Bad Alchemy 45 I
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BAD ALCHEMY 45 I. Andante un poco mosso - attacca 1 1984 2004 2 Ein Labelporträt von Michael Zinsmaier Eines Tages, so die Anekdote, betraten zwei gestylte Jugendliche den sagenumwobenen WAVE-Plat- tenladen in der Rue De Soeurs Macaron in Nancy um vielleicht in den Regalen nach dem neuesten Schmus zu suchen. Im Geschäft lief gerade die CD einer japanischen Noise-Band und die Disharmonien veranlassten einen der Beiden zu der Bemerkung, was das denn für eine Scheiße sei. Woraufhin der La- deninhaber ohne mit der Wimper zu zucken und ohne ein Wort zu verlieren die Lautstärke bis zur Uner- träglichkeit hochdrehte bis die Beiden die Flucht ergriffen. Dies sagt Einiges aus über Konsequenz und Philosophie von DSA. Der Ladeninhaber war Gérard Nguyen, 1951 als Sohn eines vietnamesischen Vaters und einer deut- schen Mutter geboren, in der von Rokoko-Prunk und Industrie gleichermaßen geprägten lothringschen 100 000-Einwohner-Stadt Nancy aufgewachsen und schon früh vom Morbus Musica Experimentalis befallen. Naturgemäß wenig linientreu zu den stilprägenden US-amerikanischen und britischen unabhängigen Labels wie Ralph Records, Rough Trade oder Recommended Records, versuchten die franko- phonen Vertreter der Free Musik und des Punks Anfang der 80er Jahre andere Wege zu gehen. Illusion Prod., Nato, AYAA oder das Kassetten-Label Tago Mago versprachen bezüglich Design und Grad an Strangeness weitere Verheißungen (aufgrund der Kunst- und Philosophiereferenzen gar eine Be- wusstseinserweiterung?) Vor zwanzig Jahren gegründet ist Gérard Nguyens Label (1988 kam der Laden in Nancy, 1998 der in Paris hinzu) heute allerdings eine der wenigen noch existierenden Firmen aus dieser Zeit mit Avantgar- de-Ausrichtung. Der Labelkatalog selbst liest sich heutzutage einerseits wie ein Kompendium der alter- nativen Avantgardeströmungen der letzten 30 Jahre, aber auch wie ein der Qualitätskontrolle verpflich- teter Gradmesser aktueller Tendenzen. DSA war eines der ersten Labels, das sich um japanische Künstler bemühte und Nippon ist bis heute der Schwerpunkt in einem ansonsten hybriden Programm geblieben. Die beiden (lange Zeit vergriffenen) Alben der immer eine auratische Exzentrik versprühen- den Phew, („Phew“ mit Czukay, Liebezeit und Plank in Köln und „View“ in Tokyo mit einheimischen Kollaborateuren Mitte der 80er Jahre aufgenommen) mit ihren schneidenden, unterkühlten, vorwegge- nommen Elektropunkstücken und dunklen Balladen setzten die Messlatte für die nicht gerade an man- gelndem Talent leidende Welt der japanischen Avantgarde ziemlich hoch. Ground Zero und Keiji Haino (dessen gerade in zwei Versionen erschienenes Black Album sich zum „Verkaufsschlager“entwickelt) veröffentlich(t)en auf DSA wie der 1914 geborene klassische Komponist Ifukube Akira, Optical 8 oder die inzwischen ihr Vorbild Pascal Comelade an Orginalität locker in die Tasche steckenden Pascals. Übrigens, Comelade, eigentlich die einzige Figur aus dem Label- Raster mit kommerziellem Potential, hat sich immer gegen die normalen Praktiken des Business ge- sperrt (Konzerte, Interviews), was ihn außer in Japan nie wirklich den Durchbruch schaffen ließ. Mittler- weile verwaltet er sich wieder selbst. Des weiteren spannt sich der Bogen von der New Yorker No-Wave - Legende Mars über den Neo-Anar- cho-Punk von God Is My Co-Pilot zum Improvisations-Duo Mark Glynne & Bart Zwier, von den Berlinern Sprung aus den Wolken zu den krautrockigen Genf, die französische Szene umfasst u.a. Ulan Bator, Etant Donnés oder den äußerst umtriebigen und überraschend zum Avant-Star gewor- denen Sylvain Chauveau (u.a. Mitglied von Acra, diverse Soloalben, Filmmusiken, Zusammenarbeit mit dem Schriftsteller Mark Z. Danielewski) „Die Gründung von DSA war irgendwie eine logische Konsequenz einer langen Vorgeschichte. Nach- dem ich wie die meisten, die Anfang der 50er Jahre geboren wurden, zuerst für die einheimische Pop- musik (Johnny Hallyday selbstverständlich) und später für die britischen und US-amerikanischen Beat- gruppen schwärmte, interessierte ich mich im Laufe der Zeit immer mehr für experimentellere Musik. Soft Machine, frühe Pink Floyd, Velvet Underground, Eno usw. In Nancy konnte man zu Beginn der 70er Jahre allerdings keine dieser Gruppen live sehen, weil sie niemand veranstaltete, wie man auch die wichtigen Filme dieser Zeit nicht sehen konnte. So dachten einige Freunde und ich, dann müssen wir das eben selbst machen. 1973 gründeten wir die Non-Profit Organisation ATEM und veranstalteten zu- erst ein kleines Film-Festival, das eine gute Resonanz fand. Als erstes Konzert organisierten wir CAN. Es entwickelte sich dann das Atem-Magazine, das von 1975 - 1979 existierte und sich mit den experi- mentellen Gruppen dieser Zeit auseinandersetzte. Das Magazin wurde dann eingestellt, aus Gründen, die jedem Herausgeber solcher Publikationen nicht unbekannt sind: fehlende Mitarbeiter, Distributions- probleme, Ermüdungserscheinungen usw., zudem musste man sich damals noch mit der Steinzeittech- nik (Schreibmaschine, Layout in Handarbeit etc.) herumschlagen. Aufgrund der vielen Kontakte mit Mu- sikern, die sich aus der Fanzinearbeit ergaben, drängte es sich irgendwann auf, ein Label zu gründen. Univers Zero, Art Zoyd, Fall Of Saigon u.a. erschienen auf Atem Records. Ich zog dann mit einigen Freunden nach Paris, von wo aus die Distanz zu London sich deutlich verringerte. Bei Recommended Records sprach ich mit Chris Cutler, der sich zwar über mein Throbbing Gristle - Badge mokierte, mir aber u.a. die erste This Heat vorspielte, die ich ganz außerordentlich fand. Im damaligen Recommended Studio Cold Storage in Brixton bekam ich innerhalb von fünf Minuten von Charles Hayward die Lizenz- rechte für die erste This Heat - LP. Ungefähr 1980 ging ich aus finanziellen Gründen zurück nach Nancy, Atem Records existierte nicht mehr, wo ich das New Wave-Duo KaS-Product kennenlernte und die nächsten Jahre betreute. 1984 gründete ich dann DSA.“ 3 „Was sich meiner Meinung nach in den zwanzig Jahren DSA am auffälligsten verändert hat, ist, dass die heutige junge Generation viel weniger neugierig ist als wir es zu unserer Zeit waren. Deswegen besteht auch keine Nachfrage mehr nach Informationen über Musiker, die früher Fanzines und kleinere Magazine lieferten. Es wird auch keine Musik mehr gesammelt. Wenn früher die Fans von einem Künst- ler, den sie schätzten auch die nicht so gelungenen Alben aus Fantum kauften, wird heute vor allem, auch von den noch an experimentelleren Sachen Interessierten, die gerade aktuelle Musik querbeet ge- kauft und das meist per Internet. Dazu kommt, dass die kleinen Läden nach und nach aussterben und es somit keine Orte mehr gibt, um Musik entdecken zu können bzw. sich beraten zu lassen. Die Auswahl in den großen Ketten wie Fnac wird einerseits immer kleiner, obwohl auf der anderen Seite immer mehr Musik veröffentlicht wird, die wiederum keinen Vertrieb findet. Auch saßen früher selbst bei den Majors noch Leute, die sich für Musik interessierten und nicht wie heute nur für den Barcode. Diese Gründe ha- ben dazu geführt, dass die Situation für ein Label nicht einfacher geworden ist, außer vielleicht in Ja- pan, wo die Lage noch anders ist. Merkwürdigerweise argumentieren die sogenannten Independent-Vertriebe z.B. in der Schweiz mit den gleichen Argumenten wie die Majors und nehmen auch nur noch die gängigen Titel in ihr Sortiment. Trotzdem darf man sich nicht von diesem allgemeinen Gejammer anstecken zu lassen.“ „Veröffentlichungen von DSA müssen billig in der Herstellung sein. Oft ist das ein Zwiespalt. Wenn ich z.B. ein Album von Lee Ranaldo veröffentlichen will, muss ich mir überlegen, was kann ich ihm als Vorschuss offerieren, wo ich doch genau weiß, dass ich trotz seines Bekanntheitsgrades maximal 2000 Exemplare über einen langen Zeitraum verkaufen werde. Andererseits, macht sich ein Name wie Lee Ranaldo natürlich gut im Katalog. Das Independent-Business ist letztlich wie jedes andere Business. Achtzig Prozent meiner Arbeit ist langweilige Büroarbeit, aber immerhin gibt es noch die zwanzig Pro- zent, für die sich das ganze Engagement lohnt. Letztlich bin ich immer noch ein Fan und meine Arbeit ermöglicht mir, mit den Musikern zu arbeiten, die ich schätze. Und das einzige Kriterium, ob ich ein Al- bum veröffentliche oder nicht, ist für mich die Qualität der Musik. Die Künstler, mit denen ich zusam- menarbeite, sind alles erwachsene Menschen, d.h. ich würde mich nie in die Produktion einmischen, sie wiederum wissen, dass ich das möglichste tun werde, um die CD zu verkaufen und dass die Verkaufs- zahlen im Schnitt 2000 Exemplare nicht überschreiten werden. Andererseits hat es sich oft gezeigt, dass Majors diese Art von Musik noch weniger verkaufen können, weil ihnen die Erfahrung mit „schwierigen Titeln“ fehlt.“ „Les Disques Du Soleil Et De L‘Acier (Sonne und Stahl) ist die französische Übersetzung von Yukio Mi- shimas „Taiyô to tetsu“, einem seiner beiden autobiographischen Bücher (das andere ist „Geständnisse einer Maske“). Meine Beziehung zu Mishima und Japan ist eine ganz persönliche. Schon als ich sehr jung war, habe ich mich für Japan begeistert. Ich kann mich noch als ob es heute wäre daran erinnern, als 1964 die Olympischen Spiele in Tokyio stattfanden. Meine Eltern hatten gerade den ersten Fernse- her, natürlich ein Schwarz-Weiß-Gerät, für diesen Anlass gekauft. In der Vorberichterstattung zu den Sportereignissen gab es eine Dokumentation über japanische Popmusik. Dort gab es einige Gruppen, die die Hits westlicher Gruppen wie der Beatles mehr schlecht als recht imitierten, aber wie sie es