Der St. Galler Humanist Und Das Land Der Helvetier
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Camenae n° 26 – novembre 2020 Rudolf GAMPER IOACHIMUS VADIANUS HELVETIUS (1483/84–1551) DER ST. GALLER HUMANIST UND DAS LAND DER HELVETIER Die Schweizer Humanisten leisteten zur Zeit der Mailänderkriege ihren Beitrag zur Festigung der Eidgenossenschaft, indem sie das antike Volk der Helvetier zum gemeinsamen Urahnen der dreizehn Orte aufwerteten1. Sie schufen damit die helvetische natio, verlängerten die geschichtlichen Wurzeln des gemeinsamen Vaterlandes bis in die Römerzeit und sicherten ihm einen Platz im zeitgenössischen Nationendiskurs der lateinkundigen Eliten. Innerhalb der Eidgenossenschaft verschaffte die Verbindung von antiken Helvetiern und zeitgenössischen Eidgenossen den Humanisten vermehrte Beachtung. Joachim Vadian, der St. Galler Humanist, erreichte sogar, dass die Obrigkeit für ihn eine mit festem Salär verbundene Stelle einrichtete. Am 15. September 1518 beschloss der Rat der Stadt St. Gallen seine Anstellung für drei Jahre. Vadian schrieb erfreut an den Freiburger Schultheissen Peter Falck: Ein Geschenk (munus) von fünfzig Goldgulden rheinischer Währung jährlich hat mir die Stadtrepublik (respublica) angeboten: ‘Geschenk’ nenne ich es wirklich richtiger als eine Besoldung oder ein Gehalt, da diese bei gehabten Mühen angewendet werden. Ich aber bin, dass ich es wahrheitsgetreu sage, zu gar nichts angehalten, ausser zur allgemeinen Pflicht aller Bürger, das heisst, dass ich der Vaterstadt (patrię) wohlgesinnt sei und ihr, wenn der Fall eintritt, nach Kräften beistehe und zur Zierde gereiche, wenn ich es vermag. Diesem Vorhaben fühle ich mich schon längst verpflichtet, dass ich nicht so sehr der Vaterstadt als unserer ganzen Eidgenossenschaft (tam patrię quam communi Helvetiae nostrae) gerne alles zugutekommen lassen möchte, wenn ich jeder Mann sein könnte, für den mich schon jetzt viele fälschlicherweise halten2. Selbstbewusst präsentierte sich Vadian als Schweizer Humanist; seine Anstellung verstand er als Auftrag, den Humanismus durch sein Wirken in St. Gallen und in der Eidgenossenschaft als Dienst am Vaterland zu verankern. Genauere inhaltliche Ziele formulierte er nicht. In diesem Beitrag wird untersucht, wie Vadian den humanistischen Nationalitätendiskurs verarbeitete, wie er sich an dessen Ausgestaltung in der Eidgenossenschaft beteiligte und welche anderen Loyalitäten wirksam waren. Die Untersuchung umfasst Vadians Lehr- und Publikationstätigkeit an der Universität Wien, die kurze Zeit, in der er als städtischer Humanist in St. Gallen wirkte und die anschliessende Nutzung des humanistisch geschulten Umgangs mit historischen Quellen im Dienste der Reformation. Zur Bezeichnung der 1 Für anregende Diskussionen und kritische Lektüre dieses Beitrags danke ich Clemens Müller (St. Gallen), Rezia Krauer (Zürich/St. Gallen) und Katharina Suter-Meyer (Losdorf) und vor allem meiner Frau Gertraud. 2 Munus mihi respublica obtulit quinquaginta in singulos annos aureorum Renensium; munus vero rectius dixerim, quam aut stipendium aut salarium, cum horum utrumque habitis laboribus impendatur. Ego autem ne hilo quidem, ut vere dicam, obligatus sum, praeter commune omnium civium officium, hoc est, ut patriae velim bene eamque, ubi ita ceciderit, pro mea virili iuvem et, si potero exornem. Id consilium me ita dudum illexit, ut non tam patrię quam communi Helvetiae nostrae praestare omnia libens velim, si unquam is esse possem, quem esse me iam nunc multi falso existimant. Brief vom 27. Oktober 1518, Vadianische Briefsammlung, Bd. 7: Ergänzungsband, hrsg. v. H. Wartmann, St. Gallen [Mitteilungen zur Vaterländischen Geschichte 30a], 1913, S. 10–11, Nr. 6; Übersetzung: J. Vadian, Ausgewählte Briefe, hrsg. v. Ernst Gerhard Rüsch, St. Gallen, V.G.S., 1983, S. 23. 1 Camenae n° 26 – novembre 2020 Schweiz und ihrer politischen Ordnung um 1500 wird im Folgenden neben Helvetia/Helvetii der Begriff «Eidgenossenschaft» verwendet, weil er die Struktur des staatlichen Gebildes der Zeit besser ausdrückt als die geographische Bezeichnung «Schweiz». POETA LAUREATUS Vadian verbrachte drei Viertel seines Lebens in St. Gallen und ein Viertel, die Jahre 1502 bis 1518/19, in Wien, wo er das Studium 1508 als Magister abschloss und nach der üblichen zweijährigen Lehrverpflichtung als Dozent an der Universität verblieb3. Innerhalb der Universität gehörte er dem Humanistenkreis an, den Konrad Celtis mit kräftiger Unterstützung Kaiser Maximilians I. am Collegium poetarum aufgebaut hatte und der auch in den humanistischen Sodalitäten gepflegt wurde. Vadian beteiligte sich an der in diesen Kreisen gepflegten Vermehrung des kulturellen Prestiges des kaiserlichen Hofes und verfasste eine versifizierte Vita des heiligen Koloman, des österreichischen Landespatrons, wahrscheinlich anlässlich der Feier der Elevation des zweiten Landespatrons, des heiligen Leopold im Jahr 1506. Sie zählt zu seinen ersten Werken4. Dank der Protektion durch Johann Cuspinian, Poeta laureatus, Nachfolger von Celtis und Diplomat Kaiser Maximilians, stieg Vadian 1512 zum stellvertretenden Inhaber des Lehrstuhls für Poetik am Collegium poetarum auf. Auch sein wichtigster Lehrer, Georg Tannstetter (Collimitius), Mathematiker und Astrologe, war am Collegium poetarum tätig; er wurde später Leibarzt von Kaiser Maximilian und dessen Enkel Ferdinand. Dank der Fürsprache seiner mit dem kaiserlichen Hof verbundenen Freunde und umsichtiger Vorbereitung durch einflussreiche Hofbeamten wurde Vadian 1514 von Kaiser Maximilian zum Dichter gekrönt5. Die mit der Dichterkrönung verbundene öffentliche Anerkennung bildete den Höhepunkt in Vadians Karriere in Wien. Keine andere Episode in den autobiographischen Passagen seiner 1518 publizierten Poetik bringt so viel Emotionalität zum Ausdruck wie die Schilderung der Feier, die am Nachmittag des 12. März in Linz stattfand: Dort in Anwesenheit der Vornehmsten aller Stände krönte mich der Kaiser, weil kein Lorbeer zur Hand war, mit einem Kranz aus Buchsbaum gewunden. […] Das erlauchte Antlitz des Fürsten und seine milde, meiner Rede ganz hingegebene Haltung rührten mich dermassen, dass ich mir im Vortrag wie von einem Apollo und den Musen entrückt vorkam. […] Doch ich kann es kaum ausdrücken, was für ein alle Kunst und Wissenschaft umfassender Ausblick sich meiner seit jener Stunde bemächtigte, in welcher die geweihten und siegesbewussten Hände eines solchen Fürsten meine Schläfen berührten, als diese von so vielen Herrschern, so vielen Völkern verehrte irdische Hoheit mich noch kniend bei der Hand nahm und vom 3 Zur Biographie Vadians: W. Näf, Vadian und seine Stadt St. Gallen, 2 Bde., St. Gallen, Fehr'sche Buchhandlung, 1944–1957; R. Gamper, Joachim Vadian, 1483/84–1551. Humanist, Arzt, Reformator, Politiker, mit Beiträgen von Rezia Krauer und Clemens Müller, Zürich, Chronos, 2017. 4 Werkverzeichnis: A. Schirrmeister, «Vadian (Vadianus, von Watt), Joachim», Deutscher Humanismus 1480–1520. Verfasserlexikon, hrsg. von F. J. Worstbrock, Bd. 2, Berlin, De Gruyter, 2013, Sp. 1177–1237, zur «Ode […] in laudem S. Colomanni Martyris», ibidem, Sp. 1224. 5 W. Näf, «Die Vorbereitung von Vadians Dichterkrönung», Vadianische Analekten, hrsg. v. W. Näf, St. Gallen, Fehr’sche Buchhandlung [Vadian-Studien 1], 1945, S. 1–4; D. Mertens, «Zur Sozialgeschichte und Funktion des Poeta laureatus im Zeitalter Maximilians I.», Gelehrte im Reich. Zur Sozial- und Wirkungsgeschichte akademischer Eliten des 14. bis 16. Jahrhunderts, hrsg. v. R. Ch. Schwinges, Berlin [Zeitschrift für historische Forschung, Beiheft 18], 1996, S. 327–438, hier S. 342; A. Schirrmeister, Triumph des Dichters. Gekrönte Intellektuelle im 16. Jahrhundert, Köln, Böhlau, 2003, S. 195–198 und 208–209. 2 Camenae n° 26 – novembre 2020 Erdboden aufrichtete, mir die Linke mit einem mit Edelstein funkelnden Ringe zierte und mich schliesslich unter Zuruf der anwesenden Menge als Dichter ausrief6. Vadian trug eine panegyrische Dichtung vor, die er kurz zuvor für die feierliche Überführung des Sarges des zwanzig Jahre zuvor beerdigten Kaisers Friedrich in das neu vollendete Prachtgrab im Wiener Stephansdom verfasst hatte7. Sie entsprach ganz dem, was Maximilian von den Dichtern, die er krönte, erwartete: ein thematisch vielseitiges, mit antiken Reminiszenzen verwobenes Lob des gegenwärtigen Herrschers Maximilian, seines verstorbenen Vaters Friedrich und der künftigen Glieder der Dynastie. Im folgenden Jahr betraute die Universität Vadian mit der Ausarbeitung der Festreden für Kaiser Maximilian und König Sigismund von Polen anlässlich der Feierlichkeiten am Wiener Fürstentreffen, bei dem sich im Sommer 1515 die Höfe Österreichs, Polens und Ungarns trafen, die Konflikte zwischen ihren Ländern entschärft und der Friede durch die Doppelhochzeit zwischen den Kindern des Kaisers und des ungarischen Königs bekräftig wurden8. Vadian bewährte sich in der für Humanisten typischen Funktion «als vielseitige[r] Sprachvirtuose mit öffentlichem Redeauftrag»9, der in seinen von rhetorischen Konventionen geprägten Gedichten und Reden den vorbildlichen Charakter und die herausragenden Leistungen der Fürsten evozierte10. Mit der Dichterkrönung trat Vadian in ein gegenseitiges Treueverhältnis ein11. Der Kaiser verlieh ihm eine Reihe von Rechten zur Ausübung seiner Profession: Dabei geben und gewähren Wir dir und bestimmen durch diesen kaiserlichen Erlass, dass du ferner an allen Hochschulen, besonders den Universitäten, sowohl in der Dichtkunst als in der Redekunst lesen, lehren, dozieren und interpretieren und ausserdem alle Privilegien, Vorrechte, Begünstigungen, Ehren, Vorteil, Gnaden und Freiheiten frei gebrauchen und geniessen