Fahnen Flattern Dem Film Voran
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Kultur genügte am Anfang auch mir. Aber jetzt worfen. Ich bin an langfristigen Allianzen KINO will ich die Welt zum Besseren verändern“, und Lösungen interessiert“, sagt er und sagt er. sieht auf die kleine rote Aufnahmelampe Er legt den Kopf schief und stützt die seines Diktiergeräts. Fahnen flattern Hände auf den Knauf seines Holzstockes, „Das ist mir alles viel zu politisch jetzt“, den er zwischen seinen Beinen aufgestellt sagt er. hat. In diesen Momenten scheint er einem „Die Welt ist politisch, Steve“, sagt sein dem Film voran seiner alten, sanften Lieder entstiegen zu Bruder David aus der Ecke der Hotelsuite. sein. „Morning Has Broken“, vielleicht, Yusuf Islam sieht ihn nachdenklich an. Das 57. Festival von Cannes „Moon Shadow“, „Wild World“, „Lady Dann lässt er sich vom Fotografen die Bil- d’Arbanville“ – das Lied, das er seiner da- der zeigen, die der von ihm gemacht hat. stand im Zeichen der Politik: Mehr maligen Freundin Patti d’Arbanville wid- Er wählt die aus, auf denen er am weisesten als die Anti-Bush-Polemik von mete – oder eben „Peace Train“. aussieht. Wie ein Heiland. Michael Moore überzeugte Walter Er wirkt wie „Father and Son“ in einer Ein paar Stunden später steht er zwi- Salles’ Ché-Guevara-Hommage. Person. Eine kindliche, freundliche Sehn- schen einem Uno-Mitarbeiter und einem sucht nach Verständnis und Harmonie Musikmanager auf der Bühne des kleinen ls die junge Frau sich ihre Nase put- steckt in dem Mann. Sie trieb ihn in den Kinos im Tribeca Film Center. Im Saal zen will, zieht sie eine Serviette her- siebziger Jahren als Botschafter zur Unicef sitzen Journalisten und Fans. Der Uno- Avor und entfaltet diese. Und was und später als eine Art unabhängiger Frie- Mitarbeiter sagt, dass die kleinen Dinge sieht man dort, schwarz auf rot? Das Kon- densemissär in die irakischen Grenzgebie- wie Small Kindness jetzt wichtig seien wie terfei Ché Guevaras, in das sich die Frau te. Anfang der Neunziger wurde er beim nie. Zivilcourage werde immer mehr zu ihre hübsche Nase schnäuzt – eine Szene Versuch, britische Geiseln aus Bagdad aus- einer entscheidenden Kraft in der Welt. aus Tony Gatlifs Film „Exils“, der im Wett- zulösen, selbst fast zur Geisel. Er taumel- Der Manager sagt, dass die „Majikat“-DVD bewerb der am Sonntag zu Ende gegange- te voll mit gutem Willen durch die Welt, auf mit den Aufnahmen von der letzten US- nen Festspiele von Cannes lief. der Flucht vor seiner Vergangenheit. Tour aus dem Jahr 1976 alle großen Hits Ché ist schick, das weiß auch Jan, der Irgendwann aber entdeckte von Daniel Brühl gespielte Protagonist in Yusuf Islam den Wert von Cat Hans Weingartners Film „Die fetten Jahre Stevens wieder. Er gründete 1994 sind vorbei“. Der Held des deutsch-öster- ein eigenes Plattenlabel. Er ver- reichischen Wettbewerbsbeitrags prangert öffentlichte Best-of-Alben und den Ausverkauf der revolutionären Ideale steckte große Teile der Einnah- und Ikonen durch die Popkultur an: Mil- men in sein Hilfswerk Small lionen tragen Chés Antlitz als Aufdruck Kindness, das er Ende der neun- auf ihrem T-Shirt – doch in der Brust, über ziger Jahre begann. 2001 kam der es sich spannt, schlägt dabei so gut wie eine Vierfach-CD mit seinen Hits nie ein revolutionäres Herz. heraus, die Hälfte des Geldes Der 1967 im bolivianischen Dschungel spendete er dem Fond für die Op- ermordete Argentinier Ernesto „Ché“ fer des 11. September. Nach dem Guevara war der heimliche Superstar der jüngsten Irak-Krieg begann Small diesjährigen Festspiele an der Croisette. Kindness seine Hilfe für Bagdad. Omar Sharif, der den Revolutionär bereits In ein paar Stunden wird Islam 1968 in dem Film „Ché!“ verkörpert hatte, die US-Dependance eröffnen. Er PRESS SUN / BULLS und Gael Garcia Bernal, der ihn in Walter ist in das Land zurückgekehrt, in Künstler Islam, Prinz Charles* Salles’ neuem Film „The Motorcycle dem er so viele Platten verkauf- „Ich will die Welt zum Besseren verändern“ Diaries“ spielt, waren beide beim Festival te wie nirgendwo auf der Welt. in Cannes – und ließen Beobachter zu- So ein Land kann eigentlich nicht nur und ein 35-minütiges Exklusivinterview mindest für kurze Zeit den Eindruck ge- böse sein, glaubt er. mit Cat Stevens enthalte. winnen, der rote Teppich unter den Füßen „Es ist schwer für Amerika, die einzige Der Mann mit dem Stock winkt ins Pu- der Stars habe eine politische Bedeutung. Supermacht zu sein. Sie sind in einer blikum, ein bisschen Cat Stevens, ein biss- Drinnen im Festivalpalais verdammte Identitätskrise. Die Mehrzahl der ameri- chen Yusuf Islam. Er zeigt ein paar der laute Amerikaner Michael Moore in kanischen Seelen würden doch lieber in Lichtbilder von bosnischen Kindern und seinem Propagandafilm „Fahrenheit 9/11“ Frieden leben. Aber sie haben offensicht- wünscht den Gästen viel Spaß bei der die jüngere US-Außenpolitik und kämpfte lich nicht die richtige Führung, um das zu Vorführung des Konzertes, das im Febru- mit jedem Bild für die Abwahl George W. tun. Sie leben in ständiger Furcht. Aber ar 1976 in Williamsburg, Virginia, aufge- Bushs; draußen demonstrierten Kultur- diese Angst könnten sie leicht überwin- zeichnet wurde. schaffende gegen das Ansinnen des fran- den, wenn sie mehr von der Welt wüssten. Dann geht er von der Bühne, auf seinen zösischen Staats, die Sozialversicherungs- Wenn sie verstehen würden, dass es nicht Platz, der sich fast mathematisch genau in konditionen zu verschärfen. Kino und Rea- notwendigerweise eine Bedrohung ist, der Mitte des Kinos befindet. Der Film be- lität schienen diesmal nicht zwei gründlich wenn jemand die Welt anders sieht als man ginnt, Cat Stevens singt auf der Leinwand getrennte Welten, sondern nahezu vereint selbst. Vielleicht kann ich dabei helfen. Ich mit weißem Hemd und wehenden Haaren im Dienst des politischen Protests. kenne beide Welten“, sagt er. vor kreischenden Fans „Moon Shadow“. Als dann noch die Gendarmen der Côte Glaubt er wirklich, mit seinen Liedern Yusuf Islam sitzt im Saal, den Kopf ein d’Azur den Knüppel aus dem Sack ließen Menschen wie den amerikanischen Präsi- bisschen schief gelegt, die Hände ruhen und versehentlich ein paar Journalisten denten überzeugen zu können? auf seinem Stockknauf. Ein ernsthafter, vertrimmten, fühlten sich Cannes-Kenner „Bush interessiert mich nicht. Es gibt weiser Mann zu Gast in seinem eigenen fast an das Jahr 1968 erinnert, als das Fes- eine Wahl, da wird der Präsident rausge- Popkonzert. tival infolge der Studentenunruhen abge- Für einen Moment stimmt alles im brochen wurde. * Beim Besuch einer von Yusuf Islam gegründeten isla- Leben des Mannes. Die wilde, wilde Welt So oft war in Cannes, wo die Menschen mischen Schule in London (2000). steht still. gern in Arme und Reiche, Wichtige und 168 der spiegel 22/2004 Cannes-Film „The Motorcycle Diaries“: Selbsterfahrungstrip vom Wohlstand ins Elend Dokumentarfilm „Mondovi- no“ etwa versucht Jonathan Nossiter, die Verstrickungen im weltweiten Weinhandel aufzudecken – und scheitert in einer wirren Reise um den halben Erdball. NIKO / LORENVU / NIVIERE / SIPA PRESS / NIVIERE SIPA / LORENVU NIKO Auch das Geld, mit dem Cannes-Gäste* Filme heute finanziert wer- Roter Teppich mit Symbolkraft? den, kommt aus aller Welt von immer mehr verschiede- Unwichtige geschieden werden, schon lang nen Finanziers; deshalb sind nicht mehr vom Klassenkampf die Rede: längst auch Stars, Sujets Im Schatten von Globalisierung, Irak- und Geschichten globalisiert. Krieg, dem Konflikt zwischen dem Islam Der Hongkong-Star Maggie und der westlichen Welt hat sich das Fes- / E-LANCE MEDIA / REUTERS ERIC GAILLARD Cheung zum Beispiel war in tival spürbar politisiert. Cannes-Star Moore: Der laute Amerikaner Cannes in dem französischen In Tony Gatlifs Film „Exils“ brechen Film „Clean“ zu sehen, der in zwei algerischstämmige Franzosen (gespielt ändert. Jan (Brühl), Jule (Julia Jentsch) Kanada, London und Paris spielt – und von Romain Duris und Lubna Azabal) von und Peter (Stipe Erceg) fühlen sich als Pio- wenig später in Wong Kar-wais in China Paris ins Land ihrer Eltern auf und durch- niere eines neuen Klassenkampfs, wenn gedrehtem Science-Fiction-Opus „2046“, queren Frankreich, Spanien, Marokko und sie in Berliner Vorstadtvillen einbrechen, in dem ein Zug rund um den Globus jagt. Algerien. Ein Film über die Trennung der aber nichts stehlen, sondern den Reichen Wong Kar-wai zeigt prächtiges Großkino, Ersten von der Dritten Welt, in dem die nur einen Schock verpassen wollen, indem geprägt von unbändigem Stilwillen und fast Übergänge fließen: Die verfallenen Fa- sie in ihre Welt eindringen. Als sie einen todesstarrer Schönheit, viele andere Regis- brikhallen Andalusiens erscheinen schon Top-Manager (Burghart Klaußner) in ihre seure aber setzten auf die rauen, unruhigen wie Vorboten der von Erdbeben zerstörten Gewalt bekommen, entführen sie ihn auf Bilder digitaler Kameras: In der weiten Gebäude in Algier, die Straße von Gibral- eine Almhütte. Welt braucht auch der Filmer leichtes Rei- tar wirkt plötzlich sehr schmal. „Ich glaube, dass wieder eine Jugend- segepäck, um auf Unvorhergesehenes rea- Auch der junge Ché (Bernal) und sein bewegung entstehen könnte, die unsere gieren zu können. Es kann aber auch pas- Freund Alberto (Rodrigo de la Serna) Welt verändern möchte, statt sie so hinzu- sieren, dass er sich in der Digitaltechnik machen sich im großartigen Roadmovie nehmen, wie sie ist“, sagt Brühl. Der Film ganz und gar eitel selbstbespiegelt wie der „The Motorcycle Diaries“ des brasiliani- „Die fetten Jahre sind vorbei“ beschreibt iranische Regisseur Abbas Kiarostami in schen Regisseurs Walter Salles auf den