DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Hörspiel/Hintergrund Kultur Dienstag, 01.09.2015 Redaktion: Hermann Theißen 19.15 – 20.00 Uhr

Radikal leben – Die englischen Künstler und Penny Rimbaud Von Martina Groß

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© Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript -

Atmo: Auto rattert über die Schotterpiste, Flaschen klappern. Gee: „It must be very sunny today“

Autorin: Nach einer kurvenreichen Fahrt über enge Landstraßen durch das frühlingshafte Essex und am Ende über anderthalb Kilometer Schotterpiste sind wir in Dial House angekommen.

Musik : Penny Rimbaud: Somewhere Over the Rainbow - in a lullaby Atmo: Garten - Vögel

Autorin: Über dem hölzernen Gartentor wehen tibetanische Fahnen. Ein solides zweistöckiges Haus, dessen rote Klinkerfassade warm im Abendlicht leuchtet. Bis hoch zum Giebel ranken Rosen. Ein gepflasterter Weg führt zu einem Hintereingang; die Tür ist aus Bootsplanken gebaut. Ein großer Gemüsegarten. Die ersten Frühblüher leuchten in den Beeten. Auf der Wiese stehen Narzissen und Krokusse. Zwei braune Hennen laufen eifrig pickend herum. Tiefer im Garten stehen alte Ulmen und Eichen, die im Sommer Schatten spenden. Bänke und ein Tisch; verstreut stehende Stühle. Die Regenbogenfahne im Wind. Skulpturen aus gefundenen Gegenständen und die steinerne Büste einer Frau im Gras, vielleicht aus einem Schlosspark. Das Windspiel aus verrosteten Dosen und der weite Blick über Wiesen und Felder. Es ist gut wieder hier zu sein.

Musik : Penny Rimbaud: Over the Rainbow - Zwischenspiel Atmo : Garten

Autorin: Wenn ich Freunden erzähle, ich fahre nach Dial House, vermuten manche, das wäre eine Art Wellness-Urlaub: im Grünen gärtnern, gesundes vegetarisches Essen, Tai Chi und viel Zeit zum Ausspannen und Relaxen. Vieles was hier seit Jahrzehnten gelebt wird, ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Atmo : Feuer - Penny: „Hello, I‘ll get more wood.“ - okay.

O-Ton : Gee Vaucher You can‘t decide to be radical, it‘s the way you approach something, isn‘t it?

Übersetzerin: Man kann sich nicht entscheiden, radikal zu sein. Es geht darum, wie man an etwas herangeht.

O-Ton 2 : Penny Rimbaud I don‘t think this is radical what I do. I mean what‘s radical? … It is sensible.

Übersetzer 1: Was ich tue ist nicht radikal. Es ist vernünftig.

Ansage : Radikal leben Die englischen Künstler Gee Vaucher und Penny Rimbaud Ein Feature von Martina Groß

Atmo : Am Feuer-Unterhaltung, Vogel zwitschert G: You know Pen is going to Brandenburg. Aut: When? P: In May 24th. A: What are you talking, going to talk about? P: Well, he thinks I am gonna talk about how ... you can live surrounded by capitalist system? Something like that.

Autorin: Penny hat in einer Eisenschale ein Feuer entzündet. Das erste in diesem Jahr. Er legt Holz nach. Seit seinem Herzinfarkt im letzten Jahr dampft der schmale Mann mit den schulterlangen weiß-blonden Haaren elektrische Zigaretten. Gee sitzt sehr entspannt auf einer Bank, lange Haare, Pony und Lachfalten. „Nächsten Monat fährt

Penny nach Brandenburg“, erzählt sie. Penny soll berichten, wie man mitten in einem kapitalistischen System gut leben kann. Die Erwartungen wird er nicht erfüllen, Penny glaubt, vielen Linken fehle jedes Verständnis für seine Haltung des „Laissez faire“, sie würden auf politische Lösungen setzen. - Ich tue das auch.

Atmo : Am Feuer -Unterhaltung: G: You too? P: I thought we convinced you last time. G: Bugger. Shall I take you back now? (LACHEN)

Musik: Penny Rimbaud, Oh Magick Kingdom Intro

Autorin: Zwei Wochen nach dem 11. September 2001 hatte ich in Wolverhampton auf einer Konferenz über Punk Penny kennengelernt, Dichter, Agent Provocateur, Philosoph und Schlagzeuger der Anarcho-Punkband .

O-Ton : Penny Rimbaud: I don‘t really see any differences between any of the various disciplines if you wanna call it that. And I move from one to the other without really noticing. You know I made up a haiku the other day, which was, I have to try to remember it. Tides turn, birds sing and we do the washing up. You know we‘ve got different activities and I really, there might have been times in my life where I was trying to push something but certainly in the last ten or fifteen years of my life I've lost any interest in pushing things. Things will grow of their own accord.

Übersetzer 1: Ich sehe keinen Unterschied zwischen den verschiedenen Disziplinen, wenn man sie so nennen will. Ich bewege mich zwischen ihnen, ohne dass es mir auffällt. Ich habe gerade einen Haiku geschrieben. Gezeiten wechseln, Vögel singen und wir machen den Abwasch. Wir haben unterschiedliche Aktivitäten und in meinem Leben gab es Zeiten, wo ich versucht habe, etwas anzustoßen, aber in den letzten zehn oder fünfzehn Jahren interessiert mich das nicht mehr. Dinge wachsen von alleine.

Musik : Magick Kingdom Intro

Autorin: Penny lud mich damals nach Dial House ein, wo ich auch Gee traf. Eine Frau voller Energie und Tatendrang, jederzeit bereit eine neue Idee umgehend in die Tat zu setzen. Seitdem hat sich eine Freundschaft entwickelt und eine permanente Auseinandersetzung. Darüber wie Veränderungen in der Gesellschaft möglich sind, über die Verantwortung und Möglichkeiten jedes einzelnen und über die große Politik, an die sie nicht glauben. Wahlen sind so ein Thema, wo wir diametral entgegengesetzte Ansichten vertreten.

O-Ton: Penny I mean I just bow into despair when people in the big Iraq protest were walking along with „Not in my name“ posters. Well in whose fucking name was it? That‘s what people vote for. They vote to be represented and almost inevitably that will involve, if not military war, certainly economic war, vicious competition, vicious nationalism, all sorts of absolutely inhumane forms of behavior. And there is no point what so ever in claiming that it is anything but „in your name“ if you vote. So it‘s morally reprehensible to vote.

Übersetzer 1: Es hat mich in blanke Verzweiflung gestürzt, als Menschen gegen den Irak Krieg mit Postern „Nicht in meinem Namen“ demonstrierten. In wessen verdammten Namen denn sonst? Das ist es, was die Leute wählen, sie geben ihre Stimme, um repräsentiert zu werden und dazu gehört unausweichlich, wenn kein militärischer Krieg, dann sicher ein Wirtschaftskrieg, bösartiger Wettbewerb, bösartiger Nationalismus, alle Arten absolut unmenschlicher Verhaltensweisen. Es ist Blödsinn zu sagen, es sei nicht in „deinem Namen“, wenn du wählst. Deswegen ist es moralisch verwerflich zu wählen.

O-Ton : Gee I think people can be self governing. I am not talking about going backwards, of course I do think things were better when they were smaller and there is inter- communication and interdependence, but the units if you like and I am not talking

about communism, I am not talking about any of the isms, I do believe in people, but obviously I believe in the goodness of people, I suppose.

Übersetzerin: Ich glaube, Menschen können sich selber regieren. Damit will ich die Geschichte nicht zurückdrehen, obwohl ich denke, es war besser, als alles übersichtlicher war, es Kommunikation untereinander und gegenseitige Abhängigkeit gab, kleinere Einheiten. Damit meine ich nicht Kommunismus oder irgendwelche ismen. Ich glaube an die Menschen, offensichtlich glaube ich an das Gute in den Menschen.

Musik Autorin: Als ich zum ersten Mal in Dial House war, war ich erstaunt über das schöne Anwesen, die geschmackvolle Einrichtung, mit dem, was andere weggeworfen haben, die Kunst überall, über den idyllischen Garten und das abgewaschene Geschirr. Berühmt war das Haus schon damals, weil es zwischen 1977 und 1984 Zentrale und Ruhepol der anarcho-pazifistischen Punkband Crass gewesen war, 16 Erwachsene und Kinder lebten hier. Ich hatte mir Punk anders vorgestellt, nicht als Landkommune. Als ich Penny kennenlernte, recherchierte ich für eine Sendung über die Sex Pistols, The Clash und andere Punk Größen. Schnell war klar, dass Crass da nicht wirklich reinpassen, Crass waren anders ….

Musik: Fight Wars Not Wars / Rival GTribal Rebel Revel

Autorin: Crass hatten ihr eigenes Plattenlabel und sie verkauften ihre Platten preiswert, immerhin zwei Millionen. Mit den Gewinnen unterstützen sie andere Bands. Der Rest floss in eine Gemeinschaftskasse. Ihre multimedialen Konzerte organisierten sie selbst, häufig in Jugendzentren oder libertären Clubs. Am Ende wurde der Wasserkessel aufgesetzt, Tee gekocht und mit den Fans diskutiert. Flugblätter lagen aus, Informationen, darüber was in England oder auf der anderen Seite der Welt passierte und ganz praktisch: wie man sein eigenes Gemüse anbaut, Brot backt, ein Haus instand besetzt oder im Supermarkt klaut.

O-Ton : Gee We were not trying to change the world, we were just trying to share the experiences that we‘d had about the world. And of course we had a whole range of ages in the band.

Übersetzerin: Wir versuchten nicht die Welt zu verändern, sondern wollten die Erfahrung teilen, die wir in der Welt machten. Natürlich hatten wir Leute unterschiedlichen Alters in der Band.

Autorin: Penny und Gee waren zwanzig Jahre älter als der Jüngste in der Band. Sie schufen eine Plattform für verschiedene Bewegungen: Veganer Front, Tierbefreierinnen, Hardcore Punk oder Do-It-Yourself-Aktivisten. Das Aufkommen des Punk und der Aufstieg Margaret Thatchers verliefen fast zeitgleich. Die Premierministerin war damals auf der Höhe ihrer Macht und der Umbau Großbritanniens, die Zerschlagung der Gewerkschaften, die Privatisierung von Staatsunternehmen sowie der Abbau des Sozialstaates in vollem Gange. „Es gibt keine Gesellschaft … nur einzelne Männer und Frauen und ihre Familien“, propagierte Thatcher, „es ist unsere Pflicht, für uns selbst zu sorgen und dann für unsere Nachbarn“.

Einspielung : Stop the City

Crass mischten sich ein, sie unterstützten die Bergarbeiter und sie waren daran beteiligt, neue Protestformen auszuprobieren, die im März 1984 den Londoner Finanzdistrikt lahmlegten. Ein politischer Karneval, getragen von kleinen Gruppen, die unabhängig voneinander agierten. Ihr Protest richtete sich gegen Kriegsprofiteure, die Banken und die Rüstungsindustrie. Die gewaltfreie, spielerische Aktion gilt als Blaupause für globalisierungskritische Proteste von Seattle bis zu Occupy Wallstreet.

Musik :Step Outside

Musik : Crass - Taking Sides You must learn to live with your own conscience, your own morality, your own decision, your own self. You alone can do it. There is no authority but yourself.

O-Ton : Penny I mean Crass encouraged people to consider their lives, to question their lives, to question the role that they've been mostly conditioned to accept, etc, etc, to look for a deeper self. I mean the slogan „There is no authority but yourself“ is exactly what everything Crass did was about.

Übersetzer 1: Crass machte Leuten Mut, ihr Leben zu überdenken, es infrage zu stellen. Ihre Rolle zu hinterfragen, in die sie eingepasst wurden, Mut, tiefer in sich hineinzuhören. Der Slogan „Es gibt keine Autorität außer dir selbst“, genau darum ging es bei Crass.

Musik: Crass - Punk is Dead

O-Ton: Gee You think we were monsters. Did you? (Lachen) Yeah, I suppose so, we were very serious on stage. I mean we had something to say and we felt it was very important for us to say it.

Übersetzerin: Wir waren auf der Bühne sehr ernst. Wir hatten etwas zu sagen und es war uns wichtig, das auszusprechen.

Autorin: Ich hatte Crass nie auf der Bühne gesehen, als ich Penny und Gee kennenlernte. Was mir sofort gefiel: Sie lebten, was sie predigten, und sie missionierten nicht. Obwohl beide überzeugte Vegetarier sind, hielten sie mich nie davon ab, Fleisch zu essen. Natürlich kannte ich Gees Film „Semi Detached“, in dem die Schlachtung einer Kuh im Loop läuft. Überhaupt, ich kannte einige ihrer Bilder; einmal gesehen,

bleiben sie im Gedächtnis haften: Die Freiheitsstatue, mit vor dem Gesicht zusammengeschlagenen Händen, oder der Soldat in schwarz-weiß, in dessen müden, abgekämpften Gesicht rote Lippen und ein Zahnpastalächeln leuchten, oder die verkohlte Hand, die in einen Stacheldraht greift: „Your Country needs you!“ Für das Cover ihrer Single „Bloody Revolutions“ hat Gee das bekannte Foto der Sex Pistols als Vorlage genommen: Die Pistols lässig an eine Mauer gelehnt, in Gees Gouache hat sie die Körper der Musiker mit den Köpfen von Reagan, Thatcher, dem Papst und der Freiheitsstatue gemalt. Damals collagierte Gee viel, nutzte Vorgefundenes aus Lifestyle-Magazinen oder Werbeanzeigen, kombinierte es mit Gemaltem, oft sehr photorealistisch und komplex.

O-Ton : Gee I think the small things are incredibly important. It’s very easy to do the grand gesture, but it’s the fine detail that really makes it different.

Übersetzerin: Die kleinen Dinge sind sehr wichtig. Die große Geste ist einfach, aber es ist das feine Detail, das den Unterschied macht.

Autorin: Zwei Jahre lebte Gee in den 70er-Jahren in New York als Illustratorin für die Politik- Redaktionen des New York Times Magazines und anderer Zeitschriften. Dann wurde sie aufgefordert, eine Illustration für eine Reportage über den Bruder des damaligen Präsidenten Carter zu entschärfen.

O-Ton : Gee They said: we can‘t use this. Laughs. We can‘t use it, could you take this bit out? So I did. I did take it out, but I felt very unclean afterwards. I thought if that ever happens again, I am not doing it.

Übersetzerin: Sie sagten: Das können wir so nicht bringen. Können Sie das hier rausnehmen? Ich machte es, aber ich fühlte mich danach sehr schmutzig. Nochmal mache ich das nicht.

Autorin: Gee hat seitdem einen eigenwilligen Weg gefunden, die Kontrolle über ihr Werk zu behalten, von ihrer Kunst zu leben, ohne Kompromisse einzugehen, oder nach den Gesetzen des Marktes zu spielen.

O-Ton : Gee I am not interested at all,(laughs), nothing is for sale, (laughs), no, I don‘t put my things up for sale really. Very, very rarely, I have everything that I've done really. I kind of like, well, I don‘t like the idea of private collections, when nobody can see anything. I don‘t like that very much. I like it if I do prints, that‘s a different matter that‘s fine. Limited edition, a big limited edition, that‘s accessible financially to a lot of people.

Übersetzerin: Nur sehr selten biete ich etwas an. Ich besitze wirklich alles, was ich gemacht habe. Mir gefällt die Idee privater Sammlungen nicht besonders, wenn niemand mehr Zugang hat. Drucke sind etwas anderes, das ist okay, große limitierte Auflagen, das können sich viele Leute leisten.

Atmo : Küche: Gee kocht

Autorin: Während Gee das Abendessen vorbereitet und Brot backt, denke ich an ihre zahlreichen Ausstellungen in den letzten Jahren. Die große Retrospektive 2012 in der New Yorker Boo-Hooray Galerie. Einzelausstellungen und Beteiligungen in Los Angeles, San Francisco, Antwerpen und London mit neuen Werken. Die alten Crass- Sachen gehören inzwischen zum Kanon von Punk. Ihre Bilder erscheinen auf Einbänden von Standardwerken und einige Plattencover gehören zum Bestand des Victoria and Albert Museums. Gee könnte mit ihren Bildern viel Geld verdienen; aber das interessiert sie nicht.

Atmo : Küche: Gee kocht

O-Ton : Gee No, (laughs), in a word „no“. I mean since we started publishing obviously one needs to try and get some return on the books because this is the only way we get enough money to print the next project, so and it is kind of why I do the prints, the prints of the old Crass stuff, because they sell and it sort of compensates for the more radical stuff if you like or new stuff that doesn't sell so well.

Übersetzerin: Also seitdem wir Bücher verlegen, müssen wir natürlich etwas Geld durch die Bücher reinbekommen, es ist die einzige Möglichkeit genügend Geld für das nächste Projekt zu haben. Deswegen gibt es die Drucke mit den alten Crass-Sachen, die finanzieren die radikaleren oder neueren Sachen, die sich nicht so gut verkaufen.

Autorin: Vor ein paar Jahren hat Gee ihren eigenen Verlag reanimiert, die Exitstencil Press, Ein Wortspiel aus EXIT, Ausgang, einer Fluxus Musiktheatergruppe, zu der sie und Penny in den frühen 70er-Jahren gehörten, Stencil, der Schablone zum Graffiti sprayen und Existentialismus. Sie veröffentlicht, was sie für wichtig hält: Bücher, CDs, Filme und Drucke, eigenes, Pennys Texte und Aufnahmen oder Arbeiten befreundeter Künstler..

O-Ton : Gee Doing what you want. (laughs). Yeah, but I mean, yes, but we haven‘t got this far without mutual support, you know that we have lived with no money, we have lived with bills coming in, we think, well, where we gonna get it from? And then something turns up so, something always turns up, cause I am a bit of a Mr. Micawber and I am a very fortunate person. , I have to say, I don‘t get, I don‘t get fretful about money, I really don‘t, I can‘t it is not in my nature to get worried about it. It is kind of relax, some is gonna turn up, isn‘t up, because you wanted to, you needed to. So and it does and I had been very fortunate,) I have always been fortunate (schiebt Brot in Ofen)

Übersetzerin: Tun, was man möchte. Ja, aber ohne gegenseitige Hilfe wären wir nicht so weit gekommen. Wir haben ohne Geld gelebt, Rechnungen kamen und wir dachten, woher sollen wir das nehmen? Und dann ergibt sich etwas, immer. Ich bin wie diese Dickens-Figur Mister Micawber, ein sehr glücklicher Mensch, ich mache mir keine Sorgen um Geld, das ist nicht in mir angelegt. Entspann dich, etwas wird auftauchen, weil du es willst, du es brauchst. Und das passiert. Ich habe immer Glück gehabt.

Atmo : Küche: Gee kocht Musik

Autorin: 1945 in London geboren, wuchs Gee als Kind einer Arbeiterfamilie in der Ford-Stadt Dagenham auf. Die Kinder aus Arbeiterfamilien waren als Nachschub für die Fabriken vorgesehen. Gee wollte Kunst studieren, ohne Schulabschluss.

Musik: Benjamin Britten Symphony Op 4

O-Ton : Gee But, I was very determined …

Übersetzerin: Ich war sehr entschlossen.

Autorin: Mit 15 verließ sie die Schule, wurde an einer Kunstakademie angenommen. Sie eignete sich eine klassische Kunstausbildung an und traf Penny Rimbaud.

O-Ton : Gee Totally new world. I‘d never met anybody like Penny Rimbaud.

Autorin: Zwei Jahre älter als Gee war Penny nach dem Rauswurf aus zwei Privatschulen an die Kunstschule gekommen.

O-Ton: Gee I came from a very working class, poor background, he came from a very privileged background. He was naughty, I was naughty. So, (laughs), not in the sense. You got into trouble at school when you were questioning and you couldn't sit still and you already realized that there was a pile of shit going on here and lies and so yes, I mean that was the basis of that.

Übersetzerin: Ich kam aus der Arbeiterklasse, wir waren arm, er kam aus einer sehr privilegierten Familie. Er war ungezogen, ich war ungezogen. Man bekam Ärger in der Schule, wenn man etwas infrage stellte, man konnte nicht stillsitzen und wusste schon, es gab hier viel Scheiße und Lügen, das war das Fundament.

Musik : Miles Davis: Now is the Time

Autorin: In den ausgehenden fünfziger Jahren war die Atmosphäre gleichermaßen geprägt durch Freude über den Frieden wie durch den Horror, den die Bilder von Auschwitz und Hiroshima auslösten. Die drängende Frage: Wie konnte es dazu kommen?

O-Ton : Penny It‘s not the system, it is not the state and it is not the church. It is none of those things, it is each individual and its fear, peoples‘ utter fear of what they know intrinsically know, in existentialism calls it responsibility, Zen calls it being. I mean it is no morality within the non-material world, because it is simply as it is.

Übersetzer 1: Es ist nicht das System, es ist nicht der Staat und nicht die Kirche, keines davon, es ist jedes Individuum und seine Angst, sie haben Angst vor ihrer tatsächlichen Verantwortung, wie die Existentialisten es nennen. Zen nennt es Sein. In der immateriellen Welt gibt es keine Moral, denn es ist wie es ist.

Autorin: Das grundlegende Misstrauen gegenüber autoritären Strukturen wurde angefüttert durch Einflüsse, die aus den USA kamen: Rock‘n Roll, Pop Art, Beatniks, :

O-Ton : Gee What I got from it, it was to be myself, be my own person, be my own healer, be my own adventurer, everything really. I mean, before that everything seemed to be that you relied on someone else to do it for you, either your parents or state and the thing was, you took it on to yourself, to heal yourself, to grow and to do what you wanted to do really.

Übersetzerin: Für mich hieß es, ich selbst zu sein, eine selbstbestimmte Persönlichkeit, Heilerin, Abenteurerin, alles. Davor schien man von anderen abhängig zu sein, dass sie etwas für einen tun, entweder die Eltern oder der Staat. Es ging darum, es selbst in die Hand zu nehmen, sich selbst zu heilen, zu wachsen und zu tun, was man wirklich tun wollte.

Musik: The Inn of the Sixth Happiness - Soundtrack

Autorin: Ende der 60er-Jahre mietete Penny Dial House. Damals eine Ruine im Nirgendwo des Londoner Grüngürtels; aber nur fünf Meilen entfernt von der Endstation der Tube in Epping. Er wollte raus aus dem Bildungssystem der Kunstschule, wo er lehrte. In seiner Autobiographie „Shibboleth“ beschreibt er, wie er seinen Studenten Freiheit predigte. Die erklärten ihm, mit der Sicherheit eines gut bezahlten Jobs, sei das eine schöne Theorie.

O-Ton : Penny Rimbaud Yeah, I just wanted to live in a different way, I didn't like the way, I didn't like the sort of order and ownership and, yeah. Well, I didn't really know, it was an experiment, I took the locks off the doors, metaphorically as much as realistically, I wanted to see what would happen when I didn't have a job when I didn't have, I wasn't looking for

anything, I was quite interested to see what would happen. And then people started turning up from nowhere.

Übersetzer 1: Ich wollte anders leben. Mir missfiel diese Art Ordnung und Eigentum. Es war ein Experiment, ich entfernte die Schlösser von den Türen, so metaphorisch wie real. Ich wollte sehen, was passieren würde, wenn ich keine Arbeit hatte und keine suchte. Ich suchte gar nichts. Mich interessierte, was passieren würde, und dann tauchten Leute aus dem Nichts auf.

Atmo : Feuer, mit Unterhaltung

Autorin: Das Feuer in der Schale wärmt noch. Es ist inzwischen kurz nach elf. Wir trinken Wein und Gee unterhält sich mit einem Waldkauz, als ein junger Mann mit Rucksack aus dem Dunklen auftaucht. Dial House zieht nach wie vor Suchende an.

Atmo : Feuer, mit Unterhaltung G: EWITT ... M: Hi. Is Penny inside? G: Hello! A: Hi G: Come forward, lets see you. Friend or foe? M: a friend G: Take a seat. I can see. Hello. I expected you. You are cold. M: Yeah. I guess. Hi hello. G: This is Martina A: Hi G: I am Gee. M: Hi Gee. G: Are you hungry? Thirsty? M: A bit I guess G: Would you like a sandwich of some sort, there is some fresh bread its been baked.

Autorin: Marco kommt aus Slowenien. Er hat den letzten Bus aus Epping verpasst und ist gelaufen. Das Abendessen hat er auch verpasst, aber es gibt frisches Brot.

O-Ton : Penny Anyone will get a bed for the night and food. But in the morning, they‘ll be asked, what‘s your plan? What do you want? I mean generally speaking no one has ever just turned up and then continued to live here. We have to get to know people before we are gonna have them as full time residents. Anyway, so I said, well look what do you want? He really wanted to see how this place works, talk about ideas creating something similar himself in Slovenia, as his family own a farm.

Übersetzer 1: Jeder kann über Nacht bleiben und bekommt zu essen. Aber am Morgen werden sie gefragt, was hast du vor? Was willst du? Bisher ist noch nie jemand einfach aufgetaucht und geblieben. Wir müssen die Leute besser kennenlernen, bevor wir sie als Mitbewohner akzeptieren. Auch Marco habe ich gefragt: Was willst du? Er wollte sehen, wie dieser Ort funktioniert, erzählte von Ideen selbst etwas Ähnliches in Slowenien aufzubauen, wo seine Eltern einen Hof besitzen.

Atmo: Türglocke und Jazz im Wohnzimmer

Autorin: Marco bleibt für drei Nächte, dann sagt Gee, sie brauche mehr Ruhe. Es gibt Menschen, die länger in Dial House wohnten, viele Künstler, Freunde oder Fremde, die Freunde wurden, die Zeit und einen Ort brauchten, um abseits vom Alltag zu arbeiten oder herauszufinden, wie es weitergehen soll. Bei meinem Besuch wohnt neben Marco ein Graphikdesigner aus London hier; seit einem Jahr. Aber das Haus ist kein bequemer Ort, es gibt immer etwas zu tun, und im Winter ist das Leben ziemlich hart. Dann kommen deutlich weniger Gäste, die über Nacht bleiben. Es kann bitterkalt in dem alten Haus werden, der Wind zieht durch die Fenster und es ist immer etwas feucht und kühl. In den Betten liegen Heizdecken, aber das Aufstehen am Morgen kostet Überwindung. Die gemütliche Bibliothek ist dann das einzige

Zimmer, in dem es warm wird. Bis weit hinein ins Frühjahr wird der Allesbrenner dort mit Holz gefüttert, in dem Kessel darauf, das Wasser für den Abwasch erhitzt.

Musik : Ornette Coleman - Summertime

Autorin: Ganz anders im Sommer, dann stehen die Türen weit offen und Kommende und Gehende geben sich manchmal die Klinke in die Hand. Es gibt verschiedene Workshops, einen Filmclub für Kinder und „Toms fantastischen Kunstclub“, den einer der Nachbarsjungen vom Bauernhof nebenan vor Jahren ins Leben gerufen hat. Immer hat das Haus kreative Geister und schräge Gäste angezogen, wie Gee erzählt, nur selten solche, die ernsthafte Probleme bereitet haben.

O-Ton : Gee It was a very, seufzt, a rare guest in a sense that he was very damaged, alcoholic, aggressive and he had been, he had been here before.

Übersetzerin: Ein seltener Gast, sehr kaputt, Alkoholiker, aggressiv. Er war vorher schon mal da.

Autorin: Eines Abends saß er wieder im Wohnzimmer, erzählt Gee, ein Crass-Fan. Wie allen boten sie ihm ein Bett für die Nacht an - im Wohnwagen. Schon morgens war er volltrunken, nachmittags erwartete Gee eine Gruppe Kinder. Der Mann weigerte sich zu gehen. Sie drohte, die Polizei zu rufen. Crass und die Polizei! Der Fan glaubte es nicht und verbarrikadierte sich im Wohnwagen, auf den er schrieb: „Ich wohne hier“. Gee rief die Polizei. Erst kamen zwei junge Polizisten, dann sechs weitere, inklusive eines Chiefinspectors.

O-Ton : Gee So by this time, oh, this is being going on, there is eight police (laughs), is getting worse by the minute and he‘s got has him locked himself in the caravan. So anyway the police around the caravan. I said, I don‘t want any man handling, I want it very

soft, gentle. I said, he is somebody who has suffered something, I don‘t know what it is, but he is sick. So, please, no heavy hands. No. Fine.

Übersetzerin: Inzwischen waren acht Polizisten da, im Minutentakt wurde es schlimmer, er hatte sich im Wohnwagen eingeschlossen, die Polizisten standen drumherum. Ich sagte, ich will nicht, dass er grob behandelt wird, vorsichtig bitte. Er ist jemand, der beschädigt ist, ich weiß nicht, was er hat, aber er ist krank.

Autorin: Schließlich brachten die Polizisten den Fan zum Bahnhof. Nicht ohne ein Sandwichpaket von Gee. Währenddessen outete sich auch der Chiefinspector als Crass-Fan.

O-Ton : Gee And it was so odd, the whole situation because here is supposedly the enemy, you know the filthy pigs and all that, which I had never liked at all, and then there is the fan in the caravan locked in, you know, sort of creating hell for everybody and I thought, you just couldn't write this script, people would never believe it. I thought, oh wow, isn‘t it strange so many Crass people that followed Crass are inside the system. How inside could you be then that? And I think given the choice I‘d rather have somebody like that there then not. How are you gonna change this if you don‘t have somebody who seems to, seems to still be with the same sort of philosophy about life and moral about life. So may be he‘ll make the change, he is in a very good position to do so as chief-inspector. So that is kind of like odd, very odd, very memorable

Übersetzerin: Die ganze Situation war verrückt: hier war der angebliche Feind, die „Bullen“, das mochte ich sowieso nie, und dann ist da der Fan, der allen das Leben zur Hölle macht. Das konnte man nicht erfinden, niemand hätte das geglaubt. Es ist seltsam, so viele Crass-Anhänger sind Teil des Systems. Könnte man tiefer drin sein? Aber wenn ich die Wahl hätte, hätte ich lieber so jemanden in dieser Position als niemanden. Wie will man etwas verändern, wenn nicht mit Leuten, die eine ähnliche

Philosophie vom Leben vertreten und Moral besitzen. Vielleicht verändert er etwas, als Chiefinspektor ist er in einer guten Position.

Atmo : Penny am Schreibtisch, Musik ( Black Man von den Blooody Beetroots)

Autorin: Im Garten stehen drei selbstgebaute schlichte Holzhütten. In einer wohnt Penny. Ein übersichtlich eingerichteter Raum. Große Fenster. Auf dem Holzschreibtisch liegen geöffnete Briefe, eine elektrische Zigarette samt Zubehör und ein kleiner Laptop. Penny tritt immer noch regelmäßig auf, vor allem mit Jazzmusikerinnen: Free Jazz. Bei den Konzerten rezitiert er seine Gedichte. Auch eine Oper hat er geschrieben: The Magick Kingdom. Es gibt immer neue Projekte. 2012 fragte ihn die italienische Electroband The Bloody Beetroots, ob er nicht Lust hätte einen Song mit ihnen aufzunehmen.

O-Ton : Penny I went up on Youtube and watched their gigs and they have some massive gigs in America on Youtube, sort of a thousands of kids. All sort of waving their, their victory signs, all white generally speaking .... All with sort of with dental cosmetics, all very pretty and beautiful and American and I just thought, fucking hell, if I could get that song, that poem performed in front of those kids, then may be they gonna get some idea of what is happening in their sort of glorious American dream.

Übersetzer 1: Ich ging auf Youtube und sah mir ihre Auftritte an, sie haben einige große Konzerte auf Youtube mit tausenden von Jugendlichen, alle ihre Siegeszeichen zeigend, alle Weiß, alle mit guten Zähnen, alles sehr hübsch und schön und amerikanisch. Ich dachte mir, verdammt, wenn ich vor ihnen den Song, das Gedicht vortragen könnte, dann bekommen sie vielleicht eine Ahnung davon, was in ihrem großartigen amerikanischen Traum vor sich geht.

Atmo : Penny am Schreibtisch, Musik

Autorin: Es ist eine seiner selten gewordenen politischen Äußerungen. „A Black Man in the White House“ hat Penny unmittelbar nach der Wahl Barack Obamas geschrieben. Als es die Illusion gab, mit einem schwarzen Präsidenten würde in den USA auch der Rassismus überwunden sein. Stattdessen führten Maßnahmen wie der „Krieg gegen Drogen“ zu einer neuen Rassendiskriminierung, der Kriminalisierung und massenhaften Inhaftierung schwarzer Amerikaner und zu ungezählten Tötungen.

Atmo : Musi Ende Gong - God Bless America

Autorin: Als ich Penny kennenlernte war er intensiv auf der Suche nach einem großen Verlag für seine Bücher. Es fand sich keiner. Heute erscheinen sie kongenial gestaltet bei Bracketpress, einem britischen Kleinstverlag. Die Manuskripte stehen in einem kleinen Holzregal. Kladden mit schwarzem Buchrücken und aufgeklebten Titeln: Shibboleth“, Pennys Autobiographie und die Geschichte von Crass, die in mehrere Sprache übersetzt ist. Gedichte, „The Diamont Signature“, daneben „This Crippled Flesh“ - „Dieses verkrüppelte Fleisch“, ein Buch über Philosophie und Schmutz. Über Gewalt und Obszönität. Eine kritische Auseinandersetzung mit Descartes': „Ich denke, also bin ich“. Pennys Arbeiten wollen irritieren, zunehmend ist sein Weltverständnis spirituell geprägt, beruft sich auf die Einheit allen Seins.

Atmo : Garten Idler Academy

O-Ton : Tom Hodgkinson His work is so uncompromising, nobody would ever publish it.

Übersetzer 2: Sein Werk ist so kompromisslos, niemand wird es jemals veröffentlichen.

Autorin: London. Notting Hill: Die Idler Academy, eine „Akademie für Müßiggänger“. Eine Mischung aus Buchladen und privater Volkshochschule. Im Programm: Latein, Ukulele oder Nähkurse. Gegründet hat die Akademie der Schriftsteller, Journalist und

Herausgeber des „Idler Magazines“ Tom Hodgkinson. Ein literarisch-philosophisch- libertäres Magazin. Es erscheint einmal im Jahr. Penny publiziert regelmäßig darin. Tom war über Crass auf Penny und Gee aufmerksam geworden.

O-Ton : Tom Hodgkinson That was the good thing about Crass, they've sold millions of records and it was a very, very effective piece of communication which was deeply liberating for hundreds thousands, may be millions of people and it let to things like a revolutionary mayor in Iceland and that is just one part of it. It let to a whole generation of working class children and young people being exposed to sophisticated, political ideas around anarchism, Proudhon, Kropotkin, Jean Paul Sartre.

Übersetzer 2: Das Gute an Crass war, dass sie Millionen Platten verkauft haben, eine sehr wirksame Kommunikation, die für Hunderte, Tausende, vielleicht Millionen sehr befreiend wirkte und die zum Beispiel zu einem revolutionären Bürgermeister in Island geführt hat. Diese Kommunikation ging in einer ganzen Generation Arbeiterklassekindern und Jugendlichen auf, die mit den komplexen und politischen Ideen rund um den Anarchismus konfrontiert wurden, mit Proudhon, Kropotkin, Jean Paul Sartre.

Autorin: Tom Hodgkinson war Ende der 90er-Jahre nach Dial House gekommen, um eine Reportage für sein Magazin zu schreiben. Er fand dort Anregungen für eigene Bücher, die zu Bestsellern wurden.

O-Ton : Tom Hodgkinson Particularily in my first two books, „How to be Idle“ and „How to be free“ they came out of conversations that I had with Penny and Gee and but among many other things, but they recommended certain books for me to read and so through their conversation and by their example I was inspired to put down some of those ideas in my own books, yeah.

Übersetzer 2: „Anleitung zum Müßiggang“, „Die Kunst frei zu sein: Handbuch für ein schönes Leben“, entstanden aus Unterhaltungen mit Penny und Gee. Sie empfahlen mir Bücher zum Lesen und unsere Gespräche und ihr Beispiel inspirierten mich zu einigen Ideen in meinen eigenen Büchern.

Autorin: 2014 hatte Tom Hodgkinson Penny und Jon Gnarr, den ehemaligen Bürgermeister von Reijkavik zu einem Gespräch in die Idler Academy eingeladen. Der Komiker und Anarchist Gnarr wurde nicht müde, den Einfluss von Crass für sein Selbstverständnis zu betonen: „Sei genau der, der du sein willst solange du niemandem dabei schadest. Du hast die Wahl“ Ein weiterer Crass Slogan, der ihn begeistert habe, lautet: „Anarchie ist Freiheit. Aber keine Freiheit ohne Verantwortung. Freiheit ohne Verantwortung wird Chaos. Und Chaos ist keine Anarchie. Anarchie ohne Verantwortung ist Chaos.“

Atmo : Am Feuer, mit Unterhaltung Penny: I am not an anarchist. You are wasting your time on me. Lachen. Well. I am a neo-liberal. (Lachen) Starts. Well, they got some much better ideas than most people on the left have. It is just in practice, I don‘t think they are being as honest to their principles. Gee: Are there any of them? Penny: Yeah, they are very opposed tax, they are very opposed to centralization, they are very opposed to all sorts of things which are sort of quite anarchistic.

Übersetzer 1: Ich bin kein Anarchist, du verschwendest deine Zeit. Ich bin ein Neoliberaler, die haben viel bessere Ideen als die meisten Linken. Tatsächlich leben sie aber nicht nach ihren Prinzipien. Sie sind gegen Steuern, gegen Zentralisierung, gegen vieles; was ziemlich anarchistisch ist.

Atmo : Am Feuer, mit Unterhaltung

Libertarianism is now always perceived particularily in the American form and has been very rightest, but actually libertarinism is really essentially leftist, well, essential is nothing at all but it isn‘t the right of the right.

Übersetzer 1: Libertarismus wird vor allem in der amerikanischen Form als sehr weit rechts verstanden, aber tatsächlich ist Libertarismus im Wesentlichen eher ziemlich Links. Nichts ist wesentlich, aber es ist nicht das Recht der Rechten.

Autorin: Für mich ist Dial House ein hervorragendes Beispiel dafür, dass freie Entscheidungen und die Überwindung eigener Begrenzungen im aktiven Handeln hin zu einer Gemeinschaft möglich sind, getragen von gegenseitiger Hilfe. Das funktioniert offenbar nur in einem Wertesystem, das nicht von Eigeninteresse und Profitmaximierung geprägt ist, sondern von moralischer Integrität, die sich im Tun zeigt. Ohne das passt vieles, was hier an Alternativen gelebt wird, auch zu einem neoliberalen Umbau der Gesellschaft.

Penny : You know we are living proof of something or other and mainly it‘s bloody hard work, and I don‘t know many people who are willing to do bloody hard work for other people, in that way.

Übersetzer 1: Wir sind der lebende Beweis für etwas und meistens ist das verdammt schwere Arbeit. Ich kenne nicht viele Menschen, die so schwer für andere arbeiten wollen.

Autorin: Selbst unter den Besuchern von Dial House habe ich niemanden getroffen, der das auf Dauer wollte. Zu wenig Privatheit, die Kälte im Winter, die viele Arbeit, die große Disziplin die es braucht. Aber es ist ein Vorbild, ein Kompass, in welche Richtung es gehen könnte.

Atmo : Tai Chi

What about the hips?

Autorin: Gee ist nicht gegen jedwede staatliche Einrichtung, das National Health System, zu dem jeder Brite Zugang hat, hält sie für ein gutes System, nur plädiert sie für den aktiven Patienten, der sich selbst weiterinformiert. Zweimal in der Woche unterrichtet sie in den Gemeindezentren von Epping und North Weald Tai Chi - als Form der Selbstermächtigung.

O-Ton : Gee I love teaching Tai Chi, I love teaching it to very old people who have been thrown on the health heap and they could expect these things at their age and I think, na no, come on we‘ll get you sort of leveled out a bit more. So you can stand up straight, you don‘t look like a bloody victim. You can walk out in the street. And you often get them saying: Oh, I went out at night, I haven‘t done that for years, cause they feel confident. And I think: right, that‘s good, that‘s a good knock on effect, your grand children will see that, you know it is a ripple effect. If I am gonna keep chipping away that‘s exactly what I am gonna do, chipping away, undermining, I am not interested in head on collisions with authority. I don‘t go on marches, because I would have a head on collision if I saw somebody being brutalized.

Übersetzerin: Ich unterrichte sehr gerne Tai Chi, gerade sehr alte Menschen, die gesundheitlich abgeschrieben sind, was sollten sie in ihrem Alter schon erwarten? Von wegen, wir können ihr Niveau anheben, so dass sie gerade gehen können und nicht wie ein verdammtes Opfer aussehen. Sie können wieder auf die Straße gehen.“ Oft erzählen sie: „Ich war zum ersten Mal seit Jahren wieder abends unterwegs“, weil sie sich sicher fühlen. Das ist toll! Ein Dominoeffekt. Ihre Enkel können das sehen, und es macht die Runde. Ich meißel an etwas herum, das tue ich, herummeißeln, ich unterhöhle. Direkten Zusammenstößen mit der Autorität gehe ich aus dem Weg. Ich bleibe Demonstrationen fern, weil ich sofort eingreifen würde, wenn jemand misshandelt wird.

Atmo : Garten am Morgen, Hühner

Autorin: Das Zentrum von Dial House ist der ein Hektar große Garten. Für die Erdung und Selbstversorgung seiner Bewohner vom späten Frühjahr bis weit in den Winter. Im Frühjahr muss Obst und Gemüse dazu gekauft werden. Vom Markt in der Stadt, dem nächsten Biobauernhof oder es wird mit Freunden getauscht, die selbst Nahrungsmittel herstellen. Vereinzelt gibt es noch Rosenkohl und Broccoli und Ruccola aus dem Gewächshaus, vor dem selbst gezogene junge Pflanzen in Töpfen stehen, bereit zum auspflanzen. Die dunkle, schwere fruchtbare Erde muss noch umgegraben werden.

O-Ton : Gee Supposedly I am a naturally perma culture person, but quite honestly before the term was used and somebody came here and said: can we do a perma culture course and you know, because you do it? I said, do I? I don‘t know. (laughs). I thought that was really funny. I said: yes, sure, it would be great. Yeah, I mean it‘s just being imaginative about what you do, making something from nothing, sharing, how you buy things or not buy things. How save your seeds, how you prolong this, prolong that. It is everything really, It is sustainable living.

Übersetzerin: Wahrscheinlich bin ich der geborene Permakulturmensch. Wirklich, bevor der Begriff benutzt wurde, war jemand hier und fragte, ob wir einen Permakultur Kurs veranstalten könnten, weil ich das ja praktiziere. Ich fragte: „Tue ich das? Keine Ahnung.“ Ich fand das sehr komisch und sagte: „Ja, na klar, großartig.“ Es geht darum, Phantasie zu entwickeln, in dem, was man tut, aus Nichts etwas zu machen, zu teilen, was kauft man oder was nicht, wie man Samen aufhebt, wie man etwas verlängert. Es ist alles, es ist ein nachhaltiges Leben.

Atmo : Arbeit im Garten, Penny hämmert, Gee fegt

Autorin: Ein Freund hat Steine gebracht, mit denen Gee den gepflasterten Weg von Pennys Hütte zum Haus ausbessert. Während Penny ein neues Teehaus baut. Das alte hat

der letzte Sturm zerstört. Fundament, Holzstreben, Fenster und ein neues Dach. Das meiste Material wird wiederverwendet. Das neue Teehaus wird noch schöner als das alte. Freunde und Nachbarn kommen auf einen Plausch vorbei und begutachten die Fortschritte. Pete zum Beispiel. Sie kennen sich seit den 80er-Jahren. Damals organisierte sich die Gemeinde North Weald Bassett zu der auch Dial House gehört mit rund 6.000 Einwohnern gegen die British Telecom, eines der weltweit größten Telekommunikationsunternehmen. Das ist fast 40 Jahre her.

Atmo : Pete P: 37 years. G: Oh no P: We were all young and spritely then, do you remember? G: Yeah. ... I don‘t swear you don‘t need to put any dipps and dopps into it (Laughter) Me: We dont have to in Germany. G. You can swear as much as you like in Germany. P: In fact you can swear as much as you fucking well like. G: Yeah. Pe: I don‘t know any words in German …

Autorin: Im Zuge des neoliberalen Umbaus unter Thatcher wurde 1984 das General Post Office privatisiert und in Post und Telefon aufgeteilt. Aus der Telefongesellschaft entstand die British Telecom. Von der Politik, gegen die sie mit Crass protestierten, waren Penny und Gee nun unmittelbar betroffen. Es gab große Pläne für North Weald, das im Speckgürtel Londons und gleichzeitig im geschützten Grüngürtel liegt.

O-Ton : Peter Wilkinson Their plans was to turn the farm and all the farm into an elderly persons village with a twice a day bus service to the village to go and get their pension and on top on the hill where the radio station redempt was, they wanted to demolish that and to put an eleven story hotel on the top on the hill which you be ought to see to the coastline and then all around of it they wanted to build 900 houses. And with a golf course, two

golf course, a public course and a private course, the public one was very small and the private ones that would be very big.

Übersetzer 2: Ihr Plan war es, die Farmen in ein Dorf für ältere Menschen umzuwandeln, mit einem Bus, der zweimal am Tag ins Dorf fährt, damit sie ihre Rente abholen können. Auf der Anhöhe wollten sie die alte Funkstation abreißen und ein elfstöckiges Hotel bauen, von wo aus man die Küste sehen könnte, drumherum wollten sie 900 Häuser bauen. Und zwei Golfplätze, einen kleinen öffentlichen und einen sehr großen privaten.

Autorin: British Telecom hatte nicht mit dem Widerstand der Bewohner gerechnet. 25 Gruppen -, darunter der Bowling- und Reitverein - organisierten sich zu einer und sagten „nein“ zu den Plänen. Dial House war die Zentrale, monatlich gaben sie eine Zeitung heraus, die über den Stand der Dinge informierte.

O-Ton : Gee We fought hard on that first one to the point where they withdrew from the court case just before it started. And then they came back about three years later I think it was. But we had a lot of things in our favor, I mean nobody likes BT in this country and of course having won forced them to back down, people were feeling pretty strong and (laughs) confident about the next fight. ... So we won again. (laughs) So we had a huge party down in the village with a big barn dance and everybody celebrating and the rest of it, it was very good.

Übersetzerin: Wir kämpften so hartnäckig, dass sie den ersten Fall, noch bevor er vor Gericht kam, zurückzogen. Drei Jahre später kamen sie zurück. Aber wir hatten einiges auf unserer Seite, niemand mag British Telecom hier und natürlich, nachdem wir sie einmal zurückgeschlagen hatten, fühlten sich die Leute ziemlich stark und selbstbewusst für den nächsten Kampf. Wir haben wieder gewonnen. Wir hatten eine große Party unten im Dorf mit Tanz in der Scheune.

Musik Autorin: Der Gewinn gegen British Telecom bedeutete für Gee und Penny nur eine Atempause. 2002 wurde Dial House auf einer Auktion versteigert. In ihrem Auftrag aber nicht unter ihrem Namen bot ein Bekannter für sie mit. Der Strohmann wurde eingeschaltet, weil Penny und Gee befürchteten, dass der Auktionator sonst die Immobilie zurückgezogen oder den Preis in die Höhe getrieben hätte..

O-Ton : Gee And he was very good. So it wasn't until we knew all the owners had left, that we could rejoice. (laughs). We had a fake film company, BBC film company there, who had recorded it all, because he came in and said it was a documentary on the auctioneer and how they do auctions and stuff. So he had a BBC poster on the side of his cameras, all very professional. (laughs) (Regie: bitte stehenlassen unter Autorinnentext.)

Übersetzerin: Er war sehr gut. Erst als wir wussten, alle Spekulanten sind gegangen, konnten wir jubeln. Wir hatten eine gefakte Filmfirma da, BBC Filmfirma, die alles aufgenommen haben, er kam rein und erzählte, er würde eine Dokumentation über die Arbeit des Auktionators drehen. Deswegen hatte er einen BBC-Sticker an der Kamera, alles wirkte sehr professionell.

Autorin: Knapp 158.000 Pfund kostete das Haus. Utopisch viel Geld für Gee und Penny und plötzlich waren sie Eigentümer.

O-Ton : Penny I mean it was the first time I ever have been depressed in my life, and I was depressed for about a year. I wasn't happy with the idea of owning a place and being the owner, I didn't actually so much mind owning it, I did mind being the owner, there is a sort of settle difference in there.

Übersetzer1: Zum ersten Mal in meinem Leben war ich depressiv, ein Jahr lang. Ich war unglücklich über die Vorstellung, ein Haus zu besitzen und Eigentümer zu sein. Das Besitzen machte mir nicht so zu schaffen, wie Eigentümer zu sein. Das ist ein feiner Unterschied.

Autorin: Ohne ein über viele Jahre gebautes Netzwerk von Freunden innerhalb und außerhalb Großbritanniens, die ähnliche Werte leben, hätten sie den Coup nicht landen, das Haus nicht kaufen können. Für den Hauskauf veranstalteten Freunde, Fans und ehemalige Mitbewohner und Bandmitglieder Solidaritätsveranstaltungen oder liehen ihnen zinslos Geld. Inzwischen haben sie alles zurückgezahlt. Heute stellt sich nun die Frage, was aus dem Haus wird, wenn die beiden nicht mehr da sein werden?

O-Ton : Penny Actually quite quickly we came up with the idea of putting it into a trust, in other words giving it charitable status and I mean effectively by handing the house to the state, which is ironic for someone who has opposed this state and doesn't believe in the state, but the only way one could guarantee some form of perpetuity to a place like this and an institution like this is to make it charitable or a trust. It will be something on the ground of the sort of Center for the radical arts and horty culture meaning actually permaculture.

Übersetzer 1: Sehr schnell hatten wir die Idee, es in eine Art Stiftung zu übergeben, mit anderen Worten, ihm einen allgemeinnützigen Status zu geben, indem wir das Haus dem Staat übereignen, was etwas paradox ist für jemanden, der gegen den Staat opponiert hat und nicht an den Staat glaubt. Aber es war die einzige Möglichkeit, den dauerhaften Bestand dieser Institution zu garantieren, um daraus eine Stiftung zu machen. Es wird eine Art Zentrum für radikale Künste sein und für Permakultur.

Atmo: Abendessen

Musik : Penny Rimbaud, Oh Magick Kingdom

Absage: Radikal leben Die englischen Künstler Gee Vaucher und Penny Rimbaud Ein Feature von Martina Groß Sie hörten eine Produktion des Deutschlandfunks 2015. Es sprachen: Claudia Mischke, Christiane Bruhn, Josef Tratnik und Thomas Balou Martin Ton und Technik: Hendrik Manook und Anna Dhein Regie: Anna Panknin Redaktion: Hermann Theißen