Christiane Recht : „Stoff hab ich genug“ Das Leben und Sterben des

Künstlerisches Wort/Literatur

SWR2 : Feature am Sonntag Redaktion : Walter Filz Regie : Christiane Recht Sendung : 10.06. 2007 - 14.05 Uhr – 15.00 Uhr

„Stoff hab ich genug „

Das Leben und Sterben des Rainer Werner Fassbinder – 25 Jahr danach

Von Christiane Recht

Interviewpartner: Irm Hermann Juliane Lorenz Harry Baer Günter Lamprecht Gerhard Zwerenz

Produktionsnummer : 1002000 Produktion : 30.05. – 31.05.2007, Baden-Baden

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1 Christiane Recht : „Stoff hab ich genug“ Das Leben und Sterben des Rainer Werner Fassbinder

Musik Raben, Biberkopfthema Darüber

(Fassbinder) 7) Alles, was man macht, ist eine Zusammenstellung von Erfahrungen, die man gemacht hat. Als Kind, in der Schule, im Elternhaus, ...

Musik hoch Sprecher:

„Stoff hab ich genug“ Das Leben und Sterben des Rainer Werner Fassbinder – 25 Jahre danach

Musik hoch

Sprecher: Feature von Christiane Recht (O-Ton/Teil Fassbinder 24 Geschichten)

Mit:

(Namen im O-Ton:)

„Irm Hermann“ „Juliane Lorenz“ „Harry Baer“ „Günter Lamprecht“ „Gerhard Zwerenz“

Sprecher: Und Rainer Werner Fassbinder Musik hoch

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(Fassbinder) 24) Ich hab das Bedürfnis, die Geschichte zu erzählen, die ich erzähle. Ich erzähle diese Geschichten nicht, weil ich die Möglichkeit habe, mit diesen Leuten zusammen zu sein, ... das ist eines, ...aber ich habe auch das Bedürfnis, diese Geschichten zu erzählen.

Musik hoch Darüber:

(Irm Hermann) 2) Fassbinder hat an diesem Abend einen unveröffentlichten Roman vorgelesen, so eine Art Loreroman, der wirklich voller Kitsch war. Und er hat uns die ganze Nacht diesen Roman vorgelesen und dabei bestimmt zwei Packungen Zigaretten geraucht.

(Irm Hermann) 6) Und dann rief mich eben eines Tages, ... sein Freund Christoph Roser an und sagte: „Ach, ich wollte Sie fragen, der Rainer macht einen Film und er würde sich sehr freuen, wenn Sie da eine Szene spielen könnten, aber es tut uns Leid, wir haben kein Geld und würden Sie sich dazu zur Verfügung stellen?“ Und hab ich gesagt: „Ja ich kann das ja gar nicht“ und so. Und es war dann so, dass die Kamera schon in der Wohnung von Susanne Schimkus, in der Karlbach, was ja um die Ecke war vom Café „Monopteros“, die Kamera schon irgendwie parat stand und Michael Fengler schon mit dem Licht. Und dann hat er – der Rainer - mir kurz die Szene erklärt, mir seinen Bademantel angezogen und, na ja.... Und das war quasi mein Einstieg in das Filmleben, also in das Schauspielerdasein.

(Irm Hermann) 12) ... und da begegnete er eben Marite Greiselis, die auch in dieser Schauspielschule war.... Und die sagte: „Du, komm doch mal, es gibt da ein Actiontheater in so einem ehemaligen Kino in der Müllerstraße, komm doch mal vorbei“. Und da hatten die gerade ... Peer Raben hatte „Antigone“ inszeniert und wie’s halt so kommt, derjenige, der den Boten gespielt hat, der brach sich den Arm und konnte nicht auftreten und Rainer ist eingesprungen. (Irm Hermann) 14)

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Und Ursula Strätz, die Leiterin des Theaters, mit dem Horst Söhnlein waren die ja liiert, der ja dann ... in dieser Zeit dann zur RAF abdriftete und er war halt dabei, bei dieser ... beim dem Kaufhausbrand in Frankfurt. Und außerdem war er wahnsinnig eifersüchtig auf Fassbinder, weil die Ursel das natürlich auch noch irgendwie ausgereizt hat, dieses Thema, obwohl ja im Grunde nichts dahinter war. Aber der Harp, der hat irgendwann Rot gesehen und hat das ... die ganze Bestuhlung, also das ganze Actiontheater zerschlagen eines Nachts.

(Harry Baer) 4) Also Actiontheater ging ins Antitheater über, nachdem die sich irgendwie zerkriegt hatten. Und ich bin ins Antitheater dazu gekommen 1968, oder irgendwie, oder ’69, weiß ich nicht mehr so genau.

(Harry Baer) 2) ich konnte mal Schlagzeug spielen und kann’s immer noch. Und in meiner Schule war mein Klassenkamerad, der spielte schon beim Actiontheater ...denen fehlte plötzlich ein Schlagzeuger bei irgendeinem Stück, die „Bettleroper“, glaube ich, hieß das. ... Und dann bin ich da hin, hab da getrommelt und durfte auch zwei, drei Sätze sagen. Und da waren sie alle so begeistert und haben sich wahrscheinlich grün und dumm gelacht irgendwie. Und so fing’s an.

(Irm Hermann) 15) Das Nächste war, dass Jean-Marie Straub vorbeigekommen ist, um sich mal diese Truppe anzugucken. Und ich mein, der Jean-Marie Straub war ein Linker. Wir hatten ja nun die linken Ideen und ... Der inszenierte dann „Krankheit der Jugend“ von Ferdinand Bruckner. Dann ... das dauerte irgendwie nur 20 Minuten. Und jetzt war es natürlich nicht abendfüllend und da hat Fassbinder dann „“ geschrieben. Und das dauerte auch zwanzig Minuten. Und da machte man so eine Pause und ...dann führte man das nächste Stück auf. Und so kam dann ein Theaterabend zustande.

(Harry Baer) 3) Und dann kamen noch ein paar Theaterstücke. Und dann fing er an, irgendwann mal Filme zu machen. Den ersten, den hab ich nicht mitgemacht, da war ich voll im Abitur.

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Aber in „Katzelmacher“ hab ich dann schon eine Rolle gekriegt. Und im dritten Film, den er gemacht hat, sogar gleich eine Hauptrolle. Also, ich wusste eh nicht, wie mir geschah.

(Lamprecht) 1) Fassbinder hab ich kennen gelernt als ich beim Peter Zadek war in Bochum. Ich glaub, das muss ’74 gewesen sein etwa. Da hatte er den eingeladen, den Fassbinder mit seiner Truppe nach Bochum Theater zu machen

(Lamprecht) 2) Also ich war überrascht, äh, also waren irgendwie ... für mich waren das Menschen aus einer anderen Welt, mit denen ich da zu tun hatte, die da Theater machten. ...

(Lamprecht) 3) die haben fabuliert, also eben was ja auch ganz gut ist. Aber eben das war so, das war irgendwie so abgehoben, also irgendwie, ich empfand das also, also ganz dicht an der Klinik. Und, ja, und hab dann da ... bin aufgefordert worden von ihm in einer sehr zurückhaltenden Art, dort irgendwie mitzumachen. Und hab ... mir wirklich, äh, äh, eine Rolle ausgedacht ..., einen Nachdenklichen zu geben, der eigentlich über vieles nachdenkt und nur dasitzt. Und das habe ich dann durchgehalten eine Viertelstunde und bin dann gegangen. Hab mich bei ihm bedankt und war eigentlich froh, dass ich dem Zadek sagen konnte, damals dem Intendanten, dass ... Ich bin da raus, ich hab damit nichts zu tun und will auch nicht wieder. Das hat sich dann aber am nächsten Tag erledigt, weil Rainer Werner Fassbinder mir klar machte auf dem Weg zur Kantine überraschenderweise, dass ich nun mit ihm eine große Rolle in meinem geliebten Paris drehen sollte und zwar „Die Welt am Draht“, ein Zweiteiler, eine mittelgroße Rolle. Und, ja. Und so war ich plötzlich beim Fassbinder gelandet.

Musik ???…

(Fassbinder) 19) Es gab keine Vorbilder, in einer Gruppe zu arbeiten, also keine bewussten... Es gab damals nur diese weit verbreitete Sehnsucht nach verschiedenen Leuten.... nach der Gruppe, nach der neuen Form von Zusammenarbeit, von Zusammenleben und so ... Hm, wir haben das halt auf unsere Art und Weise versucht, zu realisieren, was andre Leute auf

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eine andere Art und Weise versucht haben zu realisieren. Wir haben ziemlich lange weiter so getan, als wären wir ne Gruppe, als wir schon begriffen haben, dass wir keine sind...

Juliane Lorenz) 25) Die waren unheimlich auf ihn fixiert. Und diese Art von die Freiheit den anderen geben und wenn sie sich dann genommen haben, sie sich vielleicht genommen haben, dann war’s ihm ja auch nicht so recht. Als sich Hanna Schygulla dann von ihm, drei Jahre, trennte, und ich bin in diese Phase ja reingekommen, wo ich immer nur hörte „Hanna Schygulla, niemals, nie wieder, nie wieder.“ Und dann war’s aber doch der Star seiner Filme.

(Irm Hermann) 27 und dann entstand eben die Idee, ... Irm Hermann) 26 ..... zu diesem „Liebe ist kälter als der Tod“,.... Irm Hermann) 27 jedenfalls war Hanna Schygulla dann von dem Moment an sein Star....Also es fing schon mit der Werbung an, wir standen ganz klein drunter und es war immer Staring: Hanna Schygulla. Und das war natürlich ein unheimlicher ... Eifersucht und Neid in der Gruppe, weil, noch war man ja eine Gruppe und hat zusammen gelebt und zusammen gearbeitet. Und das war für uns damals irgendwie hart, also festzustellen, dass ... also die Gruppe sich im Grunde auflöste und es gibt plötzlich Unterschiede.

(Harry Baer) 6) ... im Laufe dessen, dass er mehr und mehr Filme gemacht hat, hat er sich so in eine Position reingearbeitet, die – ... so unangreifbar wurde. So ... Also die Dampfmaschine, die vorneweg arbeitet, die ist sowieso irgendwann mal nicht mehr zu bremsen und für Kritik auch kaum mehr zu haben.

(Irm Hermann) 43) ...der wollte die Lokomotive sein. Und der wollte auch Filme machen. Und es geht nur ... du kannst nur Filme machen, wenn du eine Disziplin hast und das geht nicht ohne Disziplin. Und, weil, das kostet ja Geld. Und natürlich wollte er das. Der hatte da dran Spaß. Das war nicht eine Last oder so.

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(Zwerenz) 9) Er war der Kopf der Gruppe! Man muss überhaupt sagen, er war nicht nur der Kopf der Gruppe, er war überhaupt ein Kopf, einer der ganz seltenen Köpfe ...Wann hat es denn in dieser Zeit unter diesen nachgewachsenen Jahrgängen, praktisch am Ende des Krieges geborenen in den Nachkrieg hinein, wann hat es denn solche Gestalten gegeben, da ragte Fassbinder heraus, weil er erstens einmal für sich das Leitungsprinzip vertreten hat, außerdem war er ungeheuer energisch aufarbeitend, sich aneignend, und dann war er eine poetische Figur, eine poetische Gestalt, seine Filme und sein ganzes Leben, und auch das, wie er den Alltag gestaltet hat, war eigentlich ein Fortsetzungsroman in Kurzgeschichten, wenn man das sagen kann: ... jeder Tag war eine Kurzgeschichte.

(Juliane Lorenz) 23) Letztendlich war er der Kopf, weil er einfach entschied, weil er schneller war.

(Irm Hermann) 29) er ist ja ab seinem zehnten Lebensjahr ins Kino gegangen. Er hat sich ja sämtliche amerikanischen Filme angeguckt und ... Also er war immer im Kino und der hat dabei unheimlich gelernt. ... Also er hatte die Filme ja im Kopf, bevor er sie drehte. ...er hat ja auf Schnitt gedreht und das kann ja heute so gut wie keiner.

(Harry Baer) 14) ... er ... war einer der Ersten, den ich kannte, die einen Videorekorder hatten. Und der hat sich ja irgendwie, wann immer es angesagt war, lag er da auf seiner Matratze in seinem Schlafzimmer und die Glotze lief. Und da lief ein Ami-Schinken nach dem andern. Also der hat sich wirklich viele Filme, Filme schon angeguckt. Auch vorher schon mit dem Michael Fengler. Da gab’s damals ein deutsches Filminstitut oder so ähnlich,– und die konnten sich immer die Kopien kommen lassen. Und dann haben sie sich am Schneidetisch halt jeden Film 25.000 mal vor- und rückwärts angeguckt und da lernt man natürlich auch sehr viel. Also, wie Schnitttechnik einfach funktioniert und ... und so weiter und so weiter.

(Irm Hermann) 39) .Er hat ja die ersten Filme ... fast nur mit Laien gedreht. ...Gut, ich war eine Laiin, andere waren ... Kurt Raab war Requisiteur beim Bayerischen Fernsehen. Und ... also ich könnte

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gut sagen, wir waren Laien oder Anfänger. Und es war sehr genau vorgegeben. Die Kameraeinstellung hat er immer vorher gezeichnet. Vorher hatte er genau gezeigt, wo die Kamera steht, wo die Schauspieler sitzen, gehen, stehen und das mit dem Kameramann besprochen. Also da gab es keine Zufälle und nicht irgendwelche eigenen Vorstellungen, die wir damals sowieso nicht hatten in der Weise.

(Lamprecht) 10) Er hat immer machen lassen. Fasst immer. Und wenn da nichts kam bei dem Schauspieler, dann hat er ihn nach Hause geschickt. Also bei seinen ... und weil, er hatte sehr genau besetzt, hatte eine bestimmte Vorstellung. ... er hatte eine ganz bestimmte Vorstellung von, von so einer Figur, von einer Besetzung. Und, äh ... also mit mir, wir haben nie über ... wir haben über keine Rolle, die ich bei ihm gespielt habe, von den kleinen angefangen bis hin zum Biberkopf, überhaupt nie inhaltlich über diese Rolle gesprochen. Und, äh, ja, das lief einfach, das funktionierte. Ja.

(Zwerenz) 11) GZ. Bei "Bollwieser", der Film, der in einem kleinen See oder großen Teich in Oberfranken bei Wunsiedel gedreht worden ist, gibt es dann die Schlussszene, wo ich dann so eine Rolle zu spielen habe und dann sterbe, und ich bin so ungenau oder so nebensächlich gestorben, Ballhaus an der Kamera hat das missfallen und meinte, ich soll deutlicher sterben. Aber Fassbinder sagte, wenn Zwerenz so einfach nebenhin sterben will, dann soll er das tun.

(Irm Hermann) 40) Gefüllt wurde das ja immer mit unserer eigenen Persönlichkeit. Er hat ja die Rollen geschrieben für uns. Und da hat er mich natürlich nicht gegenbesetzt, sondern so, wie er mich gesehen hat, oder wie er die oder den gesehen hat. Und da musste man nicht viel spielen, sondern man hat sich einfach eingebracht, so, was man halt konnte.

(Zwerenz) 19) (25.05) Er hat das aber auch anheim gestellt. Gerade mit der Caven, fallen mir solche Szenen ein, da in unserer Wohnung, wo er ihr dann gesagt hat, mach es so, wie´s da steht oder überleg dir, und dann konnte sie oder sollte sie improvisieren.

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(Zwerenz) 3) in einem Jahr mit 13 Monden war es ja so, es wurde ja in unserer Wohnung in Offenbach am Main zum großen Teil gedreht, da ich mich furchtbar gelangweilt habe, bin ich dann immer abgehauen. Wir hatten also hier dieses Haus im Bau, das war also halb fertig, ich bin dann immer rausgefahren und kaum war ich hier, hat der Fassbinder jemanden hierher geschickt und hat mich wieder zurück geholt - wieder vor die Kamera in Offenbach.

Juliane Lorenz) 12) er hat Filme immer gesamtheitlich geschaut. Er wusste genau wie wichtig ein Kameramann ist, das ist bei uns heute immer im Kopf „ja, ein Kameramann ist gerade noch mal wichtig“, ein Cutter wusste er, er liebte Schnitte. Er hat seine Drehbücher ja quasi auch auf Schnitt, in Anführungsstrichen, gedreht, also mit dem Schnitt im Kopf, nicht, das heißt nicht, dass er jede Einstellung so gedreht hat, dass man nur zusammenkleben musste. Aber er wusste genau wie er, wie er Sachen zusammenbekommt. Er hat ja seine ersten Filme auch viel sogar selber geschnitten.

(Harry Baer) 39) zu allererst hat er mal das Buch geschrieben. Und wenn er so eine Szene geschrieben hat, nehme ich doch schwer an, ich konnte ja nicht in seinen Kopf reinschauen, aber dass diese Szene, die er da geschrieben hat, die bereits irgendwie als Film ablief, mit Sicherheit. Und vorbereitet hat er sich dann insofern so gut wie überhaupt nicht, weil er halt an den Drehort kam und seine Bildchen, also heute sagt man „Storyboard“ dazu, seine Bildchen hat er halt irgendwie im Auto, auf dem Weg zum Drehort oder sonst irgendwie gemacht.

(Juliane Lorenz) 2) Man muss wissen, er hat nie im Schneideraum gesessen, ... das war ihm einfach unangenehm gegenüber auch dem Cutter. Das hatte gar nichts mit seiner Verantwortung zu tun, die er gerne ja immer hatte für alles. Aber er nahm ja jeden sehr ernst und führte ihn auch in eine eigene Verantwortung. So hat er mir gesagt „Pass mal auf, ich mache Regie. Ich stelle die Sachen auf, auf die Beine und du bist ein Cutter, und der ist ganz besonders wichtig für einen Film, und der muss auch Verantwortung für sich tragen, denn ich sehe ihn als einen Partner, als einen Künstler.“

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(Harry Baer) 40) Rainer hatte ja eine Sauklaue, die Bildchen gibt’s eigentlich seit ich ihn kenne. Ich kann mich also wirklich nicht an irgendein Buch erinnern, wo’s nicht schon diese Bildchen gab. Die waren natürlich, weil er auch kein guter Zeichner war, ein bisschen schwierig zu identifizieren, aber mit der Zeit ging das dann doch irgendwie. Und manchmal stand man trotzdem vor einem Rätsel, was das jetzt für ein Gekricksel oder für ein Gekracksel da sein soll. Und dann sagte er: „Das ist doch ganz klar, das sieht man doch auf 100 Meter, was das sein soll“.

(Juliane Lorenz) 1) Ich habe ihn durch die erste Zusammenarbeit bei „Chinesischem Roulette“ kennen gelernt, in München, da habe ich damals noch studiert, politische Wissenschaften, war ein junges, aufstrebendes, sehr begeisterungsfähiges Mädchen und habe eigentlich von Rainer Werner Fassbinder immer nur Geschichten gehört, über ihn.

(Harry Baer) 41) “ Ich erinnere da an „Lola“. Da liegt Mathias Fuchs in dem Puff, in Lolas Zimmer, auf dem Bett und spielt mit so einer Schneekugel, also die man schüttelt und dann schneit’s. Und da hat er drei davon eingezeichnet und alle drei haben geschneit auf seinem Bildchen. Und das sah halt aus wie alles, nur nicht wie drei Schneekugeln. Und da musste man aber ganz, ganz klar sagen: „Ja, logisch sieht das aus wie eine Schneekugel. Dass mir das nicht eingefallen ist?“. „

(Juliane Lorenz) 3) Das nächste war „Bollwieser“, da habe ich schon Co-Schnitt gemacht, also hauptsächlich die gesamte Vertonung. Und dann ergab sich, dass er mich fragte, ob ich weiter denn im Filmschnittbereich auch arbeiten möchte, dann habe ich ganz stolz gesagt „Na klar, aber ich bin kein Assistent.“

(Harry Baer) 42) zum Beispiel, hat sich der Rainer, wenn überhaupt, für einen Drehplan nur in seinem Bett interessiert. Das heißt, er hat sich einen zurecht gelegt in der Nacht vor der Glotze und ... Aber bei „Berlin Alexanderplatz“, das waren ja 200 Drehtage, da ... das ... so was bastelt man nicht einfach im Bett vor der Glotze, sondern ich war da allein sechs Wochen, glaube ich, mit dem Produktionsleiter dran, um diesen Drehplan zu basteln. 10 Christiane Recht : „Stoff hab ich genug“ Das Leben und Sterben des Rainer Werner Fassbinder

(Juliane Lorenz) 16) Ich habe ziemlich schnell sein, sein Ticken nennt man das „wie tickt denn der eigentlich?“ mitbekommen und diese unbedingte Art Menschen, Geschichten, Schauspieler, Figuren zu überhöhen, stärker zu zeichnen, also nicht naturalistisch in dem Sinne zu, zu inszenieren und mit Hilfe von Ausstattung, Kostüm, Kamera, Musik, Schnitt eben so ein Gesamtwerk zu formulieren, zu montieren.

(Harry Baer) 50) die Art und Weise, wie wir damals Filme gemacht haben, sind heut ... geht heut überhaupt gar nicht mehr, Ich mein, da sind Spielfilme teilweise entstanden in eineinhalb Wochen oder so. .... Gut, wir haben dann auch, was weiß ich, 20 Stunden gearbeitet und da ... oder 24, ich weiß es nicht, keine Ahnung.

(Harry Baer) 7) also jeder Unternehmer könnte was lernen davon eigentlich, weil, nimm so wenig Leute wie du kannst und mach ... verteil so viele Aufgaben, die es gibt, an möglichst wenige Leute. Und je mehr einer zu tun hat, desto weniger denkt er nach und ... also nicht jetzt bösartig gemeint, sondern es ... Natürlich, ich hab Regieassistent gemacht, Kurti Raab hat oft die Ausstattung gemacht, Peer Raben war Produktionsleiter und hat die Musik gemacht und ... oder Geschäftsführer. Produktionsleiter war damals wer anders, der Christian Hohoff,

Weiter: (Harry Baer) 50) Es war ... ich weiß ... manche Sachen weiß ich einfach nicht mehr wie sie zustande gekommen sind, weil es so abenteuerlich war irgendwie, Heute würde ich’s auch sagen, würde ich nicht mehr ... die Tour würde ich nicht mehr durchboxen wollen. Nein.

Musik….Peer Raben

(Fassbinder-Eder) 35) Es gab zwei Möglichkeiten, einmal, den Alexanderplatz wieder aufzubauen, etwas, das mir nicht so gut gefiele, weil es halt in jedem Fall ne Kulisse wär...

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Ich habe gesagt, dass das, was der Alex ist, sich eigentlich genauso gut zeigen lässt, ... wie die Orte aussehen, in die sich die Menschen, die sonst am Alexanderplatz sind, flüchten, verkriechen, wie sie vor dieser zu schnell gewachsenen Großstadt Schutz suchen. Ich finde, dass der Platz, auch wenn er nicht zu sehen ist, sehr präsent ist. Ich könnte mir den Platz übersetzt vorstellen an der Place Pigalle in Paris oder in der 42 Street in NewYork, weil das noch solche Orte sind, wie der Alexanderplatz in den 20er Jahren gewesen ist.

(Harry Baer) 46) Der war ja aus Berlin. Und zu der Zeit stand die Mauer noch. Und das deutsch-deutsche Verhältnis war auch nicht so grade rosig, dass man dran dachte: „Au, wir fahren nach Ostberlin zum Drehen“. Dann kam die Idee irgendwie: „Lass es uns in Prag drehen, da werden so viel Sachen gedreht, die in der Zeit spielen“. Aber das war dann einfach zu teuer auf die lange Zeit. Und mit so einem Riesenteam irgendwie für zig Wochen irgendwie an ... wohin zu fahren, das erschläg ... erschlagen ja schon die Diäten, allein die normalen Produktionskosten. Und dann haben wir eben gesagt, ja, dann bauen wir einen Teil und einen Teil werden wir schon finden irgendwo und den haben wir auch gefunden.

(Harry Baer) 44) ... Das war in der Berliner Straße, auf dem Bavaria-Gelände, Bergmannstraße, hieß die mal ganz am Anfang. „Zum Schlangenei“, das er da ... der Ingmar Bergmann da gedreht hat. Dann war’s die Berliner Straße und und und. Und das war eine Seitenstraße von dieser halbrunden Berliner Straße auf dem Bavaria-Gelände. Und das war extra dafür sozusagen hergerichtet mit Fackeln und ... sah schon gespenstisch aus, ja.

(Zwerenz) 5) GZ: dieser Alexanderplatz war in der Tat ungeheuer anstrengend für alle, aber natürlich Lamprecht als durchgehende Figur war am schlimmsten dran. ... zum Schluss war ich, als bei der Bavaria in München gedreht wurde, also war ich wieder in München, und dazwischen lagen ja Monate. Und als ich den Lamprecht wiedergesehen habe, hab ich geglaubt, der ist wirklich sein eigener Großvater geworden, er ist dahingealtert in dieser Zeit. Obwohl er nicht so sehr darunter gelitten hat wie wir anderen geglaubt haben.

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(Lamprecht) 7) Es gibt so Äußerlichkeiten, so dumme Sachen wie zum Beispiel, dass, äh, diese Dialektfrage, nicht. Nun hatte er das ja zum Teil geschrieben, die Dialoge, und dann tauchte immer wieder auf dieses Wort „Schau mal“ oder „schauen“ und so. Wo ich gesagt hab: „Lieber Rainer, det geht nich in Berlin. In Berlin heißt das: „Kiek mal oder guck ma“ und det is Berlinerisch und wenn du jetzt anfängst mit „schau mal“, da geht die Mieze oder der Biberkop, der ... nehm ich ihm nicht ab, spricht der nicht. Na ja, da hatten wir einen halben Tag Sendepause, da war er beleidigt. Und bis das dann geklärt wurde, dass ich die Verantwortung übernehmen durfte für den gesprochenen Dialekt in der Zeit. Und das hat er dann auch akzeptiert. Das hat aber eine Weile gedauert. Also eine Kritik an seiner Arbeit, an seiner Person, die war ... konnte er ganz, ganz schwer aushalten.

(Fassbinder-Eder) 31) Mir war immer klar, dass der Film kein simpel konsumierbarer , der wie amerikanische Fernsehserien ist, sondern ich hoffte darauf, dass das Publikum sich auseinandersetzen würde damit..

(Fassbinder-Eder) 34) Dunkelheit!! Es gibt eine Szene in der ersten Folge, die ist und die soll so sein. Das ist diese Szene, wo die beiden Juden ihn wieder aufrichten. Die soll so sein, dass man tatsächlich nur Hände oder Konturen von Gesichtern erkennt., und das ist der deutsche Fernsehzuschauer halt überhaupt nicht gewöhnt....der ist eine Fernsehspiel Ästhetik gewohnt, die quasi wie die der Tagesschau ist, wo alles schnell vonstatten geht. Das widerspricht den Gewohnheiten der Zuschauer völlig. Dass die Leute, weil es so dunkel ist, sich nicht , wie sie - was weiß ich - einen Rembrandt sehen, dass man das an Konturen sieht, was der Rembrandt eben wollte, hätten sie hier eben auch lange hinschauen müssen, bis sie eben gesehen hätten, worauf es ankommt in den Bildern .. oder in dem Bild. ... Jeder Mensch, der sich schon mal mit Filme gemacht hat weiß, dass , je dunkler man was macht, also je mehr man mit einem Licht arbeiten will, wie wir das im Alexanderplatz gemacht haben, umso mehr Licht braucht man, umso komplizierter ist es. Auf der anderen Die Leute haben es als Fernsehfilm gesehen und nicht als das, was ich für richtig find,

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dass man fürs Fernsehen im Grunde mit den gleichen ästhetischen Mitteln arbeiten muss wie fürs Kino.

Musik, Peer Raben, Biberkopfthema ?

(Lamprecht) 5) und ließ mich dann eines Tages runterkommen in seinen Wohnwagen. Da hatte er immer seinen großen Wohnwagen dabei, wie ein Zirkusdirektor, in dem er lebte. und verkündete eben: „Du bist der Franz Biberkopf“, du musst den Franz Biberkopf spielen, du bist der Franz Biberkopf und ich muss den Film machen und ... Und ich hab natürlich ins Fettnäpfchen getreten, indem ich erst mal gefragt habe: „Wer ist das?“. Ich hatte diesen Roman „Berlin Alexanderplatz“ auf der Schauspielschule mal angefangen zu lesen und nach, äh, zwei Stunden war eigentlich vergessen, hab gesagt: „Das schaff ich nicht“, wieder zugemacht, „Kann ich nicht“. Ja, und so war ich dann plötzlich zum Franz Biberkopf und bekam die Drehbücher und hab fast eine Woche gebraucht, um die vierzehn Teile zu lesen, hab mich zurückgezogen und war fasziniert von der Art und Weise, wie das da aufgeschrieben stand alles, bis ins Kleinste. Es waren sogar zum Teil schon Kameraeinstellungen mit vermerkt. Und da ist mir die Rolle ganz nahe gekommen und habe parallel dazu auch den Roman gelesen.

(Zwerenz) 6) Es ist Lamprecht-Biberkopf weil der Rainer ihn fortwährend dazu aufgefordert hat, sich selber in den Biberkopf reinzubringen, was, wie ich mich jetzt erinnere, auch damit zu tun hatte, dass Rainer den Lamprecht als einen Berliner und insofern Biberkopf näher gesehen hat. Er hat sogar, als ich da ganz bestimmte Döblin-Text da in München im Wald sprechen musste, hat er mich ein paarmal gebeten, mehr so in Richtung Berliner zu sprechen, wie das doch also der Lamprecht so prima kann.

(Lamprecht) 4) Also ich hab eins ganz stark gespürt, dass er mich auch mochte, meine Art zu leben und meine Art mich auszudrücken als Schauspieler. Ich hab das gemerkt, da war eine Bewunderung da, ..Und, äh, hat auch gar nicht versucht, mich groß zu schikanieren irgendwie, wie die andern. Die anderen wurden ja immer

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vorgeführt oder so was. Das fand alles nicht statt. Und ich war dann – ja, ich war ganz überrascht, als er mich dann nach Jahren wiederholte für „Die Ehe der Maria Braun“.

(Zwerenz) 22) Ich hab mich immer gewundert, ich hab gemeint, ich bin die Sache nun los, aber dann hat er den nächsten Film gedreht und dann ist man wieder angerufen worden und sollte da wieder mitmachen. Er war ungeheuer beharrlich, die Leute, mit denen er einen Draht gefunden hat, immer wieder heranzuziehen. Und das - schätze ich mal - war nicht nur bei mir so, das war bei den anderen auch so, zeigt sich ja auch, die Besetzungen sind ja ziemlich statisch. Wie gesagt, die Leute, die er immer wieder neu dazu geholt hat, also die älteren Schauspieler vor allen Dingen, aber das, was Gruppe war und um die Gruppe herum sich bildete als Außengruppe gewissermaßen, die wurden immer wieder geholt. Insofern hat er Verbindungen konstant halten wollen.

(Irm Hermann) 18) woran es gelegen hat, seine Verunmöglichung eine Zweierbeziehung relativ glücklich zu leben, liegt wahrscheinlich in seiner Kindheit. Wir wissen es alle nicht genau, da kann man noch so viel rätseln und diskutieren. Ich denke, dass die Scheidung seiner Eltern sehr dazu beigetragen hat, in ihn dieses Misstrauen gegen eine normale Liebe und Partnerschaft zu haben. Also er war einfach misstrauisch, hatte immer Angst betrogen zu werden und er hat das Schicksal auch immer herausgefordert, indem er auch es wirklich provoziert hat.

(Zwerenz) 1) wir waren bei einem Feuilletonredakteur der Frankfurter Rundschau eingeladen,... Ich muss sagen, in dem Trubel hab ich anfangs garnicht gesehen, dass das der RWF ist , der da am Tisch sitzt. Es ergab sich dann sehr schnell ein Gespräch und er hat mich ungeheuer becircet, indem er gesagt hat, ach Sie sind doch der Autor, der den Roman geschrieben hat, "Der kleine Herr in Krieg und Frieden - Casanova", den wollte ich immer verfilmen, ich hab ihn zuhaus im Schub gehabt, hab ihn ab und zu rausgenommen und mir gesagt, wenn ich mal so weit bin, will ich diesen Roman verfilmen. Daraus ist dann später nichts geworden.

(Irm Hermann) 50)

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Und für mich war halt die schönste Zeit – unabhängig jetzt von den Anfängen, wo es noch keine Gruppe gab, sondern nur mit ihm – auch wenn es sehr anstrengend war, aber da habe ich ja am meisten über den Menschen Fassbinder erfahren zu der Zeit, Und das war „Acht Stunden sind kein Tag“, weil, da habe ich Skript gemacht noch zu der Zeit. Ich war also den ganzen Tag bei den Dreharbeiten dabei, von Anfang bis Ende, und hab dann auch noch gespielt, also in jeder Folge hatte ich halt immer ein paar Drehtage. Und da waren wir einfach Tag und Nacht zusammen und da habe ich unheimlich viel gelernt, Und da waren wir auch sehr miteinander verbunden in der Zeit.

(Harry Baer) 33) Ah, ’70/71, wo ... da wurden fünf Filme im Jahr gemacht manchmal, das ist unfassbar im Nachhinein. Und da fing er auch an mit seinen Autos und Geld aus dem Fenster zu werfen, im übertragenen Sinne. Der Rainer hat kein Geld gespart oder so was. Also der ... das Einzige, was er sich auf die Seite geschafft hat, waren 100.000 Mark, weil er tierische Angst hatte vor einer Gürtelrose, die man dann in ... nur in Amerika operieren kann. Also völliger Schwachsinn. Aber ansonsten, das Geld mit beiden Händen aus dem Fenster geworfen. Autos, Kleidung, Drogen natürlich auch und gut Essen gehen. Also dafür ist das Geld über den Jordan gegangen ohne Ende.

(Zwerenz) 21) (Privat 26.42)Also eingesetzt hat er sich für seine Leute, da wo es ums Geld ging um die Gagen ging, um Möglichkeiten ging, da hat er sich eingesetzt, er war ja auch der Gruppenoberste, das war auch eine seiner Stärken, ..., ich kann nur sagen, die Leute, mit denen er gearbeitet hat, hat er eigentlich nie vergessen.

(Irm Hermann) 19) Er lebte ja in gewisser Weise promiskuitiv, war aber trotzdem treu. Er war treu in seiner ... von seiner Seele her, sage ich mal. Also er hatte ja einen fest ... feste Beziehungen zu den Partnern oder zu den Mitarbeitern, die um ihn herum waren, da war er ja sehr treu, wie sich das ja erwiesen hat, die ganzen Jahre.

(Irm Hermann) 52)

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Das andere war, ja, ich weiß es eben nicht genau, wie seine Homosexualität, also wie das wirklich mit seiner Psyche –also ich ... weiß ich nicht. Ich fand das immer ein ... immer relativ anstrengend mit diesen Leuten, weil, er hat sich die ja auch nie geholt von der ... also von der Filmszene, das waren ja immer „Underdogs“, immer, ja. Und das war natürlich schwierig, ja – für alle irgendwie, ja.

(Lamprecht) 12) als ich ihn das letzte Mal traf, ähm, das war in Berlin da, kurz vor seinem Tod, dass man sich einfach ohne lange zu reden, einfach in die Arme fiel und sich richtig herzlich umarmte, drückte, bis hin zum Kuss. Und das war einfach, äh, ich glaube da war alles drin, von beiden Seiten, also dass, dass wir uns unheimlich gerne hatten und mochten. Das ist da und ich hatte natürlich immer das Gefühl, dass, äh … ach, nein, es waren zu viele Leute, die sich bei ihm einschmeicheln wollten immer. Aber das hat er ja nicht zugelassen dann. Das hat er nicht benutzt irgendwie. Sondern er hat dann wirklich … er war dann die starke Person, der Regisseur, der die ganze Sache im Griff hatte.

(Harry Baer) 48) Also hätten Sie mir das zu seinen Lebzeiten gesagt, dass das ein Genie ist, hätte ich gesagt: „Nein, das ist der Rainer und der dreht halt viele Filme“.

Musik Peer Raben, Walzer

(Irm Hermann) 17) Fassbinder war faszinierend. Er hatte die wunderbare Gabe auf jeden Menschen einzeln besonders einzugehen. Er hat jeden Menschen natürlich in seiner Weise und mit seiner Sicht erkannt. Und das gibt es ja ganz selten, dass man mit Menschen redet, die in besonderer Weise auf einen eingehen und zwar nicht dieses ewige Spiel „Mann und Frau“, wo man also ... sondern von „Mensch zu Mensch er hat sich immer voll und ganz auf sein Gegenüber konzentriert. – man sagt ja, Liebe ist Aufmerksamkeit – und er war besonders aufmerksam und in den ersten Jahren sehr scheu, bescheiden, zurückhaltend, ja, er war wie eine, eine ganz zarte Seele.

(Juliane Lorenz) 13)

17 Christiane Recht : „Stoff hab ich genug“ Das Leben und Sterben des Rainer Werner Fassbinder

Ich wollte Filme machen, so einfach war’s. Ich wollte aber auch Schriftstellerin werden. Also es waren immer zwei Möglichkeiten. Und ich war auf der Suche wie man ja ... Gott, heute sind die Leute mit 30 noch auf der Suche, ich war eben mit 20 auf der Suche und, und hatte ja schon die zwei Filme mit ihm gemacht. Und er gefiel mir ... als Cutterassistentin oder Co-Cutterin ... er gefiel mir in seiner Art, in seiner Arbeitsweise ungemein.

(Irm Hermann) 45) Meine Faszination, meine Begeisterung war er – nur er. Und ich habe alles nur für ihn gemacht. Mich hat nicht interessiert berühmt zu werden, Karriere zu machen, sondern nur er hat mich interessiert. Also, wir haben ja auch zusammengelebt, ... und das war eben die intensivste Zeit, dass wir also bestimmt ein halbes Jahr, ohne Gruppe, also da gab’s die Gruppe ja noch gar nicht, es gab das Actiontheater noch nicht, ... wir sind ... nachts durch die Parks, er hat immer irgendwelche Leute aufgetan, also sagen wir so „Underdogs“, ja, weil er sich ja dafür interessiert hat.

(Irm Hermann) 48) Und das war für mich natürlich auch eine Sensation, aus einem bürgerlichen Leben, wo ich abends um acht Uhr ins Bett gehe und nie ausgehen durfte. Und plötzlich treffe ich auf einen Mann, der ... die Nacht zum Tage macht und auch nie schläft. Der hat ja nie länger als zwei, drei Stunden geschlafen.... Der war so motorisch, der brauchte nicht mehr Schlaf. Und das war damals nicht mit Tabletten oder irgendwelchen Drogen,

(Irm Hermann) 47). Und – der hat mich so zur Verzweiflung gebracht, ich bin so aus den Bahnen, aus meinen sogenannten bürgerlichen Bahnen und meinen Vorstellungen, hat der mich so rausgeworfen, dass ich gedacht habe, jetzt ist Ende, ich kann so nicht leben. Ich weiß gar nicht wie ich ... Er hat, sagen wir mal, mein ganzes Geld, was ja eh nicht viel war – der hat ja immer meine Bücher durchgesucht, weil er gemerkt hat, da habe ich irgendwie Fünfmarkscheine manchmal verborgen – und hat alles kaputtgemacht, der hat alles zerstört, mein ganzes Apartment zusammengeschlagen um irgendwo einen Geldschein zu finden oder ... und dann zu sagen: „So und dann tschüss, jetzt will ich dich nicht mehr sehen“.

18 Christiane Recht : „Stoff hab ich genug“ Das Leben und Sterben des Rainer Werner Fassbinder

(Harry Baer) 34) .. der musste nur irgendein böses Wort zu ihr sagen, dann konnte die sofort losflennen bis zum Gehtnichtmehr und das sah im Film dann wunderschön aus. Aber die Art und Weise, wie er’s gemacht hat, die war nicht so schön.

(Zwerenz) 12) Kurt Raab, der Hauptdarsteller bei "Bollwieser" wurde ja von mir über dieses Wasser gerudert. Diese Ruderpartie wurde also vielfach geprobt, ich merkte schon, dass Fassbinder, der neben der Kamera am Ufer stand, dass er einen Gefallen daran fand, den Raab immer wieder in diesen Kahn zu setzen und dann war ein Ruderer da, und ich war dann ein Steuermann oder so etwas und der Kahn schaukelte sehr, und mir war das schon sehr ungemütlich, es war nämlich nicht warm, es war kalt, und beim dritten oder vierten Mal schreit der Fassbinder also: "Kurt, aufstehen" und der Raab steht auf, der Kahn schaukelt und der Raab fällt ins Wasser, und geht unter und ist weg. Und Rainer lacht und sagt "Aus!". Und er hat sich richtig gefreut. Auch der Raab taucht dann spuckend und fluchend aus dem Wasser wieder auf, sieht den Fassbinder lachen und ist stinksauer.

(Harry Baer) 51) In „Whity“ hat er mich gepiesackt, ja, klar. Das hat er oft gemacht. Ich weiß nicht, was das für eine Rache war. … da wurde mir im Prinzip da alles gefärbt. Irgendwie die Augenbrauen, die Augenwimpern und die Haare auf dem Kopf. Also ich sah aus wie ein, wie ein Albino. Und wenn man sich so im Spiegel sieht und vorher irgendwie noch reingeguckt hat, und kannte den noch, den man dort grad eben gesehen hat und zwei Stunden später guckt man wieder rein und man kennt den nicht mehr und da ... Ich hätte ihn da umbringen können.

(Juliane Lorenz) 17) da hat er mal gesagt „Ich habe dir doch gesagt das soll, das und das in der Totalen sein“ und das hieß, wenn ich das in der Totalen hatte, musste ich andere Dinge wieder umbauen. Das habe ich natürlich gemacht. Aber das war so wie ein Wach-auf-Schlag auf, auf mein Gehirn . Der hatte seine Vorstellungen und denen bin ich dann gefolgt in diesem Fall.

19 Christiane Recht : „Stoff hab ich genug“ Das Leben und Sterben des Rainer Werner Fassbinder

(Harry Baer) 8) Ich .. wusste damals nicht, was ein Regieassistent eigentlich alles tun muss. Ich bin von einem Fehler, von einem Fehlerloch ins nächste reingeplumpst. ....es geht schon los beim Klappenschlagen, also eine Schlussklappe schlagen, ... Es hat ihm einen Höllenspaß gemacht, auch wenn da, was weiß ich, so viel, so und so viel Meter schwarz-weiß durch die Kamera gerattert sind, man rennt dahin und schlägt die Klappe, eine Schlussklappe und kein Mensch sagt einem, dass man die verkehrt rum halten muss. Und dann hält man die rein und sagt sein Sprüchlein auf, also Schlussklappe so und so viel, die so und sovielte, und schlägt die Klappe und rennt dann raus aus dem Bild und alle lachen. Und dann sagt er: „Geh wieder rein, geh wieder rein, das war verkehrt!“ und man rennt wieder rein und weiß es nicht. ... jedenfalls vorgeführt!

(Irm Hermann) 42) Er war ja richtig garstig zu mir großenteils. Also ich weiß beispielsweise bei „Katzelmacher“, hat er überhaupt nicht mit mir gesprochen, oder er hat halt irgendwelche Storys, Intimgeschichten erzählt, die mich zum Weinen brachten, und dann sagte er: „So und jetzt drehen wir“.

(Harry Baer) 52) Aber ich habe auch geheult, weil ... aber es war ja dann eh nichts mehr zu ändern, weil, gefärbt ist gefärbt und weg ist weg. Also was soll’s. Und ich hab das durchgespielt. Bei „Alexanderplatz“ hat er mich auch blond gemacht, ... Für läppische drei oder vier Drehtage war ich plötzlich ein Blondschopf. Uwaa. Na ja. Es hat ihm jedenfalls tierisches Vergnügen bereitet, also mich so zu quälen. Und er wusste, dass ich an dem Punkt auch empfindlich bin. Und das wusste er bei jedem ...

(Harry Baer) 53) ... er wusste halt irgendwie bei vielen Leuten, wo man mit dem Messer in der Wunde rumrühren kann und noch ein bisschen Salz und Pfeffer drauf, damit’s besonders weh tut. Und dann erst recht drin rumrühren, das ... das hat der perfekt beherrscht, ja.

(Irm Hermann) 54) ich habe ja die „Trude“ gespielt mit dem Gottfried John, der mich zusammenschlägt. Und – gut, in dem Film werden ja nun alle Frauen irgendwie gewürgt und vernichtet in gewisser 20 Christiane Recht : „Stoff hab ich genug“ Das Leben und Sterben des Rainer Werner Fassbinder

Weise. Und – also da war ich nicht die Ausnahme. Aber er hat es da auch geschafft, mich zum Weinen zu bringen und dann hat er eben gesagt. „So und jetzt drehen wir“.

(Harry Baer) 54) . Er hat aber auch erkannt, was ... wie gefährlich das ist, wie Macht gefährlich sein kann. Also das, das Spielchen, das hat auch nicht bei allen funktioniert, weil, Macht, Macht ist nicht nur geil, sondern eben auch tierisch gefährlich. Und wenn man das nicht kapiert, dass es das ist, dann wird man zum Monster .... . Durchaus haben ihn manche aber so gesehen, die ihn zu wenig kannten. Denen kam der schon vor wie die Ausgeburt der Hölle. Und das war er nun weiß Gott nicht. Also ich mach ihn jetzt nicht heiliger als er ist oder war, aber so was war er nun überhaupt nicht. Er konnte unheimlich nett und zärtlich sein zu den Leuten.....

(Lamprecht) 11) Er ... wirkte auf mich immer wie ein einsamer Mensch, trotz seinen nächsten Freunden, die er alle hatte um sich herum, sehr einsam. Und ich glaube, da liegt schon mal etwas, äh, bei uns beiden, eine Gemeinsamkeit. Also ich fühle mich auch immer sehr einsam, in meinem Leben. Und, äh, da ... das haben wir nie ausgesprochen, aber da ist so eine Ähnlichkeit.

(Harry Baer) 24) „In einem Jahr mit dreizehn Monden“. Das ist sein stärkster und auch sein radikalster Film, … da packt er richtig aus, … also da legt er im Prinzip seine Seele auf den Tisch. Und notgedrungen auch, weil der Selbstmord seines Freundes, der hat ihn da auch schon irgendwie ganz schön gebeutelt. Und dieser Film war auch so eine Art ...Selbstreinigung oder so was, wo man ... Also, wenn man dieses Tal durchschreitet und dann auch noch einen Film drüber machen kann, dann ist man hinterher befreit in irgendeiner Art und Weise. Und das ist so wie Trauerarbeit. Das hat ihm gut getan, dass er das gemacht hat. Obwohl, ich war da nicht dabei, aber mir wurde erzählt, dass der .... stand jeden Tag irgendwie auf der Kippe, bringt er sich jetzt um oder kommt er noch zum Drehen oder wie auch immer.

(Zwerenz) 27) (38.41) Man muss natürlich sagen, dass zur Pluralität seiner Natur diese ganz kindliche Art gehörte, die sich vielleicht manchmal heraus spielte oder die er manchmal freiließ, ...

21 Christiane Recht : „Stoff hab ich genug“ Das Leben und Sterben des Rainer Werner Fassbinder

diese Szene, wie wir von der Diskussion da vom Bochumer Theater nach Frankfurt zurück gefahren sind, da fuhren wir mit dem Zug, und wir mussten in Düsseldorf umsteigen, und sind da in den Wartesaal - das war der Fassbinder, ich und der Armin - und da sitzt am Nebentisch eine Frau mit ihrer Tochter, und da sagt die Frau "Der Fassbinder!" Und da guckt er sich so um, und in dem Moment hab ich zufällig nur sein Gesicht gesehen, und da war er erst ungeheuer verblüfft und angetan, und dann aber ungeheuer abgestoßen, ... Und der nächste Entschluss war, dass er zu Armin sagte, "Wir fahren nicht nach Frankfurt zurück, wir fahren nach Paris!"

(Lamprecht) 8) .... Er flog dann am Wochenende, ich weiß es nicht ob’s Freitag war oder Samstag, mit der Concorde nach New York und gab einfach eine Runde, äh, äh, aus und sagte, wir machen jetzt drei Tage eben einen drauf in New York. Dann hatte er den Kreis ausgesucht und das waren dann etwa acht oder neun Leute, seine engsten. Und dann flogen wir mit der Concorde nach New York. Und hat dann da ... Eigentlich, im Grunde genommen, gar nichts von New York gesehen, sondern die ... da wurde dann in den Diskotheken und in den einschlägigen, besonders auch homosexuellen Läden, wurde dann gesoffen und gefeiert. Und ich war nun auserkoren, hab mich geweigert, ich sagte lieber, das ist nicht meine Sache, ich hab so viel zu tun, ich muss die Texte vorbereiten für nächste Woche. Aber er hat mich überredet. Dann hab ich gedacht, gut, des lieben Friedens willen fliegst du einfach mit und hatte dann zugesagt.... Und wir landeten auf dem Oktoberfest, war das, in München und da kam ich mit ihm ins Gespräch über Schauspielkunst, über die Gestaltung einer Rolle. Und da waren wir plötzlich anderer Meinung. Ja. Also kann ich mal über den Biberkopf, über ... Und da habe ich ihm einen kleinen Vorwurf gemacht, hab gesagt, da musst du noch mal genau lernen, sage ich, da bist du noch nicht so, musst du noch mal gucken. Und da schrie er los: „Lamprecht wird gestrichen von dem Flug nach New York. ...mit der Concorde nach New York.

(Zwerenz) 26) und ich bin alleine glaub ich zurück gefahren, und er ist mit dem Armin nach Paris abgehauen. Ein urplötzlicher Entschluss, da musste alles abgesagt werden, was da in Frankfurt anstand, also so genau weiß ich das nicht mehr, aber dieses nach Paris fahren, so in plötzlicher Widerwille, das störrische Kind das plötzlich sagt - ... aber jetzt will ich dahin, wo mich niemand kennt. 22 Christiane Recht : „Stoff hab ich genug“ Das Leben und Sterben des Rainer Werner Fassbinder

(Harry Baer) 30) ... aber ich weiß, was das für ein kleiner Bub war, als wir uns da beim Visconti-Interview reingeschlichen haben, ...im Grand Hotel de Bain in ... „Tod in Venedig“... war im Wettbewerb. Und da ist ein deutsches Kamerateam hat ihn halt interviewt und hat ... der Rainer hat das mitgekriegt und gesagt: „Komm, da gehn wir mit. Wir machen einen auf Beleuchter, das merkt keine Sau“. Und dann sind wir da rein und haben uns das halt irgendwie angetan. Und so hab ich ihn noch nie gesehen. Er halt also wirklich große, große Augen, wie Kinderaugen und hat dem Herrn Visconti jede ... jeden Satz irgendwie von den Lippen abgelesen. Das war, das war Besuch bei Gott sozusagen.

(Harry Baer) 31) 10 Jahre später war er dann in Cannes schon der Gott und das hat man ja auch gemerkt, wie die Leute irgendwie, auch wenn er aussah wie, wie Sau, sag ich mal, dass die Leute trotzdem irgendwie schon angefangen haben hinter seinem Rücken zu raunen oder mit dem Finge auf ihn zu zeigen. Also der war sehr bekannt.

(Harry Baer) 32) es gibt noch eine Geschichte mit Jean Fonda, die hätte drehen sollen die Rosa Luxemburg, da hab ich ihn am Telefon zum erste Mal stottern sehen. Also als er mit dieser Dame leibhaftig telefoniert hat, ... also der war überhaupt nicht mehr vorhanden vor lauter ... Ergriffenheit jetzt mit Jean Fonda telefonieren zu können. Jean Fonda war das Höchste, .... Die hatte zugesagt. Ja. Mh, hätt nicht sollen sein.

Musik Peer Raben

Irm Hermann) 21) ....ob er nun den Kick brauchte einer Abwechslung oder was Neues. Das war ja immer da. Das ... also das hatte aber trotzdem nichts damit zu tun, dass er sein Team und seine vertrauten Leute um sich haben wollte. ... und am besten Tag und Nacht. Es war unheimlich anstrengend.

(Zwerenz) 24) 23 Christiane Recht : „Stoff hab ich genug“ Das Leben und Sterben des Rainer Werner Fassbinder

Das ist eigentlich eine ursprüngliche Vorstellung von mir gewesen, dass ich gemeint habe, er wird nicht alt. Das habe ich aber nie gesagt, aber durch diesen Zufall, dass ich also immer nur in bestimmten Zeiten bei ihm oder bei seiner Gruppe gewesen bin, dann längere Zeit wieder nicht bis auf die Zeit in Frankfurt, wo man sich dann zeitweise täglich gesehen hat, aber diese Intervalle der Kenntnisnahme haben mich dazu gebracht, dass ich meinte, der verströmt sich.... der vervitalisiert sich derartig, dass er nicht alt werden wird.

(Harry Baer) 27) ...wir hätten es damals vielleicht sehen können, wenn wir nicht so eng dran gewesen wären. Ja, den Vorwurf höre ich ja auch nach wie vor noch: „Habt ihr denn das nicht gesehen, diesen körperlichen Verfall? Das sah man doch irgendwie!“. Muss ich sagen: „Nee, ich hab’s nicht gesehen“.

(Juliane Lorenz) 41) Das habe ich überhaupt nicht gemerkt, weil das habe ich, das sieht man nicht und ich fand auch nicht, dass er sich verbrannte.

(Irm Hermann) 22) ich glaube eher, dass es schon anfing am „TAT,“ also ich war ja am „Theater am Turm“ mit ihm. Es könnte auch sein, dass es natürlich der Stress war. Er hat ja extrem viel gearbeitet und dass er das vielleicht nicht ausgehalten hätte, ja. Und ich weiß ja nicht, ich nehme keine Drogen, wie das ist, wenn das dann ganz toll ist damit... Aber er hat immer gesagt: „Ich bin stärker als die Drogen“. ... wenn ich aufhören will, höre ich auf“.

(Harry Baer) 26) ... so viel Filme macht man ja auch nicht nur mit grünem Tee, sondern da spielen ja noch ganz andere Sachen mit rein, um das alles durchstehen zu können. Und da sind Verbindungen zu seiner chronischen Schlaflosigkeit. Der hat, wenn’s hochgekommen ist, drei oder vier Stunden geschlafen und dann war der munter. Und das hat er mit Schlaftabletten bekämpft und dem ganzen andern Zeug dazu, was sozusagen die Aufputscher waren. Das konnte auf die Dauer nicht gut gehen.

24 Christiane Recht : „Stoff hab ich genug“ Das Leben und Sterben des Rainer Werner Fassbinder

(Irm Hermann) 23) ich nehme ja an, dass das mit dieser kalten Droge, also mit Kokain oder so, so ist. Und er hat ja „Berlin Alexanderplatz“ wirklich vier Tage und vier Nächte durchgearbeitet, geschrieben, das Drehbuch geschrieben, oder diktiert vielmehr. Und dann hat er wieder versucht zwei, drei Tage zu schlafen. Und das ist natürlich ein äußerst ungünstiger Rhythmus, den hält ja keiner aus. Und auch er nicht, denn so lange hat er das ja nicht überlebt.

(Harry Baer) 25) ... irgendwie musste der aber auch gemerkt haben, dass er nicht lange lebt. ...Weil, irgendwo muss die Arbeitswut ja herkommen. ....bloß ... wahrscheinlich hat er selber nicht damit gerechnet, dass der Lichtschalter so schnell ausgeht.

(Irm Hermann) 55) Ich wollte ihm ja auch immer helfen, ...Es wollten ja alle, wir haben ja alle gesehen, in welchem Zustand er sich befindet, aber da hätte niemand helfen können, ..., er musste einfach diesen Weg gehen.

(Juliane Lorenz) 42) Und seine Mutter war diejenige, die gesagt hat „Hast du vielleicht gedacht, du könntest ihn retten? Da bist du aber, glaube ich, der Hybris verfallen.“ Und da hatte sie ziemlich Recht. Man konnte Rainer, auch nicht in Anführungsstrichen, retten. Er musste und wollte seinen Weg selbst bestimmen.

(Zwerenz) 26) (35.56)Da stand hier das Radio, und ich komm von oben runter ... und höre das... Es war für mich nicht erstaunlich. Es war für mich, im Inneren ha ich das längst erwartet gehabt, aber die letzen Male, da war es ja sehr deutlich, dass er dabei war, zu vergehen.

(Harry Baer) 38) ... „Schlafen kann ich, wenn ich tot bin“ ist ein Originalsatz von ihm selber. Und der hat sich als Buchtitel dann so ergeben.

25 Christiane Recht : „Stoff hab ich genug“ Das Leben und Sterben des Rainer Werner Fassbinder

(Zwerenz) 25) Das war meine Vorstellung, die sich in meinem Kopf gebildet hatte, wenn ich mit ihm gesprochen habe. Und als ich hier, das war ja dann 1982 als er gestorben ist, ... da war meine Überlegung ja, das war dann ja auch sehr plausibel, der hat ja immer doppelt und dreifach gelebt. Zuviel Leben - die Arbeit gehört zu seinem Leben, das war dieses "Tag und Nacht präsent sein".

(Lamprecht) 13) … die Zigarette ging ja nie aus und bei mir auch nicht. Ich hab pro Tag immer 65 Zigaretten geraucht. Er aber auch und wenn nicht noch mehr, weil, er ging ja nicht ins Bett. Also er hatte dann, ich glaube, bestimmt noch mal 20 Zigaretten mehr geraucht. Das war das eine, dann kam der Alkohol dazu, Und was er sonst noch in der Nase drinnen, reingezogen wurde und an Tabletten und alles, das, äh, das machte mir Sorgen, und da konnte man aber auch nichts sagen. Ich weiß, wie ich mir erlaubt habe ihm zu sagen „Sag mal Rainer, willst du nicht mal versuchen mal, vielleicht mal, schlaf doch mal, mal so zwei …“ Er guckte mich an als ob ich verrückt geworden bin. „Schlafen, was ist das?“ Er hat also wirklich durchgemacht die Nächte und unheimlich gearbeitet. Gearbeitet und gelebt, ja.

(Lamprecht) 14) ... die Verabschiedung in der Paris-Bar in Berlin, in dieser berühmten Paris-Bar, die ich eigentlich gar nicht so mochte, da haben wir uns das letzte Mal gesehen und, äh, er hatte gerade „“ abgedreht, das war alles … er war fix und fertig und wir umarmten uns, weil ich am nächsten Morgen nach Zürich flog.

(Lamprecht) 15) also vielleicht 14 Tage, drei Wochen war ich schon in Zürich, als morgens das Telefon klingelte, in meinem Appartement, und die Bildzeitung aus Hamburg sich meldete „Lamprecht, Lamprecht!“ „Ja, ich bin am Telefon.“ „Ja, sagen Sie mal, wie war denn Ihre Beziehung oder Ihr, Ihr Verhältnis so zu Rainer Werner Fassbinder?“ Und ich fragte so, ich sagte „Wieso, was heißt: war, war?“ „Na ja, der ist heute Morgen gestorben.“ So lakonisch, also so lapidar war die Antwort.

26 Christiane Recht : „Stoff hab ich genug“ Das Leben und Sterben des Rainer Werner Fassbinder

(Zwerenz) 18) Er wäre auch als alter Mann, wäre er kein alter Mann gewesen, er wäre in sofern jung, doppeldeutig, mehrfachdeutig geblieben, das ist das Geheimnis des Nichtalterns. Das ist bei ihm in jungen Jahren schon gewesen In sofern war er stets sehr jung und stets sehr alt und aus diesen Widersprüchen hat er sich zusammen gesetzt , das war auch das Geheimnis seiner Produktivität. So hab ichs mir erklärt, weil ich eben auch aus dem Staunen nicht heraus gekommen bin.

(Fassbinder) 15) (Besitz...? Haus...?) Ich würd´ das Haus hier ganz gerne kaufen, weil ich s ganz schön finde, ja... Ein Auto ist ganz schön, weil man sich damit fortbewegen kann und alles andere, ... Bücher, ...kann man sich wieder kaufen, wenn man sie wieder lesen will. Platten auch, wenn man sie wieder hören will. Und das sind nicht Sachen, .. wie beim Auto, .. das sind nicht Sachen, wo ich meine, ich muss sie haben. Und diese Idee, dieses Haus zu kaufen, die war auch nicht meine, die ist eigentlich mehr so unter Freunden entstanden. Das ist auch ein Haus, das, wenn ich nicht hier bin, auch von anderen benützt wird. Das ist so ein Haus, ...das, so, wenn Leute hier sind, ... die leben dann auch hier.

(Lamprecht) 16) Und dann kam ja die große Beerdigungsgeschichte, da bin ich nicht hingegangen. Ich konnte das nicht. Ich war inzwischen zwei- dreimal am Grab, wenn ich in München bin und so und dann, und krieg dann meine … wollte eben sagen Anwandlungen, das ist ja Quatsch, aber, nein, es ist dann plötzlich so eine Sehnsucht da, dass man sagt „Mensch komm, Rainer, ick besuch dich mal.“

(Harry Baer) 36) er wollte ja mal eine Oper machen und ein Buch schreiben

(Fassbinder) 27) Der Roman wird die Geschichte von jemandem, der sich eines Tages nicht mehr bewegen kann, der versuchen will, raus zu kriegen, warum er sich nicht mehr bewegen kann, oder

27 Christiane Recht : „Stoff hab ich genug“ Das Leben und Sterben des Rainer Werner Fassbinder

aufzuhören zu atmen. ... Ist ja erst mal keine Geschichte sondern so eine Idee. Ich weiß aber nicht, wie lange ich das noch hinauszögern kann. Vielleicht ist der Roman auch der Versuch, mich von der Notwendigkeit, mit anderen zusammen zu arbeiten, zu befreien. ..

Sprecher:: Ich frage mich warum es endet Die Liebe und das Sehnen Warum das Glück sich wendet Wenn wir uns aneinander lehnen

(Fassbinder) 23) Die meisten Geschichten sind schon ein paar Jahre da. Keine Geschichte kann .... um Gottes Willen, ... nach fünf Jahren noch so aussehen, wie sie vor Jahren mal erfunden wurde, ...und ich hoffe auch, dass ich mich mit den Geschichten , soweit das in meinen Möglichkeiten drin ist, mit verändere. Stoff hab ich genug, ich brauch nur die Zeitungen aufzuschlagen.

Sprecher: Ich trau auf dich. Und du auf mich? Ich weiß nicht was du fühlst Ich trau auf dich! Wenn zart du deine Lippen kühlst.

(Fassbinder) 28) Es gibt den Plan für die nächsten Projekte - für mein Privatleben nicht, ... da kann sich heute Abend schon alles ändern. Ich meine, wenn nichts passiert, ich heute Abend niemanden kennen lerne und morgen und übermorgen auch nicht, dann wird das weitergehen, wie das jetzt ist, aber ich werde mich nicht zwingen, dass es anders wird. Ich würde mich genauso wenig zwingen, dass es so bleibt.

Die Lippen voll und rot Ich liebe sie, ich will sie küssen. Von jetzt bis in den Tod, 28 Christiane Recht : „Stoff hab ich genug“ Das Leben und Sterben des Rainer Werner Fassbinder

Werd ich drauf warten müssen.

Musik Raben, Biberkopfthema Darüber

Sprecher: „Stoff hab ich genug“ Das Leben und Sterben des Rainer Werner Fassbinder – 25 Jahre danach

Musik hoch

Sprecher: Feature von Christiane Recht

Musik hoch

Sprecher: Mit:

(Namen im O-Ton:)

„Irm Hermann“ „Juliane Lorenz“ „Ingrid Zwerenz“ „Harry Baer“ „Günter Lamprecht“ „Gerhard Zwerenz“

Musik hoch

Sprecher:

29 Christiane Recht : „Stoff hab ich genug“ Das Leben und Sterben des Rainer Werner Fassbinder

Dem Gedicht: „ „bis...“ von Rainer Werner Fassbinder von 1962

Musik hoch

Sprecher: Die Originaltöne von Rainer Werner Fassbinder stammen aus Interviews von Peter W. Jansen und Klaus Eder

Musik: Peer Raben Technik: Regine Schneider und Christian Rindt Regie: Christiane Recht Redaktion: Walter Filz Produktion: Südwestrundfunk 2007

Musik Ende

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