Zeitschrift des Schweizerischen Bühnenkünstlerverbandes Nr. 72 / April – Mai – Juni 2011

SBKV-Mitglieder im Gespräch Edward Piccin

Theater, Theater... und mehr! Anja Becher

Drei Fragen an... Barbara Anderhub PROLOG

dass mein Künstlerdasein der Ver- ben wir, dank starken Wachstums gangenheit angehört, ich mich voll unserer Mitgliederzahlen, unsere und ganz für meine neue Aufgabe Beiträge, im Gegensatz zu allen einsetzen will und meine künstle- anderen Verbänden und Gewerk- rische Vergangenheit enorm wert- schaften, nicht erhöhen müssen, voll für meine Arbeit als Sekretär und trotzdem konnten wir unse- ist. Und ich habe Fuss gefasst, von re Dienstleistungen erheblich aus- Kolleginnen und Kollegen voll un- bauen. terstützt, und fing an, meine neue Trotzdem: Es bleibt noch viel zu Aufgabe zu lieben. tun, ausruhen wäre der Anfang Rückblickend darf ich aus tiefster vom Ende. Beispielsweise ist die Rolf Simmen Überzeugung sagen: Es war im- Revision der Gesamtarbeitsver- mer eine grosse Freude für mich, träge, deren Verhandlungen Liebe Kolleginnen in all den fast 16 Jahren, für den sehr zähflüssig verlaufen und im- Liebe Kollegen SBKV zu arbeiten und zu kämpfen: mer wieder ins Stocken geraten, für bessere Arbeitsbedingungen, noch nicht abgeschlossen. Geleb- Abschied nehmen bessere Löhne, mehr berufliche te ­Sozialpartnerschaft zwischen Anerkennung und nicht zuletzt, ­SBKV und SBV habe ich in all den Als ich am 10. Juni 1995 anläss- auch für mehr Gerechtigkeit und Jahren oft schmerzlich vermisst. lich der ausserordentlichen SBKV Solidarität. Ich gebe die Hoffnung jedoch Delegiertenversammlung interi- Jawohl: SOLIDARITÄT. Ich weiss, nicht auf, dass die GAV-Verhand- mistisch zum Sekretär gewählt sie ist in unserer egoistisch den- lungen doch noch zu einem ­guten und an der DV vom 10. Dezember kenden Gesellschaft teils immer Ende gebracht werden, und ver- 1995 definitiv im Amt bestätigt noch verpönt, doch ich zweifle traue meinen Kolleginnen und wurde, hätte ich mir nie träumen nicht daran, dass sie eine Renais- Kollegen der Verhandlungskom- lassen, dass ich bis zu meiner Pen- sance erleben wird. mission, dass nicht nur der Status sionierung Ende April 2011 dabei Wir sind nicht nur zu einem mit- quo erhalten bleibt, sondern auch bleiben würde. Schliesslich war ich gliederstarken Verband herange- ernsthafte Verbesserungen für un- lange Jahre als Schauspieler tätig, wachsen, wir sind auch finanziell sere Mitglieder erreicht werden. habe meinen Beruf geliebt, seine gesund. In all den Jahren konnten Bleibt mir nur noch ein grosses Höhen genossen und seine Tiefen wir im Gegensatz zu fast allen an- Dankeschön an alle, die mich auf verkraftet. Rückblickend stelle ich deren Kulturverbänden, inklusive meinem Weg begleitet und tat- erschreckend fest, dass die Zeit im dem Schweizerischen Bühnenver- kräftig unterstützt haben. Bleibt Flug vorbeigerauscht ist und auch band, die alle am Unterstützungs- dran und lasst Euch nichts gefal- für mich schon sehr bald ein neuer tropf des Bundesamtes für Kultur len – es lohnt sich! Lebensabschnitt beginnt. hängen, unsere Unabhängigkeit Ich habe sehr schnell gemerkt, bewahren. Seit über 20 Jahren ha-  Herzlichst, Ihr Rolf Simmen

FLUSTERKASTEN

der vorangegangenen Saison, be- Millionen Franken und einem Auf- In der vierten Saison unter Geor- suchten 2009/10 die 599 Vorstel- wand von 54,8 Millionen Franken. ges Delnon konnte das Theater lungen. Die Besucherauslastung Basel die Besucherzahlen erneut betrug total 63,2 Prozent. In der Im Februar lehnten die Baselbieter steigern und in allen Sparten die Jahresrechnung für 2009/10 weist Stimmberechtigten die Erhöhung Auslastung verbessern. Rund das Theater Basel dennoch einen der Subventionen für das Thea- 179’000 Zuschauerinnen und Zu- Verlust von rund 548’000 Franken ter Basel mit 46’204 zu 43’611 schauer, etwa 3’000 mehr als in aus, bei einem Ertrag von 54,3 Stimmen knapp ab. Die Stimmbe-

Titelseite: Edward Piccin in Stefan Muggli / Christoph Arnis Kurzfilm «Eine bombige Hochzeitsnacht», 2009, © Foto: Balz Murer

2 Ensemble Nr. 72 teiligung lag bei 49 Prozent. Ende fang November 2010 im eigens in der Regionalen Kulturkonferenz September hatte der Baselbieter erbauten Theater mit 950 Sitzplät- Biel von der Generalversammlung, Landrat beschlossen, dem Thea- zen auf dem Berner Wankdorf- und in der Stadt Biel wird in einer ter Basel in einem Zeitraum von City-Areal gastiert, wird bis Juni Volksabstimmung am 15. Mai vier Jahren 17 Millionen Franken 2011 verlängert. Bisher wurden 2011 entschieden. Wenn die Ent- zusätzlich zu bewilligen. Die SVP für die Aufführungen in der Bun- scheide positiv ausfallen, werden und ein Teil der FDP hatten ge- desstadt 70’000 Eintrittskarten für vier Jahre einmalig 3,05 Milli- gen den Landratsbeschluss das verkauft. Seit der Uraufführung onen Franken mehr für Orchester Referendum ergriffen. Nach dem im Herbst 2007 sahen das Musical und Theater zur Verfügung ste- Baselbieter Nein leistete die Bas- allein in Zürich über 450’000 Be- hen; darin eingeschlossen ist eine ler Regierung Soforthilfe. Sie be- sucherinnen und Besucher. jährliche Subventionserhöhung antragte beim Kantonsparlament von 300’000 Franken, also 1,2 eine um 1,5 Millionen Franken …Biel-Solothurn Millionen Franken für vier Jahre. angehobene Subvention für die Die Besucherzahlen des Thea- nächste Spielzeit, die den laufen- ters Biel Solothurn stiegen in … Birsfelden den Betrieb sichern soll. Für den der Spielzeit 2009/10 sowohl Birsfelden, die Standortgemein- Rest der bis zur Saison 2014/15 beim Musiktheater wie auch beim de des Theaters Roxy, kürzt die dauernden Periode muss der Schauspiel an. 15 Prozent mehr Subventionen an dessen Kultur- Subventionsvertrag samt Leis- Besucherinnen und Besucher, betrieb ab 2012 von 18’000 auf tungsauftrag mit dem Theater nämlich 64’804, konnten die bei- 5’000 Franken pro Jahr. Auf den neu ausgehandelt werden. Re- den Häuser in Solothurn und Biel ersten Blick erscheint das nicht als gierungspräsident Guy Morin ver- sowie auf Gastspielen und Abste- grosser Einschnitt, da der Kanton sicherte, dass die Regierung am chern empfangen. Die Auslastung Baselland jährlich 550’000 Fran- Dreispartenbetrieb und den bei- lag bei 66 Prozent. 314 Vorstellun- ken und der Kanton Basel-Stadt den Häusern Theater und Schau- gen wurden gegeben; in der vo- 20’000 Franken an den Betrieb spielhaus festhalten wolle. rangehenden Spielzeit waren es zahlen. Allerdings unterschrei- noch 333 Vorstellungen. Die Ver- tet Birsfelden nun die festgeleg- …Bern antwortlichen hatten die Zahl der te Mindestgrenze der Beteiligung Das Stadttheater Bern weist Aufführungen reduziert, um Kos- der Gemeinde und bringt somit nach vier Geschäftsjahren mit ten zu sparen. Dadurch und dank die auf Subsidiarität basierende schwarzen Zahlen für 2009/10 einer Erhöhung der Billettpreise Subventionsstruktur ins Ungleich- erstmals wieder ein Defizit aus: um zwei Franken im Schnitt konn- gewicht. Die gleichzeitige Kündi- fast 600’000 Franken. Verant- te ein Jahresgewinn von 108’443 gung eines zinslosen Kredits über wortlich für dieses negative Ergeb- Franken erzielt und das Defizit des 50’000 Franken belastet das auf nis ist die geringere Zuschauerzahl Vorjahres abgebaut werden. Tanz und Theater der freien Sze- im Musiktheater. Während in der ne spezialisierte Theater Roxy, das Sparte Schauspiel die Zuschauer- Die Stiftungsräte des Sinfonie erst vor kurzem für über eine Mil- zahlen um 20 Prozent auf mehr Orchesters Biel und des Neu- lion Franken renoviert wurde, zu- als 32’000 gesteigert werden en Städtebundtheaters Biel- sätzlich. konnten und das Ballett mit rund Solothurn haben einstimmig die 10’000 Zuschauern gewachsen Fusion zwischen den beiden Stif- …Luzern ist, sanken die Besucherzahlen im tungen beschlossen. Die neue 72’720 Zuschauerinnen und Zu- Musiktheater auf 37’300 Zuschau- Organisation «Theater und Or- schauer besuchten die 335 Veran- er, in der Saison 2008/09 waren chester Biel-Solothurn - Théât- staltungen des Luzerner Theaters es noch fast 45’000 gewesen. In re et Orchestre de Bienne et de in der Spielzeit 2009/10. Dies ent- die Saisonzahlen hineingerechnet Soleure» (TOBS) soll auf 1. Ju- spricht einem Besucherrückgang werden seit zwei Jahren auch die li 2011 gegründet werden. Die von etwas mehr als zwei Prozent jährlich rund 5'000 Steuerkarten, Fusion muss nun noch von den gegenüber dem Vorjahr. Die daraus die für 5 Franken an Theaterleu- politischen Instanzen – den vier resultierenden geringeren Einnah- te gehen. Die totale Besucherzahl bisherigen Finanzierungsträgern men konnten dank verschiedener belief sich somit auf 87’639. – beschlossen werden: Im Kanton Massnahmen kompensiert wer- Bern vom Regierungsrat, in der den, sodass die Betriebsrechnung Die Spielzeit des Mundart-Musi- Stadt Solothurn von Gemeinde- mit einem positiven Ergebnis von cals «Ewigi Liebi», das seit An- rat und Gemeindeversammlung, 11’511.68 Franken abschloss. Die

Ensemble Nr. 72 3 durchschnittliche Platzbelegung über 39’000 Besucherinnen und 247’275 Besucherinnen und Be- sämtlicher Veranstaltungen lag bei Besucher an. sucher eine der 345 Veranstal- fast 71 Prozent; innerhalb der drei tungen des Opernhauses. Die Sparten erreichte das Schauspiel …St. Gallen Auslastung betrug 76,7 Prozent. mit fast 73 Prozent die höchste Die Genossenschaft Konzert Im Vorjahr konnten aus dem Kar- Platzbelegung. und Theater St. Gallen (KTSG) tenverkauf 33,81 Millionen Fran- konnte inklusive der St.Galler ken Einnahmen verbucht werden, …Saarbrücken Festspiele in 485 Veranstaltungen für 2009/10 waren es 32,83 Mil- Am 32. Filmfestival Max Ophüls 156’169 Besucherinnen und Be- lionen Franken. Der Einbruch bei Preis in Saarbrücken wurden sucher verzeichnen. Die Auslas- den Vorstellungseinnahmen sei mehrere Schweizer Spielfilme tung lag bei den Konzerten bei deutlich grösser, als bei der Bele- ausgezeichnet: Der Publikums- 66 Prozent, beim Theater bei 76 gung, was – laut den Verantwort- preis ging an Peter Luisis Spiel- Prozent, und die St. Galler Fest- lichen – auf eine Umlagerung auf film «Der Sandmann», der Preis spiele kamen auf eine Auslas- billigere Plätze hinweist. Zudem für die beste Nachwuchsdarstel- tung von 79 Prozent. Bei einem betonte Alexander Pereira, dass lerin an ­Sarah Horváth («Songs Gesamtaufwand von 36’779’660 die Subventionen von derzeit Of ­Love And Hate»). Beide Prei- Franken resultierte ein Jahresge- rund 75 Millionen Franken nicht se sind mit je 3’000 Euro dotiert. winn von 227’953.94 Franken. einmal die Fixkosten für Orches- Christine­ Reponds Spielfilm- Das positive Ergebnis sei haupt- ter, Ensemble, Werkstätten, Ver- debüt ­«Silberwald» erhielt den sächlich der neuen Subventions- waltung usw. decken würden. Interfilmpreis und 2’000 Euro ordnung zu verdanken, dank der Und die Sponsorensuche erweise Preisgeld, die Schülerjury bedach- die KTSG in dieser Saison drei sich angesichts eines bevorste- te Michael Schaerers «Stations- Millionen mehr vom Kanton St. henden Intendantenwechsels als piraten» mit einem Preis im Wert Gallen erhielt als im Vorjahr. Die schwierig. von 2’500 Euro. «180°» von Stadt wurde im Gegenzug entlas- Cihan Inan erhielt beim Max- tet und zahlte 900'000 Franken In der ersten Saison unter der Ophüls-Hauptpreis eine lobende weniger. Die Eigenwirtschaft- künstlerischen Leitung von Barba- Erwähnung. Die schweizerisch- lichkeit von Konzert und Theater ra Frey und mit dem neuen kauf- deutsche Koproduktion «Fliegen- liegt somit bei 28,8 Prozent. männischen Direktor Ernst Jäggli de Fische müssen ins Meer» von besuchten 127’149 Personen eine Güzin Kar bekam den mit 5’500 …Zürich der insgesamt 606 Vorstellungen Euro dotierten Filmpreis des saar- Das Opernhaus Zürich weist am Zürcher Schauspielhaus. ländischen Ministerpräsidenten für die Saison 2009/10 bei einem Somit verzeichnet das Theater in zugesprochen. Das Festival, das Umsatz von rund 135 Millionen der Saison 2009/10 zwar 30’000 eine wichtige Plattform für jun- Franken ein Defizit von 4,92 Mil- Zuschauerinnen und Zuschauer ge Talente aus Deutschland, Ös- lionen Franken aus, das aus den weniger als im Jahr zuvor, kann terreich und der Schweiz bietet, gesetzlichen Reserven bestrit- aber trotzdem einem Gewinn von zeigte 2011 158 Filme und zog ten wird. Insgesamt besuchten 350’000 Franken ausweisen. PERSÖNLICHES Ab Mai leitet Andrea Boll das men. 1996 bis 2008 war sie eine Tanzhaus Zürich, bis Ende August der künstlerischen Leiter/innen, noch gemeinsam mit der bisheri- Choreografin und Tänzerin die- gen Co-Leiterin Meret Schlegel. ses Kollektivs, kreierte und tanzte Boll, 1970 in der Schweiz gebo- zahlreiche Stücke und tourte mit ren und aufgewachsen, lebte und diesen durch Europa. Zudem war arbeitete die letzten zwanzig Jah- sie als Gast- und Residenzchoreo- re in den Niederlanden. Dort ab- grafin in verschiedenen Ländern solvierte sie an der Rotterdamse tätig. Seit 2008 leitet sie zusam- Dansacademie ihre Ausbildung men mit ihrem Lebenspartner, und machte sich als Choreogra- dem Tänzer Peter Kadar, die Tanz- fin und Tänzerin vor allem beim Andrea Boll kompanie Bollwerk. Ihre Arbeiten Hans Hof Ensemble einen Na- © Foto: Peter Kadar wurden mehrfach ausgezeichnet.

4 Ensemble Nr. 72 Der 1975 in Bern geborene Re- gisseur Vinz Feller erhielt am 30. Black Maria Film Festival in New Jersey (USA) für «Down this Road» den Stellar Award für den besten Kurzspielfilm. Nun geht der Film mit einer Auswahl weiterer in den USA auf eine halbjährige Tour mit über 70 Ki- novorführungen. In «Down this Road» reist der 12-jährige Rod- ney auf der Suche nach seinem Vater quer durch New York, um dessen Liebe einzufordern.

Der selbstständige Kulturunter- nehmer Martin Heller über- nimmt als Projektleiter die Veranstaltungskonzeption für das Humboldt-Forum in Ber- lin, das hinter drei rekonstruier- ten Aussenfassaden des Berliner Stadtschlosses entstehen und ein Forum für Kultur, Kunst und auch Wissenschaft bieten soll. Da der Baubeginn des Komple- xes auf 2014 verschoben worden ist, wird voraussichtlich ab Mai 2011 die Humboldt-Box auf dem Schlossplatz mit Ausstellungen und Veranstaltungen über die weitere Entwicklung des Forums informieren. Der 1952 in Basel geborene Heller war von 1990 bis 1998 Direktor des Museums für Gestaltung in Zürich und da- Karl’s kühne Gassenschau «Silo 8» Foto: © Bernhard Fuchs, Langnau am Albis nach künstlerischer Direktor der Schweizer Landesausstellung Ex- po.02. Seit 2003 arbeitet er frei- gewählt. Die Akademie der Küns- Wandel von der Strasse hin zu schaffend in Zürich. te zählt somit aktuell 402 Mitglie- den grossen Vorstellungen unter der. freiem Himmel geschafft. «Karl's Der Schauspieler André Jung kühne Gassenschau» habe über wurde als eines von fünf neuen «Karl's kühne Gassenschau» die Jahre ihre eigene Theater- Mitgliedern in die Akademie der erhält den Schweizer KleinKunst- sprache entwickelt und kreiere Künste in Berlin aufgenommen. Preis 2011, der mit 10’000 Fran- «bildgewaltige Spektakel im Zu- Auf der Herbst-Mitgliederver- ken dotiert ist und seit 1993 von sammenspiel aus Schauspielerei, sammlung im November wur- der Vereinigung «KünstlerInnen – Bühnenbild und Pyrotechnik». den zudem die Choreografin und Theater – VeranstalterInnen» (ktv) «SILO 8», die letzte Produktion Tänzerin Anne Teresa De Keers- vergeben wird. Die Theatertrup- der Truppe, sahen über eine hal- maeker, der Dramatiker Volker pe werde für ihre «innovativen, be Million Zuschauer. Ludwig, der Choreograf und Re- ideenreichen und ausgeklügel- gisseur Johan Simons sowie die ten Programme» ausgezeichnet, Ivo Kummer, der Direktor der Schauspielerin Angela Winkler so die Jury. Die vier Gründer der Solothurner Filmtage, ist zum in die Sektion Darstellende Kunst Truppe hätten gemeinsam den Leiter der Sektion Film im Bun-

Ensemble Nr. 72 5 desamt für Kultur ernannt wor- Grigolli, Josef Ostendorf, Robert Bedeutung und internationalen den. Er wird Nachfolger von Hunger-Bühler und Bettina Stu- Kooperationen gesichert werde. Nicolas Bideau, der in dieser cky – und seinen Mitarbeiterin- Montavon, der auch Vorstands- Funktion bis zum Herbst 2010 nen Anna Viebrock (Bühnenbild) mitglied des Thüringer Bühnen- tätig war. Für Kummer sprach – und Stefanie Carp (Dramaturgie) vereins ist, sagte gegenüber der laut Jean-Frédéric Jauslin, dem entfaltete. Marthaler, 1951 im Thüringischen Landeszeitung, Direktor des Bundesamtes für zürcherischen Erlenbach gebo- er habe seine Vertrag nicht nur Kultur – dessen Erfahrung in der ren, kam als ausgebildeter Obo- verlängert, weil er gern in Erfurt Filmbranche. Seine wichtigste ist über die Musik zum Theater. arbeite, sondern auch weil er Aufgabe werde es nun sein, die- Ende der sechziger Jahre besuch- dieses Theater in seiner Position ser Branche die besten Rahmen- te er die Theaterschule Lecoq weiter festigen wolle. «Ich will bedingungen zur Verfügung zu in Paris. Zurück in der Schweiz daran mitwirken, dass in Thü- stellen. wirkte er als Theatermusiker ringen Strukturen entstehen, die und Komponist an verschiede- dauerhaft sind. Alle fragen sich, Im Dezember verlieh die Stadt nen Bühnen und in der Off-The- wie es mit den Theatern und Or- Bellinzona der Tänzerin, Cho- ater-Szene. Ab 1980 inszenierte chestern nach 2012 weitergeht, reografin und Tanzpädagogin er eigene musikalisch-theatrale dabei müssen wir uns längst Mi Jung Manfrini-Capra für ihr Projekte, deren Stil er während Gedanken um die Zeit ab 2019 Engagement für den Tanz den seines Engagements von 1988 machen, wenn der Solidarpakt Premio Cultura. Die in Seoul ge- bis 1993 am Theater Basel un- II ausläuft.» Seine Thesen und borene Manfrini-Capra wuchs ter Frank Baumbauer weiterent- Lösungsvorschläge zur Zukunft im Tessin auf, absolvierte ihre wickelte. Ab 1993 arbeitete er der Thüringer Theaterlandschaft Ausbildung am Alvin Ailey Ame- regelmässig unter Baumbauer sorgen nun in Theaterkreisen für rican Dance Center in New York am Deutschen Schauspielhaus Gesprächsstoff. und trat in Tanzproduktionen in in Hamburg und unter der Lei- Amerika, China und Europa auf. tung von Frank Castorf an der Die schweizerisch-deutsche Ko­ Seit 1993 leitet sie die von ihr Volksbühne in Berlin. «Murx den produk­tion «Yuri Lennon's gegründete Schule «Area Dan- Europäer! Murx ihn! Murx ihn! Landing On Alpha 46» von An- za» im Tessin. 2003 gründete Murx ihn! Murx ihn ab!», das thony Vouardoux gewann den sie die Kompanie «Touchdance – wie viele weitere seiner Insze- Prix des Médiathèques am 33. Company» und das «Giovane nierungen – zum Berliner The- internationalen Kurzfilmfesti- Balletto Ticinese». atertreffen eingeladen wurde, val in Clermont-Ferrand, der mit machte ihn einem breiteren Pu- 1’500 Euro dotiert ist. Der kurze Der Theaterregisseur und Musi- blikum bekannt. 2000 bis 2004 Science Fiction Film des aus dem ker Christoph Marthaler erhält leitete er das Zürcher Schau- Wallis stammenden und in Berlin den Hans Reinhart-Ring 2011, spielhaus, das 2000 und 2001 lebenden Regisseurs gewann so- der von der Schweizerischen Ge- von der Fachzeitschrift «Theater mit seinen achten Preis seit der sellschaft für Theaterkultur ver- heute» zum Theater des Jahres Erstaufführung im Juni 2010. liehen wird. Marthaler wird mit gewählt wurde. Seither arbeitet Der Film ist einer der fünf Nomi- dieser höchsten Auszeichnung er wieder als freier Regisseur in nierten für den Schweizer Film- im Theaterleben der Schweiz für Deutschland, Österreich, Frank- preis «Quartz 2011». die «kreative Originalität seines reich, Belgien und der Schweiz. Schaffens und die grosse Re- Der von der Zürcher Produzentin sonanz auf der internationalen Im August 2002 hatte der Ruth Waldburger (Vega Film) Bühne» geehrt, so die Jury. «Sei- Schweizer Opernregisseur Guy koproduzierte Film «The Turin ne reichen Produktionen haben Montavon die Leitung des The- Horse» von Béla Tarr erhielt den in den letzten zwei Jahrzehnten aters Erfurt übernommen, und Silbernen Bären, den grossen die grossen Theater der europä- mindestens bis 2017 wird er Preis der Jury der 61. Berlinale, ischen Bühne geprägt.» Der Re- Generalintendant des Hauses und er gewann bei diesem Ber- gisseur und Musiker entwickelte bleiben. Der Erfurter Stadtrat liner Wettbewerb ebenfalls ei- eine eigene Bühnensprache, die verlängerte seinen Vertrag u.a. nen der von der internationalen er mit seiner «Schauspielfamilie» mit der Begründung, dass damit Filmkritiker- und Filmjournalis- – u. a. Graham F. Valentine, ­Ueli die Profilierung des Theaters als ten-Vereinigung FIPRESCI verge- Jäggi, Jürg Kienberger, Olivia Musiktheater mit überregionaler benen Preise.

6 Ensemble Nr. 72 ABSCHIED

Der Tenor Hugues Cuénod ist er an den Bühnen in Osnabrück die neue Orte für den Spielbetrieb Anfang Dezember im Alter von und Mannheim, und leitete 1959 notwendig machten. Drese ent- 108 Jahren in Vevey verstorben. bis 1963 die Städtische Büh- deckte und förderte in Zürich zahl- Der 1902 in Corseaux-sur-Vevey ne in Heidelberg sowie 1962 bis reiche Sängerinnen und Sänger geborene Cuénod liess sich in Ve- 1968 das Hessische Staatstheater und engagierte mit Patricia Neary vey, Basel und Wien zum Sänger Wiesbaden. Vom Schauspiel her- eine Ballettchefin, die dem Zür- ausbilden, zog 1927 nach Paris kommend verlagerte Drese seine cher Ballett zu internationaler Be- und trat 1928 dort erstmals auf. Inszenierungstätigkeit mehr und achtung verhalf. Mit Saisonbeginn Es folgten Aufenthalte in Lon- mehr auf die Oper. 1968 über- 1986 wurde er vom damaligen ös- don, nach 1932 Auftritte in der nahm er dann als Generalinten- terreichischen Unterrichtsminister Schweiz, Frankreich und Belgien. dant die Bühnen der Stadt Köln. Helmut Zilk zum Direktor der Wie- Ab 1934 arbeitet er mit Ernest An- Hier begann seine Zusammenar- ner Staatsoper berufen, die er bis sermet zusammen, der 1918 das beit mit Jean-Pierre Ponnelle, der 1991 leitete. Danach war er u.a. Orchestre de la Suisse Romande während Dreses Direktionszeit am als künstlerischer Berater und Re- in Genf gegründet hatte und seit- Opernhaus Zürich (1975 bis 1986) gisseur des Musikzentrums Mega- her leitete. Im selben Jahr lernte er und von diesem initiiert herausra- ro Musikis in Athen tätig und trat Nadia Boulanger kennen und ging gende Inszenierungen schuf. Der als Buchautor in Erscheinung. mit ihrem Ensemble in Europa und legendäre Monteverdi- und ein den USA auf Tournee. Während Mozart-Zyklus in der Regie und im Die Schauspielerin Stephanie des Zweiten Weltkrieges sang er Bühnenbild von Ponnelle und un- Glaser starb Mitte Januar kurz u.a. für die Radiostationen in Genf ter der musikalischen Leitung von vor ihrem 91. Geburtstag. 1920 und Lausanne und bei zahlreichen Nikolaus Harnoncourt prägten in Neuenburg geboren, liess sich Konzerten in der Schweiz. In den fünfziger Jahren gab er Schu- mann-Liederabende mit der Pia- nistin Clara Haskil, 1951 sang er in der Uraufführung von Igor Stra- winskys «The Rake’s Progress», der die Rolle des Sellem eigens für ihn geschrieben hatte. Cué- nod nahm Gastverpflichtungen an Opernhäusern in Europa und den USA wahr, trat an der Mailänder Scala, beim Glyndebourne Festival und im Londoner Covent Garden auf. Im Jahr 1987 debütierte er als 85-jähriger an der New Yorker Metropolitan Opera als Kaiser in Puccinis «Turandot».

Der ehemalige Zürcher Opern­ haus­direktor Claus Helmut Dre- se ist tot. Er starb Mitte Februar Monika Niggeler als Shirley und Stephanie Glaser als Martha Jost im Alter von 88 Jahren. Drese, in Bettina Oberlis «Die Herbstzeitlosen», 2006, Foto: © SRF/Lukas Unseld 1922 in Aachen geboren, stu- dierte in Köln, Bonn und Mar- wie die gesamte innovative und Glaser nach Abschluss einer Ho- burg Germanistik, Philosophie, künstlerisch wegweisende Arbeit telfachlehre in Bern als Schauspie- Geschichte und Geographie und Dreses den hervorragenden Ruf lerin am Max-Reinhardt-Seminar war nach seiner Promotion 1946 des Zürcher Opernhauses. In sei- in Wien ausbilden, wo sie 1938 als Dramaturg, später auch als ne Direktionszeit fielen auch der ihr Diplom erhielt. 1939 trat sie Regisseur am Marburger Schau- Umbau und die Restaurierung des ihr erstes Engagement als Schau- spiel engagiert; danach wirkte Opernhauses von 1981 bis 1984, spielerin, Balletttänzerin und

Ensemble Nr. 72 7 Chorsängerin am Städtebundthe- Finger hinein.» Bis zuletzt stand beit mit ihm gern fortführte. Mit ater Biel-Solothurn an. Ab 1940 Glaser vor der Kamera. nur 53 Jahren starb Heene völlig spielte sie u.a. bei der Schwei- unerwartet bei einem Kranken- zer Soldaten-Bühne «Bärentat- Ende November verstarb in Frei- hausaufenthalt. ze». Ab 1942 wirkte sie fast zehn burg im Breisgau Jürgen Heene, Jahre lang am Stadttheater Bern der seit 2004 als künstlerischer Syra Marty ist tot. Anfang Fe- und spielte dort über 40 Rollen. Betriebsdirektor am Theater Frei- bruar starb die Schweizer Bur- Von 1952 bis 1960 war sie Mit- burg engagiert war und dort seit lesque-Tänzerin mit 89 Jahren glied des Cabarets Federal in Zü- 2006 auch als stellvertretender in einer Altersresidenz in Florida. rich und stand in dieser Zeit auch für mehrere bekannte Schweizer Spielfilme vor der Kamera, z. B. Franz Schnyders «Uli der Knecht» und «Uli der Pächter». Glaser spielte viele Jahre freischaffend als Schauspielerin am Theater am Hechtplatz in Zürich in zahl- reichen Musicals, Lustspielen und Boulevardkomödien und trat auch häufiger am Theater Winterthur und am Atelier-Theater Bern auf. 1974 kreierte sie für die Schweizer Fernsehshow «Teleboy» von Kurt Felix die skurrile Figur der Tante Elise mit Goldfisch «Traugottli», die sie zur Freude des Publikums bis 1981 gab. Dass sie nicht nur die leichte Muse beherrschte, be- wies sie bereits 1984 in Hansjörg Syra Marty Schneiders «Altwiibersummer» Foto: © kulturwerk.ch am Stadttheater Bern und in Ernst Burrens Monodrama «Näschtwär- Operndirektor wirkte. In der Pfalz ­Josefina Magdalena Marty wuchs mi» 1992 in Aarau. Sie spielte in geboren, machte Heene eine Aus- im schwyzerischen Goldau auf. Filmen wie «Klassezämekunft» bildung zum Einzelhandelskauf- Ihre Mitarbeit im elterlichen Berg- (1988), «Leo Sonnyboy» (1989), mann und absolvierte danach ein gasthaus Rigi-Dächli brachte ihr «Sternenberg» (2004) oder «Mein Gesangsstudium an der Städti- den Spitznamen «Dächli Leni» Name ist Eugen» (2005), erhielt schen Akademie für Tonkunst in ein. 1942 zog sie nach Zürich, ihre erste Hauptrolle als Film- Darmstadt. Ab 1982 war er als wo sie zunächst als Serviertoch- schauspielerin aber erst mit 86 Sänger in Wiesbaden, Luzern und ter und später als Assistentin des Jahren. Für die Rolle der Martha Mainz engagiert. Ab 1986 arbeite- Handstandartisten Billy Frick, ih- in Bettina Oberlis «Die Herbstzeit- te er als Inspizient am Theater Ba- res späteren Mannes, arbeitete. losen», der 2006 der beliebteste sel. 1999 verpflichtete ihn Barbara Dieser verschaffte ihr 1946 ei- Kinofilm der Schweiz war, wurde Mundel, die mit ihm in Basel zu- nen ersten Auftritt als Tänzerin sie mit dem Spezial-Leoparden des sammengearbeitet hatte und nun in Zürich, dem weitere in ganz internationalen Filmfestivals von als Direktorin dem Luzerner Thea- Europa folgten. 1948 wanderte Locarno und dem Swiss Award ter vorstand, als Chefdisponenten Marty zusammen mit Frick nach ausgezeichnet. «Es ist natürlich und Leiter des künstlerischen Be- Los Angeles aus. Sie startete ei- ganz wunderbar, dass ich am triebsbüros nach Luzern, wo er bis ne vielbeachtete Tanzkarriere und Schluss meines Lebens noch einen zum Ende ihrer Intendanz 2004 tourte immer wieder durch Euro- solchen Erfolg feiern darf», sagte blieb. Danach ging Heene als Be- pa und Asien. Marty war auf dem sie in einem Zeitungsinterview der triebsdirektor zu Amélie Niermey- Cover unzähliger Magazine und NZZ-Journalistin Alexandra Stähe- er an das Theater Freiburg, dessen Zeitungen zu sehen. Nachdem ihr li, «Und ich geniesse es bis in die Intendanz 2006 Barbara Mundel Mann und Manager 1977 gestor- kleinen Zehen, bis in die kleinen übernahm, die die Zusammenar- ben war, zog sich Marty von der

8 Ensemble Nr. 72 Öffentlichkeit zurück. 2009 hatte für das Schweizer Fernsehen, zu- diktinerin gelebt und gewirkt Roger Bürglers Dokumentarfilm erst für Kindersendungen, spä- hatte. 1919 in Rickenbach bei «Syra Marty - Dächli Leni goes ter aber auch für Formate wie Olten als Tochter des Verlegers, to Hollywood» Premiere, und «Ratgeber», «Seniorama» und Schriftstellers und Nationalrats das erste Schweizer Glamour-Girl «Treffpunkt». 1989 wurde sie Otto Walter geboren, besuchte rückte für einige Zeit wieder ins pensioniert und gründete die sie das Lehrerinnenseminar und Rampenlicht. Stiftung «Schule für angewand- begann dann ein Literaturstudi- te Gerontologie», die 1993 von um in Freiburg. 1944 erschien Kurz nach Weihnachten starb die der Pro Senectute übernommen ihr erster Lyrikband «Gedichte». Schweizer Fernseh- und Radio- und Ende 2010 geschlossen wur- Über 60 Werke folgten, die Ly- moderatorin Karen Meffert in de. Bis Mitte der neunziger Jahre rik und Prosabände ebenso wie Zürich. 1927 in Berlin geboren, veröffentlichte Meffert zahlrei- Festspiele, Oratorien und wichti- wuchs sie nach dem frühen Tod che Langspielplatten und Kasset- ge theologische Texte umfassen. ihrer Mutter bei Verwandten in ten mit Geschichten für Kinder Ab 1976 arbeitete das Theater der Schweiz und in Deutschland und mehrere Kinderbücher. Im 58 unter der Leitung von André auf. Sie studierte Literatur- und Alter von 67 Jahren eröffnete Revelly eng mit Silja Walter zu- Theatergeschichte und absol- sie die «Werkstatt für Sprechkul- sammen und brachte mehrere tur», in der sie Frauen die Angst ihrer Stücke zur Uraufführung, vor öffentlichen Auftritten neh- u.a. 1976 «Jan der Idiot», 1980 men wollte. «Sie kamen in die Stadt», 1985 «Der achte Tag». Mitte Dezember verstarb der Rheintaler Verleger und Kultur- förderer Hans Jürg Tobler im Alter von 76 Jahren. Der aus AUSSCHREIBUNG ­Altstätten stammende Tobler Dramenprozessor 2011/12 war in den vergangenen zwei Das Theater Winkelwiese Zürich Jahrzehnten als Stiftungspräsi- führt in Koproduktion mit dem Karen Meffert dent und Manager der Theater- Schlachthaus Theater Bern und Foto: © SR DRS gruppe Mummenschanz tätig. Er erstmals auch mit dem Thea- war der Lebenspartner von Flo- ter Chur und dem Stadttheater vierte in Bern die Schauspiel- riana ­Frassetto, die Mummen- Schaffhausen sowie in Zusam- schule. 1961 begann sie ihre schanz gemeinsam mit Bernie menarbeit mit dem Autoren- Tätigkeit beim Schweizer Radio Schürch und Andrès Bossard verband AdS, der SSA und Pro und gehörte damit zu den ersten 1972 begründete. Tobler sorg- Helvetia ab Sommer 2011 zum Frauen in diesem Beruf. In den te dafür, dass die Kontinuität neunten Mal eine Werkstatt für sechziger Jahren war Meffert für bei Mummenschanz über seinen Schweizer Nachwuchsdramati- die Radiosendung «Chummer- Tod hinaus gesichert blieb. Der ker und -dramatikerinnen durch. chischte» verantwortlich, in der neu verpflichtete Geschäftsfüh- Ziel der Autorenwerkstatt ist es, sie Kindern bei der Lösung von rer, Markus Simmen, trat seine während einer Spielzeit ein The- Alltagsproblemen beistand. Be- Stelle im März an. Tob­ler konnte aterstück zu entwickeln. Die Teil- rühmt wurde sie mit ihren Gute- zudem in den letzten Monaten nehmerinnen und Teilnehmer nachtgeschichten am Schweizer noch alle Vorbereitungen für die erhalten eine umfassende und Radio: Ab 1967 erzählte sie im nächsten Herbst beginnende kontinuierliche Begleitung von dreizehn Jahre lang kleine, oft Jubiläumstournee zum 40-jäh- der Stoffentwicklung bis hin zur selbstverfasste Kurzmärchen rigen Bestehen von Mummen- definitiven Stückfassung, ver- in Mundart. Unzählige Kinder schanz abschliessen. bunden mit einem Stipendium. wuchsen mit dem «Bettmümp- Es ist beabsichtigt, eines oder feli» auf, bis es 1980 durch ei- Die Dichterin und Ordensfrau mehrere der entstehenden Stü- ne Sportsendung ersetzt wurde. Silja Walter ist tot. Die Schwes- cke in Zürich, Bern, Chur und Parallel zu ihrem Radioengage- ter von Otto F. Walter starb En- Schaffhausen uraufzuführen. ment arbeitete sie über zwanzig de Dezember mit 91 Jahren im Anmeldeschluss ist der 30. April Jahre lang als Moderatorin, Re- aargauischen Kloster Fahr, wo daktorin und Filmproduzentin sie über sechzig Jahre als Bene- 2011.

Ensemble Nr. 72 9 SBKV-MITGLIEDER

«Man muss sich auffächern»

Der Schauspieler Edward Piccin im Gespräch

Edward Piccin in Stefan Muggli / Christoph Arnis Kurzfilm «Eine bombige Hochzeitsnacht», 2009 © Foto: Balz Murer Du hast zwar zwei Jahre zum ich nicht an die EFAS gehe, zum geebnet, dass man erst einmal mit Ensemble des Theaters St. Beispiel, sondern eine handwerklich Theater weitermacht. Ich habe ei- Gallen gehört, hast Dich aber fundierte Ausbildung machen will, ne kleine Vorsprechtour absolviert, schon bald auf die Arbeit vor keine «Papa hat genug Geld und Peter Schweiger hat mich gesehen, der Kamera und hinter dem zahlt mir die Schule»-Ausbildung. hatte in St. Gallen «Pinocchio» in Mikrophon konzentriert … Gleich die erste Aufnahmeprüfung petto und fand, dass ich da passen Ursprünglich wollte ich eigent- an der Schauspiel-Akademie hat ge- würde. Keine Ahnung, warum … lich Filmregie studieren, aber für klappt, und da ich ja auch in Zürich die meisten Schulen, die in Frage gewohnt hab’, war das ganz prak- Jetzt musst Du grinsen… gekommen wären, war ich wohl tisch. Die Zeit dort war dann zwar Noch während Deiner Zeit am noch zu jung oder hab’ die Vorbe- nicht so klasse für mich, denn ich Theater St. Gallen wurdest Du dingungen nicht erfüllt. Dazu kam, war nie der Freak, der Künstler-Typ, dann enorm populär durch die dass ich als Gymnasiast einen The- ich war eher immer der, der einfach Sitcom «ManneZimmer» … aterkurs belegt hatte, in dem man spielen will, seinen Beruf ausüben, Wir standen allerdings immer im die Grundlagen des Schauspielens der das aber nicht zum Lebensinhalt Schatten des Megaerfolgs von lernte. Ich merkte, okay, es gibt macht und der nicht darüber philo- «Fascht e Familie» und wurden da- nicht nur Film, sondern man kann sophieren will – und das sind dann ran gemessen – auch meine Figur. auch auf der Bühne spielen, und an einer Schauspielschule die Un- Wer ist lustiger, wer hat die tolleren das macht auch Spass, und hab’ coolen, die nicht so richtig dazuge- Sprüche drauf: Flip oder Röbi? Da- mich dann nach der Matura an ei- hören. Es hiess schon damals: «Der bei fand ich unsere Sitcom durchaus ner Schauspielschule beworben. geht sowieso zum Film.» Dennoch urbaner, auch etwas frecher. Eigent- Dabei war für mich immer klar, dass war mit dieser Ausbildung der Weg lich war das aber nicht viel anders,

10 Ensemble Nr. 72 als Theater zu spielen, Boulevard- in Deutschland arbeiten konnte. Vertrag – und war ganz gut be- Theater, denn wir haben ja die Fol- Und was ich dort drehte, hob sich schäftigt. Dann habe ich gemerkt, gen im Studio vor 200 Zuschauern auch von dieser deftigen Comedy, dass ich einen Gang höher schalten aufgezeichnet – ich war froh, dass die «ManneZimmer» war, ab. Ich muss, war dann ziemlich lange bei ich meine St. Galler Bühnenerfah- hab’ dort dramatische Rollen ge- der «Intrige» (die heute «Spielkind» rung hatte. Wir haben bis zu 18 Fol- spielt und vor allem in vielen Krimis heisst), einer Berliner Agentur, die gen im Jahr gedreht, das hat etwa mitgewirkt. Bei «ManneZimmer» nicht eine der namhaftesten, aber sechs Monate gedauert, unterbro- hab’ ich viel gelernt, was Anschlüs- eine der besten ist, und jetzt ver- chen von zweiwöchigen Umbau- se, was Schnitt anbelangt, da wir ja tritt mich Sibylle Flöter in München. pausen, da wir ein Swingset hatten. auch dabei waren, wenn die Bilder Aber letztlich muss ich sagen, es ist In dieser Zeit wäre Theaterspielen geblockt wurden. Das half mir auch ziemlich egal, bei welcher Agentur gar nicht mehr möglich gewesen. bei den übrigen Dreharbeiten. du bist. Du musst in den Köpfen der Caster, aber vor allem in den Köp- Dann hast Du vor allem in Du bist sehr bald durch gute fen der Redakteure sein, also der Deutschland gedreht … Agenturen vertreten worden? Entscheider – und das sind leider Das begann schon vor «ManneZim- Anfangs bin ich einfach so von Cas- nicht die Caster, weder hier in der mer» und war auch danach ganz ter zu Caster getingelt, damals ging Schweiz noch in Deutschland. unabhängig davon, denn diese das ja noch, und dabei hat sich dann Dialekt-Sitcom hat man dort nicht manchmal etwas ergeben. In meine Aber ohne Agentur würd's empfangen. In der Schweiz war die erste Agentur in Hamburg bin ich nicht gehen? Serie zwar populär, auch der Röbi, eigentlich zufällig reingerutscht. Ich In Deutschland wohl nicht. Wie ge- meine Figur, aber mehr Arbeit hat bekam deren Adresse, und als ich sagt, am Anfang, als ich noch viel mir das hier kaum beschert. Ich will denen Material schickte, dachte ich, von Caster zu Caster getingelt bin, jetzt nicht sagen: eher im Gegen- das sei eine Produktionsfirma. Und hat sich manchmal auch so was er- teil, das kann ich nicht beurteilen. auf einmal wurde ich vermittelt, geben. Die Leute, die vor Ort sind, Aber ich war schon froh, dass ich war also in dieser Agentur – ohne haben vielleicht andere Möglich-

Edward Piccin als Röbi und Kamil Krejcíˇ als Erwin in der Schweizer TV-Sitcom «ManneZimmer», © Foto: SRF/Lukas Unseld

Ensemble Nr. 72 11 keiten, zu einer Rolle zu kommen, auf hätte ich dann wiederum kei- Budget. Da hatte ich schon Respekt haben andere Kontakte, aber wie nen Bock … Ich will spielen, that’s vor: auf Englisch zu drehen. Kann würde ich in der Schweiz von den it, und nicht das Vorsprechen zum ich ebenso spielen, reagieren wie in Projekten erfahren? Da ist es schon Lebensinhalt machen. Denn der Job meiner Muttersprache? gut, jemanden zu haben, der an die drüben ist ja auch viel härter, bis du Sachen rankommt, der einen darü- überhaupt zu einer Rolle kommst: Macht es bei der Arbeit auch ber informiert und der einen vermit- Es ist ein Fulltimejob an unzählige einen Unterschied, ob Du Hoch- telt. Castings zu gehen für alles Mög- deutsch oder Dialekt sprichst? liche von Werbung bis Spielfilm, Beim Dialekt merke ich viel mehr, Hier in der Schweiz hast und viele davon sind «open calls», wann ich anfange zu spielen. Du unter anderem «The zu denen dann Hunderte erschei- Im Dialekt bin aufgewachsen, Ring Thing» gedreht. nen. Bevor ich in Deutschland an da weiss ich genau, wie ich pri- Man hatte sich insgeheim er- vat klinge und merke sehr hofft, damit den kommerziel- deutlich, wann ich spiele. len Erfolg von «Achtung, Fertig, Hochdeutsch ist nicht mei- Charlie» zu wiederholen, was ne Alltagssprache, Hoch- nicht gelang. Aber für einen deutsch zu sprechen fühlt Schweizer Film, zudem einen sich immer nach einer Rol- totalen Spartenfilm, der ganz le an, mir ist beim Umgang klar auf ein Teenagerpublikum mit einem hochdeutschen ausgerichtet war, waren die Zu- Text immer klar: Das ist eine schauerzahlen sehr gut. Richtig Rolle, die ich gestalte. Ähn- erfolgreich war der Film dann lich war’s auch auf Englisch, auf DVD, denn viele Kids sehen da war mir immer bewusst, ja heute Filme lieber zu Hause. dass das die Sprache ist, in der ich jetzt einen Film ma- Dieser Film war eine Parodie che. Das war aber beinahe der erfolgreichen «Herr befreiend für mich, denn es der Ringe»-Filme. Hättest musste nicht alles so «natu- Du Lust auf solche inter- Edward Piccin als Fredi/Friedo in Mark Schip- ralistisch» sein wie im Dia- nationale Produktionen? perts «The Ring Thing», 2004 lekt, man kann viel mehr © Foto: Elevator Group AG Ich wurde – wie wohl beina- gestalten, mehr spielen: he jeder in Deutschland – für Wenn du Dialekt sprichst, Quentin Tarantinos «Inglourious ein Casting gehe, frage ich immer, messen dich die Leute daran, ob Basterds» vorgestellt, das war wieviele da gecastet werden, da- du genau so sprichst wie sie selbst. schon sehr lustig. Als ich das letzte mit ich weiss, ob sich der Weg und Mal in New York war wurde ganz der Zeitaufwand überhaupt lohnen. Du arbeitest – auf Hochdeutsch in der Nähe unseres Hotels «Gos- Deswegen bin ich zum Beispiel erst und Schweizerdeutsch – auch sip Girl» gedreht, und ich war von gar nicht zum Casting von «Valky- sehr intensiv als Sprecher, sei dem unglaublichen Aufwand, der rie» gefahren, denn ich dachte, wo- es für Werbespots, für «Guet- da betrieben wurde, schon beein- zu soll ich extra anreisen, wenn ich Nacht-Gschichtli» im Fernsehen druckt – vielleicht auch ein wenig am Ende bloss im Hintergrund mit oder zum Beispiel als Prinz von den riesigen Trailern für die vielen anderen an einem Tisch sit- in der schweizerdeutschen Schauspieler. Ich fänd’s schon toll ze? Schliesslich wurde die einzige Fassung des Kultfilms «Drei mal zu wissen wie es ist, unter sol- Rolle, die ich spannend gefunden Haselnüsse für Aschenbrödel». chen Bedingungen zu drehen. Aber hätte, dann von Matthias Schweig- Allerdings wird hier immer weniger letztlich ist die schauspielerische Ar- höfer gespielt, und dafür stand ich synchronisiert … Früher hat man beit vor der Kamera dieselbe, es ist gar nie zur Diskussion. hier einmal im Jahr einen grossen dasselbe Handwerk. Wobei du dich Hollywood-Film, meist einen Trick- in den USA aufgrund der ungeheu- Letztes Jahr wurde Dein film, auf Schweizerdeutsch synchro- ren Konkurrenzsituation wohl noch erster auf Englisch gedreh- nisiert. Das waren natürlich immer viel mehr reinknien musst und der ter Film veröffentlicht … Filme, die viele und vor allem auch Druck, der auf dir lastet, ein noch Ja, «Beyond Remedy», das war eine ganz kleine Kinder anziehen muss- viel grösserer ist als hier. Und dar- Straight-to-DVD-Produktion, Low ten, damit sich die Synchro ren-

12 Ensemble Nr. 72 tierte. Damals war ich noch in der bereitest. Im Studio läuft das Ganze te des Bündner Künstlers Andreas Sitcom und dadurch oft in der Pres- einfach ab und du sprichst deinen Walser gelesen: Ich mache so viel se und wurde sozusagen mit Na- Text gemäss dem Timecode – also Werbung, da tut Kunst als Kont- men besetzt, und so durfte ich die ohne, dass eingezählt wird. Vor al- rast sehr gut. Kunst ist da so weit Titelrolle in «Stuart Little» und den lem fürs SF wird so gearbeitet. oben, dass dich das als Schauspieler kleinen Eisbären sprechen. Da junge wieder erdet. Aber man muss für Stimmen im Synchron Mangelware Dir ist enorm wichtig, möglichst alles die Zeit finden. Und es müs- waren und noch immer sind, war Unterschiedliches zu machen? sen natürlich genügend Angebo- diese Arbeit ganz gut als Auswei- Seit letztem Jahr arbeite ich auch te kommen. Ich habe – wie einige tung meines Tätigkeitsfeldes. Ich für Radio Zürisee. Auch das ist eine SBKV-Mitglieder – auch schon Coa- habe dann sehr viel und sehr gerne kreative Tätigkeit, die einmal mehr ching für Firmen gemacht. Das war synchronisiert und mache das noch mein Berufsfeld erweitert – ich eine spannende Arbeit und für mich immer. Wobei diese Arbeit in der kann bei Radiospots Regie führen, wie Improvisationstheater, und zwar Schweiz ganz anders abläuft als in Musik komponieren. Das ist das einseitiges: Der andere ist er selber, Deutschland. Schöne für mich an meinem Beruf ich spiele Rollen, muss reagieren. als Schauspieler, dass ich nicht nur Inwiefern? Theater spielen, sondern so vieles Ist es schwieriger geworden, Hier wird – ausser bei den erwähn- machen kann: Werbung sprechen, Arbeit zu finden? ten Kinofilmen – nicht getaket. Du Synchronisieren, Filme drehen, Mu- Früher konnte man sich darauf bekommst den Film auf DVD und sik machen, Regie führen usw. Ich verlassen, dass immer etwas Neu- das Textbuch mit den ganzen Time- habe zum Beispiel auch Tex- es kommt. Inzwischen klagen alle, codes nach Hause, wo du dich vor- sie hätten weniger zu tun. Das liegt natürlich auch an den Sendern. Das Schweizer Fernsehen erhält Edward Piccin die höchsten Fernsehgebühren Eu- Edward Piccin wurde am 30. Ap- ropas, aber schafft es nicht, eine ril 1971 in Zürich geboren. Bereits eigene Sitcom oder Serie zu finan- mit 13 Jahren bekam er seine ers- zieren. Die letzte, «Tag und Nacht», te Synchron-Hauptrolle, ein hal- ist ja dann auch abgesägt worden, bes Jahr später wirkte er erstmals dabei war sie, so finde ich, frisch, in einem TV-Movie mit. 1992 bis zackig, modern. Jetzt werden nur 1995 besuchte er die Schauspiel- noch ein paar 90-Minüter pro Jahr Akademie Zürich, 1996 erhielt er gedreht, und wir alle wissen, wer einen Zweijahresvertrag ans Stadt- dort in mindestens der Hälfte der

theater St. Gallen, wo er u.a. den Edward Piccin Filme mitspielt. Auf die Schweiz be- Pinocchio gab. Durch die Rolle des © Foto: Eric Ryan Anderson zogen, kann man beinahe sagen: Röbi Flückiger in 65 Episoden der Es gibt zwei Schauspieler, die alles Schweizer TV-Sitcom «ManneZimmer» (1997–2001), wurde er drehen, die übrigen können nicht rasch zum Publikumsliebling. Er spielte in diversen TV-Produkti- von der Filmerei leben. Zudem onen mit, darunter 1999 in «Todesengel» mit Ulrich Mühe und musst du hier inzwischen froh sein, 2003 in «Claras Schatz» mit Hannelore Elsner sowie in Krimiseri- wenn du 1’200 Franken pro Dreh- en wie «Tatort», «Die Wache», «Der Fahnder», «Soko 5113» und tag verdienst, oft wirst du auch für «Ein Fall für zwei». Zudem arbeitet er als Sprecher für Werbespots weniger angefragt. Es wird nicht und Trickfilmsynchronisationen; zu seinen bekanntesten Dialekt- mehr gefeilscht: Take it or leave it. Figuren dort zählen Stuart Little und Lars, der kleine Eisbär. 2004 Und irgend jemand macht es im- spielte er Fredi/Friedo, den jungen Helden in der vieldiskutierten mer, selbst namhafte Kollegen. Da Schweizer «Herr der Ringe»-Parodie «The Ring Thing». 2009 er- ist man froh, dass das bei der Ar- schien sein erster englischsprachiger Film, das in Deutschland ge- beit als Sprecher – noch – anders drehte Horrormovie «Beyond Remedy». Ende 2010 stand er auch ist. Dort gibt es Tarife, und wenn wieder einmal auf der Bühne und wirkte in Zürich im Kindermusi- sich alle weiterhin daran halten, cal «Bim Samichlaus dihei» mit. Zudem ist Edward Piccin seit 2010 funktioniert das: Solidarität ist sehr beim Privatsender Radio Zürisee für die Produktion der Business­ wichtig, auch der Gewerkschafts- line, Trailer und Jingles verantwortlich. gedanke – deshalb bin ich auch im SBKV.

Ensemble Nr. 72 13 INTERVIEW

Anja Becher in Hermann Bahrs Komödie «Die Kinder», Schloss Weitra 2008, © Foto: zvg

Theater, Theater... und mehr!

In einer neuen Reihe stellen wir SBKV-Mitglieder vor, die ihre be- Was machst Du genau? ruflichen Fähigkeiten nicht nur auf der Bühne und vor der Kame- Ich ermögliche ihnen, mit Hilfe ra einsetzen, sondern auch für andere Tätigkeiten nutzen – so die von Gesprächssimulationen oder Basler Schauspielerin Anja Becher. Präsentationen, alltagsnahe Si- tuationen herzustellen, und ge- Du hast Theater gespielt in von dem, was Du als Schau- be Ihnen dann aus meiner Sicht der Schweiz und in Österreich spielerin gelernt hast, weiter. als Gesprächspartnerin oder Zu- und bist u.a. für die Kranken- Ja, Ich mache das seit ungefähr hörerin ein Feedback. Sie sollen haus-Serie «Tag und Nacht» fünf Jahren: an der Universität bewusst nach ihrer Rolle als Kun- vor der Kamera gestanden. für angewandte Kunst in Wien, denberater, Teamleiter oder Prä- Zur Zeit arbeitest Du für ­Radio bei Banken, Versicherungen, Kan- sentator ihres Kunstwerks suchen. Basel als Station Voice und tonsverwaltungen, in Spitälern, Wichtig ist mir, sie bei der Suche stehst in Schnitzlers «Rei- bei der Polizei. Meine «Schüler» nach ihrer Authentizität zu unter- gen» in Basel auf der Bühne. sind Künstler, Banker, Manager, stützen und sie für diese zu sensi- ­Zudem aber gibst Du vieles Kriminalbeamte, Ärzte usw. bilisieren. Ich zwinge ihnen weder

14 Ensemble Nr. 72 irgendwelche Verhaltensregeln de ich davon ange- auf, noch belästige ich sie mit ab- sprochen, wird mein gedroschenen Rhetorikregeln. Interesse geweckt, Sie sollen ­lernen, wie sie «rüber- springt der Funke kommen», wo ihre Stärken und über? Ich halte den Schwächen liegen. Ich unterstütze Menschen einen sie vor allem dabei, ihre Stärken Spiegel vor, so wie es zu erkennen und Wege zu finden, ein Regisseur bei den mit Ängsten, also zum Beispiel Proben auch tut. Das mit Lampenfieber, umzugehen. mach’ ich bei allen, Das Ziel ist es, dass sie sich in ih- egal ob beim Banker rer Haut und in ihrer Rolle mög- oder beim angehen- lichst wohl fühlen. So können Sie den Arzt. erfolgreicher «ihr Ding» vertreten, verkaufen, verteidigen. Wie bist Du dazu gekommen? Dabei gibt es sicher enorme Ich bin da durch Zu- Unterschiede zwischen, sagen fall reingerutscht, wir, Polizisten und Künstlern? wie in so vieles, was Ich halte den Menschen einen ich tue. Es macht Spiegel vor. Wie habe ich mich Spass, ich lerne beispielsweise als Opfer eines Menschen und ihre Verbrechens bei einer Einver- Welten kennen, die nehmung gefühlt? Konnte der mir sonst wohl ver- Anja Becher Kriminalbeamte so viel Vertrau- borgen geblieben © Foto: Leonard Zubler en aufbauen, war er authentisch wären. Wahrschein- genug, dass ich als Opfer den lich könnte ich inzwischen eine als Schauspielerin brauchen? vielleicht sehr schmerzlichen Tat­ Stelle als Bankerin antreten … Na klar. Menschen ganz genau hergang bis ins letzte Detail preis- Und Geld verdiene ich natürlich zu beobachten, ihre Stärken und geben mochte und konnte? Und auch damit. Schwächen zu erfassen, Situati- beim Kunststudenten bin ich Do- onen zu analysieren, das hat viel zentin oder Geldgeberin, sehe mir Kannst Du etwas von diesen mit meinem eigentlichen Beruf zu eine ­Projektpräsentation an: Wer- Erfahrungen für Deine Arbeit tun.

Welche Pläne hast Du als Anja Becher Schauspielerin? wurde 1977 in Basel geboren. Sie studierte Design interaktiver Medi- Ich bin gerade an einem Doku- en am HyperStudio in Basel, dann besuchte sie das Schubert Konser- mentarfilmprojekt über meinen vatorium in Wien, danach die European Film Actor School in Zürich. Grossvater … Seit dem Jahr 2000 ist Anja Becher als freischaffende Schauspielerin und Sprecherin tätig. Sie arbeitete in Basel mit Regisseuren wie Ve- … den Dramatiker und Ro- rena Buss, Marion Schmidt-Kumke, Thomas Blubacher und Helmut mancier Ulrich Becher («Der Förnbacher und trat u.a. als Lady Milford in Schillers «Kabale und Lie- Bockerer», «Murmeljagd»), be», als Sylvia in Marivaux’ «Das Spiel von Liebe und Zufall», als Mizi der letztes Jahr 100 geworden Schlager in Schnitzlers «Liebelei» und als Sennentuntschi in Hansjörg wäre … … dann schwirren da noch Ide- Schneiders gleichnamigem Stück auf. Sie spielte zudem u.a. bei den en für ein Sommertheater rum. Sommerspielen Perchtoldsdorf bei Wien, beim Sommertheater im Wir haben da schon einen span- Botanischen Garten Brüglingen und beim Schloss Weitra-Festival im nenden Ort, den wir eventuell österreichischen Waldviertel, war mit Lesungen in Deutschland, der «zwischennutzen» könnten, im Schweiz und Österreich unterwegs und für das Fernsehen tätig. Ab Auge. Und natürlich hoffe ich, in Mai wird sie in Kaspar Geigers Inszenierung «Steht auf» (nach Philip das eine oder andere interessante Roths Roman «Empörung») im Theater Roxy in Birsfelden zu sehen Theater- oder Filmprojekt «rein- sein. zurutschen» ...

Ensemble Nr. 72 15 NACHGEFRAGT

rezept des Kleintheaters. Gerin- ge Löhne und viele, unbezahlte Überstunden wurden dafür hin- genommen. Irgendwann stösst man dann aber an die Grenze des Leistbaren. Wir haben intern ein strukturelles Problem: Wir ver- fügen auf dem Papier über nur 3,9 Stellen (Büro, Vorverkauf, Reinigung, Bar, Technik) für 200 Veranstaltungen im Jahr. De fac- to arbeiten alle sehr viel mehr. Wenn wir nach Vertrag arbeiten würden, könnte der Betrieb so nicht aufrechterhalten werden. Und somit sitzt das Team des Kleintheaters im selben Boot wie die Künstlerinnen und Künstler, denen wir momentan nicht das bezahlen können, was wir wün- schen. Diesen Zustand möchten wir ändern.

Welche Änderungen strebt ihr bei der Gagenpolitik an? Barbara Anderhub (links) und Pia Fassbind, 2007 hat act – der Berufsverband die Co-Leiterinnen des Kleintheaters Luzern, © Foto: zvg der freien Theaterschaffenden – eine Broschüre zum Thema Richt- Drei Fragen an... gagen und Richtlöhne im freien Theater herausgebracht, die 2010 Barbara Anderhub überarbeitet worden ist. Wir sind in den letzten Jahren von Seiten Barbara Anderhub leitet seit 2004 gemeinsam mit Pia Fassbind der Künstlerinnen und Künstler das Kleintheater Luzern, ein Gastspielhaus, das seit 1967 besteht. immer wieder mit dieser Broschü- Kurz nach ihrem Amtsantritt liessen die beiden Co-Leiterinnen re konfrontiert worden und mit das in die Jahre gekommene Theater grundlegend renovieren, den Ansätzen, die als Richtgagen nun streben sie – nach erfolgreichen Jahren der Leitung des The- und Richtlöhne in dieser aufge- aters – auch eine Strukturreform und eine Reform der Gagenpo- führt werden. Wir finden diese litik an. Richtlinien sehr vernünftig, muss- ten aber bisher ganz klar sagen, Die Arbeitsbedingungen am führtes Gastspielhaus mit einer dass wenn wir diese empfohlenen Kleintheater Luzern bedür- grossen und langen Tradition, das Richtgagen bezahlen würden, es fen – eurer Aussage gemäss in der Stadt Luzern gut verankert uns in drei Jahren wahrscheinlich – einer Verbesserung, sowohl ist. Der Betrieb hat über 40 Jah- nicht mehr gäbe. hinter, als auch auf der Bühne. re lang gut funktioniert, weil alle Zurzeit schliessen wir eine Verein- Ja, einerseits ist die personelle Si- mit sehr viel Idealismus, Herzblut barung für eine Garantie bzw. ei- tuation im Haus verbesserungs- und Engagement gearbeitet ha- ne Einnahmenvereinbarung mit würdig, andererseits möchten ben, sowohl im Hintergrund als dem Künstler/der Künstlerin. Bei- wir auch die bei uns auftretenden auch auf der Bühne. Der Zusam- spielsweise erhält ein Schauspieler Künstlerinnen und Künstlern bes- menhalt, die gute Stimmung und (der mit einem Techniker gastiert) ser entlöhnen. Das Kleintheater Ausstrahlung, das war – denke 70 Prozent der Einnahmen, auf Luzern ist ein professionell ge- ich – schlussendlich das Erfolgs- alle Fälle aber eine garantierte

16 Ensemble Nr. 72 Das Kleintheater Luzern, © Foto: zvg

Mindestgage von 1'300 Franken. Pia und ich sehen die Notwen- wir viele Ideen nicht verwirkli- Unbekanntere Künstlerinnen und digkeit, ein Finanzierungsmodell chen, die zusätzliche Einnahmen Künstler kommen fast nie über die zu entwickeln, das es dem Klein- generieren würden. Eine Stelle Garantie hinaus, schon arrivierte theater Luzern ermöglicht, wei- kostet inklusive Sozialleistungen müssen die Garantie gar nicht in tere 40 Jahre zu überleben, nein, ungefähr 80’000 Franken. Die- Anspruch nehmen, da die Einnah- nicht nur zu überleben, sondern ses Geld wäre gut angelegt. Man men weit darüber liegen. gut zu leben, anständig zu leben könnte dann beispielsweise ver- Unser Ziel ist es, allen Fixgagen – was bedeutet, für gute Arbeit mehrt private Gelder akquirieren, nach act-Richtlinien bezahlen zu angemessen entlöhnt zu werden. die für die Gagen verwendet wer- können. Das betrifft dann vor al- In den letzten sechs Jahren konn- den könnten. Momentan sind wir lem diejenigen, die noch kein gro- ten wir die Auslastung von 50 auf mit diversen privaten Partnern sses Publikum ansprechen, die 60 Prozent steigern, unser Eigen- und der öffentlichen Hand im wir aber fördern wollen und nach finanzierungsgrad liegt bei 70 Gespräch, um zu eruieren, wer Subventionsvertrag auch fördern Prozent. Wir würden vor allem im das Kleintheater längerfristig wie sollen. Um dies leisten zu kön- Bereich Marketing und Werbung und wofür unterstützen könn- nen, benötigten wir pro Saison gern noch mehr tun, brauchen te. Unser Betrieb ist ein Balance- 120'000 Franken mehr. dafür aber intern eine Erhöhung akt, zum Überleben sind wir auf der Stellenprozente. Weil wir ei- Subventionsgeber, Sponsoren, Wie begegnet ihr dem struktu- ne Stelle zu wenig haben, kön- Donatoren, Gönner und Private rellen Problem des Kleinthea­ nen wir nicht wachsen, können angewiesen. ters? wir nicht besser werden, können

Das Kleintheater Luzern wurde 1967 von Emil und Ab 1996 nahm Andrej Togni diese Arbeit auf, führte Maya Steinberger als privates Theater gegründet, das Kleintheater erfolgreich bis 2001 und übergab vorwiegend um freischaffenden Künstlerinnen und dann die Leitung an Markus Kunz. Seit August 2004 Künstlern Auftrittsmöglichkeiten zu verschaffen. leiten Barbara Anderhub und Pia Fassbind das Thea- 1978 wurde der Betrieb in die «Stiftung Kleintheater ter gemeinsam. Luzern» überführt, deren Anfangskapital Steinber- ger zur Verfügung stellte und deren Präsident er bis Die «Stiftung Kleintheater Luzern» wird von Stadt 1987 blieb. Bis 1976 leitete er das Haus selbst, dann und Kanton Luzern, dem theaterclub luzern und von übernahm Marianne von Allmen für zwanzig Jahre 13 Luzerner Gemeinden subventioniert sowie von die Leitung des Kleintheaters und engagierte 1983 Sponsoren, Stiftungen und 34 Donatoren sowie 500 Heidi Vokinger als Co-Leiterin ans Haus. Mitgliedern des Gönnerclubs unterstützt.

Ensemble Nr. 72 17 BÜCHER IM BLICK Hommage an Paul Burkhard

Noch bis Ende Mai ist am Zür- Schweizer Musical-Klas- cher Bernhard-Theater «Die klei- siker – und ihr Schöpfer ne Niederdorf-Oper» zu sehen, Paul Burkhard ist unver- als Wiederaufnahme jener In- gessen. Aufgewachsen szenierung mit Erich Vock, Ma- in Zürich galt der 1911 ja Brunner, Elisabeth Schnell und geborene Burkhard weiteren Schweizer Publikums- bald als musikalisches lieblingen, die im letzten Jahr mit Wunderkind. Nach rund 40’000 Zuschauern gerade- dem Besuch des Kon- zu gigantischen Erfolg hatte. Ur- servatoriums war er aufgeführt 1951 unter der Regie Korrepetitor und Di- von Oskar Wälterlin am Schau- rigent am Stadtthea- spielhaus Zürich u.a. mit Rue- ter Bern; 1935 wurde di Walter als Bäuerlein Heiri gilt er mit seiner Revue- die Komödie heute längst als der Operette «Hopsa»

über Nacht zum gefeierten Komponisten. 1939 fand die Uraufführung seines musikalischen Lustspiels «Der schwarze Hecht» am Schauspiel- haus Zürich statt, danach wirkte Burkhard dort bis 1944 als Haus- komponist – von ihm stammte u.a. die Musik zur Uraufführung von Brechts «Mutter Courage». Idunas Lied «O mein Papa» aus dem «Schwarzen Hecht» wurde – von Lys Assia und Hunderten weiterer Künstler interpretiert – ein Welthit und das Lustspiel in der hochdeutschen Fassung als «Feuerwerk» international er- folgreich (und mit Lilli Palmer und Romy Schneider verfilmt). 1945 übernahm er als Dirigent das Radio-Sinfonieorchester Be- romünster. Heute ist nur mehr wenigen be- kannt, dass Burkhard, von dem zahlreiche, noch heute oft auf- geführte geistliche Werke wie das Kinder-Oratorium «D’ Zäl- ler Wiehnacht» stammen, auch eine Oper geschrieben hat, verschiedene Operetten, Kam- mermusik, Musik für Ballett und Paul Burkhard, 1954 Film, ja, sogar den Versuch einer © Foto: Aus dem Buch «O mein Papa», Verlag SpectraMotion AG neuen Landeshymne wagte.

18 Ensemble Nr. 72 Am 21. Dezember 2011 jährt Mittelpunkt zu stellen und be- Oskar Wälterlin sich Paul Burkhards Geburtstag wusst seiner sexuellen Neigung Auch über Oskar Wälterlin, der zum 100. Mal. Aus diesem An- keine grosse Gewichtigkeit zu die Uraufführungen des «Schwar- lass haben die beiden Radio- und geben, die sie in seiner Arbeit zen Hechts» und der «Kleinen Fernseh-Journalisten Peter Kauf- nie hatte. Eine Überarbeitung Niederdorf-Oper» inszenierte, er- mann und Philipp Flury ihre um- des Textes schien uns nicht zwin- fassende, reich illustrierte und gend. Wer zwischen den Zeilen scheint anlässlich seines 50. To- grafisch sorgfältig gestaltete lesen kann, dürfte ohnehin fün- destages eine Biografie – verfasst Biografie «O mein Papa ... Paul dig werden. In der Neuauflage von unserem Redaktionsmitglied Burkhard – Leben und Werk», des Buches ‹O mein Papa› bleibt Thomas Blubacher und publiziert die 1979, zwei Jahre nach Burk- die Biografie von 1979 als integ- im Henschel Verlag Leipzig. hards Tod, im Orell Füssli Verlag rierter Bestandteil erhalten», so Das Buch wird am 5. April um Zürich erschien, damals beacht- Co-Autor Peter Kaufmann. 20.30 Uhr im Schauspielhaus Zü- liche 8’000 mal verkauft wurde Dieses originelle Konzept eines rich, dessen Direktor Wälterlin und seit langem vergriffen war, «Buchs im Buch» besticht: Nach 1938 bis 1961 war, vorgestellt. ergänzt und im Verlag Spec- einem neuen, mit Farbfotos il- traMotion AG neu aufgelegt: lustrierten Teil, der neben einer für Burkhard-Fans und ein wür- als Würdigung eines Schweizer Einleitung (in deren Zentrum das diger Auftakt zum Festjahr mit Komponisten, dessen Werk in nachträgliche Outing des ho- zahlreichen Aufführungen und unserer Gegenwart weiterlebt. mosexuellen Burkhard durch die Konzerten sowie einer Ausstel- «Grundsätzlich stellt sich aller- Autoren steht) insbesondere drei lung über Burkhard, die die Zen- dings die berechtigte Frage, ob aktuelle Produktionen der «Klei- tralbibliothek Zürich in der Zeller der Text von damals aus heuti- nen Niederdorf-Oper» (Zürich, Kirche zeigen wird, und schliess- ger, kritischer Sicht noch zu ge- Basel, Schaffhausen) sowie Felice lich sogar der Auflage einer Son- nügen vermag. Wer heute über Zenonis 2007 entstandene Film- derbriefmarke. Die lesenswerte Paul Burkhard schreibt, weiss oft dokumentation «Paul Burkhard. Biografie ist die liebevolle Hom- zahlreiche neue Einzelheiten zu O mein Papa» vorstellt, stösst mage an einen bedeutenden vermelden oder ausführlich An- man auf den Umschlag des alten Schweizer Künstler, mit dessen ekdoten zu erzählen, die meist Buches, das dann integral folgt, Musicals Generationen aufge- spannend und amüsant sind und schwarz-weiss gedruckt, in zeit- wachsen sind und dessen Melo- oft mehr als nur einen wahren typischem, heute nostalgisch dien längst zum kulturellen Erbe Kern enthalten. Es war daher wirkendem Layout und sogar mit der Schweiz gehören. unser Anliegen, Paul Burkhard den originalen Paginierungen. nach seinem eigenen Wunsche Zum Schluss folgen dann in ei- Philipp Flury/Peter Kaufmann: als ganzheitlichen Menschen nem Anhang Informationen u.a. O mein Papa und Künstler darzustellen, seine über die zahlreichen Events zum Verlag SpectraMotion AG Werke in den 100. Geburtstag Burkhards. 236 S., ca. SFr. 68.–. Die ergänzte Neuausgabe von Flury/Kaufmanns Biografie ist aber weit mehr als nur ein Buch

Die Geschichte einer nationalen Bühne: das Zürcher Cabaret Cornichon

Das legendäre Cabaret Corni- Volksschauspieler wie Emil He- chon, am 30.12.1933 von Wal- getschweiler, Elsie Attenhofer, ter Lesch und Otto Weissert in Zarli Carigiet und Margrit Rainer Zürich gegründet, steht am hervorgebracht; auch Heinrich Anfang der schweizerischen Gretler, Mathilde Danegger, Voli Kabarettgeschichte und hat Geiler, Walter Morath, Karl Mei-

Ensemble Nr. 72 19 er, Alfred Rasser, Schaggi Streuli, ­Emigrantenkabarett gewesen, ten habe das Cornichon jedoch und die junge Tru- sondern Teil der zürcherischen keineswegs vor regelmässigen di Roth haben in Cornichon-Pro- und bald schon der schweizeri- Zensurkontrollen durch kantona- grammen im Zürcher «Hirschen» schen Unterhaltungskultur, habe le Behörden und Interventionen (bzw. ab 1949 im Theater am kein subversives Underground- von ausländischen Gesandt- Neumarkt) gespielt. Die Ge- Theater, sondern Mainstream- schaften geschützt. Das Corni- schichte des wichtigsten schwei- Kabarett gespielt. Ein grosser Teil chon habe diese mit Geschick zu zerischen Kleinkunstensembles der Nummern war unterhaltend, parieren und die Behörden von hat nun Peter Michael Keller um- komisch, erotisch, nur eine Min- seiner Staatstreue zu überzeu- fassend erforscht. derheit der Nummern galt politi- gen versucht. Kellers umfangreiche Monogra- schen Themen. Erst in den Nachkriegsjahren fie reizt – völlig anders als der in Keller, der vehement der bislang habe der Anteil des angriffigen der letzten «Ensemble»-Ausga- oft vorgenommenen einschrän- Kabaretts wieder zugenommen, be vorgestellte, populär gehalte- kenden Fokussierung auf das po- nun aber in einer weniger sati- ne Band über «Grosse Schweizer litische Kabarett entgegentritt, rischen als polemischen Weise. Kleinkunst» – den Leser trotz et- unterscheidet dabei vier Phasen In dieser dritten Phase habe man licher Illustrationen keineswegs in der Entwicklung des Corni- Schwierigkeiten bekundet, den zum Blättern und Schmökern, chon: In den ersten Jahren habe Nerv der Zeit zu treffen. sondern bietet dem Interessier- es sich nach Startschwierigkeiten Da das Ende des Cornichons ten (nach einer Darstellung der rasch zu einem erfolgreichen Ka- nicht das Ende seiner Num- Forschungsgeschichte, einer Be- barett schweizerischer Prägung mern, die auf Unterhaltungs- griffs- und Typologieklärung und entwickelt und dabei vom lite- bühnen und im Radio gespielt, methodischen Überlegungen) die rarisierend-melancholischen Stil auf Schallplatten und in Büchern erstmalige Analyse des gesamten der ersten Programme zu einem veröffentlicht wurden, bedeu- vorhandenen Quellenfundus’ an unterhaltend-satirischen Kaba- tete, benennt Keller die vierte schriftlich festgehaltenen Num- rett gefunden. Dabei habe man Phase als das «Cornichon der merninhalten sowie auditiven sich in immer stärkerem Ausmass Erinnerung». Verschiedene Ak- und visuellen Aufnahmen. Ex- gegen politische Vorgänge im teure hätten begonnen, den emplarische Nummernbetrach- Ausland gerichtet, im Programm wohlbekannten Mythos vom Ka- tungen gehen dabei einher mit «Langi Leitig» vom November barett des Widerstands aufzu- einer Untersuchung des politi- 1938 sogar in 43 Prozent aller bauen, das in der suggerierten schen Diskurses im Cabaret Cor- Nummern. Dichte nie existiert habe. Dieser nichon anhand des gesamten Das Cornichon der Kriegszeit Mythos habe bis heute unsere ­Quellenkomplexes; dabei be- hingegen habe mit einer kom- Wahrnehmung des Cornichon zieht Keller auch die zahlreichen plett veränderten inhaltlichen geprägt. Textmodifikationen und Neukon- Ausrichtung aufgewartet und Kellers allen wissenschaftlichen textualisierungen seit dem ei- das Satirisch-Angriffige durch af- Ansprüchen standhaltende Ge- gentlichen Ende des Cornichons firmatives Kabarett ersetzt; das schichte des Cabaret Cornichon im Jahre 1951 mit ein. Cornichon sei für die Zuschauer ist – mit Querbezügen zu Thea- Die leitende Frage für Keller ein entschiedener Ort der Selbst- ter, Literatur, Film und Populär- war diejenige nach der Veri- vergewisserung geworden. kultur – zweifellos ein profunder fizierung oder Falsifizierung Keller verortet das Cabaret Cor- Beitrag zur schweizerischen Kul- des «Cornichon-Mythos»: Kel- nichon innerhalb einer Theater- turgeschichte der 1930er und ler zeigt, dass sich der Ruf des politik der «Verschweizerung», 1940er Jahre. aufmüpfigen, widerständigen wie sie spätestens mit dem Ein- Kabaretts zur Zeit des Zweiten setzen der offiziellen Ideologie Peter Michael Keller: Weltkriegs, der dem Cornichon der «Geistigen Landesverteidi- Cabaret Cornichon. Geschichte bis ­heute anhaftet, insgesamt gung» betrieben worden sei, einer nationalen Bühne. als ein in den Nachkriegsjahren und nennt es (nicht zuletzt in Be- Chronos Verlag, Zürich 2011. gefestigtes Konstrukt erweist. zug auf die Auseinandersetzung 544 S., ca. 60 Abb., CD-ROM, ca. SFr. 78.–. Das Cornichon sei keineswegs mit der Flüchtlingspolitik wäh- als Reaktion auf Nationalsozial­ rend des Krieges) «ein deutlich ismus und Faschismus konzi- staatskonformes Kabarett». Die- piert und auch kein politisches ses regierungskonforme Verhal-

20 Ensemble Nr. 72 WEITERBILDUNG FOCAL-WORKSHOPS für Schauspieler und Schauspielerinnen

KOMMENTARSPRECHEN FÜR FORTGESCHRITTENE 25. Juni 2011 in Zürich Intensivtag für sechs bis acht Sprecherinnen und Sprecher, die den Workshop « ... und es läuft» besucht haben oder über entsprechende Berufs- erfahrung verfügen; Vertiefung und individuelles Coaching. Mit Irina Schönen und Franz Kasper- ski. Teilnahmegebühr: CHF 180.– Anmeldefrist: 27. Mai 2011

COACH THE COACH COACHING UND CASTING Weiterbildung für professionelle Coaches bei Film und Fernsehen MIT LENA LESSING 13. bis 15. Mai 2011 23. bis 25. September 2011 Lerntheoretischer Input, szenische Simulati- Rollenvorbereitung vom Casting on ‹neuralgischer› Coaching-Situationen sowie bis zum Dreh mit Lena Lessing. Feedback, Auswertung, persönliche Positionie- rung usw. Mit zwei Erwachsenenbildnern aus dem systemischen und organisationsberatenden Teilnahmegebühr: CHF 500.– Bereich. Anmeldefrist: 25. Aug. 2011 Teilnahmegebühr: CHF 500.– Anmeldefrist: 8. April 2011

«... UND ES LÄUFT» 29. und 30. Mai 2011 in Zürich Sprechen am Mikrofon in den renommierten Tonstudios Z mit Übungsmöglichkeiten und per- sönlichem Feedback. Mit Irina Schönen, Detlef Hüpgen, Franz Kasperski, Marco Caduff, Ruedi Ruch, Gabriela Kasperski.

Teilnahmegebühr: CHF 320.– Anmeldefrist: 29. April 2011

Weitere Informationen und Anmeldung bei: F O C A L Stiftung Weiterbildung Film und Audivision [email protected] www.focal.ch

Ensemble Nr. 72 21 INTERNA für die im Urheberrecht bezeichne- ben grundsätzlich jene Interpretin- ten Nutzungen von künstlerischen nen und Interpreten, welche an der Darbietungen Vergütungen geltend Produktion von Tonträgern oder von zu machen. Grundlage der Gel- Tonbildträgern oder bei Radio- und tendmachung sind rund zwanzig TV- Sendungen, die in der Schweiz Verteilung von Geldern aus Ver- behördlich genehmigte und ver- genutzt worden sind, mitgewirkt gütungsrechten an Interpretin- bindliche Tarife. haben. nen und Interpreten. SWISSPERFORM muss das aufgrund Alle Künstlerinnen und Künstler, die der Tarife erhaltene Geld unter in Theateraufzeichnungen, Film-, Warum verteilt Swiss­perform möglichst kostengünstiger Verwal- ­TV-, Phono-, Audioproduktionen Geld? tung auf die Berechtigten verteilen als Interpretinnen und Interpreten SWISSPERFORM ist die vom Bund für und dafür Verteilregeln aufstellen, mitwirken (inkl. Werbespots, Bild die Wahrung von Rechten der aus- die eine einheitliche Anwendung und Ton), müssen bei der SWIS- übenden Künstlerinnen und Künst- ermöglichen. Diese sind in einem SPERFORM angemeldet sein, damit ler, der Phonogrammproduzen­ten Verteilreglement festgehalten, das ihnen ihre Vergütung jährlich über- und der Audiovisionsproduzenten von der Aufsichtsbehörde geneh- wiesen werden kann. sowie der Sendeunternehmen kon- migt wurde. Verzichten Sie nicht weiterhin auf zessionierte Gesellschaft. Sie be- Welche Interpretinnen und Inter- Ihr Geld und melden Sie sich sofort steht seit 1993 mit Sitz in Zürich. preten erhalten Vergütungen? an, falls Sie dies nicht schon längst Aufgabe von SWISSPERFORM ist es, Anspruch auf eine Vergütung ha- getan haben.

Ich möchte mich bei SWISSPERFORM anmelden. Senden Sie mir bitte die dafür notwendigen Unterlagen und Formulare.

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Adresse

Telefon An das SBKV-Sekretariat schicken: SBKV, Kasernenstrasse 15, 8004 Zürich

INTERNA Ein Muss für alle freischaffenden Tänzerinnen und Tänzer: Tanzpass der EuroFIA

Tänzerinnen und Tänzer, die und Künstlerverbände innerhalb Mitglied des SBKV sind und sich der Europäischen Union und des ­einige Zeit im Europäischen Raum Europäischen Wirtschaftsraums. ausserhalb der Schweiz aufhal- Mit dem Pass erhalten Sie in den ten, sei es in einem Engagement Mitgliedsländern vertragliche oder zur Weiterbildung, sollten Beratung, Rechtsschutz am Ar- in unserem Sekretariat den kos- beitsplatz sowie ­andere Vergüns- tenlosen Tanzpass der EuroFIA tigungen. anfordern. Unser Sekretariat gibt Ihnen ger- Die EuroFIA ist eine Föderation ne Auskunft: der Künstlergewerkschaften Tel. 044 380 77 77

22 Ensemble Nr. 72 INTERNA Anmeldeformular für den Vermittlungskatalog 2011/12 für Schauspielerinnen und band (falls vorhanden). Einfache Version: Schauspieler, Musicaldarstelle- Wer eine erweiterte Online-Versi- – Katalog und Online rinnen und Musicaldarsteller on möchte, kann 3 verschiedene CHF 60.– Zusammen mit dem Ensemble Fotos senden. Das erweiterte For- ­finden Sie ein Anmeldefor­mular mular über Ihre Tätigkeiten bei Erweiterte Version: für den Vermittlungskatalog Film, Fernsehen und Theater fin- – Katalog und Online 2011/12. Der Katalog wird wiede- den Sie auf unserer Homepage – 2 zusätzliche Fotos rum als Broschüre verschickt. Wie- www.sbkv.com. Sie müssen es di- – plus Tätigkeitsbericht der sind alle Einträge auch über rekt übers Netz ausfüllen und kön- CHF 80.– unsere ­Homepage www.sbkv. nen es jederzeit beliebig ergänzen. com ­(natürlich wie gewohnt oh- Die beiden Formulare können Sie ne Adresse und Telefonnummer) Für beide Versionen beteiligen auch direkt unter www.sbkv.com abrufbar, mit Links auf Ihre eige- wir uns wiederum an der Hälf- ausfüllen und uns online ne Homepage und auf ein Demo- te der Kosten. zusenden.

Herausgeber/Inserateverkauf: Redaktion: Schweizerischer Dr. Thomas Blubacher, Bühnenkünstlerverband SBKV Rolf Simmen, Zeitschrift des Schweizerischen Bühnenkünstlerverbandes Kasernenstrasse 15 Dr. Simone Gojan Erscheinungsweise: vierteljährlich 8004 Zürich Telefon 044 380 77 77 Gestaltung, Realisation und Druck: Telefax 044 380 77 78 Tanner & Bosshardt AG www.sbkv.com; [email protected] Basel

Ensemble Nr. 72 23 24 Ensemble Nr. 72 Shafiai Ramin Foto: © 2009, Remedy», «Beyond Horrormovie Hroß’ Gerhard für Make-up beim Piccin Edward