Anton Bruckner
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Anton Bruckner Rudolf Louis 1918 1 G. Müller München VORWORT ZUR ZWEITEN AUFLAGE m 15. November 1914 hat Rudolf Louis, der Verfasser des vorliegenden A Buches, das Zeitliche gesegnet. Einem tätigen Leben wurde mit seinem Tode das Ziel gesetzt, einem Leben, das schon viel an fruchtbarer Arbeit getan hatte und noch viel für die Zukunft verhieß. Es ist der Ausfluss eines natürlichen Gefühles beim Tode Frühvollendeter — und auch Rudolf Louis darf man mit seinen 44 Jahren gewiss um so mehr zu diesen rechnen, als er sich in seinen Anschauungen und Empfindungen die volle Frische, die stets bereite Aufnahmefähigkeit eines jungen Menschen bewahrt hatte — nach dem zu fragen, was alles sie noch hervorzubringen imstande gewesen sein möchten, wenn ihnen die Vorsehung ein längeres Leben beschieden hätte. Aber so natürlich Betrachtungen darüber erscheinen, so müßig sind sie. Wir wollen sie bei Rudolf Louis nicht anstellen, brauchen es auch schon deshalb nicht zu tun, weil von den beiden Hauptzügen seiner Tätigkeit, der des Theoretikers und Erziehers und der des Historikers und Ästhetikers, vollwertige Zeugnisse in Gestalt von Büchern vorliegen, worin die Ergebnisse seiner praktischen Arbeit eines musikalischen und philosophischen Denkers festgelegt sind. Ein hervorstechender Zug bei ihm war es, dass er sich in seiner Erkenntnis der Kunst und der Künstler nicht mit dem einmal Gewonnenen zufrieden gab und sich nicht für ewige Zeiten darauf einschwor. Gewiss ist er nie von bestimmten Axiomen abgewichen, die als eingeborene Empfindungssätze fest und unverrück- bar in ihm ruhten. Doch bewahrte er sich stets die Freiheit kritischen Urteils auch sich selbst gegenüber und hat sich nicht gescheut, seine Wandlungen und Entwicklungen zu bekennen, ohne alle falsche Scham, dass man ihm vielleicht Inkonsequenz in seiner Wertung der verschiedenen Erscheinungen der Tonkunst vorwerfen könnte. So ist es unverkennbar, dass er, der in seiner Jugend die Größe des Wollens (den Einfall, die Erfindungskraft, den Empfindungsinhalt) obenan gestellt hatte, nach und nach zu größerer Wertschätzung des „Artistischen” im Kunstschaffen gelangte, dass er immer strenger in der Forderung wurde, dem Wollen müsse das Können, der Empfindung der Gedanke gemäß sein, ja, dass er dem Artistischen an sich immer stärkeren Reiz abgewann. Das führte ihn von selbst dazu, der Form, mit deutlicher Hinneigung zu ihrer bestimmten Umgren- zung als Schema, immer höhere Geltung zuzubilligen. Hieraus ist es zu erklären, 2 3 dass der frühere leidenschaftliche Gegner von Brahms zu einem Anhänger des Hamburger Meisters wurde. Rudolf Louis zeigt sich uns als ein vornehmlich aufs Kritische gerichteter Geist. Die Grundlage seines kritischen Tuns war jedoch schöne Begeisterung, die ihn dem Künstler verwandt machte, und die Kritik erschien mehr als Ergebnis eines nachfolgenden Denkvorganges, denn dass sie von vornherein vorhanden gewesen wäre. Gefühl war bei ihm das erste; der Verstand trat gleichsam als richtunggebende und lenkende Kraft hinzu. Auch hatte er, der nichts weniger als Rationalist war, eine Scheu vor großen Worten, wie sie die Überschwänglichkeit des erregten Gefühles gern gebiert. Es lebte in ihm das Gebot, das, was ihm sein Gefühl für schön oder hässlich, kostbar oder wertlos erklärte, in seinen Ursachen zu erfassen. Die Kritik entsprang also bei ihm dem Erkenntnistriebe und war, was jede echte Kritik im Grunde ist, nicht richterliches Urteil, sondern Bekenntnis und Erkenntnis. Eine Erkenntnis, die die Dinge so sehen will, wie sie sind, und nicht, wie man sie gern haben möchte, ist nicht ohne eine gute Dosis Skepsis — gegen sich selbst, wie gegen die Erscheinungen der Kunst — zu gewinnen. Das Ziel solcher Erkenntnis ist Wahrhaftigkeit. Der Wunsch, es zu erreichen, beseelte Rudolf Louis in dem Maße, dass er auch die Kunst, der er schwärmerisch zugetan war, nicht in himmelblau und rosa auf Goldgrund malte; auch war er zu sehr Künstler, als dass er nicht gewusst hätte, dass kräftige Schatten das Licht um so heller hervortreten lassen. Seine Charakterzeichnung des Menschen und des Künstlers Anton Bruckner, die jetzt in neuer Ausgabe erscheint, kündet von diesem gleichermaßen vom ethischen, wie vom ästhetischen Empfinden gespeisten Drange auf mancher Seite. Es kommt nicht darauf an, ob wir uns bei diesen Abwägungen in jeder Einzelheit auf der Seite des Verfassers finden, ob wir uns nicht vielmehr mit berechtigten Einwendungen einmal dagegen zu wenden haben: das jedoch müssen wir unum- wunden anerkennen und aussprechen, dass er seine Absicht, ein Charakterbild Bruckners, wie er es sah, zu zeichnen, in ganz vorzüglicher Weise ausgeführt hat. Sein Bruckner-Buch ist das grundlegende Werk über den gigantischen ös- terreichischen Meister und wird es bleiben, auch wenn umfangreichere und in Einzelheiten umständlicher ausgeführte Lebens- und Werkbeschreibungen folgen sollten; seine im Vorworte zu der ersten Ausgabe geäußerte Befürchtung über das Schicksal der ersten Biographen wird für seine Arbeit keine Geltung erhalten. Louis hat sein Buch vor seinem Tode noch vollkommen durchgearbeitet. Wenn es ihm nicht gegönnt war, auch die Herausgabe der neuen Form zu erleben, so durfte er doch mit dem ruhigen Bewusstsein scheiden, dass diese von seiner Hand bis ins letzte fertig gemacht worden war; jedes Wort der neuen Ausgabe ist sein Eigentum. Louis’ Witwe und sein Verleger, denen Dr. Walter Courvoisier in München wertvolle Dienste geleistet hat, erblickten ihre Aufgabe mit Recht vor allem in einer getreuen Wiedergabe seiner Handschrift. Aus dem Gesagten geht schon hervor, dass wir es in der neuen Ausgabe keineswegs mit einem wortwörtlichen Abdruck der ersten zu tun haben. Außer der stilistischen Überprüfung, die für eine Reihe von Worten eine noch schärfere Prägung des Ausdruckes wählte und selbst geringfügige Daten und Zahlen durch 4 genauere Angaben ersetzte, findet der aufmerksame Leser der ersten und der zweiten Ausgabe eine Menge kleinerer und größerer Stellen, die teils umgear- beitet, teils durchaus neu entstanden sind. Veröffentlichungen, wie namentlich die Materialiensammlung von Franz Gräflinger: Anton Bruckner, Bausteine zu seiner Lebensgeschichte, die nach dem Erscheinen der ersten Ausgabe auf den Büchermarkt gekommen sind, sind von Louis mit kritischer Sichtung verwertet, bezeichnende Züge aus seinem Leben eingefügt worden. Die veränderte Stellung Louis’ zu Brahms hat einzelnes anders gefärbt. Über Gang und Umfang der Schulbildung Bruckners, über seine materielle Versorgung, seine Beziehungen zur Linzer Liedertafel und seine schwere Erkrankung im Sommer 1867 erfahren wir gleich in dem ersten Kapitel mancherlei Unbekanntes. Eine ganz neue und eingehender ausgeführte Darstellung hat die Reise Bruckners nach Nancy, Paris und London gefunden, die, soweit es bisher möglich war, Wahrheit und Legende voneinander geschieden hat; daran schließt sich eine kurze Betrachtung über die Einschätzung Bruckners als Orgelspieler durch Zeitgenossen, Ebenso hat Louis Bruckners Verhältnis zum weiblichen Geschlecht heller beleuchtet. Wichtiger freilich, als diese auf das äußere Leben Bruckners sich beziehenden Änderungen, sind jene, die in den von Bruckners Schaffen handelnden Kapiteln enthalten sind. Mehr noch als der Abschnitt „Kirchen- und Chormusik” bringt das Kapitel „Die Brucknersche Symphonie” bedeutsame Umarbeitungen und Einschiebungen, die von Louis’ rastlosem Bemühen künden, das, was er selbst in Bruckners Kunst erlebt und was er als ihr Wesen erkannt hat, in klarer, überzeugender Form mitzuteilen; u. a. hat er darin wertvolle Untersuchungen über die Thematik, die Harmonik und den Kontrapunkt Bruckners eingesetzt. Die umfangreichste Änderung der neuen Ausgabe ist die Hinzufügung eines Anhanges, der in seinem ersten Teile „Urkunden zur Lebensgeschichte Anton Bruckners”, in dem zweiten, als beredtes kulturgeschichtliches Zeugnis, eine Zusammenstellung von Zeitungsausschnitten „Zur Beurteilung Anton Bruckners durch die zeitgenössische Wiener Kritik” bietet. Auch die Notenbeilage ist eine Neuerung. So hat Rudolf Louis sein Bruckner-Buch in „vermehrter und verbesserter” Form hinausgehen lassen wollen und so geht es hinaus. Seine Absicht war, der musikempfänglichen Menschheit die von unsagbaren Schönheiten erstrahlende Wunderschöpfung Bruckners erschließen zu helfen. „Wer Bruckner kennt, der liebt ihn,” sagt Louis einmal. Die Kenntnis und damit die Liebe zum Meister verbreiten soll das Buch. Und diesen Zweck wird es erfüllen! München, im Juli 1917. Paul Ehlers. VORWORT ZUR ERSTEN AUFLAGE nton Bruckner hat noch zu Lebzeiten einen seiner treuesten Jünger, Au- A gust Göllerich in Linz, zu seinem künftigen Biographen bestimmt. Seit vielen Jahren sammelt und arbeitet dieser an einer großangelegten Lebensbe- schreibung, die, wie er mir selbst mitzuteilen so freundlich war, zwei starke Bände umfassen wird. Göllerichs monumentalem Werke, dessen Erscheinen hoffentlich bald zu erwarten ist, will meine kleine Arbeit in keinerlei Weise Konkurrenz machen. Schon deshalb beschränkte ich mich von allem Anfang darauf, das zur Stunde vorliegende und allgemein zugängliche biographische Material einheitlich zusammenzufassen, ohne dass ich es darauf angelegt hätte, dasselbe allseitig durch eigene Studien und Forschungen zu ergänzen. Nur wo dieses Material zu empfindliche Lücken aufwies — wie z. B. bei der Jugendgeschichte des Meis- ters — und wo die Würdigung seines Schaffens in Betracht kam, bin ich auf primäre Quellen (persönliche Erkundigungen, Zeitungsberichte und -kritiken) zurückgegangen. Was ich anstrebte, war nicht sowohl ein Lebens-