Verschmäht, aber berühmt: (l.), Les Holroyd, 1974.

Rock Mit dem Erfolg kam die Gier , das sind vier Musiker aus Manchester, die sich hart nach oben gearbeitet haben, um schliesslich am Ruhm zu scheitern. Jetzt ist die legendäre Band wieder auf Tournee. Allerdings in zwei Versionen. Von Ueli Frey

enn man bei einem Musikkenner Ein- gewählt, aber doch mit einem tieferen Sinn: John Lees, der Gitarrist von BJH, erinnert Wdruck schinden will, dann erwähnt man Barclay stand für die Barclays Bank und damit sich, dass John Lennon damals die Hecktüren die Barclay-James-Harvest-Platten in der eige- fürs Geld und für den angestrebten Erfolg.­ ihres mit Graffiti dekorierten Tourbusses nen Sammlung besser nicht. Genauso wenig Die Chancen standen nicht schlecht. Die kaufen wollte. Er begnügte sich dann aller- wie diejenigen von Chris de Burgh oder Céline Band hatte einen Geldgeber – er war einer dings mit ein paar Fotos. Dion. All diese Musiker haben zwar millio- von ihnen, wie John Lees sagt. Ein Junge aus nenfach Tonträger verkauft, aber die Aner- ihrem Umfeld hatte im Modebusiness un- Feindschaft der Kritiker kennung von Kritikern blieb ihnen weitge- glaublichen ­Erfolg gehabt und in kurzer Zeit Trotz des beträchtlichen Aufwandes blieb der hend versagt. ein ­Vermögen gemacht. Er war bereit, in die kommerzielle Erfolg der ersten Barclay-­ «Zu wenig innovativ», «zu melodrama- Band zu investieren. Zum damaligen Zeit- James-Harvest-Platten aus. Die zweite LP, tisch», warf man den vier Briten von Barclay geist passend und mit den entsprechenden «Once Again», enthält zwar mit «Mocking James Harvest (BJH) immer wieder vor. Als sich Ressourcen im Rücken, nahm Barclay James Bird» und «She Said» zwei heute als Klassiker die vier Jungs aus einfachen Verhältnissen Harvest ihre ersten Alben auf, unterstützt betrachtete Songs, aber damals schafften es 1967 in der Nähe von Manchester zu einer von einem Sin­fonieorchester. Gearbeitet die Titel nicht in die Charts. Eine weitere Band zusammenfanden, waren ihre Absichten wurde unter anderem in den illustren Abbey­ ­Tragik dieser frühen Platten war, dass sie sich klar: Sie wollten erfolgreich sein. Mit ihrer Road-Studios, wo es auch zu zufälligen Be- die Gleichgültigkeit oder gar Feindschaft der Musik wollten sie ihrer ärmlichen Um­gebung gegnungen mit den Beatles kam. Verkracht britischen Musikpresse einhandelten. Die entkommen. Die drei Wörter, die den Namen und am Ende ihrer Karriere, arbeiteten diese BJH-Musiker wurden als verwöhnte, reiche ihrer Band formten, wurden zufällig aus­ dort an ihrem letzten Album, «Let It Be». Opportunisten abgetan. Zudem blieb die

70 Weltwoche Nr. 46.18 Bild: David Warner Ellis (Redferns, Getty Images) Band während ihrer ganzen Existenz Lon- sechziger und siebziger Jahre den Garaus vor fünfzehn Jahren aufgebrochen war. don, dem Nabel der ­Musikwelt, fern. Das machte, war ein Über­leben auf dem Konti- Gleich­­zeitig mit dem Erfolg und mit dem goutierte die elitäre Presse in der Hauptstadt nent durchaus möglich. Hier wechselte der grossen Geld hielt aber auch die Gier Einzug nicht. Wenn überhaupt etwas über BJH zu Publikumsgeschmack nicht so schnell, und in der Band. So sieht es John Lees jedenfalls ­lesen war, dann in verhöhnendem Ton. So 1980 füllte BJH in Zürich zum ersten Mal das heute. Während früher die Songs als partners- wurde die Band als die «Billig­ausgabe von Hallenstadion (12 000 Besucher). hips komponiert worden waren und das Geld Moody Blues» bezeichnet, eine Beleidigung, an alle vier Mitglieder zu gleichen Teilen ver- die sie später in den Song «Poor Man’s Moody Höhepunkt in Berlin teilt wurde, waren es jetzt er und Les Hol- Blues» umarbeitete. Allerdings war zu diesem Zeitpunkt der erste royd, die, jeder für sich, Songs schrieben und Die Frustration nach all der Arbeit war gross personelle Wechsel zu verzeichnen: Woolly sogar separat aufnahmen. und ist es bis heute geblieben. John Lees ärgert Wolsten­holme, der Mann, der an den Tasten­ Lees wollte bald nach Wolstenholme, der sich im Gespräch mit der Weltwoche gerade instrumenten mit und Synthies für ihm sehr nahestand, ebenfalls das Handtuch wieder über ein neues Buch, das der Musik der den sinfonischen Klang sorgte, verabschiedete werfen. In Gesprächen mit dem Manager liess siebziger Jahre gewidmet ist. Es sind darin sich wegen musikalischer Differenzen. Er er sich jedoch überzeugen, noch «einige Jah- Festivalplakate mit Barclay James Harvest als wollte den ursprünglichen Sound beibehalten re» weiterzumachen. Dann geschah aber et- Headliner abgebildet, gleichzeitig wird die und hatte das Gefühl, dass er zu einem Hin- was «völlig Unwürdiges» («completely dis- Band aber nicht mit einem Wort erwähnt. dernis in der Entwicklung der Band geworden honorable»), zu dem John Lees keine weitere war. Eine Entwicklung, die in seinen Worten Auskunft geben will. Das war 1997, und es war «Neue Pink Floyd» in Richtung «West Coast» ging, was wohl stell- das sofortige Ende der Band im ursprüngli- «Langweilig wie eine Regennacht in Isling- vertretend für einen leichteren und einfache- chen Sinn. ton» oder «Plinck, pluck, plinck. Ooooh ren Sound stand. Aus einer Band wurden nun zwei Bands, Aaaah Ooooh. Vergiss es!» – so kurz und Wolstenholme verpasste mit seinem Abgang nämlich «John Lees’ Barclay James Harvest» ­vernichtend waren die Plattenkritiken, die knapp den Höhepunkt der Band: das «Concert und «Barclay James Harvest featuring Les BJH in Grossbritannien erhielt. Nach zehn for the People» – ein Gratiskonzert im August Holroyd». Bei John Lees’ Band tat nun wieder Jahren und acht Alben füllte die Band zwar 1980 vor dem Reichstag im noch gespaltenen sein Freund, der ursprüngliche Keyboarder regelmässig Konzerthallen, aber grosse Plat- Berlin. Initiiert wurde der Anlass vom Berliner , mit, und bei Les Hol- tenverkäufe konnte sie nicht vermelden. In Senat. BJH hatte der Stadt auf der LP «XII» ei- royd war der original BJH-Schlagzeuger Mel einer hilf­ osen Aktion sprach BJH einen­ Inter- nen Song gewidmet, und dies machte sie in Pritchard mit von der Partie. Mit anderen view-Boykott aus – man wollte mit den Gift den Augen der Behörden zum geeigneten Worten: Je zwei Original-Mitglieder waren in spritzenden Schreibern gar nicht mehr spre- Headliner dieses Grossanlasses. jeder Ausgabe von BJH vertreten. Beide For- chen. Anders war das Bild auf dem Kontinent, Der Publikumsaufmarsch war tatsächlich mationen gingen auch wieder ins Studio und speziell in Deutschland und auch in der gewaltig. Man schätzt, dass zwischen 170 000 nahmen CDs mit neuen Songs auf. Doch bei- Schweiz. und 250 000 Zuschauer anwesend waren. Et- de Bands ereilten Schicksalsschläge: 2004 Ab 1977, mit den Alben «» und liche davon waren allerdings nicht Zuschau- starb an einem Herzinfarkt, «Gone to Earth», wurde BJH hierzulande zu er, sondern bloss Zuhörer: Sie standen auf der und 2010 schied Woolly Wolstenholme frei- einem Begriff bei den Rockfans. Für «Gone to anderen Seite der Mauer und hörten mit! willig aus dem Leben. Earth» gab es sowohl­ in der Schweiz als auch 1987, also noch vor dem Fall dieser Mauer, war in Deutschland zum ersten Mal in der Ge- BJH dann die erste Band, die in Ostberlin ein Doppelt unterwegs schichte der Band eine Gold-Auszeichnung. Open-Air-Konzert spielen durfte, wiederum Fünfzig Jahre nach der Gründung von Barclay In Grossbritannien blieb ihr dies bis heute vor geschätzten 170 000 Besuchern. Für Les James Harvest sind immer noch zwei ­Versionen versagt. Das Magazin Pop berichtete auf Dop- Holroyd, den Bassisten der Band, waren aber der Band auf Tournee. Geleitet von den beiden pelseiten vom Privatleben der Musiker, von auch die Konzerte in Zürich im Jahr 1982 hauptsächlichen Songschreibern John Lees ihren Ferienerlebnissen und pries sie 1978 gar denkwürdig: BJH füllte das Hallenstadion an und Les Holroyd. Die beiden sind aber mitein- als die «neuen Pink ­Floyd» an. drei Tagen in Folge! ander so verkracht, dass sie an ihren jeweiligen Während auf der ­britischen Insel die Barclay James Harvest hatte mindestens Konzerten keine Songs spielen, die aus der Punk-Bewegung den Rock-Dinosauriern der auf dem Kontinent erreicht, wofür die Band ­Feder des Kontrahenten stammen. Immerhin blieb der Band der Gang durch die Gerichte er- spart, ein Ende, das vor allem in den USA bei- nahe selbstverständlich ist. Dort werden nach einem Split oft sowohl Manager, die Platten­ firma als auch sämtliche Bandmitglieder mit Klagen eingedeckt. Das letzte Mal sah John Lees seinen ehe­ maligen Bandkumpel an der Beerdigung von Mel Pritchard, also 2004. Er habe ihm damals «hallo» gesagt, aber offenbar kam es nicht wirklich zu einem Gespräch. Les habe ihm ein paar Worte entgegnet, aber die Eiszeit zwi- schen den beiden ist wohl endgültig. Wenn man das gesamte Repertoire von BJH hören will, dann muss man offensichtlich die Kon- zerte beider Formationen besuchen – aus ­unternehmerischer Sicht nicht einmal un- Eiszeit: John Lees (l.), Les Holroyd. klug.

Weltwoche Nr. 46.18 71 Bilder: (2) Ueli Frey