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Der vorliegende Artikel zum Bülowplatzprozess wurde uns von Frau Dr. Leopoldine Kuntz zum Veröffentlichen in der KAZ zur Verfügung gestellt. Ihre für uns wichtigen Lebensdaten: 1938 geboren, von 1975 bis 1991 wissenschaftliche Mitarbeiterin für den Bereich Faschismusforschung am Institut für Marxismus/Leninismus beim ZK der SED. Ihr Mann ist Leo Kuntz, geboren 1926, von 1966 bis 1979 Mitarbeiter im Ministerium für Außenhandel und 1979 bis 1989 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Marxismus/ Leninismus beim ZK der SED. Er ist Mitglied der Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora. Seinen Vater Albert Kuntz hat er als kleiner Junge von sechs Jahren zuletzt gesehen; dann erreichten ihn nur noch Briefgrüße aus den diversen Folterkellern, in die Albert Kuntz von den Nazis verschleppt worden war. Am Schluss seiner Rede am 21.August 2011 auf der Kundgebung in Ziegenhals anlässlich des 67. Jahrestages der Ermordung Ernst Thälmann im Konzentrationslager Buchenwald meinte Leo Kuntz: „Kommunisten kann man zwar ermorden, die Idee des Kommunismus aber nicht besiegen. Kämpfen wir also weiter. Gedenken an Thälmann, heißt kämpfen wie Thälmann! Mein Vater schrieb 1944 nach 11 Jahren in faschistischen Kerkern aus dem KZ Dora: ‚Ich weiß, dass wir die Sieger sein werden.’“ Und so trat Albert Kuntz auch im Bülowplatzprozess auf. Alle Anstrengungen mussten unter- nommen werden, dass die KPD nicht als terroristische Vereinigung diffamiert werden und damit für den anstehenden Prozess gegen Thälmann eine Vorverurteilung erreicht werden konnte, wie es die Absicht der Faschisten war. Von der Autorin wird dieser zentrale Punkt vortrefflich dargestellt. Und es ist der unsägliche Prozess gegen 1992/93, verurteilt zu sechs Jahren Gefängnis, der vor diesem Hin- tergrund in seiner ganzen Tragweite verstanden wird. Die Klassen- und Siegerjustiz der BRD hatte das erreicht, was weder 1931 dem bürgerlichen Gericht, noch 1933/34 den Faschisten gelang, Kommunisten als Mord- und Terrorbande zu überführen. Im Schlusswort hatte Erich Mielke ausgeführt1: „Der Staat, der sich selbst als Rechtsstaat bezeichnet, führt gegen mich ein Verfahren, in dem aus Akten vorgelesen wird, die von einer Justiz angelegt und aussortiert worden sind, deren Unrechtsprechung Zehntausende zum Opfer gefallen sind. Und heute, über 60 Jahre nach den Vorfällen am Bülowplatz, bin ich faktisch gezwungen, gegen das Lügengebäude der Nazi-Justiz den Nachweis meiner Unschuld zu führen. Ist das gerecht? Ich habe das, was man mir vorwirft, nicht getan. Sprechen Sie mich frei. Lassen Sie mich frei. Lassen Sie mich in Frieden.“ Die westdeutsche Justiz hatte sich nicht nur zur Delegitimierung der DDR in der Person Erich Mielkes entschlossen, sondern in „bewährter Tradition“ zur Legitimierung der Nazijustiz. In 1 Spiegel-online: Kalenderblatt, der Fortsetzung dieser Tradition bekommen wir heute einen der schärfsten Menschenjäger als 10.02.1992 Staatsoberhaupt serviert.

Leopoldine Kuntz Albert Kuntz im Bülowplatzprozess (4. bis 19. Juni 1934)

15. September 1933. Nach neunstündiger Beru- tagsbrandprozess (21. September – 23. Dezember fungsverhandlung1 vor dem Hessischen Landesgericht 1933) vor dem Reichsgericht in Leipzig anschickte, in Darmstadt wurde das Urteil verkündet, die Pro- der Hitlerregierung zur rigorosen Verfolgung und zessakten geschlossen. Die Richter folgten nicht dem Vernichtung der KPD und ihrer Funktionäre die ju- Antrag des Staatsanwalts, der für die Angeklagten ristische Rechtfertigung zu liefern, ist für das Jahr zweieinhalb bzw. zwei Jahre Zuchthaus gefordert 1933 unüblich und deshalb bemerkenswert. hatte. Der Kommunist Albert Kuntz war in Hessen Im Land Hessen regierte bis zum 13. März 1933 des Jahres 1933 kein Unbekannter. Natürlich wusste eine sozialdemokratische Regierung mit dem Sozial- auch die hessische Justiz, dass er von Februar 1926 demokraten Wilhelm Leuschner als Innenminister. bis Sommer 1929 und von Juni 1932 bis zu seiner Er hatte sich bereits 1931 mit der Veröffentlichung Verhaftung am 12. März 1933 in Langen bei der sog. Boxheimer Dokumente als Nazigegner aus- Frankfurt/M. Organisationssekretär bzw. seit 1927 gewiesen. Im Justizapparat hatte es Anfang 1933 kei- Politischer Sekretär der Bezirksleitung der KPD ne gravierenden personellen Veränderungen gegeben. Hessen-Frankfurt war. Der Mitangeklagte Walter Das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeam- Fisch war in der Bezirksleitung Hessen verantwortlich tentums“ vom 7. April 1933 war lediglich für jene für Jugendarbeit. Albert Kuntz war angeklagt worden, Minderheit von Richtern von entscheidender Wirkung, ein Flugblatt verbreitet zu haben, in dem die Führung die wegen ihrer “nichtarischen Abstammung“ oder der KPD zum Generalstreik aufgerufen habe. Beide „die nach ihrer bisherigen politischen Betätigung nicht wurden aus „Mangel an Beweisen“ freigesprochen, die Gewähr dafür bieten, dass sie jederzeit rückhaltlos der Haftbefehl aufgehoben.2 Dieser Freispruch eines für den nationalen Staat eintreten“.3 In diesem Sinne führenden Funktionärs der KPD zu einer Zeit, da wurden Richter jüdischer Herkunft, Mitglieder der sich die faschistische Justiz gerade mit dem Reichs- SPD und bürgerliche Demokraten aus dem Richteramt K 338 KAZ-Fraktion „Ausrichtung Kommunismus“ 33 gejagt. Insgesamt war jedoch der Justizapparat bereits schen Potenzen dieses in der Zeit der Weimarer Republik eine Institution, Parteibezirks vor allem die sich lange vor dem 30. Januar 1933 durch eine während des Berliner skandalöse Rechtsprechung gegenüber der revoluti- Metallarbeiterstreiks im onären Arbeiterbewegung, allen Antifaschisten und Oktober 1930 sowie in konsequenten bürgerlichen Demokraten ausgezeich- den Wahlkämpfen in net hatte, während die terroristischen Aktionen der Vorbereitung auf Reichs- Nazis mit größter Nachsicht behandelt worden waren. tags- bzw. Reichspräsi- Damit hatte die Justiz in bedeutendem Maße der Fa- dentenwahlen 1930 und schisierung der bürgerlichen Republik Vorschub ge- 1932 zu mobilisieren. Er leistet. Hatten ihr vor dem 30. Januar 1933 die Reste war selbst ein hervorra- bürgerlicher Rechtsstaatlichkeit noch Zügel angelegt gender Redner, der und die Richter veranlasst, bei der Auslegung der durch persönliche Aus- Paragraphen des Strafgesetzbuches noch bestimmte strahlung und Überzeu- Rechtsnormen zu wahren, so war mit der „Verordnung gungskraft bei den Ber- des Reichspräsidenten zum Schutze von Volk und liner Arbeitern großen Staat“ vom 28. Februar 19334 der Justizwilkür und Anklang fand. Rechtsbeugung Tür und Tor geöffnet worden. Schon Die Berliner Nazis im ersten Jahr der faschistischen Diktatur wurden in unter Führung ihres Gau- zahlreichen faschistischen Racheprozessen, so in leiters Goebbels verga- Hamburg, Lübeck, Chemnitz, Königsberg, Dessau, ßen Albert Kuntz jene Köln, , Düsseldorf, Hagen, Frankfurt (M), Darm- kraftvolle Gegenwehr stadt und Breslau 42 Antifaschisten zum Tode verur- während ihres Überfalls teilt.5 Die ersten Opfer dieser Mordjustiz, die Kom- auf Wilhelm Pieck am 25. munisten August Lütgens, Walter Möller, Bruno Tesch Mai 1932 im Preußischen und Karl Wolf, wurden am 1. August 1933 in Altona Landtag nicht. Hier hatte hingerichtet. sich ein in der Parla- Der Freispruch von Albert Kuntz und Walter mentsgeschichte des Fisch ist offensichtlich dem Umstand zuzurechnen, Deutschen Reiches bei- dass es den Faschisten bis Mitte 1933 noch nicht spielloser Vorgang ereig- gelungen war, durchgängig die Normen faschisti- net, der einmal mehr das antidemokratische, terroris- Leopoldine und Leo Kuntz scher „Recht“sprechung durchzusetzen. Die Rich- tische Wesen des Faschismus deutlich machte. Die bei der Kundgebung zu Eh- ter stellten in ihrer Urteilsbegründung fest: „Da die Abgeordneten der Nazis, sekundiert von ihren An- ren Ernst Thälmanns am 21. Kommunistische Partei damals (gemeint ist der 12. hängern auf der Galerie, überfielen Wilhelm Pieck August 2011 in Ziegenhals März 1933 – L.K.) noch nicht verboten war und aus während seiner Rede, in der er die NSDAP als eine dem Besitz von Flugblättern mit hochverräterischem Partei des Volksbetrugs brandmarkte.8 Die männlichen Inhalt allein noch nicht ohne weiteres eine hoch- Abgeordneten der KPD – zumeist ausgestattet mit verräterische Betätigung zu entnehmen ist, kann in kräftigen Arbeiterfäusten – stellten sich der dreifachen dieser Feststellung noch nicht der Tatbestand eines Übermacht, um ihren Fraktionsvorsitzenden zu ver- Verbrechens nach § 86 STGB erblickt werden. Die teidigen und in Sicherheit zu bringen. Dabei wurde Angeklagten waren deshalb mangels Beweises frei- Albert Kuntz durch einen Messerstich am Kopf schwer zusprechen.“6 Aber Freispruch hieß in Nazideutsch- verwundet. Verletzt wurden auch Johannes Fladung, land noch lange nicht Freilassung. Arthur Golke und Walter Krämer.9 Letzterer wurde Albert Kuntz wähnte sich schon „mit einem Bein später in der KZ-Haft, vor allem als Kapo des Kran- in Freiheit“, als der Vertreter der Staatsanwaltschaft kenbaus im KZ Buchenwald, für Albert Kuntz ein seine erneute Inhaftierung verfügte, da gegen ihn erprobter, kluger und tapferer Kampfgefährte in der 1 Albert Kuntz war am 12. März noch „eine Sache wegen Mordes“ in Berlin schwe- illegalen Parteiorganisation der inhaftierten Kommu- 1933 in Dreieichenhain (Hes- sen) verhaftet worden. Im Pro- be. Diese ungeheuerliche Anschuldigung kommen- nisten. Auch jenes Bravourstück vergaßen sie Kuntz zess vor dem Amtsgericht Lan- tierte er in einem Brief an seine Frau Ellen: „Du nicht, als er, Alexander Abusch und Neuköllner Ar- gen wurde er am 16. März 1933 selbst weißt wie alle anderen Menschen, die meine beiter in Kliems Festsäle in eine Naziversammlung freigesprochen. Gegen dieses Urteil legte die Staatsanwalt- politische und gesellschaftliche Tätigkeit kennen, mit dem Gesang der „Internationale“ einzogen und schaft Berufung ein. dass ich mit solchen Dingen nichts zu tun habe… diese nach einem Wortgefecht mit dem Nazi Strasser 2 Vgl. IML, ZPA, NJ 243, Bd. 2. Man muss wirklich Nerven von Stahl haben, um so mit Hochrufen auf die Kommunistische Partei ende- 3 Reichsgesetzblatt (Berlin) 1933, viel Bitterkeit und Ungerechtigkeit – ohne in Rase- te.10 Auf diese politische Tätigkeit Bezug nehmend, Teil I, Nr. 34, S. 175. rei zu geraten – zu ertragen. Da ich mich von jeder schrieb die in Basel von der Kommunistischen Inter- 4 Ebenda, Nr. 17, S. 83. Schuld frei weiß und deshalb ruhig jeden Verdacht nationale (KI) in deutscher Sprache herausgegebene 5 Vgl. AIZ. Arbeiter-Illustrierte von mir weisen kann, habe ich sofort Haftbeschwer- „Rundschau für Wirtschaft, Politik und Arbeiterbe- Zeitung, 48/1933, S. 803. de eingelegt und Haftprüfungstermin beantragt… wegung“ im Juni 1934: „Er war eben ein von den 6 IML, ZPA, NJ 243, Bd. 2. Ich tappe völlig im Dunkeln und hoffe wie Du, Nazis besonders gefürchteter Mann, der durch seine 7 Brief von Albert Kuntz an E. schnellste Klarstellung zu bekommen.“7 unermüdliche Agitationsarbeit ihnen viele Anhänger Kuntz vom 16. September 1933. Im Besitz der Familie. Am 28. September 1933 kam Albert Kuntz in das abspenstig gemacht hatte…Wie ein echter Bolschewik 11 8 Vgl. W. Pieck: Gesammelte Re- Untersuchungsgefängnis Berlin Alt-Moabit 12a. Er paart sich bei ihm Kühnheit und Klugheit“. den und Schriften, Bd. IV, Berlin war in die Stadt zurückgekehrt, in der er von Juni Der Mordanklage gegen Albert Kuntz lagen die 1981, S.432/433. 1930 bis Ende Mai 1932 als Organisationssekretär Ereignisse des 9. August 1931 auf dem Bülowplatz 9 Vgl. Berlin am Morgen, 26. Mai der Bezirksleitung der KPD Berlin-Brandenburg- (heute Rosa-Luxemburg-Platz) in Berlin zugrunde. 1932. Lausitz- Grenzmark am Kampf seiner Partei gegen Am Tag des Volksentscheids für die Auflösung des 10 Vgl. A. Abusch: Der Deckna- den zur Macht drängenden Faschismus teilgenom- Preußischen Landtags hatten sich viele Arbeiter vor me. Memoiren, Berlin 1981, S. 254/255. men hatte. Albert Kuntz war ein erfahrener Partei- dem Karl-Liebknecht-Haus, dem Sitz der Parteifüh- 11 Rundschau für Wirtschaft, Poli- funktionär und talentierter Organisator, der es ver- rung der KPD und der Bezirksleitung Berlin-Bran- tik und Arbeiterbewegung (Ba- standen hatte, die bedeutenden klassenkämpferi- denburg-Lausitz-Grenzmark, am Bülowplatz einge- sel), 36/1934, S.1389. 34 KAZ-Fraktion „Ausrichtung Kommunismus“ K 338

funden, um – wie so oft bei solchen politischen Gegner geplant und befohlen hatte und Ereignissen – die Bekanntgabe der Mordbefehle erteilt worden seien. Die KPD, zu der Ergebnisse zu erwarten. Bei einem von sich noch am 5. März 1933 unter den Bedingungen der Polizei provozierten Zusammen- des wildesten Wahlterrors der Nazis fast fünf Millionen stoß in der Kaiser-Wilhelm-Straße/ Wähler bekannt hatten, sollte nunmehr als eine dunk- Ecke Hirtenstraße vor dem Kino Ba- le Verschwörerpartei, als eine abenteuerliche Terroris- bylon wurden zwei Polizeioffiziere tenorganisation gebrandmarkt und – juristisch sank- getötet. Der nunmehr einsetzenden tioniert – zur gnadenlosen Verfolgung freigegeben wüsten Kommunistenhetze erlagen werden. Die Baseler „Rundschau“ warnte bereits am „selbst diejenigen liberale(n) Blätter, 31. Mai 1934 vor der Absicht der Nazis, Ernst Thäl- die sich sonst ein gewisses Maß an Ob- mann in den Bülowplatzprozess zu verwickeln, um jektivität“12 bewahrt hatten. Justiz und ihm eine Mordklage anzuhängen.16 Deshalb, so stellte Polizei wandten viel Mühe auf, um der die „Rundschau“ weiter fest, komme diesem Prozess KPD den Tod der Offiziere anzulasten, eine größere, prinzipiellere Bedeutung als allen bishe- um die Führung der Partei unter Ernst rigen Prozessen zu. Die bisherigen Prozesse gegen Thälmann der Anstiftung zu terroristi- Kommunisten wurden – nach der Begründung der schen Anschlägen gegen den Staat zu faschistischen Staatsanwälte – gegen „Täter“ oder di- beschuldigen. Nach umfangreichen rekte Teilnehmer an „Überfällen“ eingeleitet und Blu- Untersuchungen musste die Justiz auf turteile gefällt. „Im Prozess gegen Albert Kuntz und eine Anklageerhebung verzichten. Genossen…richtet sich die Anklage…gegen den po- Fast zwei Jahre später, am 27.Juli litisch verantwortlichen Funktionär, gegen das Mitglied 1933, wurde die Bülowplatzangele- der Berliner Bezirksleitung, das für die Zusammenstö- Albert Kuntz genheit vom Generalstaatsanwalt beim Landgericht ße und deren Folgen direkt zur Rechenschaft gezogen Berlin wieder aufgenommen.13 Die Faschisten nah- wird. Gelingt es, den Genossen Kuntz dem Henker zu men dieses Ereignis zum Vorwand, um gegen 25 überliefern, dann wird nicht einfach ein Unschuldiger Kommunisten – deren sie nur 15 habhaft werden mehr grausam ermordet, sondern es wird damit zu- konnten – Anklage zu erheben. Angeklagt wurden gleich gegen Tausende und aber Tausende der KPD der 36jährige Albert Kuntz als führender Funkti- das Todesurteil gesprochen, vor allem aber gegen den onär der Bezirksleitung der KPD Berlin-Branden- Führer der Partei, der eben als Führer politisch und burg-Lausitz-Grenzmark und zumeist junge Kom- strafrechtlich für alle Opfer verantwortlich gemacht munisten, die als Wache im Karl-Liebknecht-Haus werden wird, die in der Abwehr des polizeilichen und bzw. als Mitglieder des antifaschistischen Selbst- faschistischen Terrors gefallen sind…Das Todesurteil schutzes in Erscheinung getreten waren. gegen ihn wäre auf diese Weise schon gesprochen, Während vor dem Reichgericht in Leipzig und noch bevor er dem Gericht vorgeführt würde.“17 Berlin der Reichstagsbrandprozess (vom 21. Sep- Am 2. Juni 1934 alarmierte die in Prag und Pa- tember bis 31. Dezember 1933) durchgeführt wur- ris herausgegebene deutsche antifaschistische Zei- de, saß Albert Kuntz in Untersuchungshaft. Da er tung „Der Gegen-Angriff“ unter der Überschrift als Untersuchungsgefangener auf eigene Kosten „In höchster Gefahr“ die internationale Öffent- eine Zeitung abonnieren konnte, wenn auch frei- lichkeit: „Gegen Kuntz und 24 Kameraden sollen lich nur eine faschistische, nutzte er diese Mög- Todesurteile gefällt werden…Dieses Verbrechen lichkeit, um aus dem Lügengewebe faschistischer muss verhindert werden.“18 Berichterstattung über den Prozessverlauf die für Der Bülowplatzprozess begann am 4. Juni 1934 ihn wichtigen Informationen herauszulesen. Für vor dem Schwurgericht in Berlin-Moabit und dau- ihn war das praktische Anschauung in Vorberei- erte zehn Verhandlungstage. Er wurde als „öffent- tung auf den eigenen Prozess. licher“ Prozess vor der Kulisse von etwa 40 sorg- Nachdem der Reichstagsbrandprozess mit dem fältig ausgewählten und mit Einlasskarten verse- Freispruch Georgi Dimitroffs und der mitangeklag- henen Zuhörern geführt. Karten hatten sich u.a. ten Kommunisten geendet hatte und zu einer ek- reservieren lassen der faschistische Polizeipräsident latanten politischen Niederlage der Faschisten von Berlin von Lewetzow und der Chef der Berli- geführt hatte, wurde nunmehr die Vorbereitung ner Kriminalpolizei Schneider.19 Die faschistische auf den Bülowplatzprozess forciert. Am 16. März Presse berichtete nur spärlich über die Vorbereitung 1934 eröffnete der Generalstaatsanwalt beim Land- und über den Verlauf des Prozesses, die ausländi- gericht Berlin gegen 15 Angeklagte das Hauptver- sche war nicht zugelassen. Trotz dieser Maßnah- fahren.14 Albert Kuntz teilte am 13. April 1934 in men erschienen im Ausland bereits während des einem Brief mit, dass er die Anklageschrift erhalten Prozesses Berichte über seinen Verlauf. habe und seinen Offizialverteidiger erwarte. In Im Mai/Juni 1934 weilten die französischen dieser 269 Seiten umfassenden Schrift heißt es: Journalisten und Schriftsteller Stefan Priacel und „Kuntz hat in der Voruntersuchung jede Beteili- Charles Vildrac im Auftrag des Welthilfskomitees gung seinerseits, Kippenbergers wie überhaupt der für die Opfer des Hitlerfaschismus in Berlin, um KPD an der Ermordung der Polizeihauptleute An- Aufschluss über das Schicksal Ernst Thälmanns lauf und Lenk abgestritten“.15 zu erhalten. Das Goebbelssche Propagandaminis- Die politische Absicht der vorbereiteten Justizfarce terium hatte ihnen einen Besuch bei Ernst Thäl- war offenkundig. War es den Faschisten im Reichs- mann abgeschlagen. Um den negativen Eindruck tagsbrandprozess nicht gelungen, die KPD als eine dieser Entscheidung zu verwischen, entsprach es Bande politischer Brandstifter zu diskreditieren, so jedoch ihrem Wunsch, das „neue deutsche Recht“ sollte mit der Verurteilung von Albert Kuntz und der an Hand der Eröffnung des Bülowplatzprozesses anderen Kommunisten im Bülowplatzprozess nun- zu studieren. mehr die deutsche und internationale Öffentlichkeit Stefan Priacel wurde zur Eröffnung des Prozes- davon überzeugt werden, dass die KPD unter Führung ses von einem Beamten des Propagandaministeri- Ernst Thälmanns terroristische Aktionen gegen die ums begleitet. An den folgenden Tagen gelang K 338 KAZ-Fraktion „Ausrichtung Kommunismus“ 35 diesem findigen Journalisten der Zutritt zum Ge- richtssaal ohne Akkreditierung und Einlasskarte. Seine Berichte über den Prozess erschienen um- gehend in der fortschrittlichen französischen Pres- se, in der Baseler „Rundschau“, im „Gegen-Angriff“ und im deutschsprachigen „Pariser Tageblatt“, das von dem deutschen antifaschistischen bürgerlichen Publizisten Georg Bernhard geleitet wurde. In Anbetracht der Bedeutung des Prozesses tag- te auf Anregung des Welthilfskomitees für die Opfer des Hitlerfaschismus seit dem 6. Juni 1934 in Paris der „Untersuchungsausschuss zur Aufklärung und Verhinderung der Gräuel in Hitlerdeutschland“ in Permanenz. In einem Telegramm an den Vorsitzen- den des Moabiter Schwurgerichts stellte der Unter- suchungsausschuss fest, dass es in der bisherigen Rechtssprechung ein noch nie dagewesener Fall sei, „dass Menschen, die in keiner Beziehung zur Tat stehen, unmittelbar des Mordes angeklagt werden, so, als ob sie die Tat selbst begangen hätten… Wir müssen daher den Prozess gegen Albert Kuntz und die 14 Arbeiter als Manöver auffassen, das die theo- retische und praktische Grundlage für die Aburtei- lung Ernst Thälmanns schaffen soll.“20 Im Ergebnis Angeklagt wurden Albert Kuntz, Friedrich Bro- Albert Kuntz zusammen mit seiner Arbeit kam der Ausschuss zu dem Schluss, ede, Max Matern, Michael Klause, Max Thunert, und Erich dass die faschistische Justiz dabei sei, „eine unge- Johannes Broll, Max Holz, Erich Wichert, Willi Weinert am 24. August 1930 heuerliche Rechtsprechung zu konstruieren, die Balzer, Bernhard Zachow, Wilhelm Schünke, Bert- im Stadion Neukölln vor entgegen allen Menschenrechten die ‚intellektuelle hold Werner, Rudolf Konrad, Walter Sasse, Hilde- 80.000 Teilnehmern Urheberschaft’ einführt, um sie in der Folge auf die gard Matern.25 Die Angeklagten erhielten neun Führer der revolutionären Bewegung, vor allem auf Pflichtverteidiger, die sich zumeist durch Schwei- ihren Führer Ernst Thälmann anzuwenden.“21 Der gen auszeichneten. Lediglich der Verteidiger von Untersuchungsausschuss protestierte gegen diesen Albert Kuntz, Dr. Horst Wienholtz, nahm sein Amt organisierten Justizmord und verlangte „wegen der mit einem gewissen Berufsinteresse wahr. sachlichen Unhaltbarkeit der Anklagekonstruktion Vorsitzender Richter war Böhmert, „kalt, schnei- sofortige Einstellung des Verfahrens und die Frei- dend, gründlich und furchtbar in der Art, wie er lassung der Angeklagten.“22 zuhörte, im geeigneten Augenblick unterbricht, bei In einem Aufruf protestierte auch das Exekutivko- den Zeugen der Verteidigung die kleinsten Wider- mitee der Internationalen Roten Hilfe. Darin heißt es: sprüche aufspürt, zugunsten der Anklage die wider- „Gegen diesen mutigen Kämpfer der antifaschistischen spruchsvollen Angaben, die offensichtlichsten Lü- Front und seine Mitangeklagten bereiten die faschis- gen entgegennimmt und sie als bewiesen betrachtet, tischen Richter Todesurteile vor. Diese Urteile sollen während sogar die Anklageschrift den Sachverhalt die Vorbereitung für ein Terrorurteil gegen den Führer als nicht klar bewiesen hinstellt.“26 Viele der jungen der Antifaschisten Deutschlands, gegen Ernst Thäl- Angeklagten standen erstmals in ihrem Leben vor mann sein. Es gilt jetzt mit aller Kraft der internatio- Gericht. Sie erwiesen sich in ihrer Mehrheit vor den nalen Solidarität diese Mordpläne der Faschisten zu faschistischen Richtern als tapfere Kommunisten. verhindern.“ Es rief die 14 Millionen Mitglieder, die Nur einer der Angeklagten, Michael Klause, ließ 12 Vgl. C. v. Ossietzky: „Bülow- der IHA angehörten auf, „die Werktätigen und Un- sich als Kronzeuge der Anklage missbrauchen. Platz“. In: Die Weltbühne, terdrückten der ganzen Welt zu mobilisieren, um die „Aber da ist vor allem ein aufrechter, mutiger und 33/193, S. 244. Protestaktionen für die Befreiung von Albert Kuntz, in jeder Beziehung hervorragender Mann: Albert 13 Vgl. IML, ZPA, NJ 16401, Bd. I. Ernst Thälmann und aller eingekerkerten Antifaschis- Kuntz. Wenn er zu seinen ‚Richtern’ spricht, spürt 14 Vgl. ebenda. ten so zu steigern, dass die blutigen Henker eine Nie- man die Achtung gebietende Überzeugung von der 15 Vgl. ebenda. derlage erleiden wie im Leipziger Prozess.“23 Richtigkeit seiner revolutionären Idee, die nichts 16 Vgl. Rundschau …, 34/1934, S. Die in der Illegalität kämpfenden Berliner Kom- erschüttern kann. Ihn gehört zu haben ist eine Gunst 1278. munisten forderten ebenfalls Freiheit für Albert des Schicksals.“27 17 Ebenda, 36/1934, S.1389. Kuntz und Genossen. So erschien u.a. die illegale Der im politischen Kampf seiner Partei gereifte 18 Der Gegen-Angriff (Prag-Basel- Paris), 22/1934. Zeitung „Der Rote Norden. Organ der KPD Wed- Funktionär stand zum vierten Male vor dem bour- 19 Vgl. Völkischer Beobachter, ding-Ost“ mit der Feststellung, dass die Nazis nach geoisen Klassengericht, das nun bereits zum zwei- Norddeutsche Ausgabe, 15. Juni dem Fiasko im Reichstagsbrandprozess nunmehr ten Male ein faschistisches war. Er verteidigte sich 1934. zu einem neuen Schlag gegen die Kommunistische und seine mitangeklagten Genossen, indem er die 20 Rundschau …, 36/1934, S. 1431. Partei ausholen wollen.24 Unter der Überschrift Politik seiner Partei verteidigte und die unbeding- 21 Ebenda,37/1934, S. 1482. „Der Kuntz-Prozess wird unangenehm“ wurde im te Legalität ihrer Aktionen nachwies. Die Behaup- 22 Ebenda, 36/1934, S.1431. „Pariser Tageblatt“ vom 16. Juni1934 festgestellt, tung der Anklage, die Führung der KPD habe einen 23 Ebenda,37/1934, S.1481. „dass die deutschen Zeitungen nur noch mit we- Plan zur Ermordung der Polizeioffiziere ausgear- 24 Vgl. Der Gegen-Angriff, 27/1934. nigen Zeilen und an versteckter Stelle über den beitet, und Kommunisten hätten ihn nach seinen 25 Vgl. IML, ZPA, I 2/3/93. Prozess berichten. Das Gericht selbst versucht, das Anweisungen durchgeführt, wies er energisch zu- 26 S. Priacel: Im Namen des Ge- Interesse für den Prozess einzuschläfern, in dem rück, da das Zentralkomitee entschieden jeden setzes! Ernst Thälmann, Albert es ohne ersichtlichen Grund längere Verhandlungs- individuellen Terror abgelehnt habe. Das Ziel der Kuntz, Mathias Rakosi, Toivo Antikainen, Anna Paukert, Paris pausen bis zu vier Tagen einschiebt. Damit soll vor Anklage, so stellte er fest, sei eindeutig: „Es handelt (1936), S. 28. allen Dingen die Aufmerksamkeit der Berliner sich darum, die Politik der Kommunistischen Par- 27 S. Priacel: Im Namen des Geset- Arbeiter von diesem Prozess abgelenkt werden.“ tei zu kompromittieren und durch diesen angebli- zes! S. 25/26. 36 KAZ-Fraktion „Ausrichtung Kommunismus“ K 338

chen Präzedenzfall zu beweisen, dass die Kommu- zeigen. Diese Aussage war wichtig, um den Kronzeu- nistische Partei eine Partei des Terrors ist.“28 gen der Anklage, Michael Klause, als Lügner zu ent- Um dieses Ziel zu erreichen, hatte die Anklage larven, der vor Gericht behauptet hatte, dass ihm am neben dem Kronzeugen Klause, der falscher Zeuge Nachmittag des 8. August von Hans Kippenberger in und falscher Angeklagter in einer Person war, etwa Anwesenheit von Albert Kuntz Anweisungen für den 40 Zeugen aufgeboten. Polizisten, Taxifahrer, kleine Mord an den Polizeioffizieren gegeben worden seien. Geschäftsleute am Bülowplatz wollten sich nun, um Die Kippenberger betreffende Aussage wies Albert sich der neuen Macht dienstbar zu machen, daran Kuntz ebenfalls zurück, da seines Wissens Kippen- erinnern, welchen der Angeklagten sie in der Hek- berger an diesem Tag nicht im Karl-Liebknecht-Haus tik der Ereignisse am Abend des 9. August auf dem war. Nachdem es führenden Funktionären der KPD Bülowplatz gesehen hätten. So galt für die Richter in Frankreich im Dezember 1934 gelungen war, in die Anwesenheit des Angeklagten Friedrich Broede den Besitz der Urteilsbegründung vom Bülowplatz- am 9. August auf dem Bülowplatz als erwiesen, prozess zu kommen, äußerte sich Hans Kippenberger nachdem ein Polizist beschworen hatte, ihn von in einem Brief vom 24. Dezember 1934 an den Vor- hinten an seiner Glatze erkannt zu haben. Nach- sitzenden des Zentralvorstandes der Roten Hilfe weislich war Broede zu dieser Zeit noch zu Hause, Deutschlands, Wilhelm Pieck, zu der ihn betreffenden um sich auf seinen Nachtdienst als Wachmann im Beschuldigung. Er stellte darin fest, dass er vom 6. Karl-Liebknecht-Haus vorzubereiten. Kommunis- bis 8. August 1931 auf einer Versammlungsreise sei- tische Zeugen wie Hermann Dünow, Hans Huth ner Partei in Vorbereitung des Volksentscheids war und Paul Broede, die aus Untersuchungshaft, KZ und am Abend des 8. August 1931 in einer Versamm- und Gefängnis herbeigeschafft worden waren, um lung in Dresden gesprochen habe. Zeugen dafür, dass sie zu Aussagen im Sinne der Anklage zu nötigen, er Klause in Berlin keine Anweisungen gegeben haben wiesen die Beschuldigung, die KPD habe Terror- kann, seien also genug vorhanden.31 gruppen organisiert und unterhalten, entschieden Im Falle des beantragten Zeugen Eugen Schön- zurück. Übereinstimmend betonten sie, dass die haar gab das Gericht bekannt, dass er nicht in den Führung der KPD jeden individuellen Terror verbo- Zeugenstand geladen werden kann, da er „auf der ten hatte und politische Abendteurer aus der Partei Flucht“ erschossen worden sei. Die Aussage Klau- ausgeschlossen worden waren. ses konnte jetzt nur noch jener Journalist erschüt- In Bernhard Lück, dem ehemaligen Politischen tern, an dessen Namen sich Albert Kuntz nicht zu Leiter des Berliner Unterbezirks Zentrum der KPD, erinnern vermochte. Stefan Priacel glaubte zu wis- der offensichtlich noch vor 1933 wegen politischer sen, dass es der dänische Journalist Broby Johann- Differenzen aus der Partei ausgeschlossen worden son gewesen sein könnte. Dem Zusammenwirken war, hoffte der Staatsanwalt einen Renegaten gefun- von Stefan Priacel und dem Verteidiger Dr. Wien- den zu haben, der zu jeder belastenden Aussage holtz verdankte Albert Kuntz das Auffinden dieses bereit sein würde. Nachdem Lück über seine An- für ihn entscheidenden Entlastungszeugen, der wesenheit am 9. August 1931 in den Musikersälen durch seine eidesstattliche Erklärung Klause des am Bülowplatz, wo er als Redner vorgesehen war, Meineids überführte.32 Als Ellen Kuntz nach dem ausgesagt hatte, gab er folgende Erklärung ab: „Ich Prozess auf Wunsch ihres Mannes Dr. Wienholtz muss hier erklären, dass ich als geschulter Kommu- einen Besuch abstattete, berichtete er, dass er ohne nist unmöglich annehmen kann, dass verantwortli- Wissen der Justiz und auf eigene Kosten die not- che Parteimitglieder, in welcher Lage sie sich auch wendigen Telefonate ins Ausland geführt habe.33 befinden mögen, sich an einem vorbedachten Mord Albert Kuntz beantragte auch die Vorladung des beteiligen können. Eine Beteiligung von Kuntz Vorsitzenden der KPD, Ernst Thälmann, als Zeuge kommt deshalb absolut nicht in Betracht.“ Nach dafür, dass die Partei unter seiner Führung grund- seiner Meinung über Albert Kuntz befragt, sagte er: sätzlich die Methoden des individuellen Terrors „Ich kann beschwören, dass Kuntz in all seinen abgelehnt habe.34 Ernst Thälmann, der bereit war, Artikeln und Reden sich mit äußerster Sorgfalt gegen im Bülowplatzprozess auszusagen, hätte so Gele- jegliche Unterstützung des individuellen Terrors genheit bekommen, den gegen ihn erhobenen An- ausgesprochen hat. Ich kann feierlich meine Auf- klagepunkt bereits im Vorfeld des gegen ihn vor- fassung von Kuntz’ Unschuld bestätigen.“29 bereiteten Hochverratsprozesses zu entkräften. Die Die Angeklagten mussten auf Entlastungszeugen faschistische Justiz wagte weder, diesem Antrag weitgehend verzichten. Jeder von ihnen benannte stattzugeben, noch ihn in der „Öffentlichkeit“ des Kommunist musste unweigerlich in das Räderwerk Gerichtssaales abzulehnen. Die Verteidigung wur- der faschistischen Justiz bzw. der faschistischen Ter- de genötigt, diesen Antrag zurückzuziehen. rororgane geraten. Zum anderen wussten sie, dass Auch die Sachverständigengutachten erbrachten vor diesem Gericht jeder Kommunist von vornherein für die Anklage nicht das gewünschte Ergebnis. Ge- unglaubwürdig ist. „Ich fordere Sie auf“, wandte sich stützt auf die kriminaltechnischen Untersuchungen Albert Kuntz an den Gerichtspräsidenten, „sich die aus dem Jahre 1931 kam der Sachverständige für das Lage vorzustellen, in der wir uns befinden. Ich kann, Waffengutachten zu dem Schluss, dass keiner der wie alle, eine unendliche Zahl von Entlastungszeugen Angeklagten geschossen haben kann. Obwohl ihn anführen, aber alle diese Zeugen sind Kommunisten. der Vorsitzende des Gerichts nachdrücklich auffor- Müssen Sie, als der, der Sie sind, diese Zeugen nicht derte, diese schwerwiegende Aussage zu überprüfen, alle für unglaubwürdig halten?“30 Albert Kuntz be- beharrte er energisch auf seiner wissenschaftlich nannte zwei Zeugen, die sich in den Händen der begründeten Expertise. Weiterhin im Dunkeln blieb Faschisten befanden. Eugen Schönhaar hatte in der jedoch, mit welchem Kaliber und aus welcher Ent- Bezirksleitung der KPD in Berlin mit Sorgfalt beider fernung auf die Offiziere geschossen worden war. Terminkalender geführt und sollte bezeugen, dass Georg Bernhard kam in seiner Zeitung „Pariser Ta- Albert Kuntz am Nachmittag des 8. August mit einem geblatt“ zu dem Schluss, dass in diesem Prozess etwas skandinavischen Journalisten in Berlin unterwegs versteckt werden soll. „Angesichts der Tatsache“, so gewesen war, um ihm die Berliner Arbeiterviertel zu heißt es darin, „muss man annehmen, dass die beiden K 338 KAZ-Fraktion „Ausrichtung Kommunismus“ 37

Polizeioffiziere den versehentlichen Schüssen ihrer eigenen Untergebenen zum Opfer gefallen sind.“35 Am 14. Juni 1934 hielten, nach den Ausführungen des Staatsanwalts, die Verteidiger in nur drei Stunden fünfzehn Plädoyers. Sie machten das in der Mehrzahl sachlich exakt, aber oft eher im Sinne einer Belastung denn Verteidigung ihrer Klienten. Nach ihnen erhob sich Albert Kuntz zu seinem zweieinhalbstündigen Schlusswort. Wir verdanken Stefan Priacel diese Schil- derung: „Ohne sich einer Aufzeichnung zu bedienen …, hält er eins der eindrucksvollsten Plädoyers, das mir je zu hören vergönnt war. Und seine klare und ruhige Interpretation ist eine mutige und schonungs- lose Anklage gegen diejenigen, die hier seine Gegner und seine Richter sind … Ich höre seine sichere ruhi- ge und manchmal vor Erregung zitternde Stimme, die zuerst gemäßigte, wie zurückhaltende, dann nach und nach tönende und starke Betonung, die er einzelnen Sätzen gibt. Man denkt an Dimitroff. Es sind Männer In seinem Schlusswort forderte Albert Kuntz für Das Karl-Liebknecht-Haus von gleichem Schrot und Korn. Der Generalstaatsan- sich und seine Mitangeklagten den Freispruch, auf den – Zentrale der KPD vor 1933, walt hatte gegen Kuntz getobt. Überlegungen juristi- sie alle auf Grund der Ergebnisse der Gerichtsverhand- Zentrum des Widerstands scher Natur … hätten ihn ‚leider“ gezwungen, für lung ein Anrecht hätten. Aber es blieb bis zuletzt ein gegen den aufkommenden Kuntz die‚ Einstellung des Verfahrens’ zu beantragen faschistischer Terror- und Gesinnungsprozess. Ohne Faschismus …Kuntz vermeidet jedes Werturteil. Er hat etwas Po- jegliche Beweisgrundlage wurden Bluturteile und lang- sitives zu sagen. Er spricht einfach und ruhig, metho- jährige Zuchthausstrafen verhängt. Max Matern und disch und überlegen. Man hat ihn, man hat seine Friedrich Broede, beide befanden sich, laut Urteilsbe- Partei angeklagt, einen Mord angestiftet zu haben. gründung, am 9. August nicht am Ort des Geschehens, Hierauf antwortet er. Für ihn handelt es sich in erster und Michael Klause wurden zum Tode verurteilt. Erich Reihe darum, die unbedingte Legalität der Aktionen Wichert und Bernhard Zachow erhielten 15 Jahre der Kommunistischen Partei Deutschlands zu bewei- Zuchthaus, Willi Balzer zehn Jahre, Berthold Werner sen.“36 Unmissverständlich bekannte er sich zur Po- sechs Jahre, Hans Broll, Max Holz, Rudolf Konrad litik seiner Partei: „Es war nicht immer leicht, den vier Jahre. Hildegard Matern erhielt neun Monate Leuten den tiefen und menschlichen Sinn der Politik Gefängnis, Wilhelm Schünke und Walter Sasse wurden der Kommunistischen Partei klarzumachen. Ich habe freigesprochen. Gegen Albert Kuntz und Max Thunert mich auf Hunderten und Tausenden von öffentlichen wurde das Verfahren eingestellt.39 Versammlungen persönlich mit dem Einsatz meiner Den Urteilsspruch gegen Albert Kuntz resümier- ganzen revolutionären Überzeugungskraft darum be- te die „Internationale Presse-Korrespondenz“: „Es müht. Zu diesem Zweck bin ich auch im Lande ge- ist zweifellos ein großer Erfolg der Rettungskampa- blieben. Sie können mir einen einzigen Vorwurf ma- gne, dass der Genosse Kuntz nicht zum Tode verur- chen: den, daß ich Kommunist bin, dass ich bewuss- teilt wurde. Gleichzeitig hat es auch den Anschein, ter Klassenkämpfer bin, dass ich für meine Partei als ob die Mordhetze in den faschistischen Zeitun- gearbeitet habe und arbeite, solange ich atme. Kom- gen etwas nachgelassen hätten … Ein Todesurteil munist zu sein und zu bleiben, daran wird mich nichts gegen den Genossen Kuntz wäre bei der vorhande- hindern, und sie können mich totschlagen, aber dar- nen weltweiten Empörung eine zu starke Belastung an können sie nichts ändern.“37 für die faschistische Mordjustiz gewesen.“40 Erich Wichert, einer der jungen Angeklagten in Sofort nach bekannt werden der Todesurteile 28 Ebenda, S. 29. diesem Prozess, berichtet in seinen Erinnerungen, protestierten das Welthilfskomitee für die Opfer 29 Der Gegen-Angriff, 25/1934. welchen nachhaltigen Eindruck die standhafte Hal- des Hitlerfaschismus sowie das französische Hilfs- 30 S. Priacel: Im Namen des Geset- tung und das überzeugende Auftreten von Albert komitee. Ihrem Protest schlossen sich bekannte zes! S. 31. Kuntz auf seine mitangeklagten Genossen hinterlas- französische Gelehrte und Schriftsteller, u. a. René 31 Vgl. IML, ZPA, I 2/3/75, Bd. 1. sen hatte: „Während jeder Minute des Prozesses war Crevel, Leon Frapie, Georges Friedmann, Prof. Dr. 32 Vgl. S. Priacel: Im Namen des Gesetzes! S. 42/43. spürbar, dass Albert Kuntz nicht in erster Linie seine Henri Hauser, Prof. Levy Brühl, Rene Lalou, Prof. 33 Aus den handschriftlich vorlie- Person, sondern dass er seine Partei verteidigte… Prenant, Georges Pioch von der Internationalen genden Aufzeichnungen von El- Albert war ein äußerst guter Redner. Er verstand es, Friedensgesellschaft an.41 len Kuntz. Im Besitz der Familie. - wie nur wenige – sowohl die Theorie des Klassen- Noch am Tage der Urteilverkündung am 19. 34 Vgl. Rundschau…36/1934, kampfes verständlich zu erklären, als auch die prak- Juni 1934 trat in Paris die Juristenkommission für S1432. – G. Meyer: Nacht über tischen Bezüge herzustellen und seine Zuhörer zu den Thälmann-Prozess zusammen. Ihr gehörten Hamburg. Berichte und Doku- mente 1933 – 1945,Frankfurt/M. mobilisieren. Sobald er in der Verhandlung das Wort die Rechtanwälte Champinchi (Präsident), Bourt- 1971, S. 242. ergriff, wurde er uneingeschränkt zum Mittelpunkt houmieux, Delatre, Delphnie, Hajje, Izouard, Ph. 35 Pariser Tageblatt, 21. Juni 1934. des Gerichtssaales. Seine starke Ausstrahlung und Lamour,, Leowel, Milhaud, Noguere, G. Robin, J. 36 S. Priacel: Im Namen des Geset- seine unbeugsame Haltung erzwangen den Respekt Rousse, Willard und Zavaes an. Nach Auswertung zes! S.28/29. – selbst der Nazirichter. … Albert machte durch sein aller vorliegenden Dokumente über den Justizter- 37 Ebenda, S.31/32. Auftreten nicht nur den eigenen Pflichtverteidiger… ror in Deutschland unter Berücksichtigung des 38 Erinnerungsbericht von Erich überflüssig, er wurde auch zum Anwalt der Genossen, eben beendeten Bülowplatzprozesses fasste sie Wichert, im Besitz der FDJ-Or- für die er ebenfalls den Freispruch forderte. Die So- ihre gewonnenen Erkenntnisse zusammen. ganisation „Albert Kuntz“ der Bezirksverwaltung Berlin für lidarität und Fürsorge Alberts wurde nicht nur im Es ist eindeutig, dass Ernst Thälmann weder Staatssicherheit. Gerichtssaal deutlich. Er versuchte in den Pausen durch einen deutschen noch durch einen auslän- 39 Vgl. IML, ZPA, NJ 16401, Bd. 2. mit den Genossen zu sprechen und – aus der Haft dischen Verteidiger seiner Wahl unterstützt werden 40 Inprekorr, 24/1934, S. 277. heraus – ihnen und ihren Familienangehörigen in kann, ihm sind damit die Mittel einer juristischen 41 Vgl. Rundschau …, 38/1934, dieser schwierigen Situation zu helfen.“38 Verteidigung genommen. S. 1505. 38 KAZ-Fraktion „Ausrichtung Kommunismus“ K 338

soldeter Provokateur er war – die Begnadigung befür- wortet.45 Klause blieb in den Händen der Hitlerjustiz ein gefährliches Instrument. Wie Priacel mitteilt, soll Klause in einem Prozess gegen 25 Neuköllner Arbei- ter wieder die Rolle des skrupellosen Denunzianten Unschuldiger gespielt haben.46 Klause, der seine „le- benslange Strafe“ im Zuchthaus Brandenburg ver- bringen sollte, überlebte die faschistische Diktatur nicht. Bereits am 7. Februar 1942 soll er in Plötzensee hingerichtet worden sei. 47 Nach der Urteilverkündung am 19. Juni 1934 erlangte Albert Kuntz seine Freiheit nicht. Im Schutzhaftbefehl heißt es: „Infolge Ihrer politischen Einstellung, die Sie im Verlauf des Prozesses wie- derholt unverblümt zum Ausdruck gebracht haben, und Ihrer vorgehenden Tätigkeit innerhalb der Kommunistischen Partei ist zweifellos zu erwarten, dass Sie sich in Zukunft im staatsfeindlichen Sin- ne betätigen werden.“48 Nach einer Nacht im Polizeipräsidium am Ale- xanderplatz kam er am 29. Juni 1934 in das weit über Berlin hinaus als Folterhölle der Gestapo Fahndungsplakat mit Vor- Die Anklage gegen Thälmann stützt sich auf die berüchtigte Columbia-Haus. Der „Gegen-Angriff“ verurteilung der Berliner ungeheuerliche Bestimmung der „moralischen Schuld“ hatte bereits am 3. Dezember 1933 den Zweck Polizei 1931 oder der „intellektuellen Verantwortung“. Danach soll dieses Hauses enthüllt, in dem „für unzählige Pro- Thälmann die Schuld an allen von der SA und Polizei zesse ‚Belastungszeugen’ fabriziert“ werden. Was provozierten Zusammenstössen beigemessen werden, der Nazijustiz im Bülowplatzprozess nicht gelun- ganz gleich, ob die Täter und Teilnehmer identifiziert gen war, wollte nunmehr die Gestapo mit ihren werden konnten oder nicht, ob sie in berechtigter Methoden der physischen und psychischen Folter Notwehr gehandelt haben oder nicht. erreichen. Diese nahe liegende Annahme wird Auf die im Bülowplatzprozess gefällten Urteile nachdrücklich bestätigt durch ein Gestapodoku- Bezug nehmend, verurteilte die Juristenkommis- ment vom 20. Juni 1934, in dem es unter dem sion diese Rechtspraktiken und forderte für Ernst Namen Albert Kuntz heißt: „Nach nochmaliger Thälmann freie Wahl der Verteidiger, volle Öffent- eingehender Prüfung wird infolge der bisherigen lichkeit der Verhandlungen und den Respekt vor staatsfeindlichen Tätigkeit seit dem Jahre 1925 und den allgemein anerkannten Prinzipien des Rechts.42 da Kuntz Landtagsabgeordneter war eine Aufhe- Die Faschisten hatten mit dem Bülowplatzprozess bung der Schutzhaft nicht befürwortet. Kuntz ihr Ziel, durch Verurteilung von Albert Kuntz die kommt außerdem als Zeuge in dem demnächst Hochverratsanklage gegen Ernst Thälmann zu sichern, stattfindenden Hochverratsprozeß gegen den Füh- nicht erreicht. Trotz internationaler Proteste wurden rer der KPD Ernst Thälmann in Frage.“49 die Revisionsanträge von Friedrich Broede, Max Ma- Nach etwa drei Wochen im Columbia-Haus, tern und drei weiteren Verurteilten abgelehnt und die nach den dort üblichen Torturen und nach den Todesurteile gegen Max Matern und Friedrich Broede Verhören im Gestapohauptquartier in der Prinz- am 17. Dezember 1934 durch das Reichsgericht be- Albrecht-Straße 8 hatte sich die Gestapo wohl stätigt. Friedrich Broede beging am 19. März 1935 in endgültig davon überzeugt, dass ihr „Zeuge“ un- seiner Zelle Selbstmord. An Max Matern wurde das belehrbar und selbst mit ihren Mitteln nicht zu den Todesurteil am 22. Mai 1935 in der Hinrichtungsstät- von ihnen gewünschten Aussagen zu bewegen war. te Berlin-Plötzensee vollstreckt.43 Klause wurde am Im Brief vom 12. Juli 1934 zeigte Albert Kuntz 2. Mai 1935 durch Hitler begnadigt und sein Todes- seiner Familie an, dass ihn die Nazis in das KZ urteil in lebenslängliches Zuchthaus umgewandelt. Lichtenburg verschleppt hatten. Bezeichnenderweise folgte Hitler bei der Begründung Alarmiert durch faschistische Zeitungen u. a. des Gnadenaktes der Argumentation des Untersu- durch die „Deutsche Wochenschau“, die im Mai chungsrichters Thierbach. Der hatte in seiner Begrün- 1934 den Prozess gegen Ernst Thälmann vor dem dung des Gnadengesuches hervorgehoben, dass Klau- am 24. April 1934 gebildeten so genannten Volks- se nicht nur ein „umfassendes Geständnis“ abgelegt gerichtshof für die nächste Zeit angekündigt hatte,50 habe, sondern „in umfangreicher Weise die inneren sowie durch den Ausgang des Bülowplatzprozesses Zusammenhänge in der KPD, soweit sie Terrorakte und der dort verhängten Todesurteile, regte das betreffen, aufgedeckt und wertvolle Angaben in dieser Welthilfskomitee für die Opfer des Hitlerfaschismus Richtung, auch über bisher unbekannte oder nur an, dem Hitlerregime am 2. Juli 1934 in New York ihrem Spitznamen nach bekannte Personen gemacht den Prozess zu machen, ähnlich dem Londoner (hat). Klause, der freiwillig … zum Verräter mancher Gegenprozess zum Reichstagsbrandprozess. Er soll- Geheimnisse der KPD geworden ist, verdient m. E. te sich „im Besonderen mit der Rechtsunsicherheit, aus staatspolitischen Gründen Gnade, da erfahrungs- mit dem Blutgericht, das unter dem Namen ‚Volks- gemäß es gerade bei alten kommunistischen Partei- gericht’ in Deutschland geschaffen worden war, mit gängern fast unmöglich ist, Geständnisse oder Auf- der Verfolgung der Antifaschisten in Deutschland, klärung zu erzielen“44 Die faschistische Justiz wollte mit dem Thälmann-Prozess und anderen Prozessen Klause als „wertvollen Kronzeugen“ für weitere Pro- gegen Antifaschisten beschäftigen.“51 zesse gegen Kommunisten nicht verlieren. Auch die Diesem Untersuchungsausschuss gehörten vorwie- Staatspolizei (Stapo) Stützpunkt Charlottenburg/ gend bekannte Rechtsanwälte der USA an, die sich vor Tiergarten hatte für Klause – deren Zuträger und be- allem einen Ruf als Verteidiger der Rechte der ameri- K 338 KAZ-Fraktion „Ausrichtung Kommunismus“ 39 kanischen Arbeiter im Kampf gegen die Monopole tenburg, in das Zuchthaus Kassel-Wehlheiden, in die Briefe aus der Haft erworben hatten. Eine der hervorragendsten Persön- KZ Buchenwald und Mittelbau-Dora – er blieb über- sind veröffentlicht in: lichkeiten war der 77-jährige Vorsitzende des Unter- all der Funktionär seiner Partei, organisierte die Kom- Albert Kuntz: suchungsausschusses, Clarence S. Darrow. In einer munisten unter den Bedingungen strengster Illegali- Reihe aufsehen erregender Prozesse hatte er streiken- tät zum Widerstand gegen Zuchthausregime und „Liebste Ellen…“ de Arbeiter, ihre Gewerkschaften und bekannte Führer SS-Terror. Auf diesem Wege begleiteten ihn, der auf Briefe aus der Nazi- der amerikanischen Arbeiterbewegung – u. a. Eugene dem Weddinger Parteitag 1929 zum Kandidaten des Haft 1933 bis 1944. Debs, die Mc Namara-Brüder und in dem gegen „Big ZK der KPD gewählt worden war, jene eindringlichen Herausgegeben von Bill“ Haywood-Moyer-Pittibone von den Monopolisten Worte aus dem Referat Ernst Thälmanns an den Par- Leo und Leopoldine inszenierten Mordprozess – verteidigt und die Machen- teitag, dass im Kampf mit dem Klassenfeind die Po- Kuntz , Götz und Han- schaften u. a. des Chicagoer Gastrust und der Anthra- sitionen bis zum äußersten verteidigt werden müssen nelore Dieckmann. zitkohlenbosse an die Öffentlichkeit gebracht. 1925 und „kein Kommunist …von dem Posten weichen Karl Dietz Verlag, war Darrow Hauptverteidiger in dem international (darf), auf den ihn die Partei gestellt hat; selbst unter Berlin. stark beachteten so genannten Evolutionsprozess im den härtesten Kampfbedingungen müssen wir unse- Im Internet nachles- Staate Tennessee, bekannt geworden als „Affenprozess“. re revolutionäre Pflicht ohne Schwanken erfüllen“.56 bar unter www.Rosa- Anwaltskollegen in diesem Prozess waren auch die In den Konzentrationslagern Lichtenburg und Bu- Mitglieder des Untersuchungsausschusses Dudley F. chenwald organisierte und leitete er – bis zur Entlas- Luxemburg-Stiftung Malone, der sehr früh für die Anerkennung der Sow- sung Theodor Neubauers und bis zum Tode Walter Texte 21.de jetunion durch die USA eingetreten war, und Arthur Stöckers im Frühjahr 1939 gemeinsam mit diesen G. Hays, Verteidiger von Sacco und Vanzetti und Mit- herausragenden Kommunisten – die illegale Partei- glied des Untersuchungsausschusses im „Londoner und Widerstandsorganisation. Als er im August 1943, Gegenprozess“ 1933 gegen den Reichstagsbrandpro- nach sechs Jahren illegalen Kampfes, seine Genossen zess. Mitglieder des New Yorker Ausschusses waren in Buchenwald verlassen musste, bestand dort eine die Rechtsanwälte Senator Edward P. Costigan, Ver- politisch gestählte, organisatorisch hervorragend den teidiger der Kohlenkumpel in Colorado, der ehemalige Bedingungen des KZ angepasste illegale Parteiorga- Bezirksanwalt des Staates New York George Z. Me- nisation. Eineinhalb Jahre später, in der Stunde der dalie sowie George G. Battle, Raymond L. Wise und Selbstbefreiung am 11. April 1945, verfügte diese Allen Taub. Ihm gehörten auch der Schriftsteller und Parteiorganisation über 737 in jahrelangem illegalen 42 Vgl. ebenda, S. 1504. ehemalige Auslandskorrespondent des „Christian Sci- Kampf bewährte und auf die Aufgaben bei der anti- 43 Vgl. IML, ZPA, NJ 16401, Bd. 2. ence Monitor“ in Europa und in der Sowjetunion Stan- faschistisch-demokratischen Neugestaltung Deutsch- 44 Ebenda. 57 ley H. High, der Dozent für Ethik an der Ethical Culture lands vorbereitete Kommunisten. 45 Vgl. ebenda. School New York John L. Elliot und der als Politrefor- Seit Sommer 1943 organisierte und leitete Albert 46 Vgl. S. Priacel: Im Namen des mer bekannte Pazifist Roger N. Baldwin an.52 Kuntz im KZ Mittelbau-Dora bei Nordhausen eine Gesetzes! S. 32. Der steigenden Antihitlerbewegung in den USA Widerstandsorganisation, der Häftlinge vieler Natio- 47 Vgl. H.D. Heilmann: die tages- Rechnung tragend, eilte der Botschafter des faschis- nen angehörten. Ihr Hauptkampffeld wurde die Sa- zeitung, 17.2.1992. tischen Deutschlands in den USA, Dr. Luther, nach botage in einem der modernsten Großbetriebe der 48 Zitat aus: Brief von A. Kuntz an Berlin. „Maßgebende und informierte Kreise behaup- Rüstungsindustrie, um die Produktion jener von den E. Kuntz vom 22. Juni 1934. Im Besitz der Familie. ten“, so das „Pariser Tageblatt“, „Luther sei zu keinem Nazis als „Wunderwaffen“ für den „Endsieg propa- 49 GSTA, Berlin-Dahlem, I HA Re- anderen Zweck nach Berlin gefahren, als um dort gierten „Vergeltungswaffen“ V1 und V2 sowie an positur 90 P, Nr.110, Bl. 62. die ernstesten Vorstellungen zu erheben und mitzu- Strahlentriebwerken zu stören. Jan Cespiva, tschechi- 50 Vgl. Der Gegen-Angriff, 20/1934. teilen, dass raschestens eine ernste Wendung erfolgen scher Kommunist, Häftlingsarzt im Krankenbau und 51 Pariser Tageblatt, 24. und 28. muss, wenn nicht die letzten Reste deutscher Sym- „Spionagedispatcher“ der illegalen Widerstandstand- Juni 1934. pathie in Amerika verloren gehen sollen.“53 sorganisation, begegnete Albert Kuntz erstmals im 52 Vgl. Der Gegen-Angriff, 30/ Am 15. März 1935 wurde Ernst Thälmann zwar Februar 1944. Seinen Eindruck von diesem Kommu- 1934. eine Anklageschrift ausgehändigt, doch bis Ende des nisten, der bereits zehn schwere Haftjahre hinter sich 53 Pariser Tageblatt, 28. Juni 1934. Jahres 1935 wurde immer offensichtlicher, dass die hatte, gibt er so wieder: „Ich sehe Albert Kuntz, zu 54 Vgl. Ernst Thälmann. Eine Bio- faschistische Justiz die Anklageerhebung nicht wag- dem wir ‚Dicker’ sagten, noch heute vor mir, stark, graphie. Berlin 1980, S.685, 746 und 752. te. Trotzdem hielt sie sich Ernst Thälmann noch bis ruhig, immer fest entschlossen, wie aus einem einzigen 55 Vgl. Erinnerungsbericht Erich zum 13. August 1937 im Untersuchungsgefängnis Stein gehauen. Er hat nie Zweifel, nie Hoffnungslo- Wichert. 54 Berlin-Alt-Moabit zur Verfügung. Die Vermutung sigkeit gekannt. Er war gerade so, wie wir uns – als 56 Protokoll des 12. Parteitages der liegt nahe, dass die Justiz in ihrer Beweisnot gegen wir noch frei waren – die im Kampf gegen Hitler ste- KPD (Sektion der Kommunisti- Ernst Thälmann nochmals versuchen wollte, den henden deutschen Kommunisten vorgestellt haben.“58 schen Internationale), Berlin- Bülowplatzprozess gegen Albert Kuntz, gegen den Im Dezember 1944 wurde Albert Kuntz im KZ Wedding 9. bis 16. Juni 1929, S. 100. das Verfahren 1934 nur eingestellt worden war, mit Mittelbau-Dora verhaftet und in der Nacht vom 22. 57 Vgl. Buchenwald. Mahnung und gleicher Zielsetzung wie im Juni 1934 wiederaufzu- zum 23. Januar 1945 von den Faschisten ermordet, Verpflichtung. Dokumente und nehmen. Erich Wichert, im Bülowplatzprozess zu ohne dass sie ihm das Geheimnis der illegalen Wi- Berichte, Berlin 1983, S.623. 15 Jahren Zuchthaus verurteilt, erinnert sich, dass er derstandsorganisation entreißen konnten. 58 ND, 27. Jan. 1961 und andere in diesem Prozess Verurteilte 1936 noch- mals im Sinne der damaligen Anklage vernommen worden sind. Die Nazis hatten offensichtlich die Erinnern wollen wir an dieser Stelle auch an die jährliche Feier Hoffnung nicht aufgegeben, nunmehr mit Hilfe der der Selbstbefreiung des Konzentrationslagers Buchenwald. damals verurteilten Kommunisten einen Schuld- spruch gegen Albert Kuntz zu erreichen, mit dem sie Sonntag, 15. April 2012 Ernst Thälmann schwer belasten könnten. Keiner – 10 Uhr Gedenkstätte Buchenwald, Treffen von deutschen der zu hohen Zuchthausstrafen Verurteilten wurde um eigener Vorteile Willen zum Verräter, so dass auch Überlebenden und Angehörigen dieser Vorstoß der faschistischen Justiz scheiterte.55 – 13.30 Uhr Gedenkveranstaltung des Internationalen Albert Kuntz erlangte seine Freiheit nicht wieder. Komitees Buchenwald-Dora und Kommandos auf dem Wohin ihn die Faschisten in den folgenden elf Jahren ihrer Diktatur auch verschleppten – in das KZ Lich- ehemaligen Appellplatz des KZ Buchenwald