Zum Deutschen Archivtag. September 2005
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Sondernummer September 2005 Am Vorabend des Nationalsozialismus Der 23. Deutsche Archivtag vom 11. bis 13. September 1932 in Stuttgart Archive, was sie sind und was sie zel, dem Leiter des erst wenige Jahre beiten betonte. Eine Diskussion ergab leisten – so war ein Artikel überschrieben, zuvor (1928) eingerichteten Archivs der sich dazu nicht, sodass sich nach kurzer der am 10. September 1932 im Deut- Stadt Stuttgart – hielt der Generaldirektor Pause ein Referat über Das deutsche Ar- schen Volksblatt erschien und den der Preußischen Staatsarchive Professor chivwesen in der Tschechoslowakei und Dr. Max Miller, seinerzeit Archivrat am Dr. Brackmann den als solchen ausge- seine Aufgaben anschließen konnte, das Stuttgarter Staatsarchiv und nachmals wiesenen Hauptvortrag über Das Dahle- der Stadtarchivar Dr. Kurt Oberdorfer aus Leiter der Archivdirektion Stuttgart, aus mer Institut für Archivwissenschaft und Brüx in Böhmen hielt. Auch wenn der Ar- Anlass des 23. Deutschen Archivtags in geschichtswissenschaftliche Fortbildung chivtag damit ein Thema mit hochpoliti- Stuttgart verfasst hatte. Entgegen land- in den Jahren 1930 – 32 und das Problem schen Konnotationen aufgegriffen hatte, läufigen Bildern von früheren Archivars- des archivarischen Nachwuchses, dem konnte jedoch auch dieser Vortrag keine generationen haben die Archivare des sich eine eingehende Diskussion an- Diskussion auslösen. Der letzte Beitrag Staatsarchivs Stuttgart 1932 den Archiv- schloss, die sogar am Nachmittag noch im Fachprogramm betraf die Konservie- tag sehr geschickt dazu genutzt, breitere einmal aufgegriffen wurde. War schon mit rung: Der Apotheker W. Th. Sauter aus Kreise für ihre Arbeit zu interessieren, der archivarischen Aus- und Fortbildung Alpirsbach sprach über die Rückfärbung wie man das vielleicht heute formulieren ein Thema angesprochen, das die Profes- und Erhaltung von Archivalien. würde. Jedenfalls ist die Resonanz, die sionalisierung des Berufsstands betraf, Tagungsort war die Technische sie damit erzielten, eher überraschend; so galt dies erst recht für die sich an- Hochschule Stuttgart, in deren Aula man die Presse hat breit über den 23. Deut- schließenden Verhandlungen über die ar- den Archivtag am 12. September um schen Archivtag in Stuttgart berichtet, chivarische Berufssprache. Damit wurde 8.30 Uhr offiziell eröffnet hatte – mit einer wie die zahlreichen Ausschnitte aus ins- eine Diskussion fortgeführt, die schon die Ansprache von Dr. Müsebeck, der be- gesamt neun Zeitungen – darunter selbst vorangegangenen Archivtage in Marburg, sonders die Vertreter der Reichsregierung der NS-Kurier – in den Akten belegen, Linz und Wien beschäftigt hatte. Und hier und der deutschen Landesregierungen, die im Hauptstaatsarchiv erhalten sind begegnet man auch moderner Gremien- insbesondere den Vertreter des Württem- (Hauptstaatsarchiv Stuttgart E 61 Bü. arbeit: Diskutiert wurden fünf Thesen, die bergischen Staatsministeriums, Wirklichen 592 – 594; J 40/7 Bü. 25 – 26 und 170). ein Marburger Ausschuss, dem auch der Staatsrat Dr. Hagelmaier, sowie den Ver- Der Deutsche Archivtag hatte in den Stuttgarter Archivar Karl Otto Müller an- treter der Stadt Stuttgart begrüßt hatte. 30er Jahren des 20. Jahrhunderts freilich gehörte, am Tag zuvor auf der Grundlage Zu einer zwanglosen Zusammenkunft einen ganz anderen Stellenwert als heute. eines Referats von Dr. Heinrich Otto hatte man sich schon am Vorabend im Hat er sich in den letzten Jahrzehnten zur Meisner aus Berlin formuliert hatte. Meis- Hotel Viktoria getroffen. Dort gab es am zweifellos größten archivfachlichen Ta- ner trug die Thesen im Plenum vor, die 12., 13. und 14. September auch ein ge- gung in Europa entwickelt, die zugleich nach lebhafter, angeregter Debatte, die meinsames Mittagessen zum Preis von mit der ebenfalls europaweit herausra- sich auch noch auf zwei Nachmittags- 1,50 Reichsmark. Das Rahmenprogramm genden Archivmesse ARCHIVISTICA ver- stunden am Dienstag (13. September) er- bot aber auch einen Empfangsabend der bunden ist, so stand der Deutsche Ar- streckte, … angenommen wurden. Stadt Stuttgart in der Villa Berg am chivtag 1932 eher im Schatten der schon Am Nachmittag des 12. September 13. September. Serviert wurden eine im Programm als weitaus bedeutender tagten die beiden Vereinigungen der Ochsenschweifsuppe, ein gebackenes ausgewiesenen Hauptversammlung des deutschen staatlichen und kommunalen Rotzungenfilet mit Sauce remoulade und Gesamtvereins der deutschen Ge- Archivarsverbände in Anwesenheit der Kartoffelsalat, ein Jungschweinerücken schichts- und Altertumsvereine. Mitglieder des österreichischen Archivars- mit Rotkraut und Kartoffelpüree, eine Die Themen indes, die man 1932 in verbands. Auch hier ging es um ein zu- Fruchtcreme sowie Kaffee und Kuchen; das Fachprogramm – es begann am Vor- kunftsweisendes Thema: Der Direktor des dazu gab es Weine aus dem städtischen mittag des 12. September – aufgenom- Reichsarchivs Potsdam, Dr. Ernst Müse- Ratskeller: einen 1929er Cannstatter men hatte, muten auch aus heutiger Sicht beck, sprach über Grundsätzliches zur Zuckerle als Roten und einen 1929er Eil- noch hochinteressant an. Denn nach den Aufbewahrung und Kassation von Akten finger Berg Riesling. Musikalisch bot man obligatorischen Vorträgen zu den Archi- wirtschaftlicher und verkehrstechnischer am Klavier und mit der Violine Nardini, ven am Tagungsort – gehalten von Registraturen im Reichsarchiv und in den Mozart, Händel und Dvorˇák. Am 14. Sep- Dr. Wintterlin, dem Chef des Württember- Landesarchiven, wobei er den Wert ent- tember konnte man einen Theaterabend gischen Staatsarchivs in Stuttgart, der sprechender Überlieferungen für die Ge- erleben. Gegeben wurden im Kleinen auch auf das Staatsfilialarchiv in Ludwigs- schichtsschreibung und insbesondere für Haus Rose Berndt, im Großen Haus 1 burg einging, und sodann von Dr. Sten- wirtschafts- und sozialgeschichtliche Ar- Toska; der Eintrittspreis betrug die Hälfte Archivnachrichten Sondernummer 2005 Programm des 23. Deutschen Archivtags 1932 in Stuttgart. Vorlage: Landesarchiv Baden-Württemberg HStAS E 61 Bü. 592 2 Archivnachrichten Sondernummer 2005 vom normalen Preis. Die Exkursion führte durch Zuruf Meisner die Führung der Be- übernehmen und es im Interesse der Be- die Teilnehmer am 15. September mit rufsvereinigung angetragen. Meisner er- rufsgenossen zu führen Robert einer Autofahrt – gemeint war ein Omni- klärt seine Bereitwilligkeit, das Amt zu Kretzschmar bus – zum Fahrpreis von drei Reichsmark nach Ludwigsburg–Maulbronn und zu- rück. Bei der Besichtigung des Ludwigs- burger Schlosses wurde auch das dort untergebrachte Staatsfilialarchiv besich- tigt. In Stuttgart boten das Staats- und das Stadtarchiv, die Reichsarchivzweig- stelle und das Schlossmuseum im Alten und im Neuen Schloss Führungen an. Wer wollte, konnte auf Einladung des Vereins für Kunst und Altertum Ulm am 14. September auch die Stadt Ulm be- sichtigen; dafür war ebenfalls ein Omni- bus organisiert. Wie viele Personen am 23. Deut- schen Archivtag und seinen einzelnen Sit- zungen teilgenommen haben, lässt sich nicht exakt beziffern. Es gibt nur eine ge- meinsame Teilnehmer-Liste der Hauptver- sammlung des Gesamtvereins der deut- schen Geschichts- und Altertumsvereine in Verbindung mit dem 23. deutschen Ar- chivtag und Konferenz landesgeschicht- licher Publikationsinstitute in Stuttgart, die insgesamt 303 Personen ausweist. Die Archivare stellen dabei die zahlenmäßig Einladung zur Sitzung der Vereinigung der deutschen staatlichen Archivare 1933, in der größte Berufsgruppe, sodass in der Tat die Neubesetzung des Vorstands nach dem Führerprinzip erfolgte. von einer dreistelligen Teilnehmerzahl am Vorlage: Landesarchiv Baden-Württemberg HStAS E 61 Bü. 592 Archivtag auszugehen ist. Die einzelnen Veranstaltungen werden freilich – wie dies auch heute auf dem Archivtag der Fall ist – unterschiedliche Resonanz gefunden haben. Unter dem Gesichtspunkt der be- Geschichtsvereine und Landesgeschichte in der rufsständischen Organisation ist interes- NS-Zeit sant, das im Protokoll der IX. Tagung der Vereinigung der deutschen staatlichen Ar- Mit diesem Thema beschäftigt sich Leistungen der Deutschen gewürdigt und chivare, die am 13. September 1932 der 32. Tag der Landesgeschichte, der im damit die territorialen Ansprüche des tagte, nur 24 Personen als anwesend ver- Anschluss an den 75. Deutschen Archiv- Reichs an den ein- und angegliederten merkt sind. Um so bemerkenswerter ist, tag am 30. September und 1. Oktober Gebieten gerechtfertigt werden. Mit dem dass das Plenum des 23. Deutschen Ar- 2005 im Hauptstaatsarchiv Stuttgart Westprogramm sollten Inventare über chivtags folgenden Antrag des geschäfts- stattfindet. Der Gesamtverein der deut- Quellen zur Geschichte des Reichs in führenden Ausschusses angenommen schen Geschichts- und Altertumsvereine westeuropäischen Archiven erarbeitet hat: Der Deutsche Archivtag bittet die veranstaltet regelmäßig den Tag der Lan- werden, um sie der Öffentlichkeit nach Reichsregierung, die Landesregierungen, desgeschichte in Verbindung mit dem Kriegsende als Frucht des Kriegseinsatzes die Städte und andere Selbstverwaltungs- Deutschen Archivtag. deutscher Archivare vorzulegen; damit körper künftig bei allen Berufungen auf Bei der inhaltlichen Ausrichtung hat verbunden waren historische Untersu- hauptamtliche Stellen des höheren Ar- man sich dabei dieses Mal ganz am Rah- chungen und Quellenpublikationen. Frei- chivdienstes eine fachwissenschaftliche menthema des Archivtags orientiert, der lich hat man dazu in vielen Fällen Projekte Vorbildung als