die ihn zum Selbstmord veranlaßt haben, AMMA ARIYAN (Bericht für eine Mutter) gibt Purushan seine Reise nach auf.

Indien 19B6. Produktion: Odessa Movies; Ein befreundetetr Journalist bringt ihn zu Regie, Buch Script ; Kamera; einem Arzt ins Krankenhaus, dessen Personal Venu, Ton. Ksishnanunm , Musik: Sunitha; sich aus Protest gegen die Privatisierung Lieder: klassische indische Lieder, der medizinischen Ausbildung im Streik be• gesungen von Umbai und Nazim; Ausstattung. findet. In Begleitung der beiden trifft Pu• Ramesh, Schnitt: ßeena; Regieassistent: rushan mit Balettan zusammen, einem alten Praksh Mencn, Kostüme: Ramachandren; Kommunisten. Ein Hinweis führt zum näch• Darsteller; (Purushan), Maji sten. Balöttan glaubt, daß der junge Mann Veniketsh (Paru), Nilamboor Balan ein wrindagam-Spieler ist, der den Gitarri• (Balettan), Harinarayanan (Hari), sten Satyajit immer zu begleiten pflegte. Satyajit erkennt seinen Freund Hari augen• Kunhulakshmi Amma (Purushans Mutter), blicklich wieder. Als die Gruppe nach Co- Iringal Narayani (Haris Mutter), Nazim chrin aufbricht, um die Mutter des toten (Satyajit), Ramachandran Mokeri Jungen zu benachrichtigen, schließen sich (Ramachandran), Kallai Balan (Rajettan), ihnen unterwegs immer mehr Menschen an. Thomas (Thomas), Sobhindran, Venu C. Menon, überall, in Calicut, Beypore, Crannangcre, Ramesh, Sasi, Sathyan, Ayyappan. Trichur, Kottapuram, Vypin und schließlich Chandrababu. Ani 1 Kumas, Iyyakku, Moosa, Fort Cochin stoßen sie auf Leute, die Han Roghu, -Soorjith, Rasheed, Azeez, Rajan, gekannt haben. Durch ihre Erinnerungen und Zuhaib, Stella, Venu, Rajappan Reminiszenzen kommt Licht in seine etwas Originalfassung (Malayalami mit englischen trübe Vergangenheit. Die krausen Überzeu• Lintert ite In gungen, das rätselhafte Engagement, die po• Format. 35mm, Schwarzwei8 litisch-anarchistischen Phantasien eines Länge: 115 Minuten jungen Mannes, der sich am Ende umbringt, werden eingewoben in die zeitgenössische

Innalt Sozialgeschichte Keralas. Der Film stellt persönliche Meinungen und Gedanken neben

'Niemand ist eine Insel' - das ist.der rote dokumentierte zeitkritische Themen, wich• Fad6n, der sich durch die vielsagende Ei— tige Ereignisse und wirkliche Menschen (den zähluns von AMMA ARIYAN zieht. Der Film, in Streik der Steinbrucharbeiter z.B.), ver• der Form eines offenen Briefes, den ein mittelt Einblicke und Erkenntnisse in die Sohn an seine Mutter schreibt, verwebt Fak• historische Vergangeheit des Landes, das ten, Fiktion und Fragmente der Erinnerung sie durchfahren und stellt Querverbindungen miteinander. Der Protagonist sucht die zur Mikrostruktur der globalen Wirklichkeit Identität und Herkunft eines ihm seltsam her. vertraut erscheinenden jungen Mannes zu Während die jungen Männer auf Haris Mutter eruieren, der sich umgebracht hat. Die warten, versuchen sie die Ereignisse zu Nachforschungen führen den jungen Studenten analysieren. Sie diskutieren und gestehen Purushan von den nördlichen Hochebenen Ke- die Fehler und romantischen Fluchtphanta• ralas bis zur südlichen Hafenstadt Coctinn. sien der extremistischen Bewegung ein. Purushan geht von zu Hause fort und ver• Das Geld für diesen Schwarzweißfilm stammt spricht seiner alten Mutter, ihr regelmäßig von Tausenden von Menschen, die zwei oder zu schreiben. Unterwegs trifft er Paru, zehn Rupien gezahlt oder Anteile in Höhe eine Freundin, die gerade ihre Doktorarbeit von 100 Rupien gezeichnet hatten. Das An• über den Begriff der Muttergöttin schreibt. liegen der Produzenten, Odessa Movies, ist (Dieses Thema wird erneut von Purushans es, eine Volksbewegung für den guten Film Mutter aufgegriffen, die Passagen aus der zu initiieren. AMMA ARIYAN ist Odessas er• Devi Bhagavatam vorliest, einer heiligen stes Filmprodukt für die Bewegung - von der Schrift zum Lobe der Muttergöttin in ihren Bewegung. gütigen und destruktiven Aspekten. Unterwegs wird Purushans Jeep von der Poli• Aus; Indien Cinema, New Delhi, 1986 zei zum Abtransport der Leiche des jungen Mannes beschlagnahmt, die sie in einem Baum * hängend gefunden haben. Um die Identität des jungen Mannes herauszufinden, der ihm "Selbst wenn ich hungern und sterben muß, seltsam bekannt erscheint, und die Gründe, ich werde nie kommerzielle Filme drehen. Ich habe dieses Medium gewählt, um mit dem Volk zu kommunizieren. Ich habe nicht ein• mal ein Dach über dem Kopf. Ich weiß, was

86 es heißt zu hungern. Aber ich will die Art dar Frauenkampf im Matanchery, den Ausstand von Filmen drehen, die mir gefallen." der Mediziner gegen die Privatisierung des John Abraham Medizinstudiums, die Alkoholtragödie in Vy- pen und der Todesschrei der im Hof des Ge•

Aus: Cinema in India, Bombay, Juli/Sept. richts gemordeten unschuldigen Fischer, all 1987 das wird in dem Film gezeigt. Auch die Bru• talität der Polizei und die Korruption. * Undatierter Artikel aus einer indischen Zeitung, 1986 John Abraham über AMMA ARIYAN *

Dieser Film ist eine Analyse der extremi• stischen Bewegung in Ende der 70er (...) Jener Geist und jene Gesinnung, die Jahre. Viele meiner engsten Freunde aus den jungen Protagonisten bewegen, haben ih• dieser Extremistengruppe begingen in jener ren Ursprung in dem unbedingten Glauben an Zeit Selbstmord. Sie waren hochintel1igent, die Macht der Mutter und die Macht des Mar• sensibel und hatten einen hochentwickelten xismus. Sinn für Ästhetik. Ihr Tod ließ mir keine Der Titel selbst ist eine Beschwörung der Ruhe und veranlaßte mich, diesen Film zu Mutter. Wie auch die Technik des ungenann• drehen. ten Erzählers, dessen dokumentarischer Kom• Ich meine, Filme sollten das Volk anspre• mentar einen bekenntnishaften Tor, annimmt. chen - und das Volk sollte durch den Film In der Anfangseinstellung sieht man, wie eine Stimme bekommen. Die filmische Erfah• Purushan, nach seiner Rückkehr von der täg• rung und das Filmerlebnis sollte das ge• lichen rituellen Waschung, Abschied nimmt sellschaftliche Bewußtsein des Publikums von seiner Mutter. Viele der jungen Männer, vergrößern. Durch Odessa werde ich meine die ihn auf seiner Reise zu Haris Mutter F-ilme dem Volk zeigen. Wenn sie kein Geld begleiten, verabschieden sich auf gleiche haben, zeige ich sie umsonst. Weise von ihren Müttern. Diese nie senti• AMMA ARIYAN ist der offene Brief eines ver• mentalen, ja sogar emotionslosen Ab• wöhnten Kindes an seine Mutter; er ist auch schiedsszenen sind geprägt von der reinen ein Brief all jener aus meiner Generation, Schlichtheit einer schicksalhaften Tren• die sich mitteilen Können. Ich schreibe in nung. Daher kommt das Ende nicht als Über• ihrem Namen an Mutter. raschung, sondern als schicksalhafter Voll• zug (Haris Mutter erhält die Nachricht vom Aus: Indian Cinema; New Delhi, 1986 Tode des Sohnes und fragt die Freundes• gruppe: "Selbstmord, nicht wahr?"). John Abraham ergreift nicht Partei. Die do• kumentarische Methode distanziert den Zu• Kritik; schauer und verleiht dem Film selbst dort eine Brechtsche epische Qualität, wo Orte (...) Der Film hat keine lineare Erzähl• und Ereignisse aus historischer Sicht dar• struktur. Er reflektiert den Zynismus,- die gestellt werden, wie z. B. bei den Verwei• Hoffnungen und Bestrebungen der heutigen sen auf die phonizischen Händler und auf Jugend. Man kann sehen, daß der Film in ho• Vasco da Gama. Daß er darüber hinaus die hem Maße von den Werken früherer Meister turbulenten Ereignisse der 70er Jahre in wie Godard und Fellini beeinflußt ist. Es Kerala aufgreift, verleiht den Oistanzie- gibt darin lange Passagen des Schweigens, rungstechniken umso größere Wirkung. Es ist das, wie John sagt, durchsetzt ist mit mu• die penible Handhabung dieser Methode, die sikalischen Noten. Die Musik, die wir hö• es Abraham ermöglicht, alle Widerspruche zu ren, sind Auszuge aus den Werken von Mozart einem zusammenhängenden Ganzen zu verweben. und Bach, gesbielt von Yehudi Menuhin. John Es gibt kaum einen Trick des Gewerbes, den sagt von seinen Filmen, es seien 'filmische Abraham nicht anwendet: Toneffekte (die Filme'. ("Nicht literarischer, theatrali• Ironie des Schreies des Neugeborenen, als scher oder kommerzieller Film. Es ist wirk• Purushan Nachforschungen über den toten lich filmischer Fi Im.")(...) Sohn anstellt); eingängige Symbolik (die Der Film hält die Auseinandersetzungen der kleine Puppe, die an den Haaren aufgehängt 70er Jahre ebenso fest wie manche der heu• hinter der Windschutzscheibe eines Autos tigen Unruhen. Der Streik der Granitarbei• hängt, während im Dialog von Jugendlichen ter in Irgalpara, die Unruhen in Kodupuram die Rede ist, die sich aufhängen); Musik gegen das Zurückhalten von Lebensmitteln, (die Raserei der Trommeln, die sakrosankte

87 Edakkai, die Sinnlichkeit der Hindustani- fand eine Menge von Jukti... in AMMA ARIYAN Lieder); Understatement (Marxisten fol• wieder. ternde Polizisten), aber vor allem Bilder voller Gemächlichkeit, hinter der sich die J.Abraham: Ich wollte einen mit einer poli• wachsende Unzufriedenheit der sensiblen Ju• tischen Bewegung in Zusammenhang stehenden gendlichen verbirgt. Zwischenfall schildern. Ein Selbstmord ge• Der Film ist eine Art neuzeitlicher 'Pil- schieht, und ein Junge berichtet seiner grim's Progress' und vermittelt die große Mutter von seinem Erlebnis, viele Dinge er• Ernsthaftigkeit und den großen Glauben de• eignen sich während dieser Reise. So habe rer., die die Pilgerfahrt unternahmen. ich den Film aufgebaut. Ich glaube nicht, daß es Brüche in der Erzählung gibt; die T.M.P. Nedugadi, in: Cinema in India, Bom• Struktur ist so angelegt. Sie folgt keiner bay , Januar 1987 chronologischen Ordnung.

Frage: Ja, ich verstehe. Es ist keine "li• Die Bewegung breitet sich aus neare Erzählung.

Amrit Gangar im Gespräch mit John Abraham J. Abraham: Das ist richtig.

Frage: Welche Erinnerung haben Sie an die Frage: Im Film gibt es einige Fotos, Auf• Zeit mit Ritwik Ghatak am Filminstitut von nahmen von der Armut in Afrika oder an• Poona7 derswo. Versuchten Sie damit einen globalen Kontext herzustellen? J.Abraham: Als ich ans Institut kam, war Ritwik nicht mehr dort. Er hatte das Insti• J.Abraham: Die kommen an einer Stelle vor, tut bereits verlassen. Später bin ich ihm als der Junge etwas über ein Buch sagt. Als in Delhi und an anderen Orten begegnet, und seine Mutter sich die Zukunft des Sohnes wir sind Freunde geworden. weissagen läßt. Sie macht sich große Sorgen um seine Zukunft - an dieser Stelle tauchen Frage: Aber bekanntlich gibt es drei Schü• die Fotos auf. Ihr Sohn sitzt still mit den ler oder che!las von Ritwik Ghatak: Kumar Buch da, und die Fotos sind Bestandteil Shahani, Mani Kaul und John Abraham. dieses Buches.

J.Abraham: Ich mag Ritwiks Filme. Ich Frage: Vielleicht um den Idealismus zu kon• meine, die Art, wie sie gemacht sind, seine trapunktieren. Wie würder, Sie die Tatsacne He rangehenswe i se. interpretieren, daß alle Mütter ihre Söhne ziehen lassen, ausgenommen den einen? Frage. Gibt es Leute, die Ghataks Schülern manchmal den Vorwurf machen, daß sie einen J.Abraham: Um den macht sie sich mehr Sor• anderen Ansatz als er verfolgen? gen, denn er hat einen Charakter, den er von ihr geerbt hat. Er kennt nur das eine J. Abraham: Warum sollten sie? Das ist doch Ziel. nicht notwendig. Ich glaube, ich bin von aller, großen Filmemachern beeinflußt, wie Frage: Es gibt Fotos von Skulpturen - Henry Ozu, Kurosawa, Bunuel, Antcnioni, Fellini; Moores 'Liegende Gestalt'. ja, bestimmt bin ich das. Aber man sollte sich nicht beeinflussen lassen, um sie zu J. Abraham: Auch 'Mutter und Kind'. imitieren. Ich mup mein 'eigenes' Werk hei— vorbringen. Ich muß einen eigenen Ansatz Frage: Eine Weile glaubte ich, Sie hätten entwickeln. Ich kann durch alles mögliche Materialprobleme gehabt, denn ich hatte den beeinflußt werden. Durch jeden Film. Es Eindruck, daß die Fotos sich nicht in den kommt darauf an, seine eigene Form, seine Film einfügten. In Tarkowskijs Film Serkalc eigene Herangehensweise zu finden. Das ist meine Meinung.

Frage- AMMA ARIYAM hat, wie man feststellen konnte, einige technische Mängel. Dennoch besitzt der Film eine eigentümliche Stärke, die auch in Ritwiks Arbeit vertreten ist, z.E. in Jukti Takkc Ar Gappo.Ich persönlich

88 gehen die Fotos direkt in die Emotionalitat Diese Bombe beispielsweise. Das ist ein Akt des Films ein. der Dummheit und des Wahnsinns.

J. Abraham: Wir müssen das im Zusammenhang Frage: Sie haben also in gewisser Weise in mit dem Jungen sehen, der ein bestimmtes diesem Film Stellung gegen das politische Buch liest. Abenteurertum bezogen?

Frage: Es ist nicht der Charakter, aber als J. Abraham: Ja. Regisseur kann man genauso von diesen Bil• dern hingerissen sein - war das Absicht? Frage: Das möglicherweise schließlich zum Selbstmord führt J. Abraham: Es ist ein Dialog mit Marx. J. Abraham: Ja... Zur Selbsttötung. Das hat Frage: Wenn ich sage, daß dieser Film kein nichts mit Politik zu tun, das ist nicht politischer Film ist, wie würden Sie rea• der richtige Weg, um Leute zu politisieren gieren? Frage: Um das 'politische Argument ' weiter J. Abraham: (lacht) Dies ist ein politi• voranzutreiben; wie würden Sie Tarkowskijs scher Film - die skizzierte Geschichte ist Filme einschätzen? Stalker zum Beispiel0 politisch. Ich habe in Kerala sehr viel mit Würden Sie ihn als politischen Film be• Politik zu tun. Ich kenne zahlreiche poli• zeichnen? tische Arbeiter. J. Abraham: Es ist ein politischer Film Frage: Lassen Sie uns auf Ihren Film Agra- ganz anderer Art. Darin steckt Leiden. Ich harathi 1 Kazhuthai zu sprechen kommen. Ha• liebe diesen Film, weil ich spüre, daß ben Sie in diesem Film irgendein politi• darin ein persönliches Leiden an der Ge• sches Bewußtsein gehabt? sellschaft steckt.

J. Abraham: Ich glaube, jeder Film ist ein Frage: Ein anderer interessanter Aspekt in politischer Film. Alles was mit der Gesell• AMMA ARIYAN sind die Tonaufnahmen - das schaft oder mit Menschen zu tun hat, ist Erdhafte der keralitisehen Perkussionsin• politisch. Entweder verkohlt man die Leute strumente, wie der chenaa, mrindagam, usw., oder man klärt sie auf. Alles ist poli• aber plötzlich hört man ein ghazal (ein tisch. Liebeslied). Warum haben Sie für diese Art von Struktur, wie Sie sie benutzt haben, Frage: Der Leichnam in AMMA ARIYAN ist eine ein ghazal genommen? Art Allegorie - ein Gleichnis für die Sack• gasse, in die die radikale Jugend Keralas J. Abraham: Wir haben in Kerala den Einfluß geraten ist, und die daraus resultierende des ghazal - selbst westliche Musik gibt es Selbsttötungsmanie, die sie erfaßt hat. hier.

J. Abraham: Es ist die Desillusionierung, Frage: Aber das ghazal ist weich, romanti• die sie zur Selbsttötung treibt; es hat in scher, und Sie stellen es dem mächtigen dieser Bewegung viele Selbsttötungen gege• Klang der chenda gegenüber; auch die von ben. Aber sie sind ernsthaft in dieser Be• Ihnen geschaffenen Bilder werden struktu• wegung engagiert. Es gibt diesen Zorn, die• rell gesehen gegen Ende des Films weicher, ses Gefühl, das sich nichts bewegt. 30 weich wie ein ghazal.

Frage: Aber liegt das daran, weil mit der J. Abraham: Es gibt auch Bach. Bewegung etwas nicht stimmt, oder weil mit den Personen etwas nicht stimmt? Frage: Ja, in der Kirche.

J, Abraham: In meinem Film stimmt mit der J. Abraham: Es gibt noch eine anderes Mu• Person etwas nicht. Es ist nicht die Bewe• sikstück. Das ist der in Kerala existieren• gung. Er ist ein Romantiker, ein Spitzenmu• den Einfluß - westliche Musik, ghazal und siker. Unversehens gerät er in die Politik. Er lernt die Schriften von Che Guevara und Karl Marx kennen; er macht einen Wandel durch. Er ist arbeitslos, er versteckt sich; es passieren Dinge ohne sein Zutun.

89 unsere eigene klassische Musik, die Musik wollen Sie genug Geld auftreiben, um einen der edakka. neuen Film zu drehen'

Frage: Ich hatte den Eindruck, als würden J. Abraham: Ich unserer Bewegung sammeln Sie gegen Ende den Ton und die Figuren et• wir Geld von Leuten, die es uns freiwillig was zurücknehmen. geben.

J, Abraham: Es ist eine lange Reise - die Frage: Glauben Sie, das reicht? Intensität auf emotionaler Ebene läßt eben• falls nach, sie sind auf dem Weg. Ihre J. Abraham: Ja, unsere Bewegung breitet Kräfte lassen nach... Ich reagiere ledig• sich aus. lich emotional. Frage: Sie haben unter anderem auch gesagt, Frage: Ich empfand das Licht im Film als daß die einfachen Leute, die Dorfbe«ohner, schwankend. ein Filmverständnis haben.

J- Abraham: Das liegt an der Projektion. J. Abraham: Ja, sie verstehen gute Filme. Ich gehe zu den Leuten. Ich stehe mit ihnen Frage. Wenn Sie mehr Zeit und Geld gehabt in direkter Verbindung. Aber sie kennen die hätten, glauben Sie, der Film wäre besser Filme nicht, sie haben keinen Zugang dazu. geworden? Nur wenige Filmclubs zeigen solche Filme, Das andere Kino beutet das Volk aus, aber ./. Abranam: Ich glaube nicht. Ich habe der, vor allem das Volk ist an guten Filmen in• Film nach dem verfügbaren Etat geplant. In teressiert. Wenn wir ihnen gute Filme zei• einer anderen Situation hätte ich etwas an• gen, werden sie sie verstehen. Sie können deres auf andere Weise geplant und anders dazulernen. Nun arbeite ich gegen die aufgenommen. Leute, die ein Interesse an schlechten FiImen haben. Frage: Mit anderen Worten, die Finanzierung ist das Entscheidende beim Filmemachen? Frage: Was halten Sie vom Fernsehen? Geo• graphisch gesehen hat es sich enorm ver• J.Abraham: So ist es. breitert.

Frage: Aber Sie sagten, Kino solle sein wie J. Abraham: TV ist eine absolut schlimme Kathaka1i, die Tradition der Künste ist Sache. Wieder die gleiche Art von kommer• nicht auf Geld aus - aber hier bestimmt das ziellem Zeug. Aber nicht alle haben einen Geld die Gestalt des Films. Fernseher. Das ist was für Leute, die sich das leisten können. Einfache Leute können J. Abraham. Kino kostet Geld. Ich habe ge• keine Fernseher haben, dazu fehlen ihnen sagt, ich nehme kein Geld von den Leuten. die Mittel, besonders der Arbeiterklasse. Wir haben diese Tradition. Frage: Aber si6 sehen sich die Fernsehpro• Frage: Ab6r dann braucht Kathakali solche gramme an. finanziellen Investitionen auch nicht. Wie J. Abraham: Ja. Aber das Fernsehen ist keine Gemeinde und schafft keine Gemein• schaft. Angenommen, ich bin in meinem Haus, mein Neffe spielt irgendwas, ich sehe fern, und ein anderer macht etwas anderes. Dann kommt jemand aus der Nachbarschaft herein, meine Schwester sieht sich vielleicht ein rajani-Programm an, jemand wirft einen flüchtigen Blick darauf.

Frage: Glauben Sie, daß das Fernsehen das Kino beeinträchtigt?

J. Abraham: Niemals. Kino ist wie eine Kom• mune. Da treffen sich die Leute. Sie gehen nicht nur ins Kino, um einen Film zu sehen,

90 sondern auch wegen des Gemeinschaftserleb• lerischen Filme ansehen, und darum gelten nisses . sie (die Filme) als elitär .

Frage; Aber der technische Fortschritt J. Abraham: Es ist sinnlos, Filme zu drehen fragmentiert die Gesellschaft. und sie in Dosen aufzubewahren.

J. Abraham: Das Kino nicht. Es ist, als Frage: Aber das ist nicht die Schuld der ginge man in einen Tempel. Filmemacher. Nicht alle Filmemacher können solche Aktivisten sein wie Sie. Frage: Angenommen, man böte Ihnen an, eine Fernsehserie zu drehen. Würden Sie anneh• J. Abraham: Darum mache ich ihnen ja auch men? gar keinen Vorwurf und lehne sie nicht ab. Es ist ihre Entscheidung. Ich habe meine J. Abraham: Vielleicht. Ich brauche Geld. Entscheidung getroffen; sie machen das auf ihre Weise, es ist ihre Haltung. Meine Hal• Frage: Wollen Sie durch Ihre Bewegung, tung und Einstellung ist anders - das ist durch Odessa, nur ein Bewußtsein für den alles. Ich habe ihnen nichts vorzuwerfen. guten Film schaffen oder auch für die Me• chanismen des Systems, in dem die Menschen Frage: Ist die Kommunikation eines der Pro• leben? bleme? J. Abraham: Ja. J. Abraham: Das primäre ist die Betrachtung guter Filme. Dann kommt alles andere. Das Frage: Was ist mit dem Kino der Mitte'' ist eine Sache für politische Arbeiter. Frage: Was halten Sie vom Gebrauch von Sym• J. Abraham: Sie machen das gleiche auf an• bolen? dere Weise, das ist alles. Ihr Ansatz ist der gleiche - sie machen den gleichen Feh• J. Abraham: Symbole sind nicht notwendig. ler. Sie lösen das Problem, sie regen nie• Wenn ich etwas nicht direkt sagen kann, be• manden auf. Tarkowskij ist anders - er ver• nutze ich Symbole, ansonsten wird alles re• stört, greift an, provoziert. duziert auf Symbole. Frage: Vielleicht, weil er gegenüber sich Frage: Die Arbeit der Sozialarbeiter, der selbst ehrlicher war? politischen Arbeiter, ist nicht die eines Künstlers - wollen Sie damit sagen, daß Sie J. Abraham; Ja, darum. Ich drehe keine mit dem Film nicht auch eine Botschaft ver• Filme, um den Leuten zu gefallen oder um mitteln wollen? bei ihnen anzukommen oder um sie glücklich und zufrieden zu machen. Wir haben vor zwei J. Abraham: Ich will ihnen durch gutes Kino Jahren die Odessa-Bewegung begründet, mach• Kultur bringen. ten Vorführungen für die Leute, die Filme (Neem Annapurana, Samskara) gefallen ihnen, Frage: Das heißt durch Ihre Bewegung, aber und sie 3ehen sie - bis zum Ende. nicht durch Ihr Kunstwerk. Aus: Indian Cinema, Directcrate of the In- J. Abraham: Durch mein Kunstwerk werden sie dia Film Festival, 1987 ihr Leben begreifen. Sie müssen das Leben sehen, wie es i3t , reagieren, aber nicht dem Eskapismus verfallen. Ich will nicht, Nachruf auf John Abrahaa (1937-1988) daß sie phantasieren - Fluchtphantasien entwickeln. Ich will, daß sie das Leben Für alle, die John Abraham gekannt haDen. besser verstehen - das ist meine Haltung war die Nachricht über seinen Tod am letz• zum Kino. ten Samstag in Calicut ein Schock. John war nicht nur ein hervorragender Regisseur, Frage: Eine andere Behauptung, die gemacht sondern ein Mensch, den man einfach nicht wurde, war, daß die Leute sich keine künst• übersehen konnte. Er war ein Bilderstürmer, ein Träumer, Poet, Intellektueller und Außenseiter, alles in einer Person. Aber vor allem war er ein Mensch, der viel Ver-

91 ständnis zeigte, in einer Welt, die ihn sem Film mit, der in Bombay abgedreht oftmals mißverstand. wurde, und zwar verkörperte er einen Wahr• Er hatte das, was ein französischer Film• sager . kritiker einmal 'Brillanz aus Gründen der Abrahams erste eigene Regiearbeit war Selbstverteidigung' nannte. Er besaß wenig Vidhyarthigale Ithile Ithile (Hier entlang, Respekt gegenüber dem Establishment. Er war Studenten!), die 1970 herauskam. Der Film kein Freund von Produzenten und Verleihern. erhielt einen nationalen Filmpreis für das Er hat seine Verachtung gegenüber pseudoin- beste Buch. Dann kam Agrharathi le Kazuthai tellektuelien Filmkritikern sehr offen ge• (Ein Esel in einem Brahmanen-Dorf, 1S78), zeigt. Er war nicht auf Publicity aus und der phantastische Kritiken bekam und John so starrköpfig und stur, daß die Leute den über Ntcht bundesweit bekannt machte. Nach Umgang mit ihm als schwierig empfanden. Aussage von Freunden wurde John zu diesem John lebte und arbeitete an Projekten, die Film inspiriert, als er einmal riesige Pla• viele für aussichtslos hielten. Aber John katwände von Schauspielern in Madras sah. brachte sie immer erfolgreich zu Ende. "Wenn sie Helden werden können, werde ich Seine letzte Arbeit ist dafür ein gutes aus einem Esel einen Superstar machen", Beispiel. 1978/79 sprach John immer wieder soll John gesagt haben. Und dann begann die davon, eine Filmbewegung zu begründen, an Jagd nach dem Esel. der .die Masse der Landbevölkerung beteiligt Das war typisch für John Abraham. Viele sein sollte. Er sagte, daß sein nächster seiner damals exzentrisch wirkenden Taten Film ein vom Volk finanzierter sein wurde. und Projekte sind heute legendär. Als er "Ich werde von Dorf zu Dorf ziehen und Geld seinen dritten Film drehte, Cheriyachente sammeln", erzählte er immer seinen Freun• Kroora Krityangal (Die bösen Taten des Che- den. Niemand glaubte ihm. Nicht einmal, als riyachente, 1979), vsranlaßte er Adoor die Zeitungen darüber berichteten, wie John Bhasi, einen malyalamisehen Filmkunstler eine Trommel schlagend von Dorf zu Dorf reiferen Alters, auf eine hohe Kokospalme wanderte und Geld sammelte. Nach sechs Jah• zu steigen, entfernte dann die Leiter und ren produzierte er AMMA ARIYAN. Er und forderte ihn auf - sehr zu Bhasis Leidwesen seine Freunde gründeten Odessa, eine Film• - nun wieder herunterzuklettern. Schließ• bewegung im Dienste der Massen, die dem lich tat der Schauspieler, was er von ihm Volk gute Filme vorführte und noch vor• verlangte - es blieb ihm nichts anderes üb• führt. John war einfach ein Mann mit un• rig - , weil John sich weigerte, ihm die glaublichlicher Kraft und Energie, Leiter bereitzustellen, Bhasi wurd6 für über Johns frühe Jahre ist wenig bekannt, seine schauspielerische Leistung in diesem denn er sprach kaum über sich. Er wurde im Film ausgezeichnet. Juni 1937 in einem Dorf in Kuttanand gebo• Etwas ähnliches geschah, als John während ren und machte seinen Abschluß in Wirt• schaftswissenschaften an einem College nahe der Dreharbeiten an diesem Film das Rohma• Kottayam. Seine Mutter starb, als er noch terial ausging. Mit viel Mühe beschafften sehr jung war, und John wuchs bei seinem Freunde 1000 Fuß FiImmaterial. Das Team Großvater auf, der ihn in seiner frühen wartete. Die Schauspieler warteten. Es ist Liebe zum Kino bestärkte, indem er ihm er• schwer zu sagen, was John an diesem Tag tat laubte, häufig ins Kino zu gehen und ihm - auf dem Weg zum Drehort sah er jedenfalls bereits in jungen Jahren eine Filmkamera einen Teich mit Enten. Er belichtete die schenkte. 1000 Fuß Material und sagte die Dreharbei• ten ab! Nach dem College wurde John kaufmännischer Angestellter bei einem Versicherungsunter• In den 70er Jahrer. war John in Trivandrum - nehmen in Bellary, der Life Insurance Cor• dort, wo er sich immer wieder befand - auf poration. Aber die kreative Seite in ihm der Straße. Obwohl er ein sehr gefragter ließ sich nicht unterdrücken. Ende der 60er Mann war. Die Leute machten sich seine ein• Jahre quittierte er die Arbeit bei der LIC fache Lebensweise zunutze. Er gab den und ging zusammen mit Freunden zum Studium Filmclubs seine Filme zur Vorführung, die nach Poona, an das Film and Television In• ihm häufig dafür nur ein Trinkgeld bezahl• stitute of India (FTII). 1969 machte er ten. Er stellte seinen Namen für linksge• dort als Jahrgangsbester, ausgezeichnet mit richtete Publikationen zur Verfügung, deren einer Goldmedaille, seinen Abschluß. Kurze Herausgeber sich am Ende als kommerzielle Zeit später beteiligte er sich an zwei Geschäftemacher entpuppten. Er pflegte oft Filmen. Er assistierte Mani Kaul bei Uski zu sagen, daß er einfach nicht glauben Roti und arbeitete als Regieassistent an könne, wie 'roh' manche Leute seien. Jah- dem -FiIm Trisandhya, der nie in den Verleih kam. John spielte sogar in die•

92 relang wurde John ausgebeutet. Schließlich von John Abraham inspirierte gute Arbeit zog er nach Calicut. fortführt. Vielerlei Dinge hat man über Johns allzu große Vorliebe für Alkohol gesagt. In der Ajit Pillai, in: The Sunday Observer, Juni Tat war dies eine Schwäche, die ihn bis zu 1987, zit. nach: Katalog des Filmfestivals seinem Tode quälte. John war Schnapstrin• von Trivandrum, 10.-24. Januar 1988 ker; Rum war sein Lieb 1ingsgetrank , obwohl er auch Arrak nicht verschmähte. Er sprach .jeder Art von Hochprozentigem zu. Seine Film: Trinkerei brachte ihm häufig Scherereien din. £r wurde mehrmals wegen 'Erregung öf• 1978 Vidhyarthigale ithilo ithile (Hier fentlichen Ärgernisses' festgenommen. Die entlang, Studenten), s/w, Polizei mochte nicht glauben, daß der Mann, National Award für das beste den sie verhaftet hatten, der Regisseur Drehbuch. Ein an die Adresse John Abraham war. Er hielt wichtige Verab• von 3tudenten gerichteter Film über redungen nicht ein, und in den 70er Jahren die Sinnlosigkeit gewaltsamer war ein Stadium erreicht, in dem kein Pro• Aktionen. duzent mehr bereit war, seine Filme zu fi• Agrharathilo Kayudai (Ein Esel in nanzieren. einem Branmanen-Dorf),s/w Aber er stand seine Pechsträhne durch, en• Nationaler Filmpreis als bester gagierte sich in der Odessa-Bewegung und Tamil-Fi Im von 1978, Satire war jahrelang nahezu im Untergrund. John über einige Aspekte brahmanischer Abraham verschwand einfach. Das nächste, Bigotterie und bramahmschen was man von ihm hörte, war, daß er am Aberglaubens Strand von Fort Cochin ein Straßenstück 1983 Cheriyachente Kroora Krityangal (Die aufgeführt hatte. Seine Darsteller waren bösen Taten des Cherr/an), s/w, die Zuschauer. Kunst muß das Volk miteinbe• Auszeichnung für den Hauptdarsteller ziehen, pflegte John stets zu sagen. Adoor Bhasi als besten Schauspieler Als er dieses Jahr zur Vorführung von AMMA des Staates. ARIYAN nach Bombay kam, empfanden es die 1986 AMMA ARIYAN Journalisten als sehr sonderbar, daß er sehr wenig über sich und seinen Film er• zählte. "Schreiben Sie nicht über mich, schreiben Sie über Odessa, die Filmbewegung. Die ist wichtig, nicht John Abraham", sagte er ih• nen. Johns Besuch in Bombay war wie eine Wieder• vereinigung mit seinen Freunden und För• derern aus den Tagen des Filminstituts. Viele boten Odessa ihre Hilfe an. Die NFDC (National Film Development Corporation) versprach, Johns nächsten Film zu finanzie• ren. Das Blatt hatte sich für John zum Bes• seren gewendet, als er starb.

Sein Tod war sonderbar. Er war am Freita• gabend mit Freunden zusammen; sie hatten getrunken, und dann hatte er den Vorschlag gemacht, auf das Dach eines Gebäudes zu klettern. Mühsam erklommen sie das Dach und setzten ihr Trinken fort. John rezitierte gerade ein Gedicht, als er "einfach ab• stürzte". Er wurde mit schweren Schädel Ver• letzungen ins Krankenhaus eingeliefert. Am frühen Samstagmorgen erlag er einem Herzan• fall. Johns Tod ist ein sehr schwerer Schlag für den Malayalam-FiIm. Man kann nur hoffen, daß Odessa, die Filmbewegung, mit der er so eng verbunden war, weiterleben wird und die

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