vorspann ist eine Verknüpfungstechnik von Zeitgeschichte und deren Erklärung. Auf formaler Ebene ist das Ergebnis – das Fernsehspiel Mauern - eine frühe Kombination der Dar- stellungsformen des Dokumentarfilms und des Spielfilms - ein Dokumentarspiel mit Monks didaktischem Anspruch. Es ist ein Vorläufer der heutigen >Dokudramen< mit der noch deutlich erkennbaren Inszenierungsweise der 1950er Jahre und einem, im Ansatz, erkennbaren >Interview-Dokumentarismus< der späteren 1960er Jahre. 397 Mauern ist, wie Anfrage , ebenfalls eine Mischproduktion aus Studioauf- nahmen und einer gefilmten Außenwelt. Ähnlich der Dramaturgie in Anfrage sind den Studioaufnahmen karg ausgestattete Interieurs zu Eigen. Gegenstände wie Tische und Sitzmöbel deuten die Funktion der jeweiligen Räume nur an. In modell- hafter Szenenfolge führen die Schauspieler in ihnen etwas vor. Sie stellen beispiel-

394 Ausschnitt aus >Revolution 1918/19<, Transit-Film GmbH, Nr. 7, Bundesarchiv. In: Ebd. 395 Ausschnitt aus >Nacht und Nebel<, Degeto-Film GmbH, Frankfurt a.M. In: Ebd. 396 In: Ebd., Meldung der gesendeten Musikwerke 397 Vgl. z. B. Dieter Meichsners >Novemberverbrecher<, NDR 1967 od. Eberhard Fechners >Nach- rede auf Klara Heydebreck<, NDR 1969 153 haft in ihren Verhaltensweisen einen >Rechts-Links-Konflikt< dar, der nicht erst mit dem Mauerbau begann. Wie schon in Anfrage wird theaterähnlich inszeniert. Spielunterbrechungen durch Hinweisen auf Gesagtes und Wiederholungen einer Szene gibt es jedoch nicht mehr. Die Aussagekraft der Sprache steht auch in Mauern eindeutig im Vordergrund, wenn auch Mimik und Gestik der Schauspieler sehr viel variantenreicher als in An- frage sind. Einzelne, betonte Gesten wie das Zurückstreichen der Haare des Assessors in Anfrage gibt es ebenfalls nicht mehr. Die Schauspieler agieren in der Gesamtdarstellung ihrer Rollen nicht mehr so augenscheinlich nach dem >Gestischen Prinzip< Brechts, bei dem der Zuschauer auf ein prototypisches Verhalten aufmerk- sam gemacht wird. 398 Der sichtbare Befrager in Anfrage , realisiert durch die Figur des „Köhlers“, wird in Mauern durch ein oder mehrere unsichtbare Befrager ersetzt. Die Technik von Frage und Antwort zum Aufzeigen einer Situation ist gleich. In Mauern sind es jedoch weniger Gespräche zwischen Menschen als viel mehr Verhöre zwischen Staat und Bürger. Verschiedene Stimmen aus dem Off lassen Befrager aus Ost- und West- deutschland heraushören, die die Umstände der Flucht aufklären wollen. Für die Stimmen der Befrager, die von Anfang bis Ende des Fernsehspiels keine dazugehörigen Gesichter offenbaren, setzt Monk Schauspieler ein, die er in seiner bevorzugt ensembleähnlichen Arbeitsweise häufig als Darsteller verpflichtet: Gert Haucke, Peter Lehmbrock und Kurt Otto Fritsch. Alle drei kennen wir bereits als Journalist (Haucke), Toningenieur (Lehmbrock) und Schaffner (Fritsch) aus Schlachtvieh . Fritsch fungierte ebenso als Assessor in Anfrage . Die beiden sichtbaren Darsteller der >Söhne<, Reck und Jacobi, gehören ohnehin zu Monks >Stammbesetzung<. 399 Die Befragten sitzen immer an Tischen, in gleicher Position, von der Kamera in Nahaufnahme, vom Kopf bis zur Mitte, aufgenommen und zumeist an einem Schreibtisch mit wechselnden Requisiten, die auf die jeweiligen beruflichen Positionen bzw. Funktionen schließen lassen. Die Befragung von „Trude Nast“ (Camila Spira) erfolgt in privater Atmosphäre, die durch einen Küchentisch repräsentiert wird. Neben ihr sitzt „Hilde Weiss“, die schon erfolgreich geflohen war. Ihre Anwesenheit lässt auf einen Standort in Westdeutschland schließen. Dies wird durch den Spielverlauf später bestätigt. Die Requisiten deuten nicht auf eine beruf-

398 siehe zum Begriff des epischen Theaters unter Fußnote 347 399 Hartmut Reck, geb. 17.11.1932, gest. 29.1.2001; Ernst Jacobi, geb. 11.8.1933 154 liche, sondern auf eine persönliche Situation hin. Gläser und eine Flasche mit Alkohol, aus der „Frau Nast“ häufig trinkt, stehen für einen persönlichen Zustand. Die gesamte Inszenierungsweise in den Studioszenen, mit den kaum wechselnden Einstellungen und kurzen gefilmten Szenen von Häusern und Straßen- zügen dazwischen, entspricht der Inszenierungsweise in Anfrage. Die Geschichte wird jedoch nicht von einem Schauspieler in Doppelfunktion (>Ich-Erzähler< und Rollenträger) entwickelt, sondern in zwei parallel verlaufenden Handlungssträngen und auf zwei Zeitebenen gezeigt. Die historische Ebene wird am Konflikt zwischen den Vätern, die Gegen- wartsproblematik am Konflikt zwischen den Söhnen dargestellt. Die zusätzliche Tragweite der geschichtlichen Entwicklung zwischen den Generationen wird in der Hauptsache durch den Generationenkonflikt zwischen Söhnen und Vätern vermittelt. Auf dieser >Zwischenebene< agieren ebenfalls >die Mütter<, ohne die der private Raum, die Familie, nicht darstellbar wäre. Innerhalb der jüngeren Generation ist die Freundin des einen Sohnes Auslöser und Konfliktverstärker zugleich. Die verwendeten Schrifttafeln beschränken sich in Mauern auf vier Zitate und sind Zeitdokumente aus der Weimarer Republik, den Jahren des Faschismus sowie sozialistischer Ideologie und westdeutscher Haltung zum Mauerbau. Alle sind un- datiert und geben auch im Produktionsprotokoll keinen Aufschluss über den Anlass und den Ort der Aussagen. Monks Anliegen ist es, mit diesem Fernsehspiel den Bau der Mauer als Folge einer lange zurückliegenden Entwicklung zu dokumentieren und nicht erst als Nach- wirkung des verlorenen Zweiten Weltkrieges. Der falschen Annahme – Deutsche schießen nicht auf Deutsche – wird daher eine dokumentarische Einleitung voran- gestellt, die die soziale Kausalität begreiflich zu machen sucht. Nicht der verlorene Zweite Weltkrieg und die folgende Aufteilung in alliierte Zonen war der Beginn der >Mauern in den Köpfen<, sondern eine lange Entwicklungsgeschichte bis zum Tag des Mauerbaus und darüber hinaus. Die Erklärung des Plurals wird am Ende des Fernsehspiels deutlich. Der ideo- logische Starrsinn der Väter verhindert ein Miteinander bis in die nächste Generation. Der eine Sohn verrichtet seinen Dienst als Volkspolizist an der Mauer, der andere will die Flucht in den Westen. Eine Flucht, die er dem Freund ankündigt und diesen damit vor die Wahl stellt, auf ihn zu schießen oder mitzukommen. Der Schießbefehl des DDR-Regimes für Dienst tuende Volkspolizisten an der Mauer 155 macht am Schluss des Films die Konsequenz der Geschichte bis in die 1960er Jahre deutlich: Deutsche schießen auf Deutsche.

7.4.5 Visuelle, auditive und darstellende Gestaltung als Träger der Intention Im Gegensatz zu Anfrage und Schlachtvieh, die ebenfalls beide mit einem Vorspann beginnen, sind im Vorspann zu Mauern Bild und Ton synchron. Die Bilder erhalten nicht wie in Schlachtvieh eine völlig andere Bedeutung durch die Off-Stimmen (Kühe auf der Weide zu assoziativen Aussagen >Schlachtvieh-Mensch<) und zeigen auch nicht eine Szenerie, die erst durch die verschiedenen Aussagen aus dem Off eine hintergründige Bedeutung erfährt (leerer Gerichtssaal zu einem offensichtlichen Nazi-Prozess der Nachkriegszeit). Die Archivaufnahmen und der Einsatz von Schallmaterial und Sprache bilden in Mauern eine Einheit. Auf der auditiven Ebene hat dabei die eingesetzte Musik eine größere Be- deutung als z. B. die dokumentierte Stimme Adolf Hitlers. Dokumentarische Auf- nahmen marschierender Einheiten linker und rechter Gruppierungen erhalten durch die jeweils passende Untermalung von Liedern einen Wiedererkennungswert, den jeder Zuschauer sofort zuordnen kann. Der Einsatz von Musik dient allein diesem Zweck und wird in der anschließenden fiktionalen Gestaltung nicht weiter ver- wendet. Deutsche Geschichte wird so in der Entwicklung erfassbar, wenn auch der Titel mit seinem Plural nicht gleich zu deuten ist. Paukenschläge dienen der Verstärkung einer ernsten Stimmung. Sie sind sowohl am Anfang des Fernsehspiels als auch an dessen Schluss zu hören. Sie ver- deutlichen, dass es kein positives Ende gibt. Aus der Geschichte ist nichts gelernt worden. Die Konsequenz ist düster, menschenverachtend und hat nicht nur die Ent- fremdung zwischen Menschen, sondern auch deren Tod zur Folge. In dem dritten, hier beschriebenen Fernsehspiel ist gerade auf der auditiven Ebene eine Weiterentwicklung der theaterähnlichen Inszenierung zur Hinwendung filmischer Mittel auszumachen. Außer einem ausgewählten Musikeinsatz zur Unter- stützung der dokumentarischen Filmaufnahmen des Vorspanns dient der Einsatz von Geräuschen der Verstärkung des Wirklichkeitseindrucks. Dies zeigt sich in der Fluchtsequenz. Während „Walter“ mit einem Untergebenen Dienst an der Mauer hat, sind plötzlich schnelle Schritte zu dunklen Bildern zu hören. Man sieht niemanden, verbindet die Schritte aber sofort mit der Vorstellung eines laufenden Menschen. Durch die gezeigte Vorgeschichte im Fernsehspiel wird schnell klar: „Hans“ flieht. Rufe aus der Dunkelheit (durch Ernst Jacobis Stimme), wie: „Komm´, Walter, 156 komm´! “ bestätigen dies. Dann eskaliert die Situation. Aus dem Off sind Schüsse zu hören, verschiedene Stimmen rufen durcheinander. Währenddessen sieht man Film- aufnahmen schnell hin und her schwenkender Suchscheinwerfer zu nächtlichen Auf- nahmen eines Flusses, einer Uferzone und einer schemenhaft erkennbaren Brücke. Die ganze Fluchtaktion wird nur durch die Stimmen aus dem Off und den Filmaufnahmen des dunklen Flusses etc. für den Zuschauer als eine Republikflucht erkennbar. Geräuscheinsatz, Sprache und die dazu gezeigten Bilder verlaufen synchron und vermitteln dem Zuschauer (mittels seiner Phantasie) so die Dramatik eines Fluchtversuchs. Die Gegensätzlichkeit linker und rechter politischer Strömungen erzählt Egon Monk in Mauern am Beispiel zwischenmenschlicher Beziehungen. Eine weitere An- näherung an filmische Inszenierungsweisen ist dabei die rückblendende Erzähl- struktur durch mehrere Darsteller. Während der Verhöre schildern „Hilde Weiss“, „Trude Nast“ und „Paul und Else Koslowski“ aus ihrer jeweiligen Sicht die Um- stände, die zur Flucht von „Hans Nast“ und „Walter Koslowski“ führten. Der Über- gang zwischen den Verhören wird entweder durch eingeblendete Schrifttafeln oder durch kurze, gefilmte Schwenks über Straßen, Häuser und Bäume gezeigt. Das erste Insert entstammt der SED-Parteiauffassung: > Durch die Teilnahme am Aufbau des Sozialismus haben sich die guten Eigenschaften im Menschen ent- wickelt . Walter Ulbricht .< Dieses Insert wird zweimal montiert, und zwar das erste Mal zwischen der eingangs gezeigten Befragung des namenlosen Uniformierten und dem Verhör „Hilde Weiss´“. Beide werden durch den unsichtbaren Kommissar der BRD verhört. Die Aussage Ulbrichts ist die Einleitung der Schilderungen „Hilde Weiss´“. In diesen wird die Situation junger Menschen in der DDR, stellvertretend durch die Protagonisten „Hans Nast“ und „Walter Koslowski“, deutlich. Der eine („Hans“) darf als Sohn ehemaliger Nazis nicht studieren und Arzt werden. Dem anderen („Walter“) stehen als Sohn eines Parteifunktionärs alle Wege offen. Er ist Hauptmann der Volkspolizei und dient dem Aufbau und Erhalt des Sozialismus. Der Kern der >guten Eigenschaften< liegt mutmaßlich in seiner Staatstreue. Das zweite Mal wird das Ulbricht-Zitat zwischen die Verhöre „Trude Nasts“ und „Else Koslowskis“ montiert. Es ist die Einleitung der Aussage „Else Koslowskis“. Ihr Sohn ist tot; ihr Mann ist verhaftet worden. Als Vater eines ge- flohenen Volkspolizisten und als ehemaliger Nazi-Freund erfolgte seine Verhaftung zwangsläufig. Die beiden Off-Stimmen der DDR-Befrager nennen als Grund der Befragung: 157

„Wir sind hier, weil wir ihrem Mann helfen wollen. Es gab doch schon lange Spannungen zwischen ihrem Mann und ihrem Sohn! “ Sie berichtet von einer heftigen Auseinandersetzung zwischen ihrem Mann und ihrem Sohn. In dieser offenbarte sich die totale Entfremdung beider: Einerseits bedingt durch die langjährige Haft des Vaters - der Junge erkannte seinen Vater bei dessen Heimkehr nicht mehr – und andererseits durch die unbedingte Parteitreue des Vaters gepaart mit unversöhnlichem Hass gegen „Werner Nast“, der für seine Internierung verantwortlich war. „Walter“ hingegen wollte seinem Vater klar- machen, dass dieser das gesamte alte Instrumentarium der Nazis nur für andere Zwecke nutzte. „Wir [womit er seinen Freund „Hans“ und sich meint/S.B.] spielen euer Spiel nicht mit. Schluss mit Verhaften und Einsperren! “ Für „Paul Koslowski“ sind Ver- höre und Verhaftungen für den Sozialismus jedoch „ etwas ganz Anderes. Ich ver- stehe überhaupt gar nicht, wie du das miteinander vergleichen kannst. “ Er wollte „Werner Nast“ verhaften und einsperren lassen. „ Material gegen ihn findet sich. “ Als er seinen Sohn in dessen Funktion als Volkspolizist aufforderte, die Ver- haftung „Nasts“ durch einen Anruf bei der Staatspolizei einzuleiten, weigerte sich dieser. Dass die daraufhin von „Paul Koslowski“ ausgestoßene Drohung: „ Das wird Folgen haben! “ ernst zu nehmen war, wird im Verhör „Else Koslowskis“ klar. Die Off-Stimmen der beiden DDR-Verhörer teilen ihr mit, dass der Vater dafür gesorgt hatte, dass der Sohn seit langem bespitzelt wurde. „Paul Koslowski“ wird als re- habilitiert entlassen. Die bedingungslose Staatstreue, weit über familiäre Bande hinaus, darf auch hier (im Sinne Ulbrichts) als >gute Eigenschaft< eines am Aufbau (und Erhalt) des Sozialismus beteiligten Menschen gewertet werden. Die drei folgenden Schrifttafeln werden jeweils nur einmal zwischen ver- schiedene Verhörsequenzen montiert. Das zweite Insert stammt aus der Weimarer Zeit: > Selbst unter den härtesten Kampfbedingungen müssen wir unsere revolutionären Pflichten ohne Schwanken erfüllen. Ernst Thälmann <. Das Zitat trennt die Verhörsequenzen „Hilde Weiss´“ in der BRD und „Paul Koslowskis“ in der DDR. Es ist die Kennzeichnung der Haltung des linientreuen Sozialisten „Paul“. Das dritte Insert lautet: > Ich habe mich bemüht, dem deutschen Volke den inneren Frieden zu bringen. Heute darf ich sagen: Das deutsche Volk ist das zu- friedenste der ganzen Welt. Adolf Hitle r<. Diese Schrifttafel wird zwischen „Paul Koslowskis“ und „Trude Nasts“ Verhör montiert. Mit diesem Zitat wird die Aussage 158

„Trude Nasts“ zusammengefasst. In einem Nebensatz wird klar: „Werner Nast“ ist zum Zeitpunkt der versuchten Republikflucht seines Sohnes bereits seit drei Jahren tot. Sie erzählt vom Aufstieg ihres Mannes unter den Nationalsozialisten. Sie erzählt von dessen Erfolg, der so viel Leid für andere Menschen barg und behauptet im Nachhinein: „ Ich habe das alles nicht gewollt. “ Das vierte Insert ist ein Zitat der BRD-Regierung: >Wenn auch der Eiserne Vorhang, der quer durch Deutschland geht, noch so dicht ist, er kann nichts ändern an der geistigen Verbundenheit zwischen den deutschen Menschen. Erklärung der Regierung der Bundesrepublik <. Es ist die Montage zwischen den Verhörsequenzen „Else Koslowskis“ in der DDR und der Aussage ihres Sohnes „Walter“ in der BRD. „Walter“ hat es geschafft: Er ist im Westen, unverletzt, aber keineswegs glücklich. Rückblickend erzählt er von „Hans´“ Fluchtplänen, die dieser ihm Stunden zuvor mitgeteilt hatte, und vom Hergang der Flucht. Als der fliehende „Hans“ aus der Dunkelheit nach ihm rief, entschloss er sich spontan, ihm zu folgen. Zuvor sorgte er noch dafür, dass der rangniedere Volkspolizist (Wolfgang Condrus), der mit ihm Dienst an der Mauer tat, gegen jeden Zweifel des Landesverrats gefeit war. Er kündigte dem jungen Mann, der sich wegen seiner alten Mutter nicht ebenfalls spontan zur Flucht entschließen konnte, einen kräftigen Niederschlag an, den er dann auch ausführte. Die Studiokameras zeigen die Darsteller in den Verhörsequenzen in Nah- oder Großaufnahmen, direkt in die Kamera blickend und sprechend. Durch ihre Positionierung hinter einem Schreib- bzw. Küchentisch und den fragenden Off- Stimmen wird der Eindruck erweckt, dass die Kameraführung die Augen des Be- fragers ersetzt. Dies wird besonders deutlich in der Verhörsequenz „Else Koslowskis“. Auf einem Schreibtisch stehen u. a. eine Lampe und ein Telefon. Beide sind in ihrer Bedienfunktion dem Zuschauer und nicht „Else Koslowski“ zugewandt. Der Zuschauer ist so in der Position desjenigen, der etwas in Erfahrung bringen will. Dies geschieht abwechselnd aus Sicht der Vertreter der DDR respektive der BRD. Die Off-Stimmen der DDR-Staatsträger wirken dabei schärfer, anklagender, auch Furcht einflößender als die Stimmen der BRD-Vertreter, was als ein durchaus ge- wollter Effekt in einer Zeit unüberbrückbarer Gegensätze zwischen Ost und West gewertet werden kann. Die Handlungsorte des Fernsehspiels sind, bis auf die Mauersimulation der Fluchtsequenz und die Szenerie der Exposition, ausschließlich Innenräume. Bis auf ein Treffen von „Hans“ und „Walter“ in einem Café (Studioaufnahme), sind dies die 159 beiden Wohnungen der Familien „Nast“ und „Koslowski“. In ihnen vollzieht sich die Darstellung einer sich verändernden Vor- und Nachkriegswelt. Dies geschieht zu- nächst mit einer Kamerafahrt über die mit Stuck verzierte Fassade einer Altbauvilla. Die Filmaufnahmen zeigen die Fenster einer Kellerwohnung mit Gittern und direkt darüber, im Erdgeschoss, hohe Fenster mit Gardinen. Während der Nazi-Diktatur wird der ehemals arbeitslose „Werner Nast“ durch seine NSDAP-Mitgliedschaft und der daraus resultierenden Vorteile (Übernahme einer jüdischen Fabrik etc,) zum wohlhabenden Emporkömmling. Dies wird deutlich gemacht, indem zunächst die Erdgeschosswohnung von außen gezeigt wird, bevor eine Studioszenerie die Familie „Nast“ zeigt. Den gutbürgerlichen Status veranschaulichen einige, wenige Möbel- stücke: Ein altdeutscher Wohnzimmerschrank, eine Stehlampe mit Lesesessel, das Ölgemälde eines röhrenden Hirschen. „Paul Koslowski“ ist Mitglied der KPD und nur durch die Tatsache, dass er einst den Faschisten „Walter“ im Braunhemd vor dessen kommunistischen Ver- folgern rettete, geschützt. Es ist „Walters“ Villa, in der die Familie „Koslowski“ auf- grund der alten Verbundenheit wohnen darf. Bevor die Familie „Koslowski“ gezeigt wird, erfolgt ein Schwenk über die Fassade, um an der Kellerwohnung hängen zu bleiben. Dann wird eine schlicht eingerichtete Wohnküche gezeigt. Die Verhältnisse sind klar: Den Erdgeschossbewohnern geht es gut, den Kellerbewohnern geht es schlecht. Nach Ende des Krieges ist es genau umgekehrt. „Paul Koslowski“ ist nun der Emporkömmling. Nach langer Internierung in einem Konzentrationslager steigt er zum SED-Funktionär auf. Das Haus, in dem er wohnt, ist dasselbe – nur bewohnt er nun die Erdgeschosswohnung und duldet „Hans Nast“ im Keller, während „Walter Nast“ in russischer Kriegsgefangenschaft ist. Wie sich später herausstellt, ist die Mutter, „Trude Nast“, allein nach Westberlin gezogen. Der Regisseur zeigt so auch den umgekehrten Fassadenschwenk, bevor die Familien in ihren vertauschten Innen- räumen gezeigt werden. Ein Bild Lenins hängt nun im Erdgeschoss, während der >röhrende Hirsch< vollends verschwunden ist. Die Verhältnisse sind ebenso klar wie vor dem Kriegsende: Den Erdgeschossbewohnern geht es gut, dem Kellerbewohner geht es schlecht. Die Kamerafahrt über die Fassade wird auch eingesetzt, wenn eine Zeit- gleichheit von Gesprächen in den beiden übereinander liegenden Wohnungen dar- gestellt werden soll. Im Wechsel von oben nach unten bzw. umgekehrt erfolgt der Blick in die privaten Räume und auf die jeweilige familiäre Situation. In einer 160

Parallelmontage zweier Handlungsstränge wird besonders der Konflikt zwischen Söhnen und Vätern herausgestellt, der in beiden Familien gleichermaßen ausgeprägt ist. Die auf sprachlicher Ebene gezeigten Emotionen in Mauern , wie Wut, Hass oder Betroffenheit, werden vom Einsatz körperlicher Ausdrucksweise unterstützt. Die starre Mimik der Protagonisten in Anfrage ist verschwunden. Dies geschieht bei „Trude Nast“ z. B. durch heftiges Pressen beider Hände an den Mund, als Zeichen ihrer Zerrissenheit über die Meinungsverschiedenheiten zwischen ihrem Mann und ihrem Sohn. „Else Koslowski“ senkt resignierend den Kopf, weil ihre Vermittlungs- versuche zwischen Mann und Sohn sinnlos scheinen. „Paul Koslowski“ zeigt unter- drückten Hass durch ruheloses Hin- und Herschreiten im Zimmer. „Werner Nast“ steht meist hoch erhobenen Hauptes im Raum. Während diese Haltung vor Kriegs- ende selbstbewusst wirkt, ist sie in den veränderten Verhältnissen das Anzeichen einer völlig resistenten Einsicht gegen alle Argumente (seines Sohnes), die ihn als Täter einstufen. Ohne den ausgeprägt prototypischen Charakter der Figuren in An- frage und Schlachtvieh aufzuweisen, sind hier die dargestellten Emotionen dennoch Abbildungen typischer Verhaltensweisen in spezifischen Situationen. Dabei stehen nicht so sehr menschliche Verhaltensweisen wie in Anfrage oder die verschiedener Institutionen wie in Schlachtvieh im Mittelpunkt, sondern die der >Keimzelle< der Gesellschaft – der Familie. In ihr ist alles zu finden, was die Gesamtheit der Gesell- schaft dieser Zeit ausmacht. Die Kameraführung zeigt alle Protagonisten ausschließlich in Nahaufnahmen und Einstellungen in der Halbtotalen. Es ist ein distanzierter Blick zwischen Ver- gangenheit und Gegenwart, die unvereinbar und von den Protagonisten unbewältigt sind. „Hans“ fühlt sich schuldig. Er will für den Vater büßen, indem er im Osten bleibt und damit auf ein Studium verzichtet. Der Vater kommt erst 1952 aus russischer Kriegsgefangenschaft zurück. Gemeinsam mit seiner Frau kommt er eines Tages in die Kellerwohnung seiner ehemaligen Villa. Er will, dass sein Sohn mit ihnen in den Westen kommt. Dieser lehnt jedoch ab. „ Mach´ ihm das endlich klar, Mutter: Ich bezahle für ihn. Für seine Rechnungen, die leider offen geblieben sind. “ Er merkt schnell, dass der Vater, trotz der langen Haft, keine persönliche Schuld fühlt: „ Wer verliert hat Unrecht! (…) Was habe ich denn verbrochen? (…) Es war Krieg. Ich habe nur meine Pflicht getan. “ 161

Der Sohn sieht so auch als Ergebnis der Kriegsgefangenschaft: „ Das wirklich Schreckliche ist: Er hat nichts daraus gelernt und darum war es völlig sinnlos. “ Die Mutter und Ehefrau versucht zwischen ihnen eine Brücke der Ver- ständigung zu bauen: „ Der Junge hat seinen eigenen Kopf. Soll er doch (…) Er hat doch bloß mitgemacht. Er ist doch schließlich dein Vater! “ Es gelingt ihr nicht. Sie gehen. Unabhängig von ihnen entschließt sich ihr Sohn „Hans“ dann doch eines Tages zur Flucht; nach dem Mauerbau, als ein ungehindertes Gehen nicht mehr mög- lich war. Das Fernsehspiel unternimmt keine Einteilung in >Gut und Böse<, gleich- bedeutend mit einer Glorifizierung des freien Westens versus einer anti- sozialistischen Haltung. Während des Spielverlaufs wird zwar eine >linkslastige< Kritik mehr wahrgenommen, gegen Ende des Fernsehspiels wird die beiderseitige Mauer in den deutschen Köpfen herausgestellt. In der Schlusssequenz sieht man „Walter“. Er zieht bittere Bilanz und seine Worte sind anklagend. Sie betreffen alle gleichermaßen, in Ost und West. Die Off-Stimme des Kommissars aus der BRD konfrontiert ihn mit dem Tod seines Freundes: „ Er ist von ihren früheren Kameraden getötet worden. Als Deutscher von Deutschen. “ „Walter“: „ Diese Redensarten können sie sich sparen. “ Aus dem Off: „ Sie sind also einverstanden mit dem, was tagtäglich an der Mauer passiert? „Walter“ : „Nein! Ebenso wenig, wie ich damit einverstanden bin, dass heute jeder Bundeswehrsoldat bereit sein muss, auf seine Landsleute diesseits der Elbe zu schießen. (…) Es bleibt bei dem Tatbestand: Deutsche schießen auf Deutsche. Nicht erst seit gestern oder vorgestern, sondern seit aschgrauen Zeiten. “ (…) Off-Stimme: „Na, da gibt es doch wohl noch Unterschiede. (…) Sie haben jetzt eine Chance. Ihre Chance. Nutzen sie sie. “ „Walter“: „ Und die anderen, drüben? Was wird denn aus dem, der geschossen hat? Vielleicht kommt er morgen rüber? Und was ist er dann – ein Mörder, ein Verräter, oder nur ein Toter, dem man ein Holzkreuz setzt? Ihr redet immer, aber ihr wisst nichts. “

7.4.6 Im Spiegel der Zeit: Kritiken zu >Mauern< Das Fernsehspiel wurde in seiner Dramaturgie von Kritikerseite häufig als Lehrstück empfunden. Dies wurde nicht zuletzt durch einen Ansagetext nach Beendigung des Fernsehspiels hervorgerufen. Ein Sprecher fasste das Fernsehspiel nochmals zu- sammen und formulierte sich daraus ergebene Fragen, über die die Zuschauer nach- 162 denken sollten. Weiterhin kündigte er an, dass Fragen zum Fernsehspielinhalt inner- halb der Sendereihe >Diesseits und jenseits der Zonengrenze< 400 zur Diskussion ge- stellt werden sollten. Diese Ankündigung kommentierte der Kritiker der Frankfurter Allgemeinen mit den Worten: „ Hält man das Stück für so wenig durchdacht, dass es ein Anhängsel braucht? “401 An anderer Stelle wurde dies jedoch begrüßt, wenn auch der Termin Anlass zur Kritik gab: „ Die angekündigte Diskussion hätte sich allerdings unmittelbar anschließen müssen. Sie erst am 12. Juni in der Sendung ‚Diesseits und jenseits der Zonengrenze´ nachzuholen, erscheint unzweckmäßig, denn bis dahin wird manches vergessen sein. “402 Monks Verwendung von Inserts wurde als Mittel des epischen Theaters viel- fach erkannt und deren Umsetzung als >fernsehgerecht< empfunden: „ Vom Brecht- Theater entlehnt und doch wirkungsvoll auf die Dramaturgie des Fernsehspiels be- zogen, das periodische Einblenden von Schrifttafeln, die die Hohlheit politischer Phrasen von gestern und heute anprangern. Ein starker und aufrüttelnder Fernseh- abend. “403 „Die Tableaus weisen aufs Vorbild Bert Brechts hin: manches im Dialog ebenso, gleichfalls das Aufbrechen der chronologischen Schilderung. Formal ist das Fernsehspiel um die ‚Mauern´ recht geschickt gelöst, mit Mitteln, die als fernseh- gerecht anzusprechen sind. “404 Die Intention des Autors und des Regisseurs, deutsche Geschichte in Zu- sammenhängen zu erzählen, wurde als Mahnung wahrgenommen: „ Der ganze Jammer, seit rund 30 Jahren, ideologisch gegensätzlicher Systeme wurde in diesem Fernsehspiel von Gunther R. Lys in zuvor noch nicht so zwingend erlebter Dar- legung sichtbar: Eine beispielhafte Mahnung zur Besinnung an jeden einzelnen von uns. Eine Mahnung freilich, der man drüben, auf der anderen Seite, kein Gehör schenken wird. “405 Immer noch den alten Kunstanspruch des Fernsehspiels vor Augen, wurde das Fernsehspiel von anderer Kritikerstimme zwar ebenfalls als Mahnung angesehen, dessen Umsetzung aber missbilligt: „ Das Fernsehspiel Mauern von Gunther R. Lys hat gewiss mit Kunst wenig zu tun. Und doch ist diese Gattung von Zweckdramatik

400 Pol. Magazin ab 1961 im NDR, sonntags um 19.00 Uhr. Vgl.: Schumacher, Heidemarie: Ästhetik, Funktion und Geschichte der Magazine im Fernsehprogramm der BRD. In: Ludes, Peter; Schumacher, Heidemarie; Zimmermann, Peter (Hrsg.): Geschichte des Fernsehens in der Bundes- republik Deutschland. München 1994, Bd. 3, S. 130 401 E. J.: Ein Stück mit Anhängsel. In: Frankfurter Allgemeine, 4.6.1963 402 Kr.: Starrsinn und Gewissensbisse. In: Nürnberger Nachrichten, 31.5.1963 403 U.G.: Gestern und heute. In: Der Tagesspiegel, 1.6.1963 404 ha.: Mauern. In: Neue Zürcher Zeitung, 2.6.1963 405 W.K.: Mauern. In: Hamburger Abendblatt, 31.5.1963 163 höchst notwendig, denn sie sorgt dafür, dass unser Gewissen wach bleibt. (…) Es bleibt für uns der bittere Nachgeschmack, wie wahr das alles ist, was hier gesagt wird und was geschieht: Deutsche gegen Deutsche. “406 „Monk und Lys zeigten, dass sich Mauern schon 1918, 1930 und 1939 durch unser Volk zogen. Ideologien und Eigensucht, Fanatismus und Gleichgültigkeit türmten bereits Barrieren, als noch gar nicht an ein pervertiertes Regime zu denken war. Diese szenische Provokation kleidete Monk teils in einen reportagehaften, teils realistisch verknappten Stil, den man in Hamburg seit Jahren mit Geschick ent- wickelt hat. “407 Die Schlusssequenz, in der „Walters“ Worte auf die Bundeswehr abzielen, wurde als Kritik, trotz sonstigen Lobes, mehrfach abgelehnt: „ Zu einigen ‚Ausfällen´ wird, wie der Sprecher in einem Nachwort ankündigte, die Sendung ‚Diesseits und jenseits der Zonengrenze´ Stellung nehmen. Dies gilt besonders für den, unserer Meinung nach, falschen Vergleich der Bundeswehr mit der Grenzpolizei der Zone. Hier wurde behauptet, dass die Bundeswehr genauso auf Deutsche schießen würde, wie die Grenzpolizei Ulbrichts. “408 „Abgesehen von einem unnötigen Ausfall gegen die Bundeswehr zum Schluss und einer etwas wohlfeil skeptischen Betrachtung bundesrepublikanischer Verhält- nisse, sollte dies auch darstellerisch glänzend bewältigte Spiel zum unverlierbaren Besitz der Deutschen werden: Es traf unser aller Not mitten ins Herz! “409 Die Notwendigkeit einer Diskussionsmöglichkeit zum Fernsehspiel erschien so manchem Kritiker gegeben: „ Es blieb manche Frage offen. (…) Hoffentlich werden sie klar genug beantwortet. “410 „Mauern ist ein Zeitstück und es bringt, wie die Zeit selbst, Fragen ohne endgültige Antworten. Allerdings: Die Flucht der beiden Söhne ist auch eine Antwort. “411 „Aber die Fragen bleiben unklar. (…) Merkwürdig indifferent entlässt das Fernsehspiel den Betrachter. “412

406 g.e.: Wir sahen für Sie. In: Hessische Allgemeine, 31.5.1963 407 Both, Horst: Hamburger Spezialität. In: Berliner Morgenpost, 1.6.1963 408 A.P.: Lehrstück. In: Kölnische Rundschau, 31.5.1963 409 Hgi: Mauern. In: Niederelbe Zeitung, 2.6.1963 410 Feller, Hermann: Fernsehen – unter der Lupe: In: Westfalen Blatt, 1.6.1963 411 Brögger, Norbert: Harte Fragen an die Väter. In: Neue Ruhr Zeitung, 1. 6.1963 412 ha.: Mauern. In: Neue Zürcher Zeitung, 2.6.1963 164

7.5 Wilhelmsburger Freitag (NDR, 19. März 1964) 7.5.1 Anmerkungen zur Produktionsgeschichte Egon Monks nächster Film entstand wieder in Gemeinschaftsarbeit mit dem Autor Christian Geissler. „ Als mir Geissler nach ,Anfrage´ und ,Schlachtvieh´ als dritte gemeinsame Arbeit den ,Wilhelmsburger Freitag´ vorschlug, überlegte ich nicht lange, sondern fing sofort mit der Vorbereitung des Films an. Meine Eltern waren Arbeiter, ich bin unter Arbeitern aufgewachsen, ich wollte wissen, was geblieben war und was sich geändert hatte. “413 Monks und Geisslers genuiner Fernsehfilm Wilhelmsburger Freitag zeigt Szenen eines Arbeiterhaushalts - die Welt der Arbeiter - die bis dahin in Film und Fernsehen nicht thematisch behandelt wurde. „ Arbeiter zu zeigen, statt besseres Milieu war bis dahin nicht da. Filme spielten entweder im Angestelltenmilieu oder in gehobener Gesellschaft. “414 Die Dreharbeiten erfolgten im Winter 1963/64 und dauerten etwa acht Wochen. „ Die ungewöhnlich lange Drehzeit erklärt sich aus den schwierigen Arbeitsbedingungen. Für Produktionen mit vielen Außenaufnahmen ist der Dezember ein gefährlicher Monat, da kurze Tage auch kurze Drehtage sind. Für Nachtauf- nahmen wäre das wiederum günstig gewesen, aber „Jan Ahlers“ arbeitet am Vor- mittag auf der Baustelle, und „Renate Ahlers“ geht am Nachmittag in die Stadt. Wir waren also auf Tageslicht angewiesen. Am Motiv Baustelle konnten wir jedoch kaum je vor zehn Uhr vormittags beginnen, weil es früher noch nicht hell genug war, und am Motiv City mussten wir oft schon gegen drei Uhr nachmittags aufhören, weil es schon wieder dunkel wurde. Dabei waren das noch gute Tage. An schlechten, an denen es überhaupt nicht richtig hell werden wollte, schrumpfte die Drehzeit auf zwei Mittagsstunden zusammen, und solche Tage sind in dieser Jahreszeit in Hamburg nicht gerade selten. (…) Empfindlicherer Film, der mit noch weniger Licht ausgekommen wäre, es uns also ermöglicht hätte, eine halbe Stunde länger zu drehen, war für das 35-mm-Format, das wir benutzten, noch nicht verfügbar. “415

413 Egon Monk In: Anmerkungen zum Wilhelmsburger Freitag. In: Wiebel, Martin (Hrsg.): Deutsch- land auf der Mattscheibe. Frankfurt a. M. 1999, S. 78 414 Egon Monk in: Fernsehen als Zeitgeschichte – 50 Jahre Fernsehfilm. Vom Fernsehspiel zum TV- Spielfilm. In: ZDF/3sat-Produktion vom 1.3.2001; Diskussionsrunde mit Egon Monk, Matti Geschonneck u. Martin Wiebel unter der Leitung von Hans-Ulrich Stelter 415 Egon Monk In: Anmerkungen zum Wilhelmsburger Freitag. In: Wiebel, Martin (Hrsg.): Deutsch- land auf der Mattscheibe. Frankfurt a. M. 1999, S. 75 f. 165

7.5.2 Die Filmhandlung Der Film begleitet den Alltag eines Arbeiterehepaares im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg am Beispiel eines Freitages. Jeden Freitag ist Zahltag auf der Bau- stelle. Wie damals üblich, wird das Geld noch in Lohntüten an jeden Arbeiter persön- lich ausgezahlt. „Jan Ahlers“ (Edgar Bessen) ist Baggerführer und erst seit einem halben Jahr mit „Renate“ (Ingeborg Hartmann) verheiratet. Sie sind Mieter einer Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung in einer Neubausiedlung von Wilhelmsburg. Neben einem Wohnzimmer, dem Schlafzimmer und der Küche gibt es noch das kleine Zimmer, welches noch nicht möbliert ist. „Renate Ahlers“ ist Hausfrau und schwanger. Das Kind, das erwartet wird, ist kein Wunschkind und macht zusätzliche Anschaffungen, eines ohnehin schon durch ihre Konsumwünsche verschuldeten Ehepaares, nötig. Die Hälfte des Lohns des Baggerführers wird, schon ohne An- schaffungen für das Kind, am Freitag jeder Woche von Rückzahlungen aufgebraucht. Jeder von beiden geht auf seine Weise mit der neuen Konfrontation um. Der Mann findet tagsüber auf der Baustelle einen alten Tretroller, den er mitnimmt und am Ende des Tages wegwirft. Die Frau versucht sich vorzustellen, wie das kleinste Zimmer für das Kind hergerichtet werden könnte und sieht auf einem ziellosen Ein- kaufsbummel durch die Kaufhäuser der Stadt nach Babysachen. Am Ende ihres Tages verwandelt sie das Zimmer in eine Abstellkammer für Farbeimer und Kartons. Beide Ehepartner hoffen vor dem Einschlafen, dass der Arzt sich geirrt hat.

7.5.3 Die Exposition Das Fernsehspiel hat einen Vorspann, der in den Handlungsort einführt. Nach Ein- blendung des Titels und des Autorennamens werden kurze Filmaufnahmen aus dem Stadtteil gezeigt. Ein Straßenschild zeigt zuerst Wegweiser in verschiedene Richtungen. Das unterste Schild zeigt den Weg nach Wilhelmsburg. Neben Auf- nahmen einer alten Brücke, Häusern und Wasser erfolgt ein Schwenk über ein Über- bleibsel aus dem letzen Krieg. Gezeigt wird ein großer Luftschutzbunker vor Häuserzeilen. Dann erfolgt die Außenaufnahme eines zweistöckigen Mietsblocks. Kleine Balkone sitzen übereinander; die Gartenanlage ist als solche noch nicht er- kennbar. Auf einem schlammigen Gelände liegt noch Bauschutt, dazwischen stehen drei Autos – zwei von ihnen sind Volkswagen, einer ein NSU-Prince. Nachdem eine verrostete Tonne im Schutt gezeigt wird, erfolgt ein Schnitt. Die Handlung beginnt mit einer Aufnahme von Farbeimern und Pappkartons in einer Wohnung. Die Eimer stehen im Flur und „Jan Ahlers“ tritt, mit freiem Ober- 166 körper und einer langen Hose bekleidet, aus einem Raum. Er geht, ein Schlafanzug- oberteil in der Hand, aus dem Bild. Die Kamera folgt ihm nicht, sondern bleibt an der Haustür hängen, die neben der Tür ist, aus der „Jan“ gekommen ist. Briefe fallen durch einen Schlitz auf den Fußboden. Von rechts kommt „Renate Ahlers“ ins Bild. Sie hebt die Post auf und wirft einen Blick darauf. Darunter ist Werbung, die mit einer Kreditaufnahme wirbt. Ein Wasserkocher flötet und sie legt die Post auf eine kleine Ablage im Flur, bevor sie an den Herd tritt, den Flötenkessel nimmt und Kaffee filtert. Dann kocht sie Eier. Inzwischen sieht man „Jan“, der sich im Schlaf- zimmer einen Pullover über den Kopf zieht. „Renate“ geht ins Wohnzimmer und macht das Radio an, während „Jan“ in die Küche geht, sich an den Tisch setzt und ein Brötchen aufschneidet. „Renate“ gibt ihm ein Ei und stellt die Kaffeekanne auf den Frühstückstisch. Sie schmiert einige Brote und fragt ihn: „ Reicht das? “ Er kaut und nickt be- jahend. Dann setzt sie sich zu ihm. Sie schiebt ihr Frühstücksbrett beiseite und schenkt sich nur Kaffe ein. Er fragt: „ Und du isst überhaupt nichts? “ Woraufhin sie antwortet: „Mir ist übel. “ Gereizt sagt er, während er sein Ei isst: „ Mir ist auch übel. “ Nach kurzer Pause fragt sie: „ Ist was? Wir haben doch noch das kleine Zimmer. “ Noch gereizter antwortet er: „ Ach was, Zimmer! So´n Kinderwagen kostet bald zweihundert Mark, hab´ ich mir angesehen, so´n blauer. Wir war´n schön blöd. “ „Renate“ senkt den Kopf und wickelt seine Brote in Butterbrotspapier. Beide schweigen, dann entspinnt sich nachfolgender Dialog: „ Müssen wir auch nicht un- bedingt. “ „ Was? “„ Kinderwagen. “ „ Na, und die Leute? Der hat nicht mal Geld für´n Wagen für sein Kind. Weiß´ doch Bescheid“! „Mir doch egal. “ „ Mir aber nicht. “ Die Eieruhr unterbricht mit ihrem Klingeln das Gespräch. „Renate“ steht auf und schreckt die restlichen Eier unter kaltem Wasser ab. „Jan“ steckt sich eine Zigarette an, „Renate“ bringt ihm einen Aschenbecher. Sie packt die Eier in eine Tüte und legt sie zu seinen Arbeitsbroten. Im Radio aus dem Wohnzimmer erklingt: > Liebe mich, immer und ewig- lich… <. Sie schauen sich an. „Renate“ lächelt und fragt ihn: „ Hör´ mal! Weißt du noch? Weißt du nicht mehr? “ Er beginnt auch zu lächeln: „ So viele Groschen kannst du gar nicht in die Taschen kriegen, wie du das damals immer hören wolltest. “ „ Hast du aber gemacht. “ „ Hab´ ich gemacht. Bloß mit ein paar Groschen klappt das jetzt nicht mehr. Siehst ja, Urlaub war auch nichts und wird auch nichts. Hast noch mal 167 nachgerechnet? “ „ Ich kann ja noch ein paar Monate weiterarbeiten. “ „ Hab´ ich ja gar nicht gesagt und haben wir auch nicht nötig. Fertig! “ „Renate“ steckt schweigend „Jans“ Arbeitsbrote in eine Aktentasche. Er beginnt ihr vorzurechnen, was mit seinem Verdienst bezahlt werden muss: „ 28 Ab- zahlungen für die Wohnung, 24 Waschmaschine, 30 für die Möbel. Die haben uns ganz schön in der Mangel. “ Sie guckt ihn an und fragt: „ Wer? “ Woraufhin er leicht erstaunt sagt: „ Was wer? “ „ Das schaffst du schon. “ „ Das schaff´ ich auch! Wenn man bloß alles so bleibt wie jetzt. “ Danach erheben sich beide vom Tisch. Sie trägt die Aktentasche. Nach einem kurzen Blick auf die noch unangeschlossene Wasch- maschine in der Küche sagt er: „ Bin mal neugierig, wann die kommen und den Kasten anschließen. “ „ Hauptsache die haben ihr Geld. “ Beide verlassen die Küche und kommen im Flur an der Post vorbei. „Jan“ nimmt die Briefe in die Hand: „ Noch irgendwas? “ Offensichtlich erwartet er nur Rechnungen. Er nimmt eine Jacke vom Garderobenhaken, legt einen Schal um, schließt die Jacke. Sie gibt ihm die Tasche und nach einem kurzen Kuss ver- abschieden sich beide. Er geht, sie schließt hinter ihm die Haustür. Dann geht sie durch den Flur in die Küche und öffnet die Balkontür. Die Kamera zeigt den NSU- Prince, der gleich darauf von „Jan“ aufgeschlossen wird. „Renate“ steht derweil auf dem Balkon des zweiten Stockwerks und winkt ihm nach. Er winkt zurück und fährt vom Neubaugelände.

7.5.4 Narrative Gestaltung Dieses Fernsehspiel ist die Hinwendung zu rein filmischer Erzählweise ohne Inserts, Studioszenerie und verfremdender Inszenierungsweise des Brecht-Theaters. Besonders auffällig, im Unterschied zu Monks dialoglastiger Erzählweise der voran- gegangenen Fernsehspiele, ist die fast durchgängige Sprachlosigkeit des Films. Die Kamera begleitet minutiös alltägliche Verrichtungen wie das Abwaschen des Ge- schirrs, das Bettenmachen oder die Baustellentätigkeiten. Geredet wird hingegen nur wenig. Das Gespräch in der Exposition kann bereits als ausgeprägte Konversation der Eheleute gelten. Danach kennzeichnet Sprachlosigkeit den Film. Eine Sprach- losigkeit, die von Monk als dramaturgisches Mittel eingesetzt wurde. Im Gegensatz zu Anfrage und seinen anderen Filmen erzählt Monk hier eine Geschichte in Bildern statt in Worten. Der fast völlige Verzicht auf Sprache war von Monk gewollt, da sie für ihn eine Kennzeichnung der modernen Gesellschaft darstellte: 168

„Gewollt, da stellvertretend für die ganze Gesellschaft, denn es herrschte im Umgang der Gesellschaft der sechziger Jahre eine allgemeine Sprachlosigkeit vor. Der Film spielt zu Zeiten des Umbruchs von der erstarrten Adenauer-Ära hin zu Erhards Wirtschaftswunderzeiten, deren Kennzeichen das wachsende Sozialprodukt und ein konsumorientiertes Verhalten mit sich brachte. Das hatte zur Folge, dass es mehr gewollte Kinderlosigkeit gab zugunsten des Wohlstandes. Das Geld wurde lieber für Wohlstandsgüter eingesetzt. “416 Am 25. August 1967 wurde in der Bundesrepublik das Farbfernsehen ein- geführt. Kinofilme waren bereits seit den dreißiger Jahren zunehmend in Farbe zu sehen. Egon Monks Fernsehfilm Wilhelmsburger Freitag wurde auch in Farbe ge- dreht – Jahre bevor das Fernsehen farbig wurde. Zu den Gründen befragt, erklärt Egon Monk: „Ich wusste natürlich, dass das Farbfernsehen kommen würde, aber das war nicht der Hauptgrund. Die Farbe spielte eigentlich eine riesige Rolle. Weil der Gegensatz des Arbeiterehepaares, das sich müht die eigenen Ansprüche ans Leben zu verwirklichen – wobei der Widerspruch zwischen dem Wunsch, sich auf der Höhe der Zeit auszurüsten als junges Ehepaar und auch vielleicht ein Kind zu kriegen – sich in dieser Zeit als unvereinbar erwies. Und in diesem Zusammenhang spielt die >Warenwelt<, wie man das damals nannte, also das Kaufen und die Anreize, kurzum alles was Industrie und Werbung veranstalteten, eine große Rolle. Die Mönckebergstraße und vor allem das Innere des Kaufhauses in dem sich die junge Frau eine ganze Weile bewegt, war im Film farbig zusehen. Immer durch- setzt mit dem Motiv, dass für Waren sehr scharf, sehr aggressiv geworben wird. Ob es das Auto ist, das der junge Mann auf Abzahlung gekauft hat, der Kinderwagen oder sonst etwas. Konsum - ein goldenes Krönchen, wie ein Leitmotiv durch die ganze Geschichte, in den strahlendsten und schönsten Farben. Ich wollte es farbig, auch wenn der Film, als er zum ersten Mal gezeigt wurde, von niemandem farbig empfangen werden konnte. Es war ein ganz normaler 35-mm-Film. Sogar wir in der Vorführung konnten sehen wie er gemeint war. Ich dachte, das Schwarz-Weiß- Fernsehen wird ja nicht ewig dauern und irgendwann wird das Fernsehen bunt und dann zeigen wir ihn wie er wirklich gemeint war. “417

416 Egon Monk in: Fernsehen als Zeitgeschichte – 50 Jahre Fernsehfilm. Vom Fernsehspiel zum TV- Spielfilm. In: ZDF/3sat-Produktion vom 1.3.2001; Diskussionsrunde mit Egon Monk, Matti Geschonneck u. Martin Wiebel unter der Leitung von Hans-Ulrich Stelter 417 Egon Monk in: Interview am 6.11.2001 mit S.B. 169

Wilhelmsburger Freitag ist eine sozialkritische Studie, die im Aufzeigen der Alltagskonflikte eines Arbeiterehepaares als Folge ihrer Konsumorientiertheit die Unfähigkeit in sich birgt, sich miteinander zu verständigen, sich über Gefühle, Wunschdenken und Ansprüche an das Leben auseinanderzusetzen. Die Kriterien der >Monkschen< kausalen Kritik, die, durch das Aufzeigen bestehender Verhältnisse im Bezug zu vergangenen oder zukünftig möglichen Entwicklungen, Kritik an der Gesellschaft übt, lässt sich hier nur implizit nachweisen. Im Hinblick auf diese, ist Wilhelmsburger Freitag wohl Monks zeitbezogenster Film, denn gerade der Wandel der Nachkriegszeit als Hinwendung zum >Wirtschaftswunderland Deutschland< ge- schah in den frühen 1960er Jahren. Dass jedoch längst nicht alle gleichermaßen daran beteiligt waren, die dennoch nach Wohlstand strebten, zeigt die fast dokumentarische Studie dieses Arbeiterhaushaltes. Von einer ähnlichen Situation war ein Großteil der Bevölkerung betroffen und damit auch viele der Zuschauer. Obwohl Monk in Wilhelmsburger Freitag auf jegliche dramaturgische Form des Brecht-Theaters verzichtete, war sein Anliegen dennoch ein didaktisches: „ Die Intention des Films war, den Zuschauer zu informieren, zu unterrichten, allgemeiner dem Zuschauer etwas Neues zu zeigen, Zusammenhänge deutlich zu machen. Unter- haltung und Unterrichtung sollte man nicht trennen, sind keine Gegensätze, da das einem falschen Demokratieverständnis entspricht. Demokratie hat Führungsan- sprüche. Wir fühlten uns durchaus verpflichtet zu führen. “418

7.5.5 Visuelle, auditive und darstellende Gestaltung als Träger der Intention Die Geschichte, die erzählt werden soll, braucht keinen Vorspann, der verdeutlicht, worum es eigentlich geht. Der Film >springt< von Beginn an mitten hinein ins (Arbeiter-) Leben der 1960er Jahre. Eine gewisse Tristesse ist dem Film durchgängig anhängig. Dies vermittelt schon die Eingangssequenz. Ein an sich noch junges, am Anfang ihrer Ehe stehendes Paar, wird bereits von Schulden gedrückt. Das Frühstück wird in freudloser Stimmung eingenommen, zu der die heitere Radiomusik in Kontrast steht. Der Text von „Renates“ Lieblingsschlager ist dabei weniger als flotter >Muntermacher< anzusehen, sondern vielmehr als Ersatz für Emotionen, die sie selbst nicht in Worte kleiden kann. > Liebe mich, immer und ewiglich… < Generell besteht der Musikeinsatz im Film aus einer Auswahl populärer, fröh- licher Volks- oder Schlagermusik, die auch eine seltsame Widersprüchlichkeit zu den

418 Egon Monk in: Fernsehen als Zeitgeschichte – 50 Jahre Fernsehfilm. Vom Fernsehspiel zum TV- Spielfilm. In: ZDF/3sat-Produktion vom 1.3.2001; Diskussionsrunde mit Egon Monk, Matti Geschonneck u. Martin Wiebel unter der Leitung von Hans-Ulrich Stelter 170 gezeigten Bildern hervorruft. 419 Nach dem die Kamera „Renate“ bei ihren morgend- lichen Aufräumarbeiten begleitete, wie Geschirrwaschen und Bettenmachen, setzt sie sich in einen Sessel und durchblättert eine Illustrierte. Während die Kamera, stellver- tretend für ihre Augen, Abbildungen von Mitgliedern europäischer Königsfamilien, rauschende Feste, schöne Kleider und Werbeannoncen für Seidenstrümpfe be- trachtet, erklingt aus dem Radio: > Froh zu sein bedarf es wenig und wer froh ist, ist ein König… < Die Welt der Adeligen und der schönen, teuren Dinge ist für „Renate“ weit ab von der eigenen Realität. Sie hat wenig, will jedoch mehr. Der Liedertext wirkt so auch bewusst konträr, denn froh ist sie nicht. Artikel und Fotos von Babys ziehen ihre Aufmerksamkeit an, sie liest sie jedoch nicht durch und blättert weiter. Nach einem kurzen Blick in das kleine Zimmer schließt sie rasch die Tür. Die begleitende Musik zu dieser Szene ist Kollers typische Jazz-Orchester-Musik, die schon in Schlachtvieh ähnlich klang: Dunkel, gedrückt. Das Konzept des Films, den Alltag dieser beiden Leute realitätsnah zu dokumentieren, spiegelt sich in den Handlungsorten der Akteure wieder. Die Wohnung als Privatsphäre, die Baustelle als Arbeitsplatz, die Hamburger Innenstadt mit Geschäften, Cafés, Kinos etc. als verführerischer Konsumtempel ist die Welt, in der sie leben. Der Arbeiterstadtteil Wilhelmsburg ist zudem real existent und nicht erfunden. Im Verzicht auf explizite Erklärungen begleitet die Kamera beide durch den Tag. Authentisch ist der Zahltag dargestellt. Tüten mit heraushängenden Lohn- streifen werden an jeden Bauarbeiter ausgehändigt, die diese vor den anderen ver- bergend öffnen und das Geld nachzählen. Lohnüberweisungen auf Girokonten waren noch nicht übliche Praxis. „Renate“ wird gezeigt, als sie Einkäufe tätigt, immer den Blick auf die Preis- schilder gerichtet. Ihr Blick fällt auf Babynahrung und den teuren Kinderwagen der Nachbarin, dem an der Seite ein Krönchen anhaftet. Zu Hause überschlägt sie die auf sich zu kommenden Anschaffungskosten für das Kind und sieht sich wieder die Fotos der Hochglanzillustrierten an, in der sich der Luxus dieser Welt widerspiegelt. Sie zieht sich etwas anderes an und verlässt das Haus. Hier unterlief dem Drehteam um Egon Monk eine kleine Unaufmerksamkeit. „Renate Ahlers“ verlässt das Haus mit schwarzen Pumps, geht über einen Spielplatz, sieht Müttern und Kindern eine Weile zu und geht immer weiter. Wenig später steht sie an einer Fuß-

419 Die begleitende Filmmusik ist von Hans Koller komponiert, gespielt vom NDR-Orchester. Die eingespielten Titel sind Ausschnitte verschiedener Musikstücke und werden im Text erwähnt. In: Produktionsprotokoll zu >Wilhelmsburger Freitag<, Prod.-Nr. 130 439 171 gängerampel. Nun trägt sie plötzlich halbhohe Winterstiefel mit dem damals so weit verbreiteten Seehundfellbesatz. In allen folgenden Einstellungen trägt sie wieder die Pumps mit kleinem Absatz. Der karierte Wintermantel ist immer gleich, auf die Schuhe wurde mindestens einmal nicht geachtet. Es ist nirgends eine plausible Er- klärung für die vertauschten Schuhe zu entdecken, weder eine mitgenommene Tüte (sie trägt nur eine Handtasche) noch ein Einkauf in einem Schuhgeschäft, bei dem sie die Schuhe hätte wechseln können. Dies lässt eindeutig auf verschiedene Drehtage schließen. „Renate Ahlers“ hat offensichtlich mal eine Berufstätigkeit ausgeübt. Dies zeigt die Sequenz, als sie auf ihrem Weg durch die City in das real existierende Ver- lagshaus Heinrich Bauer geht. Kolleginnen, die die gedruckten Zeitungen sortieren und packen, sind zu sehen. Daraus ist auch für „Renate“ auf eine (frühere) einfache Tätigkeit zu schließen. Sie plaudert zuvor kurz mit dem Pförtner, der sie kennt. Dann leiht sie sich aus der Verlagsbibliothek Romane aus und setzt ihren Weg durch die Stadt fort. Auf ihrem Bummel durch die Hamburger Innenstadt sieht sie im Kaufhaus Karstadt einen kleinen Jungen vor einem Automaten mit tanzenden Walt-Disney- Figuren. Er bewegt sich wiegend davor und die Musik spielt: > Bel ami, du hast Glück bei den Frauen… <. Alle Kinder, die sie im Laufe des Tages beobachtet, werden von den Erwachsenen zu Ruhe und unauffälligem Verhalten ermahnt. Fragen der Kinder werden gar nicht erst beantwortet. Ein Mädchen sieht in der Straßenbahn einen Mann zusteigen, der einen großen Beerdigungskranz mit Trauerschleifen trägt. Sie will wissen, was das bedeutet, und wird sofort unterbrochen. Ein anderes Mädchen sieht die Reklamezeichnung leicht bekleideter Frauen auf einem Lastwagen und will wissen, was die Frauen machen. Die Mutter gibt zur Antwort: „ Die tanzt, dass siehst du doch . „ Warum tanzt die denn? “ Du sollst nicht immer so was fragen .“ Am späten Nachmittag geht „Renate“ ins Kino; ins >Streits< am Hamburger Jungfernstieg, dass bis in die heutige Zeit überdauert hat. Sie hat die Wahl zwischen mehreren Filmen. „Renate Ahlers“ steht noch unentschlossen vor den Kinoplakaten, als etliche Menschen aus einer Vorstellung von Michelangelo Antonionis La Notte kommen. Ein Film, der einen Tag bzw. eine Nacht eines wohlhabenden römischen Ehepaares zeigt. Ein Film also, der nicht durch seine Milieuwahl, aber durch den dokumentierten Ablauf eines Tages, Parallelen zu Wilhelmsburger Freitag aufweist. Ein Kinofilm für eine bildungsbürgerliche Schicht, zu der „Renate“ nicht gehört. 172

In dieser Sequenz sieht man kurz den Drehbuchautor von Wilhelmsburger Freitag . Unter den herausströmenden Kinobesuchern ist Geissler zu sehen, als er „aus dem Kino kommt und sich eine Roth-Händle ansteckt. Die von ihm erfundene Figur, „Renate Ahlers“, sieht ihn und andere junge Intellektuelle, findet, dass das nicht ihre Leute sind, La Notte also auch nicht ihr Film sein kann, dreht sich um und geht in ein anderes Kino “. 420 Was hier als wohldurchdachte Auswahl eines ganz bestimmten Films zur dramaturgischen Veranschaulichung unterschiedlicher Bevölkerungsschichten durch andersartige Kinofilme und Zuschaueransprüche erscheint, war jedoch reiner Zufall. Der Regisseur macht dies innerhalb einer Diskussionsrunde mit Studenten klar: „Damals nannten wir das >Kunstfilm<. Da lief ,La Notte´, an dem Tag, als wir in der Stadt drehten. Aber es hätte auch ein anderer >Kunstfilm< sein können, wenn an dem Tag ein anderer gelaufen wäre. Aber in jedem Fall ein >Kunstfilm<, weil wir zeigen wollten, dass „Renate Ahlers“ in einen >Kunstfilm< nicht geht. Nicht weil sie ihn von vornherein nicht mag, sondern weil die Leute, die da raus kommen nicht ihre Leute sind. “421 „Renate Ahlers“ Wahl fällt auf einen unterhalt- samen Film: Sing, aber spiel nicht mit mir . In der Schlusssequenz des Films liegt „Renate“ bereits in ihrem Bett, als ihr Mann von einer extra bezahlten Arbeit seines Chefs nach Hause kommt. Er hat für diesen eine antike Truhe in dessen Privathaus nach Lüneburg gefahren. Die elegante Frau seines Chefs (Eva Maria Bauer) und der Porsche fahrende Chef (Harald Vock) selbst gehören nicht in „Jan Ahlers“ Welt. Und er gehört nicht in die ihrige. Sie können nichts miteinander anfangen, stehen nur in der Diele und verabschieden sich schnell. Leicht verlegen nimmt er Geld an, dass ihm zugesteckt wird. Auf dem Heimweg holt er den alten, gefundenen Roller aus dem Auto und wirft ihn weg. „Jan Ahlers“ steht im Wohnzimmer, sieht eine Schallplatte auf dem Abspiel- gerät. Seine Frau hat sie an diesem Tag gekauft. Er legt sie auf. Es erklingt der sehn- suchtsvolle Text: > Liebe mich, immer und ewiglich… <. Sein Gesicht bleibt völlig regungslos. „Renate“ liegt ebenfalls regungslos und stumm im Bett. Die beidseitige Frustration ist spürbar und wird auch nicht durch eine kurze Umarmung und Küsse gemildert. Im Gegenteil, von Verliebtheit ist in dieser Szene nichts zu merken. Sie sind verbunden durch ihre Ehe und ihre finanziellen Verpflichtungen. Sie sind beide ergeben in eine Lebenssituation, die durch ihren sozialen Status, ihre Konsum-

420 Egon Monk in: Anmerkungen zum Wilhelmsburger Freitag. In: Wiebel, Martin (Hrsg.): Deutsch- land auf der Mattscheibe. Frankfurt a. M. 1999, S. 78 421 Egon Monk in: Gastvortrag an der Freien Universität Berlin, 5.12.1987, Videoaufzeichnung 173 ansprüche und Schulden in engen Bahnen verläuft. Der Mann ist Alleinverdiener, mit dem traditionellen Anspruch, dass die Frau zu Hause bleibt. Hier spielt auch der An- spruch, nach außen hin gut dazustehen, eine Rolle. Ein Denken in tradierten Mustern, das Ängste über das Gerede der Leute mit dem Kern: >Was sollen die Nachbarn denken…< in sich birgt. Dennoch fühlt er sich in seiner Rolle unwohl und lässt dies auch an seiner Ehefrau aus. Im Bett liegend fragt er sie: „ Ist was? “ „ Mir ist übel. “ „Was soll ich denn sagen? Arbeite ich etwa nicht genug? Kannst ja Bescheid sagen, wenn dir was nicht passt. “ Beide wollen kein Kind. Die Entscheidung ist im Laufe des Tages un- abhängig voneinander gefallen. Sie sagt: „ Ich will kein Kind. “ Am Schluss des Tages, bevor er das Licht löscht, hofft er: „ Geh noch mal zum Arzt morgen. Vielleicht haben wir Glück. Vielleicht bist du ja nur ein bisschen krank. “ Beide schweigen. Eine Erwiderung „Renates“ ist auch nicht nötig. Ein Kind wollen und können sie sich nicht leisten. Der Tag endet so freudlos wie er begann.

7.5.6 Im Spiegel der Zeit: Kritiken zu >Wilhelmsburger Freitag< Wilhelmsburger Freitag , der wie alle Filme Monks den Zuschauern Anregung zur eigenen Interpretation geben sollte und die Thematisierung der Sprachlosigkeit zwischen dem konsumorientierten Ehepaar wie eine filmische Reportage über die damalige Zeit erscheinen lässt, erreichte ein überwiegend verständnisloses Publikum. Bei einer Sehbeteiligung von anfangs 53 Prozent schalteten viele gegen 21.00 Uhr zum ZDF-Programm um, das zu dieser Zeit einen Kriminalfilm über Kunstdiebstahl (Die Dame mit dem Spitzentuch nach Interpol-Akten von Fred Denger) 422 ausstrahlte. Die Sehbeteiligung lag gegen Ende des Fernsehspiels bei 44 Prozent. Der Infratest-Index verzeichnet bei den verbliebenen Zuschauern einen negativen Gesamturteilsindex von -1 auf der Bewertungsgrundlage von -10 bis +10. Die Hand- lung ohne Dialoge und die dokumentarische Schilderung ganz gewöhnlicher Alltags- vorrichtungen riefen bei vielen Langeweile hervor „und manch einer gab zu, Mühe gehabt zu haben, nicht einzuschlafen “. 423 Eine kleinere Gruppe von Zuschauern (7 Prozent), die laut Infratest vor- wiegend aus Frauen bestand, störte sich weniger an der filmischen Machart, sondern an der inhaltlichen Darstellung der nicht berufstätigen, aber unzufriedenen Haupt- darstellerin. Infratest vermutet den Grund der negativen Urteile dieser Gruppe: „ Die

422 Einheitliche Angabe auf Basis verschiedener Filmkritiken zu >Wilhelmsburger Freitag< 423 Infratest-Angaben vom 19.3.1964 174 soll man arbeiten, dann wird ihr wohler sein “, oder „ Wenn man Anschaffungen macht, muss die Frau eben auch arbeiten “, wie auch „ Nicht zu verstehen, wie sich die junge Frau in der Stadt herumgetrieben hat anstatt zu arbeiten “ usw. schlicht im Neid, da die junge Frau im Film es besser hatte als deren Kritikerinnen, denn sie musste ja nicht arbeiten. 424 Die positiv urteilenden Zuschauer empfanden Wilhelmsburger Freitag als ein Lehrstück für junge Menschen und Ehepaare, dessen Wirklichkeitsnähe überzeugte, da viele junge Leute mit Illusionen in die Ehe gingen und alles nicht mehr „ so wie früher war, wo man sich noch schön langsam alles anschaffte und es mit etwas Ein- schränkung und Geduld zu etwas brachte ohne das Leben als trostlos und schwer zu empfinden. “ Positiv Urteilende fanden „ das Milieu ungekünstelt “, „ das junge Ehe- paar sehr natürlich “ und empfanden den Film als Darstellung „ des wahren Lebens .“ 425 Wie schon bei den Zuschauern rief das Fernsehspiel Wilhelmsburger Freitag auch bei den Fernsehkritikern sehr unterschiedliche Reaktionen hervor. Von Unver- ständnis: „ Worauf eigentlich wollten Christian Geissler und sein Regisseur Monk mit ihrem Spiel von eines langen, leeren Tages Reise in den müden Abend hinaus? “426 über zurückhaltende Kritik: „ Die Absicht war löblich (…) Ein andermal besser – weniger typisch, dafür konkreter “427 bis Ablehnung: „ Öde Langeweile “ 428 waren alle Meinungen vertreten. Zuspruch gab es ebenso und dieser zeigte, dass die Absicht Monks die all- gemeine Sprachlosigkeit in der Gesellschaft der Wirtschaftswunderjahre aufzuzeigen verstanden wurde: „ Dieses Fernsehspiel ist wahr, blieb aber leider nur die An- gelegenheit weniger Ästheten. Schade “429 und: „ Der Fernsehfilm sollte in den Standesämtern zum Pflichtbesuch für alle aufgebotenen Ehepaare werden! “430 wie auch: „ Unter der maßgerechten Regie Egon Monks gewann das Spiel mit den zentralen Figuren (…) starke menschliche Wahrhaftigkeit “431

424 Ebd. 425 Ebd. 426 th: Wilhelmsburger Freitag . In: Hamburger Abendblatt, 20.3.1964 427 Momos (alias Walter Jens/S.B.): Wilhelmsburger Freitag . In: Die Zeit, 27.3.1964 428 In: Gong, 5.-11.4.1964 429 Geschichten aus dem Alltag junger Menschen gibt es viel zu selten auf dem Bildschirm . In: Tele- graf-Berlin, 5.4.1964 430 In: Abendzeitung München, 21.3.1964 431 Herchenröder, Gunnar N.: Wilhelmsburger Freitag. In: Darmstädter Echo, 21.3.1964 175

7.6 Ein Tag (NDR, 6. Mai 1965) 7.6.1 Anmerkungen zur Produktionsgeschichte Am 6. Mai 1965 (zwei Tage bevor sich das Kriegsende zum zwanzigsten Male jährte) zeigte der NDR einen Fernsehfilm, der bis dato ein Novum deutscher Produktionen darstellt. In dokumentarisch-fiktiver Rekonstruktion wird ein gesamter Tagesablauf in einem Konzentrationslager Deutschlands nachgestellt: Ein Tag . Egon Monk und sein Autor Gunther R. Lys schildern unter Mitarbeit von Claus Hubalek einen Januartag im Jahre 1939 in dem fiktiven Konzentrationslager Altendorf. Es ist keines der großen Vernichtungslager wie sie in den vierziger Jahren des Nationalsozialismus entstanden, jedoch stellvertretend für die Anfänge der Internierungen und perfiden Strukturen eines solchen Lagers. Ein Tag von Egon Monk entstand maßgeblich nach den persönlichen Erinnerungen Gunther R. Lys´, der politischer Häftling in Sachsenhausen gewesen war. Claus Hubalek kam eines Tages auf die Idee, dass „ der Lys das aufschreiben muss “. 432 „Wäre der Lys nicht gewesen, wäre er nicht Häftling in Sachsenhausen und wäre er nicht Autor gewesen, so gäbe es diesen Film nicht. Denn der Einblick, das Wissen, die Kenntnisse, wie lief denn ein Tag in einem deutschen Konzentrations- lager im Januar 1939 ab, wäre uns bei allem Fleiß aus dem bekannten vorliegenden Material zu erarbeiten nicht möglich gewesen. Hinzukommen musste als wesent- liches Element die Kenntnis eines Mannes, der das gesehen und erlebt hat und der fähig war, sich daran genau zu erinnern, das aufzuschreiben und wiederzugeben. “433 Für den Film wurde auf einem angrenzenden freien Gelände von Studio Hamburg detailgetreu ein Konzentrationslager nachgebaut. „ Es war kein Park, aber etwas Ähnliches. Ein unbebautes Gelände, dass wir benutzt haben. “434 Die Drehtage Anfang des Jahres 1965 vermittelten einen Eindruck des Leidens der Häftlinge, das durch die Kälte zusätzlich verschlimmert wurde. Egon Monk zur Festlegung von Ein Tag auf einen Januartag im Jahr 1939 435 : „Die Wahl gerade diese Datums war kein Zufall. Bevor Hitler der Welt den Krieg erklären konnte, hatten er und seine Anhänger erst gegen ihre Gegner im eigenen Volk Krieg führen müssen. (…) In Günter Weisenborns Buch ‚Der lautlose

432 Egon Monk in: Interview am 6.11.2001 mit S.B. 433 Egon Monk in: Netenjakob, Egon: Liebe zum Fernsehen . Berlin 1984, S. 161 434 Egon Monk in: Interview am 6.11.2001 mit S.B. 435 Der Film spielt am 12.1.1939. Das Datum erschließt sich dem Zuschauer aus zwei Filmsequenzen: 1. Der Lagerkommandant diktiert einem Häftling einen Brief und nennt dabei das Datum. 2. In der Krankenstube trägt ein Häftling die Aufnahmedaten eines anderen Häftlings in ein Krankenblatt ein und notiert oben auf dem Blatt das Datum. 176

Aufstand´, der ersten umfassenden Darstellung der deutschen Widerstandsbewegung, findet sich der Hinweis, dass zwischen dem 30. Januar 1933, dem Tag, an dem Hitler zum Reichskanzler ernannt wurde, und dem 1. September 1939, dem Tag, an dem Hitler Polen überfiel, über eine Million deutscher Hitlergegner in die Konzentrationslager geworfen worden waren. “436 Vor Monks Film Ein Tag gab es als deutschsprachige Produktion nur einen Defa-Film, der sich mit dem alltäglichen (Über-) Leben in einem Konzentrations- lager beschäftigte: Nackt unter Wölfen von Frank Beyer nach einem Roman von Bruno Apitz. Der Film wurde am 10. April 1963 in Ost-Berlin uraufgeführt. Die authentischen Schilderungen Apitz,´ der selbst acht Jahre lang verschiedene Häft- lingsstationen durch- und überlebte, erfuhr als Drehbuch zunächst jedoch eine Ab- lehnung. Die Geschichte eines Kindes, dass von Häftlingen in den dramatischen letzten Wochen des Konzentrationslagers Buchenwald versteckt wurde, passte ideo- logisch nicht ins politische Konzept des DDR-Regimes. Menschliche Schicksale standen im Vordergrund der Erzählung statt der Darstellung des Kampfes gegen den Faschismus. 437 Nicht nur die genauen Erinnerungen Lys, sondern auch Monks Besuche in noch vorhandenen Konzentrationslagern, das Dokumentenstudium und Gespräche mit einem ehemaligen Häftling, Harry Naujoks, den Monk durch Lys kennen lernte, wurden zur Basis des Films. „Ich habe auch die Lager selbst aufgesucht, das heißt, soweit sie als Er- innerungsstätten noch erhalten waren. Durch Lys lernte ich Harry Naujoks kennen, den früheren Lagerältesten, der in der Geschichte der Konzentrationslager einer der wenigen politischen Häftlinge war, die sich gegen den Willen der SS in dieser ent- scheidend wichtigen Position über längere Zeit hatten behaupten können. Aber mein wichtigster Partner und Ratgeber beim Schreiben des Buchs blieb Lys. “438

7.6.2 Die Filmhandlung An einem kalten Wintertag kommt eine Lastwagenladung mit Männern in ein Konzentrationslager. Die Neuzugänge sind aus den verschiedensten Landesteilen

436 Monk, Egon: Ein Tag – Ein Film für, nicht gegen Zuschauer. In: Wiebel, Martin (Hrsg.): Deutsch- land auf der Mattscheibe . Frankfurt a. M. 1999, S. 81 437 Vgl. u.a. : Hickethier, Knut: Das Fernsehspiel zwischen Theater und Film. In: Hickethier, Knut: Geschichte des deutschen Fernsehens . Stuttgart 1998, S. 291 f. sowie Netenjakob, Egon: TV- Filmlexikon . Frankfurt a. M. 1994, S. 40 f. 438 Monk, Egon: Ein Tag – Ein Film für, nicht gegen Zuschauer. In: Wiebel, Martin (Hrsg.): Deutsch- land auf der Mattscheibe . Frankfurt a. M. 1999, S. 82 177

Deutschlands. Ihr Alter und ihre Internierungsgründe sind so verschieden wie ihre Fähigkeit, dem Lageralltag standzuhalten. Es geht ums Überleben in einer ab- geschlossenen Welt, dem Lager, das eigentlich das Gegenteil für sie zum Ziel hat. Einen ersten Eindruck davon erhalten sie bei ihrer Ankunft, als sie einen Toten im Elektrozaun hängen sehen. Die Namen der Neuen werden mit Listen verglichen, sie werden einzeln aufgerufen. Währenddessen wird der Morgenappell im Lager durchgeführt. Es ist noch früh, draußen ist es noch dunkel. Alle Häftlinge und das Bewacherpersonal treten zum Durchzählen an. Dabei werden Listen mit den Zahlenangaben der Blockführer verglichen. 436 Menschen, ohne die Neuzugänge, sind inhaftiert. Die Häftlinge sind in verschiedene Gruppen und Arbeitskommandos eingeteilt. Es gibt die Politischen, die Kriminellen, die >Bibelforscher< und die Juden. Der Lagerkommandant „Rüttig“, Obersturmbandführer der SS (Gert Haucke), entdeckt beim Abschreiten der Reihen verbotene Überlebenshilfen. Ein Häftling trägt einen Lumpenschal, ein anderer hat sich zum Schutz vor der Kälte Reste eines Zementsacks, die vom Bau des neuen Krematoriums stammen, unter die Häftlings- kleidung gesteckt. „Rüttig“ gibt seinem direkten Untergebenen Rapportführer „Eichner“ (Conny Palme) Anweisung, den Häftlingen klarzumachen, was >Vor- schriften< bedeuten. Beiden droht dieser daraufhin, ihn bis zum Abend >kennen zu lernen<. Dies gilt ebenso für einen anderen Häftling, den Judenältesten „Katz“ (Josef Schaper). Für diesen Tag gibt es kurz darauf eine spezielle Anweisung von „Eichner“. Es soll eine Grube auf dem Exerzierplatz ausgehoben werden: Zwanzig Meter lang, drei Meter breit und zwei Meter tief. Wie, ist Sache der Häftlinge. Arbeitsgeräte wie Schaufeln gibt es nicht genug. Zynisch setzt er hinzu: „ Ihr bekommt einen Spring- brunnen. “ Inzwischen werden die Neuankömmlinge bereits schikaniert. Sie müssen sich auf Kommando des Oberscharführers „Schwarz“ (Peter Lehmbrock) in den Dreck werfen, aufstehen und wieder hinwerfen. Einer von ihnen, der Friseur „Hans Neu- mann“ (Josef Fröhlich), wegen eines Hitler-Witzes verhaftet, muss gemeinsam mit einem schon länger Inhaftierten die Leiche aus dem Elektrozaun holen und auf eine Karre werfen. Die Neuzugänge werden zunächst ihrer Identität beraubt, indem man ihnen die Köpfe schert und sie in gestreifte Häftlingskleidung steckt. Sie werden so ein- gereiht in das Heer der anderen, die schon mehr oder weniger lange im Lager sind. 178

Danach sieht sich der Rapportführer die neuen Häftlinge an, fragt sie nach ihrem Namen, ihrem Alter und ihrem Inhaftierungsgrund. Ungenügende Antworten werden mit Schlägen oder Einschüchterungen bestraft. Leichter Schneefall begleitet die Arbeiten auf dem Exerzierplatz. Viele Häft- linge graben mit bloßen Händen. „Eichner“ lässt Juden aus dem Krankenrevier holen. Er will sie arbeiten sehen. Der zweite Lagerälteste, „Alwin Reusch“ (Ernst Ronnecker), trifft eine Auswahl, die die Jungen schützt, indem er sie zurückstellt und die älteren Juden zur Arbeit einteilt. Er weiß, dass sie es nicht schaffen werden. Es ist eine Selektion in den Tod; die Jüngeren hingegen haben noch eine Chance. Ein junger Jude wird im Krankenrevier versteckt, in dem schon ein junger Zigeuner der Aufmerksamkeit des Lagerpersonals entzogen wurde. Auch die Neuen sind zur Arbeit eingeteilt. Darunter ein alter Wilddieb aus Bayern, herzkrank und im Glauben, irrtümlich im Lager zu sein. Er stirbt während der Grabungsarbeiten. Ein Häftling, der Pfarrer (Ernst Jacobi), will ihm die Sterbe- sakramente geben. Beten ist jedoch verboten. Er wird, mit der Androhung einer noch folgenden Strafe, in die Isolationshaft geschickt. Derweil >arbeitet< der Lagerkommandant. Er diktiert einem Häftling Briefe, u. a. über die Verwendung anfallender Männerhaare. Zwei der Neuzugänge, „Hans Neumann“ und der politische Häftling „Ernst Singer“ (Hartmut Reck), müssen die Leiche des alten Wilddiebs „Ludwig Pfitzner“ (Hans Stadtmüller) in einen Vorraum des Krematoriums tragen. Dabei treffen sie erstmalig auf „Mennes“ (Eberhard Fechner), den Wortführer unter den Kriminellen. Er weiß durch geschicktes Taktieren mit den Aufsehern des Lagers, seine Position zu wahren. Im Zusammen- treffen mit „Singer“, einem alten Spanienkämpfer gegen das Francoregime, gibt es ein kurzes Handgemenge. Es werden lediglich die Fronten abgesteckt. „Singer“ lässt sich nicht einschüchtern und „Mennes“ lässt ihn in Ruhe. Der Lagerkommandant nimmt mit dem Rapportführer in der Lagerkantine ein Mittagessen ein. Sie besprechen alltägliche Sorgen. Der Junge des Rapportführers ist nicht gut in der Schule, weil der Vater immer nur ein, zwei Jahre am selben Standort blieb und dann abkommandiert wurde. Der Lagerkommandant lässt durchblicken, dass sich das bald ändern würde. „ Jedenfalls solange wir keinen Krieg haben. Da stellen sich uns größere Aufgaben. “ Er gibt seinem Rapportführer die Anweisung, die Grube bis zum Abend wieder zuschütten zu lassen. Der Boden soll so ebenmäßig wie am Morgen aussehen. 179

„Mennes“ und zwei andere kriminelle Häftlinge haben ausgebrochene Gold- zähne und Edelsteine von Juden beiseite geschafft. Sie hoffen, damit durch Be- stechung fliehen zu können. Ihr Vorhaben wird im Film jedoch nicht weiter verfolgt. In der Schreibstube äußert der erste Lagerälteste, „Karl Herrmann“ (Heinz Giese) ein politischer Häftling, den Verdacht, „Singer“ könnte ein Gestapospitzel sein. Im Bei- sein von „Alwin Reusch“, ehemaliger SPD-Landtagsabgeordneter, versichert der herbeigeholte „Singer“ seine Unschuld. „Reusch“ glaubt ihm, obwohl „Singer“ durch sein freiwilliges Zurückkommen aus Spanien verdächtig ist. „Singer“ ist jedoch kein Spitzel. Er deutet an, wegen seiner Frau nach Deutschland gekommen zu sein, wo er als Kommunist bekannt war und verhaftet wurde. Inzwischen sterben draußen auf dem Exerzierplatz weitere Häftlinge. Sie werden alle auf einen Haufen geworfen. Für den jüdischen Anwalt „Katz“ wird es ernst. „Eichner“ will ihn bis zum Abend nicht mehr sehen. Dies bedeutet seinen Tod, wenn nicht während der Grabungsarbeiten, dann >im Draht<. Der Vorarbeiter „Erich“ (Jochen Schenck), ein Kleinkrimineller, fühlt sich unter Druck gesetzt. Opfert er den Juden nicht, sind andere dran. Er selbst ist nicht in der Lage, den Tod von „Katz“ herbeizuführen. Dies übernehmen bald andere Mit- gefangene unter Führung von „Mennes“. „Erich“ beschwört „Katz“, freiwillig in den Draht zu laufen, weil dies ganz schnell gehen würde. „Katz“ hat Angst. Er will nicht sterben und versucht schnell wieder Steine zu tragen und nicht aufzufallen. Der zweite Lagerälteste, „Reusch“, versucht „Katz“ zu retten. Zunächst scheint er Erfolg zu haben. Er setzt „Katz“ strategisch geschickt als >Dirigent< eines >Häftlings- chors< ein, die sich zu Oberscharführer „Schwarz´“ Amüsement versammeln mussten. Sie stampfen rhythmisch den Boden wieder fest und müssen dazu immer laut rufen: „ Und Juda den Tod, und Juda den Tod …“ „Mennes“ überzeugt Oberscharführer „Schwarz“ schnell, dass Rapportführer „Eichner“ ihn dafür zur Verantwortung ziehen würde, falls „Katz“ den Tag überlebt. Das ist für „Schwarz“ ausschlaggebend, dem bösen Spiel ein Ende zu bereiten. Er lässt „Katz“ kommen. „Mennes“ reißt „Katz“ die Mütze runter und wirft sie dem Oberscharführer zu. Dieser wirft sie in den Elektrozaun und fordert „Katz“ auf: „Hol´ dein Mütz! “ „Alwin Reusch“ kann nichts mehr für ihn tun. „Katz“ weiß nun auch, dass er sterben wird. Er zieht seine Stiefel aus, wirft sie in die Menge des immer noch stampfenden und >singenden< Chors. Er geht auf den Draht zu und wird kurz davor von einem Turmposten mit einem Maschinengewehr erschossen. Der 180

Lagerkommandant wird am Abend von Rapportführer „Eichner“ informiert, dass ein Häftling bei einem >Fluchtversuch< erschossen wurde. Der Rapportführer bestraft beim Abendappell den Pfarrer. Die Häftlinge sind angetreten. Es wird wieder abgezählt. Die >Abgänge< des Tages werden gemeldet. Rapportführer „Eichner“ nimmt sich den >Bibelforscher< persönlich vor. Er bietet ihm an, straflos auszugehen, wenn er Gott verleugnet. Als dieser sich weigert, Gott ein Schwein zu nennen, wird er mit auf den Rücken gebundenen Händen an einen Pfahl gehängt. Eine Stunde lang, nach Vorschrift. Der Lagerkommandant schreitet wie beim Morgenappell die Reihen ab. Er nimmt vom Papportführer die Meldung entgegen: „ Schutzhaftlager Altenburg mit 449 Häftlingen angetreten. “ Lagerführer „Rüttig“ weist seinen Rapportführer an, die auffällig gewordenen Häftlinge vom Morgenappell und den Vorarbeiter zu bestrafen. „Eichner“ zitiert den Häftling mit dem Schal, den mit dem Zementsack und den Ver- sager, Vorarbeiter „Erich“, heran, weil dieser den Befehl, „Katz“ zu töten, missachtet hat. Der Kommandant verlässt das Lager. Ein Auto mit Fahrer wartet auf ihn. Er geht außerhalb zum Abendessen; >unter ordentlichen Leuten<. Im Lager müssen die drei Häftlinge hüpfen, rollen, sich hinlegen. Die anderen Lagerinsassen stehen stramm, der Pfarrer hängt an seinem Pfahl. Ein Tag im Lager geht zu Ende. Für etliche war es der erste, für manche der letzte.

7.6.3 Die Exposition Es ist stockdunkel. Straßenlaternen und entgegenkommende Autoscheinwerfer sind aus der fahrenden Perspektive eines Fahrzeugs zu sehen. Mehrere Männer stehen auf der verdeckten Ladefläche eines Lastwagens eng zusammen und starren in eine schaukelnde Deckenlampe. Dies tun sie auf Befehl zweier uniformierter und be- waffneter Begleiter. „ Ins Licht sehen und Augen auf. Immer schön in die Lampe gucken. “ Einer der Zusammenstehenden (Josef Fröhlich) schiebt eine Plane beiseite und man sieht Geschäfte und Menschen in einem öffentlichen Verkehrsmittel. Dann wird der Untertitel des Films eingeblendet: Bericht aus einem deutschen Konzentrationslager 1939. Die drei Namen der Drehbuchautoren werden in folgender Reihenfolge eingeblendet: Gunther R. Lys, Claus Hubalek, Egon Monk. Danach erscheint auf einem montierten Insert ein Wort: >Ankunft<. Der Lastwagen fährt auf Baracken und einen hohen Stacheldrahtzaun zu. Scheinwerfer erleuchten das Gelände. Zwei Uniformierte steigen aus dem Fahrer- haus. Von der Ladefläche springen zuerst die beiden Bewacher, nach ihnen folgen 181 etwa zwanzig Männer mit Koffern in den Händen. Sie tragen dicke Wintermäntel, Schals und Hüte. Sie haben Zivilkleidung an. Einer der Uniformierten holt Papiere aus dem Führerhaus des Lastwagens. Die Männer stehen in einer Gruppe zusammen. Niemand spricht. Grelles Scheinwerferlicht gleitet über sie hin und blendet sie. Aus einer Baracke kommen vier Aufseher. Einer von ihnen will näher an die Neuzugänge treten, als die Stimme eines der anderen Aufseher (Peter Lehmbrock) ruft: „Geh´nicht so nah ran. Die Zugänge sind noch voll von Läusen, von Wanzen !“ Der andere weicht zurück, während der erste brüllt: „ Stillgestanden! “ Er nimmt die Papiere der Neuzugänge entgegen. Die Namen werden einzeln aufgerufen. Die Männer melden sich militärisch mit einem kurzen >Hier<. Dann wird abgezeichnet, umständlich und peinlichst genau. Ein Bleistift wird aus dem Uniformmantel eines der Aufseher genestelt, Papiere werden gesucht, sortiert, einzeln abgezeichnet, bis alles stimmt. Der Transportfahrer wirft einen kurzen Blick darauf, winkt seinen Be- gleitern und der Lastwagen startet. „Still gestanden, hab´ ich gesagt “, werden die Neuankömmlinge erneut an- gebrüllt. Dann müssen sie in die Hockstellung gehen. Ihre Koffer müssen sie dabei mit ausgestreckten Armen von sich halten. Sinkende Arme werden mit einem Stiefel- tritt quittiert. „ So, und nun seht euch euer neues Zuhause mal an. Das letzte Mal von außen “, sagt der Aufseher zu den Neuen. Dann wendet er sich ab, weil der Turm- posten (Achim Dünnwald) ihn von oben ruft: „ Du Schwarz, da hängt noch einer. Schalte mal den Strom ab, dass wir ihn rausholen !“ Er schwenkt den Schweinwerfer auf den Zaun. Man sieht einen Toten darin hängen. Die Neuen sehen hin und werden angebrüllt: „ Keine Bewegung, hab´ ich ge- sagt! “ „ Dess is ´nich´ in meine Wach´ passiert “, ruft der Turmposten runter. >Schwarz< ruft zurück: „ Der Rapportführer will die im Draht hängen sehen, dass wisst ihr doch ganz genau. Und was der Rapportführer will, dass wird gemacht, liebe Jung´ ja? Sonst bist du der Dussel nachher. “ „ Ja, schalt´s du jetzt ab, oder nich´? “ „ Du kannst mich mal, aber kreuzweise !“ gibt „Schwarz“ zurück und wendet sich ab. Die Aufseher gehen zum Tor und öffnen dies für die Neuen, die durch das Tor laufen müssen. Ein alter Mann mit bayerischem Dialekt (Hans Stadtmüller) wendet sich an „Schwarz“. „ Das is´ a´ Irrtum, glauben´s mir, das is´ a´ Irrtum!“ „Schwarz“ stößt ihn grob in den Schlamm. Der Alte rappelt sich wieder auf und greift nach seinem Koffer. „Schwarz“ ruft, mit auf dem Rücken verschränkten Händen: „ Und ab !“ Das große Tor wird verschlossen. Sie sind im Lager.

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7.6.4 Narrative Gestaltung Vor Einsetzen der Spielhandlung steht ein Zitat von Bertolt Brecht: > Mögen andere von ihrer Schande sprechen, ich spreche von der meinen <. Der Untertitel: Bericht aus einem deutschen Konzentrationslager 1939 ist gleichzeitig Themenangabe und Zuweisung des Handlungsortes. Die Fahrt im Lastwagen ist ein filmischer Vorspann, der direkten Bezug zur Spielhandlung nimmt, die nach Einblendung des Titels einsetzt. Die eingangs ge- zeigte Fahrt im Lastwagen ist eine dramaturgische Wiederaufnahme einer Sequenz in Schlachtvieh. Wie in Schlachtvieh wird ein Transport ins Ungewisse gezeigt. Eng stehen Tiere respektive Menschen auf der Ladefläche eines Lastwagens zusammen. In Schlachtvieh folgt die Kamera dem Blick einer einzelnen, unter der Plane heraus sehenden Kuh auf die erleuchtete Auslage einer Metzgerei. In Ein Tag folgt die Kamera dem Blick eines Mannes auf die erleuchtete, belebte Szenerie einer Straße mit Geschäften und Menschen, die er durch die Plane erkennen kann. In der Ein- fügung eines Untertitels ist ebenfalls eine Parallele zu Schlachtvieh zu erkennen, dessen Untertitel lautete: Für Menschen in einem unterentwickelten Land. Die Personen im Vorspann sind identisch mit denen im weiteren Handlungs- verlauf. Der Vorspann ist also ein ganz anderer, als in Anfrage , Schlachtvieh oder auch in Mauern. Es werden keine rückblickenden Ereignisse gezeigt, verfremdende Wort-Bild-Kombinationen präsentiert oder hinweisende Erklärungen abgegeben. Der Vorspann samt Untertitel vermittelt, wie schon die Filmaufnahmen des Arbeiterstadt- teils im Vorspann von Wilhelmsburger Freitag , eine ausreichende Vorinformation des Zuschauers. Für Ein Tag setzt Monk wieder Inserts ein, die nachfolgend die Hauptmotive des Films kennzeichnen: 1. Ankunft, 2. Appell, 3. Alltag, 4. Geschäfte, Schwierig- keiten, Sorgen, 5. Tod des Anwalts Katz, 6. Appell und 7. Unter ordentlichen Leuten. Innerhalb dieser Unterteilungen wird eine chronologische Erzählstruktur mit Höhepunkten sichtbar. Ein Tag wird eingeteilt in Abschnitte, deren Ablauf besondere Stationen kennzeichnen. Dies ist beispielsweise der Tod des Judenältesten „Katz“. Was in den vorangegangenen Hauptmotiven langsam vorbereitet wurde, erfährt hier seinen Abschluss. Der Jude muss weg, der Jude muss sterben. Es gibt keinen be- sonderen Grund dafür - er ist Jude, dass ist Grund genug. Innerhalb dieses Haupt- motivs ist die Entwicklung von der akuten Todesbedrohung bis hin zur Tötung in mehreren Handlungssträngen sichtbar. Mehrere Filmfiguren sind direkt und indirekt am Tod von „Katz“ beteiligt: das KZ-Personal als Befehlsgeber und Mörder, einige 183 der Häftlinge als potentielle Retter, andere wiederum als Intriganten und skrupellose Mitschuldige. Monks dramaturgischer Aufbau verbindet Einzelschicksale mit dem Gesamtmechanismus eines Konzentrationslagers. Er zeigt Kollaboration mit den Aufsehern, Überlebensstrategien, Vernichtung durch Arbeit, den Verwaltungsapparat usw. – eben >den ganz normalen Wahnsinn< eines rekonstruierten Lageralltags. Die Erzählstrategie ist eine filmische, die Sprache und Bilder zu einer Einheit werden lässt. Es gibt keine Überakzentuierung der Sprache mehr, die im Vorder- grund einer theaterähnlichen Inszenierung steht. Durch verschiedene Parallel- montagen wird der Eindruck von gleichzeitig stattfindenden Handlungen und Ge- schehnissen hervorgerufen, die an einem bestimmten Punkt zusammenlaufen. Dies geschieht z. B. durch Schnitte zwischen den Grabungsarbeiten auf dem Exerzierplatz und einer Szene in der Schreibstube. Der Neuzugang, „Ernst Singer“, ist beim Schaufeln zu sehen. Man sieht gleich darauf die Schreibstube, in der „Singer“ ver- dächtigt wird, ein Gestapospitzel zu sein. Der erste Lagerälteste, „Karl Herrmann“, spricht seine Verdächtigungen gegen den Neuen aus und fordert den zweiten Lager- ältesten, „Alwin Reusch“, auf, den Verdächtigen zu holen. Wieder erfolgt ein Schnitt und „Singer“ sitzt dem ersten Lagerältesten in der Schreibstube gegenüber. Der Zu- schauer hat den Eindruck, dass „Singer“ direkt von den Grabungsarbeiten gekommen ist. Draußen schreiten indes die Arbeiten fort, während drinnen ein Mann Rede und Antwort stehen muss. In diesem Fernsehfilm setzt Monk zwei Mal Dokumentaraufnahmen ein. Nicht vor der einsetzenden Spielhandlung wie in Anfrage oder in Mauern , sondern zwischen fiktionale Szenen. Es handelt sich um Wochenschaumaterial der >Transit- Film<. Der erste Filmausschnitt dauert 1´08 Minuten und zeigt Hitler bei der Ent- gegennahme von Neujahrsgrüßen. Die Montage erfolgt nach dem Aufladen des Toten aus dem Elektrozaun auf eine Karre durch den Neuzugang „Hans Neumann“. Man sieht „Neumann“ noch in Zivilkleidung, gerade angekommen und das Entsetzen mit der ersten Konfrontation des Todes steht ihm deutlich im sprachlosen Gesicht. Die Kamera zeigt seinen Blick in Nahaufnahme. Die Augen sind weit geöffnet, er atmet schwer, sein Mund steht offen. Nach einem Schnitt sieht man, ebenfalls in Nahaufnahme, Teile eines glitzernden Kronleuchters. Dieser wird gleich darauf in voller Pracht gezeigt, bevor die Kamera langsam auf den Boden eines Saales schwenkt. Dort zieht eine Reihe von Diplomaten in Galauniform an Adolf Hitler vorbei, der ihre Hände schüttelt. Der Ausschnitt ist ohne Ton, aber eine unterlegte Off-Stimme teilt mit: „ An diesem Vormittag empfängt Hitler in der neuen Reichs- 184 kanzlei das diplomatische Corps zur Entgegennahme und Erwiderung der Neujahrs- glückwünsche. “439 Dann sind jubelnde Massen vor der Reichskanzlei zu sehen. Nach einem Schnitt sieht man Rapportführer „Eichner“ vor strammstehenden Häftlingen stehen. Er sagt: „ Und wir? Wir heben eine Grube aus. “ Die zweite Verwendung montierter Dokumentaraufnahmen erfolgt zwischen getaner Arbeit und dem Abendappell. Zuerst sieht man die Häftlinge mit freiem Oberkörper in einer Baracke. „Ernst Singer“, „Hans Neumann“ und andere waschen sich, ziehen Splitter aus den Händen und trocknen sich ab. Gleich darauf erscheint in der Barackentür ein anderer Häftling und treibt sie zum Abendappell an. Die Häft- linge beeilen sich, man hört das Klappern von schweren Holzschuhen und sieht die Häftlinge, noch teils unvollständig bekleidet, aus der Tür laufen. Hier setzt Monk die Technik der Überblendung ein. In einer Kombination von Ab- und Aufblende gehen zwei Szenen ineinander über. 440 Die halbnackten Häftlinge sind noch sichtbar, als bereits applaudierende Menschen in Theaterreihen sitzend zu erkennen sind. Auch der Ton überlappt sich. Das Klappern der Holz- schuhe mischt sich mit dem Applaus. Dann sieht man tonlose Bilder eines Turnier- tanzes. Musik setzt ein, eine Off-Stimme berichtet von verschiedenen Abendver- gnügungen wie dem Zuschauen einer Tanzmeisterschaft und Kinobesuchen. 441 Nach einem Schnitt sind zwei Häftlinge zu sehen, die ein Tor öffnen und die anderen durchlassen zum Abendappell. Es wird nicht getanzt, es wird strammgestanden. Der Film endet am Abend des Tages. Der Abendappell, die Bestrafungs- aktionen und das Verlassen des Lagers durch den Lagerkommandanten bilden den zeitlichen Abschluss eines einzigen Tages. Der Film bietet kein versöhnliches Ende. Ein Ende der Torturen ist nicht in Sicht. Darauf deutet schon der Anfang hin, mit der Festlegung auf das Jahr 1939. Jeder der Zuschauer wusste zum Zeitpunkt der Erst- ausstrahlung, 1965, dass weitaus Schlimmeres erst noch folgen sollte. Insofern ist zwar ein Ende der Filmgeschichte von Ein Tag erzählt worden, der Film entlässt die Zuschauer jedoch mit einem >offenen Ende<. Die Wahl des Brecht-Zitats als Einleitung ist eine Willensbezeugung, Ereig- nisse zu zeigen, die so oder ähnlich in Deutschland vorgekommen sind, diese weder

439 Ausschnitt aus >Ufa Wochenschaumaterial 437/39<, Transit-Film GmbH, Frankfurt. In: Produktionsprotokoll zu >Ein Tag<, Prod.-Nr. 130 459 440 Vgl. Monaco, James: Film verstehen. Reinbek b. Hamburg 1995, S. 577 441 Ausschnitt aus >Ufa Wochenschau 427/38<, 23 Sek., Transit-Film GmbH, Frankfurt. In: Produktionsprotokoll zu >Ein Tag<, Prod.-Nr. 130 459 185 zu verschweigen noch zu verharmlosen, sondern sie möglichst detailgetreu nachzu- zeichnen. Es war die unbedingte Absicht, etwas darzustellen, was als nicht darstellbar galt: „Allgemein spricht man im Zusammenhang mit den Konzentrationslagern häufig von unfassbarem Grauen, von namenlosem Leid, von sinnlosem Tod, von sich der Vorstellungskraft entziehendem Schicksal, von einer Todesmaschinerie. (…) Das Grauen war nicht unfassbar, sondern im furchtbarsten Sinne des Wortes gegenständ- lich, fassbar und fühlbar. Das Leid war nicht namenlos, es hatte Millionen Namen. Nichts entzog sich der Vorstellungskraft der Zeitgenossen, noch entzieht es sich unserer Vorstellungskraft. Nur was Menschen sich vorstellen können, ereignet sich. “442

7.6.5 Visuelle, auditive und darstellende Gestaltung als Träger der Intention Egon Monks Ansinnen, die Struktur und den Ablauf eines Konzentrationslagers im faschistischen Hitlerregime zu zeigen, wird durch eine ausgeprägte Detailtreue ver- wirklicht. Während Monk noch in Anfrage den weitestgehenden Verzicht auf Requisiten mit der Konzentration auf das ihm am wesentlichsten Erscheinende be- gründete und so ein Ablenken vom >Vorgeführten< verhindern wollte, lebt Ein Tag vom Detail. Der Handlungsort - das Barackenlager mit Elektrozaun, Scheinwerfern, Schreibstube, Uniformen, Lagerkantine für die Aufseher etc. ist ein sorgfältig in- szenierter Einsatz von Requisiten – und damit eine ganz andere Umsetzung der >Konzentration auf das Wesentlichste<. Dass Ein Tag wie eine Dokumentation erscheint, ist aber ganz besonders der darstellenden Gestaltung zu verdanken. Um eine möglichst realistische Nachbildung eines Lageralltags zeigen zu können, wurde mit den Schauspielern und Statisten >militärischer Drill< geübt. Innerhalb von zehn Tagen wurde an zwei, drei Stunden täglich eine >Grundausbildung< wie Exerzieren und das korrekte Verhalten beim Appell einstudiert. Das Runterreißen der Mützen der Häftlinge beim Appell musste „wie von einer gemeinsamen Hand “ und „ mit dem befohlenen knallenden Aufschlag auf dem linken Oberschenkel “ geschehen. 443

442 Egon Monk in seiner Rede anlässlich der Verleihung des DAG-Fernsehpreises am 23.4.1966: An- merkungen zu „Ein Tag“. In: Nierhaus, Herbert (Hrsg.): Fernsehspiele – Politische Bildung für Millionen. 20 Jahre DAG-Fernsehpreis. Sonderdruck 443 Egon Monk in: Netenjakob, Egon: Liebe zum Fernsehen . Berlin 1984, S. 163 186

Der Film wäre laut Monk „ in schlimmer Weise in seiner Glaubwürdigkeit gefährdet gewesen “, 444 wenn die militärischen Strukturen des Lagerlebens nicht authentisch verfilmt worden wären. Das galt auch für die überzogene Form des deutschen Bürokratismus, die sich in der Darstellung „ außerordentlich charakteristischer Vorgänge “445 wie das Registrieren der Häftlinge in Listen mit mehrfachen Durchschlägen niederschlug. Ebenso wurde das typische >Scheren< der Häftlinge bzw. deren kahle Köpfe im Lager gezeigt. Dafür verpflichteten sich einige Schauspieler (z.B. Eberhard Fechner, Gottfried Kramer und Harald Eggers) vertraglich, sich vor Drehbeginn „ ab sofort nicht mehr die Haare schneiden zu lassen “. 446 Es bleibt so manche Szene im Gedächtnis des Zuschauers, die sich an einer kleinen bedeutsamen Geste eines Einzelnen festmacht. Der den ganzen Tag über vom Tode bedrohte ältere Jude „Katz“, den auch die Aktion, ihn als Leiter des >Chores< einzusetzen, letztendlich nicht retten konnte, zeigt am Ende des Tages mit überlegter Geste Gefasstheit vor dem Unausweichlichen. Kurz bevor seine Mütze in Richtung des elektrisch geladenen Zauns geworfen wird und er den Befehl erhält, sie zu holen, zieht er seine Stiefel aus und wirft sie in die Menge der anderen Ge- fangenen. Wer jemals Kenntnis authentischer Berichte von Lagerinsassen erhalten hat, weiß um den überlebenswichtigen Besitz fester Schuhe gegen Kälte und Ver- letzungen. Dies wird auch während der Grabungen herausgestellt, indem ein Häftling einem zu Tode gekommenen Mitgefangenen schnell die Schuhe auszieht und sie gegen seine Holzpantinen tauscht. Die Szene der Ermordung des Judenältesten wirkt in seiner Dramatik nicht nur durch die beschriebene Geste, sondern auch durch die Mimik des Darstellers eindringlich. Kurz bevor dieser seine Stiefel auszieht, wird sein Gesicht in einer Großaufnahme gezeigt. Er hat den Befehl gehört, seine Mütze zu holen und er weiß, was dies bedeutet. Er spricht nicht, fleht nicht um sein Leben, aber er vermittelt dem Zuschauer seine Angst mit den Augen, die die Kamera in langer Einstellung zeigt. Es sind dunkle Augen, die zunächst nur geradeaus sehen, an Oberscharführer „Schwarz“ vorbei. Er sieht auch weder „Mennes“ noch andere Häftlinge an. Er versucht zu überhören, was er nicht wahrhaben will. Dann irgendwann, nach mehrfach wieder-

444 Egon Monk in: Ebd. 445 Egon Monk in: Ebd. 446 Bestandteil des Vertrages von Eberhard Fechner vom 21.12.1964, dessen Proben- bzw. Drehtage zwischen dem 9.1. bis 26.2.1965 angesetzt wurden und im März 1965 um weitere vier Tage verlängert wurden. Alle anderen Verträge datieren ebenfalls vom 21.12.1964. 187 holtem Befehl, tritt eine Mischung aus Resignation und Entschlossenheit in seine Augen und seine Gesichtszüge. Er senkt den Blick, er hat verstanden, er hat kapituliert und doch geht >Juda< nicht einfach in den Tod. Er denkt an seine Mit- gefangenen und schenkt ihnen die so wichtigen Stiefel. Das Ausziehen und Werfen der Stiefel zeigt die Kameraführung in der Totalen. Der Mann steht im Schnee; seine gestreifte Kleidung hebt sich deutlich vom weißen Hintergrund ab. Die Kameraführung geht hier auf Distanz. Auch der Tod spiegelt sich im entscheidenden Moment nicht mehr in seinem Gesicht. Der Zu- schauer sieht den Mann aus der Perspektive des erhöhten Wachtturms. Der auf den Zaun zugehende Mensch gerät in das Fadenkreuz eines Maschinengewehrs. Als die tödlichen Schüsse schließlich fallen, filmt die Kamera von außerhalb des Lagers, durch den Zaun hindurch, aus größerer Distanz. Der Mann fällt in den weißen Schnee, der wie ein großes Leichentuch wirkt. Er ist offensichtlich sofort tot. Er schreit nicht und bewegt sich nicht mehr. Ringsherum herrscht Stille; im Hintergrund sieht man den Wachtturm. Auch der Schütze wird nur aus der Entfernung gezeigt. Sein Gesicht erkennt man nicht. Eventuelle Emotionen sind so nicht ablesbar. Die distanzierte Kameraführung während der Ermordung zeigt die >Normalität< des Todes innerhalb eines solchen Lagers. Der Jude „Katz“ steht nur stellvertretend für alle, die vor ihm dran waren und nach ihm folgen sollten. Der Turmposten ist auch nur einer von vielen, die Menschen getötet haben. Dennoch ist die Veränderung in Monks narrativer Gestaltung zu voran- gegangenen Fernsehfilmen augenscheinlich. Ein Tag sollte erzählen, wie es damals war und setzt dies mit einer Kameraführung um, die keineswegs nur distanziert ab- bildet, sondern in solchen Szenen auch Nähe erzeugt. Mit Schauspielern, die nicht vorführen, sondern Emotionen wie Angst sichtbar machen. Eine weitere, sehr eindringlich dargestellte Szene ist die am Vormittag ge- troffene Auswahl kranker Juden zum Arbeitseinsatz an der Grube. Der zweite Lager- älteste, „Alwin Reusch“, erhält den Befehl, sie aus dem Krankenrevier zu holen. Aufgeregt teilt er dem ersten Lagerältesten mit, was er tun soll. Der fällt die Ent- scheidung, nur die ältesten und die schwerkranken Juden zu holen. „Reusch“ will nicht: „ Das ist Mord! “ „Herrmann“ weiß das, sieht aber im Unausweichlichen die Möglichkeit, die Jüngeren zu verschonen: „ Hier ist sowieso alles Mord. “ „Reusch“ geht in das Krankenrevier, den Waschraum. Er soll eine Selektion vornehmen und damit über Leben und Tod entscheiden. Schon in der Eingangstür bleibt er stehen und sieht auf den Elendshaufen alter und junger Juden. Sie hocken an 188 der Wand, liegen auf dem Boden und starren „Reusch“ an. Er schluckt, will etwas sagen und schweigt. „Katz“ steht neben ihm und spricht als Judenältester den Befehl aus, den „Reusch“ nicht aussprechen kann. „ Befehl vom Rapportführer: Wir müssen auf den Platz. Arbeiten. Steine sortieren. Ich komme mit. “ Dann zeigt „Katz“ auf einen jüngeren Juden mit Armschiene. „Reusch“ unterbricht ihn: „ Du bleibst! Ich bestimme, Katz. “ Dann zeigt er auf die Alten und Schwerkranken. Sie gehen an Krücken, haben verbundene Wunden, Hautausschläge und gebrochene Knochen. Sie können sich teilweise kaum auf den Beinen halten. Er ruft sie bei ihren Namen: „Seeliger, Blau, Simon. “ Als er eine kleine Anzahl zusammengestellt hat, schluckt er nochmals schwer. Er würgt geradezu an seinen Worten, als er sagt: „ Zu wenig. Das ganze zurück. “ Er wendet sich an „Katz“ und sagt: „ Eichner will sie alle. Er weiß, dass sie hier sind. Er hat die Rapportlisten. “ Der Judenälteste schüttelt resignierend den Kopf. Erneut trifft „Reusch“ eine Auswahl. Er beginnt wieder Namen aufzu- rufen: „ Bergmann, Stepper, du und du… Trautner…du, Seeliger, Blau, Simon. “ „Reusch“ zögert kurz und wählt dann mit leiser Stimme: „ Steinberger, Hans. “ Der Kamerablick fällt auf einen am Boden liegenden alten Mann. Ein junger Mann, der neben dem Alten kniet, sagt: „ Das geht nicht, zum Rapport müssen wir ihn tragen! “ „Reusch“ erwidert nichts. Der Alte erhebt sich jedoch mühsam und lässt sich vom Jüngeren die Jacke anziehen. Sprachlos holt der alte Mann einen Esslöffel aus seiner Jacke und reicht ihn dem Jüngeren. Es bedarf keiner Worte in der Monkschen Dramaturgie, um nur mit dieser Geste und Blicken zwischen den Häft- lingen die Konsequenz dieser Handlung zu verdeutlichen. Der alte Mann geht in den Tod. Es ist ihm bewusst und er gibt seinen wertvollsten Besitz demjenigen, der noch eine Chance zu Überleben hat. Die Kamera bleibt auf dem Löffel hängen, der in den Händen des Häftlings liegt. Die Symbolik des >Löffel-Abgebens< steht im Raum. Weitere Details, wie der Versuch eines Häftlings, sich durch Fetzen eines Zementsacks unter der Sträflingskleidung ein wenig zu wärmen, sind ebenso Zeugnisse überlieferter Ereignisse. Ebenfalls auf authentischen Erzählungen basierend sind Beispiele durch Kollaboration mit den Aufsehern zu Überleben, das Fälschen von Rapportlisten und Verstecken von Gesunden im Krankenrevier. Aber auch ein Beispiel christlicher Nächstenliebe – der Beistand eines Sterbenden durch einen Geistlichen, der dies und seine Weigerung, Gott ein Schwein zu nennen, mit Folter bezahlt, entspricht authentischen Vorkommnissen. Die Rolle des Geistlichen spielte Jacobi bereits in Schlachtvieh - nicht mitfühlend, sondern Macht ausübend. 189

Auch das NS-Prinzip >Vernichtung durch Arbeit< 447 wird in Ein Tag in seinem ganzen, grausam quälenden inneren Mechanismus eines Konzentrations- lagers gezeigt. Auf Befehl des Rapportführers heben die Häftlinge mitten im Lager aus dem gefrorenen Boden eine große Grube aus, deren einziger Sinn in der Schwächung der Häftlinge besteht. Die Arbeit zehrt an den Kräften, zumal sie mit unzureichenden Mitteln zu bewältigen ist. Am Ende erhalten sie den gegenteiligen Befehl, die Grube wieder zuzuschütten, ohne dass irgendeine sichtbare Spur ihrer Grabungen zu erkennen sein darf. Der >Erfolg< der Schikane bleibt nicht aus. Am Ende des Tages sind mehrere >Abgänge< zu verzeichnen, hervorgerufen durch die körperlichen Strapazen, die Kälte, den Hunger und den psychischen Druck innerhalb der Lagerstrukturen. Der ungehindert ausgelebte Sadismus vieler KZ-Aufseher wird durch die Figuren des Rapportführers und des Oberscharführers hervorgehoben. Deren Quälereien wirken besonders erschreckend im Kontrast zu ihren verschiedenen Dialekten. Oberscharführer „Schwarz“ spricht gemütliche, rheinische, Rapportführer „Eichner“ leicht belustigend wirkende, sächsische Mundart. Die ausgesprochenen Befehle und Drohungen wirken dadurch irgendwie >menschlich vertraut<, was in Hochdeutsch eine eher abgrenzende Wirkung gehabt hätte. Der Einsatz mehrerer Dialekte (Vorarbeiter „Erich“ ist eindeutig als Hamburger einzuordnen, ebenso wie ein Pfleger im Krankenrevier usw.) bietet dem Zuschauer keine Möglichkeit der Distanz. Es ist vorstellbar, was im Film gezeigt wird. Dem Hamburger, dem Bayern, dem Rheinländer … Der bayerische Dialekt des Wilddiebs klingt ebenso lebensecht in seiner hilf- losen Wiederholung: „ Das is´ a´ Irrtum, glauben´s mir, das is´ a´ Irrtum! “ wie Ober- scharführer „Schwarz´“ ständig wiederholter Satz bei diversen Schikanen: „ Ihr lernt dat noch, das sach´ ich euch, ihr lernt dat noch. “ Die >Normalität< eines NS-Verwaltungsapparates zeigt sich in der Lager- kantine. Dort trifft sich das KZ-Personal zum Mittagessen. Einer der Wärter stellt ein Radio an. Fröhliche Musik erklingt. 448 Streng getrennt sitzen niedere und höhere Ränge an den Tischen und lassen sich von Häftlingen bedienen. „Eichner“ beschwert

447 Vgl. Kogon, Eugen: Der SS-Staat. Das System der deutschen Konzentrationslager. München 2012, 1. Aufl. bereits 1946. Kogon war selbst Lagerhäftling im Konzentrationslager Buchenwald von 1939 bis 1945 und beschrieb nach der Befreiung aus eigenem Erleben sowie gestützt auf 150 Einzel- protokollen anderer Internierter eine detaillierte Innenansicht der NS-Vernichtungslager. 448 Titel: >Südlich der Alpen<, Komponist: Ernst Fischer, gespielt vom NDR-Rundfunkorchester unter Leitung von W. Stephan, Dauer 2´48 Minuten. In: Produktionsprotokoll zu >Ein Tag<, Prod.- Nr. 130 459, Meldung der gesendeten Musikwerke. Weitere gibt es nicht. 190 sich über fehlende Bratheringe, Kommandant „Rüttig“ fordert Schnitzel. Ein höf- liches >Danke< oder >Bitte< gibt es selbstverständlich nicht. Der Lagerkommandant spricht Hochdeutsch. Seine Stimme klingt kühl, sach- lich und hat einen stets leicht gereizten Unterton. Er widmet sich überwiegend ad- ministrativen Aufgaben, verwaltet Menschenhaar wie jedes beliebige Gut und dies mit der sprichwörtlichen deutschen Gründlichkeit. Das Abnehmen des Rapports nach dem Morgen- und Abendappell erledigt er mit einem besonderen Blick auf kleine Unregelmäßigkeiten. Überlebenshilfen entdeckt er sofort. Dass auch er nicht nur Verwalter ist, sondern auch seine Machtposition willkürlich auslebt, zeigt er beim Abendappell. Beim Abschreiten der Reihen dreht er einem Häftling einen Knopf von der Jacke. Er sagt dabei kein Wort, wirft den Knopf auf den Boden und geht weiter. Man kann nur vermuten, dass dem Häftling wegen des wider die Vorschriften fehlenden Knopfes spätestens beim Morgenappell Schwierigkeiten drohen. Bevor er zum Abendessen geht, hält er eine Ansprache, die blanker Hohn ist: „Aus gegebenem Anlass, erinnere ich an die Worte des Reichsführers. Es gibt einen Weg zur Freiheit. Meilensteine, die heißen: Gehorsam, Fleiß, Ehrlichkeit, Nüchtern- heit, Sauberkeit, Opfersinn, Ordnung, Disziplin und Liebe zum Vaterland. “ Die Kamera zeigt ihn zunächst in der Nahaufnahme, dann fällt der Blick auf die Häftlinge, während man seine Stimme hört. In der Totalen sieht man den Pfarrer regungslos am Pfahl hängen, die anderen stehen dahinter. Das Gesicht des Kommandanten wird im Profil gezeigt, als er die letzten Worte spricht. Es ist be- herrscht und ohne Mitgefühl. Danach dreht er sich um und verlässt das Lager. Rapportführer „Eichner“ zitiert währenddessen drei Häftlinge zur Bestrafung. Die letzte Sequenz zeigt Lagerkommandant „Rüttig“ in einem Lokal, >unter ordentlichen Leuten<. Im gut besuchten Lokal unterhalten sich Frauen und Männer in angenehmer Atmosphäre; im Lager werden zeitgleich Menschen gequält. Dies verdeutlicht eine Asynchronität von Bild und Ton. Das Stimmengewirr der Ge- spräche tritt in den Hintergrund und verstummt schließlich ganz. Man hört die langsam lauter werdende Stimme von Oberscharführer „Schwarz“ aus dem Off, die den Häftlingen Rollen, Aufstehen, Setzen usw. befiehlt. „Hinlegen, aufstehen und rollen! Wollt ihr wohl rollen, ihr Drecksäue. (…) Ihr lernt dat noch, das sach´ ich euch. “ Der Film endet in dieser Asynchronität mit dem Blick auf einen gut an- gezogenen älteren Herrn, Zigarre rauchend, mit einer Hakenkreuznadel am Revers. Er nickt zu den Worten seines Tischnachbarn – oder zu den Worten aus dem Off? 191

Möglicherweise ist dieses Nicken aber auch ein dramaturgischer Vorgriff auf seine (ihre) kommende >Lehrzeit<, sechs Jahre später. „ Ihr lernt dat noch! “

7.6.6 Im Spiegel der Zeit: Kritiken zu >Ein Tag< Zwanzig Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges waren die Gräueltaten in Konzentrationslagern den Menschen meist nur aus Originalaufnahmen der Alliierten nach Befreiung der Lagerinsassen, Auslandsproduktionen oder Dokumentarfilmen bekannt. Für viele waren die Bilder der skelettartigen Überlebenden und die riesigen aufgetürmten Berge der nackten Toten unerträglich. Der Film Ein Tag zeigte keines solcher Bilder, sondern die erschreckende >Normalität< eines Tagesablaufs in einem kleinen Konzentrationslager mit nicht einmal 500 Insassen. Eine Normalität, die erst durch das Selbstverständnis der >Herrenmenschen< möglich wurde. Laut Infratest erwies sich gerade die gewählte Form eines Berichts mit Spielhandlung ohne spektakuläre Bilder als vorteilhaft für die Aufnahmebereitschaft der Zuschauer: „Es hat sich als relativ günstig erwiesen, dass es sich bei diesem ‚Bericht´ praktisch um ein Dokumentarspiel, nicht um einen regulären Dokumentarbericht an Hand von Aufnahmen aus jener Zeit handelte. Dadurch, dass das KZ-Geschehen einerseits am persönlichen Schicksal von Menschen gezeigt wurde, die der Zu- schauer eineinhalb Stunden lang kennen lernen konnte, und dass andererseits diese Einzelschicksale ganz dem Gesamteindruck des KZ-Alltaggeschehens untergeordnet waren, wurde die Grausamkeit im KZ-Leben für die Zuschauer besonders eindring- lich, ohne dass die Aufmerksamkeit vom Gesamtgeschehen etwa auf Einzelschicksale ausweichen konnte. Die Gestaltung der Sendung als Dokumentarspiel-Bericht hat zweifellos dazu beigetragen, dass auch jene Zuschauer fast ausnahmslos bis zum Ende der Sendung am Spätabend dabei geblieben sind, die die NS-Thematik und die Darstellung derartiger Grausamkeiten ablehnten und nur mit einiger Überwindung zusahen. Bei einem reinen Bild-Dokumentarbericht ohne zusammenhängende Hand- lung hätte so mancher dieser Zuschauer vermutlich vorzeitig abgeschaltet. “449 Die Sehbeteiligung der ARD/NDR-Zuschauer belief sich auf 46 Prozent und erhielt eine insgesamt positive Beurteilung auf dem Urteilsindex von +1. Im weiteren Verlauf führt Infratest Zuschauerreaktionen auf, die die ganze Bandbreite von Zu- stimmung und Ablehnung enthielten. Doch gerade bei dieser Thematik bemerkte Infratest einschränkend für die Gültigkeit einer systematischen Einordnung der Kritiken:

449 Infratest-Angaben vom 6.5.1965 192

„Die Zuschauerreaktionen auf eine derartige Sendung kann man nur sehr be- dingt aus dem erzielten Urteils-Index ableiten, denn das Urteil vieler Zuschauer gilt nicht nur der Sendung an sich, sondern auch ihren Qualitäten als – ansprechendes – Abendprogramm und ein KZ-Bericht ist für viele von vornherein doppelt unerfreu- lich, im optischen Handlungsablauf wie in der Absicht. “450 Eine kleine Auswahl zeigt typische Zuschauermeinungen zum Film: „Ich hatte so etwas noch nie gesehen, es hat mich reichlich mitgenommen. Das war so grausig. “ – „Dieser Film war für mich ein Alptraum. Man kann diese Grausam- keiten beinahe nicht glauben, aber der Film ist ja nach wahren Begebenheiten ge- dreht worden. “ – „Die Sendung war so furchtbar, dass meiner Frau beinahe schlecht wurde. So was war unmenschlich, denn die Juden waren ja auch nur Menschen. Die Art der SS war unter aller Soldatenwürde. “ – „Wahrheitsgetreu und erschütternd. Die Greueltaten waren nicht überspitzt. “ – „Eine gute Dokumentation. Man konnte sich viele Szenen aus den Gerichtssälen zusammenreimen, siehe Auschwitz-Prozess. “ – „Ein guter und wohl auch objektiver Bericht. “ – „Das sollte man immer wieder in Erinnerung bringen. “ – „Die Handlung war nicht erfreulich, aber die Künstler brachten es überzeugend. “ – „ Die Sendung an sich war gut, aber einmal muss Schluss damit sein. Ich mag so etwas nicht mehr. “ – „Es ist unglaublich uns heute nach 20 Jahren noch solche Sachen zu zeigen. Es interessiert mich nicht. Ich will davon nichts mehr sehen. Habe zum 2. Programm umgeschaltet. “ – „Man hat es satt, wenn man es miterlebt hat. “ – „Ich war selbst drei Jahre in Gefangenschaft. Ich will so etwas nicht noch sehen. “ – „Das sollte nicht gezeigt werden. Warum müssen wir Deutsche uns immer wieder mit Dreck bewerfen? “ – „Eine Tendenz, die mir nicht passt. Die Amerikaner zeigen auch nicht, was ihre Verbrecher begangen haben. “ – „Meiner Meinung nach wurden die Verhältnisse in jener Zeit noch verharmlost. “451 In einer Pressekritik wurde schon in der Vorankündigung auf einen außergewöhn- lichen Programmbeitrag hingewiesen, der „ nachholt, was viele Deutsche, viele Aus- länder längst erwartet haben: eine dokumentarisch scharfe Nachzeichnung über deutsche KZ´s. “452 Die Notwendigkeit eines deutschen Beitrags zur Dokumentation national- sozialistischer Vergangenheit wird in kaum einer Fernsehkritik von 1965 an- gezweifelt. Mehr oder minder erschüttert äußerten sich nach Ausstrahlung von Ein

450 Ebd. 451 Ebd. 452 Lindberg, Jens: Kein Tag wie jeder andere. In: Hamburger Abendecho, 5.5.1965 193

Tag auch die Kritiker, gelegentlich mit der Einordnung des Films als kühnes Unter- fangen: „ Ist dieser Film ein Wagnis?“453 oder „ Ein Wagnis anderer Art… “454 Fast allen gemein ist die Feststellung eines unbequemen Beitrags, der vielfach Anerkennung ausdrückt, selten Ablehnung. Anerkennung erfuhr allgemein die sorg- fältige Rekonstruktion von Lys und Monk, mit der „ der Norddeutsche Rundfunk einen verbindlichen Maßstab setzt “455 und „ als die bisher konsequenteste und künst- lerisch überzeugendste Leistung des Regisseurs Egon Monk zu bewerten ist. “456 Wie schwer es auch noch zwanzig Jahre nach Kriegsende sein musste, sich mit der jüngsten deutschen Vergangenheit auseinander zu setzen, belegt die häufig vorsichtige Annäherung der Kritik wie diese: „Wie soll man diesen Film nennen? Gut? Gelungen? Eindrucksvoll? – Das wären Adjektive, deren man sich angesichts der Zusammenballung des Entsetzens schämen müsste.(…) Dass, es dem Regisseur gelang, die Szenen mit Schauspielern, sogar mit bekannten Schauspielern zu be- setzten und dennoch den Eindruck bestürzender Authentizität zu wahren, spricht für seinen verantwortungsvollen Ernst ebenso wie für seine künstlerische Sensibili- tät. “457 Oder: „Viele Möglichkeiten, auf diesen Fernsehfilm zu reagieren, – die Er- forschung der tatsächlichen Reaktionen wird hier ganz besonders aufschlussreich sein. Festzustellen ist im Augenblick nur, dass die Ausstrahlung dieser Sendung ‚Ein Tag´ dem Deutschen Fernsehen zur Ehre gereicht. Nicht nur, weil es Egon Monk in beträchtlichem Maße gelang, die furchtbare Wirklichkeit eines KZ´s spüren zu lassen, sondern weil dadurch auch allen denen das Wort genommen wurde, die uns ein Ausweichen vor solchen Themen unterstellen möchten. “458 Resümierend stellte Egon Netenjakob fest: „ Ein kompromissloser und konsequenter Fernsehfilm. “459 1966 wurde Ein Tag in der Originalfassung mit deutschen Untertiteln im amerikanischen Fernsehen durch die NET-National Education Television, der „ einzig nicht kommerziellen Fernsehgesellschaft “460 ausgestrahlt, was im Rahmen eines Aus- tauschprogramms mit Studio Hamburg zustande kam. Die New Yorker Herald Tribune schrieb dazu: „ Nur ein Tag müsste dem Publikum vom National Education

453 Viele sollten das sehen. In: Hannoversche Allgemeine, 6.5.1965 454 BD: Banalität des Bösen. In: Kölner Stadtanzeiger, 7.5.1965 455 Viele sollten das sehen , In: Hannoversche Allgemeine, 6.5.1965 456 Ein Tag . In: Hamburger Abendblatt, 7.5.1965 457 I.Ue.: Die Wahrheit ohne Verbrämung. In: Neue Ruhr-Zeitung, 8.5.1965 458 Mudrich, Heinz: Ein Tag in Deutschland. In: Saarbrücker Zeitung, 8.5.1965 459 Netenjakob, Egon: Die einzig mögliche Form. In: Funk-Korrenspondenz, Nr. 21, 20.5.1965 460 NDR-Erfolg in USA . In: Hamburger Abendblatt, 25.1.1966 194

Television die Augen öffnen über die triviale Behandlung eines so wichtigen Themas durch das kommerzielle amerikanische Fernsehen – beschämt uns, unsere Kriegs- gefangenen Schwänke und unsere Verwirrungen… “461 Die New York Times urteilte: „ Ein Tag war ein außergewöhnlicher Film, denn er zeigte auf eine besonders anschauliche Weise das frühe Stadium der Barbarei. “462 1977 zeigte die BBC Monks Film im britischen Fernsehen. Im Spiegel der internationalen Presse würdigte auch der Daily Telegraph Monks Inszenierung: „ Der Regisseur Egon Monk und seine Besetzung schufen ein so natürliches Bild der Routine der Erniedrigung, dass die Leiden nicht Spiel, sondern Wirklichkeit schienen. “463 Karl Prümm resümiert: „ Solche Bilder hatte bislang niemand dem deutschen Fernsehpublikum zugemutet, und doch verzichtet Ein Tag auf spektakuläre Effekte. Monks inszeniertes Dokument bedarf keiner Rechtfertigung, zu evident ist die Präzision der Erinnerung, zu selbstverständlich ist die Nähe, die nie den Eindruck der Fiktion und des Stilisierten aufkommen lässt. Vielleicht war es 1965 gerade noch möglich, den Schrecken ohne den beklemmenden Eindruck des Peinlichen und Historischen zu inszenieren, der sich heute unvermeidlich einstellt. Noch waren die Erzähler und das Publikum den schrecklichen Ereignissen nahe, noch gab es keine routinierten Techniken, keine eilfertigen Schemata der Verbildlichung. “464

7.7 Der Augenblick des Friedens: Berlin N 65 (NDR, 25. November 1965) 7.7.1 Anmerkungen zur Produktionsgeschichte Eine Besonderheit in zweierlei Hinsicht stellt Egon Monks nächste Inszenierung dar. Das Thema ist wieder ein Beitrag zur Bewältigung nationalsozialistischer Ver- gangenheit. Doch zum einen ist es eine länderübergreifende Koproduktion mit Polen und Frankreich und zum anderen ist der deutsche Beitrag des dreiteiligen Episoden- films - Monks einziger Film, in dem autobiographische Erlebnisse verarbeitet wurden. Der Augenblick des Friedens entstand nach einer Idee von Claus Hubalek. Für die einzelnen Beiträge der Dreiländerproduktion gab es nur zwei maßgeb- liche Vorgaben: Aus jeweiliger Sicht den Moment des Kriegsendes, den Augenblick

461 New York Herald Tribune, 11.1.1966 462 New York Times, 11.1.1966 463 Daily Telegraph, 12.12.1977 464 Prümm, Karl: Inszeniertes Dokument und historisches Erzählen. Die Fernsehfilme Egon Monks. In: Augenblick; Marburger Hefte zur Medienwissenschaft: Deutsche Geschichten, Egon Monk – Autor, Dramaturg, Regisseur . Marburg 1995, H. 21, S. 46 195 des Friedens, zu schildern und eine zeitliche Begrenzung auf jeweils etwa dreißig Minuten Länge. Der gesamte Film wurde schließlich 101 Minuten lang. Monks Bei- trag wurde mit rund 45 Minuten der längste. Ursprünglich war auch ein russischer Beitrag vorgesehen, doch Monk musste auf diesen Beitrag verzichten. „Wir luden französische, polnische und russische Kollegen ein, sich an dem Projekt zu beteiligen. Jedes Land sollte sein spezielles Thema selbst wählen, sollte selbst Autor und Regisseur bestimmen und in eigener Verantwortung, unbehelligt von uns Hamburgern, seinen eigenen kurzen Film produzieren. (…) Franzosen und Polen willigten ein, auf die Antwort auf Moskau warte ich heute noch. So wurde ein Drei-Länder-Film daraus. “465 Mehr aus der Not geboren und gerade deshalb ungewöhnlich für den Fernseh- spielleiter, Regisseur und Autor Egon Monk entstand die deutsche Episode zum Gesamtprojekt; aus der Not geboren, weil der verpflichtete Autor Wolfgang Koeppen keinen Beitrag ablieferte und der Zeitpunkt des festgesetzten Drehbeginns unaufhalt- sam nahte. So lieferte Monk schließlich den deutschen Beitrag selbst – aus eigenem Anschauen und Erleben. „Die Zeit verging. Aus Frankreich und Polen trafen erst Entwürfe, dann fertige Drehbücher ein. Keine Post aus dem westlichen Deutschland, wo unser Mann wohnte. Die Zeit verging. Aus Frankreich und Polen wurde mitgeteilt, dass Be- setzung und Stab stünden und man zu drehen anfangen werde. Keine Mitteilung, kein Anruf aus dem westlichen Deutschland. Was tun? Nur noch wenige Wochen bis zum Drehbeginn, der nicht zu verschieben war. Einen anderen Autor zu bitten wäre ange- sichts der Kürze der Zeit eine Zumutung gewesen. Also sprang ich ein. Und da es für das Suchen nach schon geschriebenen Geschichten und für das Studieren dicker Geschichtsbücher zu spät war, blieb mir nichts anderes übrig, als meine eigene Geschichte zu erzählen. Es ist bis heute mein einziger autobio- graphischer Film geblieben. “466 Monks Schauplatz, Berlin N 65 , benannt nach einem Berliner Postbezirk, entspricht dem Viertel, in dem er aufwuchs. Im Norden Berlins, in einem mehr- stöckigen Mietsblock des Arbeiterbezirks Wedding. Das eigentliche Elternhaus schied als Drehort aus, da es inzwischen im Berliner Osten hinter der Mauer stand und von daher nicht zugänglich gemacht werden konnte. Auf der Suche nach einem möglichst ähnlichen Haus schickte Monk zunächst seinen Filmarchitekten nach

465 Egon Monk in einer Rede anlässlich seiner Brasilien-Reise mit dem >Goethe-Institut< von 1986. In: Privatmanuskript Monks 466 Egon Monk in: Ebd. 196

Westberlin. Als er einige Tage später nachgereist war, schlug dieser ihm zehn ver- schiedene Gebäude vor, die Monk alle ablehnte, da sie seinen Vorstellungen nicht entsprachen. Erst das elfte Haus fand Monks näheres Interesse. „Nachdem ich zehn Häuser, Wohnungen und Keller besichtigt hatte, sah ich schon nicht mehr so genau hin, wohin wir nun weiterfuhren, wie die nächste Station aussah, wo genau das nächste mögliche Motiv lag. Ging dann, geführt vom Archi- tekten, wieder in eine Mietskaserne, die elfte. Sie gefiel mir, das heißt sie war häss- lich genug, um mir richtig gut zu gefallen. Das Treppenhaus war in Ordnung. Der Keller, unser wichtigster Schauplatz, sah genau so aus, wie er aussehen musste, und er war noch in demselben Zustand, wie die Bewohner ihn im , MOMENT OF PEACE 1945´ verlassen hatten. Die zusätzlichen Stützen standen noch, dicke Holzpfähle, die die Stabilität erhöhen sollten. (…) Zuletzt besichtigten wir die vorher ausgewählte Wohnung im zweiten Stock. Und schon bevor uns geöffnet wurde, hatte ich das Gefühl, hier schon gewesen zu sein, glaubte aber, dass dieser Eindruck von der Ähnlichkeit mit der Wohnung meiner Eltern herrühre. Auch die freundliche Mitfünfzigern, die uns die Tür auf- machte, kam mir bekannt vor. Bekannt woher? Die Wohnung war die richtige. Alles war richtig. Da war das Wohnzimmer mit zwei Fenstern zur Straße, da standen die richtigen Möbel, da war die richtige Tapete schon an der Wand. Besser: noch immer. Nur das Klavier würde weggestellt werden müssen. Auf dem Klavier stand das gerahmte Foto eines jungen Mannes in Wehrmachtsuniform. Mein Freund Heinz Creutzig. Die freundliche Frau: seine Mutter. Die dann auch im Film die Rolle der Mutter gespielt hat. Und wo war Heinz? Nicht aus dem Krieg nach Hause gekommen. Gefallen. Im letzten Kriegs- winter. Seine Eltern haben nie erfahren, wann genau und wo. “467

7.7.2 Die Filmhandlung Auf die beiden Beiträge aus Frankreich und Polen soll hier nur in Kürze eingegangen werden, da sie zwar Bestandteil der Monkschen Inszenierung Der Augenblick des Friedens sind, jedoch nur marginaler Bestandteil dieser Arbeit über Egon Monk. Der zunächst gesendete Beitrag kam aus Frankreich: Die weißen Vorhänge , Buch Marguerite Duras, Regie Georges Franju. Er schildert das Zusammensein zweier Heimatloser, einer alten verwirrten Frau und eines etwa zehnjährigen Jungen, die seit Jahren gemeinsam umherirren. Für den Jungen, der nie Lesen und Schreiben

467 Egon Monk in: Ebd. 197 gelernt hat, ist das Ende des Krieges der Beginn eines neuen Lebens, ohne die alte Frau. Er kann endlich eine Schule besuchen und sie kommt, gänzlich verwirrt, in eine Heilanstalt. Im polnischen Beitrag Matura , Buch und Regie Tadeusz Konwicki, erlebt ein Siebzehnjähriger im Augenblick des Friedens persönliche Niederlagen. Durch seine Lehrer daran gehindert, sich den Widerstandskämpfern anzuschließen und sich statt- dessen lieber auf das Abitur vorzubereiten, schafft er weder das eine noch das andere und verliert am Ende das von ihm geliebte Mädchen an einen verdienten Kämpfer. Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf Berlin N 65, dem Mittelteil des dreiteiligen Films. Der Zweite Weltkrieg nähert sich in Deutschland seinem Ende. Die rote Armee rückt unaufhaltsam auf die Hauptstadt vor. Es ist die letzte Aprilwoche des Jahres 1945. Der Film schildert die Stunden vor Anrücken der sowjetischen Panzer in einem Berliner Arbeiterviertel. In diesen Stunden vor Kriegs- ende versammeln sich alle Bewohner eines Mietshauses im Luftschutzkeller. Sie haben sich schon längst mit dem häufigen Fliegeralarm arrangiert. Routiniert schaffen sie ihre wenigen Habseligkeiten, die noch von Nutzen sind, in den Keller. Alte und junge Menschen, Frauen und Männer, sind bald unten versammelt. Sie richten sich mit Betten und Matratzen so gut es geht ein. Ein junger Mann (Peter Kappner) und seine Mutter (Martha Creutzig) sind auch dabei. Er ist noch keine zwanzig Jahre alt, Jahrgang 1927. Sie haben eine Wohnung im zweiten Stock des Hauses, mit Balkon. Das Wichtigste in dieser Wohnung scheint für ihn das Radio zu sein. Sein Interesse gilt dem Jazz. Er summt Melodien mit und spielt den Rhythmus der Songs auf einem imaginären Schlagzeug. Wenn er keine Musik hört, liest er. Seine Schulzeit wurde durch die Ausbildung zum Luftwaffenhelfer und Bereithaltung zum Arbeitsdienst an der Heimatfront beendet. An diesem Tag kommt eine Wehrmachtsstreife in den Keller. Alle wehr- fähigen Männer sollen noch ins letzte Aufgebot rekrutiert werden. Streng werden die Papiere der anwesenden Männer kontrolliert. Hauswart „Mielke“ (Harry Gillmann), linientreues Parteimitglied bis zuletzt, stellt sich sofort an die Seite der Wehrmachts- streife. Drei der Männer, darunter der junge Mann, gelten als wehrfähig. Sie erhalten vom kommandierenden Soldaten die Anweisung, sich sofort auf der nächsten Stand- ortkommandantur zu melden. Der Junge holt geputzte schwarze Halbschuhe aus einer Truhe und setzt sich einen schwarzen, eleganten Herrenhut auf. Als einziger der anwesenden Männer scheint er sehr viel Wert auf sein äußeres Erscheinungsbild 198 zu legen. Niemand sonst trägt Anzug mit Hut. Die drei machen sich auf den Weg. Sie verlassen das stark beschädigte Haus. Es ist inzwischen dunkel geworden. Überall um sie herum brennt es. In ihrer unmittelbaren Nähe schlagen viele Treffer ein, die sie veranlassen, wieder den schützenden Keller aufzusuchen. Keiner weiß etwas Genaues, aber es kursieren Gerüchte, dass das Kriegsende nicht mehr weit ist. Plötzlich erscheinen drei versprengte deutsche Soldaten im Keller. Sie sind schmutzig, durstig, hungrig und erschöpft. Die Kellergemeinschaft versorgt sie erst einmal mit Suppe und Kaffee aus Blechkannen. Einer der Soldaten ist im Alter des Jungen, der ihn verstohlen beobachtet. Als der Soldat (Lutz Mackensy) seinen Blick auffängt, zieht der Junge sich schnell in die Dunkelheit einer Kellernische zurück. Die Menschen wollen von den Soldaten über die Lage draußen aufgeklärt werden, doch die wissen auch nicht viel mehr als sie. Einer von ihnen will weg, der Anführer der kleinen Gruppe will von >Abhauen< nichts wissen: „ Ist schon Frieden? “ Er be- stimmt, dass weiter gekämpft wird. Als idealer Posten erscheint ihm dabei die Wohnung im zweiten Stock, weil sie einen Balkon hat, auf dem er Stellung beziehen kann. Der Junge führt sie hinauf. Als Erstes legt er das umgekippte Radio sorgfältig auf ein Sofa, bevor er einem der Soldaten einen Weg nach hinten raus beschreibt. Der junge Soldat spricht ihn an. Er versteht nicht, warum der Junge nicht ebenfalls eingezogen wurde. Dieser hat keine Ahnung, mutmaßt aber, dass seine Erfassung mit der zuständigen Wehrbezirkskommandantur abgebrannt ist. Schnell stellen beide fest, dass sie, außer der Ausbildung an der Flak, nichts gelernt haben. Sie sind Schüler und lieben beide Jazz. Während draußen der Ge- fechtslärm tobt, sitzen sie sich gegenüber und summen die Erkennungsmelodie der AFN-Radiosendung > The Duke is on the Air <: > Take the A Train< von Duke Ellington. 468 Im Keller verbrennen die Menschen Nazipropaganda. Der kleine Ofen füllt sich mit Hitlerabbildungen. Der Blockwart der Straße (Kurt Otto Fritsch) kommt in den Keller und verkündet Durchhalteparolen, zu denen Hauswart „Mielke“ ein Parteiabzeichen an seinen Jackenaufschlag heftet. Der Blockwart verschwindet so schnell wie er aufgetaucht war. Er hinterlässt eine ratlose Kellergemeinschaft. Ein paar der Männer schleichen ihm hinterher und schauen durch die mit Brettern ver-

468 AFN: American Force´s Network. Am 4.7.1943 in London gegründeter Soldatensender. Diente der Unterhaltung der amerikanischen Luft- und Bodentruppen. Fortbestand nach Kriegsende. 199 nagelte Haustür. Wenige Minuten nach seinem Auftritt im Keller liegt der Blockwart erschossen auf der Straße vor dem Haus. Die Hausbewohner verfallen in eine irrwitzige Feierlaune. Keiner weiß, was die nächsten Stunden bringen werden. Sie holen ihre versteckten alkoholischen Vor- räte aus den hintersten Kellernischen und verteilen alles in der Runde der Nachbarn. Letztlich schütten sie alles in einen großen Emailletopf, zusammen mit eingemachten Erdbeeren, und machen eine Bowle. Die Stimmung steigt. Eine Frauenstimme (aus dem Off) fragt zaghaft in die lustige Runde: „ Und wenn sie jetzt kommen? „Dann sind sie eben da !“ lautet die lakonische Antwort einer der anderen Frauen. Alle johlen und singen: „ Eins, zwei suffa … so schön ist es im Hofbräuhaus. “ Der älteste Hausbewohner fasst, schon leicht betrunken, die Lage in Worte: „ Genießt den Krieg, denn der Frieden wird fürchterlich. “ Der Junge beobachtet das Treiben aus der Distanz. Er liest in einem Buch und hält sich ein wenig abseits. Ein kleines Mädchen mit Teddy im Arm wird von der Gemeinschaft ermuntert, ein Lied zu singen. Sie singt mit Hingabe, ohne die Töne richtig zu treffen: > Kauf´ dir einen bunten Luftballon, halt´ ihn fest in deiner Hand…<. Strahlend beendet sie ihr Lied unter begeistertem Applaus. Der junge Mann interessiert sich mehr für eine junge Nachbarin, die neben ihm sitzt. Sie ist nur wenig älter als er und trägt einen Ehering am Finger. Sie bemerkt durchaus das Interesse des Jungen und legt ihm ihre Hand auf sein Knie. Als die Runde bereits wieder gemeinschaftlich singt, tanzt und trinkt, ziehen sich beide in einen dunklen Gang zurück. Sie sprechen nicht miteinander. Es kommt zu einem zaghaften Kuss. Schritte unterbrechen ihre Zweisamkeit. Um eine Kellerecke kommt einer der drei versprengten Soldaten. Er hat sich aus dem Kleiderschrank der Wohnung bedient und verschwindet nun in Zivilkleidern. Sie gehörten dem Vater des Jungen. Die Nachbarin und der Junge gesellen sich wieder zu den anderen. Inzwischen sitzen diese im Keller und warten auf das Ende. Panzerketten sind zu hören; die Russen fahren durch ihre Straße. Es wird nicht mehr geschossen. Die vorletzte Sequenz zeigt Mutter und Sohn wieder in ihrer Wohnung im zweiten Stock des Hauses. Auf dem Tisch liegt eine Flagge. Die Mutter trennt das aufgenähte Hakenkreuz vom roten Untergrund ab. Es ist ein schöner, sonniger Tag. Der Junge steht wieder auf dem Balkon und kämmt sich die Haare. Sie wollen die rote Fahne auf dem Balkon hissen. Die Russen sind nun die neuen Machthaber. Er kündigt an, auf dem Boden nach einer Stange zu suchen, als aus dem Radio Musik erschallt. 200

Er verstummt mitten im Satz, als er seine geliebte Jazzmusik hört. Der Strom ist wieder da und mit ihm ein funktionstüchtiges Radio. Es liegt noch immer auf dem Sofa, völlig unbeschädigt. Vorsichtig stellt der Junge es wieder auf einen kleinen Tisch. Voller Freude tanzt er mit seiner lachenden Mutter im Zimmer herum. Dann sammelt er seine alte Flakhelferuniform zusammen und wirft Stiefel, Helm, Jacke, Hose und Gürtel übermütig in den Hinterhof. Hauswart „Mielke“ erscheint schimpfend im Torbogen. Er hat sich bereits den neuen Verhältnissen angepasst und droht dem Jungen, dessen unordentliches Verhalten dem russischen Kommandanten zu melden. Im Haus herrscht wieder reges Treiben. Die Hausbewohner laufen treppauf und treppab. Sie räumen ihre Habseligkeiten in die Wohnungen zurück. Der Junge steigt auf den Dachboden, um eine Stange für die Fahne zu suchen. Als er sich suchend umsieht, fällt sein Blick auf den jungen Soldaten. Der lehnt an einer Holz- leiter, die an einem Dachbodenfenster steht. Er ist runtergerutscht, von einer Kugel getroffen, auf dem Fluchtweg über die Dächer. Der Junge setzt sich auf den Boden und lehnt an einem Dachbalken. Er sieht den Gleichaltrigen an und schiebt seine Brille nach oben. Durch das Dachfenster ist ein Stück Himmel zu sehen.

7.7.3 Die Exposition Gefechtslärm ist zu hören, ohne die Quelle des Lärms zu zeigen. Es klingt bedrohlich nah, als ein junger Mann durch eine Brettertür von der Straße aus ein Haus betritt. Er summt vor sich hin und trägt zwei Eimer mit Wasser. Er hat einen Anzug an, trägt eine Brille und hat sorgfältig gescheiteltes dunkles Haar. Im Treppenhaus herrscht reges Treiben. Menschen laufen treppauf und treppab. Sie tragen Matratzen, Bett- decken und andere Haushaltsgegenstände aus ihren Wohnungen in den Keller des Mietshauses. Ein Mann kommt ihm mit einem Bettgestell entgegen. Der Junge fragt: „ Soll ich mit anfassen helfen? “ Der antwortet: „ Nee, lass´ man. Macht ihr lieber selber, dass ihr runter kommt, sonst macht euch der Iwan Beene. “ „ Platz! “ ruft eine Frau hinter ihm, die mehrere Matratzen auf dem Kopf trägt und nach unten will. Der Junge weicht ihnen mit seinen vollen Eimern in den Händen aus. Er will nach oben. Menschen rufen durcheinander. Ein Mann treibt seine Frau zur Eile an. Sie versuchen ein Bettgestell um einen Treppenabsatz zu heben. „ Wir halten ja den ganzen Betrieb auf! Nun komm´ schon. “ „ Tach´ Herr Francke! “ wird der junge Mann auf seinem Weg nach oben von einer Frau gegrüßt. „ Tach´ “, grüßt auch er und 201 geht weiter nach oben. Die Nachbarn schleppen Stühle, Sofakissen, Koffer und einen Vogelbauer an ihm vorbei nach unten. Er betritt seine Wohnung. Gleich darauf dreht er an einem Radio, das aber keinen Ton von sich gibt. Er setzt sich davor auf einen Stuhl, legt die Beine auf ein Sofa und verschränkt die Hände hinter dem Kopf. „ Warum rennst du denn so? “ ruft er in die Wohnung hinein. Eine weibliche Stimme ruft zurück: „ Na, alles zusammenpacken! “ „ Luftschutzkoffer genügt “, g ibt er zurück, ohne sich zu erheben. „ Wer weiß, wie lange das dauern wird. Die Betten müssen runter. Da musst du mir helfen, beim Auseinandernehmen. „Zieh´ sie mal erst ab “, meint er. „ Da wird nischt abgezogen, die kommen so runter wie sie sind “, ruft die Stimme zurück. Er erhebt sich und klopft auf das Radio ein. In der Tür erscheint seine Mutter mit einem Federbett auf dem Arm und fragt ihn: „ Was machst du denn da? “ „ Nachrichten. “ „ Radio hören ist verboten! “ sagt sie. „Strom verbrauchen ist verboten, außer bei Fliegeralarm .“ „ Ist denn Alarm? Ach, dass du die hören kannst “, sagt sie, während er schon wieder mit hinter dem Kopf verschränkten Armen auf dem Stuhl sitzt. Gleich darauf versucht er nochmals das Radio anzumachen. Unerwartet hört man eine Durchsage, die die Bevölkerung über einen neuen Sirenenalarm bei feindlichen Luftlandeoperationen und Fallschirmspringern im Heimatkriegsgebiet informiert, der sich von anderen Sirenentönen unterscheidet. Die Durchsage endet mit dem Hinweis, dass dies zur Alarmierung aller militärischen Streitkräfte eingeführt wurde, aber für die Bevölkerung „ ist es ohne Bedeutung “. Während die Worte aus dem Radio durch die Wohnung schallen, steht der junge Mann auf dem Balkon. Es ist ein sonniger Tag. Der schlaksige Junge hat die Hände in den Hosentaschen und sieht in den Himmel. „ Warm draußen “, stellt er fest und kämmt sich die Haare mit einem aus der Jackentasche gezogenen Kamm. Als die letzten Worte verklingen, steht er vor dem Bücherschrank. Aus dem Radio dringt fröhliche Musik zum unentwegt grollenden Gefechtslärm. In Leder gebundene Karl- May-Bände stehen neben >Der Weltkrieg im Bild< und >Mein Fliegerleben<. „ Wo bleibst du denn? “ wird er gerufen. „ Was zu Lesen suchen “, sagt er, schon wieder am Radio drehend. „ Du liest doch schon den ganzen Tag! “ Ungerührt dreht er am Radio. Er erwischt einen Feindsender, und der nun aus dem Radio kommende Jazz-Sound lässt ihn mitsummen und zu Taktstöcken greifen, die neben dem Radio liegen. Draußen wird es lauter. Plötzlich fällt der Strom aus. Das Radio verstummt. Alles Klopfen nützt nichts; das Radio bleibt stumm. Nun erst schlendert er, mit den Händen in den Taschen, ins Nebenzimmer, wo seine Mutter hastig bemüht ist, die 202

Federbetten und Matratzen vom Bettgestell zu reißen. Er greift nun auch zu und hilft, die Matratzen zu stapeln. Plötzlich hört man ein Flugzeug brummen. Es ist ganz nah, so nah, dass Mutter und Sohn alles fallen lassen. Der Junge zieht seine Mutter um das Bett herum und beide eilen in den Flur. Eine Frau und ein Mann mit Rasierschaum im Gesicht kommen auch in den Korridor. Niemand von ihnen spricht. Der Mann hält ein Hand- tuch in den Händen und trocknet sich die Hände. Die Lampe erzittert unter den nahen Einschlägen und der Junge hält den großen Spiegel fest. Dabei versäumt er nicht, seine Frisur musternd zu prüfen. Das Haus wird nicht getroffen und er lässt den Spiegel los. Alle gehen wieder in ihre Räume zurück.

7.7.4 Narrative Gestaltung Der Film vermittelt schon während der Einblendung des Titels und der folgenden Darstellerliste eine Vorstellung vom Schauplatz der Erzählung und der Situation der Protagonisten. Der Titel Berlin N 65 , der Name des Drehbuchautors und Regisseurs Egon Monk und die Darstellernamen laufen noch über den Bildschirm, indes der Zuschauer auch schon in die Exposition der Geschichte eingeführt wird. Für die knapp 45 Minuten lange Episode wählte Monk einen Einstieg, der in einer Kombination der Geräuschkulisse und der ersten Kameraeinstellung sowohl den Handlungsort als auch den Hauptdarsteller vorstellt. Durch Spalten einer vernagelten Tür oder eines Fensters (was zunächst nicht definierbar ist) sieht man einen jungen Mann mit zwei Eimern in den Händen auf die Spalten zukommen. Im Hintergrund ist ein Häuserblock zu erkennen. Menschen gehen vorbei. Weder sie noch der junge Mann haben es besonders eilig. Gefechtsgeräusche sind zwar deutlich, aber noch in einiger Entfernung zu hören. Bild und Ton vermitteln den Eindruck einer Bedrohung, von der die Menschen noch nicht direkt betroffen sind, sowie eine gewisse Ge- wöhnung an eine Kriegssituation. Aus einer zurückfahrenden Kameraperspektive wird erkennbar, dass es sich um eine vernagelte Hauseingangstür handelt, durch die der Junge ein Haus betritt. Der schwungvolle Eintritt des jungen Mannes verstärkt den Eindruck einer gewissen Krisengewöhnung, als dieser, keineswegs verängstigt aussehend, durch die Tür kommt, sondern stattdessen ein Lied summt. Es ist ein direkter Einstieg in die Spiel- handlung, die sich an einer Konzentration auf eine Hauptfigur festmacht. Das Herausstellen einer einzelnen Hauptfigur ist ungewöhnlich für die Filme Monks. In Anfrage gab es zwar die Figur des wissenschaftlichen Assistenten 203

„Köhler“, die für die Suche nach einem verschwundenen Juden gebraucht wurde, doch unterscheiden sich beide Protagonisten wesentlich. Eine Identifikation des Zu- schauers mit „Köhler“ wurde dadurch verhindert, dass dieser nicht nur eine Rolle ausfüllte, sondern als >Ich-Erzähler< durch das Fernsehspiel führte, Szenen unter- brach, hinweisend und fragend agierte. Der fast namenlose Junge in Berlin N 65 , der nur in der Exposition einmal mit „Herr Francke“ angesprochen wird, ist hingegen die Hauptfigur, aus deren Perspektive filmisch erzählt wird, und zudem das Abbild des jungen Egon Monk. Der Jugendliche ist wie Monk Jahrgang 1927, Gymnasiast, Flakhelfer und lebt mit seiner Mutter in einem Berliner Mehrfamilienhaus. Sogar äußerlich sieht der Darsteller Peter Kappner dem jungen Egon Monk sehr ähnlich. Die gepflegten dunklen Haare, Brille und Kleidung sind ebenso authentisch wie die Vorliebe für Jazz der verbotenen Feindsender. Monk erzählt ebenfalls authentisch >einen Augenblick< seiner Jugend, der die ersten Erfahrungen mit einer Frau (mit einer jungen Nachbarin) im Film umsetzt. Die Rollenbesetzung in Berlin N 65 unterscheidet sich generell von Monks vorangegangenen Fernsehspielen, da er hier hauptsächlich Laiendarsteller einsetzt. Dies sind teilweise auch tatsächliche Bewohner des Mietshauses wie Horst Wegwerth, der den Nachbarn „Strecker“ spielt, und Martha Creutzig, die die namen- lose Mutter des Jungen verkörpert. Die Figur der Mutter erreicht dabei eine besondere Authentizität, da sie Monks eigener Mutter ähnelt und dieser sie von früher her kannte. Es war eine über- raschende und besondere Begegnung mit seiner Jugend, als Martha Creutzig, die Mutter seines alten Freundes Heinz („Bubi“) Creutzig, vor ihm stand. Die Er- innerungen an Heinz, der „ im damaligen Berliner Jargon ein Hotter genannt wurde, einer der Hot Musik liebte, ein Jazzer “469 , war allgegenwärtig. Ein bekanntes Gesicht aus Monks vorangegangenen Produktionen entdeckt man auch in Berlin N 65. In einem Kurzauftritt erscheint der Schauspieler Kurt Otto Fritsch in der Rolle des Durchhalteparolen schwingenden Blockwarts, der gleich darauf erschossen vor dem Haus liegt. Er spielte bereits in Anfrage und Schlachtvieh mit und war eine der Off-Stimmen in Mauern. Die Erzählstruktur in Berlin N 65 ist auf die unmittelbare Gegenwart der Protagonisten ausgerichtet. Monks narrative Struktur erfüllt die eigenen An- forderungen, >einen Augenblick< zu zeigen, konsequent. Vieles, was der Zuschauer

469 Egon Monk in einer Rede anlässlich seiner Brasilien-Reise mit dem >Goethe-Institut< von 1986. In: Privatmanuskript Monks 204 vielleicht gern erfahren hätte, bleibt unklar, wird weder angedeutet noch aufgeklärt. Die junge Nachbarin trägt einen Ehering. Hat sie noch einen Ehemann, ist dieser noch an der Front, etwa schon gefallen oder vielleicht verschollen? Ist er möglicher- weise in Berlin? In der Gemeinschaft der Nachbarn taucht er zu keinem Zeitpunkt auf noch wird von ihm gesprochen. Ebenso unaufgeklärt bleibt beispielsweise die Herrenkleidung in der Wohnung von Mutter und Sohn. Sie gehört oder gehörte dem Vater des jungen Mannes, der einem desertierenden Soldaten erlaubt, sich etwas davon zu nehmen. Wo ist der Vater im Augenblick des Friedens? Die letzten Stunden vor der Kapitulation zeigen die Notgemeinschaft einer Berliner Nachbarschaft, deren Vergangenheit und Zukunft im Unklaren bleibt. In diesem Augenblick des Zusammenbruchs einer zwölf Jahre währenden Diktatur lebt jeder nur für den Moment. Es wird gelacht, getrunken, getanzt und auch gewartet – nur einmal fragt eine gesichtlose Stimme zaghaft: „Und wenn sie jetzt kommen? “ Die Zukunft wird in der letzten Sequenz angedeutet, doch ist auch sie das Festhalten eines Augenblicks. Eine rote Fahne soll gehisst werden. Wo kriegt man eine Fahnenstange her? Die Konsequenz einer sowjetischen Besatzung ist noch nicht greifbar. Die fröhliche Stimmung zwischen Mutter und Sohn wird von amerikanischer Musik bestimmt, die der junge Mann nun endlich hören darf. Wie schon in Wilhelmsburger Freitag und Ein Tag spielen Requisiten und/oder möglichst authentische Handlungsorte auch in diesem Fernsehfilm Monks eine große Rolle. Die Suche nach dem >richtigen< Haus in Berlin zeugt von einer Detailtreue Monks, die später auch seine mehrteiligen Fernsehspiele der 1970er und 1980er Jahre ( Bauern, Bonzen und Bomben, Die Geschwister Oppermann, Die Bertinis ) auszeichnet. Der hauptsächliche Handlungsort von Berlin N 65 war der mit Balken ab- gestützte Keller. Sehr dunkel, mit Gängen und Nischen, genauso unrenoviert wie das ganze Haus, war er der ideale Drehort zur Vermittlung einer authentischen Atmosphäre. Egon Monk sagt zu seiner Episode: „ Es gibt, vermute ich, nicht viele Filme, die fast ausschließlich in einem Keller gedreht worden sind. (…) Und es sieht im Film nicht nur so aus, als hätten wir unter der Erde gearbeitet, es war tatsächlich so. “470 Während einzelne Sequenzen in Anfrage und Mauern durch Inserts beendet bzw. eingeleitet werden, geschieht dies in Berlin N 65 durch eine Veränderung des Schärfenbereichs. Eine verringerte Schärfentiefe bis hin zur Unschärfe beendet eine

470 Egon Monk in: Ebd. 205

Sequenz; eine langsam größer werdende Schärfentiefe leitet die nächste ein. Dabei ist die Konzentration auf die Hauptfigur erkennbar, denn fast alle Sequenzen er- öffnen mit einer Kameraeinstellung auf den jungen Mann und beenden diese auch mit ihm. Aus seiner Perspektive werden die letzten Stunden vor Kriegsende dar- gestellt, die sich linear durch den Tag ziehen. Parallelmontagen gibt es dabei nicht, alle Handlungseinheiten reihen sich aneinander. Das Erscheinen des Blockwarts und dessen Tod teilen den Film drama- turgisch in zwei, zeitlich fast gleiche, Hälften ein. Nach 25 Minuten der insgesamt 44 minütigen Episode wird das (Kriegs-) Ende eingeleitet. Diese Sequenz beginnt mit einer Kameraeinstellung auf dem Gesicht des Blockwarts und endet nach zwei Minuten mit einer Totalen, die ihn auf der Straße liegend zeigt. Vor dessen Erscheinen ist die Gemeinschaft der Hausbewohner mit der ge- wohnheitsmäßigen Sicherstellung ihrer Besitztümer und der provisorischen Ein- richtung ihrer Kellerunterkunft beschäftigt. Eher phlegmatisch und fatalistisch nehmen sie die Situation hin. Auch Kontrollen durch Wehrmachtsstreifen scheinen sie gewohnt zu sein. Jeder, und hier sind es vor allem die Männer, hat seine Papiere griffbereit. Selbst das Auftauchen dreier völlig erschöpfter deutscher Soldaten meistern sie mit Gelassenheit. Doch nach dem Auftritt des Blockwarts schlägt die Stimmungslage um. Der Blockwart markiert den entscheidenden Wendepunkt des Films. >Endzeit- stimmung< herrscht nun, die letztendlich durch das laut zu hörende Rollen von Panzerketten oben auf der Straße seinen Abschluss findet. Der Krieg ist aus. Dieser letzte Augenblick ist nicht als exakte Umsetzung seines eigenen Er- lebens zu sehen. Monk mischt sein eigenes, individuelles Gedächtnis mit dem kollektiven Gedächtnis derjenigen, die das Kriegsende in der Hauptstadt erlebt haben. Monk überträgt Erinnerungen an seine Jugend und mischt sie mit dem wirk- lich erlebten Ende. Dabei ist im Erzählprozess eine verborgene Ich-Erzählung durch einen schon äußerlich Monk ähnelnden Darsteller enthalten. Der junge „Herr Francke“ ist ein Stellvertreter der Geburtenjahrgänge der späten 1920er Jahre, die so oder ähnlich den Krieg erlebten. Den Abbruch der Schulzeit durch den Einzug als Flakhelfer an der Heimatfront und die Liebe zur verbotenen Jazzmusik teilten viele männliche Jugendliche. Noch zu jung für die Front, aber alt genug, die Heimat zu verteidigen. Erst zu Beginn des letzten Kriegswinters spielte das Alter keine Rolle mehr. Alt und Jung wurde zur letzten Mobilmachung herangezogen. So ist Berlin N 206

65 eine dokumentarisch-fiktionale Mischung aus einem tatsächlichen, historischen Geschehen und dem Festhalten und Sichtbarmachen persönlicher Erinnerungen. Egon Monks Fernsehfilme Ein Tag und Der Augenblick des Friedens wurden in dem Jahr ausgestrahlt, in dem sich das Kriegsende zum zwanzigsten Mal jährte. Das Erinnern an diese Zeit gehörte zu Monks Hauptanliegen. Welcher Art sein Programm sein sollte war für ihn klar: „ Ein Bild unserer Zeit zu überliefern. Und da bei uns in Deutschland die Schatten der Vergangenheit länger sind als anderswo, gehört, was in den letztvergangenen fünfzig Jahren ge- schah, zu unserer Zeit dazu. Damals also stand die zwanzigste Wiederkehr des Tages bevor, an dem mit der Kapitulation der deutschen Wehrmacht der Kriege beendet worden war, und wir überlegten, was wir tun könnten, um unsere Zuschauer daran zu erinnern. “471

7.7.5 Visuelle, auditive und darstellende Gestaltung als Träger der Intention Die Inszenierungsweise von Berlin N 65 weist im Gegensatz zu Monks früheren Arbeiten einen spielfilmhaften Charakter auf. Inserts und Montagen von dokumentarischen Filmaufnahmen zur Vermittlung dramaturgisch wichtiger Informationen werden nicht verwendet. Stattdessen konzentriert sich die Kamera- führung von Beginn an auf den jungen Mann. Seine Blicke, Gesten und Handlungen sind Ausgangs- und Endpunkt der Episode. Die Zeitspanne zwischen den letzten Stunden der Ungewissheit und dem tatsächlich folgenden Kriegsende wird durch eine Kombination von Beobachten und Beobachtungen erzählt. Die Kamera be- obachtet den jungen Mann und lässt ihn wiederum gleichzeitig seine Umgebung be- obachten. Die einzelnen Kameraeinstellungen liegen häufig lange auf dessen Gesicht und Gestalt, bevor auch die anderen Filmfiguren in das Geschehen einbezogen werden. Besonders deutlich wird dies in der Exposition. Minuten bevor die Figur der Mutter das erste Mal im Bild sichtbar wird, hört man nur ihre Stimme. Der Zu- schauer ahnt nur, welcher Person sie zuzuordnen ist. Währenddessen beobachtet die Kamera einen jungen Mann, für den das Radio der Wohnung und die daraus erklingende Jazzmusik wichtiger sind, als alles andere. In einer Pose lässigen Gelangweiltseins, gemischt mit relativem Desinteresse am hektischen Treiben seiner Mutter im Hintergrund, sitzt er mit verschränkten

471 Egon Monk in: Ebd. 207

Armen hinter dem Kopf vor dem Radio. Dass das Radio nicht geht, verstimmt ihn. Er verzieht leicht den Mund. Als der Strom wieder einsetzt und er den amerikanischen Soldatensender AFN erwischt, greift er zu bereitliegenden Taktstöcken. Das Grollen der Kampf- handlungen und die Aktivitäten seiner Mutter kümmern ihn nicht weiter. Die Kamera zeigt ihn bei offenbar oft vollführten Bewegungen. Er verpasst keinen Einsatz seines imaginären Schlagzeugs. Seine Hände schlagen die Taktstöcke, er summt mit, Kopf und Füße bewegen sich im richtigen Rhythmus. 472 Der Einsatz von Jazzmusik spielt eine wichtige Rolle zur Strukturierung des Films und ist damit wesentlicher dramaturgischer Bestandteil. Die Quelle der Musik ist dabei erkennbar; sie dient nicht der Untermalung oder Begleitung einzelner Szenen. Das Radio als Quelle der geliebten Jazzmusik ist Ausgangspunkt von Hand- lungen des Jugendlichen und dessen Bezugspunkt zu einer anderen Welt. Er versucht es wiederholt in Betrieb zu bekommen und >rettet< es bei Beschuss des Hauses. Fast liebevoll legt er es auf ein Sofa. Die Umsetzung seiner Jugenderinnerung vollzieht Monk in der Szene des jungen Soldaten und der Hauptfigur, als diese in der Wohnung gemeinsam eine Jazzmelodie summen. Der junge Soldat steht stellver- tretend für Egon Monks Freund, Heinz Creutzig, der seit dem letzten Kriegswinter als verschollen gilt. Beide kannten sich seit ihrer Ausbildung zum Flakhelfer. Songs wie > Take the A Train < von Duke Ellington und > Tuxedo Junction < von Glenn Miller gehörten zu ihren Lieblingsstücken. 473 „Die Liebe zum Jazz hatte uns zusammengebracht, als wir im Februar 1943 fünfzehnjährig zur Flak eingezogen wurden. Wie oft hatten wir gegen das Verbot verstoßen, wann und wo immer es möglich war, amerikanische Jazzmusik zu hören. Wir kannten die Nummern auswendig und sangen nicht nur die Melodien, sondern auch die Improvisationen mit. Es gibt so eine Szene auch im Film. Sie erinnert an die vielen, die das Leben, von dem sie träumten, nicht gelebt haben. “474 Als der Krieg aus ist und das Radio plötzlich wieder Musik sendet, bleibt der Junge mitten im Gehen stehen, vergisst was er sagen wollte und lauscht mit ver- klärtem Gesichtsausdruck den Tönen. Das Radio wird zum aktiven Stimmungsbaro- meter des jungen Mannes. Erst mit dem laut erschallenden Swing, der nun nicht

472 Egon Monk hat übrigens, zu seinem Bedauern, nie gelernt ein Instrument zu spielen, wie er mir am 9.6.2004 erzählte. Er >spielte< Schlagzeug, so wie der Jugendliche im Film. 473 Beide Titel sowie >String of Pearls< von Glenn Miller wurden im Film verwandt. In: Produktions- protokoll zu >Berlin N 65<, Prod.-Nr. 130 499, Meldung der gesendeten Musikwerke 474 Egon Monk in einer Rede anlässlich seiner Brasilien-Reise mit dem >Goethe-Institut< von 1986. In: Privatmanuskript Monks 208 mehr verboten ist, wird das Ende einer Zwangsherrschaft deutlich. Auch die Mutter wird von dieser befreienden Losgelöstheit angesteckt und tanzt mit ihrem über- mütigen Sohn. Die vernagelten Fenster werden aufgestoßen, Luft und Sonne strömen ins Zimmer. Die Musik wird zum Symbol des Neuanfangs. Die Musik der irrwitzigen Kellerfeier in >Endzeitstimmung< ist deutsch. Alle können mitsingen und mitschunkeln. Der Junge macht nicht mit. Er beobachtet seine Mitmenschen aus dem Hintergrund. Das Verhältnis des jungen Mannes zu den Nachbarn wirkt distanziert. Selbst, als er mit ihnen in einer Runde sitzt, lässt er sich weder von der zunächst fröhlichen noch zum Schluss gedrückten Stimmung an- stecken. Er hebt sich durch Kleidung und Verhalten aus ihrer Gemeinschaft heraus. In einer Welt des kleinbürgerlichen Milieus und der Arbeiterschaft wirkt er gebildet und ein wenig eitel. Dabei ist er so höflich und zurückhaltend, dass man ihn nicht als arrogant bezeichnen kann. Bücher sind wichtig für ihn, Kleidung, seine Frisur und Musik. Er steht an der Schwelle zum Erwachsenwerden. Dazu gehört auch das Interesse am weiblichen Geschlecht. Er nutzt seine Chance, die ihm die Nachbarin unbemerkt von den anderen bietet. Ihre Beweg- gründe, den jungen Mann in eine dunkle Nische zu ziehen, bleiben im Dunkeln. Wahrscheinlich ist jedoch, dass ihr in diesen Stunden, der durch Fröhlichkeit ver- deckten Angst, alles egal ist. Der Junge ist attraktiv und sie will, vielleicht zum letzten Mal, begehrt werden, Nähe und Wärme spüren. Ob sie sich nach Kriegsende noch für ihn interessiert, wird nicht gezeigt. Es bleibt bei einer kurzen Begegnung, die nur in Andeutungen wie verheißungsvollen Blicken und dem Öffnen einiger Knöpfe durch die Nachbarin selbst besteht. Den Kuss zeigt die Kamera in einer Totalen, die Lichtverhältnisse sind dabei so dunkel, dass man das Paar kaum sieht. Ohnehin lässt die Kameraführung keinerlei Intimität zu: Die Frau ist vom Rücken des jungen Mannes verdeckt. Man ahnt den Kuss eigentlich nur. Monk hat seiner >Chronistenpflicht< des tatsächlich Erlebten damit Genüge getan. Eine andere Art der Darstellung einer Liebesszene hätte nicht zu ihm gepasst. Der Junge erlebt im Keller eine improvisierte Gemeinsamkeit, die durch Alkohol besiegelt wird. Galgenhumor und Resignation bestimmen das Stimmungs- bild. Unter den Anwesenden fällt Hausmeister „Mielke“ besonders auf. Er gehört zu den ewigen Opportunisten, die es verstehen, sich jedem Regime anzupassen. Als linientreuer Faschist versucht er seine kleine Hausmeistermacht auszuspielen, indem er bestimmt, was mit in den Keller genommen werden und wo es stehen darf. Als der Blockwart Parolen schwingt, zeigt er offen seine Parteizugehörigkeit mit einer Nadel 209 am Revers. Die Kamera liegt auf seinem Gesicht, das sich bei den Worten des Blockwarts strafft und Zuversicht ausdrückt. Als die Russen die neuen Machthaber sind, hat er sein Mäntelchen bereits in den Wind gehängt und ist sofort bereit, sich anzubiedern. Die Figur des Blockwarts ist die Verkörperung der in die Irre geleiteten, für die es selbst zu spät ist, umzuschwenken. Er verkündet, dass die Armee unter General Wenck 475 nun zum entscheidenden Gegenschlag ansetzen würde und der Führer selbst zuversichtlich ist. Dies versucht er auch der Kellergemeinschaft zu vermitteln mit den Worten: „ Der Führer ist bei uns. “ Dessen Ende und das Ende des Blockwarts sind hingegen nahe. Monk lässt daran keinen Zweifel, indem er den Blockwart nur einen Augen- blick später erschossen aufzeigt. Die Kamera sieht dies durch die Augen des jungen Mannes, der durch die Holzspalten späht. Die Gemeinschaft zerfällt im Augenblick des Friedens. Jeder ist nur darauf bedacht, seinen Vorteil zu wahren. Im Treppenhaus herrscht Hektik vor. Zwei Frauen streiten sich lautstark um irgendwelche Haushaltsgegenstände und be- zichtigen sich des Diebstahls. Es wird gezerrt und gestoßen. Sie laufen treppauf und treppab, und beeilen sich, als Erste wieder im Keller zu sein, damit niemand anderer ihnen etwas wegnimmt. Der Hauwart schreit alle an. Er ist um Ordnung bemüht und behauptet damit seine Vorkriegsstellung. Zwei alte Leute mühen sich allein mit einem schweren Sack ab. Alle laufen an ihnen vorbei. Auch der junge Mann, der zum Dachboden will, um eine brauchbare Stange für die Fahne zu suchen. Diese Szene zeigt das typische Auseinanderdriften von Notgemeinschaften, wenn eine Besserung eintritt. Die Menschen sind sich selber wieder näher als anderen. Geteilt wird nichts mehr. Russen werden nicht gezeigt. Die Präsenz der Roten Armee wird nur durch den Einsatz von Geräuschen vermittelt. Zunächst durch immer heftiger werdendes Gefechtsgrollen, zum Ende durch Panzerketten, die über eine Straße rollen. Es sind Bedrohung und Befreiung zugleich, die sich in den Köpfen der Filmfiguren und der Zuschauer zu einem Bild verdichten. Zwischen dem Geräusch der Panzerketten und der vorletzten Sequenz, die Mutter und Sohn bei ihren Bemühungen, eine rote Fahne zu hissen, zeigt, klafft eine narrative Lücke. Was zählt, ist nur dieser Moment des

475 Die 12. Armee unter General Walter Wenck wurde in den letzten Apriltagen zu Hitlers Hoffnungs- träger. In völliger Verkennung der Lage hoffte er auf die Befreiung Berlins durch Wenck. Diesem hingegen misslang schon die Aufstellung einer schlagkräftigen Armee und er erreichte Berlin gar nicht erst zu einer Gegenoffensive. Vgl. u.a.: Fest, Joachim: Der Untergang . Berlin 2002 210

Losgelöstseins. Dass dieser Tag nicht für alle Menschen ein Grund zur Freude ist, zeigen die letzen Einstellungen. Der Junge sieht den gleichaltrigen Soldaten auf dem Dachboden. Er schaut nicht weg, weicht dessen totem Blick nicht aus. Ein Neu- anfang ist da, nur hat dieser seinen Preis.

7.7.6 Im Spiegel der Zeit: Kritiken zu >Der Augenblick des Friedens< Die beiden Auslandsbeiträge aus Frankreich und Polen wurden sowohl von den Zu- schauern als auch von den Fernsehkritikern als recht unterschiedlich empfunden. Den meisten gemein war der vorherrschende Eindruck eines >poetischen< französischen Films, der manchem >realitätsfern< vorkam. Der polnische Beitrag wirkte auf viele in manchen Sequenzen >eher heiter, einfach und beschwingt<. Die Sehbeteiligung für den dreiteiligen Episodenfilm lag für alle drei Beiträge bei fast gleich bleibenden 27 Prozent. Der größte Teil der Fernsehzuschauer entschied sich an diesem Abend für das ZDF, das die Unterhaltungssendung Vergissmeinnicht brachte. Auf der Skala des Urteils-Index´ werden Die weißen Vorhänge und auch Matura mit +1 beurteilt. Berlin N 65 bekam eine Gesamtbewertung von + 3. 476 Aus allen Zuschauer- meinungen zusammengefasst, ließ sich trotz der guten Beurteilung, der erklärte Widerwille erkennen, immer wieder an den Krieg erinnert zu werden. Abschließend stellt Infratest fest, „ dass der Augenblick des Friedens zwar nicht als großer Erfolg, aber auch nicht als misslungenes Experiment zu betrachten ist “. 477 Ähnlicher Meinung war auch die Kritikerin Anneliese de Haas: „ Drei An- gebote des Friedens: Selbstbefreiung märchenhaft, magisch (die französische Version); Selbstbefreiung durch Skepsis und Mut (die polnische Version); keine Selbstbefreiung, weil es keine geben darf, weil es sie nicht gab. Kriegsende, zurück- gezogen auf den Krieg, auf die Verdammnis. Drei Episoden aus drei Ländern: kein durchweg gelungenes, aber ein großartiges, begrüßenswertes Experiment. “478 Der Kritiker der Frankfurter Allgemeinen sah den dreiteiligen Fernsehfilm als „das zweifellos interessanteste Vorhaben in diesem Jahr “ an, dass „ große künst- lerische Beachtung verdient “. 479

476 Infratest-Angaben vom 25.11.1965 477 Ebd. 478 De Haas, Anneliese: Der Augenblick des Friedens. In: Die Welt, 25.11.1965 479 Hellwig, Klaus: Der Augenblick des Friedens . Ein Experiment im Fernsehen. In: Frankfurter All- gemeine, 24.11.1965 211

Anlässlich des Experiments eines länderübergreifenden Projekts dreier Produktionen stellte der Medienkritiker Manfred Delling erstmals einen Bezug zur Hamburgischen Dramaturgie Lessings her: „ (…) und was hier entwickelt wird, könnte man als Ansätze zu einer neuen hamburgischen Dramaturgie bezeichnen. Lessingsch jedenfalls ist der Geist einer neuen Aufklärung, die hier herrscht, und der Verstand, Fernsehen aus den Regeln zu bilden, welche die Natur der Sache erfordert. Eine an das Hier und Jetzt engagierte Ästhetik, der das risikolos übertragene, klassische Bildungstheater fremd ist, bestimmt das Programm. “480 Der Kritiker der Zeit, >Momos<, alias Walter Jens, urteilte weniger enthusiastisch. Zur französischen Episode schrieb er: „ Mit dem Ende des Krieges hatte das alles nur wenig zu tun; der Krieg war ein Versatzstück, ein pittoreskes Requisit wie Wolken, Fensterluken und einsame Wege am Meer. Man schoss ein bisschen herum, man spielte Räuber und Gendarm. (…) Es hätte auch Silvester sein können. “ Die polnische Episode „ war formal und inhaltlich bei weitem das Kühnste “. Der Regisseur Konwicki war auch der Einzige, „ der es wagte, das Wechselspiel von Tod und Sieg, von Enttäuschung und Triumph “ zu zeigen. Über den deutschen Beitrag urteilte er: „ Ganz anders Egon Monk. Nicht Sentimentalität und Romantik, sondern Naturalismus und grimmige Eindeutigkeit bedrohten seine Geschichte von der Hausgemeinschaft, die in Berlin den Einmarsch der Russen er- wartet. (…) Ein Schluss mit dicken Ausrufezeichen – ein Soldat hing zwischen die Sprossen eingeklemmt, am Fuß einer Leiter, die er heruntergerutscht war. Das war dick und deutlich, und das war schlechtes Theater. (…) Hätte Monk sich beschränkt, die schrillen Effekte nicht überbetont und das Verbrennen der Hitlerbücher oder die Szene, die der vita sexualis der Kriegerfrau galt, kurzweg gestrichen, wäre er nicht gar so deutlich und gründlich, so belehrend und so wenig selbstironisch gewesen: ihm hätte die Krone des Abends gebührt, die jetzt dem Polen Konwicki gehört. “481 Der Mediendienst der evangelischen Kirche sah den deutschen Beitrag hin- gegen eher positiv: „ Egon Monk trifft die Atmosphäre beklemmend, ohne falschen Ton, ohne polemische Vorzeichen. Der Dialog ist meisterhaft. “ Und würdigte den gesamten Fernsehfilm mit den Worten: „ So verschieden die Variationen des Themas sind, sie fügen sich zusammen in der gleichen Sehnsucht, aber auch in der gleichen

480 Delling, Manfred: Augenblick des Friedens. Süddeutsche Zeitung, 25.11.1965 481 Momos: Ein Text und drei Melodien. In: Die Zeit, 3.12.1965 212

Skepsis. Frieden ist nicht gewonnen, wenn die Waffen schweigen. Er muss eingeübt werden. Das Unternehmen sei mit Dank aufgenommen. “ 482 Die katholische Funk-Korrespondenz störte sich spürbar an der völlig harm- losen Liebesszene und urteilte über das Gesamtprojekt: „ Tatsächlich war die An- regung von Claus Hubalek zu einem deutsch-französisch-polnischen Episodenfilm über das Ende des Zweiten Weltkrieges wenn auch nicht gerade sensationell, so doch bemerkenswert. (…) Weniger gut schien uns Monks Idee, in dieses trübe Bacchanal eine Hauptfigur einzusetzen. Ein bewusst erlebender Schüler, der überflüssigerweise eine Liebesgeschichte und eine Begegnung mit einem desertierenden Soldaten ab- solvieren muss. Zu breit geschildert, verliehen diese Episoden dem Film psycho- logisierende Züge, die der Absicht des sachlichen Registrierens entgegenliefen. Es mag vielleicht kleinlich scheinen, aber warum zeigte Monk mehrmals so überdeutlich Hand und Ehering der liebeshungrigen Frau? Für Libertinage und Enthemmung ein grobes ungeschicktes Bild. “483

7.7.7 Preis der Freiheit Der letzte Fernsehfilm bei dem Egon Monk während seiner Haupttätigkeit als Fern- sehspielleiter des NDR auch als Regisseur in Erscheinung trat, war Preis der Freiheit (NDR 15.2.1966) . Der Autor, Dieter Meichsner, wurde im Dezember desselben Jahres Chefdramaturg in der Abteilung und am 1. August 1968 Egon Monks Nach- folger als Leiter der Fernsehspielabteilung. Diese Position behielt er bis 1991 inne, um seither als freier Autor zu arbeiten. Der gebürtige Berliner, Jahrgang 1928, hatte nach seinem Studium der Germanistik, Geschichte und Anglistik an der Freien Uni- versität Berlin zunächst als freier Autor und Mitarbeiter in der Hörspielabteilung des Berliner ARD-Senders SFB gearbeitet. Seit Beginn der 1960er Jahre hatte er sich dem Fernsehen zugewandt. Bevor er zum NDR kam, entstanden Fernsehspiele wie Nachruf auf Georg Trahnke (SDR 1962), Freundschaftsspiel (SDR 1963) und Nach Ladenschluss (SDR 1964). Im Verlauf der 1960er Jahre wurde Meichsner Autor zahlreicher Fernsehspiele im NDR, darunter Novemberverbrecher (NDR 1968) oder Der große Tag der Berta Laube (NDR 1969). Bei letzterem Fernsehfilm führte Meichsner auch Regie. Zu Meichsners größten Erfolgen zählt die Zollfahnderreihe Schwarz-Rot-Gold aus den 1980er Jahren. Er verstarb 2010.

482 epd/Kirche u. Rundfunk, Nr. 46, 27.11.1965 483 Trapmann, Margret: Dreimal Frieden. In: Funk-Korrespondenz, Nr. 49, 2.12.1965 213

Monks und Meichsners gemeinsame Produktion Preis der Freiheit ist wieder ein Fernsehfilm aus dem >Ost-West-Genre< und wird im Folgenden nur thematisch beschrieben. Die wiederholte Thematisierung des Fluchtmotivs in den Filmen der 1960er Jahre hatte ihren Ursprung in der zunehmenden Republikflucht der DDR- Bürger, wie bereits in den Ausführungen zu Die Kette an deinem Hals beschrieben wurde. Preis der Freiheit zeigt die Auswirkung der historischen Teilung Deutsch- lands am Beispiel von Grenzsoldaten der Nationalen Volksarmee. Während in Monks Fernsehspiel Mauern der ideologische Konflikt zweier politischer Systeme, personifiziert durch zwei ehemalige Freunde und später er- bitterte Gegner, Hauptmotiv war, sind in Preis der Freiheit das Fluchtmotiv und der Schießbefehl die zentralen Themen. Der Film beschäftigt sich mit dem inneren Konflikt der DDR-Grenzsoldaten, ihrem Misstrauen gegenüber den eigenen Kameraden und der Flucht in den Westen. Wieder schießen in der Konsequenz der Handlungen Deutsche auf Deutsche. Dabei kristallisiert sich keine Hauptfigur heraus. Meichsners und Monks Intention war es, am Beispiel vieler Filmfiguren eine Vorstellung davon zu vermitteln, in welcher Konfliktsituation sich Soldaten an der Mauer Tag für Tag befinden. Im Fernsehspiel Die Kette an deinem Hals ist eine schon erfolgte, eine ge- glückte Flucht Basis der anschließenden Probleme einer einzelnen Protagonistin. In Preis der Freiheit steht das verbotene Verlassen der DDR am Ende des Films. In einem Nebenstrang der Filmhandlung plant eine Gruppe von Studenten die Flucht, die jedoch scheitert, bevor sie in die Tat umgesetzt wird. Die Erwägungen eines möglichen, besseren Lebens im Westen und die Angst vor den Konsequenzen einer gescheiterten Flucht stehen sich unvereinbar gegenüber. Im Gegensatz zu ihnen wagt einer der jungen Grenzsoldaten, „Petri“ (Peter Müller), die Flucht, die ihm auch gelingt. Der Preis seiner Freiheit ist jedoch, dass er einen Kameraden mit seinem Gewehrkolben niederschlagen muss. Der Film endet, als der Flüchtende im Westen in einer Baracke der dortigen Polizeibeamten aufgenommen wird, während auf der anderen Seite der Grenze der Verletzte von einem Lastwagen abtransportiert wird. Meichsner sagte Jahre später über seinen Film: Ich bin auf diesen Film be- sonders stolz, denn er wurde von der Westberliner Schutzpolizei zu Unterrichts- zwecken für ihre im Grenzdienst eingesetzten Beamten angekauft. Sie sollten eine 214

Vorstellung von der Situation ihrer ,Grenzkollegen´ auf der anderen Seite be- kommen. “484 Monk äußerte sich in einem Interview während der Dreharbeiten zum Film: „In Westdeutschland geht man mit den Worten ,Mord´ und ,Mörder´ erschreckend leichtfertig um. Kaum jemand bedenkt, dass wir von den 20jährigen drüben am Stacheldraht untadelige Entscheidungen verlangen – und zwar blitzschnelle Ent- scheidungen -, die ihre menschliche und charakterliche Reife einfach überfordern. (…) Selbstverständlich gibt es, wie überall, auch unter den ostzonalen Grenzsoldaten Menschen, denen es Spaß macht, andere umzulegen. Die meisten hat man ein- gezogen und an die Grenze gestellt, ohne sie zu fragen. “485 Das Fernsehspiel erreichte eine hohe Sehbeteiligung von 54 Prozent, was jedoch auch auf ein für die Zuschauer uninteressantes ZDF-Programm zurückzu- führen war, dass den zweiten Teil der vierteiligen Quizshow >Grünes Licht für helle Köpfe< brachte. Bereits der erste Teil hatte eine geringe Zuschauerresonanz. Das Fernsehspiel Preis der Freiheit erhielt eine Gesamtbewertung von guten +3 auf dem Infratest-Index von -10 bis +10. 486

8 1968 bis heute: Neue – alte Wege Die nachfolgende Zeit ist, wie unter >Problembeschreibung und –abgrenzung< be- schrieben, nicht zentraler Gegenstand dieser Arbeit. Monks Werdegang wird von daher nur in Ausschnitten bzw. stark zusammengefasst wiedergegeben.

8.1 1968: Intendanz am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg Egon Monk verließ den NDR 1968. Während seiner Zeit als Leiter der Hamburger Fernsehspielabteilung inszenierte er auch einige Male an der Hamburger Staatsoper, darunter Brechts Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny (1962) sowie Antonio Bilbaos Das Lächeln am Fuße der Leiter (1965). Das Inszenieren an einer Bühne neben seiner Fernseharbeit hatte er nie gänzlich aufgegeben. Nun wartete eine neue Aufgabe auf ihn: 1967 wurde ihm die Leitung des renommierten Hamburger Schau- spielhauses angetragen, die er annahm. Dabei war es zunächst gar nicht selbstver- ständlich, dass er seiner Wahlheimat Hamburg treu blieb. Im Mai 1967 trug der Frankfurter Magistrat ihm den Posten des Generalintendanten der städtischen

484 Dieter Meichsner in: Mir wird himmelangst vor jeder absoluten Wahrheit. In: Die Welt, 9.2.1998 485 Egon Monk in: Eine Nacht am Stacheldraht: Gespräch mit Egon Monk. In: Kölner Stadtanzeiger, 9.12.1965 486 Infratest-Angaben vom 15.2.1966 215

Bühnen an, den Monk jedoch zugunsten der Nachfolge von Oskar Fritz Schuh als Intendant des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg ausschlug. „Die Hoffnung der Stadt Frankfurt, in dem Leiter der Fernsehspielabteilung des NDR, Egon Monk, den Nachfolger des Generalintendanten Harry Buckwitz ge- funden zu haben, ist gestern Mittag von Monk selber zerstört worden. Er teilte dem Frankfurter Oberbürgermeister telefonisch mit, dass er in Hamburg, der Stadt, an der sein Herz hänge, bleiben und das Angebot des Hamburger Senats, die Nachfolge von Oskar Fritz Schuh anzutreten annehmen wolle. “487 Monk trat sein Amt als Intendant des Schauspielhauses offiziell am 1. August 1968 an, konnte aber bereits seit Mai 1968 an seiner Eröffnungsvorstellung für den September, Über den Gehorsam, arbeiten. Nachdem sowohl sein erstes wie auch sein zweites Stück, Die Räuber von Schiller, heftigen Protest auslösten, trat Monk nach nur fünfundsiebzig Tagen im Amt als Intendant zurück. Schon im Vorfeld seiner Amtszeit hatte es eine erregte Debatte in der Hamburger Bürgerschaft um Monk und seine künftige Position als Intendant ge- geben, da eine zunehmende Politisierung des Schauspielhauses von Seiten etlicher CDU-Politiker, aber auch des SPD-Senats missbilligt wurde. Dass die politisierende Tendenz des bekannten Theaters durchaus gewollt war, machte Monk in einem Interview mit der Zeitschrift Der Spiegel im September 1968 deutlich. Auf die Frage des Spiegels, ob in Hamburg „ eine Ära des politischen Theaters “488 begänne, antwortete Monk klar: „ Ja, das Theater braucht zwar keine Kommentare zur Tagespolitik zu geben, aber es muss – das ist meine Absicht ge- sellschaftliche Zusammenhänge zeigen. “489 Auf die Abhängigkeit des Theaters von staatlichen Subventionen hingewiesen und damit auch vom „ Wohlwollen der Politiker abhängig und somit zum Gehorsam angehalten “490 , erklärte Monk seine eigene Unabhängigkeit: „ Diese Abhängigkeit ist meistens doch eine Folge deutscher Gehorsamsgesinnung. Tatsächlich sind die Zu- sammenstellung des Spielplans, des Ensembles und andere künstlerische Ent- scheidungen laut Vertrag ganz und gar dem Intendanten überlassen. “491 Die Diskussion in der Hamburger Bürgerschaft über den neuen Intendanten des Schauspielhauses hatte dazu geführt, dass der CDU-Bürgerschaftsabgeordnete Wilhelm Imhoff, Monk nahe gelegt hatte, seinen „ Spielplan noch einmal zu über-

487 Monk sagt ab und zu. Ein Kampf Frankfurt – Hamburg. In: Frankfurter Allgemeine, 11.5.1967 488 Gott kommt nicht ins Haus. In: Der Spiegel, Nr. 36, 1968 489 Egon Monk in: Ebd. 490 Der Spiegel: Ebd. 491 Egon Monk in: Ebd. 216 prüfen. “. 492 Der Spiegel fragte Monk in diesem Zusammenhang: „ Klang das nicht wie eine Drohung? “493 Monk antwortete: „ Ich fühle mich dadurch keineswegs bedroht. Die mir vor- gesetzte Behörde [Kulturbehörde/S.B.] hat mich jedenfalls nicht aufgefordert, den Spielplan zu überprüfen. Die Bürgerschaft, der Aufsichtsrat der Schauspielhaus GmbH und der Kultursenator, die mich engagiert haben, wussten ja, wen sie engagierten. Und sie wollten einen Intendanten, der ihnen eine andere Art von Theater macht, als sie es bislang hatten. “494 Egon Monks und Claus Hubaleks gemeinsam verfasste, provokante Szenen aus Deutschland , „ wo die Unterwerfung des eigenen Willens unter einen fremden als Tugend gilt “495 stellte Personen der Zeitgeschichte gemeinsam auf die Bühne und in einen historischen Zusammenhang, was bei Publikum und Presse vielfach auf Ab- lehnung stieß. „Gescheiterte Revolutionäre von 1919, den KZ-Kommandanten Höß und Bundeskanzler Kiesinger, der sein Verhalten im ‚Dritten Reich´ rechtfertigte, lösten in der Hamburger Theaterszene einen Sturm der Entrüstung aus. Seiner ‚Räuber-Inszenierung´ ging es nicht anders. Presse und Publikum reagierten ver- stört. Unmittelbar vor dem Höhepunkt der Studentenrevolte sollte das Staatstheater bleiben, wie es ist: bildungsbürgerlich. “496 Auslöser und ausschlaggebend für Monks schnellen Rücktritt war letztendlich die anhaltende Kontroverse um seine Person. So sah er sich persönlich angefeindet und äußerte sich nach der Premiere seiner Räuber-Aufführung: „ Ich habe das Gefühl, dass ein Affront gegen mich gestartet worden ist. Nicht nur mit dieser zweiten Premiere, sondern auch schon mit der ersten. Ich wage zu behaupten, dass es zu organisierten Störungen kam, kann aber nicht hinzufügen, wer diese Störungen ver- anstaltet hat. “ 497 Die Welt beurteilte diese und andere Aussagen Monks in der Frankfurter Rundschau mit den Worten: „ Egon Monk hat der Frankfurter Rundschau ein Inter- view gegeben, in dem er just konstatiert: Springer [die Axel Springer-Presse/S.B.] habe ihn aufs Korn genommen, und alle, alle Kritiker in Deutschland parieren. Springer gegen Monk aufs Wort. Mit Verlaub, das Spektakel ist unwürdig, weniger

492 Der Spiegel: Ebd. 493 Der Spiegel: Ebd. 494 Egon Monk in: Ebd. 495 Über den Gehorsam . In: Infratest-Auswertung der Fernsehübertragung vom 1.9.1968 496 Olsen, Fred: Fernsehen als permanentes Volkstheater. U.a. in: Hamburger Abendblatt und Münchner Merkur, 18.5.1992 497 Egon Monk in: „ Sie wollen mich so schnell wie möglich beseitigen. “ In: Frankfurter Rundschau, 9.9.1968 217

Monks wegen, dessen Würde Privatsache ist, als wegen des Theaters, das er zu ver- antworten hat und das ob seines Platzes willen eines der wichtigsten in Westdeutsch- land ist. Die Lehre des Spektakels aber heißt schlicht: Monk ist ein schlechter Ver- lierer und ein Hasard, der im Glauben an die eigene Größe hochgemut weiterspielt, riskiert er das letzte bisschen Anspruch, das die größte Sprechbühne der Hansestadt noch zu verlieren hat. “498 Hinzu kamen Querelen um finanzielle Zuwendungen, die Monk für die Direkt- übertragung im Fernsehen erhalten haben sollte, denen er jedoch in der Presse in einer Gegendarstellung widersprach: „ In der Ausgabe der WELT am SONNTAG vom 22. September 1968, Nr. 38 ist in dem Artikel ‚Monk braucht eine Pause´ von Kurt L. Tank behauptet worden, ich hätte für die Direktübertragung der Szenenfolge ‚Der Gehorsam´ vom NDR-Fernsehen in Lokstedt DM 130 000 ‚kassiert´. Hierbei hätte ich für mich nicht weniger als DM 52 000 ‚vereinnahmt´. Diese Behauptungen sind unwahr. “ Er bezifferte für sich einen „ Urheberrechtsanteil des Regisseurs von DM 6000 “ und „ Autorenrechte von DM 9000 “. 499 Die Richtigkeit der Darstellung Egon Monks wurde sowohl vom NDR, dem Schauspielhaus und der Kulturbehörde bestätigt, was der damalige Kultursenator Gerhard Kramer von seiner Pressestelle in einer Erklärung festhalten ließ mit der Verlautbarung, „ diese Regelung entspreche der Übung an allen Bühnen, die Ver- träge mit Fernsehanstalten abschlossen. “500 Als Ergebnis einer Betriebsversammlung des Schauspielhauses verweigerten einige am Theater beschäftigte Schauspieler (Joana Maria Gorvin, Hermann Schomberg, Rolf Boysen, Günter König) Monk die weitere Gefolgschaft und drohten mit Kündigung, weil „ sie den Ruf des Hauses gefährdet sahen “ und nicht bereit waren, an weiteren Inszenierungen Monks mitzuwirken: „ Schließlich muss man sich selbst schützen. “501 Auch der von Monk ans Theater geholte Eberhard Fechner, mit dem Monk ebenso wie mit Hubalek erfolgreich beim NDR zusammengearbeitet hatte, agierte mit wenig Glück als Regisseur des geplanten dritten Stücks: Doppelkopf von Gerlind Reinshagen. Monk strich das Stück schon vor der Premiere vom Spielplan. Der Vorwurf, Monk hätte ein Drittel der Plätze für die geplante Premiere des Doppelkopfs zum halben Preis an Gewerkschaftsmitglieder verkauft, um sich „ Saal-

498 Monk – Opfer seiner selbst . In: Die Welt, 25.9.1968 499 Gegendarstellung von Egon Monk . In: Welt am Sonntag, 29.9.1968 500 Fernsehhonorar für Egon Monk: Pressemeldung des Kulturamtes Hamburg vom 2.10.1968 501 Kirstenmacher, Gert: Vor dem „Doppelkopf“ gepasst. In: Süddeutsche Zeitung, 15.10.1968 218 schutz “ gegen „ das snobistische Hamburger Premieren-Publikum “ zu erkaufen, 502 und die Unterstützung des Schauspieler-Protestes durch den Kultursenator, ließen Monk am 13. Oktober 1968 seinen Rücktritt anbieten, der angenommen wurde. 503

8.2 1969 bis 1981: Rückkehr zur Fernseharbeit Ein Jahr nach Beendigung der Position des Intendanten zeigte das Fernsehen wieder eine Arbeit Monks als Regisseur. Für den Hessischen Rundfunk entstand das Fern- sehspiel Goldene Städte , (HR 14.10.1969). Auch dieses Fernsehspiel setzte mit seiner kritischen Thematik Monks konsequente Linie der zeitbezogenen, ge- sellschaftlichen Auseinandersetzung von Gegenwartsthemen fort. Das Stück des englischen Autors Arnold Veskers schildert den Versuch eines Architekten, nach dem Krieg „ fortschrittliche Städte zu erbauen “504 Auch für die im Deutschen Schauspielhaus heftigst kritisierten Räuber be- gannen bereits im März 1969 Aufnahmearbeiten in den NDR-Fernsehstudios. 505 Am 23. November 1969 wurde die Studioaufzeichnung, unter der Regie Monks, im NDR gezeigt. Egon Monk, der sich für die Zeit am Theater vom NDR hatte beurlauben lassen, kehrte zum NDR zurück und leitete dort von 1973 bis 1981 eine Projekt- gruppe innerhalb der Fernsehspielabteilung. Diese Position „ wurde eigens für mich geschaffen und man kann sie als >halb-feste< Anstellung bezeichnen, die mir viel Freiraum einräumte “. 506 Während dieser Zeit war es ihm auch möglich, für andere Sender zu arbeiten. Er inszenierte für das ZDF ein zweites Mal in seiner Laufbahn als Regisseur Brechts Die Gewehre der Frau Carrar (ZDF 3.3.1975). Für den NDR schrieb und inszenierte Monk das Fernsehspiel Industrieland- schaft mit Einzelhändlern (NDR 7.12.1970), eine Geschichte vom existentiellen Niedergang eines kleinen Einzelhändlers, eines Drogisten, innerhalb großer Konzernkonkurrenz. Die Filmfigur (Horst Tappert als Drogist) hatte authentische Züge: „ Vorlage war ein Nachbar im Hamburger Mittelweg, dessen kleines Geschäft, inmitten der großen Drogerieketten, mir aufgefallen war. “507 Ebenfalls für den NDR entstand Monks erster Fernsehmehrteiler, eine Geschichte aus der Weimarer Republik. Für die Reihe >Verfilmte Literatur< drehte

502 Ebd. 503 Vgl.: Rumler, Fritz: Jagdszenen aus Norddeutschland. In: Der Spiegel, 21.10.1968 504 Müntze, Ingeborg: „ Goldene Brücken “ für Egon Monk. In: Hamburger Abendblatt, 14.10.1969 505 Die missglückten „Räuber“ erobern doch den Bildschirm. In: Hannoversche Presse, 28.2.1969 sowie in: Die Welt, 3.3.1969 506 Egon Monk in: Interview am 1.6.2004 mit S.B. Diese Information ist >halb-richtig<. Es gab einen regulären Arbeitsvertrag als Mitarbeiter der Hauptabteilung Fernsehspiel, der 1979 verlängert wurde. 507 Egon Monk in: Ebd. 219

Monk die fünfteilige Fernsehfolge Bauern, Bonzen und Bomben nach dem Roman von Hans Fallada (NDR 23.4.-8.5.1973). Der Romanvorlage lag eine Beobachtung des >Landvolkprozesses< Falladas aus dem Jahr 1929 in Neumünster zugrunde, bei der der Autor als Berichterstatter zugegen war. Der Weimarer Republik galt Monks besonderes Interesse, da sich in dieser Zeit „ wie in einer Nussschale alles findet, was den Weg durch unser Jahrhundert bestimmt “. 508 Monk erzählt die Ereignisse um den Aufstand der Bauern, einer Demonstration und deren Folgen erst nach umfangreichen Vorarbeiten. Er fand heraus, „ dass Fallada genau das geschildert hat, was 1929 in Neumünster passierte. Er stößt bei diesen Nachforschungen sogar auf Artikel, die Fallada für den dortigen General- anzeiger geschrieben und für seinen Roman konkret ausgewertet hat. Er wird sich dann ganz konkret dieser Artikel für seine Verfilmung bedienen, um den Zeithinter- grund nachzuzeichnen und die Chronistenfunktion von Fallada sichtbar zu machen “. 509 In vier Monaten Drehzeit erzählt er nicht einfach nach, sondern interpretiert den Stoff aus dem Abstand von Jahrzehnten, der die Ereignisse der Weimarer Republik in Zusammenhang mit den Vorboten des kommenden Faschismus stellt. Am Ende des Films fügt Monk daher eine Szene ein, die nicht im Roman vorkommt. In der letzten Sequenz lässt Monk einen Nazi-Trupp aufmarschieren, mit dem Schlachtruf: „ Nieder mit der Republik! “

8.3 1983 und 1988: Zeitgeschichte als große Fernsehproduktionen Seit Beginn der achtziger Jahre arbeitet Egon Monk als freier Autor und Regisseur und blieb dem Fernsehpublikum mit seinen nächsten beiden, mehrteiligen Produktionen zur Zeitgeschichte in Erinnerung: Der Zweiteiler Die Geschwister Oppermann (ZDF 30.1/31.1.1983) und der Fünfteiler Die Bertinis (ZDF 21.10.- 8.11.1988). Monk drehte im Verlauf seiner Karriere (mit Bauern, Bonzen und Bomben , NDR 1973) drei mehrteilige Fernsehfilme. Keiner der Mehrteiler war eigens für das Fernsehen geschrieben. Die Stoffe der drei mehrteiligen Fernsehfilme basieren auf literarischer Grundlage zeitgenössischer Autoren.

508 Egon Monk in: >Ort der Handlung Deutschland. Egon Monk und seine Filme< . Eine Film- dokumentation von Stephan Reichenberger, 1985. Produktion NDR in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut. Erstausstrahlung am 29.9.1987 509 Zit. n. Prümm, Karl: Inszeniertes Dokument und historisches Erzählen. Die Fernsehfilme Egon Monks. In: Augenblick: Deutsche Geschichten, Egon Monk – Autor, Dramaturg, Regisseur . Marburg 1995, H. 21, S. 48 220

Bauern, Bonzen und Bomben von Hans Fallada spielt in der Weimarer Republik um 1930, Die Geschwister Oppermann wurden „ hellsinnig bereits im Spät- sommer 1933 “510 von Lion Feuchtwanger verfasst und Die Bertinis von Ralph Giordano beginnen in ihrer Vorgeschichte bereits im neunzehnten Jahrhundert, um über 1933 hinaus das Schicksal (s)einer >arisch-jüdisch-gemischten< Familie während der nationalsozialistischen Diktatur zu erzählen. Monk sieht die Hinwendung seiner Arbeit vom Originalfernsehspiel der 1960er zu den Adaptionen der 1970er und 1980er Jahre nicht als Bruch mit eigenen Maximen: „ Ich hatte nichts gegen Literaturverfilmungen, auch schon damals nicht. Es fand sich nur wenig Geeignetes, aber es gab auch Ausnahmen. Ich habe bei- spielsweise für die Romanvorlage: ,Die Revolution entlässt ihre Kinder´, meinen Freund Rolf Hädrich gebeten, das zu drehen. Es ist ein fabelhafter Film, auch heute noch. Leider wird er nicht mehr gezeigt. Der Wunsch, möglichst die eigene Zeit und die eigenen Zeitgenossen im Fernsehspiel porträtiert zu sehen, war damals der maß- gebliche. Das beantwortet sich durch die Nennung des Hauptziels: Mir kam es darauf an, Filme im Programm zu haben, die mit der Zeit zu tun hatten. Und wenn es sich um vergangene Zeiten handelte, dann solche, die mit der Gegenwart immer noch zu tun hatten. Das war mir wichtiger als Originalfernsehspiel oder Adaption. Die Trennung von Originalfernsehspielen und Adaptionen gab es nicht in den Köpfen der Zuschauer, aber bei uns. Das Originalfernsehspiel war so gesehen eine Art Nebenergebnis des Hauptwunsches, gesellschaftskritische Stücke zu zeigen. Wenn jemand original für mich schrieb – umso besser, aber meine Versuche, die damals namhaften Schriftsteller für das Fernsehspiel zu gewinnen, waren nicht sehr erfolgreich. “511 Monks Interesse an Literatur war schon recht frühzeitig ausgeprägt. „ Ich habe mein Leben lang viel gelesen, als Kind alles, als Erwachsener zielgerichteter. “512 Wie geschildert, hinterließen die Märchen von Hans Christian Andersen bleibenden Eindruck. 513 Der >lesende Jugendliche< in Monks Episodenfilm, Berlin N 65 , trägt so auch wieder erkennbare Züge des jungen Egon Monk, wobei es in den Jahren des Nationalsozialismus „ schwierig bis unmöglich war, Romane, wie die von Feuchtwanger zu lesen. Nach dem Krieg gab es viel Neues für mich zu lesen. In Ost- berlin entstanden sehr rasch ein paar Verlage, die mit besonderer Umsicht ganz Be-

510 Im Vorwort zu: Feuchtwanger, Lion: Die Geschwister Oppermann . Berlin, 1963, 8. Aufl. 1999 511 Egon Monk in: Interview am 26.11.2001 mit S.B. 512 Egon Monk in: Interview am 26.11.2001 mit S.B. 513 Vgl. innerhalb dieser Arbeit unter Kapitel: 1927 bis 1932: Berlin. Familiärer Hintergrund und dessen Prägung. 221 stimmtes druckten – Exilliteratur. Aus dieser Zeit kannte ich die Bücher Feucht- wangers. Die ,Geschwister Oppermann´ sind ja Teil einer Trilogie. 514 Ich hätte gern alle drei Teile verfilmt, aber dazu ist es nie gekommen. “515 Die Position als Leiter der Fernsehspielabteilung in den 1960er Jahren ließ Monk nicht genügend Zeit, ein mehrteiliges Fernsehspiel zu drehen, obwohl er es gern getan hätte. Dies blieb seinem Spätwerk vorbehalten. Dem >Vielleser< Egon Monk waren die Romane von Fallada und Feuchtwanger in den 1960er Jahren durchaus bekannt. Hans Fallada gehörte zu den Autoren, die auf Monk zeitlebens besonderen Eindruck gemacht hatten. „Sie haben mich gefragt, ob ich schon in den 1960er Jahren an die Verfilmung des Fallada- und des Feuchtwangerromans gedacht habe – ja. Und das hat seinen Grund. Wenn ich manchmal gefragt werde, wer oder was auf mich Einfluss gehabt hat, dann ganz sicher Fallada. Vom ihm habe ich alles gelesen, was es zu lesen gab. An eine Verfilmung war aber damals, aufgrund meiner Tätigkeit als Haupt- abteilungsleiter nicht zu denken. Ich hätte schon gern früher Mehrteiler gedreht, aber das wäre schon aus Zeitgründen einfach nicht möglich. Ein fünfteiliger Film wie ,Bauern, Bonzen und Bomben´, der allein, was die Drehzeit betraf, mich fast ein halbes Jahr in Anspruch genommen hat, war nicht unterzubringen. Ich konnte in der damaligen Zeit allerhöchstens mal zwei 90-Minuten-Filme pro Jahr machen. Meist war es nur einer. Im Hauptberuf war ich ja Hauptabteilungsleiter und ich habe es fast immer so hingekriegt, während ich drehte, dass ich nach Drehschluss noch in mein Büro ging, Briefe unterschrieb und ähnliches. Meine Sekretärin [Waltraut Lohmann/S.B.] kam auch oft in die Dekoration beim Drehen und ich unterschrieb Briefe. Ich habe versucht, es so zu regeln, dass eine Sache nicht vollkommen ruhte, während ich die andere machte. Doch fünfmal 90 Minuten wäre ausgeschlossen ge- wesen. “516 In den 1980er Jahren, als freiberuflicher Autor, entstanden dann seine beiden mehrteiligen Fernsehspiele auf Basis der Romane Feuchtwangers und Giordanos. Doch Monks Filme sind auch diesmal kein bloßes >Nacherzählen< einer Romanvor- lage. Über die Grenzen des zeitgenössischen Berichtens, gleichwohl, ob es sich um aufgearbeitetes 517 oder annähernd autobiographisches Material handelt wie bei

514 Lion Feuchtwangers Trilogie heißt >Wartesaal< und besteht aus den drei Romanen: >Erfolg<, 1930, >Die Geschwister Oppermann<, 1933 und >Exil<, 1940. 515 Egon Monk in: Interview am 26.11.2001 mit S.B. 516 Egon Monk in: Ebd. 517 Hans Fallada schreibt zu seinem Roman: Dieses Buch ist ein Roman, also ein Werk der Phantasie. Wohl hat der Verfasser Ereignisse, die sich in einer bestimmten Gegend Deutschlands abspielten, 222

Giordano, wird rückblickend aus der Zeit und dem Ansatz Egon Monks heraus Historie verdichtet und in ihrer Entwicklung verdeutlicht. So stellt Monk grundsätz- lich in Frage, ein Buch aus „ dem Geist seiner Zeit heraus “518 im Film umzusetzen. Seine Erzählweise ist die des gegenwärtigen Erzählers, der, aus dem Wissen der nachfolgenden Ereignisse heraus, Literatur narrativ bearbeitet. Der zweiteilige Fernsehfilm Die Geschwister Oppermann erzählt die Geschichte einer jüdischen Familie in Berlin zu Zeiten der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Das ZDF strahlte die Verfilmung am historischen Datum der Machtübernahme Hitlers, fünfzig Jahre danach, am 30. und 31. Januar 1983 erstmalig aus. Die Familie besitzt ein Möbelhaus, einer der drei Brüder ist der Arzt Professor „Edgar Oppermann“ (Peter Fitz), ein zweiter ist der Privatgelehrte „Doktor Gustav Oppermann“ (Michael Degen). Der dritte, „Martin Oppermann“ (Wolfgang Kieling), leitet das Möbelhaus. Er beruft Ende 1932, kurz vor Hitlers Wahl zum Reichs- kanzler, den Familienrat ein, um über die Umwandlung des jüdischen Geschäfts in eine anonyme Aktiengesellschaft zu diskutieren. An die Spitze der Firma soll, laut „Martin Oppermanns“ Vorschlag, der arische Geschäftspartner „Wels“ (Eberhard Fechner) gestellt werden, um nach außen hin einen bestmöglichen Schutz gegen Ent- eignung zu gewährleisten. „Wels“ entpuppt sich jedoch nicht als williger Partner und Helfer in der Not. Er nutzt die Gunst der Stunde und eignet sich die jüdische Firma im Verlauf der Handlung an. Die Nazis haben inzwischen die Macht ergriffen und billigen ausdrücklich eine >Arisierung< jüdischen Eigentums. Die Familie ist dem Untergang geweiht. Der Professor verliert seine Anstellung in einem Krankenhaus. Der Gelehrte „Gustav Oppermann“, der lange nicht wahrhaben wollte, was in Deutschland passiert, muss ins Ausland fliehen. Vergeblich bemüht sich „Martin Oppermann“, das Möbelhaus für die Familie zu retten; jede Demütigung „Wels´“ nimmt er hin, um letztlich doch alles zu verlieren. Zum Schluss wird er von den Nazis gefoltert und ist ein gebrochener Mann. Dies alles geschieht in den wenigen Monaten zwischen November 1932 und Anfang April 1933. In dieser Zeit erfährt die jüdische Familie, dass ihr aller Besitz, alle Bürger- rechte und auch alle Ehre genommen wird, die mit dem Tod des jungen Schülers „Berthold“ (Till Topf) einen tragischen Höhepunkt findet. „Berthold“ ist der Sohn

benutzt, aber er hat sie, wie es der Gang der Handlung zu fordern schien, willkürlich verändert. In: Fallada, Hans: Bauern, Bonzen und Bomben. Hamburg 1964, 145. Aufl. 1997, rororo Nr. 10651 518 Egon Monk in: Prümm, Karl: Was unsere Zeit noch in Bewegung hält. Ein Interview mit Egon Monk über die Geschwister Oppermann. In: epd/ Kirche u. Rundfunk, Nr. 10, 5.2.1983 sowie in: Augenblick: Deutsche Geschichten, Egon Monk – Autor, Dramaturg, Regisseur . Marburg 1995, H. 21, S. 72-80 223

„Martin und Lieselotte Oppermanns“ (Rosel Zech), der an den Schikanen seines neuen Lehrers scheitert. Der siebzehnjährige Gymnasiast erhält von dem Hitleranhänger „Doktor Vogelsang“ (Klaus Mikoleit) die Aufgabe, ein Referat über Hermann den Cherusker zu halten. Während des Referats wird der jüdische Schüler unterbrochen, die Worte werden ihm verdreht und schließlich wird „Berthold“ von seinem Lehrer >undeutscher< Ansichten bezichtigt. „Berthold“ soll sich ent- schuldigen. Dieser lässt die ihm gesetzte Frist dafür jedoch verstreichen. Er zieht es vor, lieber zu sterben, als sich dem Nazilehrer zu beugen. Die beiden Handlungsstränge um die aussichtslose Rettung des Möbelhauses durch „Martin Oppermann“ und die ebenso aussichtslose Position des jüdischen Schülers „Berthold“ gegen seinen Nazilehrer sind die beiden hauptsächlichen Ereig- nisse, die Monk aus dem Roman Feuchtwangers heraus kristallisiert. Monk erzählt die Geschichte in ruhigen Bildern und langen Einstellungen, die besonders in der Szene, in der der Schüler sein Referat halten muss, quälend wirken können. Der Zuschauer spürt, wie sich das Unheil langsam über den Schüler aus- breitet, ein Ausweichen ist ihm (und dem Zuschauer) nicht möglich. Es ist gleich- gültig, was und wie er referiert – er hat schon vorher verloren, weil der nazitreue Lehrer seine Klasse >judenrein< haben will. Aus Monks Ansatz, Jahrzehnte später, fügt er dem Roman Feuchtwangers, der im Herbst 1933 erschien, hinweisende Inserts ein, die dem Zuschauer einen Ablauf der historischen Ereignisse ins Gedächt- nis ruft. Monk sagt zu seiner filmischen Bearbeitung: „Diese Chronik der Ereignisse besteht aus Fotos, Zeitungsüberschriften und Ausschnitten aus Artikeln, wie sie damals zu sehen und zu lesen waren. Kommentarlos appelliert sie an das, die Zusammenhänge suchende Mitdenken des Zuschauers, denn die Beschränkung auf historische Dokumente spiegelt im Ganzen, wie in jeder Einzelheit, die Unsicherheit und Verwirrung der damaligen demo- kratischen Presse, die keine geringere war als die ihrer Leser. Aber die Montage, die Art der Zusammenfügungen der Abbildungen, Meldungen und Meinungen sowie vor allem der Sinn ihrer Zuordnung und Verflechtungen mit der Handlung wird es, so hoffe ich, heutigen Zuschauern dennoch ermöglichen, jene Zusammenhänge, die den Zeitgenossen und Opferns Hitlers verborgen geblieben waren, rückblickend zu er- kennen. Öffentliches und privates Leben, politisches und persönliches Handeln hängen in guten wie in schlechten Zeiten eng zusammen, nur wird der Zusammen- 224 hang in schlechten Zeiten nachdrücklicher wirksam, da er dann als Katastrophe auf- tritt, und zwar als politische wie als private. “519 Die Erstausstrahlung war zeitgleich respektive zeitversetzt in 17 (!) Fernseh- nationen zu sehen. Darunter in Ländern wie England, Italien, Österreich, Schweden, Schweiz, Teilen Kanadas und den USA. In Israel wurde mit den Oppermanns erst- mals ein Film in deutscher Sprache gesendet. Einige Jahre später verfilmte Egon Monk Die Bertinis von Ralph Giordano. Diese Geschichte stammt ebenfalls aus der unrühmlichen deutschen Epoche des Nationalsozialismus. Ursprünglich sollte Eberhard Fechner das Projekt realisieren, doch aus gesundheitlichen Gründen musste Fechner davon Abstand nehmen. Im Juli 1987 begannen die Dreharbeiten zu Monks fünfteiligem Fernsehfilm, der zum ersten Mal zwischen dem 31. Oktober und dem 8. November 1988 ausgestrahlt wurde. Monk gab als Grund, den Roman zu verfilmen, wieder sein ganz besonderes historisches Interesse an: „ Ich habe es gemacht, weil es eine Geschichte der Zeit ist, dieser Zeit, die mich von allen Zeiten am meisten interessiert und von der ich nach wie vor glaube, die zwanziger Jahre als Vorgeschichte inbegriffen, dass sie alles in die Wege gelenkt haben, was uns heute beschäftigt, also das, was unsere Gegenwart ausmacht und auch unsere Zukunft bestimmen wird. Es ist also so, dass es von mir aus gesehen kein historischer Film ist, sondern ein gegenwärtiger, einer für heute und einer der, hoffe ich, noch über heute hinausweist. “520 In diesem Fernsehfilm wird die Geschichte einer jüdischen Familie italienisch-deutscher Herkunft um den (fast immer) arbeitslosen Musiker „Alf Bertini“ (Peter Fitz), seiner Frau „Lea“ (Hannelore Hoger) und deren Kinder und Eltern als „ Stationen einer völligen Entrechtung “ gezeigt, „ damit man versteht, wie es damals zugegangen ist “. 521 Schauplatz der Handlung ist die Stadt Hamburg, die tatsächlicher Schauplatz der Ereignisse um die Familie des Autors Giordano war. Monk fasst „Alf Bertinis“ italienische Familienwurzeln und „Leas“ deutsche Familienchronik bis zu beider gemeinsamer Geschichte in einem Vorspann zu- sammen. In schneller Bildfolge erzählt Monk aus dem armen Einwanderermilieu des Sizilianers und kommt dann zu „Lea“, die als uneheliche Tochter geboren, behütet bei den Großeltern in Hamburg aufwächst. Auch „Lea“ ist musisch begabt und be- gegnet ihrem Schicksal in Gestalt ihres späteren Ehemannes „Alf“ auf dem

519 Egon Monk in: Die Geschwister Oppermann. In: ZDF (Hrsg.), Informations- u. Presseabteilung: Das Fernsehspiel im ZDF , Dezember 1982-Februar 1983, H. 39 520 Egon Monk in der SFB-Talk-Show >Freitagnacht<, Leitung Lea Rosh, am 4.11.1988 zum Thema: Musste man Nazi werden? 521 Egon Monk in: Zeitgeschichte kann auch unterhalten. In: Hamburger Abendblatt, 31.10./1.11.1998 225

Konservatorium. Mit ihren drei Söhnen erleben sie die Macht der Nationalsozialisten bis fast zur Deportation, der sie sich erst in letzter Minute entziehen und in einem Keller die letzen Wochen des Krieges überleben. Wie in seinen vorangegangenen Mehrteilern setzt Monk auch hier epische Stilmittel ein. Er montiert Schrifttafeln mit Daten und Fakten der damaligen Zeit aus Zeitungsmeldungen und Standbildern (Fotos) in die Erinnerungen und Erzählung Giordanos. Monk erzählt die fast 800-Seiten starke Familiensaga Giordanos von den Wurzeln über die immer bedrohlicher werdende Situation der Familie in den Jahren der Verfolgung. Fast sieben Monate lang drehte Monk Die Bertinis , an durchschnitt- lich zwölf Stunden pro Drehtag. 522 Seit diesem letzten mehrteiligen Fernsehspiel ist Egon Monk nicht mehr mit einem weiteren Fernsehspiel im Fernsehprogramm vertreten gewesen. Monk ver- arbeitet die letzten Wochen vor Hitlers Machtergreifung in einem Drehbuch (siehe Anhang) und schreibt zudem an einem Buch, das im Buchhandel schon seit mehreren Jahren angekündigt wird: Auf dem Platz neben Brecht. 523 Ein weiteres Projekt ist ein Drehbuch mit dem Arbeitstitel: Das Café Leon ,524 über seine Erinnerungen als jugendlicher Flakhelfer, der ein großer Fan amerikanischer Jazzmusik war.

9 Zusammenfassung der Ergebnisse

Egon Monk wurde im Laufe seines Lebens zu einem Regisseur und Autor, dessen familiäre und soziale Herkunft sowie seine Begegnung mit Bertolt Brecht prägend für seine Arbeit wurden. Im Berlin der 1930er und 1940er Jahre aufgewachsen, ent- deckte er durch seinen älteren Bruder bereits frühzeitig die Freude an Büchern und an Kinofilmen. Zunächst waren es die Märchen Hans Christian Andersens und Abenteuerfilme, mit Kinostars wie Hans Albers, die ihn faszinierten. Später kamen Werke wie die von Fallada, Feuchtwanger und Brecht hinzu. Das Kino übte zudem einen zunehmenden Reiz auf den jungen Egon Monk aus. Mit siebzehn Jahren stand der Entschluss des eifrigen Kinogängers fest, Filmregisseur zu werden.

522 Vgl. Prümm, Karl: Ansteckende Genauigkeit. Egon Monk dreht die Bertinis. In: Frankfurter All- gemeine, 12.12.1987 sowie in: Augenblick; Marburger Hefte zur Medienwissenschaft: Deutsche Geschichten, Egon Monk – Autor, Dramaturg, Regisseur . Marburg 1995, H. 21, S.81-87 523 Vgl. auch innerhalb dieser Arbeit unter Kapitel: 1948 bis 1953: Egon Monk und Bertolt Brecht. 524 Vgl. auch innerhalb dieser Arbeit unter Kapitel: 1932 bis 1945: Kindheit und Kino 226

Selbst aufgewachsen in einer Arbeiter- und Bauernfamilie, legte die Mutter Monks für alle ihre Söhne Wert auf eine gute Ausbildung. Einen Sohn verlor sie bereits, als dieser noch Kleinkind war, einen anderen im Krieg. Ein Bruder Monks wurde Buchhalter und er selbst, als Jüngster, hatte die Möglichkeit, eine höhere Schulbildung zu erhalten. Die Schulzeit im Gymnasium wurde in Kriegszeiten jäh beendet, als er zum Flakhelfer an der Heimatfront Berlin ausgebildet wurde. In dieser Zeit entdeckte er die Liebe zu amerikanischer Jazzmusik, die er be- vorzugt mit Gleichgesinnten in einem Berliner Jazzclub, dem Café Leon, hörte. Als der Krieg zu Ende war, begann Monk, seinen Berufswunsch in die Tat umzusetzen. Er absolvierte zunächst erfolgreich die Schauspielschule, um einen Einstieg ins Filmmetier zu finden. Filmschulen, die zum Regisseur ausbildeten, gab es noch nicht. Ab 1947 trat er kurzzeitig als Schauspieler an verschiedenen Theaterbühnen Deutschlands in Erscheinung und lernte seine spätere Ehefrau Ulla kennen. Sie be- gleitete ihn fortan und kehrte mit ihm nach Berlin zurück. Ein ersehntes Engagement als Regisseur erhielt Monk nirgends. Im Winter 1948/49 wurde Monk in die gerade entstandene >Regieklasse< der Defa aufgenommen. Die Ausbildung dort entsprach ganz und gar nicht seinen Vorstellungen, da sie weder zu praktischen Übungen kam noch in der Theorie sein Interesse fand. Zu dieser Zeit war der junge Egon Monk bereits ein Bewunderer der Werke Bertolt Brechts. Abends führte er mit Freunden auf Kleinkunstbühnen ein >Brecht- Programm< auf, das er selbst zusammengestellt hatte. 1948 lernte er Brecht dann endlich kennen, als dieser nach Deutschland zurückkehrte und mit seiner Frau, Helene Weigel, in Berlin das Berliner Ensemble gründete. Monk verließ die Defa sofort, als Brecht ihn für seine Bühne engagierte. Dort reihte Monk sich in die Reihe der vielen Regie-Schüler Brechts ein, die diesen im Laufe der Jahre begleiteten. Es war ein Arbeitsverhältnis, das von praktischen Übungen und anregenden Diskussionen im großen Kreis der Darsteller und Regie- anwärter geprägt war. Durch eine Fügung glücklicher Umstände und Eigeninitiative wurde es Monk möglich, das erste Mal selbstständig Regie zu führen. 1950 wurde Brechts Stück Herr Puntila und sein Knecht Matti zu Monks Regiedebüt. 1953, nach vier Jahren >Lehrzeit<, verließ Monk das Berliner Ensemble und ging in den Berliner Westen. Kurz zuvor hatte er das erste Mal als >Filmregisseur< gearbeitet. Für das Ostberliner Versuchsfernsehen drehte er mit Schauspielern des Berliner Ensembles Brechts Die Gewehre der Frau Carrar. 227

Die Anfänge im Westen Deutschlands waren mühsam. In achtzehn Monaten gelang es Monk nur einmal, am Theater am Kurfürstendamm, Regie zu führen. Eine Anstellung beim Fernsehen, dem NWDR-Berlin, blieb ihm versagt. Monk begründet dies, im Kontext gegensätzlicher politischer Systeme, mit dem allgemeinen Miss- trauen gegenüber einem ehemaligen >Brecht-Schüler<. Von 1954 bis 1957 arbeitete er als Hörfunkautor und –regisseur beim RIAS-Berlin. 1957 vollzog Monk einen beruflichen und privaten Wechsel nach Hamburg, um in der Hörfunkabteilung des NDR einen Neuanfang zu starten. Der NDR, der zu dieser Zeit im organisatorischen Umbruch begriffen war, bot Monk 1960 die Chance, als verantwortlicher Leiter die neue Hauptabteilung Fernsehspiel zu gestalten. Dies war eine Aufgabe, der Monk sich acht Jahre lang mit großem Engagement widmete. Unter seiner Leitung erfuhr das Fernsehspiel eine neue Ausrichtung, die weniger unterhaltend als viel mehr unterrichtend sein sollte. Oft missverstanden in seinem didaktischen Anliegen, stellte er wiederholt klar, dass Unterhaltung und Unter- richtung sich jedoch nicht zwangsweise ausschließen müssen. Monk hatte von Beginn an eine Abkehr des empathischen Miterlebens vor dem Bildschirm hin zu einem kritischen Bewusstsein der Zuschauer vor Augen. Er gestaltete das Fernseh- spielprogramm im NDR mit einer Handschrift, die deutlich vom Brecht-Theater ge- prägt, gesellschaftliche Ereignisse aufgriff und sie verarbeitete. Der organisatorische und personelle Aufbau seiner Abteilung vollzog sich als Neubeginn auf allen Ebenen. Angefangen in einer alten Villa am Hamburger Rothenbaum, mit einer Sekretärin, die für Möblierungs- und Sekretariatsaufgaben gleichermaßen zuständig war, fing Egon Monk an, seine Abteilung einzurichten. Er engagierte Autoren und Dramaturgen aus der Hörfunkabteilung, persönliche Freunde aus Berliner Tagen und Menschen, die vorab noch nie etwas mit dem Fernsehen zu tun hatten. Sie alle bildeten gemeinsam eine Richtung aus, die von Ideen und viel Enthusiasmus getragen wurde. Die Abteilung fand ihren Sitz nach einiger Zeit auf dem Gelände der NDR-Atelierbetriebsgesellschaft, Studio Hamburg. Dort entstanden im Laufe der Jahre die meisten Fernsehspiele unter Leitung Egon Monks. Monks Arbeitsweise entsprach in vielem der Arbeitsweise Brechts. Er holte sich interessierte Menschen in die Abteilung, die zeitweilig >auf dem Platz neben Monk< saßen und in der Praxis ihren Beruf als Regisseur erlernten. Er entwickelte eine enge Arbeitsweise mit bestimmten Kameramännern und Schauspielern, die in seinen eigenen Fernsehspielen wiederholt eingesetzt wurden. Die ensembleähnliche 228

Arbeitsweise war für ihn eine Vorbedingung für ein vertrauensvolles und fruchtbares Arbeitsklima, aus dem heraus seine Vorstellungen umgesetzt werden konnten. Seine Vorstellungen von einem funktionstüchtigen Fernsehspielkonzept waren mit einer Abkehr dramatischer und epischer Adaptionen verbunden, wie sie in den 1950er Jahren vorherrschten. Die Thematik der Fernsehspiele seiner Abteilung sollte >mit dem Leben< zu tun haben, Gegenwartsproblematik aufgreifen und sie in einen Kontext vergangener Vorboten und möglicher Auswirkungen stellen. Ganz im Sinne der >Brechtschen sozialen Kausalität< suchte Monk ein kritisches Fernseh- spiel zu schaffen, dass Verhältnisse in einen Zusammenhang stellt und nicht als einzelnes Ereignis darstellt. In einer Mischung aus dramatischen sowie epischen Vor- lagen und dem Originalfernsehspiel entsprach etwa die Hälfte der 105 untersuchten Fernsehspiele, Monks Vorstellungen von Gesellschaftskritik im Fernsehspiel. Das genuine Fernsehspiel machte dabei eine Entwicklung durch, die bis 1964 stets aufwärts ging. Von 1962 abgesehen, in dem durch eine Programmausweitung eines zweiten ARD-Programms als Übergang bis zum regulären ZDF-Sendebetrieb vermehrt auf Adaptionen zugegriffen werden musste, war der Anteil an Originalfern- sehspielen in keinem ARD-Sender höher als beim NDR. 1964 lag der Anteil in- und ausländischer Originalfernsehspiele bei 75 Prozent und erreichte damit seinen Höhepunkt im Verlauf der acht Jahre unter Leitung Egon Monks. 1965 war immer- hin noch ein Anteil von 69 und 1966 von 58 Prozent zu verzeichnen. Eine zahlenmäßige Verringerung neu hinzukommender Gebührenzahler durch eine Etablierung des Fernsehens in den bundesdeutschen Haushalten hatte, analog dazu, eine Stagnation der Einnahmen zur Folge. Dies führte dazu, dass be- sonders kostenintensive Neuproduktionen, bei denen das Fernsehspiel an erster Stelle zu nennen ist, verringert wurden. Der vermehrte Zugriff auf vorhandene Vorlagen epischer und dramatischer Werke war das Resultat. 1967 hatte das genuine Fernseh- spiel nur noch einen Anteil von 44 Prozent am NDR-Fernsehspielprogramm. Der Anteil deutschsprachiger Originalfernsehspiele war, über den gesamten Untersuchungszeitraum der acht Jahre gesehen, mit 32 Prozent fast doppelt so hoch wie der 17-prozentige Anteil genuiner Fernsehspiele fremdsprachiger Autoren. Ebenfalls über den Gesamtzeitraum gesehen, hatten Theateradaptionen einen Anteil von 31 Prozent und der Anteil epischer Vorlagen betrug 17 Prozent am Fernseh- spielprogramm unter Leitung Egon Monks. Im Verlauf der Jahre lassen sich Schwerpunktthemen im Programm fest- stellen, die Monk und seine Mitarbeiter besonders interessierten. Bis Mitte der 229

1960er Jahre wurde Deutschlands faschistische Vergangenheit zu einem dominanten Thema. Rund 40 Prozent der untersuchten Fernsehspiele zeigten authentische und fiktive Ereignisse, die eine Aufarbeitung und Vergangenheitsbewältigung des Nationalsozialismus anstrebten. 22 Prozent in- und ausländischer Fernsehspiele be- schäftigten sich mit historischen Ereignissen, die Auswirkungen in die Gegenwart der 1960er Jahre hatten. Dazu gehörte auch, als weiterer Schwerpunkt im Programm, der Mauerbau durch Deutschland. Im >Ost-West-Genre< wurden das Fluchtmotiv und der Schießbefehl an der innerdeutschen Grenze vielfach thematisiert. Ab 1964 wurden die politischen Verhältnisse und die Lebensumstände in der Bundesrepublik zur Programm beherrschenden Gegenwartsthematik. 47 Prozent der Fernsehspiele hatten, über den gesamten Untersuchungszeitraum gesehen, einen thematischen Bezug zur Alltagsproblematik. Das Spektrum der Thematik umfasste beispielsweise die Sorgen und Nöte beim Hausbau, die wachsende Reiselust der Deutschen, aber auch die Zustände in bundesdeutschen Gefängnissen und den mög- lichen Einsatz atomarer Bewaffnung in Krisensituationen. Neben seiner administrativen Arbeit als Hauptabteilungsleiter inszenierte Monk meist einmal im Jahr ein eigenes Fernsehspiel. Für einige schrieb er zudem das Drehbuch oder war daran beteiligt. In Zusammenarbeit mit dem Autor Christian Geissler entstand 1962 Monks erstes gesellschaftskritisches Fernsehspiel Anfrage . Dieses Fernsehspiel war dramaturgisch deutlich von der Fernsehspielästhetik der 1950er Jahre geprägt. Hervorstechend war dabei die theaterähnliche In- szenierungsweise der Studioproduktion und der Einsatz epischer Stilmittel. Die Schauspieler agierten mit sparsamer Mimik und teils betonter Gestik in gering aus- gestatteten Kulissen. Ein Schauspieler in Doppelfunktion, als Rollenträger und Erzähler der Geschichte, trat wiederholt aus dem Spiel heraus, um die Zuschauer in frontaler Ansprache auf etwas hinzuweisen. Inserts, in Form von Spruchtafeln, leiteten von einer Sequenz zur nächsten über, die in episodenhafter Folge Prototypen menschlichen Verhaltens zeigten. Der Einsatz epischer Gestaltungsmittel, wie das explizite Hinweisen eines Erzählers auf Verhaltensweisen der Protagonisten, war ein illusionsaufbrechendes Gestaltungsmittel, das Monk dem Brechtschen Theater ent- lehnte. Die Unterbrechungen der Spielhandlung verhinderten ein empathisches Mit- erleben der Zuschauer und das Ende des Fernsehspiels, das kein Ende der Geschichte erzählte, entließ den Zuschauer mit der Anregung zu eigenem Nachdenken über das Gezeigte. 230

Die Thematik um Schuld und Sühne der Kriegsgeneration leitete Monk mit einem filmischen Vorspann ein, der eine imaginäre Gerichtsverhandlung in einem leeren Gerichtssaal zeigte und den parlamentarischen Begriff der Anfrage erklärte. Die Asynchronität von Bild und Ton wirkte zunächst verwirrend, bis man sich ganz auf die Aussagekraft des Gesagten einließ. Der Vorspann diente der Vorinformation der Spielhandlung, während der epilogartige Schluss das Ende des imaginären Prozesses zusammenfasste und so zum Ausgangspunkt zurückführte. Auch diese Gestaltungsmittel, Prolog und Epilog, entsprechen einer Theateraufführung, während die Montage von Filmaufnahmen als neues Element hinzukam. In Anfrage ist bereits erkennbar, dass Monk eine ganz eigene Fernsehspiel- ästhetik entwickelte, die durch das Zusammenfügen von Spielszenen, montierten Archivaufnahmen und gefilmten Realaufnahmen der Außenwelt eine spezifische Form des Fernsehspiels schuf. Ebenso deutlich wird bereits in der Thematik der An- frage, Monks Wille, gesellschaftliche Prozesse in kritischer Art und Weise zu reflektieren. In dieser Kombination der formalen und inhaltlichen Gestaltungs- elemente entwickelte Monk das semidokumentarische Fernsehspiel, an das Regisseure wie Rolf Hädrich, Eberhard Fechner und Heinrich Breloer anknüpften. In Zusammenarbeit mit demselben Autor, Christian Geissler, drehte Monk ein Jahr später, 1963, Schlachtvieh. Diese reine Filmproduktion wurde zu einem Fern- sehspiel, das sich von allen anderen Produktionen Monks unterschied. Das Auf- greifen gesellschaftlicher Prozesse vollzog Monk in Form einer Parabel. Die sichtbare Rahmenhandlung eines Schlachtviehtransports war die allegorische Darstellung der Bundesrepublik, seiner Bürger und Institutionen. Das Fernsehspiel unterschied sich von Monks anderen Inszenierungen nicht nur durch die Übertragung der Realität auf eine symbolträchtige Ebene, sondern auch durch rasch wechselnde Kameraeinstellungen zu schnellen, pointierten Dialogen. Die Pointierung gipfelte jedoch in der darstellerischen Gestaltung, die die Schauspieler pantomimisch das >Schlachten< vorführten ließ – bis zum Höhepunkt: Das Abschlachten des Menschen durch die Atombombe. Monks und Geisslers Anliegen war es, die Lethargie der Menschen in der Bundesrepublik aufzubrechen und sie zum ständigen Hinterfragen ihrer Lebensumstände anzuregen. Das Fernsehspiel Mauern schrieb Gunther Reinhold Lys auf Anregung Monks, der den Bau der Mauer nicht als Konsequenz des verlorenen Krieges, sondern als logische Konsequenz einer langen Vorgeschichte zeigen wollte. Das Fernsehspiel entsprach Monks Anliegen, Aktuelles im Fernsehspiel umzusetzen und 231 wurde, so rasch es produktionstechnisch machbar war, gedreht und 1963 gesendet. Mauern ähnelt in seinen Gestaltungsprinzipien der Anfrage. In modellhafter Szenen- folge, vor einer requisitenarmen Studiokulisse, führten die Schauspier etwas vor: Den ideologisch begründeten Konflikt zweier Familien vor dem Hintergrund historischer Ereignisse. Die Dialoge waren, wie in Anfrage , theaterähnlich akzentuiert und ließen die darstellende Gestaltung in den Hintergrund treten. Den semidokumentarischen Charakter seiner Fernsehspiele vertiefte Monk durch einen Vorspann, der in komprimierter Form in die historische Entwicklung Deutschlands bis zum Mauerbau einführte. Wie in Anfrage montierte Monk Inserts, die in Schlachtvieh völlig fehlten. In Mauern wurde der Einsatz von Musik das erste Mal zur Unterstützung der visuellen Aussage eingesetzt, indem die Dokumentaraufnahmen von dazu passenden Musikstücken unterlegt wurden. Neu war auch das Gestaltungsmittel der Rückblende, das Monk einsetzte, um den Ablauf vergangener Ereignisse zu erzählen. Eine weitere Hinwendung zu filmischer Erzählweise war auch die Kombination von Filmaufnahmen, Geräusch- technik und Darstellung zur Veranschaulichung einer Republikflucht. Die dritte Gemeinschaftsarbeit mit Christian Geissler war das Fernsehspiel Wilhelmsburger Freitag aus dem Jahr 1964. In rein filmischer Erzählweise, ohne Verfremdungseffekte, ging Monk hier neue, dramaturgische Wege. Der auffälligste Unterschied zu den vorangegangenen Fernsehspielen waren die, auf ein Minimum reduzierten, Dialoge und der fast dokumentarische Charakter des Gezeigten. Monk erzählte den Alltag eines Ehepaares aus dem Hamburger Arbeiterviertel Wilhelmsburg in Bildern, statt in Worten. Die Kamera begleitete die beiden Menschen einen Tag lang bei ihren täglichen Verrichtungen. Monks Verzicht auf eine offensichtliche Erzähldramaturgie beinhaltete auch eine gewisse Ereignis- losigkeit des Tagesablaufs, deren Kameraführung so auch minutenlanges Abwaschen und Bettenmachen dokumentierte. Es war der erste bundesdeutsche Fernsehfilm, der im Arbeitermilieu spielte und zudem in Farbe gedreht, obwohl das Fernsehen erst drei Jahre später, 1967, in Farbe sendete. Monks Intention war es, mit diesem Farbfilm, die Konsumansprüche der Eheleute besonders herauszustellen. Das Fernsehen konnte die sozialkritische Studie damals jedoch nur in Schwarz-Weiß zeigen. Der Einsatz von Schlagermusik war Ausdrucksmittel einer emotionalen Ver- bindung der Eheleute, die Erinnerungen an die vergangene Verliebtheit zwischen 232 ihnen barg. Liedertexte untermalten auch bewusst konträr Bilder zwischen Anspruch und Wirklichkeit und dienten als Ersatz für Sprache. Das Aufzeigen von Sprach- losigkeit als Synonym für die Verständigungslosigkeit zwischen den (beiden) Menschen war für Monk und Geissler ein explizites Kennzeichen der 1960er Jahre. Nach dem ersten Arbeiterfilm in der Bundesrepublik sorgte Monk 1965 für ein weiteres Novum im Fernsehen: Er setzte erstmalig ein Konzentrationslager in den thematischen Mittelpunkt eines Films. Der Autor und ehemalige KZ-Häftling Gunther Reinhold Lys war Monks wichtigste Stütze bei der detailgetreuen Nach- zeichnung eines Lageralltags. Obwohl bekannte Schauspieler mitwirkten, erschien Ein Tag fast wie ein Dokumentarfilm. Den explizit dokumentarischen Anspruch Monks machte der Untertitel des Films klar: Bericht aus einem deutschen Konzentrationslager 1939. Der Film >berichtet< von Ereignissen in einem fiktiven Konzentrationslager, die auf authentischen Vorfällen beruhten. Die realistische Darstellung wurde nicht nur durch die Sorgfalt im Detail, sondern auch durch die Hinwendung zu filmischen Gestaltungsmitteln, wie der Parallelmontage, unterstützt. Die gleichzeitig er- scheinenden Handlungen verschiedener Filmfiguren bewirkten einen Erzählfluss, der in nichts mehr an die modellhaften Szenenfolgen der ersten Fernsehspiele erinnerte. Nur die Einteilung des Tages, unter Verwendung von eingeblendeten Überschriften, und die zweimalige Montage von archiviertem Wochenschaumaterial unterbrachen die rein filmische Erzählung. In einer bis dahin nicht verwendeten Inszenierungsweise ließ Monk die Identifikation des Zuschauers mit den Filmfiguren zu. Mimik und Gestik der Schau- spieler zeigten Angst, Verzweiflung und Resignation, die von der Kamera nicht klinisch distanziert abgebildet, sondern hervorgehoben wurden. In zwei besonders eindrucksvollen Sequenzen des Films wurden in einer Mischung wortloser Gesten und facettenreicher Mimik die Grausamkeiten eines ganz normalen Lageralltags herausgearbeitet. Dies geschah in der >Selektionssequenz<, die einen Häftling in den Konflikt brachte, Mithäftlinge durch einen Arbeitseinsatz zwangsläufig zum Tode zu verurteilen, und in der >Todessequenz< des Judenältesten. In diesen beiden Sequenzen gibt Monk den distanzierten Blick der Kamera, der Abstand zu den Film- figuren wahrte und keine Empathie zuließ, auf. Das Kameraauge wird zum Zuschauerauge, das die Situation nicht nur visuell erfasst, sondern durch die Nähe zu den Figuren ein Mitempfinden ihrer Not zuließ. 233

Monks ganz spezifischen Gestaltungsprinzipien der Verflechtung von Dokumentation und Fiktion fanden in Ein Tag zu einem Höhepunkt seiner Fernseh- spielästhetik zusammen, die den Zuschauern >etwas Unvorstellbares< greifbar nahe in die Wohnzimmer brachte. Während Musik im Allgemeinen keine allzu große Rolle in Monks Filmen zukam, ist sie in seinem Film Berlin N 65 von 1965 wesentliches Gestaltungsmittel. In Anfrage und Schlachtvieh ist Musik eine sparsam eingesetzte szenische Unter- malung. In Mauern dienen Liedertexte im Vorspann der unterstützenden Wirkung der Aussagekraft von Bildern. In Wilhelmsburger Freitag ist Musik, ebenso wie in Mauern , durch die Aussage der Texte Gestaltungselement. Hier dient Musik als Ersatz für Sprachlosigkeit und zeigt Gegensätzlichkeiten von Wunschdenken und Wirklichkeitsnähe. Dennoch ist der Einsatz von Musik in diesen Fernsehfilmen von unter- geordneter Bedeutung. Erst in Berlin N 65 ist Musik ein tragendes Element der Erzählstrategie. Swing ist Ausgangs- und Endpunkt von Stimmungslagen und Hand- lungen der männlichen Hauptperson, bildet einen Kontrapunkt zur Realität und wird zum Synonym für die Befreiung. Wiederum wird Musik eingesetzt, um mit Liedern deutscher Weinseligkeit das Zusammenrücken einer Notgemeinschaft zu zeigen. Dieser Film bildet in vielerlei Hinsicht eine Neuerung der Monkschen Dramaturgie. Die ungewöhnliche Konzentration auf eine Hauptperson erfolgte aus der Zwangssituation eines nicht abgegebenen Drehbuchs heraus. Monk schrieb das Drehbuch schließlich selbst und ließ eigene, authentische Erlebnisse in den drei- teiligen Episodenfilm zum Augenblick des Friedens einfließen. Die länderüber- greifende Produktion war ebenfalls eine neue Form der Fernsehspielgestaltung Egon Monks. Monks eigene Fernsehspiele der 1960er Jahre lassen eine Entwicklung er- kennen, die sich weniger in der thematischen Ausrichtung als vielmehr in seinem Inszenierungsstil niederschlug. Der bestimmende Einfluss des intellektuellen, politischen Anspruchs kennzeichnet alle Fernsehspiele Monks. Leichte Unterhaltung bot Monk seinen Zuschauern nie. Von Brechts Berliner Ensemble beeinflusst, hatten die ersten Fernsehspiele Monks einen ausgeprägt didaktischen Charakter. Er be- obachtete und analysierte was in der Gesellschaft vor sich ging und vermittelte dem Zuschauer seinen eigenen Anspruch, Gegebenheiten nicht kritiklos hinzunehmen, sondern lieber einmal mehr zu hinterfragen. Das, was Brecht die >soziale Kausali- 234 tät< nannte, war auch die Maxime Monks: Nicht Abbilden, sondern Durchdringen, nicht nur Zeigen, sondern in einen Zusammenhang stellen. Monks Inszenierungsstil wandelte sich dabei im Laufe der acht Jahre von einer am epischen Theater orientierten Dramaturgie zur filmischen Erzähltechnik. Er probierte Gestaltungsmittel aus und formte mit den spezifischen Bestandteilen von Dokumentation und Fiktion einen unverwechselbaren Stil. Um Informationen zu transportieren, leitete Monk die Spielhandlung in An- frage , Schlachtvieh und Mauern mit einem Vorspann ein. Ab Wilhelmsburger Freitag setzte eine Abkehr des didaktischen Hinweisens und Erklärens ein. Auf den erläuternden Vorspann verzichtete Monk ebenso wie auf Verfremdungstechniken und dialoglastige Inhalte. In Wilhelmsburger Freitag wird der Einfluss des Dokumentarfilms sichtbar, der auch die endgültige Hinwendung zum Film bedeutete. Die begleitende Kameraführung eines Ehepaares durch einen Tag vollzog Monk dabei so radikal, dass der Fernsehfilm kaum noch inszeniert, sondern wie eine Studie wirkte. Die Realitätsnähe, die Monk nun suchte, vollzog einen ebenso radikalen Wandel in der Ausgestaltung der Szenerie. Die nur angedeuteten Kulissen ver- schwanden zugunsten einer möglichst detailgetreuen Nachzeichnung des Handlungs- ortes. Die Sorgfalt im Detail setzte sich gleichermaßen in der darstellenden Ge- staltung fort. Für Ein Tag wurden die authentischen Erlebnisse ehemaliger KZ- Häftlinge mit Statisten und Schauspielern tagelang eingeübt, um sie glaubhaft zeigen zu können. In Berlin N 65 ging Monk dann noch einen Schritt weiter und inszenierte mit Laiendarstellern, die reale Bewohner des Hauses waren, das als Handlungsort diente. Nachbarn spielten sich selbst in einem Handlungsort, der Monks Schauplatz seiner Erinnerungen sehr nahe kam. Doch trotz aller Wandlung der Mittel blieb es stets bei Monks Anspruch, die Thematik, die Geschichte, in den Vordergrund zu stellen, unter die sich die darstellende, visuelle und auditive Gestaltung unterzu- ordnen hatten. Monks Intention, die Zuschauer zu einem kritischen Bewusstsein zu >er- ziehen<, erzielte in den nachweisbaren Rezeptionen der Infratestmessungen nicht immer den gewünschten Effekt. Neben Zuspruch und Annerkennung für ein neues Fernsehspielkonzept gab es ebenso heftige Ablehnung. Es war allzu oft das >Un- bequeme< in Monks Fernsehspielinhalten, das an das Gewissen der Menschen rührte, Erinnerungen wachrief, die verdrängt waren und bleiben sollten. Doch gerade 235 an diesen, teils heftigen Reaktionen, war zumindest eines ablesbar: Es erfolgte eine Auseinandersetzung mit dem Gezeigten. In Reaktionen auf das Fernsehspiel Anfrage wurde der Umstand kritisiert, dass Monk und sein Autor >Nachgeborene< waren, denen es leicht fiel, ein Pauschalurteil über die >Väter< abzugeben. Trotzdem wurde die Auseinander- setzung mit der Schuldfrage der Kriegsteilnehmer in der Infratest-Ermittlung mit + 2 auf der Urteilsskala von -10 bis +10 bewertet. Die Sehbeteiligung lag bei 40 Prozent. Weniger gut kam das Fernsehspiel Schlachtvieh bei den Zuschauern an. Wütende Protestanrufe erreichten den Sender schon während der Ausstrahlung. Bundesbürger als willenloses Schlachtvieh zu zeigen, erregte ebenso den Unmut der Zuschauer wie die antikirchlichen Anklänge und die, für etliche schwer verständliche allegorische Darstellungsform. Eine Gesamtbewertung von – 2 war die Folge. Die Sehbeteiligung war trotz allen Ärgers hoch: 61 Prozent drehten nicht ab, sondern sahen zu. Mauern wurde wegen seines deutlichen >Lehrstückcharakters< häufig ab- gelehnt und der Vergleich von Bundeswehr und Nationaler Volksarmee als provokativ und falsch empfunden. Eher gelangweilt hatten sich etliche Zuschauer bei Wilhelmsburger Freitag. Bei einer anfänglichen Sehbeteiligung von 53 Prozent, schalteten viele vom >sprachlosen< Alltag eines Ehepaares in den Krimi des ZDFs um, der einen authentischen Kunstdiebstahl zum Thema hatte. Am Ende verfolgten aber immerhin noch 44 Prozent der Zuschauer den Fernsehfilm und beurteilten ihn letztendlich mit – 1, was angesichts der ungewöhnlichen Darstellung gar nicht so schlecht war. Ein Tag war eine Herausforderung an die Bereitschaft der Zuschauer, sich auf das Gezeigte einzulassen. Viele Zuschauerreaktionen zeigen die Erschütterung die sie empfanden. Manche konnten die realistische Darstellung des Konzentrations- lagers nicht ertragen. Etliche hatten es satt, immer wieder an die Vergangenheit er- innert zu werden. 46 Prozent der Fernsehteilnehmer sahen dennoch zu und be- urteilten die sorgfältige Rekonstruktion von Lebensumständen in einem Konzentrationslager mit + 1. Die beste Beurteilung erfuhr Monks fast authentische Schilderung der Momentaufnahme Berlin N 65 für den Episodenfilm Der Augenblick des Friedens . Sein Beitrag erhielt eine gute Beurteilung von +3 auf dem Infratest-Index. Trotzdem spiegelte sich in den Kritiken, wie schon bei Ein Tag , auch der Widerwille, wieder- holt an die Zeit der Hitler-Diktatur und deren Geschehnisse erinnert zu werden. Die 236 geringe Sehbeteiligung von 27 Prozent lässt sich so auch auf diesen Tatbestand zurückführen. Die meisten Zuschauer zogen an diesem Abend das Programm des ZDF vor, das die Unterhaltungssendung Vergissmeinnicht ausstrahlte. 1979 zeigten die ARD-Sendeanstalten NDR, HR, RB, SFB und WDR in ihren Dritten Programmen eine Retrospektive zu Filmen von Rainer Erler (WDR) und Egon Monk (NDR) mit dem Titel: Das gefiel uns damals. Im Rahmen dieser Sendereihe wurden von Monk die Fernsehspiele Anfrage , Schlachtvieh , Mauern und Wilhelmsburger Freitag gezeigt. In einer begleitenden Broschüre zur Sendung nahm Monk Stellung. Der ein- fallslose Titel der Retrospektive wurde von ihm in Erinnerung negativer Reaktionen auf seine Fernsehspiele in Frage gestellt: „ (…) denn wenn ich richtig verstehe, was das Wort >gefallen< in diesem Zusammenhang bedeutet, so haben damals weder Anfrage, noch Schlachtvieh noch Mauern noch Wilhelmsburger Freitag gefallen. Das sollten sie auch nicht. Beunruhigen, stören, unzufrieden und zweiflerisch machen, querlegen sollten sie. (…) Unangenehm auffallen sollten sie, rau sein statt glatt, schroff sein statt verbindlich, lieber hässlich als verbindlich “. 525 Aus der Distanz von etwa vierzig Jahren beurteilte Egon Monk im Jahr 2001 seine Fernsehspiele verbindlicher: „ Man kann sagen, damals hat er es so gemacht, weil er ein Zeitzeuge in einer sich stets wandelnden Welt war. Nichts als ein Zeit- genosse. Wie er es heute machen würde, wissen wir, nicht. “526

525 Egon Monk in: Das gefiel uns damals. (Hrsg.): ARD-Gemeinschaftsprogramme 1979 526 Egon Monk in: Interview am 26.11.2001 mit S.B. 237

10 Anhang

Tabellarischer Lebenslauf: Egon Monk

18.5.1927 Geburt in Berlin 1943 bis 1945 Kriegs-(„Not“-) Abitur, Flakabwehrhelfer, Arbeitsdienst in Berlin 1945 bis 1947 Schauspielschule in Berlin, versch. kurze Schauspiel- engagements, erste Begegnung mit Ulla Wollank, seiner späteren Ehefrau 1948 Aufnahme in die Regieklasse der DEFA 1949 bis 1953 Regieassistent von Bertolt Brecht am Berliner Ensemble 1950 Heirat mit Ulla Wollank 1953 bis 1957 Ein Fernsehspiel für den DFF der DDR. Arbeit als Hörspielregisseur beim RIAS-Berlin. 1957 Wechsel nach Hamburg. Arbeit als Hörspielregisseur. 1958 Die ersten beiden Fernsehspiele entstehen in der Hörspielabteilung 1960 bis 1968 Leiter und Begründer der Hauptabteilung Fernsehspiel im NDR. Gleichzeitige eigene Arbeit als Autor und Regisseur im Fernsehspiel. Gelegentliche Inszenierungen an der Hamburger Staatsoper 1968 Intendant am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg für 75 Tage 1970 bis 1981 Mitarbeiter des NDR. Freier Autor und Regisseur verschiedener Fernsehspiele . Seit den 1980er Jahren Arbeit als freier Autor und Regisseur. Mehrteilige Fernsehspiele 28.2.2007 verstorben in Hamburg 238

Preise und Ehrungen

1966 für Ein Tag Goldene Kamera, DAG-Fernsehpreis, Adolf- Grimme-Preis, Preis der freien Presse-Jury 1966 für Preis der Freiheit , zusammen mit Meichsner: Jakob- Kaiser-Preis, Fernsehpreis der Deutschen Akademie der dar- stellenden Künste, Adolf-Grimme-Preis Goldene Kamera der Fernsehzeitschrift HörZu 1973 für Bauern, Bonzen und Bomben Fernsehpreis der Deutschen Akademie der darstellenden Künste, Stern des Jahres der Münchner Abendzeitung 1987 Verleihung der Ehrenprofessur der Hansestadt Hamburg 1988 für Die Geschwister Oppermann Gold Award des Inter- national Film & Television Festival New York, Adolf- Grimme-Preis 1988 für Die Bertinis Kritikerpreis

Werkzusammenhang (Theater/Oper: Regie; Fernsehen: Buch u. Regie)

Theater/Oper

1949 Herr Puntila u. sein Knecht Matti (Brecht), Wassa Schelesnowa (Gorki), Der Hofmeister (Lenz) u.a. Brecht- Bearbeitungen 1950 Herr Puntila u. sein Knecht Matti (Brecht), Der Günstling (Wagner/Regenzy) 1951 Der Biberpelz u. Der rote Hahn (Hauptmann), Herrnburger Bericht (Brecht/Dessau) 1952/53 Die Gewehre der Frau Carrar (Brecht) 1952/53 Urfaust (Goethe) 1954 Zum guten Nachbarn (Oelschlegel) 1955 1001 Nacht (Berliner Stachelschweine) 1962 Aufstieg u. Fall der Stadt Mahagonny (Brecht/Weill) 1963 Figaro lässt sich scheiden (Klebe) 239

1964 Der goldene Bock (Krenek), Boris Godunow (Mussorgskij) 1965 Das Lächeln am Fuße der Leiter (Bilbao) 1967 Arden muss sterben (Goehr) 1967 Das Gesicht (Lenz) 1968 Über den Gehorsam (Hubalek/Monk) 1968 Die Räuber (Schiller)

Fernsehen, Regie

1953/54 Die Gewehre der Frau Carrar (Brecht) DFF 1958 Das Geld, das auf der Straße liegt (Lüddecke) NWRV 1958 Die Brüder (Bentel n. Maupassant) NWRV 1962 Das Leben des Galilei (Brecht) NDR 1963 Schlachtvieh (Geissler) NDR 1963 Wassa Schelesnowa (Gorki) NDR 1963 Mauern (Lys) NDR 1964 Wilhelmsburger Freitag (Geissler) NDR 1966 Preis der Freiheit (Meichsner) NDR 1969 Goldene Städte (Veskers) HR 1969 Die Räuber (Schiller) NDR 1975 Die Gewehre der Frau Carrar (Brecht) ZDF

Fernsehen, Buch u. Regie

1962 Anfrage (Geissler/Joachim Fest u. Egon Monk) NDR

1965 Ein Tag (m. Lys u. Hubalek) NDR

1965 Berlin N 65 (Augenblick des Friedens) (Monk) NDR

1970 Industrielandschaft mit Einzelhändlern (Monk) NDR

1973 Bauern, Bonzen und Bomben (n. Fallada) NDR

1983 Die Geschwister Oppermann (n. Feuchtwanger) ZDF

1988 Die Bertinis (n. Giordano) ZDF

240

Unveröffentlicht, da unvollendet, Stand 2005

Buch Auf dem Platz neben Brecht. Erinnerungen an die ersten Jahre des Berliner Ensembles von 1949 bis 1953 Drehbuch Die Ernennung Die letzten Wochen vor Hitlers Macht- ergreifung im Januar 1933 Drehbuch Das Café Leon Erinnerungen an den Treffpunkt der Jazz- Jugend 1943 bis 1945 in Berlin

Anmerkung: Sylvia Büttner 201 4:

Die drei erwähnten Arbeitsvorhaben Egon Monks blieben unveröffentlicht. Mutmaßlich verhinderten Krankheiten ( und Tod) die Fertigstellung. 241

Verzeichnis erwähnter Fernsehsendungen, Theaterstücke und Hörspiele

Adieu Prinzessin 64, 77, 78 Alle meine Söhne 80 Alle Tage Montag 70 An der schönen blauen Donau 78,102,103 Anfrage 16, 44, 63, 64, 79, 118, 119, 120, 121, 122, 123, 124, 125, 131, 132, 133, 135, 136, 137,138, 139, 140, 143, 147, 150, 152, 153, 154, 155, 160, 164, 182, 183, 185, 202, 203, 204, 229, 230, 231, 233, 234, 235, 236 Auf der Flucht 21 Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny 214

Bauern, Bonzen u. Bomben 8, 204, 219, 220, 221 Beobachtung eines alten Mannes 80 Besuch aus der Zone 16, 104, 105 Bonanza 22 Böhmische Schneider 73

Das Fahrrad 80 Das Geld, das auf der Straße liegt 51, 56 Das Glück läuft hinterher 80, 97 Das Halstuch 22 Das Lächeln am Fuße der Leiter 214 Das Leben des Galilei 115, 116, 117, 118, 119, 120 Das Traumhaus 80, 106, 107 Der Augenblick des Friedens: (Berlin N 65/Die weißen Vorhänge/Matura) 34, 78, 194, 195, 196, 197, 202, 203, 204, 205, 206, 210, 220, 233, 234, 235 Der Biberpelz 43, 77 Der Chef 21 Der Cornet 38 242

Der eiserne Henry 74 Der Eismann kommt 70 Der fünfzigste Geburtstag 79, 95 Der große Tag der Berta Laube 212 Der Hauptmann und sein Held 60 Der Hofmeister 43 Der Kommissar 22 Der Prozess Carl von O. 79, 101, 114 Der Richter und sein Henker 16 Der rote Hahn 43, 77 Der Spitzel 77 Der Stellvertreter 75, 124 Der Verrat 77 Der Walzer der Toreros 64, 81 Die Bertinis 8, 204, 219, 220, 224, 225 Die Brüder 51, 56 Die Dame mit dem Spitzentuch 173 Die eigenen vier Wände 80, 107, 108 Die Ermittlung 77, 79, 109 Die erste Lehre 80 Die Gentlemen bitten zur Kasse 22, 32, 74, 81 Die Geschwister Oppermann 8, 204, 219, 220, 221, 222, 224 Die Gewehre der Frau Carrar 47, 218, 226 Die jüdische Frau 77 Die Kette an deinem Hals 80, 104, 105, 213 Die Räuber 215, 216, 218 Die Rebellion 77 Die Revolution entlässt ihre Kinder 80, 91, 114, 220 Die Sendung der Lysistrata 64, 68, 80, 85, 87, 114 Die Unverbesserlichen 22, 61, 80, 100, 107 Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats 70 Diesseits und jenseits der Zonengrenze 162 Doppelkopf 217

243

Ein Außenseiter 80 Ein Tag 61, 78, 110, 175, 176, 182, 184, 185, 187,189, 191, 192, 193, 194, 204, 206, 232, 233, 234, 235 Einmal im Leben 107 Ende der Saison 78, 106

F.P.1 antwortet nicht 36 Freundschaftsspiel 212 Furcht u. Elend des Dritten Reiches 77, 78

Geibelstraße 27 80, 97 Gerhard Langhammer u. die Freiheit 80, 104 Golden Boy 80 Goldene Städte 218 Grünes Licht für helle Köpfe 214

Haben 81 Herr Puntila und sein Knecht Matti 42, 43, 226 Höhe 902 80

Ich fahre Patschold 80, 97, 98, 99 Ich möchte eine Muschel sein 69, 77, 79 Im sechsten Stock 32 In der Fremde 23 In einem Garten von Aviamo 80 Industrielandschaft m. Einzelhändlern 218

Kommissar Maigret 22 Korczak u. die Kinder 10, 78, 88, 114, 120

La Notte 171, 172

244

Mach’s Beste draus 80, 97 Maria Stuart 49 Mauern 16, 61, 79, 147, 148, 149, 151, 152, 153, 154, 155, 156, 160, 161, 162, 163, 183, 203, 204, 213, 230, 231, 233, 234, 235, 236 Mit Schirm, Charme und Melone 22 Mutter Courage und ihre Kinder 40, 45

Nach all der Zeit 79, 84 Nackt unter Wölfen 176 Nach Ladenschluss 212 Nachrede auf Klara Heydebeck 23 Nachruf auf Georg Trahnke 212 Novemberverbrecher 23, 212

Ort der Handlung Deutschland 35

Preis der Freiheit 80, 212, 213, 214

Rechtsfindung 77 Reifeprüfung 49, 50

Schlachtvieh 80, 135, 136, 138, 139, 140, 143, 144, 145, 146, 147, 150, 153, 155, 160, 164, 170, 182, 188, 203, 230, 231, 233, 234, 235, 236 Schönes Wochenende 80, 96, 97, 98 Schwarz-Rot-Gold 212 Selbstbedienung 80 Sonderurlaub 104 Stahlnetz 73 Stalingrad 78, 80, 100, 114, 115 245

Standgericht 79, 108, 114 Stille Nacht, heilige Nacht 28 Tennisschläger und Kanonen 21

Unsere kleine Stadt 44, 124 Unsere Nachbarn heute Abend: Die Schölermanns 22 Urfaust 43, 44, 45, 46 Über den Gehorsam 215

Vergissmeinnicht 210, 236 Vorspiel auf dem Theater 28

Waldhausstraße 20 78, 82, 83, 88 Wassa Schelesnowa 43, 115 Wie Phoenix aus der Asche 69 Wilhelmsburger Freitag 80, 164, 168, 169, 171, 172, 173, 174, 182, 204, 231, 233, 234, 235, 236 Wir sind noch einmal davongekommen 44

Zeit der Schuldlosen 79 Zuchthaus 80, 109, 110, 111, 112, 114 Zug der Zeit 80, 97 Zum guten Nachbarn 48 Zur letzten Instanz 70 Zwischen Samstag u. Montag 79, 113 246

Personenverzeichnis

Adenauer, Konrad 25 Ahlefeldt, Mita von 136 Ahlers, Conrad 102 Albers, Hans 36, 225 Allmeroth, Heinrich 42 Amman, Dorit 91 Andersen, Hans Christian 34, 51, 220, 225 Anouilh, Jean 81 Antonioni, Michelangelo 171 Arnold, Hans 56, 120 Apitz, Bruno 176 Augstein, Rudolf 101, 102 Baranowsky, Wolfgang Werner Paul 91 Bauer, Eva Maria 172 Bausch, Hans 87 Beyer, Frank 176 Beauvais, Peter 81, 96, 97, 98, 99 Bentel, Wolfgang 51 Berlepsch, Tilo von 108 Berling, Willy 108 Besekow, Sam 88 Bessen, Edgar 165 Betz, Kurt 87 Bilbao, Antonio 214 Bode, Elert 108 Bollmann, Horst 74 Borsche, Dieter 64 Boysen, Rolf 113, 217 Branding, Heinz-Theo 91, 108, 110

247

Brecht, Bertolt 7, 9, 33, 39, 40, 41, 42, 43, 44, 45, 46, 47, 48, 51, 55, 61, 62, 66, 77, 88, 115, 116, 117, 118, 124, 153, 162, 167, 169, 182, 184, 214, 218, 225, 226, 227, 229, 233 Brecht, Hans 58, 59, 60 Breloer, Heinrich 230 Buckwitz, Harry 215 Burmester, Gustav 95, 100, 107 Busch, Rolf 61, 62, 74, 108 Bünte, Gerhard 126 Chors, Agard 90 Condrus, Wolfgang 158 Conradi, Kurt 101 Creutzig, Heinz 196, 203, 207 Creutzig, Martha 197, 203 Dahlberg, Hannes 120 Dautzenberg, Dirk 96 Degen, Michael 222 Delling, Manfred 211 Deltgen, René 107 Denger, Fred 173 Dietrich, Bruno 136 Doermer, Christian 91 Dollfuß, Engelbert 103 Domin, Friedrich 83, 91 Dunskus, Erich 122 Dünnwald, Achim 181 Duras, Marguerite 196 Durbridge, Francis 22, 74 Dürrenmatt, Friedrich 16 Eckert, Gerhard 14, 15, 19 Eberhard, Fritz 105 Eggers, Harald 138, 186 248

Eich, Günter 73 Ellington, Duke 198, 207 Engel, Alexander 90 Erb, Ute 105 Erler, Rainer 236 Exton, Clive 74 Fabricius, Inge 91 Fallada, Hans 219, 220, 221, 225 Farenburg, Hanns 27, 28, 29, 30, 31, 32, 56, 58, 64 Fechner, Eberhard 8, 23, 61, 111, 178, 186, 217, 222, 224, 230 Fehdmer, Walter 64, 96 Feuchtwanger, Lion 220, 221, 223, 225 Fiedler, Gerlach 139 Fitz, Peter 222, 224 Flatow, Curth 107 Franju, George 196 Frankenfeld, Peter 32 Frey, Erik 103 Friedrichsen, Uwe 96, 138 Fritsch, Kurt Otto 65, 127, 138, 153, 198, 203 Fröhlich, Josef 177, 180 Geissler, Christian 118, 119, 120, 122, 131, 133, 135, 139, 140, 146, 147, 164, 172, 174, 229, 230, 231, 232 Giese, Heinz 108, 179 Gillmann, Harry 197 Giordano, Ralph 220, 221, 222, 224, 225 Glowna, Vadim 110 Glück, Wolfgang 107 Goethe, Johann Wolfgang von 28, 43, 45, 46 Gordon, von 38 Gorki, Maxim 43, 115 Gorvin, Joana Maria 217 249

Gottschalk, Hans 17, 18 Graeff, Ursula 86 Granget, Anneli 126 Grimme, Adolf 28, 31 Haas, Anneliese de 210 Harlan, Veit 37 Hartmann, Ingeborg 165 Haucke, Gert 65, 136, 141, 153, 177 Haupt, Ulrich 86, 100, 139 Hauptmann, Gerhart 43, 77 Hays, Julius 81 Hädrich, Rolf 81, 91, 110, 220, 230 Hemmann, Fritz 40 Heilmeyer, Renate 113 Heise, Gertraud 105 Held, Martin 57 Henniger, Rolf 101 Hickethier, Knut 53, 71 Hiesel, Franz 103 Hilpert, Walter 56, 120 Hitler, Adolf 64, 92, 93,102, 104, 150, 152, 155, 157, 176, 177, 183, 222, 223, 225, 235 Hochhuth, Rolf 75, 124 Hoger, Hannelore 224 Hoppe, Marianne 64 Hörbiger, Attila 103 Hörbiger, Christiane 103 Hörnemann, Herman 112 Höß, Rudolf 216 Hubalek, Claus 31, 59, 60, 91,100, 105, 109, 114, 175, 180, 194, 212, 216, 217 Imhoff, Wilhelm 215

Jacob, P. Walter 108 250

Jacobi, Ernst 65, 136, 149, 150, 153, 154, 155, 178, 188 Jaeger, Henry 109, 111, 112 Jens, Walter 211 Johannes, Albert 122, 136 Jokisch, Walter 96, 98, 122 Kappner, Peter 197, 203 Kieling, Wolfgang 86, 108, 222 Kiesinger, Kurt Georg 216 Kilian, Isot 39, 40, 41 Klose, Werner 49, 50 Koebner, Thomas 22, 109 Koeppen, Wolfgang 195 Kolarz, Henry 81 Koller, Hans 143, 170 Konno, Tsutomu 113 Konwicki, Tadeuz 197, 211 Koppel, Walter 20 Korczak, Janusz 88, 90, 91, 120 Kortner, Fritz 85, 86, 87, 115, 117 Kozuszek, Goetz 49, 58, 60, 145 König, Günter 217 Körber, Hilde 64, 95 Kramer, Gerhard 217 Kramer, Gottfried 186 Krekel, Lotti 96 Krüger, Answald 82, 101, 108, 114 Kubitschek, Ruth Maria 64 Kuhlmann, Elisabeth 107 Lammertsee, Theun 106 Lange, Carl 100, 122 Lange, Hans Joachim 53 Lange, Helmut 83 Lehmbrock, Peter 139, 153, 177, 181 251

Lenz, Jakob Michael Reinhold 43 Leonhard, Wolfgang 91, 92, 93, 94, 95, 114 Lessing, Gotthold Ephraim 55, 211 Lietzau, Hans 84 Lind, Jakov 106 Lohmann, Waltraut 10, 57, 58, 221 Lommer, Horst 31, 96, 97, 98, 99 Lossen, Robert 110 Lorenz, Bruno 39, 40, 41 Lothar, Hanns 100 Lukschy, Wolfgang 84 Lüddecke, Werner-Jörg 51 Lüdtke, Gerhard 58, 60, 145 Lys, Gunther Reinhold 60, 61, 147, 162, 163, 175, 176, 180, 193, 230, 232 Mackensy, Lutz 198 Majewski, Martin 96, 97 Mann, Heinrich 137 Martens, Hans-Günter 118 Matray, Maria 82, 101, 108, 114 Maupassant, Guy de 51 Meichsner, Dieter 16, 23, 31, 69, 105, 212, 213 Menge, Wolfgang 73 Mengele, Josef 84 Meyerhold, Wsewolod 44 Meysel, Inge 32, 62, 107 Mikoleit, Klaus 223 Miller, Glenn 207 Minamida, Yoko 113 Monk, Frieda 33, 34 Monk, Otto 33, 34 Monk, Thelonious 133 Monk, Ulla 10, 37, 42, 49, 51, 226 Musäus, Hans Peter 103 Mussolini, Benito 103 252

Müller, Peter 213 Münch, Richard 83 Münster, Clemens 22, 53, 87

Naujoks, Harry 176 Netenjakob, Egon 11, 52, 53, 54, 55, 193 Nipkow, Paul 13, 28 Offenbach, Josef 62 Olden, John 27, 32, 56, 81, 82, 83, 101, 103 O’ Neill, Eugene 70 Ossietzky, Carl von 101, 102 Otsu, Koichi 113 Paetsch, Hans 50 Palme, Conny 177 Pendrell, Ernest 70 Peters, Ina 138 Pichler, Renate 139 Pieck, Wilhelm 94 Pigge, Helmut 16, 105 Piscator, Erwin 124 Pleister, Werner 28 Plieviers, Theodor 100, 114 Prümm, Karl 194 Pulman, Jack 84 Purucker, Willy 107 Reck, Hartmut 65, 122, 125, 136, 140, 149, 151, 153, 178 Reichenberger, Stephan 35, 148 Reinshagen, Gerlind 217 Riedel, Veit Karl 19 Rilke, Rainer Maria 38 Rohrbach, Günter 20, 53 Roland, Jürgen 73 253

Ronnecker, Ernst 149, 178 Roth, Joseph 77 Roth, Paul Edwin 89 Rüden, Peter von 23 Rütting, Barbara 86 Schafheitlin, Franz 86 Schaper, Josef 177 Schenck, Jochen 179 Schiller, Friedrich von 49, 215 Schleif, Wolfgang 37 Schneider, Romy 64, 85, 86 Schomberg, Hermann 217 Schroth, Karl Heinz 107 Schröder, Arno 33, 34 Schröder, Ernst 117, 118 Schröder, Frieda 34 Schröder, Gerhard 105 Schröder, Harry 34, 35 Schröder, Horst 62, 63, 64 Schröder, Kurt 34 Schuh, Oskar Fritz 48, 215 Schütter, Friedrich 108 Schwalm, Wolfgang 111 Schwitzke, Heinz 18, 19, 27, 31, 32, 49, 50, 56 Sebaldt, Maria 97 Simon, Karl-Günter 69 Spira, Camila 153 Stadtmüller, Hans 178, 181 Staudte, Wolfgang 77 Storz, Oliver 17, 19 Striebeck, Peter 96 Sylvanus, Erwin 10, 88, 89, 90, 91, 95,114, 120 Takamatsu, Hideo 113 Tank, Kurt L. 217 254

Tappert, Horst 218 Tasiemka, Hans 67 Thälmann, Ernst 152, 157 Thiel, Frieda 33, 34 Timm, Curt 139 Tiede, Herbert 96 Topf, Till 222 Trebitsch, Gyula 20, 87 Tucholsky, Kurt 39 Ulbricht, Walter 46, 94, 149, 150, 156, 157, 163 Ulrich, Hans 139 Verhoeven, Lis 150 Veskers, Arnold 218 Vock, Harald 172 Wagenführ, Kurt 14 Wagner, Konrad 122 Wald, Siegfied 138 Wegwerth, Horst 203 Wedel, Dieter 61 Weigel, Helene 40, 41, 42, 47, 226 Weisenborn, Günter 175 Weiss, Peter 109 Wenck, Walter 209 Wildenhahn, Klaus 23 Wilder, Thornton 44, 124 Williams, Tennessee 69 Winter, Rainer 20 Wischnewsky, Siegfried 149 Witt, Claus Peter 61, 81, 105 Worell, Herta 86 Zech, Rosel 223 Zeisberg, Ingmar 136 Zimmermann, Friedrich 105 Zobel, Reinhold 90 255

Verzeichnis der Grafiken u. Tabellen

Titel u. Seitenhinweis

Graf. 01 Entwicklung genuiner u. adaptierter Fernsehspiele 1960-67 72

Tab. 01 Anzahl klassifizierter Fernsehspiele von 105 Untersuchungseinheiten 70

Tab. 02 Anteile genuiner Fernsehspiele (deutsch- u. fremdsprachig)zu Theater-, epischen u. Hörspieladaptionen 72

Tab. 03 Anzahl NDR- u. Auslandsproduktionen sowie Synchronisationen 73

Tab. 04 Anzahl Tragödien, Komödien, Schauspiele, Sonstiges (Krimis usw.) 74

Tab. 05 Häufigkeitsfeststellung: Aktualität, historischer Hintergrund, Entwicklung/Auswirkung in der Fernsehspielthematik 76

Tab. 06 Der Nationalsozialismus thematisiert im Fernsehspiel 78

Tab. 07 Der Nationalsozialismus, historischer Hintergrund und dessen Auswirkungen 79

Tab. 08 Aktuelle Problematik der 60er Jahre (BRD u. Ausland) 80

256

Auswahl aus dem Fernsehspielprogramm 1960-68 / Sendedatum

Zur letzten Instanz / 22.9.1960 Waldhausstraße 20 / 23.10.1960 Die Stunde der Antigone / 13.11.1960 Nach all der Zeit / 16.11.1960 Abendstunde im Spätherbst / 1.12.1960 Madame Sans-Gene / 18.12.1960 Das Fenster / 5.1.1961 Die Sendung der Lysistrata / 17.1.1961 Adieu Prinzessin / 24. + 31.1. + 7.2.1961 Ich möchte eine Muschel sein / 23.3.1961 Der Schwierige / 21.5.1961 Alle meine Söhne / 25.5.1961 Unseliger Sommer / 8.6.1961 Hoffnung ist ein Ding mit Federn / 9.6.1961 Aimée / 18.6.1961 Die Unterrichtsstunde / 8.7.1961 Die Falle / 24.8.1961 Die kahle Sängerin / 6.11.1961 Schau heimwärts Engel / 21.9.1961 Ein Außenseiter / 17.10.1961 Korczak und die Kinder / 26.10.1961 Das Salzburger große Welttheater / 26.11.1961 Geschichte einer Geschichte / 2.12.1961 Des unbekannten Autors unbekanntes Stück / 7.12.1961 Böhmische Schneider / 9.12.1961 Das Leben des Galilei / 11.1.1962 Golden Boy / 25.1.1962 Anfrage / 15.2.1962 Der Walzer der Toreros / 20.2.1962 Blühende Träume / 24.2.1962 Der rote Hahn 25.3.1962 Der Biberpelz / 27.3.1962 Das Schloss / 12.4.1962 257

Zeit der Schuldlosen / 18. + 19.5.1962 Die Revolution entlässt ihre Kinder / 22.,24. + 29.5.1962 Wie Phoenix aus der Asche / 13.06.1962 Warten auf Dodo / 28.6.1962 Der fünfzigste Geburtstag / 30.8.1962 Die Rebellion / 13.9.1962 Ein Buch mit Kapiteln / 25.10.1962 Rose Bernd / 15.11.1962 Der Eismann kommt / 12. + 13.12.1962 Schönes Wochenende / 30.12.1962 Stalingrad / 31.1.1963 Schlachtvieh / 14.2.1963 Das Pflichtmandat / Wie sagen wir es Caroline / 21.2.1963 Die erste Lehre / 12.3.1963 Leutnant Gustl / 26.3.1963 Wassa Schelesnowa / 4.4.1963 Der Schatten / 7.5.1963 Mauern / 30.5.1963 Was soll werden, Harry? / 2.7.1963 Den ganzen Sommer lang / 8.8.1963 Am Herzen kann man sich nicht kratzen / 19.9.1963 Stadtpark / 6.10.1963 Das Wunder des San Gennaro / 17.10.1963 Das Glück läuft hinterher / 3.12.1963 Haben / 9.1.1964 Der Prozess Carl von O. / 12.2.1964 Reisebekanntschaft / Koll / 10.3.1964 Wilhelmsburger Freitag / 19.3.1964 Wie in schlechten Romanen / 5.5.1964 Hofloge / 18.5.1964 Schaufensterpuppen / 5.7.1964 Beobachtung eines alten Mannes / 23.8.1964 Furcht und Elend des dritten Reiches / 1.10.1964 Campingplatz / 10.11.1964 In einem Garten in Aviamo / 19.11.1964 258

Ich fahre Patschold / 8.12.1964 Der Schmied seines Glücks / 3.1.1965 Das letzte Kapitel / 6.1.1965 An der schönen blauen Donau / 14.1.1965 Die Kette an Deinem Hals / 24.2.1965 Ende der Saison / 7.4.1965 Ein Tag / 6.5.1965 Die Unverbesserlichen (1) 9.5.1965 Im Schlaraffenland / 22.6.1965 Das Traumhaus / 17.7.1965 Die eigenen vier Wände / 8.8.1965 Die Katze im Sack / 18. + 19.9.1965 Der eiserne Henry / 20.10.1965 Berlin N 65 (Der Augenblick des Friedens) / 25.11.1965 Das Fahrrad / 30.11.1965 Mach´s Beste draus / 28.12.1965 Die Gentlemen bitten zur Kasse / 8., 10. + 13.2.1966 Preis der Freiheit / 15.2.1966 Die Ermittlung / 29.3.1966 Die Unverbesserlichen (2) / 15.5.1966 Das Märchen / 28.6.1966 Sozialaristokraten / 14.7.1966 Standgericht / 13.10.1966 Gesellschaftsspiel / 9.11.1966 Geibelstraße 27 / 22.11.1966 Drei Tage bis Mitternacht / 7.12.1966 Höhe 902 / 13.12.1966 Jegor Bulytschow und andere / 27.12.1966 Frank V. / 16.2.1967 Selbstbedienung / 11.3.1967 Die Unverbesserlichen (3) / 2.4.1967 Der Zug der Zeit / 9.5.1967 Zuchthaus / 25.5.1967 Zwischen Samstag und Montag / 25.7.1967 Palme im Rosengarten / 22.8.1967 259

Gerhard Langhammer und die Freiheit / 10.10.1967 Die Verfolgung und Ermordung des Jean Paul Marats / 23.11.1967

260

Bibliographie der verwendeten Presseartikel (chronologisch)

1953 Farenburg, Hanns: Von der Hand in den Mund. Gedanken zur Fernseharbeit. In: fff-press, 15.6.53

1955 Fernsehen durch die Zuschauerbrille. Das Ergebnis einer Hörerforschung des Nordwestdeutschen Rundfunks. In: Frankfurter Allgemeine, 29.6.55

1959 Uskow, Hans-Jürgen: Laien im Hörspiel. Experiment mit Zeitgeschichte. In: Die Welt, 25.8.1959 Schuhmann, Karl: Ratespiele – die große Herbstmode. In: Süddeutsche Zeitung, 13.10.59

1960 Alles drängt zum Fernsehen. Filmschauspieler steigen um – Fernsehen er- möglichte vielen die zweite Karriere. In: Funk-Uhr, Nr. 41, 15.10.60 Waldhausstraße 20 – Braune Vergangenheit im Fernsehen. In: Nürnberger Nachrichten, 24.10.60 J.Z.: Vom Elend der Verfolgten. In: Die Zeit, Funk u. Fernsehen, 28.10.60 Ferber, Christian: Nun trägt geduldige Arbeit Früchte. In: Die Welt, 31.10.60

1961 E. J.: Abseits der Routine. In: Frankfurter Allgemeine, 30.10.61 Lupus: Experiment mit dem Massengrab. In: Die Zeit, 3.11.1961

1962 Brecht auf Bühne und Bildschirm . In: Hamburger Abendblatt, 12.1.62 Sternstunde des Fernsehens . In: Hamburger Echo, 12.1.62 Volbracht A.: Gestern Abend: Brecht. Roter Kanal. In: Bild, Ausgabe Berlin, 12.1.62 s-y.: Anfrage . In: Süddeutsche Zeitung, 17./18.2.62 ts: Anfrage . In: Westfälische Nachrichten, 17./18.2.62 Rijn, Ric van: Fragen, die ohne Antwort bleiben. In: Allgemeine Zeitung Mainz, 17./18.2.62 E. J.: Ende der Gemütlichkeit? In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19.2.1962 Bilder deutscher Vergangenheit. In: Badische Neueste Nachrichten, 23.2.62 O. F., Nürnberg (Leserzuschrift). In: Nürnberger Nachrichten, 24./25.2.62 ha.: Die Revolution entlässt ihre Kinder. In: Neue Zürcher Zeitung, 28.5.1962 Das waren noch Zeiten. In: Stuttgarter Nachrichten, 14.12.62 K.: Schönes Wochenende. In: Hamburger Abendblatt, 31.12.62

1963 A. L.: Schönes Wochenende. In: Kieler Nachrichten, 2.1.63 M. L.: Am Bildschirm. In: Westdeutsche Allgemeine, 15.2.63 M. A.: Pamphlet. In: Kölnische Rundschau, 15.2.63 Will der NDR Amok laufen? In: Rheinische Post, 15.2.63 k.m.: Keine Show – Schock. In: Hamburger Morgenpost, 15.2.63 Dr. K.: Unruhe ist die erste Bürgerpflicht. In: Hamburger Echo, 15.2.63 Habernoll, Kurt: Eine neue Anfrage. Geisslers Schlachtvieh will provozieren . In: Der Abend Berlin, 15.2.63 H. M.: Ein Haufen Verrückter auf Urlaub. In: Die Rheinpfalz, 16.2.63 hdr.: Schlachtvieh. In: Süddeutsche Zeitung, 16./17.2.1963 Stellungnahme der Deutschen Bundesbahn zu >Schlachtvieh< in: Nürnberger Zeitung, 23.2.63

261

1963 Jakob, Hans-Jürgen (Leserzuschrift): Schlachtvieh. In: Hören u. Sehen, 10.- 16.3.63 Claas, Reinhold: Wir werden weiter arbeiten.“ In: Deutsche Volkszeitung, 10.5.63 Kr.: Starrsinn und Gewissensbisse. In: Nürnberger Nachrichten, 31.5.1963 W.K.: Mauern. In: Hamburger Abendblatt, 31.5.1963 g.e.: Wir sahen für Sie. In: Hessische Allgemeine, 31.5.1963 A.P.: Lehrstück. In: Kölnische Rundschau, 31.5.1963 Both, Horst: Hamburger Spezialität. In: Berliner Morgenpost, 1.6.1963 Feller, Hermann: Fernsehen unter der Lupe. In: Westfalen Blatt, 1.6.1963 Brögger, Norbert: Harte Fragen an die Väter. In: Neue Ruhr Zeitung, 1.6.1963 U.G.: Gestern und heute. In: Der Tagesspiegel, 1.6.1963 ha.: Mauern. In: Neue Zürcher Zeitung, 2.6.1963 Hgi.: Mauern. In: Niederelbe Zeitung, 2.6.1963 E. J.: Ein Stück mit Anhängsel. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4.6.1963 fi.: Menschen wie du und ich. In: Aachener Nachrichten, 5.12.63

1964 U.J.: Der Prozess Carl von O.. In: Süddeutsche Zeitung, 14.2.1964 E. J.: Abgründige Welt. In: Frankfurter Allgemeine, 17.2.64 Ossietzky und die Teufelsspur. In: Frankfurter Rundschau, 19.2.64 th.: Wilhelmsburger Freitag. In: Hamburger Abendblatt, 20.3.64 Wilhelmsburger Freitag. In: Abendzeitung München, 21.3.64 Herchenröder, Gunnar: Wilhelmsburger Freitag. In: Darmstädter Echo, 21.3.64 Momos: Wilhelmsburger Freitag . In: Die Zeit, 27.3.64 Geschichten aus dem Alltag junger Menschen gibt es viel zu selten auf dem Bildschirm. In: Telegraf Berlin, 5.4.64 Wilhelmsburger Freitag. In: Gong, 5.-11.4.64

1965 ac.: An der schönen blauen Donau. In: Neue Zürcher Zeitung, 17.1.1965 Lindberg, Jens: Kein Tag wie jeder andere. In: Hamburger Abendecho, 5.5.65 Viele sollten das sehen. In: Hannoversche Allgemeine, 6.5.65 B. D.: Banalität des Bösen. In: Kölner Stadtanzeiger, 7.5.65 Ein Tag. In: Hamburger Abendblatt, 7.5.65 I. Ue.: Die Wahrheit ohne Verbrämung. In: Neue Ruhr-Zeitung, 8.5.65 Mudrich, Heinz: Ein Tag in Deutschland. In: Saarbrücker Zeitung, 8.5.65 T.P.: Das Traumhaus. In: Badische Neueste Nachrichten, 24.7.1965 E.-G. R.: Das Traumhaus. In: Gong, Funk- und Fernsehwelt, Nr. 32, 7.8.1965 Müller-Fehn, Gert: Silberstreif am Horizont. In: Hannoversche Allgemeine Zeitung, 13.8.1965 De Haas, Anneliese: Zeitkritik im Fernsehspiel. Gespräch mit dem Regisseur Egon Monk . In: Die Welt, 21.8.65 W. K.: Die Kette an deinem Hals. In: Hamburger Abendblatt, 18.10.65 Der Blick zurück. In: Landeszeitung Lüneburg, 19.10.65 Delling, Manfred: Augenblick des Friedens. In: Süddeutsche Zeitung, 25.11.65 De Haas, Anneliese: Der Augenblick des Friedens. In: Die Welt, 25.11.1965 Hellwig, Klaus: Der Augenblick des Friedens. Ein Experiment im Fernsehen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.11.1965 Momos: Ein Text und drei Melodien. In: Die Zeit, 3.12.1965 262

1965 Eine Nacht am Stacheldraht. Gespräch mit Egon Monk. In: Kölner Stadt- anzeiger, 9.12.1965

1966 Zu >Ein Tag<: New York Herald Tribune, 11.1.66, New York Times, 11.1.66 NDR-Erfolg in USA . In: Hamburger Abendblatt, 25.1.66 Stamm, Dieter: Wir sprachen mit Egon Monk. In: Junge Stimme, Nr. 6, 26.3.66 Geibelstraße 27 . In: Südkurier Donaueschingen, 25.11.66

1967 Galweit, George M.: Henry Jaeger über seinen Fernsehfilm: Ich habe gewiss nicht übertrieben. In: Kölner Stadtanzeiger, 12.4.67 Bütow, Thomas: Reformideen hinter Gittern. In: Sonntagsblatt, 23.4.1967 Monk sagt ab und zu. Ein Kampf Frankfurt-Hamburg. In: Frankfurter All- gemeine, 11.5.67 Hallerbach, Werner: Strafe muss sein – aber muss Strafe so sein? In: Lübecker Nachrichten, 21.5.67 Team im Knast: In: Der Spiegel, 22.5.1967 fc.: Mit dem Fernsehspiel beeinflussen. In: fff-Courier, Nr. 25, 25.5.67

1968 Gott kommt nicht ins Haus . In: Der Spiegel, Nr. 36/68 Sie wollen mich so schnell wie möglich beseitigen. In: Frankfurter Rund- schau, 9.9.68 Monk - Opfer seiner selbst . In: Die Welt, 25.9.68 Egon Monk: Gegendarstellung. In: Welt am Sonntag, 29.9.68 Fernsehhonorar für Egon Monk. In: Pressemeldung des HH-Kulturamtes, 2.10.68 Kirstenmacher, Gert: Vor dem „Doppelkopf“ gepasst. In: Süddeutsche Zeitung, 15.10.68 Rumler, Fritz: Jagdszenen aus Norddeutschland. In: Der Spiegel, 21.10.68

1969 Die mißglückten Räuber erobern doch den Bildschirm . In: Hannoversche Presse, 28.2.69 u. in Die Welt, 3.3.69 Müntze, Ingeborg: Goldene Brücken für Egon Monk . In: Hamburger Abend- blatt, 14.10.69

1977 Zu >Ein Tag<: Daily Telegraph, 12.12.77

1987 Ansteckende Genauigkeit. Egon Monk dreht die Bertinis. In: Frankfurter All- gemeine, 12.12.1987 (Vgl. a. in: Augenblick, Marburger Hefte zur Medien- wissenschaft, Marburg 1995, H. 21, S. 81-87)

1992 Olsen, Fred: Fernsehen als permanentes Volkstheater. In: Hamburger Abendblatt u. Münchner Merkur, 18.5.92

1998 Meichsner, Dieter: Mir wird himmelangst vor jeder absoluten Wahrheit. In: die Welt, 9.2.1998 Zschau, Mechthild: Lernen bei einem Meister . In: Frankfurter Rundschau, 10.2.98 Zeitgeschichte kann auch unterhalten. In: Hamburger Abendblatt, 31.10./1.11.98

1999 P.B.: Geschichte verschont keinen . In: Hamburger Abendblatt, 10./11.4.99 263

Literatur

Einzelbeiträge in der Medien-Fachliteratur (chronologisch)

1952 Eckert, Gerhard: Was ist das Fernsehspiel? In: Rufer und Hörer 1952, H. 2, S. 95-99 Schwitzke, Heinz: Das Fernsehen ist da – was nun? Ansätze zu einer drama- turgischen Besinnung. In: epd/Kirche u. Rundfunk, 29.12.1952, Nr. 26, S.2-4

1953 Schwitzke, Heinz: Drei Grundthesen zum Fernsehen. In: Rundfunk und Fern- sehen 1953, 1. Jg., H. 2

1954 Gottschalk, Hanns: Fernsehspiel und Fernsehfilm. In: Rundfunk und Fern- sehen 1954, H. 1

1955 Gottschalk, Hanns: Kahlschlag im Zauberwald der Literatur. Zur Situation des Fernsehspiels. In: Rundfunk und Fernsehen 1955, 3. Jg., H. 9

1958 Münster, Clemens: Die Auswahl von Fernsehspielen. In: Rundfunk und Fern- sehen 1958, H. 2, S. 127-139

1959 hn: Wer wird nicht schuldig? In: Funk-Korrespondenz, H. 36, 9.9.1959

1960 Schwitzke, Heinz: Das Wort und die Bilder. In: Ders. (Hrsg.): Vier Fernseh- spiele. Stuttgart 1960

1963 Delling, Manfred: Private Leidenschaften interessieren mich nicht. In: Film1963, H. 2, S. 56-58 Riedel, Karl Veit: Das Fernsehspiel als Kunstgattung. In: Rundfunk und Fernsehen 1963, 11. Jg., H. 1 Storz, Oliver: Gibt es schon Fernseh-Regeln? In: Katz, Anne Rose: Vierzehn Mutmaßungen über das Fernsehen. München 1963, S. 128-166

1965 Netenjakob, Egon: Die einzig mögliche Form. In: Funk-Korrespondenz, Nr. 21, 20.5.65 Simon, Karl Günter: Die Anfragen des Egon Monk. In: Film 1965, Nr. 10, S.36-37 Der Augenblick des Friedens. In: epd/Kirche u. Rundfunk, Nr. 46, 27.11.1965 Trapmann, Margret: Dreimal Frieden. In: Funk-Korrespondenz, Nr. 49, 2.12.1965

1966 Netenjakob, Egon: Weltliteratur für alle. Drei Jahre Fernsehspiel beim ZDF- Anmerkungen zu einem Spielplan und seiner Tendenz. In: Funk- Korrespondenz, Nr. 22, 26.5.1966, S. 1-5 Netenjakob, Egon: Eine politische Mission. Fünf Jahre Fernsehspiel des NDR (1961-1965). Eine Konzeption und ein Spielplan. In: Funk-Korrespondenz, Nr. 47, 17.11.1966, S. 1-4 Netenjakob, Egon: Das Leben der Menschen miteinander. Genügt das als Konzeption? Fünf Jahre Fernsehspiel des WDR – Anmerkungen zu einem Spielplan. In: Funk-Korrespondenz, Nr. 43, 20.10.1966, S. 2 264

Netenjakob, Egon: Was für das Publikum gut ist. Fünf Jahre Fernsehspiel des Bayerischen Rundfunks. Anmerkungen zu einem Spielplan, der für Zuschauer gemacht ist. In: Funk-Korrespondenz, Nr. 51-52, 15.12.1966, S. 1-3

1967 Netenjakob, Egon: Endlich eine Fernsehspiel-Konzeption beim WDR. In: Funk-Korrespondenz, Nr. 3, 19.1.1967, S. 7-9 Kließ, Werner: Egon Monks Hamburger Dramaturgie. Das Fernsehspiel „Zuchthaus“, inszeniert von Rolf Hädrich, produziert von Egon Monk. In: Film 1967, Nr. 6, S. 38-39

1969 Netenjakob, Egon: Wo steht das Fernsehspiel? Ein paar Fakten und Ge- danken zu einer Art Zwischenbilanz. In: Funk-Korrespondenz, Nr. 32, 7.8.1969, S. 1-6

1975 Koebner, Thomas: Das Fernsehspiel – Themen und Motive. In: Rüden, Peter von (Hrsg.): Das Fernsehspiel. Möglichkeiten und Grenzen. München 1975, S. 20-65 Rüden, Peter von: Fernsehspiel oder Spiel im Fernsehen – Anmerkungen zu einer Programmform. In: Ders. (Hrsg.): Das Fernsehspiel. Möglichkeiten und Grenzen. München 1975, S. 11-20

1976 Netenjakob, Egon: Jeden Sommer einen Lommer. Die Adenauer-Ära in TV- Lustspielen von Lommer und Beauvais. In: Medium 1976, 6. Jg., H. 1, S. 18- 20

1977 Hickethier, Knut: Für eine Programmgeschichte des Fernsehspiels. In: Kreuzer, Helmut (Hrsg.): Literaturwissenschaft-Medienwissenschaft. Heidel- berg 1977, S. 81-102 Netenjakob, Egon: Realismus und Fernsehspiel. In: ARD (Hrsg.): 25 Jahre Deutsches Fernsehen 1952-1977 . München 1977, S. 113-127 Rohrbach, Günter: Das Subventions-TV. Plädoyer für den amphibischen Film. In: Pflaum, Hans Günther (Hrsg.): Jahrbuch Film . München/Wien 1977/78, S. 95-100

1979 Hickethier, Knut: Fiktion und Fakt. Das Dokumentarspiel und seine Ent- wicklung bei ARD und ZDF. In: Kreuzer, Helmut; Prinzler, Karl (Hrsg.): Fernsehsendungen und ihre Formen. Typologie, Geschichte und Kritik des Programms in der Bundesrepublik Deutschland. Stuttgart 1979, S. 53-68 Kreuzer, Helmut: Von der Nippkow-Scheibe zum Massenmedium. In: Kreuzer, Helmut; Prümm, Karl (Hrsg.): Fernsehsendungen und ihre Formen . Stuttgart 1979, S. 9-25

1980 Hickethier, Knut: Quantitative Daten zur Entwicklung des Originalsfernsehspiels. In: Ders.: Das Fernsehspiel der Bundesrepublik. Stuttgart 1980, S. 233 ff. sowie S. 92-96 Monk, Egon: Hans Christian Andersen. Märchen. In: Raddatz, Fritz J. (Hrsg.): Die Zeit-Bibliothek der 100 Bücher. Frankfurt a. M. 1980, S. 245-250

1981 Hickethier, Knut: Das Fernsehspiel in der Adenauer-Ära. In: ARD (Hrsg.): ARD-Fernsehspiel . 1981, H. 1, S. 16-31

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1983 Prümm, Karl: Was unsere Zeit noch in Bewegung hält. Ein Interview mit Egon Monk über >Die Geschwister Oppermann<. In: Kirche und Rundfunk, Nr. 10, 5.2.1983 siehe auch 1995: Artikel identisch

1984 Das Fernsehspiel auf der Suche nach Identität. Eine Diskussionsauf- zeichnung mit Hans Jahnke, Mainzer Tage der Fernsehkritik. In: Hillrichs, Hans-Helmut; Ungureit, Heinz (Hrsg.): Fernseh-Kritik. Filmkultur. Zum Stand der Beziehungen zwischen Kino und Fernsehen. Mainz 1984, S. 85-105

1988 Rohrwasser, Michael: Vorwort . In: Lys, Gunther R.: Irma Grese oder das Abgründige im Menschen. Berlin 1988 Wagenführ, Kurt: Die Anfänge der Fernsehkritik. In: Saur, Karl-Otto; Stein- metz, Rüdiger (Hrsg.): Fernsehkritik. Kritiker und Kritisierte. München 1988, S. 14

1992 Becker, Marie-Luise: Vom Revisionismus zur Großmachtstellung. Deutsche Außenpolitik 1933 bis 1939. In: Bracher, Karl-Dietrich; Funke, Manfred; Jacobsen, Hans-Adolf (Hrsg.): Deutschland 1933-1945. Neue Studien zur nationalsozialistischen Herrschaft. Bonn 1992, S. 315-330 Elsner, Monika; Müller, Thomas; Spangenberg, Peter M.: Zwischen utopischer Phantasie und Medienkonkurrenz. Zur Frühgeschichte des Deutschen Fernsehens (1926-1935). In: Hickethier, Knut (Hrsg.): Fernsehen, Wahrnehmungswelten, Programmsituation und Marktkonkurrenz. Frankfurt a. M. 1992, S. 131-143

1993 Adolph, Jörg; Scherer, Christina: Tabellen zur Programm- u. Institutions- geschichte des Fernsehens in der Bundesrepublik Deutschland. In: Hickethier, Knut (Hrsg.): Institution, Technik und Programm. Rahmenaspekte der Programmgeschichte des Fernsehens. (= Geschichte des Fernsehens in der Bundesrepublik Deutschland hrsg. v. Kreuzer, Helmut und Thomsen, Christian W. Bd. 1) München 1993, S. 405-418 Bleicher, Joan Kristin: Institutionsgeschichte des bundesrepublikanischen Fernsehens . In: Hickethier, Knut: Institution, Technik und Programm. Rahmenaspekte der Programmgeschichte des Fernsehens. (= Geschichte des Fernsehens in der Bundesrepublik Deutschland hrsg. v. Kreuzer, Helmut und Thomsen, Christian W. Bd. 1) München 1993, S. 67-134 Bleicher, Joan Kristin: Chronik der Institutionsgeschichte des deutschen Fernsehens. In: Hickethier, Knut: Institution, Technik und Programm. Rahmenaspekte der Programmgeschichte des Fernsehens. (= Geschichte des Fernsehens in der Bundesrepublik Deutschland hrsg. v. Kreuzer, Helmut und Thomsen, Christian W. Bd. 1) München 1993, S. 372 Göttler, Fritz: Westdeutscher Nachkriegsfilm. In: Jacobsen, Wolfgang; Kaes, Anton; Prinzler, Hans Helmut (Hrsg.): Geschichte des deutschen Films. Stuttgart 1993, S. 171-210 Hickethier, Knut: Dispositiv Fernsehen, Programm- und Programm- strukturen in der Bundesrepublik Deutschland. In: Ders. (Hrsg.): Institution, Technik und Programm. Rahmenaspekte der Programmgeschichte des Fern- sehens. (= Geschichte des Fernsehens in der Bundesrepublik Deutschland hrsg. v. Kreuzer, Helmut und Thomsen, Christian W., Bd. 1) München 1993, S. 171-237 266

Hickethier, Knut: Deutsche Verhältnisse im Fernsehfilm. Die Herstellung der Einheit als Aufgabe im Fernsehfilm und ihre Analyse als Aufgabe eines Projekts. In: Universität Siegen, DFG-Sonderforschungsbereich (Hrsg.): Deutsche Verhältnisse. Beiträge zum Fernsehspiel und Fernsehfilm in Ost und West. Siegen 1993, Arbeitshefte Bildschirmmedien, Nr. 41. S. 7-32 Kaes, Anton: Film in der Weimarer Republik. In: Jacobsen, Wolfgang; Kaes, Anton; Prinzler, Hans Helmut (Hrsg.): Geschichte des deutschen Films. Stuttgart 1993, S. 39-100 Kreuzer, Helmut; Thomsen, Christian W.: Vorwort zur Geschichte des Fern- sehens in der Bundesrepublik Deutschland. In: Hickethier, Knut: Institution,Technik und Programm. Rahmenaspekte der Programmgeschichte des Fernsehens. (= Geschichte des Fernsehens in der Bundesrepublik Deutschland hrsg. v . Kreuzer, Helmut und Thomsen, Christian W. . Bd. 1) München 1993 , S. 5-13 Witte, Karsten: Film im Nationalsozialismus. In: Jacobsen, Wolfgang; Kaes, Anton; Prinzler, Hans Helmut: Geschichte des deutschen Films. Stuttgart 1993, S. 119-170 Zielinski, Siegfried: Zur Technikgeschichte des BRD-Fernsehens. In: Hickethier, Knut (Hrsg.): Institution,Technik und Programm. Rahmenaspekte der Programmgeschichte des Fernsehens. (= Geschichte des Fernsehens in der Bundesrepublik Deutschland hrsg. v. Kreuzer, Helmut und Thomsen, Christian W. Bd. 1) München 1993, S. 135-168

1994 Hickethier, Knut: Zwischen Einschalten und Ausschalten. Fernsehgeschichte als Geschichte des Zuschauens. In: Faulstich, Werner (Hrsg.): Vom Autor zum Nutzer: Handlungsrollen im Fernsehen. (= Geschichte des Fernsehens in der Bundesrepublik hrsg. v. Kreuzer, Helmut und Thomsen, Christian W . Bd. 5) München 1994, S. 119-216 Hickethier, Knut: Das Fernsehspiel oder Der Kunstanspruch der Erzähl- maschine Fernsehen. In: Schanze, Helmut; Zimmermann, Bernhard (Hrsg.): Das Fernsehen und die Künste. (= Geschichte des Fernsehens in der Bundes- republik Deutschland hrsg. v. Kreuzer, Helmut und Thomsen, Christian W. Bd. 2) München 1994, S. 303-346 Schumacher, Heidemarie: Ästhetik, Funktion und Geschichte der Magazine im Fernsehprogramm der BRD. In: Ludes, Peter; Schumacher, Heidemarie; Zimmermann, Peter (Hrsg.): Informations- und Dokumentarsendungen. (= Geschichte des Fernsehens in der Bundesrepublik Deutschland hrsg. v . Kreuzer, Helmut und Thomsen, Christian W. Bd. 3) München 1994, S. 101- 169

1995 Prümm, Karl: Inszeniertes Dokument und historisches Erzählen. In: Augen- blick, H. 21, Marburg 1995, S. 34-51 Prümm, Karl: Was unsere Zeit noch in Bewegung hält. Ein Interview mit Egon Monk über ,Die Geschwister Oppermann´. In: Augenblick, H. 21, 1995, S. 72-80 siehe auch unter 1983: Artikel identisch

1998 Hickethier, Knut: Fernsehspiel und Fernsehfilm, Theater und Dokumentar- spiel. In: Geschichte des deutschen Fernsehens . Stuttgart 1998, S. 242-253 Hickethier, Knut: Das Fernsehspiel zwischen Theater und Film. In: Ders.: Geschichte des deutschen Fernsehens . Stuttgart 1998, S. 291-292

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1999 Monk, Egon: Anmerkungen zum Wilhelmsburger Freitag. In: Wiebel, Martin (Hrsg.): Deutschland auf der Mattscheibe. Frankfurt A. M. 1999, S. 71-78 Monk, Egon: Ein Tag – Ein Film für, nicht gegen Zuschauer. In: Wiebel, Martin (Hrsg.): Deutschland auf der Mattscheibe. Frankfurt A. M. 1999, S. 81-84

2013 Brunow, Dagmar: Western. In: Kuhn, Markus; Scheidgen, Irina; Weber, Nicola Valeska (Hrsg.): Filmwissenschaftliche Genreanalyse. Eine Ein- führung. S. 39-61 268

Bücher (alphabetisch n. Autoren)

Bracher, Karl-Dietrich; Funke, Manfred; Jacobsen, Hans-Adolf (Hrsg.): Deutsch- land 1933 bis 1945. Neue Studien zur nationalsozialistischen Herrschaft. Bonn 1992 Brück, Ingrid: Alles klar, Herr Kommissar? Die Entwicklungsgeschichte des Krimis unter den Bedingungen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens in den 50er und 60er Jahren. Halle 1999 Brück, Ingrid; Guder, Andrea; Viehoff, Reinhold; Wehn, Karin (Hrsg.): Der deutsche Fernsehkrimi. Eine Programm- und Produktionsgeschichte von den An- fängen bis heute. Stuttgart 2003

Diercks, Carsten: Die Welt kommt in die Stube. Hamburg 2000

Eckert, Gerhard: Die Kunst des Fernsehens. Emsdetten 1953

Fallada, Hans: Bauern, Bonzen und Bomben. Hamburg 1964/1997 Faulstich, Werner (Hrsg.): Vom Autor zum Nutzer: Handlungsrollen im Fernsehen. (= Geschichte des Fernsehens in der Bundesrepublik hrsg. v. Kreuzer, Helmut und Thomsen, Christian W .) München 1994, Bd. 5 Fest, Joachim: Der Untergang. Berlin 2002 Feuchtwanger, Lion: Die Geschwister Oppermann. Berlin 1963/1999 Friedrichs, Jürgen: Methoden empirischer Sozialforschung. Opladen 1980

Giordano, Ralph: Die Bertinis. Frankfurt a. M. 1985 Goral-Sternheim, Arie: Der Hamburger Carl von Ossietzky und das Gewissen einer Stadt. Hamburg 1989

Hecht, Werner: Brecht. Sein Leben in Bildern und Texten. Frankfurt a. M. 1988 Hickethier, Knut: Das Fernsehspiel der Bundesrepublik. Themen, Form, Struktur, Theorie und Geschichte 1951-1977 . Stuttgart 1980 Hickethier, Knut: Fernsehspielforschung in der Bundesrepublik und der DDR 1950- 1985. Bern 1989 Hickethier, Knut (Hrsg.): Fernsehen, Wahrnehmungswelten, Programmsituation und Marktkonkurrenz . Frankfurt a. M. 1992 Hickethier, Knut (Hrsg.): Institution, Technik und Programm. Rahmenaspekte der Programmgeschichte des Fernsehens. (= Geschichte des Fernsehens in der Bundes- republik Deutschland hrsg. v. Kreuzer, Helmut und Thomsen, Christian W .) München 1993, Bd. 1 Hickethier, Knut: Geschichte der Fernsehkritik in Deutschland. Berlin 1994 Hickethier, Knut: Film- und Fernsehanalyse. Stuttgart 1996 Hickethier, Knut: Geschichte des deutschen Fernsehens. Stuttgart 1998 Hißnauer, Christian; Schmidt, Bernd: Wegmarken des Fernsehdokumentarismus. Die Hamburger Schulen. Konstanz 2013

Jacobsen, Wolfgang; Kaes, Anton; Prinzler, Hans Helmut (Hrsg.): Geschichte des deutschen Films. Stuttgart 1993

Kesting; Marianne: Brecht. Reinbek b. Hamburg 1959/2001 269

Kogon, Eugen: Der SS-Staat. Das System der deutschen Konzentrationslager . München 2012 Kreuzer, Helmut; Prümm, Karl: Fernsehsendungen und ihre Formen . Stuttgart 1979

Leonhard, Wolfgang: Die Revolution entlässt ihre Kinder . Köln/Berlin 1955 Licharz, Werner: Janusz Korczak – mehr als ein Credo. Frankfurt a. M. 1997 Lind, Jakov: Eine Seele aus Holz. Neuwied 1962 u. München 1984 Ludes, Peter; Schumacher, Heidemarie; Zimmermann, Peter (Hrsg.): Informations- und Dokumentarsendungen. (= Geschichte des Fernsehens in der Bundesrepublik Deutschland hrsg. v. Kreuzer, Helmut und Thomsen, Christian W .) München 1994, Bd. 3 Lys, Gunther R.: Kilometerstein 12,6. Frankfurt A. M. 1987

Mahl, Bernd: Brechts und Monks Urfaust-Inszenierung mit dem BE 1952/53. Stuttgart 1986 Merten, Klaus: Inhaltsanalyse. Opladen 1983 Moeller, Felix: Der Filmminister. Goebbels und der Film im Dritten Reich. Berlin 1998 Monaco, James: Film verstehen. Reinbek b. Hamburg 1995

Netenjakob, Egon: Liebe zum Fernsehen. Berlin 1984 Nowell-Smith, Goeffrey (Hrsg.): Geschichte des internationalen Films. Stuttgart 1998

Prinzler, Hans Helmut: Chronik des deutschen Films 1895-1994 . Stuttgart 1995

Raddatz, Fritz J. (Hrsg.): Die Zeit-Bibliothek der 100 Bücher. Frankfurt a. M. 1980 Rüden, Peter von (Hrsg.): Das Fernsehspiel. Möglichkeiten und Grenzen. München 1975 Rüden, Peter von; Wagner, Hans Ulrich (Hrsg.): Die Geschichte des Nordwest- deutschen Rundfunks. Bd. 1. Hamburg 2005 (Bd. 2 siehe unter Wagner, Hans Ulrich)

Scholz, Markus: Die Drehbuchmacher. Köln 1988 Schanze, Helmut; Zimmermann, Bernhard (Hrsg.): Das Fernsehen und die Künste. (= Geschichte des Fernsehens in der Bundesrepublik Deutschland hrsg. v. Kreuzer, Helmut und Thomsen, Christian W .) München 1994, Bd. 2 Schwitzke, Heinz: Vier Fernsehspiele. Stuttgart 1960 Schwitzke, Heinz: Das Hörspiel. Dramaturgie und Geschichte. Köln/Berlin 1963 Sylvanus, Erwin: Korczak und die Kinder . St. Gallen 1959

Wagner, Hans Ulrich: NDR-Geschichte(n) . Hamburg fortlaufend seit 2003 Wagner, Hans Ulrich (Hrsg.): Die Geschichte des Nordwestdeutschen Rundfunks. Bd. 2. Hamburg 2008 (Bd. 1 siehe Unter Rüden, Peter von) Wiebel, Martin: Deutschland auf der Mattscheibe. Die Geschichte der Bundes- republik im Fernsehspiel. Frankfurt a. M. 1999 270

Videos

Anfrage Schlachtvieh Mauern Wilhelmsburger Freitag Ein Tag Der Augenblick des Friedens Die Sendung der Lysistrata Schönes Wochenende Der Prozess Carl von O. Zuchthaus

Infratest

Angaben zu NDR-Fernsehspielen der Jahre 1960-1968 / NDR-Papierarchiv: Kopien aus Aktenordnern, soweit vorhanden (lose Blattsammlung)

Unveröffentlichte Quellen

Notizen Egon Monks aus den Jahren 1960 bis 1968 Produktionsprotokolle einzelner Fernsehspiele des NDR NDR-Verträge mit Schauspielern, Regisseuren, Übersetzern usw. Vier mehrstündige Interviews von Sylvia Büttner mit Egon Monk vom 6. und 26.11.2001, 1. und 9. Juni 2004

Private Redemanuskripte

Egon Monks Rede zur DAG-Fernsehpreisverleihung von 1966 Egon Monk anlässlich einer Retrospektive seiner Filme in Brasilien mit dem Goethe- Institut von 1986

ARD/NDR- Sendebegleitmaterial

25 Jahre deutsches Fernsehspiel 1952-1977 . München 1977 Fernsehspielverzeichnisse 1960-1968 / Originalverzeichnisse in Papierform, Theaterprogrammheften nachempfunden / Im Privatbesitz von Sylvia Büttner, Ge- schenk von Egon Monk an die Verfasserin der Dissertation Broschüre von 1979: Das gefiel uns damals. Die Regisseure Rainer Erler / Egon Monk. Acht Fernsehspiele im gemeinsamen Sommerprogramm der Dritten Programme von HR, NDR, RB, SFB, WDR. In: Pressestelle des WDR (Hrsg): Redaktion Hans Brecht (NDR); Hartwig Schmidt (WDR) / NDR-Papierarchiv (ebenso siehe oben) ARD-Fernsehspiel, 1. Quartal 1979 (Hrsg. ARD) / NDR Papierarchiv : Kopien aus Aktenordnern ( lose Blattsammlung) / Bachem Verlag 1979 (?) (Publikationsort?) ZDF-Informations- u. Pressematerial zu Die Geschwister Oppermann . In: Das Fern- sehspiel im ZDF , Dez. 1982-Febr. 1983, H. 39. Mainz 1982 271

Informationsquellen unterschiedlicher Herkunft

Monk: Gastvortrag an der Freien Universität Berlin, 5.12.1987 (Videoaufzeichnung) Anlagen und Informationen zum Hörspiel Reifeprüfung von Werner Klose, 1959 Bertolt-Brecht-Archiv, BBA-Drucksache 4, 1993 Deutsches Rundfunkarchiv Internationaler biographischer Pressedienst, Nr. 56, 17.2.1960; Nr. 31, 6.2.1978 Interpress, internationaler biographischer Pressedienst, Nr. 31, 1978 Klünder, Achim; Lavies, Hans-Wilhelm: Fernsehspiele in der ARD 1952-1972. (Verzeichnis) Frankfurt a. M. 1978 Munzinger-Archiv NDR-Archive NDR-Bibliothek NDR-Datenbänke Neue deutsche Biographie. Hrsg: Bayerische Akademie der Wissenschaften, Berlin 1999, Bd. 19 Zeutzschel Biographien. Hrsg.: Rheinverlag Günter Zeutzschel, 1969, Stand 1979

Fernsehsendungen (Videos/Ausstrahlungen/schriftl. Fixierungen)

Ort der Handlung Deutschland. Egon Monk und seine Filme. Filmdokumentation NDR 1985 von Stephan Reichenberger in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut Mußte man Nazi werden? SFB-Talk-Show >Freitagnacht<, Ausschnitt vom 4.11.1988 Fernsehen als Zeitgeschichte. 50 Jahre Fernsehfilm. Vom Fernsehspiel zum TV- Spielfilm. ZDF u. 3sat, 1.3.2001 Der Todesengel von Auschwitz – Josef Mengele. Zweistündige Fernseh- dokumentation des israelischen Regisseurs Dan Statton, 1995. Spiegel-TV, VOX, 30.1.2004 Zentrale des Terrors. Fernsehdokumentation über Stasi-Gefängnisse. MDR, 10.11.2004

Verschiedene Lexika wie:

Heinzelmeier, Adolf: Lexikon der deutschen Film- und Fernsehstars. Berlin 2000 Netenjakob, Egon: TV-Filmlexikon. Regisseure, Autoren, Dramaturgen 1952-1992 . Frankfurt a. M. 1994 u. allgemeine Standardlexika

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Eidesstattliche Versicherung

Hierdurch versichere ich an Eides Statt, dass ich die Arbeit selbstständig angefertigt, andere als die von mir angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt und die den herangezogenen Werken wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe.

Hamburg, 5. Januar 2015

Sylvia Büttner