SWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit

Kai-Olaf Lang Populismus in den neuen Mitgliedsländern der EU Potentiale, Akteure, Konsequenzen

S 16 Mai 2009 Berlin

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ISSN 1611-6372 Inhalt

5 Problemstellung und Empfehlungen

7 Populismus im postkommunistischen Europa

9 Vom Baltikum bis zum Schwarzen Meer: Populisten in der Offensive 9 Polen: Die Kaczyński-Zwillinge 10 Slowakei: Von Mečiar zu Fico 10 Neue Parteien in den baltischen Staaten 12 Bulgarien: Ein Zar, ein Nationalist und ein Saubermann

14 Populismus in Ostmittel- und Südosteuropa: Ein vielfältiges Phänomen 14 Harte und weiche Populisten 15 Strömungen und Richtungen 15 Die harten Varianten 16 Die weichen Varianten 18 Populistische Parteien im politischen Koordinatensystem

19 Populistische Potentiale 19 Wer wählt die Populisten? 20 Der Charme des weichen Populismus

21 Triebkräfte und Themen

23 Populistische Regierungspolitik: Pragmatismus oder Radikalisierung? 23 Polen: Die Kaczyński-Doppelspitze 25 Slowakei: Ficos linksnationale Koalition 27 Auswirkungen: Pragmatismus oder Radikalisierung?

29 Welche Reaktion: Isolieren, tolerieren, involvieren?

32 Anhang 32 Tabellen 35 Abkürzungen

Dr. Kai-Olaf Lang ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungsgruppe EU-Integration

Problemstellung und Empfehlungen

Populismus in den neuen Mitgliedsländern der EU. Potentiale, Akteure, Konsequenzen

Die Aufnahme neuer Mitgliedsländer aus Ostmittel- und Südosteuropa in die EU schien ein Beleg für die politische Stabilität dieser Staaten zu sein. Immerhin hatte es die EU bereits in den 1993 definierten »Kopen- hagener Kriterien« zur Voraussetzung für weitere Bei- tritte gemacht, dass in den jeweiligen Ländern eine demokratische und rechtsstaatliche Ordnung besteht, die Menschenrechte gewahrt werden und der Schutz von Minderheiten garantiert ist. Dass diese Bedingun- gen sich auf institutionelle, rechtliche und proze- durale Fragen bezogen, also gleichsam auf die demo- kratische »Hardware«, lag in der Natur der Sache. Zu- gleich blieb so jedoch lange Zeit der Blick darauf ver- stellt, dass die demokratische »Software« dieser Staa- ten nicht erfasst werden konnte – ihre politische Kultur, die Verbreitung demokratischer Werte oder Ausrichtung und Konsolidierungsgrad von wichtigen Akteuren wie etwa Parteien. Allerdings schien die politische Realität in den meisten Beitrittsländern auch auf diesem Gebiet eher optimistisch zu stimmen. Gewöhnlich hatte sich dort ein breiter Reformkonsens entwickelt, der die wirt- schaftliche Umgestaltung, die Erneuerung des politi- schen Systems und einen auf Nato- und EU-Mitglied- schaft gerichteten außenpolitischen Kurs einbezog. Seit einiger Zeit jedoch macht sich Ernüchterung, ja Sorge breit. In zahlreichen Ländern der Region haben populistische Parteien bei Wahlen an Terrain gewon- nen. Signalwirkung hatten dabei insbesondere die Parlamentswahlen, die 2005/2006 in Polen, der Tsche- chischen Republik, der Slowakei und Ungarn – den sogenannten Visegrád-Staaten – abgehalten wurden. Bei den ersten Wahlen, die nach dem EU-Beitritt dieser Länder stattfanden, konnten demagogische, aggressive und scharf polarisierende, kurz populistische Parteien beachtliche Erfolge verbuchen und teilweise (wie in der Slowakei und Polen) sogar die Regierungsgewalt übernehmen. Das geschah in Staaten, die einmal als Vorreiter des Systemwandels angesehen worden waren und den Kernbereich der Erweiterungszone ge- bildet hatten. Die innenpolitische Situation und die fragile Parteipolitik in diesen Ländern offenbaren, dass mit der »Osterweiterung« der EU auch ein beacht- liches populistisches Potential in die Union importiert wurde – deren alte Mitgliedsländer sich ihrerseits

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5 Problemstellung und Empfehlungen

einer wachsenden populistischen Herausforderung Bei der Frage nach dem richtigen Verhalten gegen- stellen müssen. über populistisch regierten Mitgliedsländern muss Der Erfolg von Populisten in den neuen Mitglied- differenziert werden. Je nachdem, wie die betreffende staaten resultiert aus den unerledigten Aufgaben der Regierungskoalition zusammengesetzt ist, welche Systemtransformation und den Besonderheiten von Form von Populismus herrscht, wie pragmatisch und Parteipolitik und Wählerverhalten in jungen Demo- wandlungsbereit die jeweiligen Administrationen kratien. So haben es die etablierten Kräfte trotz einer agieren, ist entweder eine härtere Gangart anzu- in vieler Hinsicht gelungenen Reformpolitik nicht schlagen oder ein eher dialog-orientierter Ansatz zu vermocht, wichtige und für die Menschen konkret wählen. In Abhängigkeit davon lassen sich drei ver- erfahrbare Missstände zu beseitigen. Die Themen- schiedene Strategien anwenden: Populistisch domi- felder, die von der Modernisierungspolitik ab 1989 nierte Regierungen können seitens ihrer Partner in vernachlässigt wurden, haben populistische Parteien der EU durch aktive Umgehung zumindest symbolisch aufgegriffen. Vor allem in der Phase neuer gesell- isoliert, in pragmatischer Weise toleriert oder durch schaftlicher Ungeduld, die mit dem EU-Beitritt ein- aktive Zusammenarbeit involviert werden. setzte, konnten sie daraus beachtliches politisches Jenseits dieser Strategien gilt es, durch konkrete Kapital schlagen. Begünstigt wurde (und wird) diese Maßnahmen die Bedingungen für Populismus zu er- Entwicklung durch eine wankelmütige Wählerschaft, schweren. Die Festigung von Parteien bleibt eine Her- organisatorisch schwache und programmatisch blasse ausforderung für demokratische Politik in den neuen Parteien und ein hohes Maß an Politikverdrossenheit. Mitgliedstaaten. Das gilt umso mehr, als sich in den All diese Faktoren haben erhebliche Bestandskraft und meisten Ländern der Region Parteiendemokratien dürften dafür sorgen, dass populistische Gruppierun- herausgebildet haben, die ohne intakte Parteien bzw. gen auch in der nahen Zukunft reüssieren werden. Parteiensysteme unter Funktionsdefiziten leiden wür- Deshalb haben sich die Partner der jungen Demo- den. Europäische Parteienverbünde, Partnerparteien kratien in der EU weiterhin darauf einzustellen, dass und die vor Ort wirkenden parteinahen oder weltan- populistische Kräfte direkt oder indirekt Einfluss auf schaulich geprägten Nichtregierungsorganisationen die Politik ihrer Länder nehmen können. Falls Populis- aus Westeuropa sind daher nach wie vor gefordert, ten Regierungsgewalt übernehmen, muss mit außen- durch ihr Engagement die programmatischen, per- und europapolitischen Folgen gerechnet werden. Die sonellen und organisatorischen Grundlagen von Par- Außenpolitik populistischer Exekutiven ist weniger teien im östlichen Teil des Kontinents zu stärken. berechenbar, die Kontinuitätsbildung wird erschwert. Die gesellschaftliche Unterstützung für populisti- Bilaterale Beziehungen – auch innerhalb der EU – sche Gruppierungen basiert teilweise auf einem Be- können sich infolge populistischer Regierungspolitik dürfnis nach Elitenwechsel. Tatsächlich scheint die rasch verschlechtern. Außerdem ist es möglich, dass Ablösung der verschlissenen Transformationseliten externe Akteure wie die USA oder Russland Sonder- durch neues Führungspersonal eine der Voraussetzun- verhältnisse zu populistischen Regierungen aufbauen, gen zu sein, um die in vielen Ländern herrschende wenn diese aus weltanschaulichen Gründen oder Vertrauenskrise überwinden zu können. Daher sollten wegen wachsender Marginalisierung in der EU solche die gemäßigten Parteien dieser Staaten gezielt neue Beziehungen suchen. Eliten aufbauen und dabei insbesondere Personal aus Das Vorrücken populistischer Parteien in den den regionalen Selbstverwaltungen rekrutieren. Von neuen EU-Mitgliedstaaten wirft zahlreiche Fragen westeuropäischen Partnerorganisationen und Stiftun- auf. Welche Akteure sind erfolgreich? Wie ist ihr gen sowie europäischen Parteienverbünden sollte inhaltliches Profil, mit welchen Themen können sie dieser Prozess unterstützt werden. Außerdem müssen ihre Wähler erreichen? Wie groß ist ihr Potential? moderate Akteure die »Lufthoheit« über politische Welches sind die gesellschaftlichen Stützen populis- Themen und Diskurse zurückgewinnen. Schwerpunk- tischer Parteien in den vormals kommunistisch te inhaltlicher Positionierung sollten dabei nicht zu- regierten Ländern? Und nicht zuletzt: Wie verhalten letzt jene Politikfelder bilden, die von Populisten er- sie sich, wenn es ihnen gelingt, Regierungsverantwor- folgreich besetzt worden sind – dazu gehören Sozial- tung zu übernehmen? All diese Aspekte sind von Be- und Wohlfahrtspolitik bzw. Daseinsfürsorge ebenso lang, wenn es darum geht, Handlungsstrategien für wie die Zurückdrängung der Korruption und der den Umgang mit dem Phänomen des Populismus in Staatsvereinnahmung durch Privatinteressen (state den postkommunistischen EU-Staaten zu erörtern. capture).

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6 Populismus im postkommunistischen Europa

Populismus im postkommunistischen Europa

Die Wahlergebnisse in Ostmittel- und Südosteuropa  Simplifizierung und Dichotomie. Populismus bietet ver- verunsichern. Populistische Gruppierungen unter- einfachende Problemdarstellungen und -lösungen schiedlicher Couleur konnten beeindruckende Erfolge an. Die komplexen Lösungsvorschläge der etablier- erzielen und waren mehrfach in der Lage, Exekutiv- ten Kräfte und der »Bürokratie« werden als ineffi- verantwortung zu übernehmen. Die Kaczyński- zient, intransparent oder schlicht schädlich zurück- Zwillinge in Polen, die zahlreichen »neuen« Parteien gewiesen. Populismus geht dementsprechend ein- in den baltischen Staaten, die linksnationale Regie- her mit einer grob schematisierenden und tenden- rung von Robert Fico in der Slowakei und der Aufstieg ziell dichotomen oder manichäischen Weltsicht, in schillernder Parteiführer in Bulgarien sind nur einige der Richtig und Falsch oder sogar Gut und Böse klar Beispiele für den massiven Zuspruch, den Populisten voneinander geschieden sind. zwischen Baltikum und Schwarzem Meer erfahren.  Anti-Establishment-Protest. Hier ist der Kern des Be- Hatte es lange Zeit den Anschein, dass in der Region griffs »Populismus« angesprochen. Populistische eine innenpolitische Konsolidierung greifen würde, Kräfte behaupten von sich, Stimme des Volkes zu so belegen die Wahlresultate der letzten Jahre, wie sein und Anliegen vorzubringen, derer sich die fragil die Parteiensysteme und wie zerklüftet die politische Klasse nicht annehmen wolle oder nicht politischen Eliten in vielen Ländern sind – auch und annehmen könne. Rechte wie linke Populisten gerade nach ihrem Beitritt zur EU. Überdies wurde »beanspruchen für sich, alleine dem Volk ›authen- deutlich, wie groß das Bedürfnis nach einem spalten- tisch‹ ›aufs Maul schauen zu können‹, wobei das den und zumindest verbal gegen den politischen, Volk dann nicht selten mit dem ›anständigen gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Status quo Bürger‹ gleichgesetzt wird«.3 Demgegenüber wer- revoltierenden Politikaustrag ist. den die arrivierten Eliten als abgehobenes Estab- Charakteristisch für das Phänomen des Populismus lishment dargestellt, das sich aufgrund seiner in Ostmittel- und Südosteuropa ist seine Vielschichtig- Ignoranz und der Fixierung auf Eigeninteressen keit. Neben Rechts- und Nationalpopulisten existieren in Gegensatz zu den Belangen des »gemeinen stärker sozial profilierte und agrarische Populisten, Mannes« und der Unterprivilegierten bringe. Popu- aber auch populistisch infiltrierte Parteien, die eher listische Politik verlangt damit immer auch nach zur politischen Mitte gehören. Darüber hinaus muss mehr oder weniger radikalen Veränderungen und zwischen radikalen, »harten« Populisten und flexible- vertritt im Grunde einen Anti-Status-quo-Ansatz.4 ren, »weichen« unterschieden werden.  Konfrontation und Antagonisierung. Populistischer Wenn nachfolgend von Populismus die Rede ist, Politikaustrag basiert auf einer polarisierenden und so ist damit ein bestimmter Politikstil, eine »Politik-, konfliktorientierten Deutung des gesellschaftlichen Interaktions- und Kommunikationsform«,1 mithin und politischen Geschehens. Er orientiert sich am eine bestimmte Methode des politischen Konflikt- Grundsatz »Wer nicht für uns ist, ist gegen uns« austrags gemeint.2 Für diese Methode ist eine Reihe und zielt – zumindest teilweise – darauf ab, durch von Kennzeichen prägend, wobei folgende Elemente eine konfrontative, exklusive und antagonisierende zu den Hauptmerkmalen populistischer Politik ge- Rhetorik Gemeinschafts- oder Gruppenidentitäten zählt werden können: zu schaffen und Mobilisierungserfolge zu erzielen.  Klassen- und schichtübergreifender Appell. Populismus 1 Vgl. Joachim Raschke/Ralf Tils, »CSU des Nordens. Profil grenzt »nach oben« ab, akzentuiert also einen an- und bundespolitische Perspektiven der Schill-Partei«, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 47 (2002) 1, 3 Roland Sturm, »Rechtspopulismus«, in: Dieter Nohlen/ S. 49–58 (51f). Rainer-Olaf Schultze (Hg.), Lexikon der Politikwissenschaft, 2 Vgl. auch zur Begrifflichkeit: Oliver Geden, Rechtspopulismus. München 2005, S. 830ff (831). Funktionslogiken – Gelegenheitsstrukturen – Gegenstrategien, Berlin: 4 Vgl. Torcuato Di Tella, »Populism and Reform in Latin Stiftung Wissenschaft und Politik, Juni 2007 (SWP-Studie America«, in: Claudio Véliz (Hg.), Obstacles to Change in Latin 17/2007), S. 8ff. America, London 1965, S. 47–73.

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7 Populismus im postkommunistischen Europa

geblichen Gegensatz zwischen den »Volksinteres- rungen oft fließend sind,7 sollte eine analytische sen« und dem Establishment. Unterschiede jenseits Trennung zwischen »harten« und »weichen« Populis- dieser Trennungslinie werden nicht thematisiert: ten erfolgen. Weiche Populisten unterscheiden sich Da beide Seiten der politischen Barrikade, also von harten vor allem in der Radikalität: Sie propagie- sowohl die Privilegierten als auch die Unterreprä- ren keine totale Infragestellung der bestehenden sentierten, als homogene Entitäten gesehen wer- politischen und sozialökonomischen Ordnung oder den, verbleicht jede sozialstrukturelle Differenz. der außenpolitischen Einbindung ihrer Länder. Ihr Populistische Politik appelliert damit nicht in aggressiver Politikstil bewegt sich im Rahmen der schicht- oder klassenspezifischer Weise an die Gesetze, zweifelt Rechtsstaatlichkeit, Pluralismus und Wähler, sondern amalgamiert bzw. überlagert Demokratie nicht an. Teilweise sind weiche Populisten sozialstrukturelle Diskrepanzen durch eine anti- Bestandteil des politischen Establishments; ihre Kritik elitäre Attitüde. richtet sich dann gegen andere »Fraktionen« der poli-  Personalisierung. Populistische Politik bedarf mar- tischen Klasse oder andere »Eliten« bzw. soziale Grup- kanter Führungspersönlichkeiten. Charismatische pen. Diese vereinfachende Einteilung relativiert sich oder zumindest signifikante Führer treten als selbstverständlich durch die unklaren Übergänge Sprachrohr des Volkes auf und geben dem polari- zwischen soften und radikalen Populisten, aber auch sierenden Protest ein Gesicht. Sie lenken die – oft zwischen »gemäßigten Populisten« und »Etablierten«, strikt zentralisierten – Parteistrukturen und geben die sich nur punktuell populistischer Methoden be- die inhaltlichen Schwerpunkte vor. Das Schicksal dienen. Sie kann aber helfen, Aussagen darüber zu populistischer Parteien ist damit häufig eng mit treffen, welches Potential und welche Manifestations- den jeweiligen Führungsfiguren verknüpft. formen des Populismus durch die Beitrittsländer in Die »populistische Methode« ist also kompatibel mit die EU gelangt sind. unterschiedlichen inhaltlichen Orientierungen und ideologischen Versatzstücken. Populismus per se »hat keine gefestigte detaillierte programmatische Sub- stanz«.5 Einzelne populistische Gruppierungen oder Parteien jedoch haben teilweise sehr wohl inhaltliche Schwerpunkte. Diese können zwar nach Bedarf ge- wechselt werden, gleichwohl betonen populistische Parteien und Bewegungen häufig »zentrale Issues«, mit denen sie sich in der politischen Arena profilie- ren.6 Doch die einzelnen Varianten populistischer Politik unterscheiden sich nicht nur durch ihre jeweiligen inhaltlichen Pointierungen, sondern auch durch die Intensität und Aggressivität des Konfliktaustrags. Bekanntlich bedienen sich auch »etablierte« oder ge- mäßigte Parteien vereinzelt populistischer Methoden – ohne dabei gleich als demagogisch gebrandmarkt zu werden. Gerade in Ostmitteleuropa, wo die Grenzen zwischen moderaten und extremistischen Gruppie-

5 Ebd., S. 47ff. 6 In Westeuropa werden entsprechend solcher »zentralen Issues« drei populistische Parteitypen unterschieden: Anti- Wohlfahrtsstaat-Parteien, anti(zentral)staatliche Parteien und nationalistische bzw. identitätsorientierte Parteien. Vgl. Susanne Falkenberg, Populismus und Populistischer Moment 7 József Bayer, »Rechtspopulismus und Rechtsextremismus im Vergleich zwischen Frankreich, Italien und Österreich, Duisburg in Ostmitteleuropa«, in: Österreichische Zeitschrift für Politik- 1997, . wissenschaft, 31 (2002) 3, S. 265–280 (267).

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8 Polen: Die Kaczyński-Zwillinge

Vom Baltikum bis zum Schwarzen Meer: Populisten in der Offensive

Populistische Gruppierungen haben in nahezu allen nung mit der kommunistischen Vergangenheit ein- neuen Mitgliedstaaten der EU mehr oder minder klare getreten. Bei der Wahl im Herbst 2001 schaffte die Wahlerfolge erzielen können. Im Folgenden soll ein Partei auf Anhieb den Sprung ins Parlament. Zusam- Blick auf die Situation in jenen Ländern geworfen men mit der PiS gelang gleich drei weiteren Parteien, werden, in denen populistische Parteien in jüngster die sich unmittelbar vor dem Urnengang konstituiert Zeit besonders starken Zuspruch erlangten. Dabei hatten, der Einzug in die Legislative – darunter mit zeigt sich, unter welchen nationalspezifischen Bedin- der LPR und der Samoobrona erstmals seit den frühen gungen solche Parteien operieren, wo sie die meisten neunziger Jahren auch radikalen Gruppierungen. Anhänger finden und von welchen Akteuren sie ge- Der Aufstieg der PiS ging einher mit dem Nieder- prägt werden. Vor allem aber wird deutlich, wie groß gang der ab 2001 regierenden exkommunistischen die Bandbreite populistischer Politik in Ostmittel- und Linksallianz SLD. Diese geriet in einen Abwärtstrend, Südosteuropa ist. als ein Megaskandal nach dem anderen aufgedeckt wurde. Zu den größten Affären gehörten »Rywingate« (um einen angeblichen Bestechungsversuch zur Polen: Die Kaczyński-Zwillinge Einflussnahme auf die Mediengesetzgebung), die »Starachowice« (SLD-Stadtverordnete waren aus Das polnische Superwahljahr 2005 brachte einen über- Regierungskreisen vorab über eine geplante Polizei- raschenden Triumph für die Zwillingsbrüder Lech und aktion gegen das organisierte Verbrechen in ihrer Jarosław Kaczyński und ihre Partei Recht und Gerech- Gemeinde informiert worden) und »« (um tigkeit (PiS). Bei den Parlamentswahlen im September lukrative Verträge der größten polnischen Raffinerie des Jahres konnte die PiS die Bürgerplattform (PO) PKN Orlen). Die konservative Opposition nahm diese bezwingen, die in den Prognosen vorn gelegen hatte. Skandale zum Anlass für scharfe Attacken gegen die Im folgenden Monat setzte sich Lech Kaczyński bei den Regierung, der sie Unfähigkeit und Nepotismus vor- Präsidentschaftswahlen durch. Nachdem Verhandlun- warf. Profitieren konnte zunächst aber vor allem die gen mit der PO über eine Koalition der rechten Mitte Bürgerplattform. Zur Rywin-Affäre etwa wurde eine gescheitert waren, bildete die PiS zunächst eine Min- parlamentarische Untersuchungskommission ein- derheitsregierung, die von gesetzt, deren Vorsitzender – der wortgewandte und geführt wurde. Ein halbes Jahr später wurden die bissige PO-Politiker Jan Rokita – die Verkommenheit beiden Parteien, die die Regierung bislang toleriert der exkommunistischen Strukturen in öffentlichkeits- hatten – die nationalkatholische Liga der Polnischen wirksamer Weise anprangerte. Familien (LPR) und die bäuerliche Samoobrona (Selbst- Erst in dem Moment, als sich die PiS gegenüber der verteidigung) –, zu Koalitionspartnern der PiS. Mitte PO als deutlich »patriotischere«, europakritische und 2006 ersetzte Parteichef Jarosław Kaczyński den Prag- traditionalistische Alternative zu profilieren begann, matiker Marcinkiewicz als Ministerpräsident. Er gelangte die Partei der Zwillinge auf die Erfolgsspur amtierte etwas länger als ein Jahr; im Herbst 2007 und schob sich in den Umfragen immer näher an die musste er nach einer Niederlage bei vorgezogenen Bürgerplattform heran. In der heißen Phase des Wahl- Neuwahlen abtreten. kampfs setzte die Kaczyński-Partei – neben dem Ver- Die PiS war wenige Monate vor den Parlaments- such, die PO als deutschlandfreundlich zu brand- wahlen 2001 gegründet worden und profilierte sich marken – vor allem darauf, sich als »soziale« Gegen- zunächst vor allem mit Law-and-Order-Themen und kraft zur marktwirtschaftlich ausgerichteten Bürger- der Forderung nach Zerschlagung exkommunistischer plattform darzustellen. Letztlich gelang es der PiS, Netzwerke. Ihre zwei Führungsfiguren, die Kaczyński- die Wahlgänge von 2005 zu einer Art Plebiszit zu Brüder, waren keine Unbekannten. Sie hatten sich vor stilisieren, bei dem zwischen einem »solidarischen« der Wende in der Gewerkschaft Solidarność betätigt und einem »liberalen« Polen zu entscheiden war. und waren in den neunziger Jahren für eine Abrech- Da die Partei auch ihre beachtlichen Mobilisierungs-

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9 Vom Baltikum bis zum Schwarzen Meer: Populisten in der Offensive

fähigkeiten ausspielen konnte (unterstützt wurde sie tion zur Bündelung ihrer Kräfte. Die sozialdemokra- nun unter anderem von dem fundamentalistisch- tische Linke, Liberale und Christlich-Konservative katholischen Rundfunksender ), gelang arbeiteten nun zusammen, und so gelang es nach den es ihr bei den Parlamentswahlen im September un- Wahlen von 1998, das Regime abzulösen. Die bunte erwarteterweise, die PO zu überflügeln – mit einem Anti-Mečiar-Koalition, die vom konservativ-europa- Stimmenanteil von 27 Prozent. Wenige Wochen später freundlichen Premier Mikuláš Dzurinda angeführt konnte Lech Kaczyński seinen liberalkonservativen wurde, brachte das Land bald wieder auf EU- und Konkurrenten Donald Tusk deshalb schlagen, weil Nato-Kurs. Während Mečiar zusehends an Einfluss sich eine breite Koalition aus Nationalkonservativen, verlor, konnte Dzurinda nach den Wahlen von 2002 Antikommunisten, katholischen Traditionalisten, aber angesichts der Zersplitterung seiner politischen Kon- auch Transformationsverlierern und Zukurzgekom- kurrenz unerwarteterweise eine Koalition der rechten menen hinter ihm versammelt hatte. Mitte bilden. Der Regierungschef und sein streng marktorientierter Finanzminister Ivan Mikloš setzten nun zielstrebig ihre wirtschaftsliberalen Ideen um. Slowakei: Von Mečiar zu Fico Durch Privatisierungen, Anwerbung von Auslands- investitionen, den Abbau von Sozialleistungen und Im Gegensatz zu den übrigen Ländern Mitteleuropas die Einführung einer Flat-Tax avancierte die Slowakei erlebte die Slowakei bereits in den neunziger Jahren zu einem international geachteten »Tigerstaat«. Aller- eine populistische Phase. Vladimír Mečiar und seine dings blendete Dzurinda die gesellschaftlichen Kosten Bewegung für eine Demokratische Slowakei (HZDS) seiner Politik aus, und es entstand eine wachsende hatten sich noch zu Zeiten des gemeinsamen tsche- Nachfrage nach einer sozialen Korrektur der radikalen choslowakischen Staates zum wichtigsten politischen Reformen. Faktor in der Slowakei entwickelt. In dem 1993 selb- Genau dieses Angebot machte Robert Fico den ständig gewordenen Land konnte Mečiar dann zu- slowakischen Wählern. Fico hatte vormals der ex- sammen mit der chauvinistischen Slowakischen kommunistischen Demokratischen Linkspartei (SDĽ) Nationalpartei (SNS) und später mit der linksradikalen angehört, sich dann aber mit deren Führung über- Arbeitervereinigung der Slowakei (ZRS) – mit einer worfen und eine eigene Partei namens Smer (Die kurzen Unterbrechung – bis 1998 regieren. Mečiar Richtung) gegründet. Die Smer positionierte sich und seine Gefolgsleute etablierten damals eine Art zunächst als ideologiefreie Kraft zwischen links und semiautoritäres Regime, unter dem die Medienfreiheit rechts, warb dann für einen »dritten Weg« und defi- eingeschränkt war, Referenden über die Direktwahl nierte sich schließlich als sozialdemokratisch.8 Als des Präsidenten oder den Nato-Beitritt des Landes tor- die Partei 2002 erstmals bei Parlamentswahlen antrat, pediert wurden und Parlamentarier ihr Mandat auf erzielte sie bereits über 13 Prozent der Stimmen. Vier ungesetzliche Weise verlieren konnten. Unterstützung Jahre später wurde Fico klarer Wahlsieger. Diesen Er- in der Bevölkerung sicherte sich die HZDS durch ein folg verdankte er in erster Linie seiner Ankündigung, Programm, das eine sozialverträgliche Umgestaltung mit dem Reformkurs Dzurindas brechen zu wollen. der Wirtschaft – zunächst in Abgrenzung vom tsche- Der Ruf nach einer sozialen Korrektur ging jedoch ein- chischen Kurs einer raschen Transformation – mit her mit der Betonung staatlicher Souveränität und einem konsequenten Eintreten für slowakische einem tiefen Argwohn gegenüber ausländischen Wirt- Nationalinteressen verband, also eine Art »Gulasch- schaftssubjekten. Nach seinem Wahlsieg von 2006 nationalismus« propagierte. Immer wieder wurde entschloss sich Fico, eine Koalition mit Mečiars HZDS dabei auch die ungarische Karte gespielt, d.h. die an- und der Nationalpartei einzugehen. gebliche Gefahr durch eine expansive Politik der Republik Ungarn oder eine illoyale ungarische Min- derheit an die Wand gemalt. Allerdings stellte sich Neue Parteien in den baltischen Staaten die Slowakei mit einer solchen Politik international ins Abseits, und es bestand das Risiko, dass das Land In den baltischen Staaten haben sich nach 1991 recht auf lange Sicht nicht in EU und Nato aufgenommen instabile Parteiensysteme herausgebildet. Vor allem werden würde.

Doch immerhin zwang Mečiars Konfrontationskurs 8 Beispielsweise indem der Zusatz »Sozialdemokratie« an den die zersplitterte prowestlich-demokratische Opposi- Namen der Partei (Smer-SD) angehängt wurde.

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10 Neue Parteien in den baltischen Staaten

in Estland und Lettland gab es lange Zeit unübersicht- In Lettland mischte der ehemalige Zentralbankchef liche und fragmentierte Parteienlandschaften, brü- Einārs Repše die politische Szene auf. Die von ihm ge- chige Koalitionen und rasch wechselnde Regierungen. gründete Partei Neue Ära (Jaunais Laiks) warf den etab- Allerdings hatte dies nur geringe Auswirkungen auf lierten Konkurrenten vor, von Oligarchen finanziert das Regierungshandeln. Da eine Art Hegemonie von zu werden und vom Schwarzhandel zu profitieren. Parteien des liberal-konservativ-nationalen Spektrums Repšes Gruppierung, die sich als konservative Kraft herrschte, setzte sich unabhängig von der konkreten der rechten Mitte verstand, war dabei weder europa- Zusammensetzung der Regierungsbündnisse ein pro- skeptisch noch fremdenfeindlich. Sie warb für den westlicher und stark marktwirtschaftsorientierter freien Markt und propagierte keineswegs eine groß- Kurs durch. Zwar äußerten sich bei Parlamentswahlen zügige Sozialpolitik; vielmehr vertrat sie – anknüp- immer wieder Ablehnung und Protest, doch deren fend an Repšes früheres Wirken als restriktiver Noten- politische Träger wurden integriert (so etwa der bulli- bankchef – eine Politik der fiskalischen Austerität. ge estnische Expremier Edgar Savisaar und seine Zen- Insgesamt aber basierte ihr Programm vorwiegend trumspartei) oder marginalisiert (wie die vor allem auf einer »vagen Anti-Irgendwas- und Anti-Korruptions- in der russophonen Gemeinschaft verwurzelten Links- Rhetorik«.10 Nachdem die Neue Ära die Wahl im Okto- parteien in Lettland), oder sie erwiesen sich als Ein- ber 2002 mit knapp 24 Prozent der Stimmen gewon- tagsfliegen (wie die Volksbewegung für Lettland, die nen hatte, wurde Repše Premierminister. Als solcher der deutsche Nationalkonservative Joachim Siegerist setzte er eine restriktive Finanzpolitik um, versuchte gegründet hatte und die Mitte der neunziger Jahre aber auch, seine Kernforderungen durchzusetzen. So kurzzeitig erfolgreich war). wurde etwa eine Behörde zur Korruptionsvereitelung Ein neues Phänomen zeigte sich zu Beginn dieses und -bekämpfung (KNAB) gegründet. Gleichwohl sank Jahrzehnts, als sowohl in Estland als auch in Lettland Repšes Beliebtheit. Die von ihm geführte Regierungs- neue Parteien auftauchten, die mit populistischem koalition zerbrach bereits im Frühjahr 2004. Wegen Appeal beachtliche Erfolge erzielten. In Estland grün- undurchsichtiger Konditionen für Kredite zum Immo- deten Ende 2001 konservative Jungpolitiker zusam- bilienerwerb leitete die KNAB ein Verfahren gegen men mit dem früheren Emigranten und Politologen Repše selbst ein, was ihn Ende 2005 auch das Amt des Rein Taagepera die Res Publica. Die Partei versprach Verteidigungsministers kostete und seine Regierungs- eine »neue Politik«, zu der etwa Null-Toleranz gegen- karriere vorerst beendete. Weiteren Schaden nahm über Kriminalität und Korruption oder Transparenz das Image der Partei, als herauskam, dass die Neue Ära bei den öffentlichen Finanzen gehören sollten.9 Bei offensichtlich von lettischen Unternehmern finanziert den Wahlen von 2003 stimmte ein Viertel der Wähler worden war. für Res Publica. Ihr Vorsitzender Juhan Parts wurde In Litauen war die Parteienlandschaft eine gewisse Ministerpräsident in einer Koalition mit der liberalen Zeit durch den Dualismus zwischen einer starken ex- Reformpartei und der bäuerlichen Volksunion. Doch kommunistischen Nachfolgepartei und dem konser- schon nach knapp zwei Jahren endete Parts’ Karriere vativen Lager strukturiert worden. Doch spätestens als Regierungschef. Sein Justizminister Ken-Marti seit Anfang dieses Jahrzehnts eröffneten sich auch Vaher (der ebenfalls zur Res Publica gehörte) hatte ein hier Chancen für neue, populistische Gruppierungen. Anti-Korruptions-Programm durchsetzen wollen, das Aufsehen erregte vor allem Viktor Uspaskich, ein illus- eine Mindestzahl an jährlich aufzudeckenden Bestech- trer Geschäftsmann russischer Abstammung. Seine lichkeitsfällen vorsah. Als das Parlament Vaher das Arbeitspartei grub mit sozialen Versprechungen den Misstrauen aussprach, trat der bereits durch andere Sozialdemokraten das Wasser ab und gewann so die Personalwechsel in Mitleidenschaft gezogene Parts Parlamentswahlen von 2004 mit über 28 Prozent der zurück. Die Popularität der Partei schwand während Stimmen. Geholfen haben dürfte Uspaskich dabei, ihrer Regierungszeit rasch dahin, und noch vor Ende dass er sich als erfolgreicher Geschäftsmann mit Sinn der Legislaturperiode vereinigte sich die Res Publica für gesellschaftliche Probleme zu profilieren vermoch- mit der konservativen Vaterlandsunion. te – immerhin konnte er auf soziales Engagement in seiner zentrallitauischen Heimat verweisen. Die Arbeitspartei, vor den Wahlen noch isoliert, schaffte 9 Matthias Kolb, Populismus als Strategie neuer Parteien im Baltikum. Eine vergleichende Analyse von Res Publica (Estland), Jaunais Laiks (Lettland) und Darbo Partija (Litauen), Diplom- 10 Daunis Auers, »Quo Vadis, Jaunais Laiks?«, Portal politika.lv, arbeit, München 2006, S. 30f. 10.4.2007, .

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11 Vom Baltikum bis zum Schwarzen Meer: Populisten in der Offensive

es, in eine Regierung mit den Sozialdemokraten auf- zen. Andererseits konzentrierte sich die Zarenpartei genommen zu werden; Uspaskich selbst avancierte auf Anliegen, die dem Gros der Bevölkerung unter den zum Wirtschaftsminister. Es zeigte sich allerdings Nägeln brannten – den Kampf gegen die korrupten rasch, dass er weniger eine politische Agenda als Eliten und eine rasche Verbesserung der Lebensver- vielmehr eigene Geschäftsinteressen bzw. die seiner hältnisse. Nach 800 Tagen NDSV-Herrschaft, so das Weggefährten verfolgte. Die gegen ihn erhobenen Versprechen der Partei, werde sich die Lage der klei- Vorwürfe wegen Patronage und finanzieller Unregel- nen Leute verbessert haben und der Staatshaushalt mäßigkeiten mehrten sich, und die Luft wurde zuneh- (bei gleichzeitigen Steuersenkungen) wieder ausge- mend dünn für ihn. Als schließlich wegen Urkunden- glichen sein. Eine wichtige Rolle spielte der ehemalige fälschung gegen ihn ermittelt wurde, verließ Uspas- Zar: Er profilierte sich als über kleinlichem Parteien- kich das Land Richtung Moskau. Unterdessen kehrten gezänk stehender Staatsmann, gab sich in der Sache mehrere Abgeordnete der Partei den Rücken. Gleich- wenig konkret, im Stil jedoch versöhnlich und wirkte wohl konnte die Arbeitspartei auch bei den Wahlen dadurch als Integrationsfigur. Nach der Wahl ging von 2008 wieder ins litauische Parlament einziehen. Simeon eine Koalition mit der Bewegung für Rechte Mittlerweile jedoch waren neue Sterne aufgegangen. und Freiheiten (DPS) ein und übernahm das Amt des Die Partei der Nationalen Wiederauferstehung, die der Ministerpräsidenten. Schon bald erwies er sich als Fernsehstar Arūnas Valinskas im April 2008 gegründet reform- und westorientierter Pragmatiker, während hatte, erreichte 15 Prozent der Stimmen; die Partei sich die NDSV nun als liberale Partei definierte. Dieser Ordnung und Gerechtigkeit des durch ein Amtsenthe- Kurs blieb nicht ohne Folgen: Simeon und seine Partei bungsverfahren abgesetzten Ex-Präsidenten Rolandas entzauberten sich rasch, und die Popularitätswerte Paksas konnte ein Achtel der Wählerschaft hinter sich gingen merklich zurück. sammeln. Schon bei den nächsten Parlamentswahlen Mitte 2005 zeigte sich ein anderes Gesicht des Populismus: das aggressive und nationalistische. Der Fernseh- Bulgarien: Ein Zar, ein Nationalist journalist Volen Siderov mobilisierte seine Wähler und ein Saubermann mit Fundamentalkritik an den Eliten der Übergangs- phase, verbalen Angriffen auf »Verräter« an der bulga- Die politische Landschaft Bulgariens war lange von rischen Sache und einer unverhohlen gegen Türken der Rivalität zwischen der sozialistischen BSP und und Roma gerichteten Rhetorik. Mit dem Fernseh- dem konservativen Lager dominiert worden. Seit sender TV SKAT besaßen Siderov und seine Partei Beginn dieses Jahrzehnts jedoch erschütterten drei Ataka (Angriff) eine wirksame Plattform, von der aus große populistische Schübe das Parteiensystem des radikale Parolen lanciert werden konnten. Erhielt Landes. Das erste Ereignis dieser Art – und zugleich Ataka 2005 bereits acht Prozent der Stimmen, so die entscheidende Zäsur – war die Rückkehr von schaffte Siderov bei den Präsidentschaftswahlen im Simeon Sachsen-Coburg-Gotha auf die politische Jahr darauf den Sprung in die zweite Runde, wo er Bühne Bulgariens. Der Ex-Monarch, der als Simeon II. dann mit einem Anteil von knapp einem Viertel der letzter Zar des Landes gewesen war und die Nach- Stimmen dem Kandidaten der Sozialisten unterlag. kriegsjahrzehnte im spanischen Exil verbracht hatte, Allerdings hatte Ataka mit der Abstimmung von wurde bereits bei seinen ersten Besuchen in der alten 2006 den Zenit des Wählerzuspruchs bereits erreicht. Heimat während der zweiten Hälfte der neunziger Es war deutlich geworden, dass eine extrem rechte Jahre euphorisch empfangen. Erst 2001 aber ent- Politik die Unzufriedenen aus der gesellschaftlichen schloss sich Simeon, direkt in das politische Gesche- Mitte nur unzureichend ansprach und daher nicht hen einzugreifen. Die von ihm gegründete Nationale mehrheitsfähig sein konnte. Gerade in diesem Sektor Bewegung Simeon der Zweite (NDSV) erhielt bei den machte sich ab 2007 – als dritte und vorläufig letzte Wahlen vom Juni 2001 auf Anhieb knapp 43 Prozent populistische Erschütterung Bulgariens – eine weitere der Stimmen und gewann die Hälfte der Parlaments- neue Partei breit: Die von Sofias Bürgermeister Bojko sitze. Borisov initiierte und faktisch auch geführte Gruppie- Dieser Erfolg hatte vor allem zwei Gründe. Einer- rung »Bürger für eine europäische Entwicklung Bul- seits gelang es der NDSV, sich als unideologische und gariens« (GERB, was als Akronym zugleich »Wappen« von den Skandalen der Transitionsphase unbefleckte heißt). Die Partei obsiegte bei der im Mai 2007 abge- neue Kraft vom bisherigen Establishment abzugren- haltenen Wahl der bulgarischen Europa-Parlamenta-

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12 Bulgarien: Ein Zar, ein Nationalist und ein Saubermann

rier und wurde auch bei den Kommunalwahlen vom Herbst des Jahres stärkste Kraft. Die Popularität von GERB hängt, wie dies auch bei der NDSV und Ataka der Fall ist, primär von ihrer Führungsfigur ab. Im Unterschied zu dem »Übervater« Simeon und dem Rechtsaußen Siderov profitiert Borisov von einem spezifischen Image des »Volksver- stehers«, das aus seinem Werdegang herrührt. Borisov arbeitete vor der Wende im bulgarischen Innenminis- terium; Anfang der neunziger Jahre etablierte er eine Personenschutzfirma, die unter anderem Bodyguards für Ex-Parteichef Todor Schivkov und Simeon II. stellte. In der Regierungszeit des Letzteren machte Siderov dann im Innenministerium Karriere. Nach einer kurzen Zeit als Abgeordneter der NDSV wurde er Bürgermeister von Sofia. Borisov präsentiert sich als Saubermann und Auf- räumer. Dass seine unternehmerischen Aktivitäten ein Geschäftsfeld betreffen, das in Ländern wie Bulgarien oft in einer Grauzone zwischen staatlichen Sicher- heitsstrukturen und illegalem Milieu angesiedelt ist, hat ihm bisher nicht geschadet – ebenso wenig der Umstand, dass er angesichts seiner politisch-beruf- lichen Vergangenheit alles andere als ein Newcomer ist. Entscheidend sind vielmehr Borisovs kommunika- tive Fähigkeiten und sein volksnahes Erscheinungs- bild. Dazu gehören das Auftreten in Lederjacke, ein athletischer Look und eine ausdrucksstarke Sprache. Ideologisch ist GERB eher konturlos. Obwohl sich die Gruppierung als Kraft der rechten Mitte versteht und mittlerweile der EVP angehört, sind es weniger kon- servative Akzente, die ihr massenhaft Anhänger zu- treiben, als vielmehr der Stil und das Prestige des in- formellen Parteiführers.

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13 Populismus in Ostmittel- und Südosteuropa: Ein vielfältiges Phänomen

Populismus in Ostmittel- und Südosteuropa: Ein vielfältiges Phänomen

Harte und weiche Populisten legitimiert wird durch die Berufung auf das Gemein- wohl, den »Volkswillen« und die Notwendigkeit von Ein Blick in die Region verdeutlicht also: Bei populis- »Säuberungen«. tischen Gruppierungen in den neuen EU-Staaten gilt Anders die weiche Spielart des Populismus: Seine es – ähnlich wie auch in Westeuropa – diverse Typen Vertreter wollen nicht die existierende politische und Strömungen zu unterscheiden. Ein Differenzie- Ordnung beseitigen, auch wenn es durchaus möglich rungskriterium ist dabei die Intensität, mit der popu- ist, dass sie Veränderungen des politischen Systems listische Parteien die gegebenen Verhältnisse in Frage anstreben.12 Die Gegenüberstellung von harten und stellen und die Gesellschaft zu spalten versuchen. weichen Populisten kommt in gewisser Weise der – Denn offensichtlich gibt es mehr und weniger aggres- auf Lateinamerika anwendbaren13 – Unterscheidung sive Spielarten populistischer Politik. Analog zu einer zwischen einer »autoritären« und einer »demokrati- Typologisierung europaskeptischer Parteien in hard schen« Version des Populismus nahe. So ist »demokra- und soft Eurosceptics11 können auch populistische Be- tischer Populismus« in der Lage, als modernisierende wegungen in harte und weiche Varianten unterteilt Kraft zu wirken. Bei der Umsetzung seiner Reform- werden. agenda verhält er sich wesentlich pragmatischer als Unter hartem Populismus ist jener Typus zu ver- die autoritäre Ausprägung populistischer Politik. stehen, der gleichsam die politische Grundsatzfrage Eine solche Differenzierung zwischen »hart« und stellt, also die Kernelemente von liberaler Demokratie »weich« kommt naturgemäß recht grobschlächtig da- und Rechtsstaatlichkeit anzweifelt und Gewalten- her. Idealtypische Einteilungen vereinfachen zwangs- teilung, Minderheitenschutz oder gesellschaftlichen läufig und werden in der Realität durch Mischtypen Pluralismus offen oder latent beargwöhnt. Harte Popu- und Übergangsformen unterlaufen. Gleichwohl ist listen vertreten oftmals eine distanzierte oder gar die genannte Unterscheidung hilfreich, da harte Popu- feindselige Haltung gegenüber der politischen Ord- listen wie etwa rechtspopulistische Kräfte zweifellos nung, dem wirtschaftlichen System oder der interna- anders vorgehen und andere gesellschaftlich-politi- tionalen Einbindung ihres Landes. Häufig signalisie- sche Basisintentionen aufweisen als etwa »berlusconis- ren sie die Bereitschaft, ihre politischen Ziele im Falle tische« Gruppierungen. Allerdings kann die Betrach- einer Regierungsübernahme auch gegen bestehende tung nicht statisch sein: Harte Populisten können zu »Spielregeln« durchzusetzen – eine Ankündigung, die weichen mutieren – und umgekehrt.14

11 Diese Einteilung stammt von Paul Taggart und Aleks Szczerbiak (die später allerdings wieder davon abrückten). 12 Der Begriff der »politischen Ordnung« wird hier als brei- Ihre Definition der ersten Variante lautet wie folgt: »Hard teres Konzept verstanden, das über die Frage nach der institu- is where there is a principled opposition to tionellen Ausgestaltung eines politischen Systems hinaus the EU and European integration and therefore can be seen auch die Grundprinzipien und -werte der Herrschaftsaus- in parties who think that their countries should withdraw übung beinhaltet. So können im Einzelfall auch Anti-System- from membership, or whose policies towards the EU are Parteien demokratisch orientiert bzw. der liberalen Demokra- tantamount to being opposed to the whole project of Euro- tie verpflichtet sein (ein Beispiel dafür ist etwa der – erfolg- pean integration as it is currently conceived.« Mit «soft Euro- reiche – Widerstand der gaullistischen Bewegung gegen die scepticism« habe man es dagegen zu tun, »where there is vierte französische Republik). NOT a principled objection to European integration or EU 13 Vgl. Robert Dix, »Populism: Authoritarian and Demo- membership but where concerns on one (or a number) of cratic«, in: Latin American Research Review, 20 (1985) 2, S. 29–52. policy areas lead to the expression of qualified opposition to 14 Die Unterscheidung von »hart« und »weich« ist nicht the EU, or where there is a sense that ›national interest‹ is deckungsgleich mit einer Kategorisierung nach Parteizielen, currently at odds with the EU’s trajectory.« Paul Taggart/Aleks also gemäß der Frage, ob in einer Partei eher eine policy- Szczerbiak, »The Party Politics of Euroscepticism in EU Mem- seeking-Strategie oder ein office-seeker-Kalkül dominiert. Auf ber and Candidate States«, Sussex: Sussex European Institute diese Verhaltensunterschiede wird bei der Beurteilung der (SEI), 2002 (SEI Working Paper Nr. 51, zugleich Opposing Regierungspraxis populistischer Parteien zurückzukommen Europe Research Network Working Paper Nr. 6), S. 7. sein.

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14 Strömungen und Richtungen

Strömungen und Richtungen rumänien-Partei (PRM) oder die – in den neunziger Jahren aktiven – tschechischen Republikaner. Diese Jenseits der »Intensität« des Appells bietet die jeweilige Parteien ähneln mit ihrer chauvinistischen und thematische Ausrichtung eine Möglichkeit, populis- xenophoben Stoßrichtung den ethno-nationalisti- tische Parteien einzuordnen. Schließlich können sich schen Gruppierungen aus Westeuropa, zu denen solche Gruppierungen – gemäß der oben vorgenom- manche von ihnen auch gute Kontakte unterhalten. menen Begriffsbestimmung – mit unterschiedlichen Nicht von ungefähr waren es Ataka und PRM, die im inhaltlichen oder ideologischen Schwerpunkten Europäischen Parlament zusammen mit Parteien wie in den politischen Wettbewerb einbringen. In West- der französischen Front National, den italienischen europa haben sich Forschung und öffentliche Debatte Neofaschisten oder dem Vlaams Belang aus Belgien lange Jahre vornehmlich mit radikalem Rechtspopu- die – heute nicht mehr bestehende – Fraktion Identi- lismus bzw. Nationalpopulismus beschäftigt, während tät, Tradition, Souveränität (ITS) gründeten. In diese linke Protestparteien vernachlässigt wurden.15 Dies Rubrik gehört auch die polnische LPR, die sich mit dürfte nicht zuletzt damit zusammenhängen, dass ihrem nationalkatholischen Traditionalismus jedoch sich aus westeuropäischer Perspektive die Erfahrung etwas von der extremen nationalistischen Rechten des Populismus lange Zeit »vorwiegend auf die politi- abhebt.17 sche Rechte und den Neopopulismus der Neuen Radi- Nationalisten und Nationalpopulisten widersetzen kalen Rechten beschränkte«.16 Erst die Entstehung sich der Einbindung ihrer Länder in den europäischen teils postmaterialistisch, vor allem aber antiglobalis- Integrationsprozess, beklagen einen Verlust nationaler tisch orientierter Protestbewegungen mit linkem Identität und opponieren gegen die Präsenz auslän- Selbstverständnis hat die Bandbreite populistischer dischen Kapitals. Je nach nationalem Kontext und in Politik in Westeuropa entscheidend erweitert. Von Abhängigkeit von historischen Traditionslinien wer- Grund auf anders stellt sich die Situation dagegen in den dabei bestimmte Feindbilder in den Vordergrund den Ländern Ostmittel- und Südosteuropas dar. Dort geschoben. Tschechische und polnische Nationalisten ist Populismus seit dem demokratischen Umbruch warnen vor einem angeblichen deutschen Expansio- von 1989 ein thematisch und ideologisch äußerst nismus und Revanchismus. In der ungarischen MIÉP facettenreiches Phänomen. Schematisierend und aus- des István Csurka ist die antisemitische Komponente gehend von der Unterscheidung zwischen harten und stark ausgeprägt. Ebenso lassen sich im Umfeld bzw. weichen Populisten kann man in den Ländern der in Vorfeldorganisationen der polnischen LPR immer Region sechs verschiedene Richtungen populistischer wieder antisemitische Parolen ausmachen.18 Rassisti- Protestparteien ausmachen. sche Elemente finden sich in Äußerungen von Politi- kern der Slowakischen Nationalpartei – gerichtet zum einen gegen Ungarn bzw. die ungarische Minderheit, Die harten Varianten der Revisionismus und Irredentismus unterstellt wer- den, zum anderen gegen die große Roma-Community Extreme Rechte und Nationalpopulisten. Zu dieser Kate- im Land. gorie gehören Gruppierungen wie die ultrarechte Agrarpopulisten. Im Gegensatz zu Westeuropa, wo und antisemitische MIÉP sowie die nationalistische die Bauernparteien in der Nachkriegszeit verschwan- »Jobbik«-Bewegung in Ungarn, die radikale Slowaki- den, sind agrarische Parteien in mehreren Ländern sche Nationalpartei, die bulgarische Ataka, die Groß- des östlichen Europa noch immer wichtige politische

17 Im Europäischen Parlament schloss sich die LPR zunächst 15 Vgl. Hans-Georg Betz, Radical Right-Wing Populism in Western der Fraktion Unabhängigkeit und Demokratie (IND/DEM) an, Europe, London 1994; Uwe Backes, »Nationalpopulistische was darauf hindeutet, dass sie sich eher über Europafeind- Protestparteien in Europa. Vergleichende Betrachtungen lichkeit oder -skepsis als über Ethno-Nationalismus definiert. zur phänomenologischen und demokratietheoretischen Nach partei-internen Streitigkeiten zerfiel die Abgeordneten- Einordnung«, in: Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft, gruppe – die noch der LPR angehörenden Parlamentarier 20 (1991) 1, S. 7–17; Florian Hartleb, Rechts- und Linkspopulis- wurden fraktionslos, drei weitere verblieben in der IND/DEM, mus. Eine Fallstudie anhand von Schill-Partei und PDS, Wiesbaden mehrere wechselten zur Fraktion Union für ein Europa der 2004, S. 21ff. Nationen. 16 Paul Taggart, »Populism and the Pathology of Represen- 18 So etwa in der Allpolnischen Jugend, die faktisch eine tative Politics«, in: Yves Mény/Yves Surel (Hg.), Democracies and Art Nachwuchsorganisation der LPR darstellt, oder beim the Populist Challenge, London 2002, S. 62–80 (68). fundamental-katholischen Rundfunksender Radio Maryja.

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15 Populismus in Ostmittel- und Südosteuropa: Ein vielfältiges Phänomen

Akteure. Gerade in Polen mit seiner großen Landwirt- tische« Nachfolgeorganisationen der früheren Staats- schaft – die übrigens auch in der kommunistischen parteien zugeordnet werden, so etwa die neokommu- Ära vorwiegend privat betrieben wurde – gibt es ein- nistische KSČM in der Tschechischen Republik, die flussreiche Parteien, die sich als Sachwalter der orthodox-kommunistische slowakische KP (KSS) und Bauernschaft oder des ländlichen Raums verstehen. die ungarische Arbeiterpartei (Munkáspárt). Die Par- Doch auch in anderen Ländern existierten nach 1989 teien der radikalen Linken erfüllen allerdings nicht bäuerliche Parteien, die den Sprung in die Parlamente sämtliche Kriterien populistischer Politik. Oftmals schafften oder sogar Regierungsverantwortung über- fehlt ihnen eine charismatische Führungsfigur, und nehmen konnten (so in Ungarn, Slowenien und Lett- teilweise sind sie in ihrer Analyse um eine komplexe land). Obwohl die meisten Agrarparteien die anti- Weltsicht bemüht. Doch sie neigen in der politischen kapitalistische, antiindustrielle und antiurbane Blut- Praxis zum Freund-Feind-Denken, lehnen die Status- und-Boden-Mystik der Zwischenkriegszeit überwun- quo-orientierten Eliten ab und nehmen in der Regel den haben, kokettieren einige ihrer Politiker nach wie eine Abwehrhaltung gegenüber der »kapitalistischen« vor mit antimodernistischem Denken. Neben der – bzw. »imperialistischen« Außenwelt ein. Damit bieten mittlerweile bedeutungslosen – ungarischen Klein- sich mitunter Anknüpfungspunkte zu nationalisti- landwirtepartei ist der Pole mit seiner schen und rechtspopulistischen Gruppierungen. In ursprünglich als Bauerngewerkschaft entstandenen der Tschechischen Republik etwa gab es in den neun- Gruppierung Samoobrona das wichtigste Beispiel für ziger Jahren im Rahmen des »Tschechischen Grenz- den ostmitteleuropäischen Agrarpopulismus. landklubs« zumindest auf lokaler Ebene Kooperations- Lepper profilierte sich als Fürsprecher der kleinen, ansätze zwischen Kommunisten und den chauvinis- oftmals in wirtschaftlichen Schwierigkeiten stecken- tischen Republikanern. den polnischen Bauern, der Landarbeiter aus den Im Gegensatz zur radikalen Linken fehlt den »ech- bankrottgegangenen LPGs und der Landbevölkerung ten« Linkspopulisten ein klares Weltbild. Sie ziehen insgesamt. Seine Tiraden gegen die »Skandalwirtschaft« vornehmlich mit egalitären, sozial-paternalistischen der etablierten Kräfte und seine Angstkampagne und protektionistischen Parolen zu Felde. Noch stär- gegen die EU zeigten seit Ende der neunziger Jahre ker als bei der radikalen Linken (die auch Teile der ex- Wirkung. Leppers Bewegung, die sich von Anfang an kommunistischen Intelligenz an sich bindet) ist ihre auch auf Nichtbauern (etwa überschuldete Handwer- Klientel in der industriellen Arbeiterschaft und in ker oder Tankstellenpächter) gestützt hatte, öffnete Problemregionen zu finden. Das deutlichste Beispiel sich zusehends für das kleinstädtische Milieu. Bei den für eine harte linkspopulistische Partei ist die slowaki- Parlamentswahlen von 2001 erhielt die Samoobrona sche Arbeitervereinigung, die zwischen 1994 und 1998 landesweit 10,2 Prozent der Stimmen; dabei kam sie zusammen mit der HZDS und der Nationalpartei die auch in den städtischen Wahlbezirken auf durch- Regierung des Landes stellte. schnittlich sieben Prozent. Vier Jahre später konnte die Partei ihr Ergebnis weiter verbessern; bald wurde sie Mitglied der Regierung, was sie bis zum Sommer Die weichen Varianten 2007 blieb. Die Samoobrona lässt sich durchaus auch unter der Rubrik »Linkspopulismus« einordnen. Dafür Mindestens ebenso verschiedenartig wie das Spektrum sprechen Leppers positive Bezugnahme auf die Volks- der harten Populisten stellt sich das Ensemble der republik Polen der siebziger Jahre (die Gierek-Ära) und weichen Spielarten dar. Wie erwähnt, hat man es da- seine marktwirtschafts- und globalisierungskritische bei teilweise auch mit Parteien zu tun, die in der poli- Rhetorik – den Vater der polnischen Wirtschafts- tischen Mitte verankert sind und sich keineswegs reform nach der Wende, Leszek Balcerowicz, wollte radikale Forderungen auf die Fahnen geschrieben er einst wegen »ökonomischen Völkermords« zur haben. Sie spekulieren aber darauf, durch verbale Verantwortung ziehen lassen. Auflehnung und simplifizierende Botschaften neue Antikapitalisten und Linksegalitäre. Bei diesem Sub- Wählerreservoirs zu erschließen bzw. die bisherigen typus ist zu unterscheiden zwischen einer stärker politischen Kräfte zu verdrängen. Mit dem Etikett ideologisch untermauerten Richtung, der radikalen »softer Populismus« lassen sich insgesamt drei Strö- Linken, und einer weitgehend ohne weltanschauliche mungen versehen. Basis agierenden Strömung. Der radikalen Linken Nationalkonservative. Sie agieren an der Schnittstelle können vor allem nichtreformierte, »traditionalis- zwischen moderatem Konservativismus und radika-

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16 Strömungen und Richtungen

lem, europaskeptischem und partikularistischem sind ein ausgeprägter Anti-Establishment-Reflex,21 Nationalismus. Insofern sprechen sie sowohl die poli- stark konturierte Führungsfiguren und (zumindest tische Mitte als auch Protestwähler an. Die polnische teilweise) der Glaube an einen marktwirtschaftlichen PiS ist wohl der wichtigste Vertreter dieser Richtung. Monismus. Den Populisten der Mitte fiel es nach Mit Abstrichen kann auch der Ungarische Bürgerbund Übernahme von Regierungsverantwortung leicht, (FIDESZ) hier angesiedelt werden. Dabei sollte man den Schritt zur staatstragenden Partei zu vollziehen. allerdings bedenken, dass der FIDESZ nicht zuletzt das Schließlich deckten sich ihre Intentionen – Stärkung Produkt eines aufgeladenen und »dichotomisierten« von Demokratie und Zivilgesellschaft, marktwirt- Parteiensystems ist, das vom Gegensatz zwischen schaftliche Reformen, Abbau von Korruption – mit Exkommunisten und bürgerlich-konservativem Lager jenen Zielen, die sowohl von den arrivierten Parteien geprägt wird. Überdies ist der FIDESZ seit vielen als auch von internationalen Partnern angestrebt Jahren ein weitgehend »problemloses« Mitglied der wurden. Europäischen Volkspartei. Insofern dürfte man ihn Auch der Sofioter Bürgermeister Borisov und die eher als »populistisch infiltrierte« Partei betrachten.19 GERB können als Variante eines zentristischen Popu- Auffallend ist, dass sowohl PiS als auch FIDESZ eine lismus gesehen werden. Borisov und seine Partei »soziale Wende« in ihrer Programmatik und Rhetorik versuchten, sich bei ihrem Feldzug gegen Missstände vollzogen haben. Die Parole vom »sozialen Polen« und in Staat und Verwaltung als seriöse Alternative sowohl die Gegenüberstellung einer »solidarischen« und einer zu den etablierten Kräften als auch zu den polternden »liberalen« Gesellschaft waren ausschlaggebend für Nationalisten von ganz rechts zu inszenieren. Über- den Wahlsieg der PiS im Herbst 2005. Im Vorfeld der dies bemühte man sich, als konservative Kraft der ungarischen Parlamentswahlen von 2006 versuchte rechten Mitte aufzutreten – ein erfolgreiches Unter- FIDESZ-Chef Viktor Orbán auf ähnliche Weise zu fangen, wie die Aufnahme in die Europäische Volks- punkten, indem er die Auseinandersetzung zwischen partei zeigte. Zu dem von GERB gepflegten Image seiner Partei und den Sozialisten (MSZP) zum Konflikt passt auch, dass sie mittlerweile bereit ist, ihre Oppo- zwischen »ungarischer Solidarität« und einem »rück- sitionsarbeit mit den beiden anderen konservativen sichtslosen und gleichgültigen wilden Kapitalismus« Parteien Bulgariens zu koordinieren. stilisierte.20 Diese Rechnung ging nicht auf, da die Sozialpopulisten. Zu ihnen gehören etwa die slowa- MSZP und ihr Regierungschef Ferenc Gyurcsány auf kische Smer, die litauische Arbeitspartei oder (mit einen Lagerwahlkampf setzten und den FIDESZ als Einschränkungen) die estnische Zentrumspartei. Vorboten einer neuen rechten Gefahr darstellten. Anders als die harten Linkspopulisten fordern diese Populisten der Mitte. Dieser Kategorie sind etwa dezi- moderateren Sozialpopulisten keinen Umbau der dierte Neoliberale und Neokonservative zuzurechnen, Wirtschafts- und Sozialordnung, sondern lediglich die mit einer energischen Anti-Korruptions-Plattform grundsätzliche Korrekturen am bisherigen Reform- Politik machen. Zentrale Beispiele für diesen Typus kurs. Unter anderem wollen sie die staatlichen Inter- sind (bzw. waren) einige der neuen Parteien in den ventionen ausweiten, die Eigentumsumwandlung baltischen Ländern – wie Res Publica in Estland oder verlangsamen und eine stärker redistributive Politik Neue Ära in Lettland. Bei Parlamentswahlen konnten realisieren. Ihre Programmatik unterscheidet sich sie reüssieren, indem sie eine »neue Politik« ankündig- nicht wesentlich von linkszentristischen oder sozial- ten, Parolen wie »Wähle Ordnung!« ausgaben oder demokratischen Positionen, wird aber häufig durch eine entschlossene Bekämpfung von Vetternwirtschaft einen polarisierenden, provokativen und simplifizie- und Kriminalität forderten. Auch diese Strömung renden Stil überlagert. Gelegentlich werden, wie von erfüllt nicht alle klassischen Kriterien des Populismus. Smer, angebliche Einmischungsversuche von außen Was eine solche Einordnung dennoch rechtfertigt, zurückgewiesen (»die slowakische Regierung wird in Bratislava und nicht irgendwo in Brüssel oder

19 Daniel Smilov/Ivan Krastev, »The Rise of Populism in Eastern Europe: Policy Paper«, in: Grigorij Mesežnikov u.a. (Hg.), Populist Politics and Liberal Democracy in Central and Eastern Europe, Bratislava 2008, S. 7–13 (12). 21 Im Falle des starken Mannes der Neuen Ära, Einārs Repše 20 Viktor Orbán, »Újjá kell éleszteni a magyar szolidaritást« (der 2002 Regierungschef wurde), erwies sich die Tätigkeit als [Die ungarische Solidarität muss wiederbelebt werden], Rede Chef der lettischen Nationalbank nicht als Handicap bei dem zur Lage der Nation, 29.1.2006, . Versuch, sich vom bisherigen Establishment abzugrenzen.

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17 Populismus in Ostmittel- und Südosteuropa: Ein vielfältiges Phänomen

Washington gebildet«)22 oder nationale Minderheiten interventionistischen, redistributiven oder etatisti- – Ungarn, Roma – zum Objekt der Kritik gemacht. schen Ansatz bis zu einer marktfreundlichen, regu- Zweifellos gibt es auch populistische Parteien, die lierungskritischen und laissez-faire-orientierten sich inhaltlich nur schwer charakterisieren lassen und Haltung reicht (im Schaubild horizontal). Quer dazu keiner dieser Strömungen zugeordnet werden kön- liegt eine Dimension, in der es vorwiegend um das nen. Das gilt etwa für die Gruppierung Ordnung und Verhältnis zwischen Nation und internationalem Um- Gerechtigkeit des wegen dubioser Machenschaften feld geht: Integrationsbejahung vs. Europa-Skepsis, abgesetzten litauischen Ex-Staatspräsidenten Paksas Betonung nationaler Interessen vs. kompromissorien- oder die Partei der Nationalen Wiederauferstehung, tierter Multilateralismus, aber auch identitätspoliti- die bei den litauischen Parlamentswahlen von Okto- scher Partikularismus vs. kultureller Universalismus ber 2008 gut 15 Prozent der Stimmen erhielt. Auch die sind Gegensätze, die durch die beiden Enden dieser bulgarische Zarenpartei oder Borisovs GERB waren in Skala (im Schaubild vertikal) repräsentiert werden. ihrer Frühphase weniger thematisch oder gar ideolo- Platziert man die unterschiedlichen Strömungen gisch fokussierte Parteien als vielmehr politische One- anhand ihrer politischen Positionierungen innerhalb Man-Shows ohne klare programmatische Ausrichtung. dieses zweidimensionalen Schemas, so zeigt sich, dass das Gros der populistischen Gruppierungen im pro- sozialen und national-europaskeptischen Quadranten Populistische Parteien im angesiedelt ist. Diese Populisten stehen vornehmlich politischen Koordinatensystem in Opposition zum europa- und marktorientierten Feld, in dem sich ein Großteil der etablierten und Wo stehen diese populistischen Parteien und Strö- reformfreundlichen Kräfte befindet, die die Transfor- mungen in der politischen Landschaft? Wie weit mation nach 1989 gestaltet haben. In Anbetracht des- liegen sie auseinander? Und wie sind sie gegenüber sen erstaunt es wenig, dass die Auseinandersetzung etablierten Gruppierungen zu verorten? Das partei- zwischen sozial-patriotischen oder traditionalistischen politische Tableau der Länder Ostmittel- und Südost- Gruppierungen einerseits und liberalen, modernisie- europas lässt sich vereinfachend in Form eines zwei- rungsbejahenden Parteien andererseits in mehreren dimensionalen Bezugsrahmens beschreiben (siehe Ländern der Region eine Art fundamentaler Konflikt- Schaubild 1). Parteien können anhand ihres politi- linie hervorgebracht hat. Die beiden Blöcke, die sich schen Profils zum einen auf einer sozial-ökonomi- dabei gegenüberstehen, könnte man als »Plebejer« und schen Achse angeordnet werden, die von einem pro- »Globalisierer« bezeichnen (siehe Schaubild 2).

Schaubild 1 Schaubild 2 + +

»Globalisierer« »Zentristen«

Sozialpopulisten Nationalkonservative »Plebejer« Universalismus/Integration Universalismus/Integration Agrarier

Radikale Nationalisten – Markt/Deregulierung + – Markt/Deregulierung +

22 Aussage von Robert Fico wenige Tage vor den slowaki- tických strán« [Innenpolitische Entwicklung und Parteien- schen Parlamentswahlen von 2002. Fico rief die Bürger des system], in: Miroslav Kollár u.a. (Hg.), Slovensko 2002. Súhrnná Landes dazu auf, mit ihrer Stimme zu verhindern, dass die správa o stave spoločnosti [Slowakei 2002. Jahresbericht über den Slowakei einem »Diktat des Westens« unterworfen werde. Zustand der Gesellschaft], Bratislava 2002, S. 19–125 (91). Grigorij Mesežnikov, »Vnútropolitcký vývoj a systém poli-

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18 Wer wählt die Populisten?

Populistische Potentiale

Wer wählt die Populisten? losen und Rentnern großen Zuspruch.23 Die Links- und Rechtsradikalen der Tschechischen Republik Wer den Aufstieg populistischer Parteien in Ostmittel- wiederum kamen in der Vergangenheit vor allem in europa beschreibt, kommt nicht umhin, nach Umfang den industriellen Problemregionen Nordböhmens und Triebkräften dieses Phänomens zu fragen. Wie und Nordmährens bzw. – im Falle der Kommunisti- sieht die Wählerschaft solcher Gruppierungen aus? schen Partei – bei älteren Menschen gut an. In den Wie groß ist das Potential der diversen Varianten baltischen Staaten haben sich immer wieder Angehö- populistischer Politik? Und woraus speist sich der Er- rige der russophonen Minderheiten populistischen folg dieser Parteien? Nicht zuletzt der Erfolg der PiS Gruppierungen mit einem sozialen Selbstverständnis in Polen scheint die Vermutung bestätigt zu haben, zugewandt, etwa der Zentrumspartei in Estland, der dass vor allem die sogenannten Transformationsver- linken (ohnehin stark ethnisch-russisch geprägten) lierer populistischen Kräften ihre Stimme geben – PCTVL und anderen sozialistischen Gruppierungen also diejenigen, die durch die wirtschaftlichen und in Lettland sowie der Arbeitspartei in Litauen.24 sozialen Umwälzungen der vergangenen zwei Jahr- Allerdings ist das Bild von der ländlich-peripheren zehnte an den Rand der Gesellschaft gedrängt wurden und unterdurchschnittlich gebildeten Wählerschaft und heute mit massiven materiellen Schwierigkeiten populistischer Kräfte nicht mehr durchgängig zutref- zu kämpfen haben. Hinter dieser Annahme steht die fend. Die Erfolge von Parteien wie Smer oder GERB, Beobachtung, dass sich die Anhängerschaft der PiS aber auch der PiS zeigen, dass sich diese Gruppierun- überverhältnismäßig stark aus dem »sozialen Elekto- gen inzwischen auch andere Wählersegmente er- rat« rekrutiert. So sind es eher Wähler aus dem länd- schlossen haben. Die Unterstützung für die slowaki- lichen Raum, aus den strukturschwachen und bäuer- sche Smer ist beispielsweise in Gemeinden aller lich geprägten Wojewodschaften in Ost- und Südost- Größenklassen weitgehend gleichmäßig; allein in polen, Personen ohne höhere Formalbildung sowie den beiden Großstädten Bratislava und Kaschau hat mittlere und obere Altersgruppen, die für die Partei die Partei deutliche Lücken (Tabelle 2). Auch wenn stimmten. Die Wahlen von 2007 zeigten, dass sich die Smer bei den Wahlen von 2006 in sozial schwäche- dieses sozialdemographische Relief verfestigt hat, ren Bevölkerungsteilen besonders viel Unterstützung nachdem ein großer Teil der Sympathisanten von fand, liegt ihre elektorale Struktur insgesamt doch LPR und Samoobrona durch die PiS absorbiert worden nicht weit vom gesellschaftlichen Durchschnitt ent- ist (siehe Anhang, Tabelle 1, S. 32). fernt.25 Ein Blick auf die Partner der Smer ergibt eben- Auch andere Beispiele weisen darauf hin, dass falls ein differenziertes Bild. Während die HZDS noch Modernisierungsverlierer als Protestwähler den Weg die klassischen Kennzeichen einer stark im ländlichen zu populistischen Parteien finden. Dies war etwa Raum sowie unter älteren Wählern verankerten Partei während der neunziger Jahre in der Slowakei der Fall aufweist, sind bei der nationalistischen SNS etwa der – die von Vladimír Mečiar geführten Regierungen fan- den Rückhalt vor allem in ländlich und kleinstädtisch geprägten Regionen der Zentral- und teilweise der Ost- 23 Kolb, Populismus als Strategie neuer Parteien im Baltikum slowakei. Dagegen hatten die reformorientierten Par- [wie Fn. 9], S. 59. teien hauptsächlich in größeren Städten und unter 24 In Estland und Lettland gilt dies selbstverständlich nur jüngeren sowie besser gebildeten Wählern Zulauf. für jene Teile der russophonen Gemeinschaft, die das Wahl- Die litauische Arbeitspartei konnte bei ihrem großen recht haben. In Litauen konnte die Arbeitspartei auch bei Erfolg von 2004 insbesondere in ländlichen und peri- der polnischen Minderheit Erfolge erzielen, stieß hier jedoch pheren Gebieten sowie bei Geringverdienern und an Grenzen, da diese Gruppe eine eigene ethnisch definierte politische Interessenvertretung besitzt. anderen Wählern in schwieriger sozialer Situation 25 Oľga Gyárfášová, »Retrospektívny pohľad na volebné reüssieren. Auch fand die Partei bei Arbeitern, Arbeits- správanie« [Ein Blick zurück auf das Wahlverhalten], in: Sme, 10.8.2006, .

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19 Populistische Potentiale

Altersaufbau und die Stadt-Land-Mischung der Sympa- Harte Populisten sind zwar in mehreren Ländern im thisanten relativ ausgeglichen (Tabelle 3). Parlament präsent, doch nur selten in der Exekutive. Die bulgarische GERB wiederum zielt eher auf Vor allem sind Regierungen, die von Radikalen domi- Gruppen ab, denen es wirtschaftlich gut geht: Groß- niert werden, die große Ausnahme. Paradebeispiel für städter, unter 40-Jährige, Menschen mit überdurch- eine solche Führung ist die Herrschaft Mečiars in der schnittlichem Bildungsniveau, Studenten, Angestellte Slowakei. Zwischen 1992/93 und 1998 manövrierte er und Freiberufler sowie Durchschnitts- und Besserver- als Premier sein Land in die internationale Isolation, diener stehen der Borisov-Partei in besonderem Maße weil er seine Gegner, ja die Zivilgesellschaft überhaupt nahe.26 Res Publica in Estland und die Neue Ära in durch eine rücksichtslose Machtpolitik auszuschalten Lettland konnten sich ebenfalls auf ein relativ breites versuchte und dabei auch demokratisch-rechtsstaat- Wahlvolk stützen, das vermutlich auch Teile der liche Grundsätze verletzte. Gestützt auf eine Koalition neuen Mittelschichten einschloss. mit der SNS und der linksradikalen Arbeitervereini- In der Zusammenschau wird man zum Schluss gung, waren Mečiar und seine HZDS auf dem besten kommen, dass populistische Parteien in den neuen Wege, ein semiautoritäres Regime zu errichten. Erst EU-Mitgliedsländern durchaus eine Art »soziale« Wäh- 1998 gelang es der demokratischen und prowestlichen lerbasis aufweisen, also elektorale Schichten für sich Opposition, Mečiars Herrschaft zu beenden. einnehmen können, die eher den peripheren und Das Potential der harten Populisten beläuft sich bei städtischen Verlierermilieus angehören. Gleichwohl – Parlamentswahlen in der Regel auf maximal 10 bis 15 und dies ist ein jüngeres Phänomen – wenden sich Prozent. Auch bei stark personalisierten Abstimmun- vielfach auch andere Wählersegmente populistischen gen wie Präsidentschaftswahlen zeigt sich, dass Radi- Politikangeboten zu. Dazu gehören etwa Angehörige kale zwar beachtliche Unterstützung finden können, der »verhinderten« Mittelklasse, also diejenigen, die diese aber gleichsam gedeckelt ist.27 Überdies sind zwar nicht marginalisiert wurden, aber den Anschluss Allianzen demokratischer Kräfte in der Lage, harte an die aufstrebenden neuen, meist urbanen Mittel- Populisten in die Schranken zu verweisen. Dagegen schichten nicht geschafft haben, sowie real oder ver- haben weiche Populisten in den letzten Jahren eine meintlich existenz- bzw. statusbedrohte Kleinunter- größere Durchschlagskraft entfaltet. Sie erreichten nehmer. Konkret sind dies etwa Beschäftigte im wesentlich bessere Wahlresultate als harte Populisten schlecht alimentierten öffentlichen Sektor oder nur und waren daher auch mehrheitsfähig. Zu den ein- schwer über die Runden kommende Gewerbetreiben- drucksvollsten Ergebnissen gehören jene 43 Prozent, de und kleine Händler. Letztere sind oftmals durch die Simeon II. bei den bulgarischen Parlamentswahlen neue Konkurrenz wie Supermarktketten in Bedräng- von 2001 einfahren konnte und die ihm fast eine abso- nis geraten oder haben Alltagskonflikte mit einer kor- lute Mehrheit an Mandaten bescherten. rupten Verwaltung zu bestehen. Die »Populisten der Weiche Populisten sind aber nicht nur deshalb von Mitte« sind überdies in der Lage, auch klare Transfor- erhöhter Bedeutung, weil sie ein größeres Potential mationsgewinner – denen der Wandel nicht schnell haben und unterschiedliche Wählergruppen effizien- genug geht oder die sich von einem unfähigen Staats- ter einbinden können. Auch ihre Position in der politi- apparat gegängelt fühlen – auf ihre Seite zu bringen. schen Szenerie der jeweiligen Länder gibt ihnen eine beachtliche strategische Relevanz. Da sie zwischen den radikalen und den gemäßigten Kräften stehen, kann Der Charme des weichen Populismus ihnen bei der Regierungsbildung eine Schlüsselrolle zufallen. Denn sie sind es, die – je nach Mehrheitsver- Die Stimmresultate der jüngeren Zeit (Tabelle 4), aber hältnissen – darüber entscheiden, ob eine Koalition auch die Wahlgeschichte der neuen Demokratien mit den Moderaten oder ein Bündnis aus weichen und nach 1989 insgesamt sprechen eine klare Sprache: harten Populisten entsteht. Für die zweite Option Populisten können allerorten mehr oder minder deut- entschied sich im Herbst 2005 die polnische PiS und liche Erfolge einfahren. Allerdings bringt ein differen- im Sommer 2006 die slowakische Smer. zierter Blick auf die Verhältnisse in Ostmittel- und Südosteuropa auch etwas anderes zum Vorschein: 27 Stanisław Tymiński kam bei seiner Kandidatur für die polnische Präsidentschaft 1990 auf ein Viertel, Volen Siderov 26 Daniel Smilov, »Bulgaria«, in: Mesežnikov u.a. (Hg.), bei den bulgarischen Präsidentschaftswahlen 2006 auf ein Populist Politics and Liberal Democracy [wie Fn. 19], S. 29. Fünftel der Stimmen.

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20 Triebkräfte und Themen

Triebkräfte und Themen

Die Konjunktur populistischer Parteien in den neuen ringen Mitgliederzahlen der Parteien sind weitere Mitgliedsländern der EU ergibt sich aus einer Vielzahl Belege für die große Distanz zwischen Bürgern und von Faktoren. Sie hat mit unerfüllten Hoffnungen, Politik und für das vorherrschende Gefühl mangeln- einem selbstbezogenen politischen Führungspersonal der Beeinflussbarkeit des politischen Geschehens. und einer strukturellen Vertrauenskrise von Staat und Solche Rahmenbedingungen erleichtern es politischen Politik zu tun. Newcomern oder Gruppierungen mit einem ausge- Die großen thematischen Lücken, in die populisti- prägten Anti-Parteien- bzw. Anti-Establishment-Effekt, sche Parteien springen, sind die offene soziale Flanke rasch die Sympathien großer Wählergruppen zu ge- der Transformation sowie die Funktionsdefizite von winnen. Staat und Verwaltung. In den neuen Mitgliedsländern Zwar gab es seit 1989/90 immer wieder Erfolge herrscht eine starke Unzufriedenheit über die täglich populistischer und demagogischer Politik, doch der spürbaren Unzulänglichkeiten bei der staatlichen gegenwärtige Aufschwung des Populismus vollzieht Leistungserbringung und die immensen Entwicklungs- sich in einer besonderen historischen Situation, die und Einkommensunterschiede zwischen einzelnen von großer innenpolitischer Bedeutung für die Länder Schichten und Regionen. Sichtbar wird diese Unzu- der Region ist – nämlich in der Phase nach ihrem EU- friedenheit etwa bei Umfragen, die ermitteln, welche Beitritt. Dieser Schritt hatte einen hohen Symbolwert, politisch-gesellschaftlichen Probleme in der Bevölke- markierte er doch gleichsam das definitive Ende der rung als vordringlich betrachtet werden. Zu den Transformationsperiode und die nunmehr erlangte meistgenannten Anliegen gehören die Verbesserung Zugehörigkeit dieser Staaten zum wohlhabenden Teil des Lebensstandards, die Senkung der Arbeitslosigkeit, des Kontinents. Gleichzeitig ist für viele Menschen der Umbau des Gesundheitswesens, die Bekämpfung offenkundig, dass sie das Wohlstandsniveau der alten von Korruption und Kriminalität sowie Effizienz- EU noch nicht erreicht haben und vielleicht auch erst steigerungen im Bereich der Justiz (siehe Tabellen 5 in relativ ferner Zukunft erreichen werden. Während und 6, S. 34). Der Missmut über Staat und Politik geht die politischen Eliten nach dem erfolgreichen Ab- einher mit einem chronischen Mangel an Vertrauen schluss des Projekts »EU-Beitritt« versuchen, ihre Ge- in Parlamente, Regierungen und vor allem Parteien. sellschaften auf neue Etappenziele und weitere fiskali- So liegt das Institutionenvertrauen in fast allen neuen sche Härten etwa im Zusammenhang mit der ange- Mitgliedsländern der EU deutlich unter jenem der strebten Euro-Übernahme einzustimmen, fordert die alten Union (Tabelle 7). ungeduldige Öffentlichkeit die Reformdividende der Populistische Parteien profitieren denn auch vom rauen Jahre des Wandels ein. Anders formuliert: Der Zusammenspiel zwischen Politikverdrossenheit und disziplinierende Beitritts- und Transformationskon- den Besonderheiten der jungen Demokratien in den sens funktioniert nicht mehr. Das betrifft die Ebene vormals kommunistisch regierten Reformländern. So der Gesellschaft, die die stillschweigende Akzeptanz haben sich dort nur ansatzweise dauerhafte Loyalitä- für sozialökonomische Umbau- und Anpassungsleis- ten zwischen Wählern und Parteien herausgebildet. tungen zurückgezogen hat. Und es betrifft die politi- Die elektorale »Volatilität«, also die Sprunghaftigkeit sche Klasse, für die jener Außendruck nicht mehr der Wähler, erreicht – gemessen am westeuropäischen existiert, der ein lagerübergreifendes Einvernehmen Niveau – immense Höhen. Zwar haben sich in einer in der Reformpolitik bewirkt hatte. Reihe von Ländern die Parteiensysteme konsolidiert In dieser Situation tritt auch zutage, dass die (wie in Ungarn, Tschechien oder Slowenien), doch in »staatstragenden« Eliten nach der Wende keine welt- den meisten Staaten trifft man auf unterinstitutiona- anschaulich abgestützten politischen Alternativen an- lisierte, fluide Parteienlandschaften. Angesichts der geboten, sondern sich auf die bloße Umsetzung einer programmatischen Farblosigkeit vieler Kräfte ist auch Reform- und Modernisierungsagenda konzentriert in der Parteipolitik eine enorme Personalisierung zu haben. So wünschenswert sich diese Haltung aus west- beobachten. Niedrige Wahlbeteiligungen und die ge- licher Sicht darstellen mochte, so problematisch

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21 Triebkräfte und Themen

musste sie großen Teilen der einheimischen Wähler- initiierten bzw. mitgetragenen Massenkundgebungen schaft erscheinen. Diese haben in den vergangenen vor dem ungarischen Parlament oder Andrzej Leppers zwei Jahrzehnten immer wieder ihre Missbilligung Störaktionen in Polen, die von Sitzblockaden bis zur der offiziellen Politik zum Ausdruck gebracht – indem Errichtung von Straßensperren reichten).30 sie etwa für exkommunistische Nachfolgeparteien stimmten, von denen sie eine »soziale Wende« erhoff- ten, oder indem sie den Wahlurnen einfach fern- blieben. Dem »technokratischen Nihilismus«28, den die Eliten des Reformkonsenses verkörpern, setzen die Populisten die (scheinbare) Möglichkeit eines Politikwechsels oder gar Systembruchs entgegen. Im Gegensatz zu den inhaltlich blassen »Standardpartei- en«, die ein sozialdemokratisches, konservatives oder liberales Etikett haben mögen, aber die entsprechende Politik meist doch nur simulieren,29 bieten sich popu- listische Gruppierungen als programmtreue Streiter für einen neuen Kurs an. Bei alledem sind aus Sicht populistischer Partei- strategie vor allem zwei Aspekte wichtig. Zum einen müssen die Unzufriedenen und Entfremdeten, muss gleichsam die dunkle Materie des politischen Raums mobilisiert werden. Dies ist eine beachtliche Heraus- forderung, da Politikverdrossene nicht automatisch Protestwähler sind. Ihre Verbitterung führt eher zu Rückzug und Passivität als zu einem besonderen Inter- esse an der Stimmabgabe. Zum anderen muss das populistische Potential gebündelt werden. Dies hat unter anderem damit zu tun, dass erfolgreiche popu- listische Parteien nicht nur gegen etablierte Kräfte antreten, sondern immer auch in Konkurrenz zu anderen populistischen Akteuren stehen. Beide Pro- bleme versuchen Populisten dadurch zu bewältigen, dass sie sich auf die erwähnten zugkräftigen The- men fokussieren (wie im Falle der PiS oder der Smer), »charismatische« Führungsfiguren herausstellen (wie die populistischen Parteien in Bulgarien), quasi-zivil- gesellschaftliche Netzwerke oder Bündnisse etablieren (wie die »Allianz« der PiS mit Radio Maryja und dessen Vorfeldorganisationen) oder auf der Straße für Polari- sierung sorgen (Beispiele dafür sind die vom FIDESZ

28 Der Begriff stammt von dem ungarischen Liberalen Gábor Fodor; vgl. Tibor Löffler, »Polgári kormányzás 2003- ban« [Bürgerliches Regieren im Jahr 2003], in: Sándor Kur- tán u.a. (Hg.), Magyarország politikai évkönyve 2004 [Politisches Jahrbuch Ungarns 2004], Budapest 2004, S. 140–154 (143). 29 Der bulgarische Populismus-Experte Ivan Krastev spricht in diesem Zusammenhang von »fake socialists, fake conser- vatives and fake greens«, die die politische Szene dominier- ten. Ivan Krastev, »The New Europe: Respectable Populism and Clockwork Liberalism«, openDemocracy, 21.3.2006, . anderen Parteien charakteristisch.

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22 Polen: Die Kaczyński-Doppelspitze

Populistische Regierungspolitik: Pragmatismus oder Radikalisierung?

Populistische Parteien in den neuen Mitgliedstaaten Regierungsgeschäfte zu gewährleisten? Oder durch der EU haben es mehrfach geschafft, in die Exekutive eine zumindest verbale Radikalisierung, um insbe- ihrer Länder vorzustoßen, manche davon sogar als sondere vor Wahlen die Mobilisierungschancen zu Seniorpartner in Koalitionsbündnissen. Ein solcher erhöhen? Zwei Beispiele jüngeren Datums bieten Schritt stellt populistische Akteure zunächst einmal wichtige Anhaltspunkte dafür, wie populistische Re- vor zahlreiche Probleme. Denn als Regierungsparteien gierungspolitik in der Praxis aussieht: die bis 2007 müssen populistische Gruppierungen mit einer Viel- amtierenden PiS-Administrationen in Polen und die zahl von Restriktionen rechnen, die Veränderungen seit 2006 im Amt befindliche Regierung Fico in der bei Programm, Organisation und politischem Stil Slowakei. erforderlich machen. Insbesondere für populistische Neulinge und Daueroppositionelle ist die Einbindung in Regierungsgeschäfte mit zahlreichen Risiken ver- Polen: Die Kaczyński-Doppelspitze bunden. Sie müssen von ihrer negativen Haltung ab- rücken und sind gefordert, konstruktiv zu gestalten. Im September 2005 gewann die PiS die Wahlen zu Sie haben sich mit politischen, gesellschaftlichen und Sejm und Senat; im Monat darauf ging Lech Kaczyński wirtschaftlichen Machtfaktoren und Vetoakteuren als Sieger aus den Präsidentschaftswahlen hervor. Als auseinanderzusetzen, und sie müssen die internatio- Folge etablierte sich in Warschau eine Doppelspitze nale Dimension von Regierungshandeln berücksich- der PiS – bestehend aus dem von der Partei gestellten tigen. Nicht zuletzt sind sie in der Pflicht, personal- Präsidenten und einem PiS-geführten Kabinett. Als politischen Anforderungen bei der Besetzung von Premierminister amtierte zunächst der Pragmatiker Exekutivposten zu genügen.31 Oftmals werden popu- Kazimierz Marcinkiewicz, ab Juli 2006 dann Jarosław listische Parteien von der Regierungsübernahme gera- Kaczyński.33 dezu überrascht. Sie sind nicht darauf vorbereitet zu Ziel der PiS war der Aufbau einer neuen, der »Vier- entscheiden, welche Ressorts sie eigentlich wollen, ten« Republik. Nach Ansicht der Partei war die Dritte welchen Programmpunkten sie Priorität einräumen Republik als fauler Kompromiss bei den Verhandlun- und wie sie sich bei Differenzen mit Koalitionspart- gen am Runden Tisch während der Wendezeit ent- nern verhalten sollen. »Der ›Populismus an der Macht‹ standen – ein »postkommunistisches Monstrum«. Die kann sich nicht mehr in der Pose des ›Fünf-vor-Zwölf‹ Vierte Republik war also vor allem als Gegenprojekt gerieren, gerät selbst unter Zug- und Leistungs- zum 1989 entstandenen Staat gedacht, den die PiS zwang.«32 als von mächtigen Ex-Nomenklatura-Seilschaften be- Anders ausgedrückt: Regierungsbeteiligung birgt herrschtes und von Korruption und anderen »Patholo- für populistische Parteien immer das Risiko der Ent- gien« zersetztes Gemeinwesen betrachtete. Die neue zauberung, der Normalisierung und des Verschleißes. Republik sollte durch eine moralische Revolution, die Daher müssen sie sich mit der Frage beschäftigen, wie »Reparatur« (naprawa) und »Gesundung« (sanacja) des solchen Entwicklungen, die in der Regel mit Popula- Staates und eine radikale »Entkommunisierung« ge- ritätsverlust verbunden sind, begegnet werden soll. schaffen werden. Auszeichnen sollte sie sich durch Durch pragmatische Anpassung an die Gegebenhei- ten, um einen möglichst reibungslosen Ablauf der 33 Die erste Regierung der PiS, die von Marcinkiewicz ge- führt wurde, amtierte zunächst als Minderheitsregierung. 31 Vgl. Susanne Frölich-Steffen/Lars Rensmann, »Populis- Sie war mit den Stimmen von PiS, LPR, Samoobrona und der tische Regierungsparteien in Ost- und Westeuropa. Ver- Bauernpartei PSL gewählt worden. Ab Mai 2006 konnte sich gleichende Perspektiven der politikwissenschaftlichen Marcinkiewicz auf eine Koalition aus PiS, Samoobrona, LPR Forschung«, in: dies. (Hg), Populismus an der Macht: Entwick- und einer Gruppe abtrünniger LPR-Abgeordneten stützen. lung und Performanz populistischer Regierungsparteien in Ost- Auf diesem Bündnis basierte auch die Regierung von Jarosław und Westeuropa, Wien 2005, S. 3–34 (19–24). Kaczyński. Die Zusammenarbeit der drei Parteien hielt fak- 32 Hartleb, Rechts- und Linkspopulismus [wie Fn. 15], S. 74. tisch bis zum August 2007.

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23 Populistische Regierungspolitik: Pragmatismus oder Radikalisierung?

eine solidarische Wirtschafts- und Sozialpolitik, eine Überdies wurde auch die Lustrations- und Dekom- Aufwertung des historischen Bewusstseins und eine munisierungspolitik forciert. Wie ernst es der PiS- patriotische Außenpolitik. Führung mit diesem Vorhaben war, zeigte die Aus- Die Regierungspraxis der PiS ließ erkennen, dass einandersetzung um die Vergangenheit von Stanisław die Kaczyńskis sich tatsächlich zielstrebig an den Auf- Wielgus, der im Januar 2007 Erzbischof von Warschau bau der Vierten Republik machten. Sie betrieben eine werden sollte. Aufgrund des Vorwurfs, in den sieb- Politik der stetigen Machtexpansion, wobei sie vor ziger Jahren mit der kommunistischen Staatssicher- allem die Justiz, die Medien, das Bildungswesen und heit kooperiert zu haben, konnte er das Amt nicht an- strategische Segmente der Wirtschaft im Visier hatten. treten. Obwohl sich in einem wichtigen Teil der PiS- Was den ökonomischen Sektor angeht, versuchte die Anhängerschaft Widerstand gegen Wielgus’ Amtsver- PiS-Administration ihren Einfluss durch personalpoli- zicht und generell gegen die Lustration von Kirchen- tische Maßnahmen etwa in der Energiebranche oder führern regte (etwa bei Radio Maryja und dessen im Finanzwesen zu sichern. Langfristiges Ziel war es, Umfeld), blieb die Kaczyński-Partei in dieser Sache nationale Champions aufzubauen. Für Präsident Lech entschlossen. Angeblich intervenierte Präsident Lech Kaczyński hatten (und haben) Unternehmen wie die Kaczyński sogar beim Vatikan, um eine Abberufung Bank PKO BP, die Mineralölkonzerne PKN Orlen und des umstrittenen Erzbischofs – der die kanonische Lotos oder der Kupferproduzent KGHM die Aufgabe, Amtseinführung bereits absolviert hatte – zu errei- durch Expansion »die Position des polnischen Staates chen.37 Zudem brachte die PiS eine Novelle des Lus- in Europa« zu stärken.34 In der Anfangsphase der PiS- trationsgesetzes auf den Weg, die unter anderem eine Regierungen gab es Konflikte mit der Führung der Ausweitung des auf frühere Geheimdienstkontakte Zentralbank unter ihrem Präsidenten Leszek Balcero- zu prüfenden Personenkreises vorsah. Wesentliche wicz – die PiS rügte nicht nur dessen stringente Geld- Teile des Gesetzes wurden jedoch vom Verfassungs- politik, sondern wollte offensichtlich auch die Unab- gericht aufgehoben. hängigkeit der Notenbank einschränken.35 Besonderes Engagement zeigte die PiS-Administra- Im Bereich der Innen-, Rechts- und Justizpolitik tion in Sachen Kultur und Bildung. Dabei ging es um lagen die Kernanliegen der PiS. Die entsprechenden öffentlichkeitswirksame Einzelprojekte, wie die Grün- Themen hatte sich die Partei von Anfang an auf ihre dung eines Museums zur Geschichte Polens, aber auch Fahnen geschrieben. Bereits als Justizminister und um Vorstöße mit gesellschaftlicher Breitenwirkung. als Bürgermeister von Warschau hatte Lech Kaczyński Das Ministerium für Kultur und Nationales Erbe (letz- einen konsequenten Law-and-Order-Kurs verfolgt und teres ein Zusatz aus der PiS-Ära) lancierte das Pro- eine härtere Gangart bei der Ahndung von Verbrechen gramm »Patriotismus von morgen«, das Initiativen zu angemahnt. Weiter verstärkt wurde diese Haltung Themen der polnischen Geschichte finanzieren sollte. durch das Bemühen um Dekommunisierung und die Ziel war, einen »staatsbürgerlichen, spontanen und Zerschlagung korrupter Netzwerke. Es verwunderte authentischen Patriotismus von unten« zu kreieren.38 daher wenig, dass die PiS-Regierung die Einrichtung LPR-Chef Roman Giertych, für das Schulwesen zustän- einer zentralen Anti-Korruptions-Behörde zu einem diger Minister und überdies Vizepremier, kündigte ihrer Leuchtturmprojekte machte. Ebenso vorherseh- an, das Unterrichtsfach »Patriotische Erziehung« ein- bar war, dass die Partei die Geheimdienststrukturen zuführen;39 später änderte er seine Pläne und sprach des Militärs auflösen und neu aufbauen würde, da vom Fach »Polnische Geschichte«. Diese und andere man diesen eine Schlüsselrolle bei den Aktivitäten ex- Maßnahmen waren Bestandteil einer neuen Geschichts- kommunistischer Seilschaften zuschrieb und sie für kriminelle Machenschaften verantwortlich machte.36 Abwehr- und eine Aufklärungsstruktur (SKW und SWW). 37 »Prezydent interweniował u papieża ws. Wielgusa?« 34 »A dobro Polski?« [Und das Wohl Polens?], Interview [Intervenierte der Präsident beim Papst in der Sache mit Staatspräsident Lech Kaczyński für das erste Programm Wielgus?], gazeta.pl, 8.1.2007, . des öffentlichen polnischen Fernsehens TVP 1, 4.1.2007, 38 So Minister Kazimierz Michał Ujazdowski in einem . Artikel für die katholische Wochenzeitung Gość Niedzielny, 35 Dieser Konflikt entschärfte sich, als Anfang 2007 – nach zitiert nach: »Patriotyzm wczoraj« [Patriotismus von gestern], Ablaufen von Balcerowiczs Amtszeit – der PiS-nahe Sławomir in: Gazeta Wyborcza, 26.9.2006. Skrzypek zum Notenbankchef ernannt wurde. 39 »Giertych: ›wychowanie patriotyczne‹ do szkół« [Giertych: 36 Dementsprechend wurde der Militärgeheimdienst WSI ›Patriotische Erziehung‹ in die Schulen], in: Gazeta Wyborcza, im Herbst 2006 zerschlagen; stattdessen schuf man eine 6.6.2006.

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24 Slowakei: Ficos linksnationale Koalition

politik, die das Bewusstsein für die Vergangenheit des plattform entgegenzutreten, setzte die PiS nicht auf Landes stärken sollte. Ausgleich, sondern verschärfte ihren Polarisierungs- Ein früher gezielter Schritt zur Einflusssicherung kurs weiter. Spektakulärstes Beispiel dafür war die in den Medien war die noch Ende 2005 erfolgte Ände- Verhaftung von Ex-Innenminister rung des Gesetzes über den Landesrat für Rundfunk durch den Inlandsgeheimdienst; vorgeworfen wurden und Fernsehen (KRRiT). Sie ermöglichte es der – da- ihm Kontakte zu zwielichtigen Oligarchen. Mit sol- mals noch inoffiziellen – Regierungskoalition, dieses chen Aktionen konnte die Partei zwar bei ihrer eige- wichtige Aufsichts- und Kontrollgremium mit ihr nen Klientel punkten und außerdem die Anhänger nahestehenden Vertretern zu besetzen. Darauf folgten von LPR und Samoobrona absorbieren; zugleich ver- Personalwechsel in den öffentlichen Medienanstalten. prellte sie jedoch die letzten Reste gemäßigter Wähler, Nicht umgesetzt wurde indes die von der PiS aufge- die noch mit ihr sympathisiert hatten. Bei den Parla- brachte Idee eines »Nationalen Zentrums zum Monito- mentswahlen vom Herbst 2007 kam es zu einer mas- ring der Medien«. Ein solche Einrichtung hätte etwa senhaften Mobilisierung zugunsten der PO. die Aufgabe gehabt, den finanziellen Hintergrund Die PiS hatte abermals versucht, die Abstimmung einzelner in der Medienbranche tätiger Firmen oder zu einer Richtungsentscheidung zu machen. Genau die politische Vergangenheit von Journalisten auf- darauf ließ sich die PO ein – ein geschickter Schach- zuhellen.40 zug, denn anders als von der PiS erwartet, wünschte Konfliktreich gestaltete sich das Verhältnis zwi- die große Mehrheit der polnischen Wählerschaft eine schen Exekutive und Judikative. Mehrfach stoppte Rückkehr zur »Normalität«. Der Urnengang endete der polnische Verfassungsgerichtshof Initiativen der mit einer veritablen Schlappe für die Kaczyński-Partei: Kaczyński-Partei oder schwächte sie zumindest ab. Er Die PO erhielt mehr als 41 Prozent, die PiS hingegen monierte das Nominierungsverfahren für den KRRiT, nur ein knappes Drittel der Stimmen – bei einer um verwies die geplante Öffnung der Berufsverbände von 13 Prozentpunkte gestiegenen Wahlbeteiligung. Im Anwälten (der sogenannten Korporationen) ans Parla- Verein mit Präsident Lech Kaczyński agiert die PiS seit- ment zurück und erklärte, wie erwähnt, zahlreiche her als harte Opposition gegen die neue Regierung der Bestimmungen des novellierten Lustrationsgesetzes rechten Mitte, die aus Bürgerplattform und Bauern- für verfassungswidrig. Jarosław Kaczyński sprach da- partei gebildet wurde. von, dass man angesichts solcher Urteile auch über die politische Rolle des Verfassungsgerichts diskutieren müsse. Den obersten Hütern der polnischen Rechts- Slowakei: Ficos linksnationale Koalition ordnung warf er vor, sie würden das »öffentliche und wirtschaftliche Leben pazifizieren«.41 Außerdem Als Robert Fico nach dem Wahlsieg seiner Smer im scheine bei den Richtern durch, dass sie mit der ex- Jahr 2006 mit der SNS und der HZDS zusammenging, kommunistischen Linksallianz verbunden seien. Die löste dies innerhalb und außerhalb der Slowakei PiS-Führung beugte sich zwar den Urteilssprüchen große Skepsis aus. Insbesondere die Kooperation mit des Gerichts, kündigte aber an, bei nächster Gelegen- der nationalistischen und ungarnfeindlichen SNS heit dessen personelle Zusammensetzung zu ändern. brachte Fico viel Kritik und der Smer die vorüber- Doch letztlich scheiterte die PiS als Regierungs- gehende Suspendierung ihrer (vorläufigen) Mitglied- partei. Angesichts zunehmender Eskapaden von LPR schaft in der europäischen Sozialdemokratie ein.42 und Samoobrona trennte sie sich von ihren unzuver- Fico ließ sich davon nicht beirren, schien er doch mit lässigen Koalitionspartnern, musste dann jedoch ein- der schwachen und um Rehabilitierung ringenden sehen, dass eine Minderheitsregierung keine Zukunft HZDS sowie der isolierten SNS zwei bequeme Partner hatte. Jarosław Kaczyński trat die Flucht nach vorn gefunden zu haben. Dennoch bemühte er sich ange- an und suchte einen Ausweg in Neuwahlen. Um der sichts der Reaktionen im In- und Ausland darum, mittlerweile in den Umfragen klar führenden Bürger- Bedenken hinsichtlich des künftigen Koalitionskurses zu zerstreuen. In seiner Regierungserklärung konsta- 40 »Narodowy Ośrodek Monitorowania Mediów pod znakiem zapytania« [Nationales Zentrum zum Medien-Monitoring fraglich], in: Gazeta Wyborcza, 2.3.2006. 42 Diese Entscheidung wurde im Februar 2008 rückgängig 41 »Kaczyńskiego potyczki z Trybunałem« [Kaczyńskis Wort- gemacht, doch muss ein SPE-Kongress im Herbst 2009 defini- gefechte mit dem Verfassungsgericht], in: Rzeczpospolita, tiv über die Mitgliedschaft der Smer entscheiden. Bis dahin 25.3.2006. bleibt die Partei unter Beobachtung.

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25 Populistische Regierungspolitik: Pragmatismus oder Radikalisierung?

tierte er daher nicht nur eine »objektive und deutliche Den ausländischen Anteilseignern des Gasunterneh- Notwendigkeit zur Veränderung«, sondern kündigte mens SPP – Ruhrgas und Gaz de France – legte Fico auch an, dass man überall dort auf Kontinuität mit nahe, ihre Beteiligungen doch an den slowakischen der Vorgängerregierung setzen werde, wo dies zweck- Staat zurückzuverkaufen, sollten sie mit einer mode- mäßig sei. So verfolge die Regierung in der Wirtschafts- raten Preisgestaltung nicht einverstanden sein. Er politik das Ziel, Wachstum und Effizienzsteigerung in schloss auch Gesetzesänderungen nicht aus, die den Einklang zu bringen mit einem Ausbau der Beschäfti- Staatsvertretern im SPP-Vorstand eine Vetomöglich- gung, der Festigung des sozialen Zusammenhalts und keit gegen Gaspreiserhöhungen geben würden.44 einer Erhöhung des Lebensstandards, wie dies in den Mit Argwohn blickte die Regierung Fico auch auf »europäischen Dokumenten« festgelegt sei. Außerdem die Medien. Nicht von ungefähr setzte die Koalition werde man die weitere Vertiefung des europäischen etwa eine Neufassung des slowakischen Pressegesetzes Integrationsprozesses und die Konsolidierung der EU durch. Dabei wurde nicht nur das – schon zuvor be- unterstützen.43 stehende – Recht auf Gegendarstellung bei offensicht- Wurden diese Ankündigungen umgesetzt? Die licher Falschinformation, sondern auch ein neues ersten beiden Jahre der Regierung Fico haben gezeigt, »Recht auf Antwort« gesetzlich verankert. Dieses, so dass es insbesondere in der Wirtschafts- und Finanz- die Furcht vieler Kritiker, könnte bei extensiver An- politik keine fundamentale Abkehr von den Reformen wendung andere publizistische Inhalte verdrängen, der zuvor amtierenden Regierung Dzurinda gab. Ab- da die jeweilige Reaktion an gleicher Stelle platziert gesehen von symbolischen Schritten wie der Abschaf- werden muss wie der ursprüngliche Artikel. Die fung der Arztgebühren, einer Art 13. Monatszahlung Gesetzesinitiative stieß nicht nur bei slowakischen für Rentner sowie des Stopps einiger umstrittener Medienvertretern und Journalistenverbänden auf Privatisierungsvorhaben (wie etwa des Verkaufs des Ablehnung; auch aus dem Ausland und insbesondere Flughafens Bratislava an ein Wiener Bieter-Konsor- von der OSZE wurden Vorbehalte angemeldet. Den- tium) setzte die Smer-geführte Regierung wenig noch wurde das Gesetz, nur geringfügig verändert, neue Akzente. Selbst die Flat-Tax blieb. Auch europa- Anfang April 2008 mit den Stimmen der Regierungs- politisch blieb Fico auf Kurs – mit den Stimmen der koalition angenommen. Regierungskoalition wurde der Lissabon-Vertrag ratifi- Insgesamt zeigen die ersten beiden Regierungsjahre ziert, und dank einer weiterhin soliden Haushalts- Ficos, dass die linksnationale Koalition keine Neuauf- führung konnte die Slowakei Anfang 2009 den Euro lage der semiautoritären Praktiken aus der Mečiar-Ära übernehmen. bedeutet. Bislang wird das Regierungshandeln geprägt Dennoch blieb nicht alles beim Alten. In der Außen- von Pragmatismus und klientelistischen Tendenzen politik etwa waren neue Töne zu vernehmen. So ent- in der Wirtschaftspolitik, Einzelmaßnahmen in der wickelte Fico ein inniges Verhältnis zu Russland, kriti- Sozialpolitik, einer unauffälligen Europapolitik sowie sierte während der Kaukasus-Krise vom Sommer 2008 einer amerikakritischen und russlandfreundlichen anfangs vornehmlich Georgien und nahm an einem Außen- und Sicherheitspolitik. Allerdings ist die poli- Empfang der kubanischen Botschaft in Bratislava teil. tische Atmosphäre des Landes aufgeladen, weil die Zu einer deutlichen Verschlechterung kam es in den »etatistische, egalitäre, antikapitalistische, nationalis- Beziehungen zum Nachbarland Ungarn. Insbesondere tische und xenophobe Rhetorik«45 der Regierung zuge- die Ausfälle von SNS-Chef Ján Slota gegen die unga- nommen hat. Überdies hat Fico in den letzten beiden rische Minderheit und die Republik Ungarn führten Jahren seine ursprünglich um konkrete materielle immer wieder zu Verwerfungen zwischen beiden Themen zentrierte Agenda durch eine Art ethno- Ländern, aber auch zu einer neuen Vertrauenskrise national fundierte Geschichtspolitik ergänzt. Diese zwischen der ethnisch-slowakischen Mehrheit und nimmt nicht nur auf Protagonisten der kommunis- der ungarischen Gemeinschaft in der Slowakei. tischen Periode positiv Bezug, sondern auch auf Ver- Wenig zimperlich zeigte sich Fico im Umgang mit treter des Nationalkatholizismus sowie die Gründer- großen Firmen und Monopolen. Stromkonzerne und Gasversorger rügte er mehrfach für ihre Preispolitik. 44 »Fico poslal oficiálne listy SPP, chce ich odkúpiť« [Fico schickte offiziell Briefe an die SPP, er möchte sie zurück- kaufen], in: Sme, 17.10.2008. 43 »Programové vyhlásenie vlády Slovenskej republiky«, 45 So Grigorij Mesežnikov, einer der führenden slowakischen Regierungserklärung der Regierung Fico, August 2006, Politologen; ders. u.a., »Slovakia«, in: ders. u.a. (Hg.), Populist . Politics and Liberal Democracy [wie Fn. 19], S. 130.

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26 Auswirkungen: Pragmatismus oder Radikalisierung?

väter der frühen slowakischen Staatlichkeit und der gewissen Grad an den diplomatischen Apparat historischen Nationalbewegung des 19. Jahrhunderts. delegiert worden zu sein. Dies minderte das Risiko Damit, so Fico, wolle man das Bewusstsein der »slowa- einer unprofessionellen und ideologisierten Außen- kischen Zugehörigkeit« stärken – dieses könne als politik. Insgesamt legen die Beispiele Polen und Schutzwall gegen die »Aktivitäten einer bestimmten Slowakei – wie auch die Regierungspraxis populis- Sorte von Abenteurern dienen, die die geistige Inte- tischer Parteien in anderen Ländern – zumindest grität der Slowakei zerschlagen«.46 drei Schlussfolgerungen nahe. Erstens ist die Außenpolitik populistischer Regierungen weniger berechenbar; die Kontinuitätsbildung wird er- Auswirkungen: Pragmatismus oder schwert. Zweitens können sich die bilateralen Radikalisierung? Beziehungen der betreffenden Staaten auch zu Partnern in der EU rasch verschlechtern, wie etwa Die Beispiele der polnischen PiS- und der slowa- das deutsch-polnische oder das ungarisch-slowaki- kischen Smer-Regierung zeigen, dass die Machtaus- sche Verhältnis zeigen. Drittens können externe übung durch populistische Gruppierungen recht Akteure wie die USA oder Russland unter Umstän- unterschiedliche Folgen hat, wenn es um den konkre- den Sonderverhältnisse zu populistischen Regie- ten Politikaustrag geht. Während die PiS auf eine rungen aufbauen, wenn diese aus weltanschau- konsequente Freund-Feind-Lagerbildung setzte und lichen Gründen oder aufgrund wachsender Margi- so etwas wie einen »kalten Bürgerkrieg« inszenierte, nalisierung innerhalb der EU solche Beziehungen hat Ficos Partei bislang keine derartige Spaltungs- suchen. strategie angewandt. Ein entsprechendes Instrument  Frontalangriffe auf Grund- und Menschenrechte hat Fico allerdings mit der »ungarischen Karte« zur hat es bislang nicht gegeben; allerdings sind vor Hand, auch wenn diese häufig nicht von ihm selbst, allem gesellschaftliche oder ethnische Minderheiten sondern von seinem nationalistischen Koalitions- durch populistische Regierungen unter Druck ge- partner gespielt wird. Der Versuch, Elemente einer raten. So kam es seit Ficos Amtsantritt als Premier- linkspatriotischen Geschichtspolitik in Umlauf zu minister zu mehreren Auseinandersetzungen bringen, weist gleichzeitig darauf hin, dass die Smer zwischen Regierung und ungarischer Minderheit im Thema »Nation« einen attraktiven Mobilisierungs- in der Slowakei, die über verbale Attacken seitens faktor sieht. Unterschiedliche Auswirkungen hat das der Regierungspartei SNS hinausgingen. Streit- Regierungshandeln populistischer Gruppierungen punkte waren dabei angebliche Mittelkürzungen auch hinsichtlich einzelner Politikbereiche: für die einzige ungarischsprachige Universität des  In der Außen- und Europapolitik ergibt sich kein ein- Landes in Komárno, die Finanzierung von Projekten heitliches Bild. Die PiS-Regierungen fielen durch zur ungarischen Kultur oder die Bezeichnung von eine demonstrativ an der Verteidigung nationaler Ortsnamen in ungarischsprachigen Schulbüchern. Interessen orientierte Europapolitik auf; die Regie- In Polen wiederum waren es insbesondere die rung Fico dagegen verhielt sich integrations- Äußerungen von LPR-Politikern über Homosexuelle freundlich. Während Polen sich in der Kaczyński- bzw. entsprechende Aktivitäten des von der Partei Ära stark an Washington ausrichtete und seine geführten Bildungsministeriums, die Widerspruch Beziehungen zu Moskau stagnieren ließ, verfolgte hervorriefen. Fico einen US-kritischen und Russland gegenüber  Spürbare Konsequenzen hat die populistische pragmatischen Kurs, der sich klar von dem seiner Regierungspraxis im Bereich der Medien. Zwar ist konservativen Vorgängerregierung unterschied. es in den meisten neuen Demokratien auch unter Anders als im Polen der Kaczyńskis, wo man stolz nichtpopulistischen Regierungen an der Tages- die »Wiedereroberung des Außenministeriums« ordnung, dass Führungskader und Redaktions- verkündete, scheinen in Bratislava allerdings große personal der öffentlichen Medien aus politischen Teile der Außen- und Europapolitik bis zu einem Gründen ausgewechselt werden. Im Falle der PiS gingen solche Maßnahmen allerdings auch mit 46 »Fico oslávil Cyrila a Metoda na Devíne a vyzýval k einer Änderung der rechtlichen Rahmenbedingun- slovenskej spolupatričnosti« [Fico feierte Kyrill und Method gen bei den Kontrollgremien einher. Nicht von un- auf der Burg Devin und rief zur Stärkung des slowakischen Zusammengehörigkeitsgefühls auf], Meldung der Nachrich- gefähr konstatierte etwa Freedom House, dass die tenagentur SITA, 5.7.2008, . deutlichste Rücknahme demokratischer Freiheiten

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27 Populistische Regierungspolitik: Pragmatismus oder Radikalisierung?

im Polen der PiS-Regierungen auf dem Gebiet der menbedingungen des polnischen Justizwesens oder Medien stattfand.47 das generelle Misstrauen populistischer Exekutiven  In der Wirtschaftspolitik zeigten sich zwei Tendenzen. gegenüber Nichtregierungsorganisationen zeigen, Zum einen waren populistische Regierungen be- können die sensiblen Demarkationslinien zwischen strebt, vor allem bei »strategisch« wichtigen Unter- Politik und Zivilgesellschaft, zwischen einzelnen nehmen eine weitgehende staatliche Kontrolle zu Ebenen und Zweigen des Regierungshandelns und sichern bzw. deren Verkauf an ausländische Inter- der Staatsgewalt, zwischen Staat und Wirtschaft essenten zu verhindern. Generell hat der Argwohn zumindest punktuell überschritten werden.48 gegenüber Privatisierungen und insbesondere Beteiligungen von Auslandskapital zugenommen. Zum anderen haben populistisch dominierte Regierungen sich bemüht, ihnen nahestehendes Personal in Führungs- und Aufsichtsgremien von (halb-) staatlichen Firmen zu bringen, und so teil- weise neue Patronagenetzwerke geschaffen. In Polen wurde überdies versucht, die Notenbank zu einer laxeren Geldpolitik zu bewegen. Eine rasche Einführung des Euro lehnte die PiS ab. Gleichwohl kam es zu keiner Kehrtwende in der Wirtschafts- oder Sozialpolitik. Selbst die Regierung Fico, die als soziale Alternative zu marktorientierten Reformern an die Macht gelangt war, legte keine teuren Wohl- fahrtsprogramme auf und hielt den Staatshaushalt (allerdings gestützt auf eine gute Konjunktur) im Lot.  Zumindest solange weiche Populisten regieren, ist es unwahrscheinlich, dass autoritäre Herrschafts- formen installiert werden und die Demokratie sub- stantiellen Schaden nimmt. Die Erfahrungen mit den PiS-Regierungen zeigen allerdings, dass popu- listische Exekutiven eine Form von antagonisti- scher Demokratie etablieren können. Diese zeich- net sich durch einen stark polarisierten Politikstil aus, bei dem die Konkurrenz eher als Feind denn als Gegner empfunden wird. Hinzu kommt eine Tendenz zur Machtkonzentration in den Führungs- instanzen der Exekutive. Die Durchsetzung der eigenen Ziele wird durch Berufung auf das Majori- tätsprinzip politischer Regelsetzung legitimiert; demgegenüber hat die konsensorientierte Entschei- dungsregulierung zurückzutreten. Während die Prinzipien demokratischer Wahlen, Gewalten- teilung und Parlamentarismus, Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte nicht angetastet werden, kann es durchaus zu partiellen Durchbrechungen der »liberalen Kunst der Separation« kommen: Wie die Kritik am Verfassungsgericht durch die Kaczyński- Zwillinge, die versuchte Einflussnahme auf Rah- 48 Vgl. dazu Grahame F. Thompson, »Toleration and the Art of International Governance: How Is It Possible to ›Live To- gether‹ in a Fragmenting International System?«, in: Jean 47 Freedom House, Nations in Transit 2008. Country Report Hillier/Emma Rooksby (Hg.), Habitus: A Sense of Place, Aldershot , . 2005, S. 83–108 (96f).

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28 Welche Reaktion: Isolieren, tolerieren, involvieren?

Welche Reaktion: Isolieren, tolerieren, involvieren?

Zwar wurden im einen oder anderen Fall populisti- werden, könnte dies wiederum deren Kohäsion beein- sche Parteien geschwächt und aus Regierungen oder trächtigen. sogar Parlamenten herausgewählt, doch schaffen Angesichts dessen werden die Partner der jungen es solche Gruppierungen immer wieder aufs Neue, Demokratien auch künftig gefordert sein, sich auf beachtliche Erfolge zu erzielen. Die Faktoren und Situationen einzustellen, in denen populistische Rahmenbedingungen, die ihnen in der Vergangenheit Gruppierungen direkt oder indirekt Einfluss auf die Terraingewinne beschert haben, dürften auch in den Politik ihrer Länder nehmen können. Bei der Frage nächsten Jahren wirkungsmächtig bleiben. Hinzu nach dem Umgang mit populistisch regierten Mit- kommt, dass die weltweite Wirtschafts- und Finanz- gliedsländern muss allerdings differenziert werden. krise, von der die Länder im östlichen Europa beson- Je nachdem, wie die betreffende Regierungskoalition ders hart getroffen werden, auch politische Aus- zusammengesetzt ist, welche Form von Populismus wirkungen zeitigen könnte. So werden rigide Spar- herrscht, wie pragmatisch und wandlungsbereit die programme die Einkommen von Transferempfängern Administration agiert, ist entweder eine härtere Gang- wie Rentnern und Erwerbslosen sowie von Staats- art anzuschlagen oder ein eher dialogorientierter An- bediensteten reduzieren. Der Wohlstand der neuen satz zu wählen. Grundsätzlich sind drei verschiedene Mittelklassen, der vielfach durch nicht mehr bezahl- Strategien möglich: Populistisch dominierte Regierun- bare Kredite in fremder Währung finanziert wurde, gen können isoliert, toleriert oder involviert werden. dürfte abschmelzen, und Teile dieser traditionell  Isolieren. Diese Strategie sollte dann verfolgt werden, markt- und reformorientierten Gesellschaftsschichten wenn es sich um Regierungen handelt, die an den könnten sich von ihren bisherigen politischen Favo- Grundfesten von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit riten in der Mitte des Parteienspektrums abwenden. und Menschenrechten rütteln. Auf Ebene der EU Die Präsenz populistischer Kräfte in Regierungen sind für diesen Fall Maßnahmen vorgesehen, die der neuen EU-Mitgliedsländer ist daher keineswegs ein bis zur Aussetzung von Mitgliedschaftsrechten ephemeres Phänomen. Nicht zuletzt wird sie auch reichen können (Artikel 7 EU-Vertrag). Bevor jedoch Auswirkungen auf das Verhalten dieser Länder in der das »scharfe Schwert« EU-interner Sanktionen an- EU haben. So ist zumindest teilweise mit einer Ver- gewandt werden kann, muss aus gutem Grund ein härtung nationaler Standpunkte und einer Verkom- kompliziertes Verfahren durchlaufen werden, bei plizierung von Ratsentscheidungen zu rechnen. Auch dem unter anderem ein einstimmiger Beschluss der dürften im Einzelfall die Erwartungsverlässlichkeit Staats- und Regierungschefs sowie eine qualifizierte populistisch regierter Länder und die bi- oder multi- Mehrheit im Europäischen Parlament erforderlich laterale Abstimmung von Verhandlungspositionen sind. Insbesondere muss eine »schwerwiegende und mit ihnen erschwert werden. anhaltende Verletzung« der »Grundsätze der Frei- Konsequenzen können sich auch für die Entschei- heit, der Demokratie, der Achtung der Menschen- dungsfindung im Europäischen Parlament ergeben. rechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaat- Zwar waren dort radikale und populistische Parteien lichkeit« vorliegen.49 Mit dem Vertrag von Nizza bislang eher randständig, und die Etablierung neuer wurde ein präventiver Mechanismus eingeführt, Fraktionen etwa aus rechtspopulistischen Gruppierun- gen scheiterte unter anderem an nationalen Gegen- 49 Die Kommission hat die Bedingungen für die Anwend- sätzen. Allerdings könnte eine Stärkung populisti- barkeit sowie die sachlichen Voraussetzungen für die Anwen- scher Parteien aus den neuen wie auch aus den alten dung von Artikel 7 EU-Vertrag konkretisiert und operationa- EU-Staaten dazu führen, dass die Mehrheitsbildung lisiert. Siehe Mitteilung der Kommission an den Rat und an das für die moderaten Fraktionen erschwert bzw. die Ten- Europäische Parlament zu Artikel 7 des Vertrags über die Europäische Union. Wahrung und Förderung der Grundwerte der Europäischen denz zu großen Koalitionen gefördert wird. Sollten Union, Brüssel, 15.10.2003, KOM(2003) 606 endgültig, populistische oder semipopulistische Parteien in die .

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29 Welche Reaktion: Isolieren, tolerieren, involvieren?

der es dem Rat erlaubt, bereits im Fall einer sich mit ihnen zu verstärken. Involvierung darf aber abzeichnenden Gefährdung von demokratischen kein Selbstzweck sein, sondern sollte an Bedingun- Grundsätzen auf Basis einer Vier-Fünftel-Mehrheit gen geknüpft werden. Dazu gehört etwa ein Koope- Empfehlungen an einen Mitgliedstaat zu richten. rationsverzicht der jeweiligen Parteien gegenüber Dieser abgestufte Interventionsmechanismus dient extremistischen Kräften. gleichsam als Ultima Ratio und dürfte in der Praxis Jenseits dieser generellen Strategien sind einige prak- nur in Extremfällen relevant werden – die notwen- tische Maßnahmen denkbar, die im günstigsten Fall digen Zustimmungsschwellen sind schon allein zu einer Eindämmung des Populismus im spezifischen deshalb nur schwer zu erreichen, weil es in der politisch-gesellschaftlichen Kontext der neuen Mit- erweiterten EU eine wachsende Zahl von Mitglied- gliedsländer beitragen können. Dabei sollte man be- staaten gibt, die sich als potentielle Adressaten rücksichtigen, dass die Erfolge populistischer Parteien solcher Maßnahmen sehen und daher gegen die in Ostmittel- und Südosteuropa im Kern durch ein Verhängung von Sanktionen eintreten. Praktikabler Bedürfnis nach klar konturierten politischen Angebo- dürfte es daher sein, im bilateralen Umgang mit ten, nach neuen Eliten und nach besserem Regieren »Problemregierungen« konzertierte Aktionen von ermöglicht werden. Mitgliedstaaten zu lancieren. Allerdings sollten  Auch knapp zwei Jahrzehnte nach der Wende bleibt Formen der bilateralen Isolierung und erst recht die Festigung von Parteien eine Herausforderung gemeinschaftliche Interventionen vorab einer für demokratische Politik. Dies gilt umso mehr, als gründlichen Folgenabschätzung unterzogen wer- sich in den meisten Ländern der Region Parteien- den. Schließlich können solche Schritte auch zu demokratien herausgebildet haben, die ohne in- einer innenpolitischen Aufwertung von Gruppie- takte Parteien bzw. Parteiensysteme unter Funk- rungen führen, deren Fehlverhalten geahndet tionsdefiziten leiden würden. Europäische Parteien- werden soll. verbünde, Partnerparteien sowie die vor Ort wirken-  Tolerieren. Dieser Ansatz kombiniert Wachsamkeit den parteinahen oder weltanschaulich geprägten mit einer Business-as-usual-Haltung. Er ist dann zu Nichtregierungsorganisationen aus Westeuropa empfehlen, wenn es keine nachweisbaren Verstöße sind daher nach wie vor gefragt, durch ihr Engage- gegen Grundwerte und keine Hassrhetorik gegen ment die programmatischen, personellen und orga- Minderheiten, Nachbarländer oder internationale nisatorischen Grundlagen der politischen Parteien Akteure gibt. In diesem Fall sollten populistische und Gruppierungen im östlichen Teil des Konti- Regierungen durchaus als normale Partner in der nents zu stärken. EU betrachtet werden, mit denen sachlich koope-  Besonderes Augenmerk sollte dem systematischen riert wird. Ihre Initiativen sollte man jedoch nur Aufbau von professionellem parteipolitischen nach eingehender Prüfung unterstützen, den diplo- Führungspersonal geschenkt werden. Charismatische matischen und politischen Austausch mit ihnen Anführer sind oftmals eine entscheidende Stärke bloß in gedämpfter Weise betreiben. Wichtig ist populistischer Gruppierungen; dagegen erweist in jedem Fall, das innen- und außenpolitische sich der Mangel an politikfeldbezogenem Sach- Gebaren der betreffenden Regierungen aufmerk- verstand häufig als ihre Achillesferse. Deshalb gilt sam zu beobachten. es, neue Elitenreservoirs für eine moderate Partei-  Involvieren. Insbesondere bei Parteien, die lediglich politik zu erschließen. Entsprechendes Personal populistisch infiltriert sind, besteht die Möglich- ließe sich vor allem aus den lokalen und regionalen keit, dass sie sich pragmatisieren, nachdem sie Selbstverwaltungen rekrutieren, die nach den an die Macht gelangt sind. Beispiele dafür sind die Dezentralisierungsmaßnahmen der vergangenen Zarenpartei in Bulgarien, die zu einer mehr oder Jahre immens an Bedeutung gewonnen haben. weniger kantenlosen liberalen Kraft mutierte, oder  Die »liberalen« Parteien der demokratischen Rech- mit Einschränkungen die slowakische Smer, die ten, der Linken und der Mitte haben im Laufe der wirtschafts-, außen- und europapolitisch weitge- Transformation ihre inhaltlichen Konturen vielfach hend unspektakulär agiert. Gibt es Anzeichen für eingebüßt, sofern sie überhaupt jemals ein echtes eine solche Flexibilisierung, sollten populistische ideologisches Profil besaßen. In dieses Vakuum Parteien bzw. populistisch geführte Regierungen konnten populistische Bewegungen vorstoßen. von ihren internationalen Partnern aktiv eingebun- Nicht zufällig sind in jenen Ländern, in denen sich den werden. In diesem Fall ist die Kommunikation inhaltlich und weltanschaulich verhältnismäßig

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30 Welche Reaktion: Isolieren, tolerieren, involvieren?

klar zu verortende Parteien herausgebildet haben staaten sein, die sich in den Nachtransformations- (etwa in Slowenien oder der Tschechischen Repu- ländern betätigen. Eine sinnvolle Maßnahme wäre blik), Erfolge populistischer Kräfte bislang weit- hierbei der Aufbau von Strukturen nach dem Mus- gehend ausgeblieben. Auch in den übrigen Staaten ter der deutschen Bundeszentrale bzw. der Landes- der Region müssen die moderaten Parteien daher zentralen für politische Bildung. Allerdings sollte eine stetige Programmarbeit entwickeln und diese man keine übertriebenen Hoffnungen in solche auch in konkrete Projekte übertragen. Zu den Projekte setzen. Mit der Herausforderung des Popu- Schwerpunkten inhaltlicher Positionierung sollten lismus wird sich die Europäische Union jedenfalls nicht zuletzt jene Politikfelder gehören, die von noch längere Zeit beschäftigen müssen. Populisten erfolgreich besetzt worden sind – also Sozial- und Wohlfahrtspolitik, Daseinsfürsorge, Korruptionsbekämpfung und Verhinderung von state capture.50  Die Wahl der adäquaten Strategie im Umgang mit populistisch dominierten Regierungen erfordert ein möglichst umfassendes Monitoring der inneren Entwicklung von EU-Mitgliedstaaten. Ein wichtiger Baustein für ein solches Monitoring sollten die Berichte des Europarates zu Grundrechten und Demokratie sein. Im Rahmen interinstitutioneller Kooperation könnten die EU-Grundrechteagentur sowie Nichtregierungsorganisationen zu diesen Berichten beitragen.  In den neuen Mitgliedsländern haben sich einige Institutionen und Organisationen als wichtige Faktoren zur Einhegung populistischer Regierungspolitik erwiesen. Dazu gehören insbesondere die Verfas- sungsgerichtsbarkeit und die Medien. Solche gesell- schaftlichen Sperrklinken sollten gestärkt werden, indem etwa in der europäischen Öffentlichkeit akzentuiert über Rolle und Funktion von Verfas- sungsgerichten diskutiert wird. Was die Medien- landschaft angeht, wäre vor allem hinsichtlich des öffentlichen Rundfunks ein multilateraler Austausch darüber zu etablieren, wie Strukturen geschaffen werden können, die »robust« sind ge- genüber Eingriffsversuchen der Politik.  Zivilgesellschaftliche Strukturen und staatsbürger- liches Engagement sind in den meisten der neuen EU-Länder Ostmittel- und Südosteuropas schwächer ausgeprägt als in Westeuropa. Die Unterstützung von Nichtregierungsorganisationen und staatlichen Institutionen, die die Stärkung bürgerschaftlich-politi- scher Partizipation zum Ziel haben, sollte daher nach wie vor eine Priorität von Akteuren aus Partner-

50 Damit ist eine Art Kolonialisierung des Staates durch zumeist wirtschaftliche Interessengruppen gemeint. In sol- chen Fällen können Capture-Akteure Regeln und rechtliche Rahmenbedingungen durch illegale Einflussnahme in ihrem Sinne mitgestalten.

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Tabelle 1 Sozialstruktur der Wählerschaft polnischer Parteien bei den Parlamentswahlen am 21. Oktober 2007 (in Prozent)

Bürgerplattform Recht und Gerechtigkeit Linke und Demokraten Polnische Bauernpartei

Gemeindegröße (Einwohner) Dörfer 31,2 38,5 8,9 15,0 < 50 000 45,8 30,0 12,9 7,0 51 000 – 200 000 48,4 27,4 15,9 4,3 201 000 – 500 000 52,5 27,2 14,4 2,8 > 500 000 57,1 25,6 11,7 2,5 Bildung elementar 27,4 44,0 9,2 10,5 Berufsausbildung 31,3 41,0 10,7 10,1 Mittelschule 44,2 30,9 12,8 7,9 Hochschule 55,1 23,2 12,7 6,0 Alter 18–19 55,2 24,7 8,7 6,0 20–24 50,7 22,0 10,4 5,9 25–39 51,6 25,7 11,1 7,5 40–59 40,4 33,9 11,9 9,3 > 60 30,0 41,6 16,3 6,8 Quelle: PBS-exit-poll-Daten im Artikel von Andrzej Stankiewicz, »Pospolite Ruszenie«, in: Newsweek, 28.10.2007, zitiert nach: Aleks Szczerbiak, The Birth of a Bi-polar Party System or a Referendum on a Polarising Government? The October 2007 Polish Parliamentary Election, Sussex: Sussex European Institute, Januar 2008 (Working Paper Nr. 100), S. 17.

Tabelle 2 Ergebnisse slowakischer Parteien bei den Parlamentswahlen am 17. Juni 2006 nach Gemeindegröße (in Prozent)

Gemeindegröße Smer-SD ĽS-HZDS SNS SDKÚ-DS (Einwohner) bis 199 34,2 11,0 11,0 10,1 200–499 31,0 10,2 11,5 10,2 500–999 29,8 10,4 11,8 11,1 1000–1999 29,3 10,5 13,1 11,5 2000–4999 29,6 10,0 13,2 12,5 5000–9999 28,5 8,1 12,1 14,5 10 000–19 999 30,1 8,0 11,8 18,4 20 000–49 999 31,5 8,0 11,7 19,2 50 000–99 999 30,9 8,2 12,8 25,5 Bratislava und Kaschau 22,4 5,9 7,7 36,0 landesweit 29,1 8,8 11,7 18,4 Quelle: Vladimír Krivý, »Voľby v roku 2006«, in: Miroslav Kollár u.a. (Hg.), Slovensko 2006. Súhrnná správa o stave spoločnosti [Slowakei 2006. Jahresbericht über den Zustand der Gesellschaft], Bratislava 2007, S. 107–149 (119).

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Tabelle 3 Sozialstruktur der Wählerschaft slowakischer Parteien bei den Parlamentswahlen am 17. Juni 2006 (in Prozent)

Smer-SD SDKÚ-DS SNS SMK ĽS-HZDS KDH KSS Alter Erstwähler 25,9 22,5 15,3 10,3 2,5 6,8 1,9 23–29 22,6 26,2 10,4 12,3 4,6 7,3 1,6 30–39 25,8 24,9 11,6 11,4 5,0 6,6 2,5 40–49 30,2 18,6 10,0 12,1 6,9 6,2 3,6 50–59 30,8 14,4 10,2 10,2 10,0 8,8 5,7 > 60 27,2 12,8 6,9 13,1 14,5 11,8 7,6 Bildung »Grundschule«/ 31,4 7,9 11,1 14,5 12,4 7,7 5,9 Ausbildung Abitur 28,3 20,9 10,8 11,0 6,2 7,4 3,6 Hochschule 20,2 33,5 7,5 8,3 4,7 10,2 2,7 Quelle: Oľga Gyárfášová, »Retrospektívny pohľad na volebné správanie« [Ein Blick zurück auf das Wahlverhalten], in: Sme, 10.8.2006, abrufbar unter .

Tabelle 4 Wahlergebnisse populistischer Parteien in ausgewählten neuen EU-Mitgliedstaaten (jeweils bei den letzten zwei Parlamentswahlen, in Prozent)

Land Partei Ausrichtung Wahlergebnisse Polen Recht und Gerechtigkeit (PiS) nationalkonservativ 27,0 (2005) 32,1 (2007) Samoobrona agrarisch, sozialpopulistisch 11,4 (2005) 1,3 (2007) Liga der Polnischen Familien (LPR) nationalkatholisch 8,4 (2005) 1,5 (2007) Slowakei Smer-SD sozial-national 13,5 (2002) 29,1 (2006) Slowakische Nationalpartei (SNS) nationalistisch 3,3 (2002) 11,7 (2006) Bewegung für eine demokratische konservativ 19,5 (2002) 8,8 (2006) Slowakei (ĽS-HZDS) Kommunistische Partei der kommunistisch, sozial- 6,3 (2002) 3,9 (2006) Slowakei (KSS) populistisch Echte Nationalpartei (PSNS) nationalistisch 3,7 (2002) Bewegung für Demokratie (HZD) national 3,3 (2002) Bulgarien Nationale Vereinigung Ataka nationalistisch 8,1 (2005) Nationale Bewegung Simeon der zunächst ohne klares Profil, 42,7 (2001) 21,8 (2005) Zweite (seit 2007 Nationale Bewe- heute gemäßigt und liberal gung für Stabilität und Fortschritt) Estland Zentrumspartei moderat sozialpopulistisch 25,4 (2003) 26,1 (2007) Res Publica liberal-zentristisch 24,6 (2003) Lettland Neue Ära (JL) konservativ, gegen Korruption 23,9 (2002) 16,4 (2006) Für Menschenrechte in einem sozialpopulistisch 19,0 (2002) 6,0 (2006) Vereinten Lettland (PCTVL) Litauen Partei der Nationalen ohne klares Profil 15,1 (2008) Wiederauferstehung (TPP) Ordnung und Gerechtigkeit national, Law and Order 11,4 (2002) 12,7 (2008) Arbeitspartei (DP) gemäßigt sozialpopulistisch 28,4 (2004) 9,0 (2008) Volksunion agrarisch 6,6 (2002) 3,8 (2008)

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33 Anhang

Tabelle 5 Umfragen in der Slowakei von 2002 bis 2007: Welches sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Probleme im Land? (Antworten in Prozent, Mehrfachnennungen möglich)

2002 2003 2004 2005 2006 2007 Lebensstandard, soziale Sicherheit 59 66 80 76 79 79 Arbeitslosigkeit 65 58 59 62 53 37 Gesundheitswesen 33 46 36 34 33 37 Moral, Korruption 31 28 22 29 24 25 Kriminalität, organisiertes Verbrechen 18 14 17 18 22 15 Wirtschaft, Privatisierung 21 21 16 13 10 12 Schulwesen 8 5 16 9 10 12 Politik, Demokratie 19 23 10 13 10 9 Wohnen 9 5 5 5 6 7 Ethnische Probleme 5 3 3 2 5 7 Quelle: Zora Bútorová/Oľga Gyárfášová, »Verejná mienka« [Öffentliche Meinung], in: Miroslav Kollár u.a. (Hg.), Slovensko 2007. Súhrnná správa o stave spoločnosti [Slowakei 2007. Jahresbericht über den Zustand der Gesellschaft], Bratislava 2008, S. 233–275 (241).

Tabelle 6 Umfrage in Polen von 2006: Welches sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Ziele und Aufgabenbereiche staatlichen Handelns? (Antworten in Prozent, Mehrfachnennungen möglich)

sehr wichtig wichtig unwichtig Arbeitslosigkeit, Beschäftigungspolitik 73 25 1 Kriminalitätsbekämpfung 72 27 0 Chancengleichheit im Gesundheitswesen 61 35 2 Chancengleichheit bei Arbeitsplatzsuche 60 36 2 Korruptionsbekämpfung 60 34 3 effektives, gebührenfreies Gesundheitssystem 59 37 2 effektive Gerichte 58 38 1 Quelle: CBOS, Najważniejsze cele działań państwa – postulaty i oceny, Komunikat z badań [Die wichtigsten Ziele staatlichen Handelns – Forderungen und Beurteilungen], Forschungsmitteilung des Meinungsforschungsinstituts CBOS, Nr. 4, Januar 2007, abrufbar unter .

Tabelle 7 Institutionenvertrauen der Bevölkerung (»tend to trust institution«) in den neuen EU-Mitgliedsländern (in Prozent)

Land Parlament Regierung Parteien Estland 36 56 15 Lettland 12 15 5 Litauen 12 17 7 Polen 16 26 7 Slowakei 34 37 13 Slowenien 31 31 k. A. Tschechische Republik 16 21 11 Ungarn 15 13 9 Bulgarien 12 17 9 Rumänien 22 25 18 EU-27 gesamt 34 32 18 Quelle: Eurobarometer 69, Public Opinion in the , First Results, Juni 2008 sowie nationale Berichte, .

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Abkürzungen

BSP Bălgarska Socialističeska Partija / Bulgarische SLD Sojusz Lewicy Demokratycznej / Demokratische Sozialistische Partei Linksallianz (Polen) DP Darbo partija / Arbeitspartei (Litauen) Smer-SD Smer – sociálna demokracia / Die Richtung – DPS Dviženie za Prava i Svobodi / Bewegung für Sozialdemokratie (Slowakei) Rechte und Freiheiten (Bulgarien) SMK Strana maďarskej koalície / Partei der Ungarischen EVP Europäische Volkspartei Koalition (Slowakei) FIDESZ-MPSZ Fiatal Demokraták Szövetsége – Magyar Polgári SNS Slovenská národná strana / Slowakische Szövetség / Bund Junger Demokraten – Nationalpartei Ungarischer Bürgerbund SPE Sozialdemokratische Partei Europas GERB Graždani za Evropejsko Razvitie na Bălgaria / TPP Tautos prisikėlimo partija / Partei der Nationalen Bürger für eine europäische Entwicklung Wiederauferstehung (Litauen) Bulgariens ZRS Združenie robotníkov Slovenska / HZD Hnutie za demokraciu / Bewegung für Arbeitervereinigung der Slowakei Demokratie (Slowakei) HZDS siehe ĽS-HZDS JL Jaunais Laiks / Neue Ära (Lettland) KDH Kresťanskodemokratické hnutie / Christdemokratische Bewegung (Slowakei) KSČM Komunistická strana Čech a Moravy / Kommunistische Partei Böhmens und Mährens (Tschechische Republik) KSS Komunistická strana Slovenska / Kommunistische Partei der Slowakei LPG Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft LPR Liga Polskich Rodzin / Liga der Polnischen Familien ĽS-HZDS Ľudová strana – Hnutie za demokratické Slovensko / Volkspartei – Bewegung für eine Demokratische Slowakei (bis 2003 nur HZDS) MIÉP Magyar Igazság és Élet Pártja / Partei für ungarische Gerechtigkeit und Leben MSZP Magyar Szocialista Párt / Ungarische Sozialistische Partei NDSV Nacionalno dviženie za stabilnost i văzhod / Nationale Bewegung für Stabilität und Fortschritt (bis 2007 Nationale Bewegung Simeon der Zweite) (Bulgarien) OSZE Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa PCTVL Par Cilvēka Tiesībām Vienotā Latvijā / Für Menschenrechte in einem Vereinten Lettland PiS Prawo i Sprawiedliwość / Recht und Gerechtigkeit (Polen) PO Platforma Obywatelska / Bürgerplattform (Polen) PRM Partidul România Mare / Großrumänien-Partei PSL Polskie Stronnictwo Ludowe / Polnische Volkspartei PSNS Pravá Slovenská národná strana / Echte Slowakische Nationalpartei SDKÚ-DS Slovenská demokratická a kresťanská únia – Demokratická strana / Slowakische Demo- kratische und Christliche Union – Demokratische Partei SDĽ Strana demokratickej ľavice / Demokratische Linkspartei (Slowakei)

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