Plenarprotokoll 10/181

Deutscher

Stenographischer Bericht

181. Sitzung

Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985

Inhalt:

Glückwünsche zum Geburtstag des Abg. Beratung des Antrags der Abgeordneten Schneider (Idar-Oberstein) 13703 A Frau Dr. Däubler-Gmelin, Dr. Schmude, Bachmaier, Bernrath, Frau Blunck, Caten-- husen, Dr. Diederich (Berlin), Egert, Frau Verzicht des Abg. Dr. Hackel auf die Mit- Fuchs (Köln), Frau Fuchs (Verl), Frau Dr. gliedschaft im Deutschen Bundestag . . 13703A Hartenstein, Frau Huber, Immer (Altenkir- chen), Dr. Kübler, Kuhlwein, Lutz, Frau Eintritt des Abg. Dr. Pfennig in den Deut- Luuk, Frau Dr. Martiny-Glotz, Frau Mat- schen Bundestag 13703 A thäus-Maier, Müller (Düsseldorf), Frau Odendahl, Peter (Kassel), Frau Renger, Schäfer (Offenburg), Frau Schmedt (Len- Absetzung des Punktes 2 a von der Tages- gerich), Frau Schmidt (Nürnberg), Schröer ordnung 13703 B (Mülheim), Frau Simonis, Dr. Soell, Frau Dr. Skarpelis-Sperk, Frau Steinhauer, Erweiterung der Tagesordnung . 13703B, 13762 A Stiegler, Frau Terborg, Frau Dr. Timm, Frau Traupe, Wartenberg (Berlin), Frau Weyel, Frau Zutt, Dr. Vogel und der Frak- Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bundes- tion der SPD regierung zur Inbetriebnahme des um- weltgefährdenden Kohlekraftwerkes Ib- Förderung von Frauen im öffentlichen benbüren B Dienst Schulte (Menden) GRÜNE 13703 C — Drucksache 10/3055 — Gerstein CDU/CSU 13704 B Frau Odendahl SPD 13718 B Dr. Hauff SPD 13705 B Frau Roitzsch (Quickborn) CDU/CSU . 13719C Dr. Graf Lambsdorff FDP 13706 C Frau Zeitler GRÜNE 13721 C Einert, Minister des Landes Nordrhein Dr. Hirsch FDP 13723 A Westfalen 13707 B Dr. Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär Spranger, Parl. Staatssekretär BMI . . 13709 B BMI 13724 D Becker (Nienberge) SPD 13710B Frau Dr. Martiny-Glotz SPD 13726 B 13711 B Engelsberger CDU/CSU Frau Männle CDU/CSU 13728 A Stahl (Kempen) SPD 13712C Frau Terborg SPD 13729 D Schmidbauer CDU/CSU 13713C Eimer (Fürth) FDP 13731 B Lennartz SPD 13714 C Kuhlwein SPD 13731 C Dr.-Ing. Laermann FDP 13715D Strube CDU/CSU 13716 D Zweite und dritte Beratung des von der Dr. Blens CDU/CSU 13717 B Bundesregierung eingebrachten Entwurfs II Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985

eines Gesetzes zur Durchführung der Vier- Mann GRÜNE 13757A ten Richtlinie des Rates der Europäischen Beckmann FDP 13758A Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts (Bilanzrichtlinie-Ge- Engelhard, Bundesminister BMJ . . . 13759 B setz) Zweite Beratung und Schlußabstimmung — Drucksache 10/317 — des von der Bundesregierung eingebrach- Beschlußempfehlung und Bericht des ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Be- Rechtsausschusses schluß des Rates der Europäischen Ge- — Drucksache 10/4268 — meinschaften vom 7. Mai 1985 über das Sy- stem der eigenen Mittel der Gemeinschaf- ten in Verbindung mit — Drucksachen 10/3791, 10/4053 — Beschlußempfehlung und Bericht des Zweite und dritte Beratung des von der Haushaltsausschusses Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Sie- — Drucksache 10/4185 — benten und Achten Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Ko- in Verbindung mit ordinierung des Gesellschaftsrechts Beratung der Beschlußempfehlung des — Drucksache 10/3440 — Auswärtigen Ausschusses zum Sechsten Beschlußempfehlung und Bericht des Bericht und Empfehlung der Europa-Kom- Rechtsausschusses mission zur Frage der Einsetzung einer Re- gierungskonferenz zur Fortentwicklung — Drucksache 10/4268 — der Europäischen Gemeinschaft zur Euro- Helmrich CDU/CSU 13733 C päischen Union durch den Europäischen Stiegler SPD 13735 D Rat in Mailand am 29./30. Juni 1985 - Kleinert (Hannover) FDP 13741 C — Drucksachen 10/3420, 10/4088 — Dr. Müller (Bremen) GRÜNE 13744 B in Verbindung mit Dr. Schroeder (Freiburg) CDU/CSU . . 13745 D Beratung der Unterrichtung durch das Eu- Engelhard, Bundesminister BMJ . . . 13747 C ropäische Parlament Entschließung zur Regierungskonferenz Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs — Drucksache 10/4068 — eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes — Gesetz zum weiteren Ausbau der Strafaus- in Verbindung mit setzung zur Bewährung — Beratung der Unterrichtung durch das Eu- — Drucksache 10/1116 — ropäische Parlament Beschlußempfehlung und Bericht des Entschließung zu den Arbeiten der Regie- Rechtsausschusses rungskonferenz über die Europäische — Drucksache 10/4391 — Union — Drucksache 10/4189 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung in Verbindung mit — Drucksache 10/4473 — Beratung des Achten Berichts und Emp- fehlung der Europa-Kommission zur Er- in Verbindung mit weiterung der Befugnisse des Europäi- schen Parlaments

Zweite und dritte Beratung des von der — Drucksache 10/4087 — Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes in Verbindung mit — Drucksache 10/2720 — Beratung der Beschlußempfehlung und des Beschlußempfehlung und Bericht des Berichts des Ausschusses für Verkehr zu Rechtsausschusses der Unterrichtung durch das Europäische Parlament — Drucksache 10/4391 — Entschließung zum Abschluß des Verfah Seesing CDU/CSU 13751A, 13754 D rens der Konsultationen des Europäischen Dr. de With SPD 13751 B Parlaments zu dem Vorschlag der Kom- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 III mission der Europäischen Gemeinschaften Gattermann FDP 13798 B an den Rat für eine Verordnung zur Ände- Vogel (München) GRÜNE 13799 C rung der Verordnung (EWG) Nr. 543/69 über die Harmonisierung bestimmter So- Dr. Voss, Parl. Staatssekretär BMF . . 13801A zialvorschriften im Straßenverkehr und Dr. Struck SPD 13802 B der Verordnung (EWG) Nr. 1463/70 über die Einführung eines Kontrollgeräts im Zweite und dritte Beratung des von der Straßenverkehr Bundesregierung eingebrachten Entwurfs — Drucksachen 10/3315, 10/4383 — eines Gesetzes zur Verbesserung der Ab- schreibungsbedingungen für Wirtschafts- in Verbindung mit gebäude — Drucksache 10/4042 — Abgabe einer Erklärung der Bundesregie- rung Beschlußempfehlung und Bericht des Fi- nanzausschusses Europäischer Rat am 2. und 3. Dezember 1985 in Luxemburg — Drucksache 10/4372 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß in Verbindung mit § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 10/4399 — Beratung des Antrags der Fraktion der SPD in Verbindung mit Europäischer Rat am 2./3. Dezember 1985 in Luxemburg Erste Beratung des von der Bundesregie- — Drucksache 10/4433 — rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung des Investitionszulagen- in Verbindung mit gesetzes — Drucksache 10/4297 — Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDP in Verbindung mit Ergebnis des Europäischen Rates in Lu- xemburg am 2./3. Dezember 1985 Erste Beratung des von den Abgeordneten — Drucksache 10/4474 — Roth, Dr. Jens, Urbaniak, Wieczorek (Duis- burg), Dr. von Bülow, Collet, Dr. Ehrenberg, Dr. Kohl, Bundeskanzler 13763 B Jung (Düsseldorf), Junghans, Frau Dr. Schmidt (Hamburg) SPD 13768 B Martiny-Glotz, Dr. Mitzscherling, Reu- schenbach, Rohde (Hannover), Schanz, Klein (München) CDU/CSU 13778 C Frau Skarpelis-Sperk, Sieler, Wolfram Frau Kelly GRÜNE 13780 B (Recklinghausen), Zeitler, Dr. Vogel und Dr. Rumpf FDP 13782 B der Fraktion der SPD eingebrachten Ent- wurfs eines Zweiten Gesetzes zur Ände- Genscher, Bundesminister AA 13784 A rung des Gesetzes über eine Investitions- Auhagen GRÜNE 13786 D zulage für Investitionen in der Eisen- und Stahlindustrie Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMF . 13787 C — Drucksache 10/4235 — Frau Dr. Hellwig CDU/CSU 13789 D Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär BMF . . 13805A Dr. Schwörer CDU/CSU 13791A Poß SPD 13806 A Zweite und dritte Beratung des von der von Schmude CDU/CSU 13808 A Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Vogel (München) GRÜNE 13810A Gesetzes über den Finanzausgleich zwi- Dr. Solms FDP 13811C schen Bund und Ländern Urbaniak SPD 13811 D — Drucksache 10/3972 — Vogel (München) GRÜNE (zur GO) . . . 13812 C Beschlußempfehlung und Bericht des Fi- Urbaniak SPD (zur GO) 13812 D nanzausschusses — Drucksache 10/4282 — Zweite und dritte Beratung des von der Bericht des Haushaltsausschusses gemäß Bundesregierung eingebrachten Entwurfs § 96 der Geschäftsordnung eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermö- — Drucksache 10/4283 — gens für das Jahr 1986 (ERP-Wirtschafts- Uldall CDU/CSU 13793 D plangesetz 1986) Dr. Spöri SPD 13795 B — Drucksache 10/3997 — IV Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985

Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- Beratung der Sammelübersicht 119 des Pe- schusses für Wirtschaft titionsausschusses über Anträge zu Peti- — Drucksache 10/4274 — tionen Niegel CDU/CSU 13813 B — Drucksache 10/4396 — Jung (Düsseldorf) SPD 13814 D in Verbindung mit Beckmann FDP 13816A Beratung der Sammelübersicht 120 des Pe- Auhagen GRÜNE 13816 D titionsausschusses über Anträge zu Peti- tionen Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs — Drucksache 10/4397 — eines Gesetzes zur Änderung des Fleisch- Vahlberg SPD 13823 A beschaugesetzes Wittmann (Tännesberg) CDU/CSU . . 13823 D — Drucksache 10/3279 — Mann GRÜNE 13825A, 13826 D Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Jugend, Familie und Gesund- Dr. Rumpf FDP 13825D, 13827 D heit von der Wiesche SPD 13828 B — Drucksache 10/4410 — Jagoda CDU/CSU 13829 B Rusche GRÜNE 13818A Frau Dann GRÜNE 13830A Frau Dempwolf CDU/CSU 13818 D Frau Dr. Segall FDP 13831 A Jaunich SPD 13819 C Kühbacher SPD 13831 D Eimer (Fürth) FDP 13820 B Schlottmann CDU/CSU 13833 B Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär Vizepräsident Frau Renger . . . 13834C, 13827 D BMJFG 13821 A Zweite und dritte Beratung des von den Beratung der Sammelübersicht 106 des Pe- Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP titionsausschusses über Anträge zu Peti- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes tionen zur Änderung des Gesetzes zur Durchfüh- — Drucksache 10/4037 — rung der Verordnung (EWG) Nr. 3626/82 des Rates zur Anwendung des Überein- kommens über den internationalen Han- in Verbindung mit del mit gefährdeten Arten freilebender Tiere und Pflanzen in der Gemeinschaft Beratung der Sammelübersicht 107 des Pe- titionsausschusses über Anträge zu Peti- — Drucksache 10/4043 — tionen Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- — Drucksache 10/4038 — schusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in Verbindung mit — Drucksache 10/4252 —

Beratung der Sammelübersicht 110 des Pe- in Verbindung mit titionsausschusses über Anträge zu Peti- tionen Zweite und dritte Beratung des von der — Drucksache 10/4077 — Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des in Verbindung mit Gesetzes zur Durchführung der Verord- nung (EWG) Nr. 3626/82 des Rates zur An- Beratung der Sammelübersicht 111 des Pe- wendung des Übereinkommens über den titionsausschusses über Anträge zu Peti- internationalen Handel mit gefährdeten tionen Arten freilebender Tiere und Pflanzen in der Gemeinschaft — Drucksache 10/4078 — — Drucksache 10/4041 — in Verbindung mit Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Ernährung, Landwirtschaft Beratung der Sammelübersicht 118 des Pe- und Forsten titionsausschusses über Anträge zu Peti- — Drucksache 10/4252 — tionen Herkenrath CDU/CSU 13835 A — Drucksache 10/4395 — Frau Blunck SPD 13835 C in Verbindung mit Bredehorn FDP 13836 C Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 V

Senfft GRÜNE 13836 D Zweite Beratung und Schlußabstimmung Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär des von der Bundesregierung eingebrach- BML 13837 C ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Drit- ten AKP-EWG-Abkommen von Lomé vom 8. Dezember 1984 sowie zu den mit diesem Erste Beratung des von der Bundesregie- Abkommen in Zusammenhang stehenden rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Abkommen zes zur Einführung eines neuen Marktab- schnitts an den Wertpapierbörsen und zur — Drucksache 10/3960 — Durchführung der Richtlinien des Rates Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- der Europäischen Gemeinschaften vom wärtigen Ausschusses 5. März 1979, vom 17. März 1980 und vom 15. Februar 1982 zur Koordinierung börsen- — Drucksache 10/4449 — rechtlicher Vorschriften (Börsenzulas- Bericht des Haushaltsausschusses gemäß sungs-Gesetz) § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 10/4296 — 13838 B — Drucksache 10/4462 — 13839 D

Zweite Beratung und Schlußabstimmung Erste Beratung des von den Abgeordneten des von der Bundesregierung eingebrach- Gerster (Mainz), Doss, Frau Rönsch, Dr. ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab- Geißler, Dr. Dregger, Dr. Waigel und der kommen vom 10. Juni 1985 zwischen der Fraktion der CDU/CSU, der Abgeordneten Bundesrepublik Deutschland und der Schäfer (Mainz), Mischnick und der Frak- Volksrepublik China zur Vermeidung der tion der FDP, der Abgeordneten Tatge, Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Frau Hönes und der Fraktion DIE GRÜ- Steuern vom Einkommen und vom Ver- NEN sowie der Abgeordneten Delorme, Fi- mögen scher (Osthofen) und Genossen einge- — Drucksache 10/3971 — brachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 29 Beschlußempfehlung und Bericht des Fi- Abs. 7) nanzausschusses — Drucksache 10/4264 — — Drucksache 10/4270 — 13838 C in Verbindung mit Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Erste Beratung des von den Abgeordneten eines Ersten Rechtsbereinigungsgesetzes Gerster (Mainz), Doss, Frau Rönsch, Dr. — Drucksache 10/3290 — Geißler, Dr. Dregger, Dr. Waigel und der Beschlußempfehlung und Bericht des In- Fraktion der CDU/CSU, der Abgeordneten nenausschusses Schäfer (Mainz), Mischnick und der Frak- tion der FDP, der Abgeordneten Tatge, — Drucksache 10/4373 — 13838 D Frau Hönes und der Fraktion DIE GRÜ- NEN sowie der Abgeordneten Delorme, Fi- Zweite und dritte Beratung des von der scher (Osthofen) und Genossen einge- Bundesregierung eingebrachten Entwurfs brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ä n- eines Ersten Gesetzes zur Änderung des derung des Gesetzes über das Verfahren Sprengstoffgesetzes bei sonstigen Änderungen des Gebietsbe- — Drucksache 10/2621 — standes der Länder nach Artikel 29 Abs. 7 des Grundgesetzes Beschlußempfehlung und Bericht des In- nenausschusses — Drucksache 10/4265 — 13840 A

— Drucksache 10/4269 — 13839A Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Zweite und dritte Beratung des von den Bundesministers der Finanzen Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Neunten Veräußerung eines bundeseigenen Grund- Gesetzes zur Änderung des Häftlingshilfe- stücks in Bonn gesetzes — Drucksachen 10/4028, 10/4186 — . . . 13840 B — Drucksache 10/4220 — Beratung der Beschlußempfehlung des Beschlußempfehlung und Bericht des In- Haushaltsausschusses zu der Unterrich- nenausschusses tung durch die Bundesregierung — Drucksache 10/4422 — Überplanmäßige Ausgabe bei Kap. 08 07 Bericht des Haushaltsausschusses gemäß Tit. 632 01 — § 96 der Geschäftsordnung Verwaltungskostenerstattung an Länder — — Drucksache 10/4480 — 13839 B — Drucksachen 10/3962, 10/4187 — . . . 13840 C VI Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985

Beratung der Beschlußempfehlung und des Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Berichts des Finanzausschusses zu der Un- Landwirtschaft und Forsten zu der Unter- terrichtung durch die Bundesregierung richtung durch die Bundesregierung Vorschlag eines Beschlusses des Rates zur Vorschlag einer Verordnung (EWG) des Ermächtigung der Kommission, im Rah- Rates über den Abschluß der Abkommen men des Neuen Gemeinschaftsinstruments in Form von Briefwechseln zwischen der Anleihen zur Investitionsförderung in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Gemeinschaft aufzunehmen und Barbados, Belize, Fidschi, der Koope- — Drucksachen 10/3788 Nr. 46, 10/3827, rativen Republik Guyana, der Republik El- 10/4332 — 13841 B fenbeinküste, Jamaica, der Republik Ke- nia, der Volksrepublik Kongo, der Demo- Beratung der Beschlußempfehlung und des kratischen Republik Madagaskar, der Re- publik Malawi, Mauritius, der Republik Su- Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Verordnung der Bundesregierung rinam, St. Christoph und Nevis, dem König- reich Swasiland, der Vereinigten Republik Zustimmungsbedürftige Verordnung zur Tansania, Trinidad und Tobago, der Repu- Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs blik Uganda und der Republik Zimbabwe (Nr. 6/85 — Zollkontingent für Spezialwalz- sowie mit der Republik Indien über die draht — 2. Halbjahr 1985) Garantiepreise für Rohrzucker für den — Drucksachen 10/3922, 10/4278 — Lieferzeitraum 1985/86 — Drucksachen 10/3275 Nr. 8, 10/4192 — in Verbindung mit in Verbindung mit Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu Beratung der Beschlußempfehlung und des der Verordnung der Bundesregierung Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unter- Aufhebbare Verordnung zur Änderung des richtung durch die Bundesregierung Deutschen Teil-Zolltarifs (Nr. 5/85 — Erhö- hung des Zollkontingents 1985 für Bana- Vorschlag einer Verordnung (EWG) des nen) Rates zur Einführung einer zweiten zeit- weiligen Maßnahme — in Abweichung von — Drucksachen 10/3970, 10/4279 — . . . 13841 B der Verordnung (EWG) Nr. 171/83 — be- treffend Beifänge bei der Fischerei auf Beratung der Beschlußempfehlung des Stintdorsch in der Nordsee Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung — Drucksachen 10/3788 Nr. 23, 10/4251 — Aufhebung der Immunität von Mitgliedern in Verbindung mit des Deutschen Bundestages — Drucksache 10/4408 — 13841 C Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Nächste Sitzung 13841 C Landwirtschaft und Forsten zu der Unter- richtung durch die Bundesregierung Vorschlag einer Verordnung (EWG) des Rates über bestimmte Maßnahmen zur Er- leichterung von Fischereitätigkeiten für Anlage wissenschaftliche Untersuchungszwecke — Drucksachen 10/3788 Nr. 25, 10/4193 — 13840 D Liste der entschuldigten Abgeordneten 13843*A Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13703

181. Sitzung

Bonn, den 5. Dezember 1985

Beginn: 8.00 Uhr

Vizepräsident Frau Renger: Die Sitzung ist eröff- Schulte (Menden) (GRÜNE): Frau Präsidentin! net. Meine Damen und Herren! Am 29. November 1985 Meine Damen und Herren, Herr Abgeordneter wurde das Buschhaus Nordrhein-Westfalens, das von Ministerpräsi- Schneider (Idar-Oberstein) feierte gestern, am Großkraftwerk Ibbenbüren B, 4. Dezember, seinen 60. Geburtstag. Wenn er auch dent Rau eröffnet. In den nächsten Jahren wird sich nicht im Saale ist, so will ich ihm doch meinen herz- der Schadstoffausstoß der Kraftwerke im Ibbenbü- lichen Glückwunsch aussprechen. rener Revier somit mehr als verdoppeln. Allein über 35 000 Tonnen Stickoxide sollen nach dem Willen Herr Abgeordneter Dr. Hackel hat am 1. Dezem- der Landesregierung in Nordrhein-Westfalen- das ber 1985 auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bun- Waldsterben offensichtlich noch beschleunigen. destag verzichtet. Als sein Nachfolger hat am 2. De- zember 1985 Dr. Pfennig die Mitgliedschaft im (Dr. Schierholz [GRÜNE]: Hört! Hört! — Deutschen Bundestag erworben. Ich begrüße den Scharrenbroich [CDU/CSU]: Hört! Hört!) uns bereits aus der 8. Wahlperiode bekannten Kol- Damit erhöht diesmal die SPD die Giftdosis für legen und wünsche gute Zusammenarbeit. Mensch und Wald. (Beifall) (Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: Unver Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll schämtheit!) Punkt 2 a der Tagesordnung — Antrag der Fraktion Obwohl die Konferenz der Umweltminister im der SPD betr. Rücknahme der Eingriffe in Chancen April 1984 beschloß, daß Kraftwerke schnellstmög- und Rechte von Frauen, Drucksache 10/3894 — ab- lich mit wirksamen Entstickungsanlagen ausgerü- gesetzt werden. Weiterhin ist interfraktionell ver- stet werden müssen, wurde dieser Beschluß rechts- einbart worden, die verbundene Tagesordnung die- widrig von der Landesregierung nicht umgesetzt ser Woche zu erweitern. Die Punkte sind in der und damit der größte Stickoxidstinker der Nation Ihnen vorliegenden Liste „Zusatzpunkte zur Tages- vorige Woche ohne Umweltschutzeinrichtungen in ordnung" aufgeführt. Zugleich mit der Aufsetzung Betrieb genommen. der Zusatzpunkte soll, soweit erforderlich, von der Frist für den Beginn der Beratung abgewichen wer- (Mann [GRÜNE]: Unerhört!) den. — Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist Die GRÜNEN im Bundestag fordern alle Parteien so beschlossen. und die Bundesregierung auf, alles zu unterneh- Wie bereits mitgeteilt wurde, beabsichtigt der men, daß das Kraftwerk Ibbenbüren bis zur Fertig- Herr Bundeskanzler heute um 14.30 Uhr eine Regie- stellung einer Entstickungsanlage außer Betrieb ge- rungserklärung zum Thema „Europäischer Rat am nommen wird. 2. und 3. Dezember 1985 in Luxemburg" abzugeben. (Beifall bei den GRÜNEN) Deshalb ist interfraktionell vereinbart worden, die Mittagspause bis 14.30 Uhr zu verlängern. Die Argumente des Herrn Rau für die Inbetrieb- nahme von Ibbenbüren ohne wirksame Umwelt- schutzmaßnahmen sind absolut lächerlich. Es gibt Meine Damen und Herren, die GRÜNEN haben in der Bundesrepublik mehrere renommierte An- gemäß Nr. 1 c der Anlage 5 unserer Geschäftsord- bieter von Entstickungsanlagen, die eine Verringe- nung rung der Stickoxidemission um bis zu 90 % garan- Aktuelle Stunde tieren; doch die Landesregierung NRW hat erneut zu dem Thema vor RWE gekuscht und hat sich wieder einmal als Haltung der Bundesregierung zur Inbetrieb- willfähriger Diener dieser Strom-Mafia erwiesen. nahme des umweltgefährdenden Kohlekraft- (Stahl [Kempen] [SPD]: Wo leben Sie ei werkes Ibbenbüren B gentlich? — Weitere Zurufe von der SPD) verlangt. Ich eröffne die Aussprache. Zur Sicherung des Absatzes der Ibbenbürener Das Wort hat der Abgeordnete Schulte. Kohle und zur Sicherung der Arbeitsplätze wäh- 13704 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985

Schulte (Menden) rend des Einbaus einer Entstickungsanlage schla- dieses Steinkohlenkraftwerk hier in Ibbenbüren". gen die GRÜNEN folgendes Konzept vor: Mit diesem Satz hat am 29. November das Mitglied Erstens. Verfeuerung der Ibbenbürener Kohle in des Vorstandes der Preussag, Dr. Stalp, seine Be- Mischung mit Kraftwerkskohle in bereits ent- grüßungsrede zur offiziellen Inbetriebnahme be- schwefelten Kraftwerken mit Trocken- und Wirbel- gonnen. Er hat damit, wie ich meine, die Situation schichtfeuerung. der Region um Ibbenbüren und die Einstellung der Menschen richtig beschrieben. Zweitens. Stärkere Arbeitsauslastung dieser ent- schwefelten Kraftwerke als vorläufiger Ersatz für Der Bau dieses Kraftwerks basiert auf einem die Stromproduktion des Ibbenbürener Kraftwer- ordnungsgemäßen Genehmigungsverfahren. Das kes. Kraftwerk ist energiepolitisch notwendig. Der Be- (Stahl [Kempen] [SPD]: Sie müssen doch trieb des Kraftwerks und der Erhalt der Schachtan- die Kohle richtig einsetzen!) lage Ibbenbüren sind darüber hinaus regional- und arbeitsmarktpolitisch unverzichtbar. Drittens. Sofortiges Verbot des Imports und der Verwendung südafrikanischer Kohle und deren Er- (Dr. Schierholz [GRÜNE]: Das ist nicht das setzung durch Ibbenbürener Kohle. Problem!) (Beifall bei den GRÜNEN — Stahl [Kem Meine Damen und Herren, jeder, der an der In- pen] [SPD]: Was Sie da sagen, ist totaler betriebnahme teilgenommen hat, hat die Erleichte- Schwachsinn!) rung der Menschen dieses Raumes spüren können. Statt die hier skizzierten Maßnahmen zur Ein- Es sind eben viele Tausende, deren Existenzgrund- führung von wirklichem Umweltschutz im Sinne lage nun langfristig gesichert ist. der berechtigten Arbeitsplatzinteressen der im (Schäfer [Offenburg] [SPD]: Und gleichzei Bergbau Beschäftigten umzusetzen, erklärt der Mi- tig wollen Sie den GRÜNEN recht geben?) nisterpräsident Rau den größten Stickoxidstinker der Nation zu einem Fortschritt für den Umwelt- Dafür haben sich viele eingesetzt, auch Politiker schutz. aller Parteien, und auch der Bund hat zur Finanzie- rung des Kraftwerks beigetragen. Dafür ist heute (Stahl [Kempen] [SPD]: Das ist doch nicht Dank zu sagen, nicht Tadel auszusprechen.- wahr! — Mann [GRÜNE]: Natürlich ist es wahr!) Meine Damen und Herren, jeder, der an der In- betriebnahme teilgenommen hat, hat aber auch So also, meine Damen und Herren, sieht Ihre kon- eine unaufrichtige Rede des Ministerpräsidenten krete Umsetzung des großspurig angekündigten Rau verfolgen können. Herr Rau war leider nicht Programms „Arbeit und Umwelt" aus! bereit, einzugestehen, daß der Bau dieses Kraft- (Beifall bei den GRÜNEN — Hört! Hört! bei werks — ebenso wie vor einem Jahr im Falle der CDU/CSU) Buschhaus — das Ergebnis eines sehr schwierigen Wie wollen Sie eigentlich von den Arbeitnehmern Kompromisses zwischen den Zielen Umwelt und verlangen, auf Autobahnen nur 80 zu fahren, wenn Arbeit war und ist, nicht mehr, aber auch nicht Sie gleichzeitig dem RWE-Großkonzern einen Frei- weniger. Es war ein Fehler von Herrn Rau, dies schein für die Luftverpestung geben? Ich möchte nicht deutlich auszusprechen und dieses Kraftwerk den Vorschlag des früheren Landwirtschaftsmini- und seine Entstehung noch auf Kosten des Kohle- sters Bäumer aufgreifen und schlage vor, NRW in kraftwerks Buschhaus als eine besonders umwelt- RWE umzutaufen. freundliche Maßnahme darzustellen. (Beifall bei den GRÜNEN) Herr Rau hat auch den Satz formuliert: Wer ja Ich rate der SPD: Suchen Sie sich für die Wahl 1987 sagt zur Kohlevorrangpolitik, der muß auch ja sa- einen anderen Spitzenkandidaten, denn mit Rau gen zu Ibbenbüren. — Dem müßte ja nun das klare wird der Wald ersticken. Bekenntnis zu Ibbenbüren durch alle unsere sozial- demokratischen Kollegen, nicht nur durch die aus Danke schön. Nordrhein-Westfalen, folgen. Wenn der Satz so gül- (Beifall bei den GRÜNEN — Stahl [Kem tig ist, müßte er auch und vor allem für Buschhaus pen] [SPD]: Das war aber mangelhaft!) gegolten haben, (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Ab- geordnete Gerstein. denn auch dort ging es um die Erhaltung von Ar- beitsplätzen im Kohlenbergbau in einer schwieri- gen Region. Bei Buschhaus hat sich aber vor einem Gerstein (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Jahr die SPD bis auf drei Ausnahmen der Inbe- Damen und Herren! Was zur sozialdemokratischen triebnahme verweigert und statt dessen markige Haltung in dieser Frage zu sagen ist, hat zum Teil Reden zum Umweltschutz gehalten. Sie wurden mein Vorredner schon gesagt. verbunden mit ungerechtfertigten Beschuldigungen (Lachen und Zurufe von der SPD) der Bundesregierung und des Ministerpräsidenten Albrecht. Die Frage muß heute gestellt werden: Meine Damen und Herren, „es gibt wohl kein Mißt die SPD in Sachen Umweltschutz und Kohle Kraftwerk in der Bundesrepublik Deutschland, das mit zweierlei Maß? Und das tut sie. von einer Region so inständig gefordert wurde zur Überwindung einer existenzbedrohenden Krise, wie (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13705

Gerstein Je nachdem, ob Bergbau in Niedersachsen oder in Ibbenbüren sofort eingesetzt werden könnte, weder Nordrhein-Westfalen stattfindet, je nachdem, ob in Japan, wo man Erfahrungen mit öl- und gas- Stickoxide aus Niedersachsen oder Nordrhein- betriebenen Kraftwerken auf diesem Gebiet hat, Westfalen kommen, je nachdem, ob die Regierung noch in Europa, noch in anderen Bundesländern. von der SPD oder der CDU gestellt wird, mal ja, mal nein. So, meine Kollegen von der Sozialdemokratie, (Ströbele [GRÜNE]: Deshalb abschalten!) geht es nicht. Angesichts der lange bekannten Pro- Überall wird mit Nachdruck an Lösungen gearbei- blematik des Kraftwerkes Ibbenbüren, das nun ein- tet. Aber in allen Kohlekraftwerken, mit Schmelz- mal von einer SPD-regierten Landesregierung ge- feuerung jedenfalls, ist die großtechnische Lösung nehmigt worden ist, war und ist es unaufrichtig, erst in einigen Jahren in Sicht. Das gilt für Nord- Buschhaus zu verdammen, die Bundesregierung rhein-Westfalen, das gilt für das Saarland, das gilt wegen Unterlassungen im Umweltschutz anzukla- für Baden-Württemberg, und das gilt — das sage ich gen und sich selbst dann als Gralshüter der Umwelt den verehrten Freunden des Herrn Tandler — für aufzuspielen. Dabei ist es letztlich diese Bundesre- Bayern. Er sollte ein bißchen vorsichtig sein, sonst gierung, die durch die Festlegung der Grenzwerte kommen ein paar Zahlen auf den Tisch. der Großfeuerungsanlagen-Verordnung und die daraus abgeleiteten Beschlüsse der Umweltmini- (Zurufe von der CDU/CSU) sterkonferenz die Maßstäbe für die Zukunft erst Im Juni 1984 hat der Deutsche Bundestag mit gesetzt hat, die jetzt zum Ausgangspunkt der Kritik Ihrer Zustimmung, mit Zustimmung aller Fraktio- für Bauvorhaben der Vergangenheit und Gegen- nen zum Thema einen Beschluß gefaßt. wart gemacht werden. Buschhaus Dieser Beschluß gilt im Gegensatz zu Ihnen für Lassen Sie mich das so zusammenfassen: wer im meine Fraktion auch heute noch. Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen auf Buschhaus werfen. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU) Dieser Beschluß sagt, daß das Kraftwerk nur dann Gerade angesichts der schwierigen Problematik in Betrieb gehen darf, wenn eine Entschwefelungs- mußte von Anfang an die Wahrheit auf den Tisch: anlage eingebaut ist, weil das bereits damals- Stand Erhalt von Arbeitsplätzen zumindest in Einzelfall der Technik war. Diese Entschwefelungsanlage ist kann auch mit Umweltbelastungen verbunden sein. in Ibbenbüren eingebaut. Insofern ist das Problem Solange es aber gelingt, diese Belastungen zeitlich befriedigend gelöst. zu begrenzen und über die Genehmigung hinaus einen Abbau dieser Belastungen entsprechend dem Unter Punkt 3 der Buschhaus-Entschließung technischen Fortschritt durchzusetzen, können wir heißt es zum Thema Stickoxide wörtlich: auch mit solchen Anlagen besser leben als ohne (Schäfer [Offenburg] [SPD]: Gut zuhören diese Anlagen. Daher stehen wir zu Ibbenbüren, da- jetzt!) her stehen wir zu Buschhaus in dem sicheren Be- wußtsein, daß die Weichen zu einer ständigen Um- Spätestens ab 1988 wird nach dem Stand der weltentlastung ebenso richtig gestellt sind wie die Technik die NOX Stickoxid-Emission mit dem Weichen zur Sicherung der Arbeitsplätze. Ziel verringert, auf höchstens zweihundert Mil- (Beifall bei der CDU/CSU) ligramm pro Kubikmeter zu kommen. Mit anderen Worten: Wir wußten damals bei der Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Ab- Entscheidung über Buschhaus, die wir miteinander geordnete Dr. Hauff. getroffen haben, bei dem Thema Stickoxide, daß (Zuruf von der CDU/CSU: Der Sauberma das nicht Stand der Technik ist und daß diese Tech- cher! — Zurufe von der GRÜNEN: Der nik noch entwickelt werden muß. Aber für uns gilt Waldkiller!) auch dieser Teil der Buschhaus-Entscheidung. Um das klar zu sagen: Hier befinden wir uns in einem Gegensatz zu Ihnen. Auch dieser Teil der Busch- Dr. Hauff (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen haus-Entscheidung gilt heute noch. und Herren! Herr Kollege Gerstein, wir Sozialde- mokraten bekennen uns zur Kohlevorrangpolitik. (Beifall bei der SPD) Jedes Kohlekraftwerk produziert Schadstoffe, im wesentlichen Schwefel und Stickoxide. Beim Deswegen besteht im Hinblick auf Ibbenbüren Schwefel sind die Probleme in Ibbenbüren gut ge- Handlungsbedarf. löst. Das Kraftwerk wird die neuen Grenzwerte un- (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Ja!) terschreiten und die Fristen unterschreiten. (Gerstein [CDU/CSU]: In drei Jahren!) Der Ministerpräsident des Landes Nordrhein-West- falen sagte letzte Woche: Die sind Das ist auch gut so. Beim Schadstoff Stickoxid sieht NOx-Emissionen die Situation ganz anders aus. Dieses Problem ist zu hoch. RWE und Preussag werden und müssen rasch noch im ersten Halbjahr 1986 die Entschei- für Ibbenbüren nicht befriedigend gelöst. dung über einen Katalysator treffen, der dann noch (Gerstein [CDU/CSU]: Ihr meßt eben mit 1988 in Betrieb genommen wird. — Dieses Wort von zweierlei Maß!) Johannes Rau gilt, auch für den Vorstandsvorsit- Nur muß man wissen, auf der ganzen Welt gibt es zenden des RWE. Seine Aussage auf der gleichen derzeit keine erprobte Technik, die im Kraftwerk Veranstaltung lautete — ich zitiere wörtlich —: 13706 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985

Dr. Hauff Ob wir überhaupt einen Katalysator einsetzen Dr. Graf Lambsdorff (FDP): Frau Präsident! Meine können, vermag jedoch noch niemand zu sa- sehr verehrten Damen! Meine Herren! Verehrter gen. Herr Kollege Vogel, Sie sehen mich aktiv und le- (Duve [SPD]: Eine verantwortliche Äuße bendig. Solange mir kein Vogel ins Triebwerk fliegt, rung!?) werde ich selbst das überleben. Ich bleibe leben- dig. Das ist ein unverantwortliches Ausweichen vor den Problemen. (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und (Beifall bei der SPD — Zurufe von der der CDU/CSU — Dr. Vogel [SPD]: Mein CDU/CSU) Kompliment, Graf Eisenbart!) Der Betreiber muß wissen: Wir werden darauf be- Meine Damen und Herren, es gibt Fälle, in denen stehen, daß das Wort von Ministerpräsident Rau sich Umweltschutz und umweltpolitische Anstren- eingehalten wird, daß es bei den Fristen und Zahlen gungen beschäftigungspolitisch positiv auswirken. bleibt. Nach 1988 muß Ibbenbüren voll entstickt Es gibt aber auch Fälle — die heile Welt ist eben sein. Daran darf bei allen Beteiligten keinerlei nicht immer zu haben —, in denen es einen Kon- Zweifel aufkommen. Das ist die Geschäftsgrund- flikt zwischen Arbeitsplätzen und Umweltschutz lage für die Inbetriebnahme. gibt. Mindestens entsteht ein kurzfristiger Wider- streit; Ibbenbüren ist ein solcher Fall. Wer die In- (Mann [GRÜNE]: Das ist eine Ablenkungs betriebnahme des Kraftwerks ablehnt, muß die Ze- rede, die Sie hier halten, Herr Hauff!) che schließen, und er muß 4 500 Bergarbeiter nach Dann reduzieren sich die Schadstoffe von 17 000 t Hause schicken. auf 1700 t. (Mann [GRÜNE]: 1989!) Das, was der Kollege von der grünen Fraktion hier erzählt hat, ist fern jeder Realität. Es macht Dann ist Ibbenbüren, auch was die Stickoxide an- nur noch einmal klar: Die GRÜNEN sind die ar- geht, in Ordnung. Dann ist dieses Problem gut ge- beitsplatz- und arbeitnehmerfeindlichste politische löst. Gruppierung, die es in der Bundesrepublik Deutsch- Nur, meine Damen und Herren, dann bleibt das land gibt. - Problem: (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU so- (Mann [GRÜNE]: Was ist bis dahin mit wie bei Abgeordneten der SPD — Mann dem Wald?) [GRÜNE]: Das hätten Sie so gern, Herr Was passiert ab jetzt bis zum Jahre 1988? Wie über- Lambsdorff!) winden wir diese Durststrecke? Wir erwarten, daß Der Hinweis, die Inbetriebnahme von Ibbenbüren die auf freiwilliger Basis vereinbarten Emissions- sei rechtlich unzulässig — der Kollege Schily ist minderungspläne in Nordrhein-Westfalen so ver- nicht hier —, ist falsch. Es ist eine Ausrede. ändert werden, daß es in diesem Zeitraum durch Das Kraftwerk ist eine Altanlage im Sinne der das Kraftwerk weder in der Region noch im Land Großfeuerungsanlagen-Verordnung. Nordrhein-Westfalen insgesamt zu umweltpoliti- schen Mehrbelastungen, zu Verschlechterungen (Mann [GRÜNE]: Sie sind auch eine Alt- kommt. Hier sind Nachbesserungen erforderlich, anlage!) z. B. durch eine flexible Handhabung des Kraft- Nordrhein-Westfalen mußte diesen Betrieb geneh- werkparks. Dabei darf das Thema Teillast in Ibben- migen. Das Kraftwerk trägt zur Stromversorgung büren auch kein Tabu sein. auf der Basis des Jahrhundertvertrages für die Steinkohle bei, den Sie nicht wollen; ich weiß das. Vizepräsident Frau Renger: Herr Abgeordneter, ich Er sichert aber die Steinkohlenförderung. Die Bun- bitte um Entschuldigung, aber Ihre Redezeit ist zu desregierung hat das seinerzeit positiv unterstützt. Ende. Das Kraftwerk sichert die Arbeitsplätze. Deswegen sage ich: Die Entscheidung war richtig. Allerdings Dr. Hauff (SPD): Ich darf zusammenfassen. ist es wichtig, daß die hier schon erwähnte und besprochene Nachrüstung auf dem modernsten Vizepräsident Frau Renger: Nein. Stand der Umwelttechnik bei der Bekämpfung der Stickoxide vorgenommen wird. Dies ist auch (Heiterkeit) Grundlage für das positive Votum der FDP-Frak- tion. Dr. Hauff (SPD): Wir fordern: Nach 1988 müssen die scharfen Grenzwerte gelten. Meine Damen und Herren, wir sagen hier aller- dings auch deutlich, daß die Sozialdemokraten bei Vizepräsident Frau Renger: Herr Abgeordneter, ich ihrer Haltung von ihrer eigenen kurzatmigen Tak- bitte Sie um Entschuldigung, aber ich muß Sie un- tik eingeholt werden. terbrechen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Tempolimitgeschrei, meine Damen und Herren, Dr. Hauff (SPD): Ich danke Ihnen. und gleichzeitig zulassen, daß die Hälfte dessen, (Beifall bei der SPD) was mit dem Tempolimit überhaupt eingespart wer- den könnte, von einem Kraftwerk ausgestoßen Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Herr wird, das ist nicht auf einen Nenner zu bringen. Abgeordnete Graf Lambsdorff. Und Buschhaus ist natürlich ebensowenig auf einen Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13707

Dr. Graf Lambsdorff Nenner zu bringen, Herr Hauff. Genau das Argu- die von den Bürgern und von allen politische Ver- ment, das für Ibbenbüren bei den Stickoxiden gilt, antwortung in dieser Region Tragenden einhellig galt für die Entschwefelung der Salzkohle in begrüßt worden ist. Buschhaus. (Zuruf von der CDU/CSU: Bei Buschhaus (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — auch!) Dr. Hauff [SPD]: Das ist falsch!) Erst die offizielle Einweihung vor wenigen Tagen Ihnen sind die niedersächsischen Arbeitsplätze of- war Anlaß zu in der Sache völlig ungerechtfertigten fensichtlich weniger wert als die nordrhein-westfä- Angriffen. Die Tatsachen sehen anders aus. lischen. Und damals gab es dort auch keine Wahlen. Das ist der Punkt. In Ibbenbüren ist der Stand der Technik bei der der Rauchgasentschwefelung ohne Abstriche (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) durchgesetzt worden. Abgesehen von einigen bemerkenswerten Entschei- (Mann [GRÜNE]: Das glauben Sie doch dungen des Kollegen Adolf Schmidt und zweier an- wohl selber nicht!) derer Kollegen der SPD-Fraktion haben Sie damals gnadenlos gegen die Arbeitsplätze in Niedersach- So ist das Kraftwerk Ibbenbüren bereits mit einer sen, in Braunschweig und Helmstedt, gestimmt. Rauchgasentschwefelungsanlage in Betrieb gegan- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — gen, die in den Jahren 1986 und 1987 noch optimiert Dr. Hauff [SPD]: Ist doch nicht wahr!) werden wird, Wir sagen mit aller Deutlichkeit, auch wenn es Ih- (Zurufe von der CDU/CSU: Aha!) nen vielleicht bemerkenswert und verwunderlich und dann fast ein Jahr früher, als nach der Groß- erscheint: Der nordrhein-westfälische Ministerprä- feuerungsanlagenverordnung vorgeschrieben, den sident hat eine unvermeidliche, aber richtige Ent- ab 1. Juli 1988 geltenden Grenzwert scheidung getroffen. Er muß allerdings die Nachrü- stung dieses Kraftwerkes sicherstellen. (Zurufe von der CDU/CSU) (Mann [GRÜNE]: Für Nachrüstung sind — Sie müssen hier doch davon ausgehen, was Sie Sie zuständig, das ist wahr!) als Bundesgesetzgeber selber beschlossen haben, Allerdings hat die Entscheidung klargemacht, (Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Das galt für meine Damen und Herren: Über den Wolken schwe- Buschhaus auch!) bend erreicht der Kanzlerkandidat zur Anstellung, und hier nicht rummosern, wenn jemand die Fri- Johannes Rau, das Jahr 1987 nicht. sten, die Sie selber gesetzt haben, früher erfüllt — (Dr. Vogel [SPD]: Mal was Neues!) (Beifall bei der SPD) Und kaum entscheidet er einmal — und er entschei- det doch so selten —, dann windet sich die SPD in mit weniger als 400 mg pro Kubikmeter Abgasluft Schlangenlinien, und aus ihren Freudentänzen über unterschreitet. Dadurch vermindern sich die den pflegeleichten Kandidaten werden Eiertänze. Schwefelemissionen des Kraftwerks Ibbenbüren um zwei Drittel und das bei einer Verdreifachung (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der Stromproduktion. der CDU/CSU) Das zeigt: Während des Genehmigungsverfah- Johannes Rau, der entschlossene Kohleförderer rens, das seit 1974 in mehreren Stufen läuft und und gleichzeitig entschlossene Umweltschützer, der dem weitere Nachträge folgen werden, hat die nord- großmütige und großzügige Sozialpolitiker und rhein-westfälische Landesregierung die Anforde- gleichzeitig finanziell sorgfältige Hausvater, also rungen entsprechend dem sich rasant entwickeln- das Motto: Johannes Rau, für jeden wohlgefällig, den Stand der Technik bei der Rauchgasreinigung diese SPD-Mogelpackung nehmen wir Ihnen nicht ständig verschärft. Schon dadurch wird deutlich, ab, werden Ihnen auch die Wähler nicht abnehmen. daß der Vergleich mit einem anderen Kraftwerk, Buschhaus, Tempolimit und Ibbenbüren, das ist ein das vor Jahresfrist in Betrieb gegangen ist, nicht Beispiel für Doppelzüngigkeit, Irreführung, Wähler- zutrifft. täuschung. Andere werden noch kommen. Und wir (Zurufe von der CDU/CSU) werden Sie damit nicht davonkommen lassen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Bei der Buschhaus-Debatte im vergangenen Jahr im Deutschen Bundestag ist mit Zustimmung aus allen Fraktionen, auch derer, die heute diesen komi- Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Mini- schen Antrag gestellt haben, in einer Entschließung ster des Landes Nordrhein-Westfalen, Einert. u. a. gefordert worden, jenes Kraftwerk, nämlich (Dr. Schierholz [GRÜNE]: Wo ist denn Buschhaus, erst nach Einbau einer Rauchgasent- Rau? — Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Der schwefelungsanlage in Betrieb zu nehmen und — wird entstickt!) nun hören Sie gut zu, mein Kollege Hauff hat be- reits darauf hingewiesen — (Zuruf von der CDU/CSU: Wir hören doch Minister Einert (Nordrhein-Westfalen): Frau Präsi- schon, sind ganz gespannt!) dentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor vier Monaten wurde das neue Kohlekraftwerk spätestens ab 1988 nach dem Stand der Technik die Ibbenbüren in Betrieb genommen, eine Tatsache, NOx-Emissionen mit dem Ziel 200 mg zu verrin- 13708 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985

Minister Einert (Nordrhein-Westfalen) gern. Dieser einhelligen Forderung des Deutschen Die Landesregierung kann davon ausgehen, daß Bundestages ist bei Buschhaus nicht entsprochen RWE und Preussag die Bauentscheide noch im er- worden. Ibbenbüren aber erfüllt sie bei SO2 schon sten Halbjahr 1986 treffen werden, damit die An- heute lage 1988 in Betrieb gehen kann. Ich verweise noch (Dr. Vogel [SPD]: Hört! Hört!) einmal ausdrücklich darauf, daß wir gestern in ei- und bei NO, nach unserem Emissionsminderungs- nem Gespräch zwischen Landesregierung und Vor- plan spätestens bis Ende 1988. stand RWE den Tatbestand noch einmal geklärt ha- ben, (Beifall bei der SPD) (Mann [GRÜNE]: Die Umbenennung von Da haben Sie den Unterschied zu Buschhaus. Dann Nordrhein-Westfalen, oder weswegen?) reden Sie nicht an der Sache vorbei, sondern dann geben Sie auch einmal offen zu, daß ein wesentli- nachdem durch die Formulierung des Vorstands- cher Unterschied zwischen Buschhaus und Ibben- mitglieds bei der Eröffnung des Kraftwerks eine büren besteht! unterschiedliche Deutung möglich geworden ist. Ich (Beifall bei der SPD — Dr. Müller [Bre füge das ausdrücklich hinzu. In diesem Gespräch — men] [GRÜNE]: Dadurch wird es doch schriftlich vereinbart und fixiert — hat RWE noch nicht besser! — Weitere Zurufe von der einmal verbindlich zugesagt, nicht nur die Entstik- CDU/CSU und den GRÜNEN) kungsanlage zu bauen — was nach geltendem Recht zwingend ist —, sondern sich auch intensiv — Das Verkünden von Unwahrheiten macht sie zu bemühen, den Planungszeitraum von 1988/89, auch bei ständiger Wiederholung nicht wahr. Sie der ursprünglich vorgesehen war, auf 1987/88 vor- diskutieren nach der Methode: Wenn die Tatsachen zuziehen. nicht mit meiner Meinung übereinstimmen — schade für die Tatsachen. (Gerstein [CDU/CSU]: Dann ziehen Sie mit (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ Buschhaus gleich!) CSU: Lesen Sie doch einmal Zeitung!) — Wo redet denn jemand in Buschhaus von Ent- Zweiter Punkt. Die Umweltminister haben in ih- stickungsanlage? Sagen Sie mir das doch- einmal! rem Beschluß vom April 1984 die Einhaltung dieses Grenzwertes für Altanlagen „zum frühestmöglichen (Beifall bei der SPD — Gerstein [CDU/ Zeitpunkt" gefordert. Dabei gingen Sie davon aus, CSU]: Weil die gar nicht nötig ist!) daß 200 Milligramm NO, bei Kohlefeuerung mit Herr Gerstein, Sie sollten es eigentlich besser wis- trockenem Ascheabzug Stand der Technik seien. sen. „Lediglich bei Schmelzkammerfeuerung", so heißt es in dem Bericht — Ibbenbüren verfügt über eine Außerdem wurde zugesagt, in der Zwischenzeit solche —, „wird in Baden-Württemberg noch die das neue Kraftwerk im Jahre 1986 nur mit 80 % Lei- Notwendigkeit gesehen, eine Demonstrationsan- stung zu fahren, was die Emissionen um 25 % NO, lage zu bauen. also von 17 000 auf 13 000 t absenkt, und den alten (Dr. Hauff [SPD]: Hört! Hört!) Block in der Umweltbelastung unter 2000 Stunden mit einer 60 %igen Abgasminderung zu fahren. Die endgültigen Ergebnisse werden 1987 erwartet. Anschließend sollen dann die Altanlagen umgerü- (Mann [GRÜNE]: Da spricht das schlechte stet werden, spätestens bis 1990." So weit einstim- Gewissen, Herr Minister!) mig die Umweltministerkonferenz. Damit ist festzustellen, daß bei Ibbenbüren alle Ich verstehe Ihre Aufgeregtheiten überhaupt Möglichkeiten ausgeschöpft werden, möglichst nicht. Wir haben überall in der Bundesrepublik bei frühzeitig und über rechtliche Vorschriften hinaus der NOx-Minderung technische Probleme bis 1988, den Stand der Technik voranzubringen, um größt- in allen Ländern, bei allen Kraftwerken. mögliche Emissionsminderung zu erreichen. (Dr. Vogel [SPD]: So ist es!) Die nordrhein-westfälische Landesregierung hat Das gilt nicht nur für Nordrhein-Westfalen. Ver- bereits 1984 mit der öffentlichen Kraftwirtschaft ei- suchsanlagen sind im Bau. nen vorbildlichen Emissionsminderungsplan ver- (Stahl [Kempen] [SPD]: Das will der einbart. In diesem haben sich die Betreiber von 71 Lambsdorff auch nicht wissen!) Kraftwerken in Nordrhein-Westfalen verpflichtet, diese Anlagen früher und wirksamer umzurüsten, Auch bei Ibbenbüren, für das nach dem damali- als es die Großfeuerungsanlagen-Verordnung vor- gen Stand der Technik trotz 1980 genehmigter 2500 sieht. mg durch Primärmaßnahmen bei Inbetriebnahme bereits eine Absenkung auf 1500 bis 1800 mg zu ver- (Schulte [Menden] [GRÜNE]: Und was ist zeichnen ist, ist die Machbarkeitsstudie für eine daraus geworden? Gar nichts!) DENOX-Anlage durchgeführt. Die planerischen An- sätze müssen noch mit den zur Zeit laufenden Ver- Wir gehen davon aus, daß die S02-Emissionen aus suchsreihen bei anderen Kraftwerken abgeglichen Kohlekraftwerken in Nordrhein-Westfalen bis Ende werden, da japanische Erfahrungen mit Katalysato- 1987 um rund ein Viertel, bis 1988 — Termin der ren bei Schmelzkammerfeuerung — Ibbenbüren ist Großfeuerungsanlagen-Verordnung — um rund die größte der Welt — nicht vorliegen. zwei Drittel und bis 1989 um drei Viertel zurückge- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13709

Minister Einert (Nordrhein-Westfalen) hen werden. Entsprechendes gilt für Stickoxide, die Regierungsverantwortung, dann wendet sie völlig bis 1990 um fast drei Viertel reduziert werden. andere Maßstäbe an. (Mann [GRÜNE]: Wollen Sie feststellen, (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Hauff daß Sie umweltpolitische Musterknaben [SPD]: Sagen Sie mal was zum Kraftwerk sind? — Zurufe von der CDU/CSU) Sölling!) Ich stelle fest: Erstens. Nordrhein-Westfalen er- Da stellt sie den Totenschein auf den deutschen füllt die Grundsätze der Emissionsminderung in Wald aus, wenn nicht sofort ein Tempolimit einge- den Bereichen SO2 und NO S, die durch die Groß- führt wird. Herr Hauff und Herr Schäfer, Sie haben feuerungsanlagen-Verordnung festgelegt wurde, in das wiederholt getan. Grenzwerten und Zeitvorstellungen. Gleichzeitg wird das Kohlekraftwerk Ibbenbüren Zweitens. Nordrhein-Westfalen erfüllt die Grund- in Betrieb gesetzt, ein Kraftwerk, das bei normalem sätze der Emissionsminderung in den Bereichen Lauf 17 000 t Stickoxid im Jahr in die Luft bläst. SO2 und NOx, die durch den Beschluß der Umwelt- Wird dieses Kraftwerk im Grundlastbereich einge- ministerkonferenz festgelegt wurden, in Grenzwer- setzt, so sind die Stickoxidemissionen sogar fast ten und Zeitvorstellungen. doppelt so hoch: über 30 000 t. Drittens. Nordrhein-Westfalen erfüllt die Grund- Zum Vergleich: Bei einem Tempolimit auf den sätze der Emmissionsminderung in den Bereichen Autobahnen würden 32 000 t im Jahr eingespart. Sog und NOx gemäß dem Beschluß des Deutschen (Zuruf des Abg. Schäfer [Offenburg] Bundestages vom vorigen Jahr zu Buschhaus in [SPD]) Grenzwerten und Zeitvorstellungen. Meine Damen und Herren, es ist doch völlig un- Insoweit könnten sich viele an Nordrhein-Westfa- glaubwürdig, wenn Sie von der SPD die Forderung len ein Beispiel nehmen. nach einem Tempolimit ständig wiederholen und (Beifall bei der SPD — Gerstein [CDU/ gleichzeitig Ibbenbüren in Betrieb gehen lassen. CSU]: Das fehlt auch noch! — Dr.-Ing. (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und bei - Kansy [CDU/CSU]: Vor allen Dingen in der Abgeordneten der GRÜNEN) Finanzpolitik! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU) Sie von der SPD rechtfertigen Ihre Entscheidung mit der Sicherung von Arbeitsplätzen. Es ist richtig: Das Steinkohlekraftwerk Ibbenbüren wurde vor al- lem deshalb gebaut, um den Bergleuten im Mün- Vizepräsident Frau Renger: Meine Damen und sterland die Arbeitsplätze zu erhalten. Dies ist zu Herren. Das Wort hat der Herr Parlamentarische begrüßen. Staatssekretär Spranger. Zu verurteilen ist jedoch die Doppelzüngigkeit der SPD. Wo bleiben eigentlich Ihre Sorgen um die Arbeitsplätze in der Automobilindustrie bei der Forderung nach einem Tempolimit? Spranger, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- ster des Innern: Frau Präsidentin! Meine sehr ver- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — ehrten Damen und Herren! In der vergangenen Wo- Stahl [Kempen] [SPD]: Das ist doch der che hat der nordrhein-westfälische Ministerpräsi- letzte Witz!) dent offiziell und persönlich das Kohlekraftwerk Wo waren Ihre Sorgen um die Arbeitsplätze im Ibbenbüren in Betrieb gesetzt. Ich stelle hierzu fest: Helmstedter Raum, als es vor einem Jahr um das Das Kraftwerk Ibbenbüren ist eine Altanlage im Kraftwerk Buschhaus ging? Sinne der Großfeuerungsanlagen-Verordnung. Die Inbetriebnahme ist rechtlich nicht zu beanstanden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Sie fällt ausschließlich in den Verantwortungsbe- Ich kann Ihnen nur empfehlen, die Debattenbei- reich der Landesregierung von Nordrhein-Westfa- träge vom 31. Juli 1984 nachzulesen. Auch Herr Ei- len. nert hätte sich heute hier sehr gut daran orientie- Bei der heutigen Diskussion um Ibbenbüren geht ren können. es aber überhaupt nicht um die rechtliche Bewer- (Dr. Vogel [SPD]: 300 Milligramm! — Wei tung; zur Debatte steht vielmehr die umweltpoliti- tere Zurufe von der SPD) sche Unglaubwürdigkeit der SPD. Buschhaus ist mit Ibbenbüren zu vergleichen, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — aber mit zwei entscheidenden Unterschieden. Die Zustimmung des Abg. Mann [GRÜNE]) SPD hat Buschhaus bis aufs Messer bekämpft. Die Widersprüchlicher als zur Zeit von der SPD kann Vernichtung von Arbeitsplätzen im Helmstedter die umweltpolitische Auseinandersetzung wohl Raum war für sie damals kein Thema. nicht mehr geführt werden. (Zurufe von der SPD) (Gerstein [CDU/CSU]: So ist es!) Heute will sich der nordrhein-westfälische Mini- Wenn die SPD nicht in der Regierungsverantwor sterpräsident als Retter von 4 500 Arbeitsplätzen in tung steht, will sie bei umweltpolitischen Forderun Ibbenbüren feiern lassen und erscheint persönlich gen die GRÜNEN noch überbieten. Hat sie aber zur Inbetriebnahme. 13710 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985

Parl. Staatssekretär Spranger Ich sage Ihnen: Beides ist möglich, die Erhaltung Dinge sind, glaube ich, überraschend. Ich habe ei- von Arbeitsplätzen und der verbesserte Schutz un- ' gentlich gar nicht verstanden, welche Aufforderung serer Umwelt. Beides ist möglich. Das hat der nie- der Vertreter der Bundesregierung an die Landes- dersächsische Ministerpräsident mit Unterstützung regierung Nordrhein-Westfalen gerichtet hat; der Bundesregierung im letzten Jahr durch verant- (Bohl [CDU/CSU]: Nicht mehr doppelzün wortungsvolles Verhalten bei Inbetriebnahme des gig zu sein!) Kraftwerks Buschhaus deutlich unter Beweis ge- stellt. die Landesregierung hat gehandelt. (Zurufe von der SPD) (Beifall bei der SPD — Weitere Zurufe von Der zweite Unterschied: Bevor das hochmoderne der CDU/CSU) Braunkohlekraftwerk Buschhaus in Betrieb gehen Eine zweite Bemerkung habe ich auch nicht ver- durfte, wurde eine Reihe von Kompensationsmaß- standen. Das war die Bemerkung von Herrn Ger- nahmen getroffen. Diese Maßnahmen führten dazu, stein, der sich erst einmal mit den GRÜNEN ver- daß bei der Inbetriebnahme von Buschhaus die Luft bündet und hinterher gesagt hat: Aber Arbeits- im Helmstedter Raum ab sofort um 25 000 t Schwe- plätze müssen doch sicher sein. Dies schließt sich feldioxid im Jahr entlastet wird, ich wiederhole: ent- aus. So, wie Sie das hier vorgetragen haben, ist das lastet wird. Gleichzeitig wurden dadurch die für den nicht zu machen; entweder — oder. strukturschwachen Helmstedter Raum besonders wichtigen Arbeitsplätze erhalten. Durch die Inbe- (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist eben Ihr triebnahme von Ibbenbüren hingegen wird die Luft Problem, Herr Kollege! — Weitere Zurufe mit Tausenden von Tonnen SO2 und NOx zusätzlich von der CDU/CSU) belastet. Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, Meine Damen und Herren von der SPD, ich weiß, ich möchte in meinem Beitrag etwa ganz anders daß Sie die Frage stellen: Warum sind ähnliche darstellen, nämlich die Region, in der dieses Stein- Maßnahmen nicht auch in Ibbenbüren möglich? Es kohlekraftwerk Ibbenbüren liegt. Bei der Diskus- reicht aber nicht aus, Herr Kollege Hauff, nur Fra- sion um dieses Kraftwerk wird dies nämlich häufig gen zu stellen. Ihre Partei stellt in Nordrhein-West- völlig außer acht gelassen. Der Kreis Steinfurt,- in falen die Regierung; sie muß ihre Regierungsver- dem dieses Kohlekraftwerk errichtet worden ist, antwortung auch wahrnehmen. Wenn in Nordrhein- hat eine Fläche von 1 800 qkm; das sind etwa zwei Westfalen nicht das gleiche möglich ist wie in Nie- Drittel des Saarlands. Es handelt sich um etwa dersachsen, dann liegt das nicht an irgendwelchen 380 000 Menschen, die in diesem Bereich wohnen, Naturgesetzen, sondern an der dortigen Landes- und es ist eine der geburtenstärksten Regionen der regierung. Bundesrepublik. Die Bevölkerungszunahme betrug (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — in diesem Raum von 1960 bis 1982 25 %. In dieser Zurufe von der SPD) Region werden 52 % der Arbeitnehmer in der Textil- industrie beschäftigt; das sind rund 20 000 Arbeits- Von der SPD werden umfangreiche Programme plätze. 23 % der Arbeitsplätze liegen im Investitions- geschrieben und der Eindruck erweckt, als könne güterbereich. Die Beschäftigungseinbrüche in der man Patentrezepte für Arbeit und Umwelt aus der Textilindustrie in den 70er Jahren haben zum Ver- Tasche zaubern. Sobald aber die SPD in der Regie- lust von 23 000 Arbeitsplätzen geführt. Dazu kommt rungsverantwortung Entscheidungen vor Ort zu durch Rationalisierungsmaßnahmen der Deutschen treffen hat, spielt sie plötzlich wieder den Erhalt Bundesbahn in der Nähe von Ibbenbüren der Ver- von Arbeitsplätzen gegen den Umweltschutz aus. lust von 2 500 Arbeitsplätzen. In dem an sich ländli- (Dr. Hauff [SPD]: Was kritisieren Sie jetzt chen Raum sind nur noch 1 500 Beschäftigte in der eigentlich?) Landwirtschaft zu registrieren. Der Bergbau hat Ich bedauere die heutige Auseinandersetzung; 5 000 Arbeitsplätze; das sind rund 12 % der Arbeit- denn sie schadet dem Umweltschutz. Sie schadet nehmerplätze. Die Existenz weiterer 10 000 Fami- dem Umweltschutz vor allem deshalb, weil sie den lien hängt vom Bergbau ab. Anschein erweckt, als stünden Ökonomie und Öko- Diese Situation führte dazu, daß Anfang der 70er logie, als stünden besserer Umweltschutz und mehr Jahre mit einer großen Kraftanstrengung alle Ver- Arbeitsplätze im Gegensatz zueinander. Wer näher antwortlichen die Schließung der Zeche Ibbenbüren hinschaut, wird schnell feststellen, das dies nicht verhinderten. Land und Bund haben damals zusam- stimmt. Die Bundesregierung läßt es nicht zu, daß men 90 Millionen DM ausgegeben. Diese 60 Millio- der Umweltschutz gegen die Sicherung von Arbeits- nen DM Bundesmittel und 30 Millionen DM Lan- plätzen ausgespielt wird. Wir schaffen im Gegen- desmittel werden jetzt zurückgezahlt. Das war da- satz zur SPD beides: mehr Arbeit und besseren Um- mals eine Verpflichtung, die die Sozialdemokraten weltschutz. mit in die Debatte eingebracht haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Hört! Hört! Bei der SPD — Zuruf von der SPD: Wo ist denn der Graf?) Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Herr Anfang 1974 wurden auf politischen Druck hin Abgeordnete Becker (Nienberge). RWE und Preussag veranlaßt, das Kohlekraftwerk Ibbenbüren am Standort Ibbenbüren zu bauen, um Becker (Nienberge) (SPD): Frau Präsidentin! den Absatz der Kohle zu sichern. Bei einer Förder- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zwei menge von 2,3 Millionen t wird rund 1 Million t für Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13711

Becker (Nienberge) das Kraftwerk benötigt. In Ibbenbüren wird seit sondern es geht hier heute ganz konkret um die drei Jahren Kohle auf Halde gelegt. Dort liegen immer wieder zur Schau gestellte umweltpolitische inzwischen logischerweise 3 Millionen t. Selbstgerechtigkeit, mit der die SPD schon seit Jah- Es darf nicht unbeachtet bleiben, daß die Arbeits- ren unser politisches Klima vergiftet. losenquote im Kreis Steinfurt über dem Durch- (Beifall bei der CDU/CSU — Uih-Rufe bei schnitt liegt. Sie ist, wie im Bundesgebiet gestern der SPD) überall bekannt geworden ist, auch in Steinfurt wie- Es geht um die umweltpolitische Glaubwürdigkeit der gestiegen. Rund 15 000 Menschen sind arbeits- der SPD, los. (Hört! Hört! bei der SPD) (Stahl [Kempen] [SPD]: Gut gebrüllt!) Lediglich 9 000 erhalten Arbeitslosenunterstützung von der inzwischen sogar Parteifreunde sagen, daß und Arbeitslosenhilfe. ihrem Kanzlerkandidaten — hören Sie gut zu; ich zitiere die „Süddeutsche Zeitung" vom 2. Dezember (Bueb [GRÜNE]: So geht die Umwelt vor — „bei seinem Einsatz für das Kraftwerk Ibbenbü- die Hunde!) ren sämtliche Sensoren abhanden gekommen" sein Nun will ich Ihnen noch etwas sagen. Der Rat der müssen. Stadt Ibbenbüren — da haben Sie nämlich eine kleine Fraktion — hat einstimmig — mit Ihren (Zurufe von der SPD: Uih! — Duve [SPD]: Stimmen! — die Inbetriebnahme des Kraftwerkes Das ist ja ein Blattschuß! — Dr. Vogel vorgestern begrüßt. [SPD]: Immerhin die „Süddeutsche"!) (Dr. Vogel [SPD]: Doppelzüngigkeit! — — Herr Kollege Vogel, das ist doch Ihre Haus- und Weitere Zurufe von der SPD) Hofzeitung, die so etwas schreibt. Buschhaus ist ein Problem. Das wissen wir. Ibben- (Dr. Vogel [SPD]: So eine anständige Zei büren ist ein völlig anderes Problem. Das ist hier tung haben Sie gar nicht!) dargestellt worden. — Dann hat sie also recht? (Zurufe von der CDU/CSU) (Dr. Vogel [SPD]: Sie haben nur den „Bay- Es wird hier noch näher beleuchtet werden. ernkurier"!) (Zurufe von der CDU/CSU — Stockhausen — Danke schön, daß Sie mir recht geben, Herr [CDU/CSU]: Sagen Sie, daß es das gleiche Vogel! ist!) Was hat sich Johannes Rau eigentlich gedacht, Sie können sich darauf verlassen — das ist mein als er die Ibbenbürener Stromfabrik vor einigen letzter Satz —: Hinter dem größten Schmelzkam- Tagen sozusagen als Paradebeispiel für den nord- merkessel der Welt in Ibbenbüren gibt es die mo- rhein-westfälischen Weg von Arbeitsplatzsicherung dernste Entstickungsanlage der Welt. und Umweltschutz feierte? (Beifall bei der SPD — Gerstein [CDU/ (Stahl [Kempen] [SPD]: Jedenfalls mehr CSU]: Noch nicht!) als Sie!) Hat er etwa vergessen, was uns sein Parteifreund Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Ab- Vogel — der erfreulicherweise im Gegensatz zu geordnete Engelsberger. Herrn Rau hier ist — am 31. Juli 1984 (Zuruf des Abg. Dr. Vogel) Engelsberger (CDU/CSU): Frau Präsident! Meine in der Buschhaus-Debatte des Deutschen Bundesta- Damen und Herren! Diese Aktuelle Stunde ist zwar ges beschwörend zugerufen hatte, daß es — ich von den Grünen beantragt worden; aber auch un- zitiere — „auf diesem Gebiet eine Minute vor zwölf sere Fraktion hätte den Antrag stellen können, ist und wir unverzüglich mit der Natur Frieden wenn auch mit anderer politischer Zielsetzung. schließen müssen"? (Zurufe von der SPD) (Beifall bei der SPD) Denn was hier heute als politischer Skandal und als Herr Vogel, seitdem sind 5000 Minuten vergangen, parteipolitische Groteske an den Pranger gestellt aber Sie haben nicht Frieden geschlossen. werden muß, ist die unglaubliche umweltpolitische (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Doppelzüngigkeit, mit der sich die SPD und ihr Kanzlerkandidat wieder einmal in Szene gesetzt Merkt Johannes Rau nicht, wie er mit dieser Ib- haben. benbürener Lobpreisung der Kohlevorrangpolitik (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — dem niedersächsischen SPD-Kandidaten Schröder geradezu in den Rücken fiel, der für die SPD seit Stahl [Kempen] [SPD]: Von Ihnen kann man nichts anderes erwarten! Machen Sie Jahr und Tag kategorisch erklärt: „Buschhaus wäre die Augen auf!) mit uns nicht möglich gewesen." Es geht deshalb heute gar nicht so sehr um den (Zuruf des Abg. Duve SPD) wirklich schlimmen umweltpolitischen Schadstoff War sich Johannes Rau bei seinem markigen Auf- NOR, von dem durch einen Schornstein in Eiffel- tritt in Ibbenbüren eigentlich darüber im klaren, turmhöhe etwa 17 000 t Stickoxide pro Jahr von Ib- daß allein durch dieses Kraftwerk nahezu sämtli- benbüren aus in ferne Lande verfrachtet werden, che Einsparungen an Stickoxiden, die durch ein 13712 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985

Engelsberger bundesweites Tempolimit zu erreichen wären, auf- Vizepräsident Frau Renger: Nein, das war schon gewogen werden? der letzte Satz. (Mann [GRÜNE]: Also das rechnen Sie ab?) (CDU/CSU): Wie sagte doch kürzlich Hat da nicht jener Kommentator in der „Welt" Engelsberger Franz Josef Strauß anläßlich anderer politischer recht, der unter der Überschrift „Fortschritt à la Ungereimtheiten des Kanzlerkandidaten Rau so Rau" so treffend formulierte: treffend: Gewogen und zu leicht befunden. — Dem Die groß aufgezogene Kampagne der SPD für ist nichts hinzuzufügen. Geschwindigkeitsbegrenzungen entpuppte sich (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) im nachhinein als umweltpolitisches Maulhel- dentum, mit dem sich die Partei über den ge- Jetzt hat der Abgeord- sunden Menschverstand der Bürger lustig Vizepräsident Frau Renger: nete Stahl das Wort. macht. (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von den Stahl ( Kempen) [SPD]: Frau Präsidentin! Meine GRÜNEN: Das war ganz toll!) sehr geehrten Damen und Herren! Die Aktuelle Nein, meine Damen und Herren von der SPD, Sie Stunde, die die Fraktion der GRÜNEN zu Ibbenbü- sollten sich und der deutschen Öffentlichkeit end- ren beantragt hat, ist eigentlich überflüssig, lich einmal glaubwürdig und verbindlich Rechen- (Mann [GRÜNE]: Das hätten Sie gerne!) schaft darüber ablegen, da der Vergleich der Inbetriebnahme der Kraft- (Oh-Rufe von der SPD) werke Ibbenbüren und Buschhaus sachlich nicht was Sie energiepolitisch und umweltpolitisch nun gerechtfertigt ist. tatsächlich für notwendig und für vernünftig halten (Mann [GRÜNE]: Sagen Sie etwas zu und was nicht. Was nützt denn Ihre ganz Phraseolo- Herrn Bäumer!) gie über die Versöhnung von Arbeit und Umwelt, Das weiß Herr Spranger, und das weiß Herr Lambs- wenn diese Politik im Ergebnis nicht nur unglaub- dorff genauso. würdig und unberechenbar ist, sondern wenn diese - Politik in zunehmendem Maße Meine Damen und Herren, jetzt vor allem eine Adresse an die GRÜNEN: Seit Anfang der 70er (Dr. Vogel [SPD]: Auch noch erfolgreich Jahre wurden durch die Energieforschungspro- ist!) gramme, da damals das SO2 besonders relevant auch finanziell und umweltpolitisch zu einer uner- war, verschiedene Verfahren und Komponenten zur träglichen Belastung wird? Rauchgasentschwefelung gefördert. Damit sollte (Dr. Vogel [SPD]: Pfui!) die Möglichkeit gegeben werden, durch Forschung und Entwicklung von neuen Technologien im Kraft- Sagen Sie uns doch bitte endlich klipp und klar, werksbereich den Einsatz von Steinkohle sowie was Sie unter Kohlevorrangpolitik verstehen. Braunkohle umweltfreundlich vor allem langfristig (Stahl [Kempen] [SPD]: Das haben wir Ih zu sichern. Herr Gerstein, darüber waren wir uns nen doch gesagt! Denken Sie doch einmal alle einig, nur stellen Sie das hier heute anders richtig nach!) hin. Herr Hauff, Sie haben das heute in der Debatte wie- Lassen Sie, vor allem Sie, verehrte Kollegen von der betont. Ist dies lediglich ein Synonym für Anti- den GRÜNEN, mich einige Verfahren nennen; denn Kernkraftpolitik? Warum gibt es in Nordrhein- ich habe den Eindruck, daß Sie von den Techniken Westfalen kein Kernkraftwerk für die Grundlast, überhaupt nichts verstehen. damit der Strompreis im Mittellastbereich für den (Dr. Hauff [SPD]: Sehr wahr!) Kohlestrom erträglich wäre? Ich nenne nur Saarberg-Hölter-Verfahren, Bischoff- (Mann [GRÜNE]: Jetzt entpuppen Sie sich: Verfahren, Grillo-Verfahren, Walter-Verfahren und Sie wollen Kernkraftwerke! — Gerstein verweise auf die Entwicklungen bei Lurgi und der [CDU/CSU]: Dann ginge es NRW besser!) Bergbauforschung. Es könnte hier noch einiges er- Oder heißt Kohlevorrangpolitik, wie sie offenbar gänzt werden. der Ministerpräsident Rau versteht, Vorrang der (Zuruf von der CDU/CSU: Wir reden vom Kohle ohne Wenn und Aber? Rau-Verfahren!) Nein, meine Damen und Herren, wer so leichtfer- Die meisten dieser Verfahren sind erfolgreich abge- tig daherredet, der verrät nicht nur einen peinli- schlossen und stehen heute mit Marktreife der chen Mangel an umweltpolitischer Sensibilität, son- Kraftwerkswirtschaft zur Verfügung. dern entpuppt sich einmal mehr als politisches (Gerstein [CDU/CSU]: Nicht für den Fall Leichtgewicht. Ibbenbüren!) Die Umrüstung der Altanlagen ist auf Grund dieser Vizepräsident Frau Renger: Herr Kollege, Ihre Re- Techniken in Bewegung gesetzt. Hier sind Aufträge dezeit ist um. in Milliardenhöhe für den SO2-Bereich, sage ich ausdrücklich, in Bewegung gesetzt. Das Investi- tionsvolumen ist beträchtlich. Es ist schon seltsam, Engelsberger (CDU/CSU): Der letzte Satz, Frau daß dazu heute von seiten der Regierungsparteien Präsident! und vom Regierungsvertreter nichts gesagt wird. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13713

Stahl (Kempen) Bezogen auf den Massenschadstoff SO2, der Vizepräsident Frau Renger: Herr Abgeordneter, zu Beginn der 80er Jahre erst richtig ins Blick- Ihre Redezeit ist zu Ende. feld kam — bei den GRÜNEN steht im Bundes- programm 1981/82 über Waldsterben nicht ein Stahl (Kempen) (SPD): Diese Anlagen gehen 1986 Wort — — in Betrieb. Lassen Sie mich abschließen — — (Zuruf von den GRÜNEN: Das stimmt ja Nein, es tut mir furcht- gar nicht!) Vizepräsident Frau Renger: bar leid, Ihre Redezeit ist schon überschritten. Wir haben im Bereich der Feuerungstechnik der (Beifall bei der SPD — Dr.-Ing. Kansy Kraftwerke selbst auf Grund der damaligen Maß- [CDU/CSU]: Lassen Sie ihn doch!) nahmen und der noch lückenhaften Erkenntnisse eine ganze Menge von Projekten gefördert. Ich Stahl (Kempen) (SPD): Meine Herren, das Kraft- nenne hier nur den Stufenbrenner, die Zuschlag- werk Ibbenbüren ist mit Buschhaus selbst bei groß- technik und einiges mehr. zügiger Betrachtung der Schadstoffabgaben nicht vergleichbar. (Dr.-Ing. Laermann [FDP]: Was denn? — Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Der Herr Rau (Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Weil es nicht ist ein Stufenbrenner mit Fehlzündung!) in Niedersachsen liegt!) Das sollten Sie wirklich zur Kenntnis nehmen. Durch diese Maßnahmen kann der Ausstoß von NOx im Kraftwerke schon vermindert werden. Und (Beifall bei der SPD) vergessen Sie nicht, daß die Schadstoffabgaben da- mals bei 2000 Milligramm lagen, während Busch- Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Herr haus — Herr Gerstein, Sie müssen ehrlich sein — Abgeordnete Schmidbauer. bei 10 000 bis 12 000 Milligramm liegt; dies nur zum Vergleich. Daneben wurden bzw. werden heute si- Schmidbauer (CDU/CSU): Frau Präsidentin! multane Schwefeldioxid- und Stickstoffbindungsan- Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! lagen und -technologien gefördert. Ich nenne hier Mit der Diskussion um das Kraftwerk Ibbenbüren- das Walter-Verfahren, das Verfahren der Bergbau- ist die ganze Umweltpolitik der SPD als wahltakti- forschung, das Resonax-Verfahren sowie die Ver- sches Feuerwerk entlarvt. Läge dieses Kraftwerk in besserung der Festbett-Katalysatoren nach dem ja- Niedersachsen — wie Buschhaus z. B. — oder in panischen SCR-Verfahren. Hier geht es darum, einem anderen CDU/CSU-regierten Land — das neue Stoffe für die Katalysatoren zu erproben so- Geschrei der SPD wäre groß, und die SPD könnte wie die Standzeiten der Katalysatoren zu testen. ihre utopisch-schöne umweltpolitische Maske wei- Denn davon hängt es letztendlich ab, ob eine derar- ter vor sich hertragen. tige Großtechnologie im Betriebsablauf langfristig, (Freiherr von Schorlemer [CDU/CSU]: Ge sicher und preiswert eingesetzt werden kann; und nauso ist es!) Betriebserfahrung müssen wir haben. Doch nun — welche Ironie — hat der Traumprinz Die Erprobung weiterer Forschung bei den hier selber dem Märchen ein Ende bereitet. aufgeführten Technologien für den NOx-Bereich (Mann [GRÜNE]: Wer hat Ihnen denn das steht derzeit in einer ganzen Reihe von Kleinanla- aufgeschrieben?) gen an. Allein für die Forschung in diesen Berei- — Ich schreibe meine Reden im Unterschied zu chen, die ich angeführt habe — SO2 und NOx, wur- Ihnen selber. — Die ihm zugedachte Rolle gefiel den rund 450 Millionen DM an öffentlichen For- ihm nicht. So spielte er — unabhängig vom Dreh- schungsmitteln ausgegeben. buch — seinen Part, und dabei darf er nicht einmal (Gerstein [CDU/CSU]: So gut ist die Bun lachen. In der Tat, ein schönes Theater, aber das desregierung! — Zurufe von den GRÜ Stück, das die SPD anbietet, NEN) (Mann [GRÜNE]: Ist ein Trauerspiel!) eignet sich möglicherweise als absurdes Theater, Die Änderung der Emissionswerte der Großfeu- möglicherweise auch als Trauerspiel, nicht aber für erungsanlagen-Verordnung, die 1981/82 anberaten die politische Bühne der Bundesrepublik Deutsch- und 1983 verabschiedet wurde, brachte eine ganze land. Menge Bewegung in den Bereich der Umsetzung (Beifall bei der CDU/CSU) von neuen umweltfreundlichen Techniken. Herr Lambsdorff, ich wundere mich, daß Sie hier heute Dies ist, wie der Presse zu entnehmen war, auch so eine einseitige Rede gehalten haben; denn Sie der SPD klar. Denn das Wehklagen der Genossen saßen j a damals auch am Kabinettstisch. ist groß. Ich darf aus einem Zeitungsartikel — stell- vertretend für viele — zitieren: „Was tut Johannes (Dr. Vogel [SPD]: Wo ist der denn? Der ist sich und uns nur an?" klagte ein SPD-Genosse. doch weg! — Weitere Zurufe von der SPD) (Bohl [CDU/CSU]: Da nickt der Herr Vo Wir haben zwei Demonstrationsanlagen, die im gel!) Bau sind: im Kraftwerk Altbach der Neckarwerke Die Aufregung der SPD ist verständlich. Ist uns mit 460 MWe mit einer Trockenfeuerung sowie bei doch allen wohlbekannt, wie Sie gegen das Kraft- der VEBA mit 345 MWe mit einer Schmelzkammer- werk Buschhaus im Sommer zu Felde gezogen sind. feuerung. Kaum ein Jahr ist es her, daß in einer Sondersit- 13714 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985

Schmidbauer zung des Deutschen Bundestages die SPD vollmun- sein, wenn Stetigkeit und Berechenbarkeit zu ihren dig — wie der Fraktionsvorsitzende, Herr Kollege Grundlagen gehören. Vogel, damals sagte — Glaubwürdigkeit in der Um- Herzlichen Dank. weltpolitik gefordert hat. Nun, was ist von dieser doppelbödigen Politik zu halten, im übrigen perso- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) nifiziert durch Jo Leinen? Wenn ich daran erinnern darf: Tempolimit 100 fordern und mit 88 km/h durch Völklingen gebraust. Er meinte wohl 100 km/h auf Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Ab- allen Straßen in der Bundesrepublik Deutschland. geordnete Lennartz. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — (Mann [GRÜNE]: Jetzt kommt die rheini Broll [CDU/CSU]: Ein Tempoprotz! — Zu sche Fröhlichkeit! — Weiterer Zuruf von rufe von der SPD) den GRÜNEN: Braunkohlen-Lennartz!) Die SPD beantwortet die Frage nach der Glaub- würdigkeit so — ich darf zitieren —: „Eine Kata- strophe für unsere Glaubwürdigkeit" stöhnte ein Lennartz (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr ge- hoher SPD-Mann im Vorstand. So in der Presse zu ehrten Damen und Herren! Umweltschutz und Ar- lesen. Sie müssen das ja wissen. So ist es in der Tat. beitsplätze sind keine Gegensätze, es sei denn, Steine, die Sie losgetreten haben, treffen Sie nun (Gerstein [CDU/CSU]: Es ist Buschhaus!) selbst. Umweltschutz wird mißverstanden als Verzicht auf Wo sind eigentlich die Strategen des Sommers moderne Technologie. 1984? Ich höre hier keinen. Es wäre auch schlimm; denn sie müßten in der Tat schwere Klimmzüge (Mann [GRÜNE]: Darauf verzichten Sie ja vollziehen. gerade in Ibbenbüren!) Die SPD wäre gut beraten — das zeigt sich auch Das heißt für Ibbenbüren: Ein Teil der Rauchgasrei- heute deutlich —, wenn sie die konsequente, verläß- nigung, die Entstickung, kann nur dann großtech- liche und langfristig angelegte Umweltpolitik der nisch erprobt werden, wenn das Kraftwerk- in Be- Bundesregierung unterstützen würde. trieb ist. Die Entstickung der Kohle in dieser Grö- ßenordnung ist nicht Stand der Technik. Für Ibben- (Zurufe von den GRÜNEN: Oh!) büren heißt das: Die Entstickung kann erst Stand Die von uns verabschiedete Großfeuerungsanla- der Technik werden, wenn sie großtechnisch im lau- gen-Verordnung regelt in Buschhaus und Ibbenbü- fenden Kraftwerksbetrieb erprobt wird. ren das Verfahren einer weitergehenden Emis- (Zuruf von der SPD: Richtig!) sionsminderung. Die Informationen der Landesre- Das wird mit der rheinischen Braunkohle genauso gierung Nordrhein-Westfalen vom 28. November gemacht. Anders geht es nicht. 1985 unterstreichen das sehr deutlich. Auch der Kollege Einert hat sich so eingelassen. Was heißt sinnvolles wirtschaftliches und arbeits- marktpolitisches Handeln? Das heißt der Kohle den Offensichtlich wird unsere vorausschauende Um- Absatz sichern, in Ibbenbüren mindestens 15 000 weltpolitik auch vom Spitzenkandidaten der SPD, Menschen den Lebensunterhalt sichern, Johannes Rau, als solche anerkannt und in seinem Bundesland verfolgt. Das erfreut uns um so mehr, (Zuruf von den GRÜNEN: Das werden ja da er offenbar ein neuer Jünger unserer Umweltpo- immer mehr!) litik ist; denn vor kaum einem Jahr konnte Johan- mit dieser Technologie weltweit führend sein und nes Rau seine Einsicht im Falle Buschhaus öffent- Exportchancen sichern. Das steht im Einklang mit lich noch nicht kundtun. Sonst hätte er sich damals sinnvollem umweltpolitischen Handeln, nämlich im sicher vor den Vorsitzenden der Bergarbeiterge- laufenden Kraftwerksbetrieb so schnell wie überall werkschaft, unseren Kollegen Schmidt, gestellt und sonst in der Republik auch die geeignete Entstik- ihn wohl auch gegen die Angriffe verteidigt. kungstechnologie herauszufinden und 1988 anzu- (Sehr wahr! bei der CDU/CSU — Gerstein wenden. [CDU/CSU]: Da hat er ihn im Regen ste Tatsache ist: Die Entstickung dieser Kohle kann henlassen!) nirgendwo auf der Welt abgeguckt werden, weil es Aus all diesen Gründen kommt auch die „Rheini- sie nirgendwo anders gibt. Ich wiederhole: Auch sche Post" vom 30. November 1985 unter der Über- und gerade in Ibbenbüren sind Arbeit und Umwelt schrift „Doppelbödig" zu dem Ergebnis — ich zi- kein Gegensatz, kein Widerspruch, auch wenn das tiere —: „Aber für Rau und die SPD ist die Doppel- im ersten Augenblick so erscheint. Wir sind froh, bödigkeit, mit der gegen Buschhaus und für Ibben- daß es dem Ministerpräsidenten von Nordrhein- büren argumentiert wird, ein weiterer Minus- Westfalen auch in Ibbenbüren gelungen ist, eine punkt." Klammer um den scheinbaren Widerspruch zwi- schen Arbeit und Umwelt zu setzen. Nun bleibt abzuwarten und festzustellen, wer hin- ter Johannes Rau steht. Heute haben wir dazu von (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ihnen leider nichts gehört. Der Bürger hat ein Wie hätte die Alternative ausgesehen? Das Kraft- Recht darauf, das zu erfahren; denn schließlich werk bleibt kalt. Es gibt keine großtechnische Ver- kann Umweltpolitik effektiv und erfolgreich nur suchsreihe für Entstickung niederflüchtiger Kohle. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13 715

Lennartz 5 000 Menschen stehen auf der Straße. Die Immis- Meine Damen und Herren, die Investitionen für sionen werden nicht gesenkt, den Umweltschutz sind nirgendwo stärker als in Nordrhein-Westfalen. (Mann [GRÜNE]: Sie haben dem Kollegen Schulte nicht zugehört!) (Lachen bei der CDU/CSU und den GRÜ NEN) weil alte Kraftwerke weiter blasen. Dann wird Das können Sie nachlesen. Das läßt sich nicht weg- Atomstrom eingesetzt, möglichst aus Frankreich, debattieren. Die Menschen in Nordrhein-Westfalen oder gar kein Strom, wissen das. (Ströbele [GRÜNE]: Erzählen Sie das den (Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Aus Nieder Wäldern!) sachsen!) Das ist auch der Grund dafür, daß die Wähler oder jeder bläst sein eigenes grünes Windkraftwerk GRÜNE im Landesparlament in Nordrhein-Westfa- Ihrerseits. len für überflüssig erklärt haben. (Mann [GRÜNE]: Sie sollten uns einmal (Beifall bei der SPD — Dr.-Ing. Kansy zuhören!) [CDU/CSU]: Wie behandeln Sie Ihren künf tigen Koalitionspartner?) Das sind Ihre Visionen. Meine Damen und Herren, das Wort von Johan- Herr Kollege, wenn Sie hier von Arbeitsplätzen nes Rau steht: 1988 geht eine Entstickungsanlage, sprechen: Bei vier Millionen Arbeitslosen in der die modernste der Welt, in Nordrhein-Westfalen in Bundesrepublik Deutschland sind Arbeitsplätze für Betrieb. Sonst, meine Damen und Herren — das uns Sozialdemokraten immer ein Argument, sage ich auch für die SPD-Bundestagsfraktion —, wird die Betriebsgenehmigung problematisiert. (Freiherr von Schorlemer [CDU/CSU]: Was Aber ich sage Ihnen, das Wort unseres Ministerprä- haben Sie bei Buschhaus gesagt?) sidenten steht. Wir bekommen das Modernste, was immer, wenn wir politisch denken und handeln. dann überhaupt möglich ist, für Nordrhein-Westfa- len, für unsere Republik, für eine Kohlevorrangpoli-- (Freiherr von Schorlemer [CDU/CSU]: Was tik. haben Sie bei Buschhaus im vorigen Jahr (Beifall bei der SPD) gesagt? Da galt dieses Argument nicht!) Das unterscheidet uns sehr deutlich von Ihnen. Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Laermann. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, die Realität sieht Gott Dr.-Ing. Laermann (FDP): Frau Präsident! Meine sei Dank anders aus. Sie haben heute morgen schon sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! mehrfach gehört, daß die Stickoxidemissionen in Ich denke, wir alle sind uns in dem Ziel im wesent- Nordrhein-Westfalen rasch und deutlich sinken. lichen einig: (Schulte [Menden] [GRÜNE]: Zunächst (Stahl [Kempen] [SPD]: Das sah heute steigen sie, Herr Lennartz!) morgen beim Lambsdorff nicht so aus!) daß wir zur Verbesserung der Umwelt beitragen. Es Ich verweise auf die Aussagen des Herrn Minister mag natürlich unterschiedliche Auffassungen über Einert. Ende 1988/89 werden es weniger als 70 % die Strategien und Wege geben, wie man dieses Ziel sein. erreichen kann. Aber ich möchte davor warnen, Es gibt eine weitere Realität. Auch nach der In- diese Zielvorstellungen, die wir haben, durch partei- betriebnahme des Kraftwerksblockes Ibbenbüren politischen Hickhack zu verschütten, der uns in der gibt es keine Defizite der nordrhein-westfälischen Sache im Grunde genommen überhaupt nicht wei- Landesregierung in Sachen Luftreinhaltung. Es terbringt. bleibt dabei: (Beifall bei der FDP — Stahl [Kempen] [SPD]: Sagen Sie das dem Lambsdorff und (Mann [GRÜNE]: Sie sind ein Traum dem Gerstein!) prinz!) — Ich habe mich an alle Kollegen gewandt. Die Regierung Rau hat Vorbildliches geleistet, Nun haben wir heute morgen eine Aktuelle (Widerspruch bei den GRÜNEN) Stunde über Ibbenbüren. Es war natürlich klar, daß man hier den Bezug zu anderen Vorgängen in der um die Luft an Rhein und Ruhr sauberer zu bekom- Republik herstellen würde. Das lag auf der Hand. men. Ich möchte im Anschluß an das, was Herr Kollege (Beifall bei der SPD) Becker gesagt hat, ganz kurz auf die Geschichte hinweisen. Es ging darum, die Infrastruktur, die Meine Damen und Herren, ob Ihnen das paßt oder Wirtschaftskraft dieser Region zu erhalten. Wir ha- nicht: Das ist die Wirklichkeit. ben Mitte der 70er Jahre die Stromversorgungsun- (Ströbele [GRÜNE]: Das wird es nicht! — ternehmen nachgerade geprügelt, verehrte Kolle- Mann [GRÜNE]: Das glauben Sie selbst gen von den GRÜNEN, daß sie dort ein Steinkoh- nicht, was Sie da erzählen!) lekraftwerk errichten sollen. Das war auf dem Hö- 13716 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985

Dr.-Ing. Laermann hepunkt der Diskussion um die Nutzung der Kern- dem Munde eines Politikers muß die Wahrheit at- energie. Sie waren doch auch damals — wenn auch men. Ich habe hier heute morgen — und nicht nur noch nicht parlamentarisch vertreten —, wie auch heute morgen — den Eindruck, daß mindestens auf (Schulte [Menden] [GRÜNE]: Aber über Ihrer Seite in der Wahrheit möglicherweise eine Umweltschutzauflagen wurde damals nicht Tageswahrheit gesehen wird. Ich sage Ihnen: Die geredet!) Wahrheit ist keine Eintagsfliege. Lassen Sie uns hier wirklich offen und ehrlich mit den Fakten ar- andere, gegen die Kernenergie. Wir haben gesagt: gumentieren, lassen Sie uns offen und ehrlich die Wir brauchen a) Kohlevorrangpolitik, b) Sicherung Fakten auf den Tisch legen, und zwar so, wie sie der Region und c) weniger Kernenergiestrom; wir sind. Lassen Sie uns hier auf parteipolitischen wollen uns auf unsere heimischen Energieträger Hickhack verzichten. abstützen. (Stahl [Kempen] [SPD]: Sagen Sie das ein (Schulte [Menden] [GRÜNE]: Aber mit mal dem Lambsdorff und dem Gerstein, Umweltschutz, nicht ohne!) aber doch nicht uns!) Das waren die Fakten. Ich sage Ihnen: Der Bürger draußen hat kein Ver- ständnis für die Haarspalterei, die wir hier betrei- Ein Faktum ist aber auch, daß es sich dort um ben, sondern er ist an der Sache interessiert, eine spezielle Kohle handelt, eine niederflüchtige Kohle, die nur in den hier schon erwähnten Spezial- (Stahl [Kempen] [SPD]: Richtig!) kesseln verbrannt werden kann, und zwar bei ho- er ist in seiner Region an dem interessiert, was sei- hen Temperaturen, womit naturgemäß auch ein ho- nen Arbeitsplatz und seine materielle Existenz be- her NOx-Ausstoß produziert wird. Die Techniken trifft. Er ist aber auch daran interessiert, wie es auf zur Reduzierung dieses NOx Ausstoßes sind noch allen Gebieten mit dem Umweltschutz weitergeht. zu entwickeln; das ist gesagt worden. Wir halten das Diesem Ziel sollten wir uns verschreiben, statt zu für notwendig, und dies wird dort auch geschehen. versuchen, durch parteipolitische Haarspaltereien Nur frage ich mich, Herr Kollege Lennartz, woher die Maßstäbe zu verwischen. Dies nämlich würde Sie die Gewißheit nehmen, daß das alles schon bis der Bürger nicht verstehen, und er würde es uns zu - 1988 erledigt sein wird und daß wir dann die als Ziel Recht übelnehmen. gesteckten Grenzwerte erreicht haben werden. Die- Danke schön. sem Optimismus möchte ich mich nicht unbedingt anschließen, (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und Abgeordneten der SPD) (Zuruf des Abg. Lennartz [SPD]) denn was dann Stand der Technik ist, wird sich erst Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Herr in der Erprobung erweisen. Vielleicht ist das dann Abgeordnete Strube. ja viel besser als das, was wir jetzt erwarten; aber wir müssen auch einkalkulieren, daß diese Ziele Strube (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Da- möglicherweise nicht erreicht werden. men und Herren! Zur Inbetriebnahme des Stein- Dennoch ist es in der Abwägung der Möglichkei- kohlekraftwerkes in Ibbenbüren möchte ich aus der ten und Notwendigkeiten in bezug auf die wirt- Sicht des benachbarten Emslandes Stellung neh- schaftliche Situation in dieser Region und in bezug men. auf unsere Kohlevorrangpolitik richtig, dieses (Zuruf von der CDU/CSU: Und des Osna Kraftwerk in Betrieb zu nehmen. Das gilt auch un- brücker Landes!) ter Berücksichtigung der rechtlichen Grundlage, Damit kein Zweifel aufkommt: Wir Emsländer ha- die gegeben war, denn nach der Definition der ben viel Verständnis für die Kumpel in Ibbenbüren. Großfeuerungsanlagen-Verordnung ist das eine Alt- Wir wissen, wie wichtig Arbeitsplätze in struktur- anlage. schwachen Räumen sind. Aber wir sind in höch- Was mich natürlich stört, ist, daß man zwar auf stem Maße über die Kaltschnäuzigkeit empört, mit der einen Seite diese Notwendigkeit erkennt, auf der der Ministerpräsident des Landes Nordrhein- der anderen Seite aber — jetzt spreche ich Busch- Westfalen, Rau, seine Sankt-Florians-Politik durch- haus an — haarspalterisch versucht hat, diese Not- setzt. So blieb sich Herr Rau auch bei der Einwei- wendigkeiten nicht im gleichen Rahmen und im hungsfeier treu und trat fast ausschließlich als gleichen Maße anzuerkennen. Auch bei Buschhaus Sprücheklopfer auf. gibt es Zielvorgaben für die weitere Emissionsredu- Weder Herr Rau noch die anderen Festredner zierung, auch dort ging es darum, daß die Technik erwähnten die hohe Salzfracht, die täglich ins Ems zur Behandlung der Salzkohle noch nicht entwik- land abgeleitet wird. Seit Frühjahr 1981, seit der kelt, noch nicht erprobt, noch nicht vorhanden war, Erschöpfung des Westfeldes und mit Beginn des so daß keine Festlegungen erfolgen konnten, wollte Kohleabbaus im Ostfeld der Zeche, ist man auf man nicht das ganze Unternehmen und damit auch stark salzhaltiges Grubenwasser gestoßen. Bei ei- die ganze dortige Region in ihrer Arbeitsplatzsitu- ner Einleitungsmenge von täglich 40 000 Kubikme- ation in Frage stellen. ter Grubenwasser werden seitdem Chloridkonzen- (Zuruf des Abg. Stahl [Kempen] [SPD]) trationen bis 25 000 Milligramm pro Liter gemes- sen. Nach durchgeführten Berechnungen betrug die — Verehrter Herr Kollege Stahl, ich halte mich hier Salzfracht im Jahresdurchschnitt 800 Tonnen täg- an das Wort von Thomas Dehler: Jedes Wort aus lich. Diese hohe Chloridbelastung — eine Menge, Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13717 Strube die man sich auf Halde kaum vorstellen kann — hat noch die politische Kraft hatte, die Emissionswerte dazu geführt, daß die als Transportwege benutzten für Stickoxide so drastisch herunterzusetzen, Gewässerstrecken großen biologischen Schaden er- (Zuruf von der SPD: Sie waren wohl Hell litten haben, ja teilweise biologisch tot sind. seher?) Die Auswirkungen durch die hohen Salzgehalte treffen erstens Wasserrechtsinhaber an den Gewäs- wie es im Interesse der Wälder und der Menschen sern, zweitens die landwirtschaftliche Nutzung an erforderlich gewesen wäre. Dafür mußte dann erst den Gewässern. Felder und Weiden werden nach die Wende kommen. der Berieselung braun. Viehtränken sind verseucht, Zweite Feststellung: Herr Rau und die SPD kön- es sind bereits Tiere verendet. Drittens: Salzgehalte nen noch soviel reden, sie können sich aus der Ver- treffen Einbauten und Bauwerke in Gewässern ein- antwortung für dieses Kraftwerk nicht hinwegsteh- schließlich der Gewässerbefestigungen. Viertens: len. Die Auswirkungen treffen Flora und Fauna im Ge- (Stahl [Kempen] [SPD]: Das wollen wir wässer und an den Randbereichen. Und schließlich doch gar nicht!) fünftens: Die Grundwasserqualität wird erheblich beeinträchtigt. Sie haben heute gesagt: Die Genehmigung konnte aus Rechtsgründen nicht versagt werden. Das ist Seit 1982 gibt es auf Ersuchen des Landkreises richtig. Wir sagen: Das galt und gilt für Buschhaus Emsland Verhandlungen zwischen dem Landwirt- auch. Sie haben heute gesagt: Es geht um die Erhal- schaftsministerium in Hannover und dem in Düs- tung von Arbeitsplätzen. Das ist richtig. Aber wir seldorf. Diese Gespräche werden von der Regierung sagen: Das gilt für Buschhaus auch. Rau nur schleppend geführt. So stört man sich in Düsseldorf nicht daran, daß ein Rechtsgutachten (Stahl [Kempen] [SPD]: Bei Buschhaus des Landkreises Emsland ein sogenanntes Wasser- gibt es aber einen Qualitätsunterschied! — einleitungsrecht der Preussag aus dem Jahre 1912 Weitere Zurufe von der SPD) in Frage stellt. Meine Damen und Herren, so — Hören Sie doch einmal zu. Sie sagen: Die Stick- hart es klingen mag, die Gespräche der niedersäch- oxide müssen hingenommen werden, bis -die Tech- sischen Landesregierung mit der DDR über die nik der Emissionsminderung ausgereift ist. Das ist Salzfracht in der Weser sind erfolgversprechender richtig, Herr Hauff. Aber das gilt für Buschhaus als die Gespräche mit der Regierung Rau über die auch. Versalzung der Ems. (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von (Hört! Hört! bei der CDU/CSU) der SPD) Wir Emsländer dulden es nicht, daß aus der Ems eine Emscher wird. Wir fordern Taten nach dem Und deshalb stelle ich hier fest: Ibbenbüren ist das Verursacherprinzip. Wer wie Herr Rau das hohe Buschhaus der SPD und ihres Kanzlerkandidaten Lied des absoluten Vorranges der Kohle singt, der Rau. Daran kommen Sie nicht vorbei. Das hat diese muß auch bereit sein, eine Pipeline von Ibbenbüren Diskussion ergeben. zur Nordsee zu bauen. Wie gesagt, meine Damen Dritte Feststellung: Die Reden und die Taten des und Herren, nicht an seinen Sprüchen, sondern an Herrn Rau sind zwei Dinge, die wenig miteinander seinen Taten werden wir Herrn Rau messen. zu tun haben. Das hat sich auch an dem Beispiel (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) dieses Kraftwerkes wieder gezeigt. Da erklärt er, die sozialen Kürzungen nehme er zurück, und ver- schweigt, daß er selbst in Nordrhein-Westfalen die Sozialleistungen um 1,2 Milliarden DM gekürzt hat. Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Ab- Da läßt er sich als Landesvater feiern und bekommt geordnete Dr. Blens. dann von seinem Finanzminister bescheinigt, die Finanzsituation seines Landes sei mit derjenigen von Brasilien, Mexiko und Polen vergleichbar. Da Dr. Blens (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine macht er große Sprüche zum Tempolimit und Wald- Damen und Herren! Lassen Sie mich zum Abschluß sterben, und dann eröffnet er dieses Kraftwerk. der Diskussion drei Feststellungen treffen. Erste Meine Damen und Herren, zu diesem Theater fällt Feststellung: Herr Rau und die SPD sind für das mir nur eine Überschrift ein, nämlich die: Der un- Kraftwerk Ibbenbüren verantwortlich, und sie sind aufhaltsame Abstieg des Johannes Rau aus dem alleine dafür verantwortlich. Wolkenkuckucksheim auf den Boden der selbstge- schaffenen Mißlichkeiten. (Beifall bei der CDU/CSU) (Zurufe von der SPD) Meine Damen und Herren, das Kraftwerk Ibbenbü- ren ist auf intensives Drängen des Herrn Rau und Sie können es auch weniger literarisch haben: Das der Landesregierung Nordrhein-Westfalen gebaut Gänseblümchen wird entblättert. worden, das Kraftwerk Ibbenbüren ist von der Re- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU gierung Rau genehmigt worden, und die Genehmi- — Zurufe von der SPD) gung gestattet einen so hohen Ausstoß von Sticko- xiden, weil im Zeitpunkt der Erteilung der Geneh- Meine Damen und Herren, sagen Sie Ihrem Kanz migung in Bonn eine SPD-Bundesregierung am lerkanditaten — er ist ja leider nicht hier — einen Werk war, die weder die umweltpolitische Weitsicht Spruch aus der Bibel — für die Bibel ist er doch an 13718 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985

Dr. Blens sich immer sehr empfänglich — aus dem Buch de, jeder sollte daran mitwirken, und zwar nicht nur Jesus Sirach: in Sonntagsreden im Parlament, sondern auch in Wenn du zu reden hast, bereite dich vor, damit der Praxis und in der Wirklichkeit in den Gemein- das Volk nicht über dich lache. den." (Zustimmung bei der SPD) Sagen Sie ihm: Die ganze Bundesrepublik lacht über ihn. Er soll etwas für seine Glaubwürdigkeit Wie wahr, Herr Bundeskanzler; fangen Sie am be- tun. Der Akt von Ibbenbüren war kein Beitrag sten gleich im Kanzleramt an, denn alle führenden dazu. und leitenden Funktionen sind in Männerhand. Alle (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) sechs Abteilungen werden von Männern geleitet. Unter 15 Gruppenleitern ist eine Frau. Von 41 Refe- raten wird eines von einer Frau geleitet. Vizepräsident Frau Renger: Meine Damen und Herren, damit ist die Aktuelle Stunde beendet. Am 8. Februar 1985 sagte Heiner Geißler: „Ich Ich darf Sie daran erinnern, daß Punkt 2 a der halte Frauenförderpläne im öffentlichen Dienst Tagesordnung abgesetzt worden ist. ebenso wie in den öffentlich-rechtlichen Medien und in der Wirtschaft für notwendig." — Ein Hoff- Ich rufe nunmehr Punkt 2 b der Tagesordnung nungsschimmer breitete sich aus. Als derselbe Hei- auf: ner Geißler in seiner damaligen Doppelfunktion als Familienminister und CDU-Generalsekretär die b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frauen entdeckte und die Frauenpolitik zum Frau Dr. Däubler-Gmelin, Dr. Schmude, Schwerpunktthema des Essener Parteitages mach- Bachmaier, Bernrath, Frau Blunck, Catenhu- te, versuchten die Konservativen auf den längst ab- sen, Dr. Diederich (Berlin), Egert, Frau Fuchs gefahrenen Zug aufzuspringen. Sie hatten nämlich (Köln), Frau Fuchs (Verl), Frau Dr. Harten- eine Marktlücke entdeckt. Die Frauen waren ihnen stein, Frau Huber, Immer (Altenkirchen), Dr. davongelaufen, und zwar mit allem Grund. Seitdem Kübler, Kuhlwein, Lutz, Frau Luuk, Frau Dr. Sie die Regierungsverantwortung übernommen ha- Martiny-Glotz, Frau Matthäus-Maier, Müller ben, werden die Rechte und Chancen von Frauen (Düsseldorf), Frau Odendahl, Peter (Kassel), - kontinuierlich abgebaut. Frau Renger, Schäfer (Offenburg), Frau Schmedt (Lengerich), Frau Schmidt (Nürn- (Zustimmung bei der SPD und den GRÜ berg), Schröer (Mülheim), Frau Simonis, Dr. NEN) Soell, Frau Dr. Skarpelis-Sperk, Frau Stein- hauer, Stiegler, Frau Terborg, Frau Dr. Sie haben den Mutterschutz vermindert, Sie haben Timm, Frau Traupe, Wartenberg (Berlin), den Kündigungsschutz verwässert, und Sie haben Frau Weyel, Frau Zutt, Dr. Vogel und der die Ausbildungsförderung nahezu auf den Null- Fraktion der SPD punkt gebracht. Überall waren Frauen die Haupt- Förderung von Frauen im öffentlichen leidtragenden. Dienst (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Sehr — Drucksache 10/3055 — wahr!) Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß (federführend) Die SPD hat diese dritte Frauendebatte nicht be- Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung antragt, weil wir Gleichstellungspolitik und Frauen- Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Ausschuß für Bildung und Wissenschaft förderung im nun zu Ende gehenden Jahr der Frau als Modehit aufnehmen. Für die SPD sind Frauen- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind förderung und Gleichstellungspolitik keine „Ren- für die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. Erhebt ner", die man bei Bedarf auf den Markt bringt. In sich dagegen Widerspruch? — Das ist nicht der unserer langen Geschichte haben wir uns in der Fall. Praxis ständig mit Frauenförderung auseinander- Das Wort zur Begründung wird nicht gewünscht. gesetzt. Es waren vorab die SPD-regierten Länder, Ich eröffne die Aussprache. die konkrete Frauenförderpläne umgesetzt haben. Das Wort hat die Frau Abgeordnete Odendahl. Es sind zahlreiche Städte und Gemeinden, die auf Drängen der Sozialdemokraten kommunale Gleich- stellungsstellen eingerichtet haben, oft gegen den Frau Odendahl (SPD): Frau Präsidentin! Meine Widerstand der Konservativen. Herren und Damen! In den beiden von der SPD- Fraktion beantragten Debatten zur Frauenpolitik Auch in den Unternehmen rührt sich etwas. In — am 12. April 1984 und am 8. Februar 1985 — einigen namhaften Betrieben spielt Frauenförde- wurde von allen im Deutschen Bundestag vertrete- rung endlich eine Rolle. Und die arbeitenden Frau- nen Fraktionen Einmütigkeit darüber erzielt, daß enbeauftragten können nachweisen, daß die Be- die Chancenungleichheit von Frauen weiter besteht nachteiligung von Frauen am Arbeitsplatz bei der und daß deshalb Maßnahmen zu ihrer Beseitigung beruflichen Karriere kein unabänderliches Schick- dringend erforderlich sind. Der Bundeskanzler sal sein muß. sagte am 12. April 1984: „Wir haben weder in der Wirtschaft noch im öffentlichen Dienst bereits ge- Frauenförderung entpuppt sich als neue Bewe- nügend Bereitschaft, hier wirklich im Sinne von gung auf dem Arbeitsmarkt. Frauen sind es leid, Gleichberechtigung Positionen zu vergeben. Ich fin- immer wieder mit Bekenntnissen zur Gleichberech- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13719

Frau Odendahl tigung und dem augenzwinkernden Hinweis auf Ihnen das. — Er muß jetzt von seiner Richtlinien- den kleinen Unterschied abgespeist zu werden; kompetenz Gebrauch machen — zugunsten der Frauen. Wenn man an die Städte, an die Gemein- (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) den, an die Länder und an die Wirtschaft appelliert, denn der Unterschied im Alltag ist nicht klein. Im muß der Bund seine Vorbildfunktion wahrnehmen. Gegenteil, er vergrößert sich zuungunsten der Versprechen reicht nicht. Bleiben Sie glaubwürdig, Frauen von Tag zu Tag auf ganz alarmierende Wei- und bringen Sie das eigene Haus endlich in Ord- se. nung. Obwohl die Bundesregierung Zuversicht verbrei- Unser Antrag zur Förderung von Frauen im öf- fentlichen Dienst nimmt Sie dabei beim Wort. ten will, ist die Zahl der arbeitslosen Frauen im Oktober 1985 weiter angestiegen. 1 022 000 Frauen (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) sind arbeitslos, 33 000 mehr als vor einem Jahr. Seit 1983 steigt die Zahl der ohne Ausbildungsplatz ge- bliebenen Jugendlichen ständig an. Über zwei Drit- Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat die Frau tel der Leerausgegangenen sind Mädchen. Auch an Abgeordnete Roitzsch. den Universitäten setzt sich der negative Trend für Frauen fort. Der Anteil der weiblichen Studienan- Frau Roitzsch (Quickborn) (CDU/CSU): Frau Prä- fänger ging von 40,4 % im Jahre 1982 auf 38,4 % im sidentin! Meine Herren! Meine Damen! Liebe Kolle- Jahre 1984 zurück. gin Odendahl, ich glaube, wir unterscheiden uns in Der öffentliche Dienst hat sich in den letzten Jah- dem, was wir für die Frauen wollen, mit Sicherheit ren zum größten Arbeitgeber auch für Frauen ge- nicht. Wir unterscheiden uns nur in dem, wie wir es mausert. Wer aber nun erwartet, daß der enorm verkaufen und wie wir es ehrlich meinen. angewachsene Beschäftigungsanteil von Frauen (Frau Odendahl [SPD]: Wie wir es tun!) auch nur eine annähernd gleiche Verteilung in obe- Zunächst zu dem kleinen Unterschied. Ich meine, ren Positionen mit sich gebracht hätte, der irrt ganz der kleine Unterschied ist sehr wichtig, und ihn soll- gewaltig. Der Anteil der Frauen bei Neueinstellun- ten wir auch nicht durch alle möglichen sogenann-- gen im öffentlichen Dienst hat sich beim Bund mit ten progressistischen Äußerungen hinwegwischen 42,4% Mitte 1984 gegenüber 54,6 % Mitte 1982 dra- wollen. stisch verschlechtert. Die Tendenz zur Teilzeitbe- schäftigung nimmt zu. Der Frauenanteil an den Frau Kollegin Odendahl, Sie haben die steigende Vollzeitbeschäftigten liegt bei lediglich 30,5%. Arbeitslosigkeit der Frauen angesprochen. Dies ist von den Zahlen her richtig. Nur muß ich dazusagen: Zur Rechtfertigung der insgesamt trostlosen Si- Insgesamt ist die Zahl der beschäftigten Frauen um tuation werden immer wieder die geringere Qualifi- 2% gestiegen. Bitte lesen Sie es nach; es gibt offi- kation von Frauen oder auch das Argument: Die zielle Statistiken. Wenn Sie beklagen, daß bei den Frauen wollen ja gar nicht! angeführt. Doch eines Studienanfängern ein Rückgang der Zahl der steht fest: Noch nie gab es so viele gut ausgebildete Frauen zu bemerken ist, so ist auch dies wahr- Frauen wie heute. Bei den Schulabschlüssen haben scheinlich ganz leicht zu erklären. Denn was haben die Mädchen gegenüber den Jungen längst nachge- die Frauen mehrheitlich studiert? Auf den Beruf zogen, wenn sie nicht gar besser abschneiden. Nur des Lehrers hin! Inzwischen hat man erkannt, daß darf Frauenförderung nicht erst beim Eintritt in dies einfach nicht mehr gefragt ist, weil uns die das Berufsleben erfolgen. Die Weichenstellung fin- Kinder fehlen. Dies mag zum einen ein Grund sein. det viel früher statt, durch die altväterliche Rollen- Es gibt auch genug junge Männer, die endlich er- zuweisung in unseren Schulbüchern, aber auch bei kannt haben, daß nicht das Studium das Alleinselig der mädchentypischen Fächerwahl an den Schulen machende und die Grundlage für ein anständiges nach dem Motto: den Mädchen das Schöngeistige Berufsleben ist. und den Jungen das Technische. Sie setzt sich fort bei dem immer noch auf viel zu wenig Berufsfelder begrenzten Ausbildungsplatzangebot für Mädchen. Vizepräsident Frau Renger: Frau Abgeordnete, ge- Nachdem sich Mädchen in zahlreichen Modellver- statten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeord- suchen für gewerblich-technische Berufe qualifi- neten Odendahl? ziert haben, geht es nun darum, ihnen die ihrer Aus- bildung entsprechenden Beschäftigungsmöglichkei- ten zu schaffen. Frauen sind es einfach leid, immer Frau Roitzsch (Quickborn) (CDU/CSU): Nein, Frau wieder Versuchsreihen über ihre Qualifizierung zu Präsidentin, ich mache jetzt durch. Wir können uns füllen. Sie wollen endlich heraus aus dieser Labor- nachher, Frau Odendahl, gerne unterhalten. atmosphäre. Meine Herren, meine Damen, der Antrag der (Beifall bei der SPD) SPD zur Förderung von Frauen im öffentlichen Dienst rennt bei uns, der CDU/CSU, tatsächlich of- Sie sind weder die weißen Mäuse für ständige Test- fene Türen ein, denn auch wir nehmen die noch reihen noch weiterhin die stille Reserve für den immer unbefriedigende Situation der Frauen im Arbeitsmarkt. Berufsleben sehr ernst. Deshalb hat die Bundesre- Deshalb: Halten Sie Ihr Wort, Herr Bundeskanz- gierung Richtlinien zur beruflichen Förderung von ler. Sie stehen seit 1984 bei den Frauen im Wort. Ich Frauen im öffentlichen Dienst erarbeitet. Der Par- habe Sie vorhin zitiert. Ich hoffe, man übermittelt lamentarische Staatssekretär aus dem Innenmini- 13720 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985

Frau Roitzsch (Quickborn) sterium, Herr Dr. Waffenschmidt, wird sie Ihnen Die SPD fordert Fortbildungsangebote für Frau- gleich vorstellen. Sie werden sich freuen. en, auch für teilzeitbeschäftigte Frauen. Einver- standen! Denn auch dies ist ein Beschluß des Bun- (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Wo bleibt die Praxis?) desparteitages der CDU. (Frau Däubler-Gmelin [SPD]: Sehr gut! — Ich frage Sie nachher, Frau Fuchs, wo Ihre Pra- Ganz hervorragend!) xis geblieben ist. Ich könnte nun den SPD-Antrag Punkt für Punkt Vielleicht haben Sie von der SPD aber schon wie- an Hand unserer Essener Leitsätze abhaken. Es be- der vergessen, was Ihnen die Bundesregierung auf steht nur ein kleiner Unterschied — damit sind wir Ihre Anfrage in diesem Sommer mitgeteilt hat. bei dem kleinen Unterschied —: All das, was die Deshalb wiederhole ich das — das prägt sich besser SPD in ihrem Antrag zur Förderung von Frauen im ein —, daß bei den obersten Bundesbehörden in öffentlichen Dienst vom 18. März 1985 eingebracht den Jahren 1983 bis 1985, also in der Zeit, seit der hat, ist in den Leitsätzen der CDU für eine neue wir verantwortlich sind, der Anteil der Frauen bei Partnerschaft zwischen Mann und Frau enthalten den Neueinstellungen bis zu 35 Jahren stolze 54,7 betragen hat. (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Um so besser!) (Hört! Hört! bei der CDU/CSU — Frau Odendahl [SPD]: In welchen Positionen?) und aus diesen zum Teil wörtlich abgeschrieben. Unter Ihrer Regierungsverantwortung, meine Kol- (Zuruf von der CDU/CSU: So, so!) leginnen und Kollegen von der SPD, betrug der An- Nur: Unser Antrag an den Bundesvorstand wurde teil der Frauen zwischen 1980 und Ende 1982 ledig- am 4. Februar 1985 veröffentlicht. Die SPD hatte lich 45,6 %. Wir haben also in nur anderthalb Jahren also genau sechs Wochen Zeit, um von uns abzu- eine Steigerung von 9,1 % erzielt. schreiben. Vielleicht haben Sie von der SPD auch die Ant- (Zuruf der Abg. Frau Odendahl [SPD]) wort der Bundesregierung auf Ihre eigene Große Anfrage „Frauen im öffentlichen Dienst" vom No- Aber sonst ist bei der Opposition auch nicht viel vember 1984 vergessen. Aus dieser geht doch her- an Eigeninitiative und Ideen geblieben, als Anlei- vor: In der Zeit vom Januar 1983 bis Juni 1984 belief hen auf die Stuttgarter und Essener Leitsätze der sich der Anteil der Frauen bei Neueinstellungen bei CDU aus den Jahren 1984 und 1985 zu machen. der Hälfte aller Bundesministerien auf über 50%. (Abg. Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: 44,9 % betrug der entsprechende Anteil bei den Neu- Stimmen Sie denn zu?) einstellungen in allen Bundesministerien. Nur mit dem einen Unterschied, daß unsere Par- (Zuruf von der SPD: Und wieviel Teilzeit?) teiprogramme im vollen Bewußtsein der Regie- Darüber hinaus hat die Bundesregierung in ihrer rungsverantwortung erarbeitet und verabschiedet Antwort deutlich gemacht, daß die Bundesbehörden worden sind. aufgefordert sind, den Belangen aller Personen- (Zuruf der Abg. Frau Fuchs [Verl] [SPD]) gruppen, die von der Arbeitslosigkeit besonders be- troffen sind — hier eben gerade die Frauen —, die Bei der SPD hat z. B. die Grundwertekommision besondere Aufmerksamkeit zu schenken und den das Godesberger Programm bezüglich der Rolle der Zugang zum öffentlichen Dienst zu ermöglichen. Frau in Beruf, Familie und Gesellschaft in den Pa- pierkorb geworfen. (Frau Odendahl [SPD]: Noch ein Appell!) (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Was?) Die SPD fordert in ihrem heutigen Antrag, daß Ausschreibungen für Stellen im Dienste des Bun- — Ihre Grundwertekommission — das müssen Sie des in männlicher und weiblicher Form der Stellen- einmal nachlesen — hat erklärt, was Sie einmal in bezeichnung zu erfolgen hat. Einverstanden! Denn Ihrem Godesberger Programm hatten, sei alles die CDU als Regierungspartei hat dies bereits in nicht mehr gültig. ihren Leitsätzen „für eine neue Partnerschaft zwi- (Lachen und Zurufe von der SPD) schen Mann und Frau" am 4. Februar 1985 beschlos- sen. — Das müssen Sie nachlesen. (Frau Odendahl [SPD]: Das ist wunderbar! Nun fordern Sie in Ihrem Antrag von der Bundes- Dann machen Sie es doch so!) regierung einen Bericht, der im Abstand von zwei Jahren über die Umsetzung des Zieles der Förde- — Warten Sie doch ab! Ganz ruhig! — Das gleiche rung von Frauen Aufschluß geben soll. gilt für Frauenförderpläne mit Berichtspflicht im Ich darf Sie daran erinnern, daß bereits Konrad öffentlichen Dienst. Auch dies haben wir beschlos- Adenauer in seiner ersten Regierungserklärung die sen. Darum sagte ich, Sie rennen mit Ihrem Antrag Errichtung eines Frauenreferats und eine viertel- bei uns offene Türen ein. jährliche Berichtspflicht angekündigt hat. Damit (Frau Odendahl [SPD]: Dann stimmen Sie will ich nur sagen, was Sie hier bringen, ist alles gar zu!) nicht so neu. — Erst wollen wir uns einmal unterhalten, und (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Stimmen dann stimmen wir ab. Okay? Sie denn nun zu?) Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13721

Frau Roitzsch (Quickborn) Wir wollen einmal an Hand von neutralen Fakten Danke schön. sehen, wie ernst es die SPD mit der Frauenförde- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — rung wirklich meint. Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Stimmen (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Stimmen Sie denn jetzt zu?) Sie denn zu?) — Ich sage Ihnen das gleich. Ich habe ja gesagt: Sie Das Wort hat Frau Ab- rennen bei uns offene Türen ein. Vizepräsident Frau Renger: geordnete Zeitler. Im Dezember 1972 wurde im Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit ein Referat für Frauenpolitik eingerichtet. Aber erst sieben Jahre Frau Zeitler (GRÜNE): Frau Präsidentin! Meine später nahm der Arbeitsstab Frauenpolitik seine Damen und Herren! Vielleicht wundert es Sie, Arbeit auf. meine Damen und Herren von der SPD, daß Ihr Antrag zur Förderung von Frauen im öffentlichen Ansonsten ist auch nicht viel gewesen, was die Dienst, der uns heute hier zur Behandlung verblie- Frauenförderung betrifft. ben ist und offensichtlich die Position der SPD in (Lachen bei der SPD) Sachen Frauengleichstellung markieren soll, so- eben die Unterstützung der CDU bekommen hat. So wollte die damalige SPD-Bundesregierung im Mich wundert das nicht. Sommer 1981 diese vorrangig durch die Privatwirt- schaft betrieben sehen. Auf eine Anfrage meiner (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Hat er ja Kollegin Verhülsdonk erklärte der damalige Staats- nicht!) sekretär Fülgraff, daß besonders an die Förderung — Sie hat zumindest gesagt, daß Sie offene Türen von Frauen in privatwirtschaftlichen Betrieben ge- einrennen. dacht sei, aber die Förderung von Teilzeitarbeits- Ich möchte, indem ich auf die Inhalte dieses An- plätzen für Frauen nicht vorrangig sei. trags eingehe, aufzeigen, daß es sich bei dem, was Weiter teilte die damalige Bundesregierung mit, Sie hier heute vorlegen, um nicht viel mehr als leere sie sei bemüht, den Frauen im eigenen Kompetenz- Absichtserklärungen handelt. Ich weiß auch, daß bereich mehr Berufschancen zu eröffnen. Es sei Sie die Regierung mit Ihrem Antrag vorführen wol- eine Kommission eingerichtet, die nach einem Jahr len. Aber auf was lassen Sie sich dabei ein? Sie ver- einen Bericht geben wolle. Diesen Bericht haben schleiern, wo Sie Bewußtsein schaffen sollten; denn wir bis heute noch nicht. Sie wissen so gut wie ich, daß Ihr Antrag in vielen Punkten hinter das zurückfällt, was hier schon oft (Jung [Lörrach] [CDU/CSU]: Hört! Hört!) diskutiert wurde und was zum Teil bereits gelten- Die SPD hätte sich in der Zeit ihrer eigenen Re- des Recht ist. Ihre Forderung nach geschlechts- gierungsverantwortung bei einiger Ernsthaftigkeit neutraler Stellenausschreibung etwa ist doch gel- auch an guten Beispielen der unionsregierten Län- tendes Recht. Die Anhörung im Ausschuß für Ar- der orientieren können. beit und Sozialordnung im letzten Jahr hat sehr deutlich gemacht, daß diese Bestimmungen so (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Stimmen lange nicht greifen, wie es keine Sanktionsmöglich- Sie denn zu?) keiten bei Zuwiderhandlungen gibt. So nenne ich z. B. mein Heimatland Schleswig-Hol- (Beifall bei den GRÜNEN) stein. Dort hat sich innerhalb von 15 Jahren die Das gilt für den öffentlichen Dienst ebenso wie Zahl der Mitarbeiterinnen im Landesdienst verdop- für jedes Unternehmen. Die männlichen Denk- und pelt. Bei der Vergabe von Ausbildungsplätzen im Handlungsstrukturen sind da nicht sehr differen- Landesdienst ist inzwischen das Gleichgewicht zwi- ziert. Da Sie das alles wissen, muß ich davon ausge- schen Männern und Frauen hergestellt. Im Lehrer- hen, daß Sie eine wirkliche Änderung in der Aus- bereich, im mittleren Verwaltungsdienst und im ge- schreibungspraxis gar nicht wollen. hobenen Justizdienst haben die Frauen die Ober- Daß Sie Ausbildungsstellen in diesem Zusam- hand. Dies ist das Ergebnis konsequenter CDU-Poli- menhang einen kurzen Satz widmen, läßt auf tik eines Landes. Schlimmes schließen. Wie Sie wissen, entscheidet (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Stimmen der Eintritt ins Arbeitsleben für die meisten Men- Sie denn zu?) schen über den weiteren Berufs- und Lebensweg. Sie wissen auch, daß zwei Drittel der Jugendlichen, — Wenn Sie das noch nicht begriffen haben, Frau die ohne Ausbildungsplatz bleiben, Mädchen sind. Däubler-Gmelin, dann tut mir das leid. Ich wollte Sie wissen ebenso, daß 70 % der Mädchen in Ausbil- Ihnen nur sagen, wie es bei uns aussieht. dungsberufen unterkommen, in denen sie kaum die Die Union nimmt die Belange der Frauen sehr Chance haben, jemals ein existenzsicherndes Ein- ernst. Das hat sie in den drei Jahren ihrer Regie- kommen zu erzielen. Sie begegnen diesem Problem rungsverantwortung bereits bewiesen. Es ist noch mit der lapidaren Forderung, daß die Ausschreibun- viel zu tun; da sind wir uns einig. Allerdings geht es gen für Ausbildungsstellen geschlechtsneutral er- um die tatsächliche Frauenförderung und nicht um folgen müssen. die Frauenverdummung, wie Sie sie betreiben. (Zuruf von der SPD: Nein!) 13722 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985

Frau Zeitler Ich kann das nur so interpretieren, daß Sie eben- geregelter Arbeitzeit. Das sind Leistungen, die so falls keine wirklichen Verbesserungen für die Mäd- schnell keine Frau erbringt. chen wollen. Sie, meine Damen und Herren von der SPD, wis- (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Dann le sen dies alles. Sie haben mit vollem Bewußtsein die sen Sie es erst einmal!) Kriterien „gleiche Qualifikation" und „gleiche Lei- Gerade im Ausbildungsbereich, in dem noch nicht stung" in Ihren Antrag geschrieben, weil Sie näm- einmal die ideologisch verblendetsten Konservati- lich nichts ändern wollen, weil Sie die Konkurrenz ven schlechtere Voraussetzungen für Mädchen aus- der Frauen für sich und Ihre Geschlechtsgenossen fürchten — Ihre Parteitage in Bremen und Ham- machen können, zeigt es sich, daß wir um Quotie- rungsvorschriften nicht herumkommen, burg sprechen da für sich — und weil Sie trotzdem, zumindest solange Sie in der Opposition sind, den (Beifall bei den GRÜNEN) Frauen weismachen wollen, daß Sie sich für sie ein- wollen wir der Diskriminierung von Mädchen, die setzen. sich ja ins Erwachsenenalter fortsetzt, etwas entge- Ich will auf einen weiteren Punkt Ihres Antrags gensetzen. zu sprechen kommen. Sie fordern die Einrichtung (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Wie wird das denn von mehr Teilzeitarbeitsplätzen im öffentlichen in der Kollektivkneipe gelöst?) Dienst. Ich weiß, wie schwierig es für Menschen mit Kindern ist — überwiegend sind es Frauen —, den Das hat sich mittlerweile sowohl in Kreisen der ganzen Tag zu arbeiten. Aber Sie wissen doch auch Gewerkschaften wie beim Arbeitskreis sozialdemo- von den Mängeln und Nachteilen der Teilzeitarbeit: kratische Frauen herumgesprochen. Auch dort sind daß sie kaum Aufstiegsmöglichkeiten und zu wenig Quotenregelungen und Frauenförderpläne be- Geld zum Leben bringt. Da frage ich mich: Warum schlossen. Besonders bei der Quotierung der Aus- taucht in Ihrem Antrag die Forderung nach allge- bildungsstellen bezieht frau klare Positionen. Nur meiner Arbeitszeitverkürzung nicht auf? Warum in Ihrer Fraktion bestimmen weiterhin die alten fordern Sie nicht die ganze oder teilweise Freistel- Patriarchen. Da schämen Sie sich auch nicht, For- lung von Erziehenden mit dem Anspruch auf eine mulierungen zu gebrauchen — und das trifft auch Vollzeitstelle? - auf den zurückgezogenen Antrag zu —, die in ihrer Griffigkeit und politischen Tragfähigkeit den Einen Satz weiter in Ihrem Antrag verlangen Sie Sprechblasen von Frau Wilms nicht nachstehen. die arbeits- und sozialrechtliche Absicherung von Teilzeitarbeit. Da haben sie unsere volle Unterstüt- (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Na, na!) zung. Aber wenn Sie das hier fordern, warum fehlt Das gleiche gilt übrigens für den Bereich der es in Ihrem Entwurf eines Teilzeitarbeitsgesetzes Einstellungspraxis. Sie wissen so gut wie ich, was vom 5. Dezember 1984? Dort fehlt dieser umfas- der Satz bedeutet: „Frauen sind bei gleicher Qualifi- sende Schutz. Gerade bei dieser so sensiblen und kation mindestens im Verhältnis ihres Anteils an wichtigen Frage der Arbeitslosenversicherung blei- den Bewerbungen in die Auswahl einzubeziehen so- ben Sie nämlich inkonsequent. Der Versicherungs- wie bei gleicher Leistung bevorzugt in den Berei- schutz soll erst bei Arbeitsverhältnissen von über chen einzustellen, in denen sie bisher unterreprä- 17,5 Stunden verpflichtend sein. sentiert sind." Unabhängig davon, daß „in die Aus- In allen diesen Punkten hängen Sie sich mit For- wahl einbeziehen" noch nichts über die Auswahl derungen aus dem Fenster, die keine konkreten aussagt, werden genau diese Kriterien „gleiche Verbesserungen für Frauen bedeuten. Qualifikationen" und „gleiche Leistung" immer und überall dazu verwandt, Frauen auszuschließen. (Beifall bei den GRÜNEN) Denn diese Kriterien sind wie Töpfe, die bei Bedarf Wenn Sie wirklich an einer Gleichstellung von mit männlichen Eigenschaften und Vorzügen ge- Frauen interessiert sind, empfehle ich Ihnen, sich füllt werden. Jeder Personalchef ist in der Lage, an unserem Entwurf eines Antidiskriminierungsgeset - dem bevorzugten männlichen Bewerber Qualifika- zes zu besorgen. Darin werden Roß und Reiterin tionen festzumachen, die die Mitbewerberin nicht genannt. Dort wird gezeigt, wo Regelungsbedarf be- erfüllt. Das können fünf Jahre mehr Berufserfah- steht, um Gleichstellung zu erreichen. Es wird ge- rung sein, in denen die Frau Kinder erzog. Da fragt zeigt, wie die Gleichstellung durchgeführt werden dann auch keiner mehr, ob die Frau vielleicht in kann, und zwar so, daß überall mindestens 50 % dieser Zeit mehr hinzugelernt hat als der Mann, der Frauen vertreten sind. Weiter ist gezeigt, welche statt fünf Jahre zehn Jahre das gleiche gemacht Institutionen bzw. Behörden nötig sind, um diesem hat. Gesetz zur Durchsetzung zu verhelfen. Darüber Eines der beliebten männlichen Vorzugs- oder hinaus werden dort Änderungen einzelner Gesetze Leistungsmerkmale ist auch ihre sogenannte Fami- aufgeführt, die heute Ungleichbehandlung und Be- lienunabhängigkeit. Nicht, daß sie keine Familie nachteiligung von Frauen bedeuten. Vielleicht kann hätten! Aber natürlich brauchen Sie keine Kinder Ihnen von der CDU/CSU und von der FDP diese vom Kindergarten abzuholen, sie brauchen keinen Lektüre unseres Entwurfs deutlich machen, was Schulstreß mitzumachen, sie haben auch keine Ver- Frauen 1985 erwarten und verlangen. Oder viel- anlassung, ihre Wäsche zu waschen und die Woh- leicht verschafft es Ihnen eine Gänsehaut. nung sauberzuhalten. Sie sind frei, ihre Freizeit in Ihnen von der SPD könnte dieser Entwurf eine den Dienst des Arbeitgebers zu stellen. In gehobe- Meßlatte sein, damit Ihre künftigen Anträge mehr nen Positionen heißt das dann Bereitschaft zu un- Gehalt haben. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13723

Frau Zeitler Danke. — Wenn Sie so liebenswürdig wären, Zwischenfra- (Beifall bei den GRÜNEN) gen zu stellen, könnte ich auf sie antworten, ohne daß es auf meine Redezeit ginge. Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Ab- (Beifall bei der FDP) geordnete Dr. Hirsch. Die Frage ist, wie wir in drei Bereichen unser Recht gestalten und ob auch Änderungen der An- wendung des Rechts notwendig sind: in der Frage Dr. Hirsch (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr der Ausbildung, in der Frage der beruflichen Reser- geehrten Damen und Herren! Wir sind von den en- vate und in der Frage der Erleichterung der Rück- gagierten Reden unserer Kolleginnen beeindruckt kehr in eine berufliche Tätigkeit, wenn sie unter- und werden auch von den engagierten Reden beein- brochen wurde. Das sind die drei Hauptproblembe- druckt sein, die wir noch hören werden. Es ist j a reiche. etwas merkwürdig, daß dann, wenn wir über die Gleichbehandlung im öffentlichen Dienst reden, das Da ist vieles zu beklagen, schon allein bei der Wort traditionell nur von Frauen ergriffen wird. Frage der Ausbildung, die j a zu einem wesentlichen Auch darüber sollten wir einmal nachdenken. Teil und in zunehmendem Maße eine Frage der beruflichen und der Erwachsenenausbildung sein Ich habe den Eindruck, daß bei allen Diskussio- wird, weil sich die technischen Bedingungen gerade nen darüber das Feindbild nicht stimmt. Ich glaube im Bereich der Frauenarbeitsberufe in rasanter nicht, daß es nach Fraktionen geteilte Befürworter Weise und mit zunehmender Geschwindigkeit ver- oder Gegner der Gleichbehandlung von Frauen im ändern. Ich bin der Auffassung, daß unsere Sy- öffentlichen Dienst gibt, sondern ich glaube, daß es steme der beruflichen und der Erwachsenenbildung in der inneren Einstellung des einzelnen, unabhän- diesem Tatbestand überhaupt nicht entsprechen. gig davon, in welcher Fraktion er tätig ist, unter- schiedliche Wertungen traditioneller Einstellungen Es besteht auch kein Anlaß, bezogen auf den öf- gibt und weiter geben wird. fentlichen Dienst mit dem erreichten Zustand zu- frieden zu sein. Das bezieht sich — das muß man (Zustimmung der Abg. Frau Schmidt sagen — nicht allein auf die Tätigkeiten bei Bun- [Nürnberg] [SPD]) desbehörden. Wenn das parteispezifisch anders Das ist die eigentliche Wirklichkeit. wäre, müßten Sie ja darlegen können, daß in sozial- Denn die Diskussion über die Gleichbehandlung demokratisch regierten Ländern der Anteil der haben wir vor vielen Jahren geführt zu einem Zeit- Frauen in Spitzenpositionen des öffentlichen punkt, als es darum ging, ob die Frau nach der Dienstes dramatisch höher wäre als in anderen Struktur unseres Rechts, nach der Struktur der Ländern; und das ist nicht der Fall. Teilzeitarbeit, nach der Struktur steuerlicher Rege- Aber bleiben wir einmal bei den Bundesbehör- lungen auf ein bestimmtes Berufs- und Lebensbild den. Es ist ja nicht zu bestreiten, daß wir, soweit ich festgelegt wird. Das war die eigentliche Diskussion. das übersehe, keinen einzigen weiblichen Ministeri- Es gab viele Stimmen, die davon ausgingen, daß das aldirektor haben. Man kann wohl auch sagen, daß traditionelle Bild der Frau erhalten bleiben sollte, das Bild auch in der Besoldungsordnung B ziemlich und es wurde eine lange Diskussion darüber ge- düster aussieht. Auch das kann kaum bestritten führt, wie man die Gleichwertigkeit der Tätigkeit werden. der Hausfrau mit einer Berufstätigkeit erreichen könnte. Es ging immer um die Frage, welche Rolle Was die Einstellungspraxis angeht, ist es in der das traditionelle Frauenbild spielen sollte und ob Tat nicht so schlimm, wie es hier dargestellt worden und in welchem Umfang die Frauen — auch durch ist; die Lage hat sich zumindest verbessert. Von unsere rechtlichen Gestaltungen — in der Lage sein 1983 bis 1985 ist die Einstellungsquote von Frauen sollten, die Entscheidung über ihr Lebensbild nicht bei den obersten Bundesbehörden immerhin auf nach vorgegebenen Formeln und Schemata, son- fast 55 % gestiegen, mehr als in den drei Jahren von dern selbst zu treffen. Das war die Diskussion. 1980 bis 1983. In demselben Zeitraum betrug der Anteil der Frauen, die in eine Stelle der Besol- (Zuruf der Abg. Frau Zeitler [GRÜNE]) dungsgruppe A 8 befördert worden sind, über 60 %. — Ich habe Sie nicht verstanden, gnädige Frau. Der Anteil der Frauen, die in Stellen nach A 12 (Frau Zeitler [GRÜNE]: Darüber haben befördert worden sind, ist von knapp 15 % im Jahre sich immer die Männer unterhalten!) 1983 auf fast 17 % im Jahre 1985 gewachsen. — Die Frauen haben kräftig mitdiskutiert, wie Sie Sie können sagen, auch das sei immer noch zu wissen, und Sie sind nicht die erste, die dazu das wenig. Aber es ist immerhin eine Steigerung, und es Wort ergreift. kann nicht bestritten werden, daß der Anteil der Frauen im einfachen und im mittleren Dienst er- Ich meine, daß diese Diskussion im Grunde seit heblich höher ist als in den höheren Positionen. Das Jahren abgeschlossen ist, und zwar in dem Sinne, hängt zu einem Teil mit dem Angebot zusammen. wie es nur sein kann, nämlich daß man den Frauen Es hängt zu einem Teil auch mit bestimmten Nei- die freie Entscheidung über ihr Berufs- und Lebens- gungen zusammen. Die Neigung einer Frau, in den bild überläßt und sie nicht in ein vorgefertigtes Bibliotheksbereich, in den Schulbereich zu gehen, Schema preßt. ist relativ groß. Frauen gehen auch lieber — das ist (Frau Zeitler [GRÜNE]: Lassen Sie uns natürlich und erklärlich — in Berufe, die eine etwas auch über das Bild der Männer sprechen!) freiere zeitliche Disposition ermöglichen, also in 13724 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985

Dr. Hirsch den Richterberuf und, man muß es sagen, auch in normalerweise tun, nämlich von Frauen mehr zu den Lehrerberuf. erwarten und mehr zu verlangen als von Männern. Den Vogel in dieser Diskussion hat der Präsident (Beifall bei den GRÜNEN und der Abg. des Bundesverfassungsgerichts abgeschossen. Frau Verhülsdonk [CDU/CSU]) Es hat ihm ja gefallen, zu sagen, daß das Höchst- Auch das gehört j a zur sozialen Wirklichkeit: daß maß an Gleichberechtigung mit Frauen unter Waf- wir einer Frau die Wahrnehmung bestimmter fen erreicht sei. Ich bin immer wieder überrascht Funktionen zunächst einmal nicht zutrauen und darüber, wie leicht sich Frauen in diese Diskussion darum von ihr in der beruflichen Tätigkeit Über- unter der Überschrift „Gleichberechtigung" hinein- qualifikationen erwarten. Ich glaube, in einer wirk- ziehen lassen, obwohl es im Grunde genommen lich gleichberechtigten Gesellschaft kann man eine eine Diskussion über Gleichverpflichtung ist, solche Position nicht aufrechterhalten. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der Das dritte ist schließlich, daß wir dafür sorgen SPD) müssen, daß es — durch Heranführung auch an qualifizierte Ausbildungen — ein wirkliches Ange- also eine Diskussion, die nicht von den Rechten, bot gibt, also den Willen von genügend Bewerberin- sondern von der Bedarfsfrage her begonnen wird. nen, qualifizierte Funktionen mit besonderen Ver- Wenn man in der Bundeswehr von dem Höchstmaß antwortungen, d. h. auch: mit besonderen Belastun- an Gleichberechtigung spricht, dann würde ich — gen, auszuüben. im Gegensatz zu Herrn Zeidler — sagen: Wenn das der Maßstab ist, dann ist Gleichberechtigung nicht Was immer der einzelne denkt, wieweit sich der schon dann erreicht, wenn wir viele weibliche Sol- einzelne von traditionellen Vorstellungen befreit daten unter Waffen haben, sondern wenn der Anteil oder nicht — da sind die Unterschiede nicht klein, der Frauen an Stabsoffizieren, an Generälen etwa sondern relativ groß —, es ändert nichts daran, daß gleich dem Anteil ist, den wir an Frauen im öffentli- wir uns auch in der sozialen Wirklichkeit auf den chen Dienst, in Leitungsfunktionen im öffentlichen Weg in eine gleichberechtigte Gesellschaft befin- Dienst erwarten. Es muß ja nicht sein, daß das für den. Das, was dazu beigetragen werden kann, wird die Bundeswehr negativ ist. Nur, wer das als Maß- auch von unserer Fraktion ohne Einschränkung ge- stab nimmt, muß das sagen. Man könnte ja auf die tan werden. Idee kommen, zu sagen: Das Höchstmaß an Gleich- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) berechtigung ist dann erreicht, wenn wir erstmals eine Frau als Verteidigungsministerin (Abg. Mann [GRÜNE] meldet sich zu einer Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Par- Zwischenfrage) lamentarische Staatssekretär Dr. Waffenschmidt. oder — auch das ist ja eine Vorstellung, mit der sich Herr Zeidler befreunden muß — als Präsidentin des Dr. Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär beim Bun- Bundesverfassungsgerichts haben. — Darauf woll- desminister des Innern: Frau Präsidentin! Meine ten Sie mit Ihrer Frage hinaus? — Ja, da sind wir sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einige uns dann ganz einig. Das müßte Herr Zeidler sagen. Sätze zu den Ausführungen der Sprecherinnen der Gleichberechtigung fängt eben immer im eigenen Opposition. Ich will doch einmal eins deutlich fest- Hause an. — stellen: Die Angriffe, die Sie gegen die Bundesregie- Ich will auf folgendes hinaus: Wir können uns rung, insbesondere den Bundeskanzler, vorgebracht nicht damit zufriedengeben — denn damit werden haben, sind völlig unbegründet und gehen an der wir nicht wesentlich weiterkommen —, nur auf die Wirklichkeit vorbei. Ich will das an einigen Beispie- rechtlichen Strukturen zu starren. Vielmehr kommt len deutlich machen. Diese Regierung hat Regelun- es schon auf die Praxis der personalführenden Stel- gen durchgesetzt, die sich für die Frauen ganz nach- len an. Dazu gehört zum ersten die Frage: Wollen haltig positiv auswirken. Ich nenne Erziehungsgeld, wir traditionelle Berufsreservate bewahren? Da eigenständiger Rentenanspruch bei der Kinderer- kann ich bezüglich des Landes Nordrhein-Westfa- ziehung, eigenständiger Rentenanspruch schon len ein gutes Beispiel bringen: Ich habe die Weibli- nach fünf Jahren. Überlegen Sie einmal, wie das che Kriminalpolizei in Nordrhein-Westfalen vor gerade den Frauen zugute kommt, wenn man be- Jahren unter großem Getöse abgeschafft, aber da- reits nach fünf Jahren einen eigenständigen Ren- für die Frauen in allen Sparten der Kriminalpolizei tenanspruch hat. Das ist ein wesentlicher Erfolg eingesetzt — mit hervorragendem Erfolg. Inzwi- dieser Regierung. schen ist die Entwicklung weitergegangen; Frauen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) werden in vielen Bundesländern in der Schutzpoli- Ich will auch die Verbesserungen für die Alleiner- zei eingesetzt, eine Vorstellung, hinsichtlich der wir ziehenden nennen. Ich könnte in der Aufzählung damals gewisse Zweifel hatten. Aber es scheint sich fortfahren. Ich will aber auch noch einmal die Zah- zu bewähren. Das heißt: Wir müssen die Berufsre- len nennen, die für den öffentlichen Dienst so wich- servate ohne Vorurteil durchforsten. tig sind. In dem Zeitraum vom 1. Januar 1983 bis Das zweite ist: Wir müssen nicht nur bei den 31. Juli 1985 entfielen bei den Neueinstellungen der Einstellungen bestimmte Präferenzen schaffen, jüngeren Bediensteten 54,7 % auf die Frauen. An die sondern müssen auch in der Beförderungspraxis SPD gewandt will ich einmal klar sagen: Wenn Sie darauf achten, daß wir nicht dem verfallen, was wir während Ihrer Regierungszeit solche Erfolge ge- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13725

Parl. Staatssekretär Dr. Waffenschmidt habt hätten, wären Sie Tag und Nacht nicht zur Ich fahre fort: Wir wollen drittens in der Richtli- Ruhe gekommen, das zu preisen. nie festlegen, daß eine Bewerberstatistik geführt (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: So ein wird, die aktuell ausweist, wie hoch der Anteil der Quatsch!) Frauen an den Bewerbern und an den Eingestellten ist. Dann hat man einen guten Vergleich, den wir — Das ist kein Quatsch, Frau Fuchs, das sind die dann auch immer in den Debatten zur Hand ha- Tatsachen, die Sie nicht zur Kenntnis nehmen wol- ben. len und die Sie auch durch Ihr Geschrei nicht aus der Welt bringen. Viertens. Im Blick auf den Bereich der Fortbil- dung wollen wir erreichen, daß bei der Auswahl der (Beifall bei der CDU/CSU) Teilnehmer an Fortbildungsveranstaltungen Frauen in der gleichen Weise wie Männer berück- Vizepräsident Frau Renger: Den Ausdruck sichtigt werden. Die Möglichkeiten, an Fortbil- „Quatsch" sollten wir bitte, Frau Kollegin, unterein- dungsveranstaltungen teilzunehmen und sich da- ander nicht verwenden. durch beruflich weiter zu qualifizieren, sollen für Bedienstete mit Familienpflichten, auch wenn sie teilzeitbeschäftigt sind, verbessert werden. Dr. Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister des Innern: Ich will zu der Frauenför- (Zuruf von der SPD: Müssen!) derungsrichtlinie Stellung nehmen, die das Bundes- Wichtig ist es daher — das will ich aus der Erfah- innenministerium ausgearbeitet hat. Ich meine, es rung des öffentlichen Dienstes noch einmal anspre- ist ganz entscheidend und wichtig, daß wir diese chen —, daß auch Fortbildungsveranstaltungen am Richtlinie heute vorstellen. Frau Fuchs, wenn Sie Dienstort und halbtägige Veranstaltungen angebo- sich so engagieren, muß ich gerade Sie als Mitglied ten werden, an denen auch diejenigen teilnehmen der damals SPD-geführten Bundesregierung fra- können, die sich für eine Teilzeitbeschäftigung ent- gen: Warum haben Sie in den 13 Jahren Ihrer Re- schieden haben. Ich möchte darauf hinweisen, daß gierungszeit keine Frauenförderungsrichtlinie zu- das Bundesinnenministerium in den letzten Jahren stande gebracht? Es spricht doch gegen Sie, wenn entsprechende Fortbildungsangebote insbesondere sie jetzt als Opposition mit Forderungen kommen, für die Beschäftigten im mittleren und im- gehobe- die Sie in Ihrer Regierungszeit niemals durchge- nen Dienst gemacht hat. Ausweislich der bisherigen setzt haben. Das ist doch deutlich auszusprechen. Erfahrungen sind gerade die Angebote, die am Ort (Zurufe von der SPD) der Beschäftigung und die auch für Teilzeitbeschäf- tigte liefen, sehr gut angenommen worden. Nach unserer Überzeugung ist eine Richtlinie zur beruflichen Förderung der Frauen in der Bundes- Fünftens. Als besonders wichtig möchte ich die verwaltung ein geeignetes Instrument, die Situation Regelung hervorheben, die sich mit der beruflichen der Frauen zu verbessern. Deshalb haben wir ent- Wiedereingliederung nach einer längerfristigen sprechende Schritte nicht nur eingeleitet, sondern Beurlaubung beschäftigt. Das geht gerade auch in eine Richtlinie ausgearbeitet. Sie ist mit den übri- Richtung auf die Aufgaben für die Frauen. gen Bundesressorts abgestimmt und wird dem Ka- (Abg. Frau Weyel [SPD] meldet sich zu ei binett zu Beginn des Jahres 1986 zugeleitet. Sie soll ner Zwischenfrage) am 1. März 1986 in Kraft treten. Ich will die wichtig- sten Punkte nennen. Vizepräsident Frau Renger: Herr Staatssekretär, Erstens. Die Richtlinie schreibt vor, daß freie gestatten Sie eine Zwischenfrage? Stellen so ausgeschrieben werden müssen, daß Frauen und Männer wirklich gleichberechtigt ange- Dr. Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär beim Bun- sprochen werden können. desminister des Innern: Ich habe nur eine be- Zweitens. Die Personalverwaltungen werden grenzte Redezeit, da aus unserer Fraktion noch wei- nachdrücklich dazu aufgefordert, bei Einstellungen tere Sprecher zu Wort kommen sollen. Ich bitte um und Beförderungen Frauen unter Beachtung des Nachsicht, daß ich dies hier ausführen will. Leistungsprinzips angemessen zu berücksichtigen. Dieser Problematik kommt besondere Bedeutung (Frau Däubler-Gmelin [SPD]: Aha!) zu, nachdem im vorangegangenen Jahr der Beur- laubungszeitraum von sechs auf neun Jahre verlän- In Bereichen, in denen der Anteil von Frauen ge- gert wurde. Meine Damen und Herren, hier gilt es ring ist, soll die Einstellungspraxis so gestaltet wer- Möglichkeiten zu eröffnen, die es längerfristig beur- den, daß sich dieser Anteil möglichst erhöht. Lassen laubten Bediensteten erlauben, auch während der Sie mich in dem Zusammenhang als Sprecher der Berufsunterbrechung den Kontakt zum Beruf und Bundesregierung ein ganz klares Nein zu den im- zu den Kollegen aufrechtzuerhalten. Je enger die- mer wieder gehörten Forderungen nach einer Rege- ser Kontakt bleibt, desto leichter und effizienter lung zum Ausdruck bringen, die vorschreibt, daß wird die spätere berufliche Wiedereingliederung ein Ehegatte gefälligst verzichten solle, wenn beide sein. Ich will hier deutlich machen: Die Richtlinie Ehegatten im öffentlichen Dienst arbeiteten. Das sieht zwei Möglichkeiten vor, diese Kontakte beizu- ginge immer zu Lasten der Frauen. Deshalb lehnen behalten. Zum einen wird es beurlaubten Bedien- wir solche Regelungen ab. Das wäre eine Bestra- steten ermöglicht, während der Beurlaubung an fung der Ehe und letztlich auch eine Bestrafung der Fortbildungsveranstaltungen teilzunehmen. Zum Frau. anderen ist vorgesehen, daß sie, wenn sie dies wün- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) schen, Urlaubs- oder Krankheitsvertretung über- 13726 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985

Parl. Staatssekretär Dr. Waffenschmidt nehmen können. Das ist eine weitere Möglichkeit, strukturen insgesamt. Da müßte man sagen: Das sozusagen eine Brücke, um den Kontakt zum Ar- „Feindbild" wäre der Mann. So würde ich das natür- beitsplatz zu erhalten. lich nicht formulieren. Insoweit würde ich es mir Sechstens. Die Richtlinie sieht auch eine regel- natürlich nicht zu eigen machen. Aber da liegt der mäßige Berichterstattung über die Situation der Hund begraben. Frauen in der Bundesverwaltung vor. Der Bundes- Sie sagen, daß die Diskussion seit Jahren abge- innenminister berichtet dem Innenausschuß des schlossen sei. Das ist sicher richtig. Die Diskussion Bundestages alle drei Jahre über den Anteil der haben wir seit Jahren, seit Jahrzehnten geführt. Frauen an den Beschäftigten in der Bundesverwal- Aber nun muß gehandelt werden. tung. Dabei wird sowohl auf den Anteil der Frauen an den neu Eingestellten als auch auf den Anteil an (Beifall der Abg. Frau Dann [GRÜNE]) den Beförderten oder Höhergruppierten sowie an Auf diesen Handlungsbedarf muß man hinweisen. den Teilnehmern an Fortbildungsveranstaltungen (Sehr wahr! bei der SPD) eingegangen. Meine Damen und Herren, hier wurde eben der Das ist auch die Strategie, die hinter unserem An- Anteil der Frauen an den Beförderten angespro- trag steht. Wir wollen zeigen: Die Diskussion ist zu chen. Wir wollen natürlich auch, daß die Damen Ende; nun, Regierung tu was! noch mehr Möglichkeiten haben, in höher einge- (Beifall bei der SPD) stufte Ämter vorzudringen. Ich meine, wenn wir An diesem Punkt ist Ihr Argument, daß es keinen jetzt in großer Zahl Bewerberinnen neu einstellen, Sinn macht, immer bloß auf die rechtlichen Struk- dann vergrößert sich damit die Möglichkeit, in Be- turen zu starren, natürlich nicht richtig; denn wenn förderungsstellen vorzudringen. Das wollen wir da- die rechtlichen Strukturen so sind, wie Herr Waf- mit auch nachhaltig fördern, meine Damen und fenschmidt es hier gerade vorgetragen hat, daß Herren. nämlich die Veränderung lediglich darin besteht, (Beifall bei der CDU/CSU) daß man Soll-Bestimmungen und Prüfanträge und Außerdem werden in den Berichten Maßnahmen Berichtspflichten einführt, zur weiteren Verbesserung der Situation der Frauen in der Bundesverwaltung dargestellt. Wir (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Wieder verweisen dabei immer gerne auf gute Erfahrun- einmal!) gen, die in Ländern und Gemeinden schon gemacht ist das im Grunde nur eine Fortführung der Diskus- worden sind. sion, aber nicht der Schritt zum Handeln. So viel zum Inhalt unserer Frauenförderungs- (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) richtlinie, die wir Anfang des Jahres 1986 ins Kabi- nett bringen und — um es noch einmal zu sagen — Jetzt komme ich zu Ihnen, Frau Roitzsch. Mit sei- am 1. März 1986 in Kraft setzen wollen. ner Aussage, das Feindbild stimme nicht, hat Herr Hirsch recht, wenn wir uns hier wechselseitig vor- Sie sehen also: Die Regierung will mit ihren Pro- tragen, was alles wir nicht gemacht bzw. nicht grammen die Gleichberechtigung von Männern und rechtzeitig gemacht haben oder was wir rechtzeitig Frauen voranbringen und in diesen Bereichen wei- bedacht und schon seit Adenauers Zeiten in die Dis- ter aktiv bleiben mit neuen Initiativen. Die Bundes- kussion eingeführt haben. Darüber, daß zwischen regierung wird diesen Weg weitergehen und das Parteitagsbeschlüssen und Regierungshandeln Ziel der Gleichberechtigung von Mann und Frau im Welten liegen, muß man sozialdemokratische Frau- öffentlichen Dienst und in allen übrigen Bereichen en, die — wie ich — seit 1972 im Parlament sind, der Gesellschaft überzeugt und überzeugend vertre- nicht belehren. Das wissen wir. ten. Ich meine, die Bundesregierung hat in den Jah- ren ihrer Arbeit seit 1982 dargestellt und durch Ta- (Zuruf von der CDU/CSU: Aber bei uns ist ten bewiesen, daß sie nicht nur Programme hat, das nicht so!) sondern daß sie mit ihren Entscheidungen wirklich Die Diskussion, die Sie 1985 auf Ihrem grandiosen nachdrücklich etwas zur Verbesserung der Situa- Frauenparteitag geführt haben, haben wir auf unse- tion der Frauen getan hat. Sie wird das weiter so rem Mannheimer Parteitag schon 1975 geführt. unternehmen. (Zuruf von der CDU/CSU: Aber Sie haben Herzlichen Dank. nichts gemacht!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Es hat verdammt lange gedauert, bis sich irgend etwas geändert hat, weil das „Feindbild" insoweit Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat Frau Ab- stimmt: Die Mehrheit ist männlich, und das Pro- geordnete Dr. Martiny. blem, das sich uns stellt, ist, die männlichen Struk- turen zu verändern. Frau Dr. Martiny-Glotz (SPD): Frau Präsidentin! (Frau Roitzsch [Quickborn] [CDU/CSU]: Meine Damen und Herren! Herr Hirsch, Sie haben Bei uns wird's anders, glauben Sie mir!) beklagt, daß in dieser Diskussion das Feindbild — Ach, Frau Roitzsch, Sie sehen j a niedlich aus und nicht stimme. Ich will mir den Ausdruck „Feindbild" tragen das auch nett vor, nicht zu eigen machen. In der Sache muß ich Ihnen aber zustimmen. Das „Feindbild" stimmt natürlich (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU doch irgendwo: Es umfaßt unsere Gesellschafts- — Schlottmann [CDU/CSU]: Albern!) Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13727

Frau Dr. Martiny-Glotz und Sie haben sicherlich auch keine Schwierigkei- Macht nichts abgeben zu müssen, eine neue Ideolo- ten, das in Ihrer Partei einigermaßen akzeptiert zu gie erfinden, die aber letzten Endes doch wieder die bekommen, weil Sie nicht so schrecklich viel Wider- alte ist, um nur ja die Frauen auf dem zweiten Rang stand wecken. Aber machen Sie das einmal tatsäch- in der Gesellschaft, um sie bei ihrer Zweitrangig- lich in der Realität! Setzen Sie das um, was Sie hier keit zu belassen; denn um so strahlender tritt Ihr jetzt verkündet haben! Bild hervor. (Frau Roitzsch [Quickborn] [CDU/CSU]: Es ist ein Gebot der Gerechtigkeit, Frauen an Fanden Sie das nicht sehr geschmacklos?) wichtigen Posten in der Gesellschaft zu beteiligen, — Nun, mir wird das auch immer gesagt, aber ich und es kann nicht angehen, daß die am besten aus- habe inzwischen eingesehen, daß das nicht die Waf- gebildete Frauengeneration in Deutschland heute fen sind, mit denen man weiterkommt. An der fakti- die schlechtesten Berufschancen hat, wie das die schen Situation der Frauen hat sich ja doch tatsäch- Dortmunder Professorin Sigrid Metz-Goeckel kürz- lich nichts Wesentliches verbessert. lich herausgestellt hat. Eines allerdings hat sich verbessert: Die Frauen (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten organisieren sich mehr und mehr. der GRÜNEN) (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Trotzdem werden Wir politisch organisierten Frauen kämpfen, Frau Sie nicht Parteivorsitzende!) Roitzsch genauso wie ich. Vielleicht wird im näch- sten Bundestag der Zeitpunkt erreicht sein, zu dem Es werden jetzt Förderpläne nicht nur im öffentli- endlich nennenswert mehr Frauen als 1919 im Par- chen Dienst gefordert, und in einigen Bundeslän- lament sitzen; bisher haben wir nämlich keinen dern werden sie bereits mit verbindlichen Richtli- Fortschritt erzielt. nien durchgeführt, nämlich in Hamburg, in Bremen und in Nordrhein-Westfalen; ich denke, Hessen Geschätzte Kollegen, wir erkennen aber auch, wird nachziehen. daß die Ebene der Parlamente nicht mehr die ei- gentlich machtvolle Ebene demokratischer Ent- (Frau Roitzsch [Quickborn] [CDU/CSU]: scheidungsprozesse ist. Die Exekutive, unsere ge- Schleswig-Holstein!) liebte und gehaßte Bürokratie, hat weit mehr Ent- — Aber doch nicht mit verbindlichen Richtlinien, scheidungsspielraum als wir. Und da ist es richtig, Frau Roitzsch! was Herr Hirsch hier gesagt hat, daß es beklagens- (Frau Roitzsch [Quickborn] [CDU/CSU]: wert ist, daß Frauen in der Führungsebene prak- Aber j a!) tisch nicht vorhanden sind. Hier herrscht Macht, und zwar ausschließlich Männermacht. Auch das, was Herr Waffenschmidt hier vorgetra- gen hat, entbehrt ja völlig der Verbindlichkeit. Es (Abg. Frau Zeitler [GRÜNE] meldet sich zu ist notwendig, daß gesagt wird, in welchem Zeit- einer Zwischenfrage) raum und mit welchen konkreten Schritten sich etwas verändert. Es reicht nicht, nur zu sagen, was Gestatten Sie eine Zwi- man gerne tun möchte. Der Ruf nach Förderplänen Vizepräsident Frau Renger: schenfrage? wird an den Hochschulen und wird in den Medien laut, und man kann nur hoffen, daß sich da wirklich auf allen Ebenen etwas verbessert. Frau Dr. Martiny-Glotz (SPD): Ich möchte zu Ende Kürzlich sah ich am späten Abend, kurz vor der kommen wegen der Redezeit meiner Nachfolgerin- Nationalhymne, im Fernsehprogramm des Bayeri- nen und Nachfolger. Deswegen wollen Sie auf Zwi- schen Rundfunks die Auflistung derer, die dort in schenfragen bitte verzichten. den einzelnen Abteilungen und auf der Leitungs- Den westlichen Demokratien ist es gut bekom- ebene Verantwortung tragen. Das hätte den Män- men, daß die Arbeiterbewegung des 19. und begin- nern die Schamröte ins Gesicht treiben müssen, nenden 20. Jahrhunderts dazu geführt hat, daß aus denn es waren wirklich nur Männer. Es ist schlim- der abgesonderten Arbeiterklasse gleichberechtigte mer als im Mittelalter: Nur Männer sagen den und in das Gemeinwesen integrierte Staatsbürger Frauen, wo's langgeht. Das ist eine Art von Ent- geworden sind. In gleicher Weise wäre es höchst mündigung, die sich die Frauen sicher nicht mehr bekömmlich für unsere Demokratien, wenn endlich länger bieten lassen werden. Ernst damit gemacht würde, aus den separierten (Jung [Lörrach] [CDU/CSU]: In der Praxis Frauenfragen gesellschaftspolitische Fragen zu ma- sieht das doch ganz anders aus!) chen, die uns alle, Männer wie Frauen, angehen. Geschätzte männliche Kollegen, das Verweigern Wir politisch aktiven Frauen wollen an der Macht von Förderplänen zeigt doch, daß es Ihnen letzten nicht deshalb beteiligt werden, weil wir ähnlich un- Endes um die Macht geht. Denn eines ist doch ganz reflektiert auf die Macht angewiesen sind, wie das klar: Wenn man Frauen in dieses System hineinlas- auf die Männer zum großen Teil zutrifft, sen will, geht das nur dadurch, daß Männer auf (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Na, na!) einen Teil ihrer Vorteile verzichten. sondern wir wollen neue Impulse für eine bessere (Zustimmung der Abg. Frau Dann Art des Miteinander-Umgehens in diese Gesell- [GRÜNE]) schaft hineintragen. Eines erkennen wir Frauen, so meine ich, auch (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Da habe ich schon mit aller Deutlichkeit: daß Sie jetzt, um von dieser anderes erlebt!) 13728 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985

Frau Dr. Martiny-Glotz Wenn Herr Geißler in seiner ungewöhnlichen der nur das bestätigt, was wir ohnehin getan ha- Sprach- und Bildkraft, die uns häufig auch sehr ben? ärgert, an sich und an seine männlichen Kollegen (Beifall bei der CDU/CSU) die Forderung gerichtet hat, daß die Paschas von Sie betreiben hier einen Aktionismus, um nach au- ihren Thronen herunter müßten, dann entgegne ich ßen hin deutlich zu machen, Sie tun etwas für Frau- ihm — und komme damit zum Schluß —, so weit en. In Wirklichkeit wollen Sie nur das nachvollzie- wollen wir gar nicht gehen, Herr Geißler. Es würde hen, was wir ohnehin getan haben. uns schon reichen, wenn Sie und die anderen männ- lichen Machtmenschen in den konservativen Grup- Lassen Sie mich kurz auf das eingehen, was wir pen der Gesellschaft in der letzten Zeit getan haben. Herr Staatssekretär (Lachen bei der CDU/CSU) Waffenschmidt hat die Richtlinie angesprochen, auf die ich deshalb nicht näher eingehe. den Frauen die Hand reichten, um sie mit hinaufzu- nehmen auf den Thron. Deshalb brauchen wir ver- (Frau Odendahl [SPD]: Die unverbindliche bindliche Frauenförderpläne. Richtlinie!) Vielen Dank. Lassen Sie mich das Fünfte Gesetz zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften anführen. Wir haben (Beifall bei der SPD) es im Juli 1984 beschlossen. Darin ist die Teilzeitbe- schäftigung für Männer und Frauen im öffentlichen Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat Frau Ab- Dienst geregelt. Sie wissen, daß aus familiären geordnete Männle. Gründen — das ist die sog. familienpolitische Fall- gruppe — Beamtinnen inzwischen bis zu 15 Jahren Frau Männle (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine von der Möglichkeit der Teilzeitbeschäftigung Ge- Damen und Herren: Frau Martiny, darf ich ganz brauch machen können. Sie wissen, daß wir die sog. kurz auf Sie eingehen. Wenn ich unsere Diskussio- arbeitsmarktpolitische Fallgruppe in den öffentli- nen unter den Frauen recht verstehe, wenden wir chen Dienst aufgenommen haben; es ist ebenfalls uns eigentlich immer geschlossen gegen den soge- die Teilzeitbeschäftigung von Männern und Frauen nannten Sexismus. Was Sie gerade eben in der Re- möglich. Sie rennen hier offene Türen ein,- aber Sie aktion auf meinen Kollegen getan haben, war auch stehen davor und trauen sich nicht über die Schwel- Sexismus. Ich weiß nicht, ob es sinnvoll ist, daß wir le. die gleichen Muster übernehmen. Haben Sie nicht Wir haben anderen Forderungen, die Sie in Ihrem gerade in Ihrer Rede die Anpassung an die männli- Antrag erheben, längst entsprochen. Lassen Sie chen Diskussionen, an die männliche Rolle, an mich auf das Beschäftigungsförderungsgesetz ein- männliche Denkmuster ganz gezielt vorgenommen? gehen. Sie sagen hier, die Teilzeitbeschäftigung Bei Ihnen kam mir gerade eben der Eindruck: Ist solle gegenüber der Vollzeitbeschäftigung nicht dis- Gleichberechtigung Gleichstellung mit dem Mann kriminiert, sondern gleichgestellt werden. Wir ha- mit all den negativen Aspekten, die wir unter uns ben im Beschäftigungsförderungsgesetz ganz Frauen in einer ganz anderen Weise diskutieren? selbstverständlich eine unterschiedliche Behand- Sie haben hier die Sprache der Männer übernom- lung von Vollzeit-Arbeitnehmerinnen und Teilzeit men. Sie fordern mehr Frauen in die Parlamente. Arbeitnehmerinnen verboten. Das sind konkrete Richtig. Ich verspreche mir aber durch mehr Beschlüsse, die hier im Bundestag längst gefaßt Frauen in den Parlamenten, durch das eigene Ein- worden sind und die Sie ungern zur Kenntnis neh- bringen auch der Frauen eine Änderung im Stil. men wollen. Das, was Sie gerade eben praktiziert haben, ist keine Stiländerung, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Sie wollen der Öffentlichkeit immer weismachen, hier bestehe ein Handlungsbedarf; Frau Martiny, sondern die glatte Übernahme dessen, was wir seit Sie haben das gesagt. Wir haben gehandelt. Das fast 100 Jahren jetzt hier praktizieren und was wir paßt Ihnen nicht; das verstehe ich, weil Sie lieber bedauern. reden als handeln. Wir diskutieren heute die Frage der Förderung Das Beschäftigungsförderungsgesetz erlaubt von Frauen im öffentlichen Dienst. Es zeigt sich in Sie fordern, der Diskussion, daß wir uns vielleicht ein bißchen auch eine Teilung des Arbeitsplatzes. diese Teilung dürfe nicht zu Lasten der Arbeitneh- schwer tun, das hier ausgesprochen politisch anzu- mer gehen. Das ist im Beschäftigungsförderungsge- gehen, weil Ihr Antrag meines Erachtens ein setz geregelt. Auch die Arbeitsplätze auf Abruf sind Schaufensterantrag ist. Sie versuchen, auf andere im Beschäftigungsförderungsgesetz für Frauen po- Probleme auszuweichen, die Sie mit dem anderen sitiv geregelt. Antrag, den Sie eingebracht hatten, diskutieren wollten. Sie haben meines Erachtens die allgemeine Lassen Sie mich noch einen anderen Punkt an- Diskussion in den Ausschüssen nicht verfolgt. Ich sprechen. Es ist hier davon gesprochen worden, daß kann mich erinnern, vor einiger Zeit hatten wir im vor allem im akademischen Bereich Schwierigkei- Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit und ten für Frauen bestünden. Denken Sie an die Ver- im Innenausschuß die Frage von Frauenförde- abschiedung des Hochschulrahmengesetzes. Vor rungsplänen besprochen und haben uns positiv da- nicht allzu langer Zeit, im September, haben wir für ausgesprochen. Warum müssen Sie hier noch das Hochschulrahmengesetz verabschiedet. Wir ha- einmal einen Antrag in das Parlament einbringen, ben in Art. 2 die spezifische Förderung von Frauen Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13729

Frau Männle aufgenommen. Frau Odendahl, es sind nicht nur nicht nur redeten, die logische Konsequenz, daß wir reine Appelle für die Frauen. Denken Sie etwa an heute über diesen Antrag in der Sache befinden die befristeten Arbeitsverträge für junge Wissen- und ihn nicht überweisen würden? schaftlerinnen. Sie wissen, daß es ein übliches Ver- fahren an der Hochschule ist, Assistentinnen einen Frau Männle (CDU/CSU): Herr Jaunich, ich ver- befristeten Arbeitsvertrag zu geben. Wir haben et- suchte vorhin deutlich zu machen, daß Ihr Antrag was ganz Konkretes — keinen Appell — in dieses eigentlich obsolet ist. Nachdem aber Frau Kollegin Gesetz aufgenommen: Die befristeten Arbeitsver- Martiny vorhin gesagt hat, sie glaube dieser Richtli- träge all derjenigen Frauen, die ein Kind bekom- nie nicht so ganz, sie finde das nicht konkret genug men, werden verlängert. Sie müssen dann eben formuliert, sollten wir noch einmal in der Ausschuß- nicht nach 5 oder 6 Jahren aufhören; die Arbeitszeit beratung überprüfen, ob dies tatsächlich alles über- verlängert sich um die Zeit der Kinderbetreuung. einstimmt. Das ist ein konkreter erster Schritt, den Sie nicht einfach unter den Tisch fallen lassen sollten, indem (Jung [Lörrach] [CDU/CSU]: Allein die Sie sagen, das seien nur allgemeine Appelle. Das ist Richtlinie!) etwas ganz, ganz, Konkretes. — Der Antrag ist nur auf die Richtlinie bezogen. (Zustimmung bei der CDU/CSU) Die Richtlinie wird vorgelegt und im Kabinett ver- abschiedet werden. Beziehen wir sie in die Aus- Frau Odendahl, auch Sie haben gesagt, es bestehe schußberatungen mit ein und überprüfen wir das Handlungsbedarf. Sie haben darauf hingewiesen, dann! Ich meine, es deckt sich. Von Ihnen ist gerade man solle die Mitwirkung von Frauen in die Praxis eben geäußert worden, es decke sich nicht. Nageln umsetzen. Lassen Sie mich noch ein anderes Bei- wir das gemeinsam fest. Warum nicht? Ich meine spiel für die Umsetzung in die Praxis geben. Frau nicht, daß wir unbedingt jetzt abstimmen müßten. Minister Wilms steht einem Ministerium vor, daß von Ihnen eingerichtet worden ist; Sie haben die Lassen Sie mich noch auf einen anderen Punkt Positionen besetzt. Lassen Sie mich die Einstel- hinweisen. Sie versuchen immer, Keile hineinzu- lungspraxis von Frau Minister Wilms anführen: Al- treiben und tun sich jetzt ein bißchen hart, weil die lein im Jahre 1985 sind bei 8 Einstellungen in den Türen, die Sie einrennen wollen, schon offen sind. höheren Dienst sechs Frauen eingestellt worden. Ist Ich erinnere auch an den gemeinsamen Ent- dies nicht eine positive Maßnahme? Ist das nicht schließungsantrag aller Fraktionen, den wir bei der ein Beispiel für alle anderen? Wir reden nicht, son- Änderung des Arbeitsplatzschutzgesetzes gefaßt dern wir handeln. Das entspricht genau dem, was haben. Dabei ging es um die Behandlung von Be- Sie in Ihrem Antrag fordern. Sie fordern, daß werbungen für die Einstellung in den öffentlichen Frauen auch in höherqualifizierte Positionen auf- Dienst. Wir haben in diesem Hause übereinstim- steigen sollen. Auch 1985 entfiel im Ministerium mend die Bundesregierung aufgefordert, bei Verzö- von Frau Wilms die Hälfte aller Beförderungen in gerungen, die bei Frauen infolge von Geburten oder höhergestellte Positionen — also ab A 15 — auf Kindererziehung entstehen, zu überprüfen, ob ähn- Frauen, obwohl die Decke für diejenigen, die beför- lich wie bei jungen Männern, die Wehrdienst oder dert werden können, noch relativ eng ist. Ersatzdienst leisten, verfahren werden kann. Meine Oder nehmen Sie das Problem der Teilzeitarbeit. Damen und Herren, ich könnte hier noch zahlreiche Im Bildungsministerium sind in diesem Jahr 2 Re- andere Beispiele aufführen. Aber meine Redezeit ferentinnen eingestellt worden, die sich einen Ar- ist zu Ende. beitsplatz teilen; eine arbeitet in der ersten Wochen- Fazit: Wir haben gehandelt. hälfte, die andere in der zweiten Wochenhälfte. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Meine Damen und Herren, ist das nichts? Ist das Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Schön nicht eine Umsetzung? Ist das nicht Handeln? Han- wäre es!) deln, nicht reden! Wir handeln. Nehmen Sie die Auszubildenden — auch die hat- Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat die Frau ten Sie angesprochen —, als Beispiel wiederum das Abgeordnete Terborg. Ministerium für Bildung und Wissenschaft: Von 19 Auszubildenden, die dieses Jahr eingestellt wor- den sind, sind 12 Mädchen. Überproportionales Frau Terborg (SPD): Frau Präsident! Meine Her- Einstellen von Mädchen, weil ein Defizit besteht. ren und Damen! Die Debatte ist lang, aber was Warum hört man dazu von Ihnen nie etwas? Uns haben wir bisher nicht schon alles an großen und werfen Sie Handlungsbedarf vor. Sie selbst reden. ergreifenden Worten hören können? Danke schön! — Hört man aber genauer hin, dann läuft diese Vizepräsident Frau Renger: Frau Kollegin, gestat- Aussprache nach sattsam bekanntem Strickmuster: ten Sie eine Zwischenfrage? für die Frauen eine Handvoll Streicheleinheiten — für die Männer die Arbeitsplätze. Frau Männle (CDU/CSU): Ja, es geht wohl noch, Blicken wir bitte genauer in die aktuelle Arbeits- Herr Jaunich. losenstatistik. 2,21 Millionen Arbeitslose wurden im November gezählt, darunter 1,03 Millionen Frauen. Vizepräsident Frau Renger: Bitte, Herr Kollege. Das sind nicht weniger als 46,6 %. Dazu kommen, so sagen die Arbeitsmarktforscher, nicht weniger als Jaunich (SPD): Frau Kollegin, wäre es nicht, wenn 1,5 Millionen Arbeitsplatzsuchende, die keine wie Sie immer davon sprechen, daß Sie handelten und auch immer geartete Leistung erhalten und die die 13730 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985

Frau Terborg Hoffnung längst aufgegeben haben, von den Am- lie zu gründen, oder wenn sie so schnell wie möglich tern einen Job vermittelt zu bekommen. wieder an ihren Arbeitsplatz zurückeilen. 156 416 Jugendliche sind arbeitslos. Und wieder Ja, so ist das. — Da kann der Herr Bundesinnen- wissen wir alle, daß auch die Mädchen die Haupt- minister noch so wolkige Richtlinien in die Welt last der Beschäftigungskrise zu tragen haben. setzen. Arbeitsplätze dürfen demnach nicht mehr 2 644 430 sind Teilzeitbeschäftigte. 238 000 — das geschlechtsspezifisch ausgeschrieben werden. Das sind 10,8 % — suchen verzweifelt einen Teilzeitar- ist allerdings schon EG-Recht. Bei der Besetzung beitsplatz. Sie gehen nicht fehl in der Annahme, daß von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen sollen Frauen in beiden Bereichen rund 90 % Mädchen und unter Beachtung des Leistungsprinzips angemes- Frauen sind. Und wenn man dann noch berücksich- sen berücksichtigt werden. Das hat Herr Waffen- tigt, daß rund zwei Millionen Arbeitnehmer eine schmidt eben vorgetragen. Da kichern selbst die Tätigkeit unterhalb der Sozialversicherungs- Hühner in Nordenham und erzählen sich, daß die schwelle — davon weit über die Hälfte Frauen — meisten SPD-Länder fortschrittlichere Regelungen ausüben, dann wird uns sehr schnell klar, was von haben. den schönen Reden zu halten ist, die uns auch heute (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Verbind wieder ins Ohr geträufelt werden. liche!) Für diese ungleiche Behandlung der Geschlech- — Verbindliche dazu, j a. ter auf dem Arbeitsmarkt gibt es keine rationale Begründung. Es kann sie auch nicht geben, es sei In der Frage der Fortbildung fehlt der Hinweis, denn, man rechnet Denkträgheit und Vorurteil zur daß Frauen besonders zur Teilnahme an Fortbil- Ratio. dungsmaßnahmen animiert und daran stärker als bisher beteiligt werden müßten. Vielleicht holt sich Überall, bei den Ländern und Kommunen, sprie- Herr Zimmermann sachkundigen Rat bei seinen ßen Gleichstellungsstellen aus dem Boden, werden Kollegen in Berlin, Kiel und Mainz. Frauenbeauftragte eingestellt. Schön so — wir ha- ben lange dafür kämpfen müssen. Das darf aber, Teilzeitarbeit sieht das Haus Zimmermann nur meine Herren, nicht alles sein. Die Frauenbeauf- bei Bedarf und unter Berücksichtigung- der Funk- tragten, die Gleichstellungsstellen müssen auch tionsfähigkeit der Verwaltung: Hier ist er wieder, Kompetenzen erhalten. Sie müssen die Möglichkei- der gebremste Reformeifer des Innenministers. ten bekommen, den heute wieder so eindringlich Berlin, Rheinland-Pfalz und selbst Schleswig-Hol- bekundeten Willen des Gesetzgebers umsetzen zu stein gehen da weiter. Vielleicht windet unsere können. Durch eine statistische Erfassung der Ver- neue Familienministerin ihrem Kollegen den Fe- stöße, durch das Anprangern geschlechtsspezifi- derhalter aus der Hand und setzt beim Bund zumin- scher Voreingenommenheit erhält keine einzige dest das durch, was ihr Haus den Privatbetrieben in Frau eine Beschäftigungschance mehr. Betäti- einem Leitfaden anempfiehlt. gungsfelder gibt es genug. Wir dürfen nur nicht vor Wo, meine Herren und Damen, bleibt überhaupt des Nachbars Hoftür kehren wollen, sondern müß- die umfassende Frauenförderungskonzeption des ten im eigenen Bereich, im öffentlichen Dienst, Bundes? Ist die Regierung bereit, die Verwirkli- Frühjahrsputz veranstalten. chung dieser Konzeption durch regelmäßige Be- Bei Bund, Ländern und Gemeinden sind rund richterstattung an das Parlament zu belegen? 1,8 Millionen Frauen, das sind 40 % aller öffentlich Warum hat die Regierung ohne Not die Modellver- Bediensteten, beschäftigt. 1,4 Millionen Frauen sind suche zur Ausbildung von Mädchen im technisch- in den Länder- und Gemeindeverwaltungen tätig. industriellen Bereich ersatzlos auslaufen lassen? Sie arbeiten als Lehrerinnen, als Krankenschwe- (Vorsitz: Vizepräsident Stücklen) stern und als Schreib- oder Bürokräfte. In Bundes- diensten sind von 332 000 Beschäftigten 82 000 Ich will Ihnen sagen, warum Sie sich, meine Her- Frauen. In Kohls Herrenriege zählen wir — welch ren aus der Koalition, hinter dem Bollwerk Ihrer gigantischer Fortschritt! — zwei Ministerinnen hohlen Phrasen verschanzen: Noch immer betrach- und eine Parlamentarische Staatssekretärin. Von ten Sie die berufstätige Frau als Reservearmee für 133 Abteilungsleiterpositionen konnten die Frauen den Arbeitsmarkt. Wenn die geburtenschwachen ganze zwei Plätze erobern. Sieben sind es im er- Jahrgänge ins Erwerbsleben gelangen, wird man lauchten Kreis der 250 Unterabteilungsleiter. Im mit vielen süßen Worten die Frauen von der Küche höheren Dienst weist die Personalstatistik 7,1 in die Büros und an die Werkbänke locken. Wenn Frauen aus, im gehobenen Dienst sind es 23,7 v. H. Massenarbeitslosigkeit herrscht, entdeckt Herr Es handelt sich meist um Lehrerinnen. Blüm die neue Mütterlichkeit. Es ist wirklich schon alles dagewesen. Aber muß es denn immer so sein Je weiter wir in der Pyramide nach unten gera- und immer zu Lasten der Frauen ausgehen? ten, um so mehr Frauen finden wir: als Kranken- 1983 schrieb eine couragierte Professorin u. a.: pflegerinnen, als Schreibkräfte, als Raumpflegerin- nen. Frauen werden überwiegend als Arbeiterinnen Die Berufschancen in den traditionellen Frau- oder Angestellte eingestellt. Nur ein Viertel wird in enberufen nehmen spürbar ab. Das gilt ebenso das Beamtenverhältnis übernommen. Die Unkünd- für das Bildungs- wie das Sozialwesen. Die dort barkeit nach 15 Beschäftigungsjahren und nach bislang verfügbaren Arbeitsplätze fallen dem Vollendung des 40. Lebensjahres erreichen Frauen Rotstift der öffentlichen Einsparungen zum Op- nur, wenn sie auf die Chance verzichten, eine Fami- fer. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13731 Frau Terborg Sie fuhr fort: Frau Kollegin, es ist der Geist des gegensätzli- Frauen erfahren im Unterschied zum Mann, chen Denkens, der die Gleichberechtigung verhin- daß ihre berufliche Tätigkeit, ihre Beteiligung dert. Ich muß Ihnen ganz ehrlich sagen: Ich hätte an der bezahlten Arbeit keineswegs selbstver- mir eigentlich gewünscht, daß die Rednerinnen der ständlich, ihr Anspruch auf Arbeit im öffentli- Opposition etwas mehr Selbstbewußtsein gezeigt chen Bewußtsein nicht abgesichert ist. hätten. Das käme der Gleichberechtigung insge- samt sehr viel mehr zugute als diese Reden, die Sie Schließlich kam die Autorin zu dem fast schon resi- hier gehalten haben. gnierenden Schluß: Vielen Dank. Frauen werden gegenwärtig weder vom berufli- chen noch vom sozialen Netz aufgefangen. (Beifall bei der FPD und der CDU/CSU) Klare Zukunftsperspektiven sind nicht erkenn- bar. Vizepräsident Stücklen: Das Wort hat der Herr Ab- geordnete Kuhlwein. Das waren Sie, Frau Minister, vor zwei Jahren. Wir können dieser Analyse nur zustimmen. Kuhlwein (SPD): Herr Präsident! Meine sehr ver- Nun befinden Sie sich in der einzigartigen Lage, ehrten Damen und Herren! Herr Kollege Eimer, mit in Ihrer Politik die richtigen Schlüsse zu ziehen. dem Machtbewußtsein ist das so eine Sache. Wenn Leicht werden Sie es dabei nicht haben; das prophe- wir Männer ganz ehrlich sind, müssen wir sagen: zeien wir Ihnen jetzt schon. Die sozialdemokrati- Wir bemühen uns doch, unseren Status, unsere bes- sche Bundestagsfraktion leiht Ihnen immer dann seren Sozialchancen und auch den Zipfel der ihre Unterstützung, wenn Sie darangehen sollten, Macht, den wir in der Gesellschaft haben, z. B. als die geschlechtsspezifischen Verkrustungen auf dem Mitglieder dieses Parlaments, zu erhalten und an- Arbeitsmarkt aufbrechen zu helfen. dere abzuwehren, die uns diesen Zipfel wegreißen Packen Sie's an. Sicher werden Sie auch im Uni- wollen. Da sollten wir ein bißchen ehrlicher sein, als onslager noch den einen oder anderen Mitstreiter Sie das hier getan haben. finden. Ich wünsche es Ihnen jedenfalls. (Beifall bei der SPD — Zurufe von den (Beifall bei der SPD) GRÜNEN) Frau Kollegin Männle, unser Antrag ist ein Drei- vierteljahr alt. Wenn sich in der Zwischenzeit wirk- Vizepräsident Stücklen: Das Wort hat der Herr Ab- lich etwas bewegt hat, können wir durchaus den geordnete Eimer. Zusammenhang konstruieren, daß es unsere Initia- tive war, die mit dazu beigetragen hat, daß sich Eimer (Fürth) (FDP): Herr Präsident! Meine Da- etwas bewegt hat. Wenn sich etwas in die richtige men und Herren! Ich habe mich sehr spontan auf Richtung bewegt hat — um so besser. die Rede von Frau Kollegin Martiny hin hier zu Dann verstehe ich aber nicht mehr, warum Sie Wort gemeldet. Vielleicht können Sie einmal ganz nicht bereit sind, Frau Kollegin Männle, heute hier kurz zuhören, Frau Kollegin. unserem Antrag zuzustimmen, ihn sofort zu verab- schieden, aber nicht darauf zu warten, bis die Sie haben etwas in die Diskussion eingebracht, Re- gierung mit Richtlinien kommt; es sei denn, Sie was ich im Zusammenhang mit der Gleichberechti- wollen wieder zwischen dem, was Sie hier heute in gung für bedenklich halte. Sie haben gesagt: Die schönen Reden vertreten haben, und dem, was Sie Männer sind auf gewisse Machtstrukturen ange- mit Ihren Rechten als Parlamentarierinnen und wiesen, sind machtbesessen; die Frauen haben das Parlamentarier machen, eine Diskrepanz aufklaf- nicht nötig. fen lassen. Ich fürchte — und wir werden das drau- Ich halte diese Diskussion für sehr gefährlich. Ich ßen auch so sagen —, daß Ihr heutiges Verhalten — will Ihnen einige Namen nennen, um zu zeigen, wie erst mal überweisen, und dann wollen wir mal se- gefährlich diese Diskussion ist. Ich denke da an Eli- hen — genau in die Richtung geht, die Sie bisher sabeth I., ich denke an Katharina die Große, ich immer verfolgt haben, daß Sie nämlich große Worte denke an Maria Theresia. an die Adresse der Frauen richten, weil Sie wissen, (Zurufe von der SPD und den GRÜNEN) das sind mehr als 50 % der Wähler, aber daß Sie bei den Taten, die dann folgen müßten, ganz klein Ich nenne Ihnen auch Namen von Regierungs- schreiben und vor den gesellschaftlichen Wider- chefinnen aus der Neuzeit, die alle Kriege geführt ständen kneifen, die man bei Frauenpolitik mit Si- haben. Ich kenne keine Frau, die Regierungschefin cherheit immer zu erwarten hat. in der Neuzeit war, die keinen Krieg geführt hat. Ich will Ihnen hier Namen nennen: Indira Gandhi, (Zurufe von der CDU/CSU) Frau Golda Meir, Margaret Thatcher, Frau Banda- Frau Kollegin Männle, was das Hochschulrah- ranaike. Alle haben Kriege geführt. mengesetz angeht, damit Sie da nicht eine Legende Dennoch sage ich nicht, Frau Kollegin, daß die stricken: Sie haben mit Ihrer Mehrheit unseren An- Frauen machtbesessen sind. trag abgelehnt, im Hochschulrahmengesetz ver- bindlich Frauenförderungspläne und Frauenbeauf- (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten tragte vorzuschreiben. Es ist eben gerade kein der CDU/CSU) Durchbruch gewesen, was Sie gemacht haben. Ich Ich halte es für verkehrt, wenn man in diesen fürchte, das wird mit den Frauenförderungsrichtli- Strukturen denkt. nien genauso werden, wenn es konkret wird. 13732 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985

Kuhlwein Ein weiterer Punkt. Wenn die Frau Ministerin habe am Gemeinschaftsleben, für ein Stück Selbst- Wilms, wie ich sie nennen würde, obwohl sie sich verwirklichung und für die gesellschaftliche Aner- immer „der Bundesminister für Bildung und Wis- kennung ist. Deswegen muß dieses Gerede vom senschaft" nennt, durch Kraftakte in den letzten Doppelverdienertum aufhören, meine Damen und Wochen die Situation der Frauen in ihrem Ministe- Herren. Ich bitte auch Sie auf der rechten Seite des rium verbessert haben sollte, dann, Frau Männle, Hauses, das, was Herr Waffenschmidt heute gesagt wollen wir doch nicht vergessen: alle Abteilungen hat, überall in der Öffentlichkeit konkret nachzu- und Unterabteilungen werden nach wie vor von vollziehen. Männern geleitet, und von 48 Referaten wird nur eines von einer Frau geleitet. Also, der Durchbruch (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — ist so gewaltig noch nicht, der da in der Zwischen- Zurufe von der CDU/CSU und der FDP) zeit angeleiert worden ist. Wir brauchen keine Doppelverdienerkampagne, die (Frau Männle [CDU/CSU]: Was haben Sie die Frauen wieder gehen läßt, nachdem sie ihre vorher gemacht?) Schuldigkeit getan haben. Wir brauchen Ausbil- dung, Arbeit und Aufstiegsmöglichkeiten für alle. In — Bei uns war die Situation traurigerweise unge- einer Gesellschaft, die die faktische Gleichstellung fähr genauso, ja. der Geschlechter noch lange nicht erreicht hat, (Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU) brauchen wir dies vor allem für Frauen. Aber dazu hat Frau Martiny hier schon das Rich- Zum Schluß noch etwas an die Adresse meiner tige und Notwendige gesagt. männlichen Kollegen. Der Herr Hirsch hatte sich Ich wollte nur noch zu den Zahlen eines ergän- heute morgen geirrt, als er meinte, dieses Thema zen, die auch Margitta Terborg hier vorgetragen sei in diesen Debatten immer nur ein Thema für hat. Bei den Obersten Bundesgerichten liegt der Frauen. Ich gehöre zu den männlichen Mitgliedern Anteil der Frauen noch immer nicht über 5%. Auch meiner Fraktion, dies ist ein Fakt, der verändert werden müßte. (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Das sieht man! — (Beifall bei der SPD) Heiterkeit) - Nun hat Herr Staatssekretär Waffenschmidt die bei uns im „Arbeitskreis Gleichstellung" mitar- heute etwas zur Doppelverdienerkampagne gesagt. beiten. — Herr Kollege Bötsch, das täte Ihnen auch (Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Die gibt es gut, ab und zu mal bei der Frauengruppe der CDU/ nicht!) CSU-Fraktion reinzugucken; dann würden Sie wahrscheinlich eine Menge lernen. Ich finde das gut, daß er sich davon distanziert hat, aber ich fürchte, die Flüsterpropaganda an den (Beifall bei der SPD — Zuruf des Abg. Dr. Stammtischen wird weitergehen und wird sich wei- Bötsch [CDU/CSU] — Heiterkeit) ter gegen die Frauen richten. Eine Untersuchung der Zeitschrift „Brigitte" vom (Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Das Wort vergangenen Monat hat die Männer je nach Ein- „Doppelverdiener" muß erst einmal weg!) stellung zur Frauenarbeit in fünf Gruppen einge- — Ja, Herr Kollege Kroll-Schlüter, es gibt eine teilt: die egalitären, die liberalen, die schwanken- ganze Reihe von Leuten in der Union, die den soge- den, die konservativen und die Chauvinisten. Nun nannten Doppelverdienern den Kampf angesagt ha- zähle ich mich natürlich gerne zu den egalitären, zu ben. denen nämlich, die bereit sind, Frauen zu fördern (Zurufe von der CDU/CSU) und ihre eigenen Interessen auch einmal hinter die- jenigen der Frauen zu stellen. Meine Frau sieht das Die CSU will potentielle Doppelverdiener in der Ar- natürlich ein bißchen anders und differenzierter; beitslosenstatistik nicht mehr mitzählen. Der Stutt- die konzediert mir allerhöchstens, zur liberalen garter Oberbürgermeister Rommel hatte die Idee, Gruppe zu gehören, weil ich nur so lange für Rechte nur noch einen Teil eines Ehepaares im öffentli- und Gleichberechtigung der Frauen eintreten wür- chen Dienst zu beschäftigen, und die Bayerische de, solange meine eigene Position nicht erschüttert Staatsregierung appellierte an solche Ehepaare, wird oder bedroht ist. doch einen ihrer beiden Arbeitsplätze aufzugeben. Dabei sind als Doppelverdiener nicht etwa Hoch- (Heiterkeit und Zurufe von der CDU/CSU) schulprofessoren gemeint, die durch Drittmittelfor- schung und Gutachtertätigkeit ihr Einkommen ver- — Das ist eigentlich kein Grund zum Lachen. Ich doppeln, gemeint sind auch nicht Zahnärzte, die meine das ernst, weil ich daran etwas deutlich ma- doppelt so viel verdienen wie der Bundeskanzler. chen will. (Zurufe von der CDU/CSU) Viele Frauen glauben, die meisten Männer hätten Angst, daß ihnen Herrschaft und Privilegien verlo- Gemeint sind auch nicht Abgeordnete, die ihr Ein- rengingen. Ich gebe den Frauen nur teilweise recht. kommen über Beratertätigkeiten verdoppeln. Ge- Aber ich glaube, es geht bei vielen Männern eher meint sind Paare, bei denen Frau und Mann arbei- um die Angst, eine bisher ungewohnte Rolle in der ten, weil sie es entweder müssen, um menschen- Familie und in der Gesellschaft zu akzeptieren. würdig leben zu können, oder weil sie beide zu Recht feststellen, daß in unserer Gesellschaft Er- Meine Herren, wir Männer sollten uns dieser werbsarbeit noch immer Voraussetzung für Teil- Herausforderung mit demselben Mut stellen, der Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13733

Kuhlwein uns bisher angeblich zur Übernahme der Führungs- CDU/CSU, SPD, FDP und der Fraktion DIE GRÜ- aufgaben in der Gesellschaft befähigt hat. NEN vor. (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) Meine Damen und Herren, nach einer interfrak- Voraussetzung dafür ist allerdings — und da tionellen Vereinbarung sind eine gemeinsame Be- ratung der Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b und möchte ich ein Luther-Wort abwandeln — , daß wir Männer bereit sind, den alten Adam in uns durch eine Aussprache von 105 Minuten vorgesehen. — tätige Reue zu ersäufen. Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlos- sen. Schönen Dank, meine Damen und Herren. Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Zuruf von der CDU/CSU: (Helmrich [CDU/CSU]: Ja!) Welch ein Mann! — Erneute Heiterkeit) — Als Berichterstatter oder als Redner? (Helmrich [CDU/CSU]: Beides!) Vizepräsident Stücklen: Weitere Wortmeldungen — Also gut. Dann ist das auf das Fraktionskontin- liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. gent anzurechnen. Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag auf (Helmrich [CDU/CSU]: Drei Sätze!) Drucksache 10/3055 zu überweisen: zur federfüh- — Gut. Sie vereinbaren das: Sie sprechen einen Teil renden Beratung an den Innenausschuß und zur zur Berichterstattung und einen Teil zur Debatte. Mitberatung an den Ausschuß für Arbeit und So- zialordnung, den Ausschuß für Jugend, Familie und Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort Gesundheit und den Ausschuß für Bildung und Wis- hat der Herr Abgeordnete Helmrich. senschaft. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Die Überweisung ist so be- (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Da- schlossen. Helmrich men und Herren! Ich spreche erstens als Berichter- statter, und zwar zur Drucksache 10/4447. Es liegt Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b ein gemeinsamer Antrag aller Fraktionen vor. Wir auf: haben einige Berichtigungen, die sich aus den Zif- a) Zweite und dritte Beratung des von der Bun- fern 1 bis 12 ergeben. Wir haben eine umfangrei- desregierung eingebrachten Entwurfs eines chere Berichtigung in der Ziffer 3. Die Vierte Richt- Gesetzes zur Durchführung der Vierten linie war durch die Siebente Richtlinie geändert Richtlinie des Rates der Europäischen Ge- worden. Das war zunächst übersehen worden. Wir meinschaften zur Koordinierung des Gesell- bitten, diesen Berichtigungen zuzustimmen. schaftsrechts (Bilanzrichtlinie-Gesetz) So viel als Berichterstatter. — Drucksache 10/317 — Neben diesen Berichtigungen spreche ich zu den Beschlußempfehlung und Bericht des genannten Drucksachen zur Umsetzung der Vier- Rechtsausschusses (6. Ausschuß) ten, der Siebenten und der Achten gesellschafts- rechtlichen Richtlinie. Das sind die Bilanz-, die — Drucksache 10/4268 — Konzernbilanz- und die Prüferrichtlinie. Berichterstatter: Diese Richtlinien galt es in deutsches Recht um- Abgeordnete Helmrich zusetzen. Als im Frühjahr 1982 die damalige Bun- Kleinert (Hannover) desregierung das Gesetz zur Vierten Richtlinie ein- Stiegler gebracht hatte, schrieb das „Handelsblatt" unter der (Erste Beratung 25. Sitzung) Überschrift „Der Bundestag will auch noch mitre- b) Zweite und dritte Beratung des von der Bun- den" am 17. Juli 1982: desregierung eingebrachten Entwurfs eines Das Vierte Bilanzrichtlinie-Gesetz mit seinen Gesetzes zur Durchführung der Siebenten einschneidenden Veränderungen für die deut- und Achten Richtlinie des Rates der Europäi- sche Wirtschaft ist bisher überwiegend auf dem schen Gemeinschaften zur Koordinierung Mist der Ministerialbürokratie gewachsen. Nun des Gesellschaftsrechts melden sich aber auch noch zunehmend Bun- — Drucksache 10/3440 — destagsabgeordnete zu Wort, die ähnlich wie Beschlußempfehlung und Bericht des bei der Reform des GmbH-Rechts Einfluß auf Rechtsausschusses (6. Ausschuß) die im Gesetzentwurf der Bundesregierung ausgeuferte Materie nehmen wollen. — Drucksache 10/4268 — Heute, knapp dreieinhalb Jahre später, ziehen wir Berichterstatter: mit der Abstimmung über dieses Gesetz Bilanz und Abgeordnete Helmrich stellen fest, wie weit der Bundestag Einfluß auf die Kleinert (Hannover) Umsetzung der Bilanzrichtlinien nehmen wird. Stiegler Unsere Schlußbilanz in diesem Gesetzgebungs- (Erste Beratung 143. Sitzung) verfahren ergibt sich aus der Gegenüberstellung Hierzu liegen auf den Drucksachen 10/4447, 10/ der Regierungsentwürfe einerseits und der Be- 4448 und 10/4423 bis 10/4430 Änderungsanträge der schlußempfehlungen des Rechtsausschusses ande- Fraktion der SPD sowie ein Änderungsantrag der rerseits. Schon eine flüchtige Durchsicht zeigt, daß 13734 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985

Helmrich beim Recht des Einzelabschlusses, Drucksache soll, sowohl für Einzelkaufleute, Personenhandels- 10/317, wesentlich mehr Änderungen vorgenommen gesellschaften als auch für Kapitalgesellschaften. worden sind als beim Konzernabschluß, der Druck- Dies sind natürlich — neben einigen anderen Vor- sache 10/3440. schriften — insonderheit die Grundsätze ordnungs- Die Änderungen, meine sehr geehrten Damen mäßiger Buchführung, deren gesetzliche Fixierung und Herren, ergaben sich sowohl im Aufbau als die Vierte Richtlinie in größerer Zahl fordert, als auch in der Durchkonstruktion des Gesamtgeset- dies bei uns der Fall ist. zes. Diesen aus diesem Filterprozeß hervorgegange- Wir sind der Bundesregierung gefolgt in der Ent- nen Vorschriften haben wir die altehrwürdigen Vor- scheidung, den Adressatenkreis weiter zu fassen, schriften der §§ 38 ff. HGB hinzugefügt. Das Dritte als die Vierte Richtlinie verlangt. Die große Zahl Buch des HGB haben wir so mit einem Ersten Un- von Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung, terabschnitt eingeführt, in dem wir die alten §§ 38, die die Vierte Richtlinie enthält, mußte auch für 39 und 43 HGB durch die neu hinzukommenden andere als Kapitalgesellschaften, für die die Vierte Vorschriften über Grundsätze ordnungsmäßiger Richtlinie sonst nur gilt, umgesetzt werden. Wir Buchführung ergänzt haben; das sind insbesondere sind der Bundesregierung auch gefolgt in der Ent- Ansatz- und Bewertungsvorschriften. Es folgen scheidung, die wesentliche Umsetzung im Dritten dann im Dritten und Vierten Unterabschnitt nach Buch des HGB vorzunehmen. den Ansatz- und Bewertungsvorschriften die alten §§ 42 bis 47 d HGB. Wir sind der Bundesregierung nicht gefolgt im Aufbau, wonach das durchgängige Leitbild für die Dieser erste Abschnitt ist, so gesehen, nichts an- Gliederungsvorschriften, für Ansatz- und Bewer- deres als die rechtssystematische Anreicherung der tungsvorschriften die kleine GmbH sein sollte. Wir alten §§ 38 bis 41 d HGB. Sie enthalten neben den sind der Bundesregierung ferner nicht gefolgt in bisherigen Vorschriften „Grundsätze ordnungsmä- der Einführung eines Oberbegriffs für alle Unter- ßiger Buchführung", deren gesetzliche Normierung nehmen, weil dieser Unternehmensbegriff in der durch die Vierte Richtlinie vorgeschrieben ist. Sie sind deshalb nicht vollständig, sie sollten es auch weiteren Folge des Gesetzes doch in einem sehr - hohen Maße wieder untergliedert worden ist, so daß gar nicht sein. Aber diese 26 Paragraphen ruhen in insgesamt 13 Unternehmensbegriffe herauskamen, sich, sie sind in sich abgeschlossen. Nur die Gel- die den Gesamtentwurf schwerfällig und schwer tungsbereichs-Vorschrift für Soll-Kaufleute weist lesbar gemacht haben. Dieser Oberbegriff für alle über diesen Abschnitt hinaus. Unternehmen hatte unserer Auffassung nach keine Im übrigen gibt es in diesen Vorschriften nur vier ausreichende Ordnungsfunktion. Verweisungen auf andere Paragraphen. Diese Strukturmerkmale haben wir verändert (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] und Dr. und haben insbesondere — woran der Entwurf der Schroeder [Freiburg] [CDU/CSU]: Sehr Regierung auch litt — die alten Vorschriften im gut!) HGB, nämlich die §§ 38 bis 47d, in gleicher Weise Das Gewicht dieser Besonderheit wird deutlich, mit aufgenommen mit der Folge, daß sie nicht am wenn man damit den Paragraphen für die Unter- Anfang des HGB als Torso stehenblieben. Diese nehmensdefinition im Regierungsentwurf ver- Vorschriften muß nämlich schon jeder Steuerfach- gleicht, der in eineinhalb Textspalten allein 14 Ver- gehilfe lernen. Wenn er dann aber dort für die we- weisungen enthält. Die meisten davon weisen auch sentlichen Bewertungsvorschriften etwa nur Ver- noch aus dem Dritten Buch heraus. weisungen auf das Dritte Buch findet, so hat er Not, sich dann im Dritten Buch zurechtzufinden. Dieser Erste Abschnitt gilt für alle Kaufleute, also sowohl für Einzelkaufleute, Personenhandels- Wir sind bei unserer neuen Konzeption einen an- gesellschaften und Kapitalgesellschaften. Für Ein- deren Weg gegangen. Unser Bestreben bestand zu- zelkaufleute und Personenhandelsgesellschaften nächst darin, die Vorschriften, die für alle Kaufleute soll er abschließend gelten, für die Kapitalgesell- gelten sollen, von denen zu trennen, die zusätzlich schaften fungiert er als allgemeiner Teil, dem dann und erschwerend nach der Richtlinie nur für Kapi- der Zweite Abschnitt, der ergänzende Vorschriften talgesellschaften gelten sollten. für Kapitalgesellschaften enthält, als besonderer Ferner wollten wir, wo möglich, alte Textstellen Teil folgt. erhalten und diese möglichst mit neuen Vorschrif- Wir haben mit den folgenden Vorschriften im ten organisch verbinden. Gleichsam als Rohmate- Zweiten Abschnitt die Vorschriften des GmbH-Ge- rial hatten wir von vier Textgruppen auszugehen, setzes ersetzt. Die §§ 148 ff. Aktiengesellschaft ha- von den alten §§ 38 bis 47d HGB, den §§ 148 ff. des ben wir zum Teil durch Richtlinien-Vorschriften er- Aktiengesetzes, den §§ 41 ff. des GmbH-Gesetzes setzt, und zum Teil, soweit sie sich mit Richtlinien und den Vorschriften der Vierten Richtlinie. Als Vorschriften decken, sind sie teils in den Ersten, Vorlage diente der Regierungsentwurf. Diese Texte teils in den Zweiten Abschnitt eingeflossen. Wir galt es, gesetzessystematisch sauber und nach den glauben, daß wir die vier Ausgangstexte hiermit sy- Vorgaben der Vierten Richtlinie teils einander zu- stematisch ineinandergefügt haben. Der Aufbau zuordnen, teils umzuformulieren, teils ineinander des Dritten Buches folgt so dem Prinzip vom Einfa- aufgehen zu lassen. cheren zum Komplizierteren, von der einfacheren Als erstes haben wir aus dem Regierungsentwurf Rechtsform zur komplizierteren, vom einfacheren alles herausgefiltert, was für alle Kaufleute gelten Jahresabschluß zum detaillierteren und — generell Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13735 Helmrich — vom kleineren Kaufmann zum größeren. Damit ist in weiten Teilen leichter lesbar und verständli- haben wir den klassischen Gesetzesaufbau, der mit cher. dem Allgemeinen und Grundsätzlichen beginnt und Wir glauben, erstens durch den Abbau nicht zwin- zum Speziellen hinführt, überwiegend durchhalten gend notwendiger Vorschriften, zweitens durch können. eine organische Eingliederung neuen Rechts in al- (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Langner tes, drittens durch die Beibehaltung bewährter Ord- [CDU/CSU]: Eine reife Leistung! — Dr. nungsbegriffe, viertens durch eine verbesserte Sy- Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Eine große stematik, die allgemeinen Denkgesetzen strenger Leistung!) folgt, und fünftens durch eine klarere und damit verständlichere Sprache die Rechtsfolgen wenig- Da wir auf den Unternehmensbegriff verzichtet stens zum Teil überschaubarer und damit sicherer haben, konnten wir im Ersten Abschnitt, der für gemacht und die Akzeptanz des Gesetzes erhöht zu alle Kaufleute gilt, wie in den §§ 38 ff. HGB, den haben. Bisherige Stellungnahmen jedenfalls spre- Begriff „Kaufmann" und im Zweiten Abschnitt den chen dafür. Begriff der Kapitalgesellschaft wieder verwenden. Damit spiegelt sich der Aufbau des Gesetzes auch Das alles war natürlich nur möglich, weil nach in seinen Begriffen wider. Denn der Begriff des einer gewissen Eingewöhnungszeit die Mitglieder Kaufmanns umfaßt auch den der Kapitalgesell- des Unterausschusses und die Damen und Herren schaft. Ein Leitfaden für Anfänger, Lehrlinge und aus den Ministerien als ein eingespieltes Team zu- Studenten wird dem Aufbau dieses Gesetzes folgen sammengewirkt haben. Die Hauptlast hierbei hat können. ohne jeden Zweifel Herr (Dr. Schroeder [Freiburg] [CDU/CSU]: Der (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch her Vorsitzende!) vorragend!) Ministerialrat Biener aus dem Justizministerium Mit Hilfe dieser Begriffe und dieses Aufbaus wollen getragen. wir eine scharfe Trennung der allgemeinen Grund- (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der sätze von den Spezialregelungen für Kapitalgesell- SPD) - schaften erreichen. Ich darf auch den Mitgliedern des Ausschusses Bei unserem Aufbau wird sich methodenrechtlich recht herzlich danken. Diese Beratungszeit hat mir die Gesetzesauslegung und Lückenfüllung anders persönlich auch viel Freude gemacht. gestalten. War es im Regierungsentwurf ein Regel- (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Aber darauf Ausnahme-Verhältnis, ist es bei uns ein Verhältnis kommt es nicht an!) von Grundsatznorm zur Spezialnorm. — Ich muß erheblich protestieren. Es kommt sehr (Zustimmung bei der CDU/CSU) darauf an, ob uns die Arbeit im Bundestag Freude Von der Spezialnorm her wird die allgemeinere macht oder nicht. Ein bißchen Spaß muß sein, Herr Vorschrift grundsätzlich kaum zu deuten und aus- Kollege. zulegen sein. Wir werden damit verhindern, daß die (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. de With allgemeinen Vorschriften, die für alle gelten, von [SPD]: Schon drei Jahre Freude!) den Vorschriften für Kapitalgesellschaften überwu- Ich komme zum Schluß. Meine Damen und Her- chert werden. ren, ein Gesetz lebt in erster Linie durch seine An- Ich komme zu einem weiteren Punkt, in dem sich wender. Der Gesetzgeber verabschiedet ein Gesetz, der Regierungsentwurf und die Beschlußempfeh- und dann überläßt er es sich selbst, bis sich die lung des Rechtsausschusses unterscheiden. In un- Umstände verändert haben oder Folge- und Neben- serer Beschlußempfehlung sind, zumindest soweit wirkungen, die nicht gewollt sind, eine Nachbesse- es das Recht des Einzelabschlusses und nicht des rung erheischen. Ich hoffe, daß die Folge- und Ne- Konzernabschlusses betrifft, die Sätze kürzer, die benwirkungen, die wir nicht vorausgesehen haben, Absätze kürzer und die Paragraphen kürzer. an Zahl und Bedeutung gering sein werden. Dann könnten wir alle mit diesem Gesetz, glaube ich, eine (Dr. Schroeder [Freiburg] [CDU/CSU]: Und Weile leben. damit ist alles lesbarer!) Danke sehr. Das mag trivial erscheinen. Trivial ist es sicherlich (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der auch, daß ich den Aufbau so detailliert geschildert SPD — Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: habe. Nur, diese Regierung hat Entbürokratisie- Eine sehr gute Rede und ein gutes Werk!) rung auf ihr Panier geschrieben. (Zuruf von der SPD: Und macht mehr Bü Vizepräsident Stücklen: Das Wort hat der Herr Ab- rokratie denn je!) geordnete Stiegler. Für den Gesetzgeber muß Rechts- und Verwal- tungsvereinfachung mit einer Vereinfachung der Stiegler (SPD): Grüß Gott, Herr Präsident. Vorschriften beginnen. Weil unsere Sätze kürzer sind, sind die Aussagen weniger geschraubt und Vizepräsident Stücklen: Grüß Gott. weniger verschachtelt. Die Bezüge der Satzteile und der Begriffe untereinander sind klarer und damit Stiegler (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und leichter zu erfassen. Unsere Beschlußempfehlung Herren! Der Vorsitzende des Unterausschusses hat 13736 Deutscher Bundestag - 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985

Stiegler dankenswerterweise den Beratungsgang sehr dann doch zu einer planmäßigen Umsetzung vor gründlich geschildert. Ich möchte mich jetzt aus un- allem der Siebten und der Achten Richtlinie gekom- serer Sicht mit einigen politischen Bewertungen men. Bei der Vierten können wir sagen: Spät des ganzen Vorgangs anschließen. kommt ihr, doch ihr kommt über mit dieser Richtli- Das Interesse der Öffentlichkeit an diesen Richt- nie und mit diesem Gesetzeswerk. linien ist denkbar gering. Das Interesse der Fachöf- Meine Damen und Herren, die SPD-Fraktion hat fentlichkeit ist denkbar groß. Diese Vierte, Siebte an der Umsetzung dieser Richtlinien konstruktiv und Achte Richtlinie, das ist nicht bloß technischer mitgearbeitet. Es handelt sich um ein soziallibera- Kram für Fachidioten, das ist auch nicht bloße Eu- les Erbe, wobei die Liberalen die Vaterschaft nicht ropalyrik oder Europaepik. Der Name BiRiLiG unbedingt gerne bekennen. Ihre Liebe hielt sich da könnte zu irgendwelchen romantischen Vorstellun- in Grenzen, aber immerhin, es ist eine gemeinsame gen verleiten. Das ist weit gefehlt. Mit diesem Bi- Leistung. Sie geht, was die Vierte Richtlinie betrifft, lanzrichtlinie-Gesetz werden 39 Gesetze geändert, auf die Justizminister Vogel und Schmude zurück. davon acht wesentlich, ein Gesetz und fünf Verord- Für uns Sozialdemokraten ist es ein Stück Europa- nungen werden aufgehoben. Das ist ein gewaltiger politik, daß wir hier zu einer einheitlichen Rechts- Umbau unseres gesamten Wirtschaftsrechts, der ordnung kommen. Wir haben also von vornherein auch hier im Plenum mehr Interesse verdient hät- konstruktiv mitgearbeitet, um wohlwollend diesen te. Schritt zur Verbesserung der Rahmenbedingungen (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der im Gemeinsamen Markt voranzubringen. FDP) (Zustimmung des Abg. Dr. Stark [Nürtin Wir errichten mit diesem Gesetz einen Zentral- gen] [CDU/CSU)) bau unserer Wirtschaftsrechtsordnung neu. Wir re- Lassen Sie mich aber die Gelegenheit nutzen, auf geln die Buchführung, die Bilanzierung und die Of- eines hinzuweisen: Das Parlament begibt sich bei fenlegung des Jahresabschlusses von der Tante diesen Richtlinienverfahren häufig entscheidender Emma bis zum Multi, vom kaufmännischen Lehr- Mitwirkungsrechte. Wir alle haben uns oft darüber ling bis zum Konzernvorstand. Das ist ein ganz - wichtiger Rahmen für das wirtschaftliche Handeln, aufgeregt, daß wir nicht mehr entscheiden, sondern nur noch umsetzen konnten. Ich sage Ihnen: So- ein ganz wichtiger Rahmen für die Arbeitnehmer, lange wir nicht ein Verfahren finden, mit dem euro- für die Gesellschafter, für die Gläubiger und nicht päische Richtlinien entweder voll der parlamentari- zuletzt — ich erinnere an den Fiskus — auch für den Staat. Denn die Bilanzvorschriften haben we- schen Kontrolle des Europaparlaments überant- wortet werden oder, solange das nicht der Fall ist, sentlichen Einfluß darauf, welcher Gewinn ausge- bei uns Unterausschüsse das Richtlinienverfahren wiesen und wie er entsprechend besteuert wird. begleiten, wird es uns so gehen, wie es einmal ein Meine Damen und Herren, dieses Bilanzrichtli- polnischer Schriftsteller mit dem Aphorismus ge- nie-Gesetz ist ein ganz bedeutender Schritt zur sagt hat, der lautet: Ich bin für Freiheit und für Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes in den Rechte; ich frage immer den Fisch noch vor Tisch, Europäischen Gemeinschaften. Wir werden heute wie er gebraten werden möchte. So geht es uns nachmittag eine Europadebatte mit Höhenflügen dann bei der Umsetzung solcher Richtlinien: Wir erleben. Hier wird praktische Europapolitik ge- haben keine echte Wahlfreiheit mehr, sondern kön- macht. Der Blick auf das Schicksal und den Werde- nen hier nur noch formale Dinge regeln. gang des Bilanzrichtlinie-Gesetzes und der entspre- chenden Richtlinien zeigt, wie langwierig es in Eu- Ich schlage vor, daß wir uns wirklich überlegen, ropa ist, von ersten Vorstellungen — sie gehen bis ob wir nicht die Europavorlagen im Rechtsaus- in die 70er Jahre zurück — zur Umsetzung in natio- schuß einem ständigen Unterausschuß überantwor- nales Recht zu kommen. Aber es zeigt sich wieder ten, damit wir die Beamten, die ja gutwillig sind einmal: Der Fortschritt ist zwar eine Schnecke, aber und uns informieren wollen — die Regierung tut er kommt im Laufe der Distanzen doch beachtliche das ja auch —, sozusagen mit der Wahrnehmung Strecken voran. Einem, der wie der Herr Ministe- der Meinungen des nationalen Parlaments beauf- rialrat Biener dies vom ersten Tag begleitet und tragen können, so daß diese Richtlinien eben nicht durchlitten hat, ist hier ein besonderer Dank für unabhängig von dem verabschiedet werden, was diesen Beitrag zur Einigung Europas zu leisten. hier im Bundestag gedacht wird. Hinterher müssen wir sie nämlich umsetzen, und ich bin sehr dafür, (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der daß wir die Beratungen bei den weiteren Richtli- FDP) nien, die ja in Arbeit sind, begleiten, um uns inso- Die Anfangsliebe zu diesem Gesetz war nicht weit unsere Handlungs- und Entschließungsfreiheit groß. Das kann nicht bestritten werden. Vor allem zu erhalten. die Verzögerungen bei der Vierten Richtlinie bele- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der gen das. Hier hat erst ein Klageverfahren vor dem FDP — Zurufe von der CDU/CSU) Europäischen Gerichtshof etwas Adrenalin bei uns allen ausschütten müssen, vor allem bei der Mehr- — Mit der gleichen Besetzung wie dieser Unteraus- heit, sowohl bei der neuen als auch bei der alten — schuß? Sie wollen sich Herrn Schily erhalten? damit hier keine Mißverständnisse aufkommen; Sie (Zuruf von der CDU/CSU: Schily muß blei brauchen sich überhaupt nicht aufzuregen. Wir sind ben!) gerecht bis in die Knochen bei der Bewertung die- ser Dinge. Unter dem Druck dieser Klage ist es — Herzlichen Glückwunsch! Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13737

Stiegler Meine Damen und Herren, die Regierungsent- mals kein Rechnungslegungsgesetz aus Gründen würfe sind wesentlich verändert worden. Wesentli- der allgemeinen Unternehmensstrategie. Die alten che Veränderungen im Aufbau und in der Kon- Regierungsentwürfe hatten es auch noch nicht vor- struktion, zu der wir uns mit bekennen, haben wir gesehen, sondern hatten es noch sehr zersplittert. gemeinsam auf der Kleinertschen Terrasse entwik- Wir haben die zersplitterten Teile zu einer Einheit kelt. zusammengeführt und haben jetzt ein deutsches (Mann [GRÜNE]: Genau: ein Terrassen Rechnungslegungsgesetz. Das ist zwar noch rechts- Gesetz!) formabhängig, aber es ist leicht praktisch mit ein paar Federstrichen rechtsformunabhängig zu ma- Dort haben wir in einem vernünftigen Ambiente die chen, wenn ein paar Trennwände, ein paar Zäune Struktur neu geschaffen. herausgenommen werden, auf die Herr Helmrich (Mann [GRÜNE]: Lebensqualität!) großen Wert legt, wenn ein paar Brandmauern aus dem Gebäude herausgerissen werden. Dann hätten — Kein Neid, Herr Mann, kein Neid! Sie waren damals noch nicht dabei, aber wir hätten Sie nicht wir ein einheitliches deutsches Rechnungslegungs- ausgebissen, und es hat sogar Grün auf den Balkon gesetz. Das ist ein Fernziel, das wir als Sozialdemo- hereingeragt. Also kein Neid! kraten hier haben. (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Aber Gleichwohl, auch wenn sozusagen das Glas nur dann wären wir heute noch nicht fertig!) halbvoll oder halbleer ist, je nachdem, wie man es betrachtet, hat dieses neue Gesetz den Vorzug — Wir haben also die Veränderungen im Aufbau bei uns halbleer, bei Herrn Helmrich halbvoll, aber und in der Konstruktion mit entwickelt, und wir tra- man sieht immer, keiner hat die ganze Wahrheit, gen sie mit. Die Veränderungen im Inhalt der Ge- nur die beiden Aspekte ergeben die ganze Wahr- setze tragen wir nur teilweise mit. Hier war uns der heit —, es ist übersichtlich und einheitlich im Auf- Regierungsentwurf, der sozusagen noch soziallibe- bau, die Vorschriften für alle Kaufleute, die Vor- rales Erbe enthielt, lieber als das, was jetzt „hinein- schriften für die Kapitalgesellschaften und dann gewendet" worden ist. Das tragen wir nur teilweise eine stufenweise Steigerung der Anforderungen mit, von den kleinen über die mittleren zu den- großen. (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Aber Konsequent ist das Gesetz, aber nur bei den Kapi- ihr tragt mit, j a?) talgesellschaften, nicht bei den Personalgesellschaf- vieles davon sicher auch, aber darauf komme ich im ten. Wir würden die Brandmauer zwischen den Per- einzelnen noch zu sprechen. Wir tragen also mit sonalgesellschaften und den Kapitalgesellschaften und tragen schwer an dieser Verantwortung. nicht eingezogen haben, sondern wir würden allge- mein die Anforderungen für kleine, mittlere und Politisch gilt das insbesondere für die Entschei- große Unternehmen gesteigert haben. Die Unter- dung der Koalition, nur das Mindestmaß zu über- scheidung zwischen Kapitalgesellschaft und Nicht- tragen, also das sogenannte deutsche Übersoll, wie kapitalgesellschaft gibt in der Wirklichkeit nichts die Wirtschaft es nannte, abzubauen, das in beiden her. Sie ist auch fließend. Deshalb würden wir eine alten Regierungsentwürfen enthalten war. Wir hät- andere Aufbaualternative gewählt haben. ten es gerne gesehen, wenn der bewährte Standard etwa des deutschen Aktienrechts erhalten geblie- (Sehr richtig! bei der SPD) ben wäre, wenn also nicht die Gelegenheit genutzt Wir würden bei den Erleichterungen für die Auf- worden wäre, das Aktienrecht abzuschleifen und stellung des Jahresabschlusses sehr scharf ge- hier die Vorschriften über die Aufstellung und vor bremst haben, weil wir der Meinung sind, daß hier allem über die Publizität etwas zu verwässern; auch auch im Interesse der Unternehmen die Bilanzie- darauf komme ich noch im einzelnen zurück. rung sehr umfassend und sorgfältig sein sollte. Wir Wir hätten gern, und zwar nicht nur als Sozialde- hätten die Erleichterungen aber, wie schon in der mokraten, sondern in gleicher Weise unterstützt ersten Lesung betont, bei der Offenlegung großzü- von großen Teilen der Wissenschaft und natürlich gig gewährt, weil auch wir ein Schutzbedürfnis klei- von den Gewerkschaften, in der Konsequenz des ner und mittlerer Unternehmen sehen und dieses alten Regierungsentwurfes eine umfassende Rege- mit verwirklichen wollen. Die Koalition hat sich für lung geschaffen und nicht Probleme mit der Un- den anderen Weg entschieden. Die Koalition kann gleichbehandlung geschaffen. Wir haben jetzt in sich formal, das gebe ich zu, darauf berufen, daß die dem neuen Rechnungslegungsbereich eine Un- Vierte Richtlinie von ihr nichts anderes verlangt. gleichbehandlung. Hier kann es passieren, daß Das muß man fairerweise zugeben. Aber wir mei- große Personalgesellschaften die Rechnungsle- nen, hier war der Regierungsentwurf besser. Hier gungsvorschriften eines Tante-Emma-Ladens ha- ist eine gewisse Chance vertan worden, ein dauer- ben, während kleine Kapitalgesellschaften mit bis haftes Gesetz zu machen. Denn eines muß der Wirt- zu 50 Arbeitnehmern den erschwerten Bedingun- schaft klar sein, wir werden, wenn wir eine Mehr- gen unterworfen sind. Dieses halten wir insgesamt heit haben, dieses sofort wieder ändern. Eigentlich so nicht für richtig. Im Detail komme ich darauf sollte man j a im Handelsgesetzbuch bei diesen noch zurück. Rahmenbedingungen nicht immer allzuviel mit Veränderungen arbeiten, sondern sollte dauerhafte Meine Damen und Herren, mit dem Bilanzrichtli- Rahmenbedingungen schaffen. nie-Gesetz ist ein deutsches Rechnungslegungsge- setz entstanden. Die Diskussion in den 70er Jahren (Dr. Langner [CDU/CSU]: Deshalb gibt das hat sich darum gedreht, die Wirtschaft wollte da- Volk Ihnen besser keine Mehrheit!) 13738 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985

Stiegler — Das hat das Volk in der Hand und ist nicht Ihr nicht kann. Aber man muß bedenken, daß es riesige Wunschdenken; das ist die Sache. Da hat sich schon Personengesellschaften und sehr kleine Kapitalge- mancher gebrannt und getäuscht. Denn erstens sellschaften gibt. Diese Unterscheidung ist nicht in kommt es anders und zweitens, als man denkt. Ordnung. (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Herr Zum zweiten bereitet uns die Erleichterung der Kollege Stiegler, erlauben Sie, daß ich eine Aufstellung der Bilanz für kleine Kapitalgesell- Frage stelle?) schaften Probleme. Ich rede nicht von der Offenle- — Selbstverständlich. gung, sondern von der Aufstellung der Bilanz. Hier gehen wir weit hinter das Aktiengesetz, auch hinter Vizepräsident Stücklen: Herr Abgeordneter Stark, das Genossenschaftsrecht und andere Rechtsvor- bitte. schriften zurück. Es besteht kein Anlaß, schon bei der Aufstellung der Bilanz — ich rede nicht von der Dr. Stark (Nürtingen) (CDU/CSU): Ich möchte Veröffentlichung — Verschlechterungen vorzuse- noch einmal auf Ihr schönes Beispiel zurückkom- hen. Das belastet gerade die Aktionäre einer Ak- men, ob das Glas halbvoll oder halbleer ist. Sind Sie tiengesellschaft, bei der ja — anders als bei der nicht mit mir der Meinung, daß die Beurteilung GmbH — die Gesellschafter keinen unmittelbaren davon abhängt, ob man Optimist — dann ist es Zugang zur Geschäftsführung haben oder sich so- halbvoll — oder Pessimist — dann ist es halbleer — gar zu Geschäftsführern ernennen können. Wir ha- ist? ben zwar eine gewisse Verbesserung für die börsen- notierten Aktiengesellschaften eingebaut, ich erin- nere jedoch an die Beschwerden, die die Schutzver- Stiegler (SPD): Ich muß Ihrer Philosophie natür- lich zustimmen, aber entscheidend ist, daß man einigung für Wertpapierbesitz aus guten Gründen gern ein volles Glas hätte. Der Durst wird sonst eingelegt hat. Es wäre besser gewesen, bei der Auf- nicht gelöscht. Im übrigen gilt der Spruch: Man stellung der Bilanz nicht so großzügig zu sein. kann sich drehen, kann sich wenden, der Bauch Das dritte Problem — ich glaube, ich habe es vor- bleibt immer vorn, das andere hinten. hin schon angesprochen — sieht folgendermaßen (Heiterkeit) aus: Große Personengesellschaften unterliegen nur den Anforderungen der ordnungsgemäßen Buch- Meine Damen und Herren, ich möchte drei Pro- führung, während kleine Kapitalgesellschaften mit blemfelder, die uns Bauchschmerzen bereiten, her- bis zu 50 Arbeitnehmern — so weit gehen die Klei- ausarbeiten. nen — den strengen Anforderungen der Offenle- Das erste Problemfeld ist die unterschiedliche gung der tatsächlichen Verhältnisse, der tatsächli- Behandlung der Personengesellschaften und der chen Lage genügen müssen. Hier wäre eine Nach- Kapitalgesellschaften. Es wird viele überraschen, besserung im Sinne unserer Anträge notwendig. aber nach dem neuen Recht muß der Jahresab- Ich bitte Sie, sich unsere Anträge daraufhin noch schluß einer Kapitalgesellschaft unter Beachtung einmal anzusehen. der Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Verehrte Damen und Herren, gleichwohl ist fest- Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der zuhalten: Dieses neue Recht bringt entscheidende Kapitalgesellschaft vermitteln. Es kommt also dar- Verbesserungen. auf an, daß ein den tatsächlichen Verhältnissen ent- Die Publizität für rund 330 000 Gesellschaften mit sprechendes Bild gezeichnet wird. Der Jahresab- beschränkter Haftung wird ab 1. Januar 1987 ver- schluß eines Kaufmannes — ob er Gesellschafter bessert. Sie müssen ihren Jahresabschluß nach einer Personengesellschaft oder Einzelkaufmann weitgehend einheitlichen Bewertungs- und Gliede- ist — muß lediglich nach den Grundsätzen ord- rungsvorschriften aufstellen, und sie müssen damit nungsgemäßer Buchführung aufgestellt werden. ein tatsächliches Bild ihrer Lage zeichnen. Die Koalition hat diese Unterscheidung bewußt Wir haben eine Aufstufung der Rechte, wir haben eingeführt. Wir haben einen Änderungsantrag dazu Erleichterungen für die kleinen Gesellschaften be- eingebracht, in dem wir die Auffassung vertreten, schlossen. Und wir haben erreicht — und das daß eine Buchführung, die kein den tatsächlichen rechne ich der Koalition hoch an, beide Kollegen Verhältnissen entsprechendes Bild vermittelt, nicht von der Koalition haben da mitgewirkt —, daß die ordentlich sein kann. Denn eine Buchführung ist ja größenabhängigen Erleichterungen für die Unter- nicht zur Verschleierung da, sondern sie dient der nehmen die Informations- und Auskunftsrechte Klarstellung für den Kaufmann selbst, für die Ar- der Arbeitnehmer z. B. nach dem Betriebsverfas- beitnehmer, für die Mitgesellschafter und für die sungsgesetz nicht berühren. Das haben wir in der Gläubiger. Ich meine, es wäre besser gewesen, letzten Beratung in den Entwurf hineingebracht. wenn wir alle auf den „true and fair view", worauf Das ist auch ein Ausdruck des Klimas. Ich stehe die Kapitalgesellschaften verpflichtet sind, festge- nicht an, hier anzuerkennen, daß die Koalition hier legt hätten. Ich sage Ihnen: Es wird noch eine auf die Opposition zugegangen ist, und möchte mich Menge wissenschaftlich und auch wirtschaftlich dafür auch bedanken. motivierten Streit geben, weil es auch hier wieder Ungleichbehandlungen gibt. In der Personengesell- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der schaft kann man verstecken und verschleiern, mit FDP) Stillen Reserven arbeiten und viele Dinge wegdrük- Erleichterungen bei der Offenlegung dürfen also ken, während man das in der Kapitalgesellschaft die Rechte der Arbeitnehmer auf Erläuterung des Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13739

Stiegler Jahresabschlusses nicht beeinträchtigen. Die Teile Ich bitte Sie, sich unsere Anträge einmal anzu- des Jahresabschlusses, z. B. die Gewinn- und Ver- schauen. Wir haben noch eine Verbesserung vorge- lustrechnung, die nicht offengelegt werden müssen, schlagen und meinen, nachdem es nur für Neuzusa- müssen den Arbeitnehmervertretungen gleichwohl gen gilt, daß auch bei Altzusagen, wenn nicht Rück- vorgelegt werden. stellungen gebildet werden, wenigstens im Anhang bei der Darstellung der Haftungsverhältnisse dar- Wir haben eine weitere wichtige Entscheidung auf hingewiesen werden sollte, daß hier noch ein durchgesetzt — und das geschah auf Betreiben faules Ei im Nest liegt; denn es verfälscht die Aus- zweier ganz ungleicher Brüder, des Kollegen Klei- sagekraft einer Bilanz, wenn nicht wenigstens ganz nert, für seinen Bereich, und mir, vom DGB her- schüchtern hinten noch hineingeschrieben wird: kommend —, daß es keinen befreienden Konzern- Liebe Leute, da haben wir noch einige Millionen an abschluß mehr gibt. Die großen Konzerne dürfen Pensionszusagen sozusagen im Nest, und die müs- ihre schönen Töchter nicht mehr verstecken, wäh- sen erfüllt werden. — Bitte schauen Sie sich unse- rend sie die Mittelständler auf dem Markte vorfüh- ren Antrag dazu noch an. ren müssen. Das ist eine ganz wichtige Entschei- dung. Meine Damen und Herren, die Übersichtlichkeit und Klarheit der Bilanz wird durch die Bilanzvor- (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN und schriften selbst verbessert. Es gibt eine bessere des Abg. Kleinert [Hannover] [FDP]) Aufgliederung. Die Gewinn- und Verlustrechnung Ich habe mich sehr amüsiert, als ich das „Han- muß deutlicher gemacht werden, in diesem Fall delsblatt" am 1. Dezember las. Einerseits haben sie müssen die außerordentlichen Erträge von den or- dort dem Grafen Lambsdorff Beifall geklatscht für dentlichen Erträgen getrennt werden. Viele ver- seine Mittelstandsfreundlichkeit, den Späth als ei- schleudern Grundstücke und legen dann schöne Bi- nen vorgeführt, der einen Wolf im Schafspelz vor- lanzen vor. Die Leute sagen dann: Ach, was haben beiführt, und auf der Seite 18 haben sie diese Wölfe wir für einen tollen Vorstand! — In Wirklichkeit im Schafspelz, die diese ausgegliederten Konzern- haben die nur die Substanz verjubelt, um sich zu abteilungen in Wirklichkeit sind, auch noch kräftig schminken und den Jahresabschluß hinzudressen. verteidigt. Das zeigt, daß selbst so ein Blatt, das sich (Zuruf von der CDU/CSU: Gilt das auch für so seriös gibt, von Widersprüchen nicht frei ist. Das die Neue Heimat?) sollte man denen auch einmal unter die Nase hal- ten. Und wenn sie meinen, so mit dem Parlament Dieses wollen wir und werden wir in Zukunft nicht umgehen zu können, daß sie sagen können: Die mehr haben. Wirtschaft hofft auf den Bundesrat, kann man nur Wir haben gewisse Bedenken gegen das Umsatz - feststellen: Ihr hofft vergebens. Man kann nicht mit kostenverfahren, weil es sehr viel verschleiern dem Parlament so umgehen, als ob es „bei Fuß" kann und die Vergleichbarkeit erschwert. Wir ha- gehen müßte und die Spitzenverbände nur antreten ben dazu einen Antrag gestellt. Wir bitten Sie, daß und sagen müßten: Kehrt um, und dann gäbe es Sie sich diesen Antrag ansehen und uns dabei hel- schon eine Wende. So wendig sind nicht einmal die fen, die Richtlinie und das Gesetz noch zu verbes- Wendeline, meine Damen und Herren. Ich hoffe, sern. daß wir hier wacker und tapfer dabeibleiben und uns nicht unterkriegen lassen. Schließlich: Wir haben eine Verbesserung bei der Ergebnisermittlung. Alle GmbH werden in Zukunft (Weiß [CDU/CSU]: Sie rennen offene Türen keine stillen Reserven mehr bilden können, wie die ein!) Aktiengesellschaften jetzt schon. Wir sagen aber: Dies sollte nicht nur für die Kapitalgesellschaften — ist ja prima —, und das mit voller Kraft. gelten, sondern auch für die Personalgesellschaf- Meine Damen und Herren, wir haben die Prü- ten. fungspflicht für die mittelgroße und große GmbH. Beim Konzernabschluß werden wir ab 1. Januar Wir wollen gerade im Hinblick auf den Gläubiger- 1990 eine verbesserte Konzernrechnungslegung, ei- schutz diese Prüfungspflicht haben. Sie begründet nen verbesserten Lagebericht, Weltabschlüsse, eine bei etwa 15 000 bis 20 000 GmbH die Gewißheit, daß Vollkonsolidierung und einheitliche Wertansätze der Jahresabschluß entsprechend geprüft ist und haben. Hier haben wir zwar noch einige Verbesse- den Grundsätzen, die wir aufgestellt haben, ent- rungen mit einem Antrag eingebracht, aber die spricht. Konzernrechnungslegung wird entscheidend ver- Wir wollen eine Verbesserung der Bilanzwahr- bessert werden. heit erreichen. Hier ist ein wichtiger Durchbruch Meine Damen und Herren, so weit, so gut. Das gelungen. Die Bilanzwahrheit wird für alle Kauf- Gesetz bringt Fortschritte. Aber eine Hauptlücke, leute durch Einführung einer Rückstellungspflicht so groß wie ein Scheunentor, macht uns die Zustim- für laufende Pensionen und Anwartschaften bei mung unmöglich. Wir hätten gerne zugestimmt, Neuzusagen ab 1. Januar 1987 eingeführt. Man darf weil es wirklich ein Fortschritt ist. Aber die prakti- dann nicht mehr wie bei AEG Pensionszusagen ma- schen Fortschritte werden durch die Befreiung der chen, sie nicht finanzieren und dann die mittelstän- GmbH & Co. KG weitgehend wieder entwertet. Es dischen Unternehmen sie per Umlage bezahlen las- gibt keine sachliche Begründung für die Befreiung sen. Das ist ein für allemal zu Ende. der GmbH & Co. (Beifall bei allen Fraktionen) (Beifall bei der SPD) 13740 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985

Stiegler Das ist wider den Geist der Vierten Richtlinie, tor. Sie entwertet das Bilanzrichtlinie-Gesetz gewal- durch die alle Rechtsformen erfaßt werden sollen, tig. Es ist schade, daß dieses bedeutende Reform- die Gesellschaftern, Gläubigern und Dritten eine Si- werk mit diesem schweren Mangel behaftet ist. Wir cherheit nur durch ihr Gesellschaftsvermögen bil- haben hier eine schöne Fassade, wunderbar ge- den. Die Abschlußpublizität ist der notwendige Aus- schmückt: vorne hui und hinten pfui. gleich für die Haftungsbeschränkung. Das sind die zwei Seiten einer Medaille. Das gilt für die GmbH & Vizepräsident Stücklen: Herr Abgeordneter Stieg- Co. KG in vollem Umfang. ler, das war doch sicherlich nicht auf Ihre Position, (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) die Sie einnehmen, gemünzt? Wir meinen, daß man dem Geist der Vierten Richtli- nie widerspricht, wenn man das nicht macht. Die Stiegler (SPD): Herr Präsident, ich versichere Ih- Regierung hat noch in der 9. Wahlperiode deutlich nen untertänigst — „submissest", wie es Ihr Mini- geschrieben: sterpräsident immer sagt — , daß ich Sie nicht ge- meint habe. Würde aber die Kapitalgesellschaft & Co. nicht (Heiterkeit) in den Entwurf einbezogen werden, so könnten mit Hilfe dieser Rechtsform die Regelungen der Vierten Richtlinie leicht umgangen werden. Vizepräsident Stücklen: Danke schön. Die GmbH, auf die die Vierte Richtlinie zwin- gend angewendet werden muß, ist mit der Stiegler (SPD): Meine Damen und Herren, lassen Rechtsform der Kapitalgesellschaft & Co. wirt- Sie mich noch ein paar Takte zum Berufsrecht sa- schaftlich austauschbar. Der Verzicht auf die gen. Rund 20 000 mittelgroße und große GmbH wer- Einbeziehung dieser Gesellschaften könnte den prüfungspflichtig. Die Umsetzung hat deshalb — ich sage: und wird — zu erheblichen berufsrechtlichen Fragen geführt. Für uns galt und gilt: Qualifikation, Zuverlässigkeit die Bundesrepublik Deutschland dem Vorwurf und Unabhängigkeit der Prüfung und der Prüfer aussetzen, die Vierte Richtline nicht ihrem müssen im Mittelpunkt der Überlegungen stehen. Zweck entsprechend in deutsches Recht umzu- Davon sind wir ausgegangen. setzen und deutschen Unternehmen ein breites (Beifall bei der SPD) Tor zu öffnen, sich den zwingenden Regelun- gen der Vierten Richtlinie zu entziehen. Die Besitzstandswahrung haben wir nicht aus dem Auge verloren. Die Posser-Initiative hat uns In der Praxis haben wir das heute schon; siehe dazu nachdrücklich ermuntert. Wir meinen: Mit der die Umgründungshandbücher und die Seminare, Übergangslösung, der Dauerlösung und der Härte- die etwa die „NJW" anbietet. Die Privilegierung der regelung haben wir in Abstimmung mit den Ver- GmbH & Co. gefährdet Gesellschafter, Arbeitneh- bänden etwas erreicht, was sich sehen lassen kann. mer, Gläubiger und den Staat. Ich bitte aber, daß sich die rechte Mitte hinsichtlich Wir wissen alle, wie konkursanfällig die GmbH & unseres Änderungsantrags, den die Liberalen in- Co. KG ist. Wir werfen vor, daß diese Privilegierung nerlich mittragen, einen Ruck gibt. Ich sage Ihnen: der GmbH & Co. KG dem Gleichbehandlungsgrund- Die Wirtschaftsprüfer werden Sie nicht verprügeln, satz widerspricht. weil sie sehen, daß wir hier durchaus eine sachge- rechte Entscheidung getroffen haben. Geben Sie Stellen Sie sich vor: Große GmbH & Co. KG — sich einen Ruck. Viele von Ihnen sind überzeugt. das sind fast die Hälfte — werden in Zukunft wie Nur die hartleibigen Parlamentarischen Geschäfts- Tante-Emma-Läden behandelt, mit stillen Reser- führer lassen Sie nicht. Emanzipieren Sie sich ge- ven, die sie still auflösen. Viele „Steuersparer" genüber diesen Zuchtmeistern, meine Damen und schauen dann in die Röhre, wie wir sehr häufig Herren! erlebt haben. (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) Freie unabhängige Prüfer sind für uns die besten Während die kleine GmbH, Herr Kollege Stark, in Garantien für eine sachgemäße Prüfung. Darum Zukunft keine stillen Reserven mehr bilden darf, haben wir vorgeschlagen, daß die Beteiligung Be- darf die GmbH & Co. KG durch Manipulationen bei rufsfremder an Wirtschaftsprüfungsgesellschaften der Abschreibung dies vollständig tun. Das ist nicht zurückgedrängt werden soll. Da hat der Kollege in Ordnung. Wir werden keine Ruhe geben, bis das Kleinert mit meiner Unterstützung in ein ver- in das Gesetz aufgenommen ist. dammtes Wespennest gestoßen. Ich will all die Gro- (Beifall bei der SPD) ßen des Reiches nicht aufzählen, die sich als Schutzengel hinter manche gestellt haben. Hier Wir lassen uns auch nicht damit trösten, daß die sind alle mit Ruhm bekleckert, wie sie hier im GmbH & Co. KG im Rahmen des Konzernabschlus- Hause sitzen. ses erfaßt werden kann, wenn einer Komplementär- Jetzt haben wir bei den Wirtschaftsprüfern we- GmbH z. B. das Recht zusteht, die Mehrheit der nigstens für die Zukunft etwas erreicht. Aber ich Mitglieder des Verwaltungs-, Leitungs- oder Auf- begreife nicht, daß die Union bei den Steuerbera- sichtsorgans zu bestellen und abzuberufen. tern im letzten Moment gekniffen hat. Das ist Feig- Meine Damen und Herren, diese Lücke bezüglich heit vor dem Bauernverband, der Steuerberatungs- der GmbH & Co. KG ist so groß wie ein Scheunen- gesellschaften haben will, die er „bei Fuß" führen Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13741

Stiegler kann — der Herr Heereman nach Gutsherrenart. nicht ganz tragen können. Wir lehnen aber auch Wir wollen unabhängige und nicht abhängige Prü- nicht ab, sondern bringen mit unserem Änderungs- fer. antrag und unserer Enthaltung zum Ausdruck — (Beifall bei der SPD, der FDP und den ich bin gleich fertig, Herr Präsident —, daß wir die GRÜNEN) europäische Rechtseinheit wollen, daß wir der Wirt- schaft verläßliche Grundlagen für die Rechnungsle- Ich bitte Sie, bei Ihrer Politik für die freien Be- gung geben wollen, daß wir die Informationsrechte rufe glaubwürdig zu bleiben. Gehen Sie zu Herrn der Arbeitnehmer sichern wollen und daß wir mit Rollmann in den Beichtstuhl. Er wird Ihnen keine einer eigenen Mehrheit das Bilanzrichtlinie-Gesetz Absolution erteilen, solange Sie hier nicht voranma- vollenden werden. chen. Ich finde es unmöglich, sich beim Bundesver- band der Freien Berufe als Heros der freien Berufe Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. hinzustellen und dann Herrn Heereman sozusagen (Beifall bei allen Fraktionen) seine abhängigen Prüflinge zu ermöglichen. Meine Damen und Herren, das ist nicht in Ordnung. Wir wollen, daß Sie unserem Antrag auf Tren- Das Wort hat der Herr Ab- nung zwischen Prüfung und Beratung zustimmen Vizepräsident Stücklen: geordnete Kleinert (Hannover). und die Unabhängigkeit der Prüfung gewährlei- sten. Heute kann man lesen, was dem Raiffeisenver- band alles im Bereich der Prüfung vorgeworfen Kleinert (Hannover) (FDP): Herr Präsident! — wird. Hier zeigt sich wiederum, wie notwendig es Meine sehr verehrte Dame! Meine Herren! Das muß ist, daß wir hier besser werden und die Rechte wah- man erst einmal genau sehen. Es gibt immer wieder ren. Leute, die machen den Fehler — wenn ich Ihnen das mal so sagen darf —, nicht ganz hinter sich zu Ich möchte zum Schluß Herrn Ministerialrat Bie- gucken, bevor sie die Versammlung mit „meine ner danken, der geradezu unmenschliche Arbeit ge- Herren" anreden. Das war der Sinn der Maßnah- leistet hat, Tag und Nacht, Jahre und Jahrzehnte. men. (Beifall bei allen Fraktionen) (Heiterkeit und Zurufe) Ich bewundere Sie und danke Ihnen ganz herzlich Man soll ganz umsichtig zu Werke gehen, so wie wir für diese enorme Leistung es auch bei dieser Bilanzrichtlinie versucht haben. (Zuruf von der CDU/CSU: Unmenschliche Nachdem zum Schluß vom Dank die Rede war, Leistung!) will ich, der historischen Aufbaumethode folgend, mit Undank beginnen, und zwar mit Undank an die- und dafür, daß Sie uns sozusagen erst in die Mate- ' jenigen, die uns zu dem schließlich zweifellos gut rie eingeführt haben, damit Sie dann das ausführen ausgegangenen Werk überhaupt zusammengeführt konnten, was wir ausgebrütet haben. Das, finde ich, haben. Ich kann nämlich überhaupt nicht einsehen, ist eine ganz großartige Leistung. Herzlichen Dank, warum Leute, die nicht in der Lage sind, Stahl, bitte auch an Ministerialdirektor Krieger. Die Zu- Kohle und Agrarprodukte auch nur einigermaßen sammenarbeit war wirklich Klasse, sachverständig. vernünftig in einem Gemeinsamen Markt zu hand- Wenn wir den Biener nicht gehabt hätten, ich glau- haben, sondern bei ihren Übungen, einen solchen be, wir hätten uns mit der Gesetzesvorlage nicht Markt zu regulieren, viele, viele Milliarden in den hierher getraut; aber wir wußten immer: Der Biener Sand setzen, aus Alibi-Gründen hergehen und uns wird es schon richten, wenn wir hier mit unseren mit völlig überflüssigen Richtlinien zu Gebieten des Vorstellungen nicht ganz klarkommen. gleichen Marktes beliefern, die solcher Harmonisie- Es ist hier vielleicht nicht üblich, aber ich möchte rung nicht annähernd so dringlich befürfen wie die es doch tun, nämlich unserem Vorsitzenden dan- eingangs dargestellten Gebiete; so fängt das erst ken. Der Kollege Helmrich hat hier eine Wahn- mal an. sinnsarbeit geleistet, wirklich über Jahre hinweg. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Beifall bei allen Fraktionen) Wenn hier jemand meint, der Wettbewerb im eu- ropäischen Markt werde durch dieses Gesetz in ir- Ich sehe nicht ein, wieso ich das als Sprecher der gendeiner Weise gefördert und erleichtert, dann irrt Opposition nicht anerkennen sollte: Hoher Respekt sich der. Erstens läßt die Richtlinie — das haben für diesen Glanz der Dauer, diese Marathonqualitä- wir j a nun schon sehr im einzelnen ausgelotet, wie ten, die er in diesem Bereich entwickelt hat! Er war Sie schon von den Vorrednern vernommen haben — zwar in einigen Punkten verstockt; da hätte ich so viele Möglichkeiten bei der Umsetzung in natio- gerne gehabt, daß er uns gefolgt wäre; aber die nales Recht, daß etwa eine synoptische Lesung der Sache hat er wirklich großartig gemacht. verschiedenen Gesetze in Europa überhaupt nicht Ich fasse zusammen. Meine Damen und Herren, möglich ist. Der Aufbau unterscheidet sich, Einzel- die Gesetzesberatungen waren schwierig, teilweise regelungen unterscheiden sich zum Teil in sehr fast unzumutbar, aber wir haben es gepackt. Wir wichtigen Punkten. Das Ganze wird also keinen we- haben die Grundsätze gemeinsam entwickelt. Wir sentlichen Beitrag zu einer Harmonisierung in Eu- haben ein Gemeinschaftswerk, das wir nur wegen ropa leisten. Es hat außerdem den von Herrn Stieg- der GmbH & Co. KG, wegen dieser großen Wunde ler zutreffend dargestellten Nachteil, daß die parla- 13742 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985

Kleinert (Hannover) mentarische Beteiligung in diesem Europa zu ge- kommt. Jedenfalls kommt er nicht so zustande, daß ring ist. Einzelpersonen namhaft gemacht werden könnten, Die vernunfttreibende Kraft der Praxiskontakte, die zum Zustandekommen dieses Gremiums ir- wie das ein gescheiter Mensch einmal genannt hat, gendwann das Geringste beigetragen hätten. Das fehlt in einer Bürokratie, die mit sich und von sich ist als Beratung für diejenigen, die hinterher natür- lebt, um dann die anderen mit den so zustande lich faktisch und dankenswerterweise die Arbeit gekommenen Erzeugnissen zu beglücken. Deshalb tun, eben nicht ausreichend. ist es, glaube ich, ganz wichtig, unseren Willen zu Europa bei dieser Gelegenheit mit Nachdruck zu Deshalb ist meine Kritik keineswegs auschließli- unterstreichen, aber gleichzeitig zu sagen, daß Eu- che Kritik an einer Verwaltung. ropa in den Herzen unserer Bürger nur dann wirk- Ich kann jetzt nahtlos vom Undank zum Dank lich Platz finden kann, nur dann wirklich Leben übergehen und an dieser Stelle genau das sagen, gewinnen wird, wenn durch parlamentarische Kon- was meine Vorgänger mit Recht gesagt haben, trolle nicht nur im Europäischen Parlament, son- nämlich wie hervorragend und wie dringend not- dern durch einen entsprechenden Mechanismus, wendig die Zusammenarbeit mit dem Bundesmini- der mit den nationalen Ebenen verzahnt ist, die sterium der Justiz und hier insbesondere mit Herrn Verbindung der Bürger dorthin sichergestellt wird Ministerialrat Biener gewesen ist. Er ist vorhin ja und damit auch ihre Bereitschaft wächst, das Ganze vom Vorsitzenden schon befördert worden. Das als ein Stück von sich selbst zu tragen. wird hoffentlich in absehbarer Zeit nachgetragen, Das Gegenteil ist, daß hier gesetzliche Regelun- nicht zuletzt auf Grund der enormen Leistung beim gen von größter Bedeutung aus einem Apparat her- Zustandekommen dieses Gesetzes, die es uns er- aus auf uns zukommen, der besagter Praxiskon- möglicht hat, das, was wir an Politischem wollten, takte entraten muß, weil die parlamentarische Be- so umzusetzen, daß es uns nicht wegen einer Fülle gleitung, gelinde gesagt, höchst unzulänglich ist. fachlicher Unzulänglichkeiten um die Ohren ge- Nur wenn man den Zusammenhang klar sieht, wird schlagen wird. Dafür also herzlichen Dank an das man mit Europa in dem Sinn, wie wir es alle wollen, Bundesministerium der Justiz. Herrn Biener habe weiterkommen. ich genannt. Herrn Dr. Krieger gilt der Dank genau- so, ebenso allen anderen Mitarbeitern. Vizepräsident Stücklen: Herr Abgeordneter Klei- nert, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeord- Dann komme ich genauso wie Herr Stiegler an neten Roth? dieser Stelle dazu, auch dem Vorsitzenden unseres Unterausschusses, der während unserer Beratun- Kleinert (Hannover) (FDP): Bitte schön. gen auch noch Vorsitzender des Rechtsausschusses geworden ist, für seinen ganz ungewöhnlichen Ein- Vizepräsident Stücklen: Bitte sehr. satz beim Zustandekommen dieses Gesetzes sehr herzlichen Dank zu sagen. Roth (SPD): Verehrter Herr Kollege, ist es nach Ihrem Empfinden eigentlich fair, die Unzulänglich- (Beifall bei allen Fraktionen) keit der Richtlinien immer auf die Bürokratie zu Wir können es uns nach der Art des politisch-par- schieben? Wäre es nicht gerechter, wenn wir als lamentarischen Geschäfts einfach nicht erlauben, Parlamentarier sähen, daß die unklaren Vorgaben jedes Gesetz so im Detail durchzuberaten und so der Ministerräte für derartige Richtlinien sehr viel selbst bis in jede einzelne Bestimmung hinein mit- mehr verantwortlich sind als die einer anonymen zugestalten, wie das hier wieder einmal geschehen Bürokratie? ist. Wir haben das gleiche enorm arbeitsaufwendige Verfahren bei der Beratung des GmbH-Gesetzes in Kleinert (Hannover) (FDP): Herr Kollege, Sie sa- gen „teils, teils". Typisch liberale Antwort — höre fast der gleichen Besetzung — damals war statt Herrn Stiegler Herr Kollege Lambinus dabei — im ich auch schon. Dennoch ist es, wie Sie wissen, ein sehr komplexer Vorgang auch ohne parlamentari- übrigen schon einmal geübt, und wir hatten in bei- sche Beteiligung, bis so ein Entwurf auf den Tisch den Fällen eigentlich nur einen Grund für dieses kommt. Wenn ich von einer Bürokratie spreche, Verfahren vorzutragen, nämlich den, daß wir als meine ich damit stichwortartig die Art des ganzen Parlamentarier versuchen sollten, ein gutes Bei- Prozesses, der nur von der Verwaltung angeregt, spiel zu geben, wie man es eigentlich machen sollte, kontrolliert und betrieben werden kann und nicht wie man versuchen sollte, die Vorschriften zu straf- so unmittelbar mit den künftigen Anwendern und fen, wie man auf Grund der erwähnten Praxiskon- takte dazu kommen kann, das Gesetz für die An- Betroffenen rückgekoppelt ist, wie es hier in unse- rem Parlament der Fall ist, was gerade die Bera- wender handhabbarer und einleuchtender zu ma- tung dieses Gesetzes wieder gezeigt hat. chen, wie man durch die Umstellung vom Einfachen hin zum Komplizierten, die wir hier vollzogen ha- Es gibt in Europa eine Reihe von Verbänden — ben — der Entwurf war ursprünglich anders ange- die will ich bei meiner Kritik gar nicht auslassen, legt —, verhindern kann, daß sich später Fehldeu- Herr Roth —, die sich im Weg der Parthenogenese tungen einschleichen. Das kann man nur gelegent- zusammensetzen und ergänzen und ihrerseits lich machen, um ein Beispiel zu setzen. Wir können keine Beziehung zur Basis haben. nur hoffen, daß sich die Arbeit, die hier von allen Es gibt ja einen Verbraucherrat. Fragen Sie mich Beteiligten hineingesteckt worden ist, in diesem nicht, wie der Verbraucherrat in Europa zustande Sinne auch bezahlt macht. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13743

Kleinert (Hannover) Ich möchte nicht auf die Dinge zu sprechen kom- Wenn Sie von 20 000 Unternehmen gesprochen men, in denen wir einig sind und die schon sehr gut haben, die jetzt zusätzlich prüfungspflichtig wer- vorgetragen worden sind, sondern möchte zu eini- den, dann wissen Sie auch, Herr Stiegler, daß min- gen Punkten sprechen, in denen wir trotz aller Kol- destens 60 000 weitere Unternehmen prüfungs- legialität in der Zusammenarbeit auseinander pflichtig würden, wenn die GmbH & Co. hier hinein- sind. fallen würde. Das heißt, daß sich u. a. der von Ihnen zutreffend gewürdigte Streit zwischen den beteilig- Das erste ist der Vorwurf, Herr Stiegler, daß wir ten Berufen, den wir durch die „Wiederentdeckung" hier ein Scheunentor offengelassen hätten, weil die des vereidigten Buchprüfers, die Herrn Helmrich GmbH & Co. KG so, wie es die Richtlinie erlaubt — gelungen ist, glücklicherweise einigermaßen har- Sie haben das selbst klargestellt —, außen vorblei- monisch aus der Welt schaffen konnten, vom Volu- be. men des Streitgegenstandes her um das Dreifache Ich darf zu unseren Gründen noch einmal folgen- verschärft hätte. Dann hätten wir ihn wahrschein- des sagen. lich nicht so aus der Welt bekommen, wie wir ihn Wenn man sich das Ziel der Gesetzgebung genau jetzt — im wesentlichen im Einverständnis mit den vorstellt und zu dem Ergebnis gelangt, daß sie nicht Verbänden — aus der Welt bekommen haben. Das unbedingt erforderlich ist, dann ist die Einbezie- ist auch ein Grund, warum wir die GmbH & Co. KG hung jedes zusätzlichen Unternehmens mit den da- nicht mit hineinnehmen. durch entstehenden Kosten und dem dadurch ent- Im übrigen ist es nicht Sache des Parlaments, stehenden Arbeitsaufwand falsch. Ich bin der Mei- unserer Wirtschaft, von der wir alle leben — jeder! nung, daß die Richtlinie dem Verbraucherschutz oh- —, überflüssigerweise zusätzliche Kosten aufzubür- nehin nicht dient. Den Verbraucher wollte ich se- den. Wenn man sieht, wie gering die Anteilnahme hen, der sich eine solche Bilanz hernimmt, sie liest hier heute morgen ist, sollte man gar nicht glauben, und dann entscheidet, ob er bei dem Unternehmen daß hier ein Volumen von mindestens einer Milli- kauft oder nicht. Der Prozeß geht etwas anders von- arde DM allein bei den beteiligten Dienstleistenden statten. zusätzlich umgesetzt werden dürfte — im weitesten (Beifall bei der FDP und den GRÜNEN) Sinne, mit Veröffentlichung und mit allem, was da- mit zu tun hat. Über dieses Kostenvolumen reden Die Bilanzrichtlinie wird auch nichts Wesentli- wir, und dieses Kostenvolumen wollen wir Liberale ches zum Gläubigerschutz beitragen, denn die Gläu- jedenfalls nicht sehenden Auges verdreifachen, biger, die die Zeit und die Sachkunde haben, sich zu wenn man uns nicht viel genauer und viel überzeu- informieren, tun das bereits heute. Insonderheit tun gender, als dies bisher geschehen ist, darlegen das die Banken, die ohne Rücksicht auf die Unter- kann, welchen Sinn das haben soll. nehmensform von ihren Kreditkunden weit mehr verlangen, als nach dieser Richtlinie oder jetzt nach (Beifall bei der FDP) dem Gesetz von den Kunden verlangt wird. Die ma- Meine Damen und Herren, wir haben bei Gele- chen sich selbst klug und brauchen dieses Gesetz genheit dieses Gesetzes, ohne daß uns das aufgege- nicht. ben worden wäre, auch einige Dinge angefaßt, die von erheblicher Bedeutung für unsere Ordnung im Der kleine Handwerker wird sich in Zukunft ganzen und auch für die Art sind, wie wir unserer ebensowenig wie der Verbraucher in die Bilanz ver- Ordnung begegnen können. Ich meine jetzt zu- tiefen, wenn er einen Auftrag bekommen hat, son- nächst die Kapitalbindung. Dieses Stichwort bedeu- dern er wird sich freuen, wird den Auftrag ausfüh- tet den Grundsatz, daß Wirtschaftsprüfungs- oder ren, wird Respekt haben vor den Damen und Her- Steuerberatungsgesellschaften, wenn sie in Form ren, die er als Auftraggeber sieht, und wird denken, einer Kapitalgesellschaft betrieben werden, nur es werde schon gutgehen. Bilanzlesen ist da nicht denjenigen gehören sollen, die in diesen als Prüfer zu erwarten. Das zu erwarten ist ein absoluter oder Berater tätig sind. Man sollte glauben, daß das Aberglaube. eine reine Selbstverständlichkeit ist; das ist es je- (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von den doch nicht. GRÜNEN: Kein Wunder!) Der Bundesrepublik Deutschland gehört die so Wenn das so ist, dann bleibt hier lediglich eine für bezeichnete Treuarbeit zu 45 %. Ich kann Ihnen den engen Kreis der Rechtsanwender klarere Ord- auch sagen, warum der Bund nur 45 % hat. Es ist nung der Buchhaltungsvorschriften, der Bilanzvor- nämlich interessanterweise völlig unbemerkt ge- schriften. Die ist nun allerdings zustande gekom- blieben, daß die Bilanz der Deutschen Lufthansa men. Insoweit haben wir aus einem Vorwurf, will von 1973 vom Amtsgericht Köln für nichtig erklärt ich einmal sagen, nämlich aus dieser Bilanzrichtli- worden ist. Es ist weiter unbekannt geblieben, daß nie, schließlich etwas gemacht, was tatsächlich der die Bilanz der Lufthansa auf die sofortige Be- Vereinfachung und nicht der zusätzlichen Kompli- schwerde hin vom Landgericht Köln ebenfalls für zierung unseres Rechtssystems dient; und das ist nichtig erklärt worden ist, und zwar deshalb, weil gut so. Da aber die anderen Gesichtspunkte alle sich die Treuarbeit, die die Lufthansa geprüft hat, nicht ziehen, müssen wir das Äußerste tun, um zu mehrheitlich im Besitz des Bundes befand, so wie vermeiden, daß mehr als unbedingt erforderlich — die Lufthansa auch. Sehr überzeugende Beschlüsse ich sage mit allem Nachdruck: „überflüssigerweise des Amtsgerichts und des Landgerichts Köln! erforderlich" — in diese Mühle hineingerät. Zwischen den beiden Beschlüssen hat sich dann (Beifall bei der FDP) folgendes ereignet: Die gleichen Leute, die heute 13744 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985

Kleinert (Hannover) sagen, es sei so unheimlich gut, dankenswert und miert worden sind. Nicht erst seit dem Fall AEG ist zweckmäßig, daß die Treuarbeit zu einem erhebli- schließlich bekannt, daß bestehende Pensionsver- chen Anteil dem Bund gehöre, die gleichen Leute, pflichtungen die finanziellen Kräfte von manchen die sagen, dabei könne nie etwas passieren, sind Unternehmen übersteigen. Das früh genug zu wis- damals ihrem schlechten Gewissen gefolgt und ha- sen und zu erfahren muß ein unabdingbares Recht ben in der Zeit zwischen dem Beschluß des Amtsge- von Belegschaften und selbstverständlich auch ex- richts und dem des Landgerichts einen Teil ihrer ternen Bilanzanalytikern sein. Anteile an einige Bundesländer verkauft, damit — (Beifall bei den GRÜNEN) formal gesehen — die Trennung zum Bund herge- stellt ist. Bloß, mit dem formalen Trennen geben Wären Sie der EG-Richtlinie konsequent gefolgt wir uns nicht zufrieden. Wir möchten, daß die Tren- und entsprechend dem ersten Entwurf dabei geblie- nung wirklich vollzogen ist. Wenn jemand einen an- ben, daß Pensionszusagen unter die Passivierungs- deren prüft, dann muß er dem fremd und völlig pflicht fallen, dann hätten wir einen besseren Ge- unabhängig gegenübertreten. Ich lasse mich auch setzentwurf gehabt. Jetzt haben Sie das Wahlrecht nicht durch die Tatsache beruhigen, daß Vorsitzen- doch zugelassen. Ich vertrete die Auffassung, daß der des Aufsichtsrats der Präsident des Bundes- Sie damit dem Gebot der Bilanzklarheit und -wahr heit und dem Geist der EG-Richtlinie widerspro- rechnungshofs ist — ich halte das sogar für eine chen haben. Mit ihrem Entwurf haben Sie sich ge- - etwas seltsame Vermischung ganz verschiedener Zuständigkeiten —, sondern ich bin der Meinung, gen die EG-Richtlinie und für die Lobby entschie- hier muß eine wirkliche Trennung her. den. Das ist das Problem bei diesem Entwurf. Die Wahlmöglichkeit zwischen dem Umsatzko- Deshalb haben wir das zwar nur für die Zukunft sten- und Gesamtkostenverfahren kam, wie man regeln können. Wir werden aber nicht nachlassen, hört, durch eine Anregung der Spitzenverbände der darauf zu bestehen, daß uns die Bundesregierung Wirtschaft zustande. Durch sie wird die Vergleichs- Vorschläge macht, wie auch für die angeblich her- möglichkeit zwischen Unternehmen derselben gebrachten Rechte dieser Art, die ich für sehr zwei- Branche, aber auch von Bilanzen desselben Unter- felhaft halte, eine vernünftige Lösung gefunden nehmens in unterschiedlichen Jahren beeinträch- werden kann. tigt. Der vom Gesetz geforderte möglichst- sichere Wir werden auch sehr sorgfältig darauf achten, Einblick in die Vermögens- und Ertragslage eines daß man sich dieses Themas hinsichtlich der Steu- Unternehmens wird damit auch ad absurdum ge- erberater bei der anstehenden Beratung des Steu- führt. Die Zusammenfassung unterschiedlicher Er- erberatungsgesetzes im Finanzausschuß, wo es trags- und Aufwandspositionen zu Sammelpositio- sachlich, fachlich hingehört, genauso annimmt. nen verhindert zudem die Anwendung gebräuchli- (Beifall bei der FDP) cher Analysekennziffern, womit der Klarheit auch vom Methodischen her nicht Rechnung getragen Wir lassen es nicht auf sich beruhen, schon gar wird. nicht mit der einleuchtenden Begründung, die hierzu von seiten der Regierung zu hören war, es Sehen wir uns noch einige weitere Beispiele an, habe sich zwischen den zu Prüfenden und den Prü- die aus diesem Gesetzentwurf hervorgehen. Bei der fern ein so gutes Vertrauensverhältnis entwickelt. Aufgabe der Publizität spielt die Vergleichbarkeit Das halte ich für ein Mißverständnis. zwischen Unternehmen und von verschiedenen Zeitpunkten eine erhebliche Rolle. Die Co. Ich danke Ihnen. GmbH & KG wird nicht einbezogen, obwohl doch auch hier (Beifall bei allen Fraktionen) eindeutig eine Haftungsbeschränkung vorliegt; mit der Konsequenz, daß Sie nur ein Arbeitsbeschaf- fungsprogramm für Steuerberater durchführen und Vizepräsident Stücklen: Das Wort hat der Herr Ab- geordnete Müller (Bremen). die Zahl der Umgründungen von GmbHs in eine GmbH & Co. KG zur Zeit natürlich in die Zehntau- sende geht. Das halte ich für überaus problema- Dr. Müller (Bremen) (GRÜNE): Herr Präsident! tisch, weil dieses Schlupfloch natürlich dazu führt, Meine Damen und Herren! Die Vierte EG-Richtli- daß all das, was in diesem Gesetzentwurf noch an nie hatte zu der Hoffnung Anlaß gegeben, daß in Positivem enthalten ist, dadurch noch konterkariert der Zukunft Bilanzen transparenter, vergleichbarer wird. und damit als ökonomisches und soziales Früh- (Abg. Vogel [München] [GRÜNE] meldet warnsystem tauglicher werden würden. Externe Bi- sich zu einer Zwischenfrage) lanzanalytiker, Belegschaften, Gewerkschaften usw. hatten sich die Hoffnung gemacht, daß durch Eine Zwischenfrage, bitte. die an sich sehr wegweisende EG-Richtlinie Infor- Vizepräsident Stücklen: mationen über die Geschäftslage von AGs und grö- ßeren GmbHs durchsichtiger werden würden. Vogel (München) (GRÜNE): Lieber Jo! (Mann [GRÜNE]: Eine trügerische Hoff Wir wollen hier formell nung!) Vizepräsident Stücklen: bleiben, wenn es möglich ist, Herr Vogel (Mün- Nun, diese Hoffnungen sind nicht in dem Maße chen). erfüllt worden, wie man es hätte erwarten können. Was erschwerend hinzukommt, ist, daß bekannte Vogel (München) (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Risiken durch diesen Gesetzentwurf nicht mini- Abgeordneter, wieso, glauben Sie, wird es so ge- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13745

Vogel (München) macht, daß die GmbH & Co KGs ausgegliedert wer- Ort. Das hat mit Offenlegung überhaupt nichts den? Was ist der tiefere Grund? Das ist mir in der mehr zu tun. Das wäre meine Kritik an dem § 313 ganzen Diskussion bisher nicht klargeworden. dieses Gesetzes. Mit diesen Beispielen dürfte deutlich geworden sein, warum die Spitzenverbände der Wirtschaft al- Dr. Müller (Bremen (GRÜNE): Herr Abgeordneter, len Grund zum Jubel haben. Da sollte auch ein Wer- es ist so: Wenn man die GmbH & Co. KG in diese mutstropfen nicht stören, die Befreiung der Toch- Regelung einbeziehen würde, würde das dazu füh- tergesellschaften von der Publizitätspflicht durch ren, daß die Publizitätspflicht auf sehr, sehr viele einen Konzernabschluß unter bestimmten Voraus- Unternehmen ausgedehnt wird. Das scheint nicht setzungen, wie der alte § 326 HGB-E es genannt im Interesse derjenigen — in diesem Falle der Ko- hat. alition — gewesen zu sein, die dieses Gesetz ge- Ich möchte zum Schluß kommen. Wir sollten die macht haben. Bedenken der Wirtschaftsprüfer ernst nehmen, die (Tatge [GRÜNE]: Aha, jetzt kommt es auf! die Absenkung der Publizitätspflicht auf Durch- — Bohl [CDU/CSU]: Machen Sie keine schnittsmaß — ich würde es pointierter sagen: auf Fraktionssitzungen?) ein absolutes Minimum — beklagen. Die positive — Selbstverständlich; Sie nicht? Wir haben nicht Absicht der Harmonisierung des EG-Rechts führte das Problem, daß wir Fraktionssitzungen dazu be- im Ergebnis zur Lösung auf Basis des kleinsten nutzen müssen, um der Regierung zu beweisen, daß gemeinsamen Nenners. Interessant ist hier, daß die es uns noch gibt, wie es kürzlich in der Frage der Wirtschaftsprüfer selbst von diesem Gesetz, das an- Steuer und der Mineralölpreise für Kleinflugzeuge geblich der Harmonisierung dienen sollte, nicht viel bei Ihnen geschehen ist. Vereinheitlichung im EG-Rahmen erwarten, weil die Umsetzung der Richtlinien nur sehr unter- (Marschewski [CDU/CSU]: Ihr müßt euch schiedlich verfolgt wird. Vielmehr wird das Harmo- erst kennenlernen nach der Rotation!) nisierungsargument offenbar ebenso wie das Argu- Das haben Sie sehr gut gemacht. Damit haben Sie ment der internationalen Konkurrenzfähigkeit so- der Regierung wirklich gezeigt, daß es Sie noch zusagen als Totschlagsargument zugunsten einer gibt. verschleierungsfreundlichen Rechtsprechung ver- (Beifall bei den GRÜNEN) wendet. Im Falle dieser EG-Richtlinie war eine In- Wir freuen uns, daß Sie noch solche Fraktionssit- itiative von seiten der EG vorhanden, die eine so- zungen machen. ziale und segensreiche Zielsetzung beinhaltet hatte, nämlich eine Erweiterung der Publizitätspflicht. Ich möchte zurück zur Sache kommen. Sie lassen Ich möchte zum Abschluß eine Bewertung aus weiterhin die Bildung von Rückstellungen zu, de- zitieren, der ich mich ren Notwendigkeit und spätere Auflösung für den der „Süddeutschen Zeitung" Externen Bilanzleser nicht nachvollziehbar ist. Die anschließe: Formulierung enthält weiterhin völlig unbestimmte Alles in allem räume der Gesetzentwurf den Rechtsbegriffe, mit denen nur den verschleierungs- Unternehmungsleitungen zu viele Wahlrechte willigen Unternehmen geholfen wird und die zudem ein. Eine gute Gelegenheit zur Verbesserung keine steuerliche Relevanz haben. Für den Aktio- der Publizität und zu mehr Bilanzklarkeit när wichtige Angaben im Lagebericht werden nur werde mit dem vorliegenden Gesetzentwurf in einer Soll-Vorschrift erwähnt, z. B. Vorgänge von verpaßt. besonderer Bedeutung, die nach Ende des Ge- Dem ist nichts hinzuzufügen. schäftsjahres eingetreten sind. Kurios wird es im Teil „Konzernabschluß", weil Vizepräsident Stücklen: Herr Abgeordneter, ge- hier der Willkür wirklich Tür und Tor geöffnet wird. statten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeord- Zum Beispiel braucht ein Tochterunternehmen neten Vogel (München)? nicht einbezogen zu werden, wenn die Anteile „aus- schließlich zum Zwecke ihrer Weiterveräußerung Dr. Müller (Bremen) (GRÜNE): Nein, weil ich zum gehalten werden". So steht es in § 296. Mit anderen Ende gekommen bin. Worten: Macht eine Tochtergesellschaft, ein Toch- (Heiterkeit und Beifall bei den GRÜNEN terunternehmen hohe Verluste und droht es damit — Marschewski [CDU/CSU]: Fragen Sie die Muttergesellschaft zu ruinieren, so kann den- jetzt, wenn er da vorne sitzt!) noch die Konzernbilanz verschönt werden, indem dieses Tochterunternehmen einfach nicht auf- Vizepräsident Stücklen: Herr Abgeordneter Vogel taucht. Das ist ein großes Problem für die Zukunft (München), das war schlecht getimet. angesichts der Zunahme der Konzentrationen. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schroe- Wird ein Tochterunternehmen von zwei Mutter- der (Freiburg). gesellschaften jeweils zu 50% gehalten, so können die Muttergesellschaften zwischen vollständigem Dr. Schroeder (Freiburg) (CDU/CSU): Herr Präsi- oder anteiligem Einbezug wählen. Im Ergebnis sind dent! Meine Herren Kollegen! Die Umsetzung der die Konzernbilanzen dann natürlich absolut nicht EG-Bilanzrichtlinie in innerstaatliches Recht war mehr vergleichbar. Die Verflechtung des Konzerns für den nationalen Gesetzgeber eine handelsrechtli- braucht nicht mehr veröffentlicht zu werden. Es che, konzernrechtliche und berufsständische Aufga- reicht die Hinterlegung einer Liste an irgendeinem be, aber auch und vor allem ein steuerrechtliches 13746 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985

Dr. Schroeder (Freiburg) Problem. Eine der schwierigsten Hausaufgaben bei schen und steuersystematischen Gesichtspunkten der Umsetzung der EG-Bilanzrichtlinie in nationa- zu begrüßen, sondern führt auch zu einer erhebli- les Recht war die Wahrung der Steuerneutralität. chen Steuervereinfachung. Die Zahl der Streitigkei- ten zwischen dem Finanzamt und dem Steuerbür- Die Steuerneutralität war eine Zielvorgabe, die ger darüber, ob beim Erwerb eines Unternehmens bei den Beratungen des Gesetzentwurfes stets un- ein Firmenwert erworben worden ist und wieviel verrückbarer Maßstab war. Wie insgesamt bei den vom Kaufpreis für das Gesamtunternehmen auf Ausschußberatungen zur Bilanzrichtlinie ist auch den Firmenwert entfällt, wird sich spürbar reduzie- in diesem Punkt vorzügliche Arbeit geleistet wor- ren. den. Das Problem der Wahrung der Steuerneutrali- tät stellt sich für die Bundesrepublik deshalb in Besonders begrüßt wird von meiner Fraktion besonderer Schärfe und mit besonderer Eigenart, auch, daß für nach dem 31. Dezember 1986 neu er- weil nach unserem Steuerrecht für die steuerliche teilte Pensionszusagen eine Passivierungspflicht Gewinnermittlung der Grundsatz der Maßgeblich- wegen der Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für keit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz gilt. Die die Steuerbilanz künftig auch steuerrechtlich be- EG-Richtlinie sollte nun so umgesetzt werden, daß steht. Wir haben Verständnis dafür, daß zur Vermei- zum einen an dem bewährten Grundsatz der Maß- dung größerer Steuerausfälle diese Passivierungs- geblichkeit festgehalten werden konnte, daß sich pflicht nicht auch auf die Vergangenheit, also auf zum anderen aber weder die Steuerbelastung für Pensionszusagen, die vor dem 1. Januar 1987 gege- die Wirtschaft insgesamt noch die steuerliche Bela- ben worden sind, ausgedehnt werden konnte. stung des einzelnen Unternehmens ändern sollte. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die gesetzliche Das ehrgeizige Vorhaben, die Vierte EG-Richtli- Verankerung der sogenannten umgekehrten Maß- nie steuerneutral in deutsches Recht zu überführen, geblichkeit in § 6 des Einkommensteuergesetzes. Es ist voll verwirklicht worden. Das ist eine große Lei- wird nunmehr im Einkommensteuergesetz klarge- stung. stellt, daß steuerliche Subventionen in Form von (Sehr richtig! bei der CDU/CSU) Sonderabschreibungen und erhöhten Absetzungen Das breite Lob der Wirtschaft und die Zustimmung nur dann in Anspruch genommen werden können, der betroffenen Unternehmen und der steuerbera- wenn auch in der Handelsbilanz entsprechend bi- tenden Berufe dürfen hier deshalb auch mit einiger lanziert wird. Auf Grund eines Urteils des 1. Senats Genugtuung vermerkt werden. des Bundesfinanzhofs aus dem April 1985 sind näm- lich Zweifel daran entstanden, ob das deutsche (Zuruf von der CDU/CSU: Weil so selten, Steuerrecht den Grundsatz der umgekehrten Maß- ja!) geblichkeit enthält. Die gesetzliche Neuregelung stellt nun die Rechtslage eindeutig klar und sichert Es ist sogar gelungen, gewichtige steuerrechtliche damit gleichzeitig, daß auch Kapitalgesellschaften Novellierungen durchzusetzen, die einem schon wie bisher Sonderabschreibungen und erhöhte Ab- lange vorgetragenen Bedürfnis der Wirtschaft setzungen in ihren Handelsbilanzen vornehmen Rechnung tragen, nämlich die Passivierungspflicht können. Es wird damit aber auch gleichzeitig si- von Pensionszusagen, soweit sie nach dem 31. De- chergestellt, daß die Teile des Unternehmensge- zember 1986 erteilt werden, und die Abschreibung winns, die durch Sonderabschreibungen und er- des entgeltlich erworbenen Firmen- oder Ge- höhte Absetzungen von der Besteuerung freige- schäftswertes. stellt werden, nicht als Gewinn an die Unterneh- Der entgeltlich erworbene Firmenwert, auf den menseigner ausgeschüttet werden können. Das mit ich zunächst zu sprechen komme, kann künftig der steuerlichen Vergünstigung erstrebte Ziel, näm- auch bei der steuerlichen Gewinnermittlung abge- lich die Unternehmenssubstanz zu stärken, wird da- schrieben werden. Es ist von den Verbänden der mit voll erreicht. Wirtschaft bei den Anhörungen zum Entwurf des Bilanzrichtlinie-Gesetzes mit Recht allgemein be- Schließlich konnte eine steuerneutrale Lösung klagt worden, daß hinsichtlich des Firmenwertes auch im Bereich der Rückstellungen für unterlas- das Handelsrecht und das Steuerrecht bisher ver- sene Instandhaltung und Abraumbeseitigung ge- schiedene Wege gegangen sind. Während nach Han- funden werden. Zur Sicherung der bisherigen Rück- delsrecht der Firmenwert bisher binnen eines ver- stellungsmöglichkeiten sieht das Gesetz vor, daß hältnismäßig kurzen Zeitraums abgeschrieben wer- bei unterlassenen Instandhaltungen, die binnen der den mußte, waren solche Abschreibungen bei der Dreimonatsfrist nach Ablauf des Geschäftsjahres steuerlichen Gewinnermittlung nicht möglich. Das nachgeholt werden, nunmehr in der Handelsbilanz Einkommensteuergesetz wird nun durch das Bi- eine Rückstellung nicht nur gebildet werden kann, lanzrichtlinie-Gesetz in der Weise geändert, daß der sondern gebildet werden muß. Dies schlägt wegen entgeltlich erworbene Firmenwert bei der steuerli- des Maßgeblichkeitsgrundsatzes voll auch auf die chen Gewinnermittlung künftig binnen 15 Jahren Steuerbilanz durch. Bei den Aufwendungen für un- abgeschrieben wird. Damit werden die steuerlichen terlassene Abraumbeseitigung, die in der Praxis Rahmenbedingungen für unsere Wirtschaft in die- des Tagebergbaues eine große Bedeutung haben, sem Punkte spürbar verbessert. mußte wegen der hier vorliegenden Besonderheiten eine Jahresfrist festgelegt werden, binnen der nach Die neue Abschreibungsregelung kommt dem Bilanzstichtag die unterlassene Abraumbesei- erstmals für das Wirtschaftsjahr 1987 in Betracht. tigung nachgeholt wird. Dies deckt sich mit den Diese Neuregelung ist nicht nur unter steuerpoliti- berechtigten Wünschen der Wirtschaft. Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13747

Dr. Schroeder (Freiburg) Mit dem Bilanzrichtlinie-Gesetz liegt schließlich Ich möchte zum Schluß kommen. erstmals eine umfassende und rechtsformneutrale (Dr. Emmerlich [SPD]: Es war Stuß, aber Kodifizierung der handelsrechtlichen Bilanzie- der Stuß hört sich gut an!) rungsvorschriften vor. Damit ist auch für die Steu- erbürger und die steuerberatenden Berufe mehr — Herr Kollege Emmerlich, es ist mir ein ganz Rechtssicherheit verbunden. Eine übersichtliche besonderes Anliegen, für meine Fraktion — so wie und eingehende Regelung der Gewinnermittlungs- das vorhin auch für die anderen Fraktionen hier — vorschriften bringt nicht nur mehr Rechtssicher- getan worden ist — allen beteiligten Beamten Biener ist ja ganz besonders erwähnt worden; heit, sondern trägt auch zur Vereinfachung des Be- Herr ich möchte hier keinerlei Abstriche machen, son- steuerungsverfahrens bei. dern das voll unterstreichen —, die hier so kon- Herr Kollege Stiegler, Sie haben die berufsständi- struktiv mitgewirkt haben, nochmals herzlichen schen Fragen und dann im Zusammenhang mit den Dank sagen. Es ist mir aber ein ganz besonderes SPD-Anträgen insbesondere auch die GmbH & Co. Bedürfnis, für meine Fraktion dem Kollegen Helm- KG angesprochen. Zur berufsständischen und be- rich als dem Vorsitzenden des Unterausschusses rufsrechtlichen Seite: Hier gibt es ein ganz natürli- „Bilanzrichtlinie-Gesetz" für eine zweijährige Mam- ches Interesse an einer Besitzstandwahrung bei der mutarbeit einen ganz herzlichen Dank zu sagen. Beratungs- und Prüfungstätigkeit sowohl seitens (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) der Wirtschaftsprüfer wie seitens der Steuerbera- Meine Damen und Herren, es ist ein großer Wurf ter. Es sind, meine Damen und Herren, zahlreiche gelungen. Die Wirtschaft, die steuerberatenden Be- schwierige Gespräche mit den Steuerberatern, mit rufe und auch die Verwaltung können mit diesem den Kammern, mit den Wirtschaftsprüfern geführt Gesetz hervorragend arbeiten. worden. Ich möchte schon sagen, daß unter Beach- tung des Grundsatzes, daß Qualifikation und Besitz- Vielen Dank. standwahrung gelten müssen, hier ein historischer (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Kompromiß erzielt worden ist. Das war schwierig. Hier gebührt vielen Beteiligten, insbesondere dem Vizepräsident Stücklen: Ich erteile dem Herrn Vorsitzenden des Unterausschusses „Bilanzrichtli- Bundesminister der Justiz das Wort. - nie-Gesetz", dem Kollegen Helmrich, ein ganz be- sonderes Dankeschön für diese Arbeit. Engelhard, Bundesminister der Justiz: Herr Präsi- (Marschewski [CDU/CSU]: Dafür gibt es ei dent! Meine Damen und Herren! Wenige Stunden nen Ehrendoktor!) vor Abgabe der Regierungserklärung zum EG-Gip- fel in Luxemburg am letzten Wochenende leisten — Ob er den Ehrendoktor bekommt, wird sich dann wir hier doch recht bedeutsame und ganz konkrete noch erweisen, auch, von welcher Fakultät. Wir soll- Arbeit für die europäische Integration. Durch die ten, Herr Kollege Stiegler, an diesem historischen Vierte, die Siebente und die Achte gesellschafts- Kompromiß jetzt nicht mehr mit eigenen Anträgen rechtliche EG-Richtlinie wird das Bilanzrecht und rütteln und damit den ganzen Kompromiß gefähr- damit ein bedeutsamer Teil des Gesellschaftsrechts den, sondern an diesem Kompromiß sollte hier fest- in der Europäischen Gemeinschaft harmonisiert. Es gehalten werden. handelt sich dabei um das bisher umfangreichste Jetzt zu Ihren übrigen Anträgen. Sie haben dar- Harmonisierungsvorhaben der Gemeinschaft auf auf hingewiesen, daß wir im Ausschuß konstruktiv dem Gebiete des Gesellschaftsrechts. zusammengearbeitet haben. Wir haben auch über Die Umsetzung dieser Richtlinien in die nationa- Ihre Anträge sehr eingehend beraten. Ich möchte len Rechtsordnungen stellt einen wesentlichen diese konstruktive Zusammenarbeit unter allen Schritt zur Verwirklichung des europäischen Bin- Ausschußmitgliedern auch hier noch einmal lobend nenmarktes dar. Sie steht damit in der Linie jener erwähnen. Grundentscheidungen in den Römischen Verträgen, denen sich die Bundesregierung bei ihrer Arbeit in Zu Ihrem Antrag, in dem Sie die Einbeziehung besonderem Maße verpflichtet weiß. der GmbH & Co KG in das Bilanzrichtlinie-Gesetz fordern, möchte ich hier nur soviel sagen: Wir wol- Das Bilanzrichtlinie-Gesetz ist aber auch für den nationalen Bereich von großer Bedeutung. Das len, was diesen Punkt angeht, das Scheunentor of- deutsche Bilanzrecht insgesamt erhält eine neue fenlassen, um Ihre Worte aufzugreifen. gesetzliche Grundlage. Die bisherige über viele Ge- (Beifall bei der FDP — Stiegler [SPD]: Da setze verstreute — dies ist ja bereits erwähnt wor- sind Sie wenigstens ehrlich!) den — , zum Teil unvollständige Regelung der han- delsrechtlichen Rechnungslegung wird jetzt durch Wir wollen hier keine Übersoll-Erfüllung. Herr Kol- eine umfassende Kodifikation im neuen Dritten lege Stiegler und meine Herren von der SPD, das Buch des Handelsgesetzbuches, sozusagen dem be- gilt auch für Ihre übrigen Anträge: Die Wirtschaft ruflichen Grundgesetz des Kaufmannes, ersetzt. braucht Vereinfachung, sie braucht keinen Para- Dies gewährleistet eine bessere Übersichtlichkeit, graphendschungel und nicht mehr, sondern weni- mehr Rechtsklarheit und damit eine leichtere An- ger Kosten. wendbarkeit des Bilanzrechts für alle Betroffene. (Dr. de With [SPD]: Es ist ja gar kein Para Die Bundesregierung sieht es als einen großen graphendschungel, wenn die GmbH & Co. Erfolg an, daß dieses bedeutsame Gesetzgebungs- KG dazukommt!) werk nunmehr zu einem guten Abschluß gebracht 13748 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985

Bundesminister Engelhard wird. Ich danke hierfür besonders den Mitgliedern position haben zu suchen, was ihnen an dem nicht des Unterausschusses „Bilanzrichtlinie-Gesetz" des gefällt, was die Regierung vorlegt, und auch, wenn Rechtsausschusses, ganz speziell meinen drei Vor- sie einmal nichts finden sollten, haben sie in jedem rednern, den Kollegen Helmrich, Kleinert und Fall nein zu sagen — konkrete Mitarbeit, so meinen Stiegler. viele draußen, gäbe es hier nicht —, während Abge- (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der ordnete der Koalition sozusagen die Aufgabe eines SPD) regierungsamtlichen Notars hätten, nämlich das zu betrachten, was die Regierung vorlegt und serviert, Diese Kollegen haben in intensiver zweijähriger um es anschließend, mit dem parlamentarischen Arbeit die beiden Regierungsentwürfe beraten und Segen versehen, in das Bundesgesetzblatt zu brin- zu dem vorliegenden Entwurf zusammengefaßt. Sie gen. — Was hier passiert ist, ist, daß Kollegen, quer haben unendlich viel Zeit und Mühe vor allem auch durch die Fraktionen, sich darangemacht haben, darauf verwandt, die Neuregelungen der schwieri- mit eigenen Gedanken, eigenen Überlegungen, gen Materie des Bilanzrechts klar und überhaupt schwierigsten Bemühungen, etwas, was die Regie- lesbar zu machen. rung vorgelegt hatte, zu etwas zum Teil völlig Vom Unterausschuß sind zwei große Anhörungen Neuem zu machen. Dies verdient — mit aller Ach- durchgeführt worden, um den beteiligten Kreisen tung, allem Respekt von meiner Seite aus gesagt — Gelegenheit zu geben, ihre Vorstellungen in das Ge- der besonderen Hervorhebung. setzgebungsverfahren einzubringen. Nicht zuletzt (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) hierauf wird es zurückzuführen sein, daß mittler- weile auf breiter Ebene Zustimmung vorhanden Deswegen ist den Kollegen, speziell den Herren ist. Helmrich, Kleinert und Stiegler, ganz besonders zu danken, an der Spitze ganz sicherlich Herrn Helm- Besonders bemerkenswert ist es, daß es dem Un- rich als dem Vorsitzenden des Rechtsausschusses, terausschuß gelungen ist, in der sehr umstrittenen der ganz besondere Mühe für dieses Problem ver- Frage des zur Jahresabschlußprüfung berechtigten wandt hat. Personenkreises eine Lösung herbeizuführen. Wer einmal draußen in einer öffentlichen Versammlung (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU- — erlebt hat — und viele werden dies erlebt haben —, Marschewski [CDU/CSU]: Jetzt muß der wie man sich, wenn Wirtschaftsprüfer und Steuer- „Professor" kommen!) berater anwesend waren und dieses Thema zur Sprache kam, als Redner der Versammlung beru- Meine Damen und Herren, es ist angesprochen higt zurücklehnen und seinem Biere zusprechen worden, daß ein Unterschied zu dem früheren Ent- konnte, weil die Kontrahenten mit der letzten Erbit- wurf zur Vierten Bilanzrichtlinie der ist, daß in dem terung die Gestaltung der Versammlung völlig Ihnen vorliegenden Entwurf die Kapitalgesellschaf- übernommen hatten, wird ermessen können, daß es ten & Co., im wesentlichen also die GmbH & Co. ein großes, überhaupt nicht zu unterschätzendes KG, nicht mehr enthalten sind. Ich möchte in die- Verdienst ist, das ungeheurer Mühe, ungeheurem sem Zusammenhang in die Erinnerung rufen, daß Durchblick und der Nachhaltigkeit, die jede schwie- dies ja jener Punkt war, bei dem unter der alten rige Arbeit begleiten muß, bedürfte, daß hier eine Bundesregierung die damaligen FDP-Minister das erste und einzige Mal in der Kabinettsitzung über- Einigung erzielt werden konnte. stimmt worden waren. Meine Damen und Herren, es ist hier von allen Rednern den Mitarbeitern meines Hauses sehr ge- (Zustimmung des Abg. Dr. de With [SPD]) dankt worden, voran dem Referatsleiter, Herrn Mi- Mich erfüllt es mit großer Befriedigung und Genug- nisterialrat Biener, aber auch allen anderen, begin- tuung, daß unter der neuen Bundesregierung und nend mit dem Abteilungsleiter und endend bei den unter meiner Federführung die damalige Entschei- Schreibkräften, dung korrigiert werden konnte. (Beifall des Abg. Mann [GRÜNE]) Ich meine, wenn die SPD heute erneut beantragt, die in der Tat in Nacht-, aber auch in Sonntagsar- die GmbH & Co. KG wieder mit hineinzunehmen, beit, gerade in der letzten Zeit, tätig werden muß- so sollten wir dem nicht folgen, weil es sinnvoller ten. — Ich freue mich über diesen Dank. Und weil ist, die deutsche Wirtschaft dort, wo es die Richtli- diese Mitarbeiter hier nicht selbst das Wort neh- nie ermöglicht, nicht allzusehr zu belasten. Wir füh- men können, möchte ich mich in ihrem Namen für len uns der mittelständischen Wirtschaft, die beson- die freundlichen Bemerkungen von allen Seiten in derem Konkurrenzdruck ausgesetzt ist, in besonde- dieser Runde sehr bedanken. rer Weise verbunden. Im Interesse der betroffenen Ich halte es aber für richtig und nicht nur für Unternehmen sollten wir alles tun, um die im inter- guten Stil, wenn ich als Mitglied der Bundesregie- nationalen Wettbewerb Stehenden rung an dieser Stelle nochmals sehr deutlich her- (Dr. Emmerlich [SPD]: Jetzt beginnt der vorhebe, daß dies eine Stunde des Parlaments ist. Wahlkampf!) (Sehr richtig! bei der CDU/CSU — Zustim nicht über das zwingend Gebotene hinaus zu bela- mung des Abg. Stiegler [SPD]) sten. Die Vorstellungen draußen gehen doch davon aus, (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) daß sich Parlamentarier in der ihnen zugewiesenen Funktion wie folgt verhalten: Abgeordnete der Op Dementsprechend haben wir gehandelt. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13749

Bundesminister Engelhard Ich bin mir sicher, daß die Befürchtungen, die die Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Än- bevorstehende Publizität des Jahresabschlusses der derungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, GmbH in den betroffenen Kreisen zunächst ausge- FDP und der Fraktion DIE GRÜNEN auf Druck- löst hatte, unbegründet sind. sache 10/4447. Wer den Ziffern 1 bis 4 dieses Ände- (Dr. de With [SPD]: Warum dann nicht rungsantrags zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. -- Gegenprobe! — Keine Ge- auch die GmbH & Co. KG?) genstimmen. Enthaltungen? — Keine Enthaltun- Ich meine, die Offenlegung des Jahresabschlusses, gen. Einstimmig angenommen. auch des Konzernabschlusses, wird künftig den Be- langen dieser Unternehmen dienlich sein, weil hier- Wer Art. 1 in der Ausschußfassung mit der soeben mit das Vertrauen in ihre Solidität in ganz besonde- beschlossenen Änderung zuzustimmen wünscht, rer Weise gestärkt werden wird. den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Bei Ich bitte Sie, der Vorlage Ihre Zustimmung zu zahlreichen Enthaltungen aus der Fraktion der geben. SPD und der Fraktion DIE GRÜNEN angenom- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) men. Ich rufe Art. 2 in der Ausschußfassung auf. Hierzu liegen auf den Drucksachen 10/4429 und 10/ Vizepräsident Stücklen: Meine Damen und Her- 4447 Änderungsanträge der Fraktion der SPD sowie ren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und der schließe die Aussprache. Fraktion DIE GRÜNEN vor. Wir kommen zur Einzelberatung und Abstim- Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD mung über die Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b. auf Drucksache 10/4429 zuzustimmen wünscht, den Der Rechtsausschuß empfiehlt in seiner Beschluß- bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — empfehlung auf Drucksache 10/4268, die Gesetzent- Enthaltungen? — Bei drei Enthaltungen mit Mehr- würfe auf den Drucksachen 10/317 und 10/3440 mit- heit abgelehnt. einander zu verbinden und in der Ausschußfassung Wir kommen jetzt zur Abstimmung über- die Zif- anzunehmen. Ist das Haus damit einverstanden? — fern 5 bis 8 des Änderungsantrages der Fraktionen Es wird so verfahren. der CDU/CSU, SPD, FDP und der Fraktion DIE Ich rufe Art. 1 in der Ausschußfassung auf. GRÜNEN auf Drucksache 10/4447. Wer stimmt da- Hierzu liegen auf den Drucksachen 10/4427, 10/4424, für? — Wer ist dagegen? — Keine Gegenstimmen. 10/4423, 10/4425, 10/4426, 10/4428 und 10/4447 Ände- Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Einstimmig rungsanträge der Fraktion der SPD sowie ein inter- angenommen. fraktioneller Änderungsantrag vor. Wer dem Ände- Wer Art. 2 in der Ausschußfassung mit der soeben rungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache beschlossenen Änderung zuzustimmen wünscht, 10/4427 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Bei Ent- Mit Mehrheit abgelehnt. haltungen aus der Fraktion der SPD und der Frak- Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD tion DIE GRÜNEN mit Mehrheit angenommen. auf Drucksache 10/4424 zuzustimmen wünscht, den Ich rufe Art. 3 in der Ausschußfassung auf. bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Hierzu liegt auf Drucksache 10/4447 unter Ziffer 9 Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Mit Mehr- ein Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, heit abgelehnt. SPD, FDP und der Fraktion DIE GRÜNEN vor. Wer Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den auf Drucksache 10/4423 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine Gegenstimmen, keine Ent- Enthaltungen? — Eine Enthaltung. Mit Mehrheit haltungen. Der Änderungsantrag ist einstimmig an- abgelehnt. genommen. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD Wer Art. 3 in der Ausschußfassung mit der soeben auf Drucksache 10/4425 zuzustimmen wünscht, den beschlossenen Änderung zuzustimmen wünscht, bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Mit Mehr- — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Bei Ent- heit abgelehnt. haltungen aus der Fraktion der SPD und der Frak- tion DIE GRÜNEN mit Mehrheit angenommen. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4426 zuzustimmen wünscht, den Ich rufe Art. 4 in der Ausschußfassung auf. Wer bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — der aufgerufenen Vorschrift zuzustimmen wünscht, Enthaltungen? — Bei drei Enthaltungen mit Mehr- den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! heit abgelehnt. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Bei Ent- haltungen aus der Fraktion der SPD und der Frak- Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD tion DIE GRÜNEN mit Mehrheit angenommen. auf Drucksache 10/4428 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Ich rufe Art. 5 in der Ausschußfassung auf. Enthaltungen? — Bei zwei Enthaltungen mit Mehr- Hierzu liegen auf den Drucksachen 10/4430 und heit abgelehnt. 10/4447 Änderungsanträge der Fraktion der SPD 13750 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985

Vizepräsident Stücklen sowie der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und — Enthaltungen aus der SPD und der Fraktion DIE der Fraktion DIE GRÜNEN vor. Wer dem Ände- GRÜNEN. Der Art. 10 ist damit angenommen. rungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache Ich rufe die Art. 11 bis 13, Einleitung und Über- 10/4430 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein schrift in der Ausschußfassung auf. Wer zuzustim- Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — men wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Bei zwei Enthaltungen ist dieser Antrag abgelehnt. Gegenprobe! — Keine Gegenstimmen. Enthaltun- Wer dem Änderungsantrag der Fraktionen der gen? — Wieder Enthaltungen aus der SPD-Fraktion CDU/CSU, SPD, FDP und der Fraktion DIE GRÜ- und der Fraktion DIE GRÜNEN. Die Art. 11 bis 13 NEN auf Drucksache 10/4447 unter Ziffer 10 zuzu- sowie Einleitung und Überschrift sind angenom- stimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzei- men. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen. chen. — Gegenprobe! — Keine Gegenstimmen. Ent- Meine Damen und Herren, nach Annahme von haltungen? — Keine Enthaltungen. Einstimmig an- Änderungsanträgen in zweiter Beratung darf sich genommen. nach § 84 Buchst. b unserer Geschäftsordnung die Wer Art. 5 in der Ausschußfassung mit der soeben dritte Beratung nur dann unmittelbar anschließen, beschlossenen Änderung zuzustimmen wünscht, „wenn auf Antrag einer Fraktion oder ... zwei Drit- den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! tel der anwesenden Mitglieder des Bundestages es — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Bei Ent- beschließen". Ist das Haus damit einverstanden, haltungen aus der Fraktion der SPD und der Frak- daß unmittelbar in die dritte Beratung eingetreten tion DIE GRÜNEN angenommen. wird? — Keine Gegenstimmen, keine andere Mei- nung; dann ist das mit der erforderlichen Mehrheit Ich rufe Art. 6 in der Ausschußfassung auf. beschlossen. Hierzu liegen auf den Drucksachen 10/4448 und 10/4447 Änderungsanträge der Fraktion der SPD Wir treten in die sowie der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und dritte Beratung der Fraktion DIE GRÜNEN vor. ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — auf Drucksache 10/4448 zuzustimmen wünscht, den Drei Gegenstimmen. Enthaltungen? — Enthaltun- bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — gen aus der Fraktion der SPD. Damit ist dieser Enthaltungen? — Bei einer Enthaltung mit Mehr- Gesetzentwurf angenommen. heit abgelehnt. (Beifall bei allen Fraktionen) Wer dem Änderungsantrag der Fraktionen der Meine Damen und Herren, ein anscheinend gro- CDU/CSU, SPD, FDP und der Fraktion DIE GRÜ- ßes Werk — als Nicht-Jurist schalte ich „anschei- NEN auf Drucksache 10/4447 unter Ziffer 11 zuzu- nend" vor — ist damit zum Abschluß gebracht wor- stimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzei- den. Es ist allen schon gedankt worden. Aber ich chen. — Gegenprobe! — Keine Gegenstimmen. Ent- möchte sagen, ich habe in meinen 35 Jahren Parla- haltungen? — Eine Enthaltung. Der Änderungsan- mentszugehörigkeit noch nie unter so vielen Juri- trag ist bei einer Enthaltung angenommen. sten eine so sachliche, fundierte und beinahe ein- Wer Art. 6 in der Ausschußfassung mit der soeben heitliche Diskussion erlebt. Darüber habe ich mich beschlossenen Änderung zuzustimmen wünscht, gefreut. den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! Danke schön. — Drei Gegenstimmen. Enthaltungen? — Enthal- tungen aus der SPD-Fraktion. Art. 6 ist mit Mehr- (Beifall bei allen Fraktionen) heit angenommen. Ich rufe die Art. 7 bis 9 in der Ausschußfassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Keine Gegen- auf: stimmen. Enthaltungen? — Enthaltungen aus der a) Zweite und dritte Beratung des von der Frak- SPD-Fraktion und der Fraktion DIE GRÜNEN. Die tion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Art. 7 bis 9 sind mit Mehrheit angenommen. ... Strafrechtsänderungsgesetzes — Gesetz Ich rufe Art. 10 in der Ausschußfassung auf. zum weiteren Ausbau der Strafaussetzung Hierzu liegt auf Drucksache 10/4447 unter Ziffer 12 zur Bewährung — (... StrÄndG) ein Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, — Drucksache 10/1116 — SPD, FDP und der Fraktion DIE GRÜNEN vor. Wer aa) Beschlußempfehlung und Bericht des dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den Rechtsausschusses (6. Ausschuß) bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Keine Ent- — Drucksache 10/4391 — haltungen. Der Änderungsantrag ist einstimmig an- Berichterstatter: genommen. Abgeordnete Seesing Dr. de With Wer Art. 10 in der Ausschußfassung mit der so- eben beschlossenen Änderung zuzustimmen bb) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ge- schuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung genprobe! — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Drucksache 10/ .... — Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13751

Vizepräsident Stücklen Berichterstatter: Drittens. Dabei sollte das Jugendstrafrecht eine Abgeordnete Deres Vorreiterrolle spielen. Dr. Müller (Bremen) Viertens. Die Ausweitung der Strafaussetzung Frau Zutt wirft die Frage auf, ob nicht die Zeit gekommen ist, (Erste Beratung 88. Sitzung) das Sanktionensystem unseres Strafgesetzbuchs b) Zweite und dritte Beratung des von der Bun- auszuweiten und zu verfeinern. desregierung eingebrachten Entwurfs eines (Beifall bei der SPD) Strafrechtsänderungsgesetzes Die Regierungskoalition ist diesen, wie ich meine, (... StrÄndG) auch von ihr akzeptierten Ergebnissen der Beratun- — Drucksache 10/2720 — gen in der Praxis jedoch nicht gefolgt. Beschlußempfehlung und Bericht des (Zuruf von der SPD: Leider wahr!) Rechtsausschusses (6. Ausschuß) Hier ist die Harmonie nicht so groß wie bei der — Drucksache 10/4391 — Beratung des vorangegangenen Tagesordnungs- Berichterstatter: punkts. Die Regierungskoalition bewegt sich halb- Abgeordnete Seesing herzig und zaghaft und nur millimeterweise voran. Dr. de With (Zurufe der Abg. Dr. Stark [Nürtingen] (Erste Beratung 120. Sitzung) [CDU/CSU] und Seesing [CDU/CSU]: Be Hierzu liegen Änderungsanträge der Fraktion hutsam!) der SPD und der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Sie lehnt den weitergehenden Entwurf der SPD Drucksachen 10/4431 und 10/4432 vor. ab, Meine Damen und Herren, nach einer Vereinba- (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Ja!) rung im Ältestenrat sind eine gemeinsame Bera- stimmt aber dann unseren Beschlußvorlagen zu. Sie tung der Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b und eine stimmt diesen Beschlußvorlagen zu, weil sie offen- Aussprache von 60 Minuten vorgesehen. Ist das bar vom schlechten Gewissen geplagt wird. Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Nein! keinen Widerspruch. Ein Mißverständnis!) - Das Wort zur Berichterstattung wird gewünscht. Denn auch sie sieht ein Das Wort hat der Berichterstatter Abgeordneter Seesing. (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Mein Gewissen ist gut!) Seesing (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Da- — ich nehme an, Herr Stark, das ist auch Ihre Auf- men und Herren! In der Beschlußempfehlung des fassung —, daß es nicht angeht, daß das Jugendge- Rechtsausschusses auf Drucksache 10/4391 ist bei richtsgesetz dem Erwachsenenrecht hinterher- Art. 2 Nr. 3 — § 454 b der Strafprozeßordnung — ver- hinkt. sehentlich der Abs. 3 nicht als Beschluß des 6. Aus- (Beifall des Abg. Stiegler [SPD]) schusses aufgenommen, obwohl der Ausschuß diese Deshalb fordern Sie, meine sehr verehrten Da- Vorschrift in der Fassung des Regierungsentwurfs men und Herren Kollegen von der Union, zusam- beschlossen hat. Die beiden Berichterstatter — men mit uns, daß die Bundesregierung bis zum Herr Dr. de With und ich — bitten, die Beschluß- 1. März 1986 einen Entwurf für die Reform des Ju- empfehlung entsprechend zu berichtigen. gendgerichtsgesetzes vorlegt. Ich kann nur hoffen, Herr Minister, daß dieser Termin eingehalten wird: Vizepräsident Stücklen: Danke schön. Kein weite- zum Wohl der davon Betroffenen. Denn — ich wie- rer Berichterstatter wünscht das Wort. derhole — es geht nicht an, daß das Jugendgerichts- Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort gesetz dem Erwachsenenstrafrecht hinterherhinkt. hat der Abgeordnete de With. (Beifall des Abg. Stiegler [SPD]) Bis heute war es im Prinzip immer umgekehrt. (SPD): Herr Präsident! Meine sehr Dr. de With (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Ja, da verehrten Damen und Herren! Die Entwürfe der haben Sie recht!) Bundesregierung und der SPD-Bundestagsfraktion zur Erweiterung der Strafaussetzung zur Bewäh- Warum ist das so geschehen, daß Sie uns zuge- rung — zeitlich hätte ich den SPD-Entwurf zuerst stimmt haben? Doch ganz offensichtlich deswegen, nennen müssen — sind im Rechtsausschuß aus- weil auch Sie der Bundesregierung hier Beine ma- führlich beraten worden. chen mußten. (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Sehr Die Bundesregierung und die sie tragende Koali- richtig!) tion präsentieren sich — lassen Sie mich das ein- mal deutlich sagen — in der Rechtspolitik so wie im Dabei stellten sich vier Grundüberzeugungen Grunde auch sonst. Von der Opposition gedrängt heraus: und innerlich gespalten, fügt sie sich verspätet ei- Erstens. Das Rechtsinstitut der Strafaussetzung nem notwendigen Bedürfnis nur halb, zur Bewährung hat sich ganz außerordentlich be- (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Wer ist währt. gespalten?) Zweitens. Die Zeit ist' reif für eine Ausweitung vertröstet für den Rest auf die Zukunft, gibt das dieses Rechtsinstituts. noch fröhlich als großen Erfolg aus und spricht (Beifall bei der SPD) dann — ich zitiere Herrn Marschewski — von ei- 13752 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985

Dr. de With nem „Glanzstück" der Koalition. So muß man es gressivität zuzuschreiben wir nicht immer geneigt machen. Aber niemand glaubt Ihnen. sind. (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Doch, (Dr. Stark [Nürtigen] [CDU/CSU]: Die ha doch!) ben auch ihre Probleme in der Strafrechts pflege! — Klein [Dieburg] [SPD]: Wer hat Die Möglichkeit, Strafaussetzung zur Bewährung die nicht?) durch Urteil auszusprechen, gibt es erst seit dem Jahr 1923, und zwar im Jugendgerichtsgesetz. Da- — Das weiß ich nicht. Auf jeden Fall sind sie hier hinter steht kein geringerer als Gustav Radbruch. deutlich progressiver als wir, und ich kann nicht Die Nazis schafften diese Errungenschaft 1943 ab. einsehen, warum wir nicht ihrem Beispiel folgen Erst 1953 wurde durch Thomas Dehler die Strafaus- sollten. — In Portugal und in Japan sind es grund- setzung zur Bewährung in das Jugendgerichtsge- sätzlich drei Jahre. Frankreich liegt sogar bei fünf setz und erstmals in das Erwachsenenstrafrecht Jahren, und die skandinavischen Länder sowie eingestellt. England und die USA haben keine feste Begren- zung. Allerdings, das sei erwähnt, gibt es hier stu- (Beckmann [FDP]: Ohne Liberale geht's fenweise Bremsen, um zu verhindern, daß generell nicht!) Strafaussetzung zur Bewährung gewährt wird. 1969 schufen während der Großen Koalition Gustav Aber dennoch sind diese Länder wesentlich großzü- Heinemann und das zur Zeit noch giger, als wir es handhaben. geltende Recht. Herr Minister, Sie haben große Vor- Noch stärker wird der Druck zur Reform, ver- fahren, und es wäre gut, wenn Sie sich dieser Vor- gleicht man die Gefangenenzahlen auf dem Stand fahren würdig erweisen würden. vom 1. Februar 1984, gemessen an 100 000 der (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: War Wohnbevölkerung. Unter 21 Ländern nehmen wir das Parlament denn auch dabei, Herr de mit 104 Gefangenen zusammen mit Österreich — With?) das liegt bei 114 — und, man höre und staune, der Türkei — die hat 171 — den höchsten oder richtiger Das geltende Recht sieht wie folgt aus: Wer bis zu ausgedrückt, den schlechtesten Platz ein. Spanien einem Jahr Freiheitsstrafe erhält, dem kann grund- liegt bei 38, die Schweiz bei 62 und Frankreich- bei sätzlich Strafaussetzung zur Bewährung gewährt 74 Gefangenen pro 100 000 der Wohnbevölkerung. werden, im Ausnahmefall auch dann, wenn gegen ihn bis zu zwei Jahren Strafe verhängt wurden. Das Der rapide Anstieg der Belegungszahlen unserer gilt auch im Jugendstrafrecht. Im übrigen kann seit Gefängnisse wird deutlich, wenn wir uns in der geraumer Zeit vom sogenannten Restdrittel-Erlaß Bundesrepublik den Unterschied zwischen 1974 und Gebrauch gemacht werden, nämlich dann, wenn 1984, also einen Zeitraum von zehn Jahren, verge- sich einer bei der Strafverbüßung wohlverhält. genwärtigen. 1974 betrug die entsprechende Ver- Möglich ist allerdings auch der hälftige Erlaß; aber gleichszahl nur 84. Die Untersuchungshäftlinge — hier sind die Hürden so hoch, daß im Grunde im die machen bei uns etwa 29 % der Inhaftierten aus Erwachsenenstrafrecht davon kaum Gebrauch ge- — sind bei diesem Zahlenwerk eingeschlossen. Das macht wird. rechtfertigt wahrlich den Schluß, daß bei uns zu oft und zu viel verhaftet wird, (Dr. Wittmann [CDU/CSU]: Für diese Rede kriegen Sie keinen Straferlaß!) (Beifall bei der SPD) Die Richter — das sei hier besonders betont — aber auch, meine sehr verehrten Damen und Her- wenden dieses Rechtsinstrument der Strafausset- ren, den weiteren Schluß, daß auch aus Überbele- zung zur Bewährung mehr und mehr an, und zwar, gungsgründen — gewissermaßen als willkommener wie wir meinen — und das belegen die statistischen Nebeneffekt — reformiert werden muß. Zahlen —, mit großem Erfolg. Von 1970 bis 1981 hat Diese Zahlen zwingen schließlich auch zu der sich die Zahl der zur Strafaussetzung zur Bewäh- Forderung — und die erhebe ich hier —, die fällige rung Verurteilten fast verdoppelt. Wurde anfangs Reform des Untersuchungshaftvollzuges alsbald bei 50 v. H. der so Verurteilten die Stafe erlassen, so durchzuführen. ist diese Zahl heute auf rund 60 % gestiegen. Die darin zum Ausdruck gekommene Tendenz hatte (Beifall bei der SPD) schon bei den Beratungen im Strafrechtssonderaus- Hier kündige ich an, daß die SPD-Bundestagsfrak- schuß 1968/69 zu der Überlegung geführt, ob man tion schon im Frühjahr nächsten Jahres eine ent- denn nicht eine größere Ausdehnung wagen sollte. sprechende Vorlage zur Reform des Untersu- Man hat davon abgesehen in der Hoffnung, daß chungshaftvollzuges vorlegen wird. Entsprechende man dies später nachholen würde. Heute und jetzt Vorarbeiten liegen vor; ich hoffe, daß die Bundesre- ist die Zeit dazu. gierung entsprechend bald nachzieht. Wir alle stüt- zen uns freilich auf das, was in einem Zwischenbe- Bei einem internationalen Rechtsvergleich richt bereits erarbeitet wurde. Aber die Zahlen und schneidet die Bundesrepublik schlecht ab. die Anmerkungen in diesem Papier sprechen Bän- (Stiegler [SPD]: Hört! Hört!) de. Fast alle westlichen Länder verfahren bei der Straf- Daß die Justizvollzugsanstalten bei uns überfüllt aussetzung zur Bewährung seit geraumer Zeit deut- sind, ist beinahe schon Gemeingut. Aber ich darf in lich großzügiger als wir, so z. B. — ich nenne die diesem Zusammenhang einmal auf Rainer Ober- Länder — Italien, Spanien und Belgien, denen Pro- heim Bezug nehmen, der dazu eine Untersuchung Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13753

Dr. de With durchgeführt und Zahlen genannt hat. Er spricht Vizepräsident Stücklen: Bitte sehr. davon, daß es bei uns Anstalten mit einer Bele- gungsziffer von 150% gibt. Er sagt, daß in Einzelzel- Sauer (Salzgitter) (CDU/CSU): Herr Kollege, wür- len zwei liegen, daß Mannschafts-, Besuchs- und den Sie die Freundlichkeit haben, dem Hause mit- Verwaltungsräume umfunktioniert werden mußten. zuteilen, daß der Kollege Professor Schwind seit Daß dies alles im Widerspruch zum Strafvollzugsge- Jahren nicht mehr Justizminister in Niedersachsen, setz steht, das wir erst 1976 gemeinsam reformiert sondern, soweit ich weiß, Lehrstuhlinhaber in Bo- haben, ist offenkundig. chum ist, und diese Aussage sicherlich nicht als (Zustimmung bei der SPD) CDU-Politiker getan hat?

Hier muß uns — das sage ich ganz deutlich —, Dr. de With (SPD): Ich denke, ich habe deutlich wenn das so anhält, das Gefühl beschleichen, daß gesagt, daß er Justizminister in Niedersachsen war. unsere Gefängnisse auf die Dauer, um ein vielzitier- Ich kenne den Herrn Kollegen Schwind gut und tes Wort von Eberhard Schmidt zu gebrauchen, „zu glaube, daß er damit einverstanden ist, daß ich aus Stein gewordene Riesenirrtümer" werden. seinen Statistiken zitiere, mit denen er in diesem (Beifall bei der SPD) Fall voll auf unserer und nicht auf Ihrer Seite Auch deswegen, meine sehr verehrten Damen und steht. Herren von der Koalition, sollten Sie sich heute (Beifall bei der SPD — Stiegler [SPD]: einen Ruck geben und nicht nur millimeterweise Sauer ist wieder verstockt!) vorankrabbeln. Vizepräsident Stücklen: Gestatten Sie eine weitere Ich darf ein letztes Argument für die Reformvor- Zusatzf rage? schläge meiner Fraktion vortragen. Ein Gefangener kostet die Steuerzahler pro Tag cum grano salis 100 Dr. de With (SPD): Bitte. DM. Das sind bei mehr als 60 000 Gefangenen etwas mehr als 2 Milliarden DM im Jahr. Der frühere nie- Sauer (Salzgitter) (CDU/CSU): Meine Frage geht dersächsische Justizminister Schwind, bekannter- dahin, ob Sie die Auffassung vertreten, daß Profes- maßen kein Sozialdemokrat, einer aus Ihren Rei- sor Schwind in diesem Fall namens der- CDU ge- hen, aus den Reihen der Union, beziffert dagegen sprochen hat. die Kosten pro Proband für eine Bewährungshilfe auf zwischen 820 und 1 800 DM pro Jahr. Das sind Dr. de With (SPD): Er hat im Namen nüchterner — man höre und staune — 2,50 DM bis 5 DM pro Zahlen gesprochen, und die wollen Sie nicht zur Tag. Die Länderjustizminister, die sich über die Kenntnis nehmen. Er wäre sauer, wenn er Sie hör- harte Hand ihrer Finanzminister so oft — ich sage: te. zu Recht — beklagen (Heiterkeit bei der SPD) (Zustimmung bei der SPD) Ich richte deshalb einen ernsten Appell an die und sich deswegen mit ihnen nicht selten in den Länder, endlich die Zahl der Bewährungshelfer zu Haaren liegen, haben durch Zustimmung zu unse- erhöhen und die Quote der Probanden, die auf die rem Reformvorschlag die Möglichkeit, etwas für die Bewährungshelfer entfallen, damit deutlich zu sen- Resozialisierung zu tun und gleichzeitig — ich ken. Ich hoffe, Herr Sauer, dem können Sie wenig- möchte sagen: in einem Handstreich — eine Menge stens zustimmen. Geld zu sparen. Sie könnten nämlich ihren Etat Wir Sozialdemokraten haben deshalb beantragt gewaltig entlasten, und sie könnten darüber hinaus, — um es zu wiederholen —: erstens Strafausset- um es vereinfacht zu sagen, Leid ersparen. zung zur Bewährung grundsätzlich bei Freiheits- Allerdings darf ich in diesem Zusammenhang et- strafen bis zu 2 Jahren und im Ausnahmefall bis zu was Wasser in den Wein gießen: Die Zahl der Be- drei Jahren zu gewähren; zweitens grundsätzlich währungshelfer ist nach der Statistik des gerade den hälftigen Straferlaß bei Verbüßung der Strafe erwähnten Schwind noch immer viel zu niedrig. Die zuzubilligen; drittens die Regelung der Strafausset- Zahl der Probanden pro Bewährungshelfer beträgt zung zur Bewährung, wie eben gefordert, auf das in Berlin 38,8 und in Rheinland-Pfalz 74. Ganz abge- Jugendstrafrecht zu übertragen. Die Koalition hat sehen von den Unterschieden in den Ländern, ist diese unsere Vorschläge abgelehnt. Deshalb bean- diese Quote, auch wenn man den Durchschnitt tragen wir in zweiter Lesung erneut die Einfügung nimmt, zu hoch. Wie soll der Bewährungshelfer bei dieser Erweiterung. Auf die Drucksache 10/4432 dieser Zahl von Probanden individuell helfen, z. B. darf ich verweisen. bei der Arbeitsplatzsuche, bei der Suche nach einer Wenn Sie, meine sehr verehrten Damen und Her- Wohnung, bei der Schuldenregulierung und Schul- ren von der Regierungskoalition, uns immer noch dentilgung und auch bei nicht selten auftretenden nicht zustimmen können, appelliere ich erneut an familiären Schwierigkeiten? die Länderjustizminister, zu Ihren Vorschlägen im Bundestag nein zu sagen und den Vermittlungsaus- schuß anzurufen, damit auf diesem Gebiet endlich Vizepräsident Stücklen: Herr Abgeordneter de eine vernünftige Reform durchgeführt werden With, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn kann. Abgeordneten Sauer? (Beifall bei der SPD — Dr. Stark [Nürtin gen] [CDU/CSU]: Meinen Sie, daß die das Dr. de With (SPD): Aber gerne. tun?) 13754 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985

Dr. de With — Wenn Sie, Herr Kollege Stark, und Ihre Fraktion Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren diesen Reformversuch weiterhin blockieren, von der Koalition, lehnen es sogar ab, Ihre beschei- (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Das denen Fortschritte im Erwachsenenstrafrecht auf tun wir nicht!) das Jugendstrafrecht auszudehnen. Sie können nicht hoffen, daß, selbst wenn der Justizminister bis dann sage ich: was sich hier auftut, hat eine böse 1. März nächsten Jahres einen entsprechenden Ent- Vorgeschichte. wurf zur Reform des Jugendgerichtsgesetzes vor- (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Wir legt, dieser bald Gesetz wird. Denn vor Mitte der machen es behutsam!) nächsten Legislaturperiode — das wäre 1989 — Wann immer versucht wurde, das Strafensystem zu kann er nach allen Erfahrungen gar nicht Gesetz humanisieren, stieß das leider auf den Widerstand werden. Deswegen wäre es an der Zeit gewesen, der Konservativen. Die Generalprävention — so wenigstens bis dahin unseren Vorschlägen zu fol- gen und diese Lücke zu füllen. heißt es — und das Sühnebedürfnis verböten zu weitgehende Schritte. (Beifall bei der SPD) Das war schon so — hier spreche ich Herrn Ju- Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir stizminister Engelhard an, der ja ebenso wie ich gestehen im übrigen gerne zu, daß es bei dem Vor- aus Bayern kommt — im Jahre 1806, als Anselm schlag der Koalitionsfraktionen, der zugleich die von Feuerbach seinem bayerischen Kurfürsten Vorlage des Justizministers ist, eine ganze Reihe Max Joseph die Beseitigung der Folter in Gestalt von Vorschlägen gibt, denen wir zustimmen kön- eines Ediktes über „Die Abschaffung der peinlichen nen. Das ist aber in erster Linie ein Werk, das routi- Frage" vorschlug und die Konservativen dagegen nemäßig erfolgt. mit Macht protestierten. Der Kurfürst drehte und (Glocke des Präsidenten) wendete sich und erklärte schlau — ich zitiere —: — Ich weiß, ich bin sofort fertig, Herr Präsident. — Möge es Feuerbach verantworten, wenn die Zustimmen können wir vor allem der Streichung Verbrecher der Strafe entgehen. des § 48, den Rückfallvoraussetzungen. Alles in allem gesprochen sage ich mit Nach- Aber er unterschrieb. Und von einer Schwächung - der Strafverfolgung konnte damals wie heute nie- druck: Für die Regierungskoalition mag das nur mals die Rede sein. Ich wünschte, Sie würden sich eine versäumte Gelegenheit sein. Für unsere diesem Vorbild, Herr Minister, anschließen. Rechtsordnung ist das mehr als eine verpaßte Chance und für viele, die in Verstrickungen geraten (Beifall bei der SPD) sind, aus welchen Gründen auch immer, Schaden. Als in den 20er Jahren um die Todesstrafe — ja (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten oder nein — gerungen wurde, war es ebenso. Nicht der GRÜNEN) anders war es nach dem Zweiten Weltkrieg, als wir die Zuchthausstrafe — dann allerdings gemeinsam — abschafften. Ebenso war es, als wir 1953 — ich Vizepräsident Stücklen: Das Wort hat der Herr Ab- habe darauf verwiesen — die Strafaussetzung zur geordnete Seesing. Bewährung — wieder gemeinsam — einführten. Am Ende freilich — das sage ich erneut zu den Seesing (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Da- Koalitionsfraktionen — hat sich meist die Reform men und Herren! Der Rechtsausschuß des Deut- doch noch durchgesetzt, nur eben oft zu spät zum schen Bundestages hat sich recht viel Mühe mit Leid der davon Betroffenen. den Gesetzentwürfen gemacht, die heute zur Bera- tung in zweiter und dritter Lesung anstehen. (Zustimmung bei der SPD) (Beckmann [FDP]: Das kann man wohl sa Härte im Strafrecht bedeutet keineswegs auto- gen!) matisch weniger Kriminalität. Sie kann vornehm- lich bei Ersttätern und denen, die vor einer zweiten Es war ernsthaft zu prüfen, wie eine Ausweitung kriminellen Handlung stehen, zur Verhärtung und der Strafaussetzung zur Bewährung zur Entlastung damit zum Gegenteil führen — nach der Melodie: oder Veränderung des Strafvollzuges beitragen Einsitzen muß ich eh, auf ein paar Monate mehr kann oder soll. Wir haben das in dem Bewußtsein oder weniger kommt es dann doch nicht an. Die beraten, daß die Durchführung Ländersache ist. Rechtsüberzeugung des Bürgers wird auch dann Das Ergebnis unserer Beratungen läßt sich zusam- berührt, wenn dem Bewußtsein von der Freiheits- menfassend so darstellen: Das Institut der Straf- strafe als größtem Übel nicht ein gefächertes und aussetzung zur Bewährung wird behutsam weiter- differenziertes Stufensystem von Sanktionen vor- entwickelt. Warum nur behutsam, Herr Kollege Dr. angestellt wird. Dazu gehört aber auch — ich darf de With, und nicht so energisch, wie es im Entwurf das so formulieren —, daß die Freiheitsstrafe weiter der SPD-Bundestagsfraktion gefordert wurde? Ich „hinaufgeschoben" und der so gewonnene „Vor- will auf diese Frage eine Antwort mehr vom Grund- raum" mit einem verfeinerten Sanktionsinstrumen- sätzlichen her geben. tarium „aufgefüllt" wird. Diesen Prozeß behindern Erstens. Der Staat hat um der Gerechtigkeit wil- Sie mit Ihrer ablehnenden Haltung, auch wenn Sie len die Pflicht, zu strafen, wenn ein Mann oder eine unserem Antrag an die Bundesregierung zustim- Frau gegen die Regeln verstoßen, die das Leben der men, daß bis zum 1. Juli 1986 darüber berichtet wer- Gemeinschaft und in der Gemeinschaft sichern. den möge, ob eine solche Erweiterung fällig ist und Grund für eine Bestrafung ist die böse Tat als Ver- wie sie aussehen soll. stoß gegen unsere Rechtsordnung. Der Staat nimmt Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13755

Seesing dazu die Berechtigung aus der Tatsache, daß er ver- Dennoch ist es wohl richtig, erst dann über eine pflichtet ist, ein möglichst friedliches Zusammenle- Reform des Rechts der Untersuchungshaft nachzu- ben zu garantieren. Durch eine lang gewachsene denken, wenn ein Abschlußbericht vorliegt. Praxis ist das System staatlicher Sanktionen ge- (Dr. Emmerlich [SPD]: Nachdenken darf setzlich geregelt. In diesem durchaus noch wohlab- man doch schon vorher! — Dr. Stark [Nür gewogenen System nimmt die Freiheitsstrafe ihren tingen] [CDU/CSU]: Sie dürfen immer den bestimmten und festen Platz ein. Sie dient der Vor- ken!) beugung und der Sühne für das getane Unrecht. Beide Aspekte sind nach unserer Auffassung auch — Sie haben recht. Nachdenken sollte man immer. heute zu berücksichtigen. Der Sühnecharakter darf In Gesetzesregelungen eintreten sollte man aber nach Meinung der großen Mehrheit unserer Mit- erst dann, wenn man alle Dinge bei der Hand hat. bürger nicht verlorengehen. Das könnte aber bei Genauso wird man darüber nachdenken müssen, einer erheblichen Ausweitung der Möglichkeiten ob an die Stelle von geringeren Freiheitsstrafen an- zur Strafaussetzung eintreten. dere Sanktionen treten können. Das ist aber nicht Zweitens. Die recht hohe Kriminalitätsrate in un- eine Aufgabe, die über Nacht gelöst werden könnte serem Land zwingt uns förmlich, an der Freiheits- oder dürfte. strafe als Mittel der Vorbeugung festzuhalten. Das Der Rechtsausschuß bittet den Bundestag, einer Sicherheitsbedürfnis der Menschen unseres Lan- Entschließung zuzustimmen, nach der die Bundes- des ist recht groß. Die Menschen betrachten die regierung bis zum 1. Juli 1986 einen Bericht über Sicherung der Allgemeinheit vor Kriminellen als Alternativen und Ergänzungen des jetzigen Sank - die Forderung an die Rechtspolitiker und als einen tionensystems geben soll. Ich möchte hier deutlich wichtigen Strafzweck. Dieses Sicherheitsbedürfnis machen, Herr Kollege de With, daß die Liste der darf den Rechtspolitiker allerdings nicht zu der irri- Hinweise, zu denen die Bundesregierung berichten gen Annahme verführen, daß es bei einer etwaigen soll, nicht in allen Punkten unseren Vorstellungen Erhöhung des Strafrahmens durch die dann mögli- entspricht; sie macht aber sichtbar, daß wir uns mit cherweise vorhandene Abschreckung allein schon den Vorschlägen ernsthaft — und nicht auf Grund zu einer erheblichen Verminderung der Kriminali- eines schlechten Gewissens — auseinandersetzen- tät kommen könne. Neben der Resozialisierung von wollen. Gefährdeten und Gefallenen sieht ein Programm (Dr. de With [SPD]: Ein kleiner Rückzie von CDU und CSU zur Kriminalitätsbekämpfung her!) auch eine Reihe von Notwendigkeiten und Möglich- keiten, um im Vorfeld des Strafvollzugs zu einer Es ist eigentlich auch nicht einzusehen, daß wir ) Verminderung von Straftaten überhaupt zu kom- im Grunde nur zwei Strafformen kennen, Freiheits- men. Ich nenne nur die Stabilisierung der familiä- strafe und Vermögensstrafe. Je mehr man nämlich ren Erziehung, die Entwicklung des Rechts- und über Strafe, Strafzumessung und Strafvollzug nach- Unrechtsbewußtseins, die Förderung einer sinnvol- denkt, desto erstaunlicher ist es, daß wir im Laufe len Freizeitgestaltung, den Ausbau der Vorbeu- der Jahrhunderte von einem Reichtum an Strafen gungsprogramme der Kriminalpolizei, die Beratung zu einer Strafenarmut gekommen sind, die natür- und Behandlung von Rauschmittelabhängigen so- lich auch wieder Ausdruck der Bemühungen ist, wie die Nachsorge für sie, die Bekämpfung der Ju- alles und alle möglichst gleichzubehandeln. Ich gendarbeitslosigkeit und eine auf Begrenzung und habe mich natürlich auch ein wenig mit der Ge- Integration ausgerichtete konsequente Ausländer- schichte der Strafen befaßt, wobei ich vorweg sagen politik. Auf Alternativen zur Freiheitsstrafe werde muß, daß ich alle Strafen, die gegen das Leben und ich noch zu sprechen kommen. den Körper eines Menschen gerichtet sind, aus tief- stem Herzen verabscheue. Drittens. Wir möchten auf den Einzelfall abstel- len können. In jedem einzelnen Fall muß eine Prü- (Dr. de With [SPD]: Sehr gut!) fung angestellt werden, ob die in diesem Gesetz Dennoch könnte man vielleicht aus dem vielfältigen angebotenen Maßnahmen verantwortet werden mittelalterlichen System der Sanktionen einiges können. Wenn wir diese Einzelfallprüfung als un- lernen. Ich will jetzt nicht die Vielzahl der Todes- umgänglich ansehen, kann natürlich für eine Haft- strafen — wie Verbrennen, Rädern, Ertränken, verschonung oder Haftentlassung nicht allein das Vierteilen, Hängen usw. — anführen, auch nicht die Argument gelten, unsere Gefängnisse seien zu voll. daneben existierende ungeheure Skala von Körper- Ich bin immer noch — wie ich es im Bundestag und strafen; meine Stellungnahme dazu habe ich gerade im Rechtsausschuß schon mehrfach vorgetragen abgegeben. Es wird aber deutlich, daß man dem habe — der Ansicht, daß bei uns die Zahl der Straf- Einzelfall sehr große Bedeutung zumaß. Oder be- gefangenen und der Untersuchungshäftlinge recht trachten Sie auch einmal das breite Sanktionensy- hoch ist. stem, das es in den Schulen gab oder in anderer (Mann [GRÜNE]: Zu hoch!) Form bzw. zum Teil noch in der bisherigen Form Deswegen habe ich mich darüber gefreut, daß die auch heute gibt. Dazu könnte ich aus meinem bishe- von dieser Bundesregierung in Auftrag gegebene rigen Erfahrungsbereich einiges sagen. Untersuchung der Universität Göttingen jetzt wei- (Dr. de With [SPD]: Sie wollen doch nicht tere Zwischenergebnisse gebracht hat. die Prügelstrafe?) (Dr. de With [SPD]: Nur muß dann auch So frage ich mich, ob es nicht innerhalb des Sy- gehandelt werden!) stems der Freiheitsstrafe im Rahmen des Vollzugs 13756 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985

Seesing eine Vielzahl von auf den Einzelfall zugeschnitte- scheinlich immer dann zusteht, nicht mehr mit der nen Maßnahmen geben könnte, wie sie in den bei- Strafvollstreckung rechnen muß? Also wir halten den letzten Jahren von verschiedenen Autoren in die Zeit auf jeden Fall noch nicht für gekommen, mehreren Fachzeitschriften angesprochen wurden. einer Ausweitung des § 56 des Strafgesetzbuches Daneben wirft der Strafvollzug noch viele Fragen zuzustimmen. auf, die CDU und CSU mit Fachleuten erörtern wol- (Dr. de With [SPD]: Es ist ein gefährliches len. Die Diskussion über den Strafvollzug ist also Argument, von dem Mann auf der Straße mit der heutigen Beratung nicht beendet; vielleicht zu reden! Das gilt auch bei der Todesstra beginnt sie erst richtig. fe!) Was bringt nun dieses neue Gesetz, wenn es die Viertens. Großzügiger wollen wir die Strafausset- Zustimmung des Bundestages findet? Ich will nur zung nach Teilverbüßung nach § 57 des Strafgesetz- auf einige Punkte eingehen: buches angehen. Zwar bleibt die in Absatz 1 dieser Erstens. Die Rückfallvorschrift des § 48 des Straf- Vorschrift geregelte Zwei-Drittel-Entlassung beste- gesetzbuches fällt weg. hen. Diese Möglichkeiten zur Strafaussetzung sind in der Vergangenheit gut genützt worden. Nur jeder (Vogel (München) [GRÜNE]: Bravo!) zehnte Antrag auf vorzeitige Haftentlassung wurde Diese Bestimmung wurde in der Praxis für glei- von den Gerichten abgelehnt. Zu einer Änderung chermaßen unnötig wie schädlich angesehen. Wenn des Abs. 1 besteht also kein Bedürfnis. Man könnte § 48 des Strafgesetzbuches überhaupt angewandt vielleicht einmal in eine Diskussion darüber eintre- wurde, erschien die Mindeststrafe von sechs Mona- ten, ob in dem unteren Strafbereich auf die Progno- ten häufig überzogen. Im übrigen bietet § 46 des seklausel und/oder auf das Zustimmungserforder- Strafgesetzbuches genügend Möglichkeiten, zu ei- nis verzichtet werden sollte. Im Gegensatz zu der ner angemessenen Strafe zu kommen. Regelung in Abs. 1 hat der § 57 Abs. 2 des Strafge- setzbuchs mit seiner Möglichkeit zur Entlassung Zweitens. Auch die Änderung des § 51 Abs. 2 — nach hälftiger Strafverbüßung in der Praxis kaum Anrechnung von Strafen — kann zur Verkürzung eine Rolle gespielt. Das soll nach unserer Auffas- der Strafzeit führen, weil eine frühere Strafe auch - sung durch die neue Bestimmung des § 57 Abs. 2 dann angerechnet wird, wenn sie durch Anrech- anders werden. Die Kumulation von Tat und Täter- nung erledigt ist. Das dürfte insbesondere bei erlit- bezug wird wie schon in § 56 Abs. 2 aufgegeben. An tener Untersuchungshaft, beim Vorwegvollzug ei- ihre Stelle tritt die Klausel von der Gesamtwürdi- ner freiheitsentziehenden Maßregel oder bei der gung. Die Mindestverbüßungsdauer wird von einem Behandlung von Drogenabhängigen von Interesse Jahr auf sechs Monate herabgesetzt. sein. Drittens. Die Beratung des § 56 des Strafgesetz- Wichtiger aber ist die Bestimmung, daß bei Frei- buches hat wesentliche Unterschiede zwischen der heitsstrafen bis zu zwei Jahren für Gefangene, die Auffassung der Koalitionsfraktionen und der der erstmalig eine Freiheitsstrafe verbüßen, unter den Opposition deutlich werden lassen. Die SPD-Frak- üblichen Voraussetzungen die Möglichkeit zur Ent- tion möchte die Strafaussetzung bis zwei, in beson- lassung nach der Hälfte der Strafzeit gegeben wird. deren Fällen bis drei Jahre Freiheitsstrafe ausdeh- Der Bundesrat hatte zusätzlich vorgeschlagen, die nen. Die Koalitionsfraktionen sind der Ansicht, daß Strafaussetzung „in der Regel" vorzuschreiben. Wir eine Änderung des § 56 des Strafgesetzbuchs nicht sind der Auffassung, daß es bei der Kann-Vorschrift auf Kosten der verbrechensverhütenden Wirkung bleiben sollte, weil dadurch dem Gericht die volle der Strafe und nicht auf Kosten des Vertrauens der Entscheidungsmöglichkeit verbleibt. Bevölkerung in unsere Rechtsordnung gehen darf. Den sehr viel weitergehenden Vorschlägen der Ich weiß, daß in manchen Bereichen der Justiz be- SPD-Fraktion und der Fraktion DIE GRÜNEN dauert wird, daß wir den Vorstellungen der Sozial- konnten wir aus den von mir zu Beginn vorgetrage- demokraten nicht folgen wollen. Aber die Bundesre- nen Gründen nicht folgen. Wir glauben dennoch, gierung und die Mehrheit des Bundesrates vertre- daß es im Bereich der Freiheitsstrafen zwischen ten wie wir die Auffassung, daß wir angesichts der neun Monaten und zwei Jahren zu einer auch für Strafzumessungspraxis der deutschen Gerichte den Strafvollzug spürbaren Verkürzung der Straf- heute bei Freiheitsstrafen von mehr als zwei Jah- verbüßung kommen wird. Wir hoffen, daß diese ren in einen Bereich geraten würden, in dem die neuen Möglichkeiten von der Praxis auch angenom- Aussetzung von der Mehrheit der Bevölkerung men werden. nicht mehr verstanden würde. Die Bestimmungen des vorliegenden Gesetzes- (Dr. de With [SPD]: Warum geht das in textes sprechen nur den Bereich des Erwachsenen- Frankreich?) strafvollzuges an. Auch wir erwarten die Vorlage — Vielleicht wegen des anderen Rechtssystems. Be- der Bundesregierung zu einem Jugendgerichtsge- sonders betroffen wäre von solchen Möglichkeiten setz zum 1. 3. 1986. auch der Bereich der Wirtschaftskriminalität. Was Wir bitten, die Änderungsanträge von der SPD wird der berühmte Mann von der Straße sagen, und der Fraktion DIE GRÜNEN abzulehnen und wenn ein Wirtschaftskrimineller, der wegen erheb- dem Gesetz in der Fassung des 6. Ausschusses zu- licher Wirtschaftsdelikte zu einer Freiheitsstrafe zustimmen. von mehr als zwei Jahren verurteilt worden ist, we- gen einer guten Sozialprognose, die ihm wahr (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13757

Vizepräsident Stücklen: Das Wort hat der Herr Ab- Drucksache 10/4431 —, unsere in die Zukunft ge- geordnete Mann. richtete Position deutlich zu machen. Dazu werde ich im folgenden einige Ausführungen machen. Mann (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kollegen! Zunächst noch einmal zu dem Entwurf der Regie- Das Interesse der Kollegen dieses Hauses steht in rung. In einigen Formulierungen finden sich Ten- umgekehrtem Verhältnis zu der Bedeutung der Ma- denzen, die einer Prisonierung weiterer Bevölke- terie, mit der wir uns hier heute befassen. Das rungskreise das Wort reden. § 57 des Entwurfs der möchte ich vorab sagen. Man könnte meinen, sagte Regierung sieht z. B. vor, daß ein Strafgefangener mein Kollege Vogel, es sei Donnerstagnacht. mindestens sechs Monate seiner Strafe verbüßt ha- (Beckmann [FDP]: Leider wahr! — Zurufe ben muß, um in den Genuß der Halbstrafenentlas- von der CDU/CSU) sung zu kommen. Dies sieht auf den ersten Blick Durch die von der Bundesregierung vorgeschla- wie eine Liberalisierung der bisher gültigen Vor- genen Regelungen werden weder die enorm hohen schrift aus, schaut man aber genauer hin, so stellten Gefangenenzahlen in der Bundesrepublik — wir sich die weiteren Voraussetzungen einer Halbstra- stehen an dritter Stelle in Europa — beseitigt wer- fenentlassung allerdings um einiges restriktiver als den, noch wird eine Entlastung der überstrapazier- die bisherige Rechtslage dar. Wir meinen demge- ten Bewährungshilfe erreicht werden können. Es genüber, daß den spezial- als auch generalpräventi- handelt sich bei dem Entwurf der Regierung um ven Wünschen durchaus auch dann Rechnung ge- allzu behutsame Schritte, Herr Kollege Seesing, die tragen ist, wenn in Ausnahmefällen bereits nach ein wirklich humanes, in die Zukunft gerichtetes Verbüßung eines Drittels der Freiheitsstrafe deren strafrechtspolitisches Konzept nicht erkennen las- Rest zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Hier- sen. Wir werden daher dem Entwurf der Bundesre- bei darf die Dauer der Inhaftierung keine Rolle gierung nicht zustimmen. spielen; einziges Kriterium muß vielmehr die Frage sein, ob die Erprobung des Verurteilten außerhalb Vielleicht zu Anfang noch eine Zahl aus unserem des Strafvollzugs verantwortet werden kann, wie es Änderungsantrag, damit wir wissen, in welchem ja im übrigen § 57 in der derzeit geltenden Fassung Bereich wir uns bewegen. Bei der Bewährungshilfe vorsieht. - ist die Zahl der Probanden allein seit 1968 von 28 000 auf jetzt über 100 000 gestiegen, obwohl nur Ähnlich prognostischen Gesichtspunkten ent- etwa 10 % aller nach § 56 Abs. 1 und nur 30 % aller spricht auch unser Vorschlag, die Bewährungszeit nach § 56 Abs. 2 des Strafgesetzbuchs Verurteilten auf höchstens zwei Jahre zu begrenzen, wenn der einem Bewährungshelfer unterstellt wurden. In Strafrest ein Jahr nicht überschreitet, sowie die Ab- dem Zeitraum von 1971 bis 1981 ist die Zahl der kopplung der Hilfs- von der Kontrollfunktion des Inhaftierten trotz der Erweiterung der Möglichkei- Bewährungshelfers. Nicht Gängelung und Kontrol- ten der Aussetzung zur Bewährung um 29 % gestie- le, sondern Begleitung und Hilfe sollten nach unse- gen. rer Vorstellung die wichtige Arbeit der Bewäh- Zunächst noch etwas Positives. Wir begrüßen die rungshilfe bestimmen. Streichung der Rückfallvorschrift des § 48 StGB. Es (Beifall bei den GRÜNEN und der SPD) handelt sich bei dieser Vorschrift um eine beson- dere Fehlleistung des Gesetzgebers, die Blei einmal Unsere Anregungen hätten darüber hinaus einen als „so nützlich wie ein Hühnerauge" bezeichnete. Beitrag zum Abbau der horrenden Überbelastung Diese 1970 ins Strafgesetzbuch aufgenommene Vor- der Bewährungshelfer in der Bundesrepublik lei- schrift hat immer wieder zu Urteilen geführt, die sten können. mit dem Gebot des maßvollen Einsatzes staatlicher Ich möchte an dieser Stelle keine weiteren Aus- Strafe schlechterdings unvereinbar sind. Ich erin- führungen über die schwierige Situation der Be- nere an die beiden Fälle, die dem Bundesverfas- währungshelfer machen, da mir leider die Zeit fehlt. sungsgericht vorlagen, den Käse-Fall, in dem der Herr Kollege de With hat dazu einiges gesagt. Ich Schaden 79 Pfennige betrug, und das Fahren ohne will hier nur erwähnen, daß unser Vorschlag mit Fahrschein. In beiden Fällen betrug die Mindest- einem neuen Anhörungs-, Antrags- und Beschwer- strafe auf Grund einer schematischen Anwendung derecht des Bewährungshelfers in allen Fragen, die der Vorschrift des § 48 sechs Monate. Damit wird die Bewährung betreffen, dazu führen würde, die jetzt Schluß gemacht. Das begrüßen wir sehr. Anwaltsfunktion zugunsten des Probanden zu ver Die Streichung des § 48 sollte eigentlich ein erster stärken. Schritt sein, um den Umfang und die Intensität Zum Schluß noch einige Bemerkungen zu der Be- staatlichen Strafens langfristig drastisch zu redu- schlußempfehlung des Rechtsausschusses. Der Re- zieren. Hier vermissen wir in der Tat mutige, in die ferentenentwurf zur Änderung des Jugendgerichts- Zukunft weisende Schritte. Ich denke, es ist, wie ein gesetzes liegt seit 1983 vor. Allein aufgrund der ver- Fachmann geschrieben hat, ein Entwurf „auf klei- heerenden Stellungnahmen der Verbände und In- ner Flamme", obwohl ihm sehr intensive Beratun- itiativen sowie der Kriminologen und Juristen, die gen mehrer Justizministerkonferenzen vorausge- in diesem Bereich arbeiten, ist es bisher verhindert gangen sind. worden, daß die Bundesregierung ihre Politik der Meine lieben Kollegen, wir haben — wie auch Ausgrenzung gesellschaftlicher Minderheiten auch schon im Rechtsausschuß — versucht, durch unse- im Bereich der straffällig gewordenen Jugendlichen ren Änderungsantrag, der sich auf den Entwurf der ausdehnt. Ich nenne beispielsweise die Ausweitung SPD-Fraktion bezieht -- es handelt sich um die des Jugendarrests als einer in den 30er Jahren für 13758 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985

Mann im Prinzip gutartige Jugendliche eingeführten Inhalt, die Zahlen, die Daten und Fakten hinaus- Sanktion. Wer diese Ausweitung befürwortet, der geht. verstößt in eklatanter Weise gegen den Erziehungs- gedanken des Jugendgerichtsgesetzes. Meine Damen und Herren, der vorliegende Ent- wurf hat sich zum Ziel gesetzt, einen überaus Ich komme zum Schluß. Meine lieben Kollegin- schwierigen Konflikt zu lösen. Es stehen sich zwei nen und Kollegen, wir sind sehr einverstanden mit schwergewichtige Interessen gegenüber, die es der Frage an die Bundesregierung, ob sich das be- sachgerecht auszubalancieren gilt. Dies sind die In- stehende Sanktionensystem des Strafgesetzbuches teressen des Staates an der Durchsetzung seines und der Strafprozeßordnung bewährt hat. Wir wer- Strafanspruchs und die Interessen des Täters, noch den aller Voraussicht nach zum zehnjährigen Jubi- einmal eine Bewährungschance zu erhalten. Es läum des Strafvollzugsgesetzes eine Große Anfrage geht um die Frage, inwieweit der Staat auf die Voll- einbringen, um die bisherige Richtung bundesdeut- streckung von Freiheitsstrafen verzichten kann, scher Kriminalpolitik in Frage zu stellen. Wir wer- ohne die Effektivität der Strafrechtspflege zu ge- den versuchen, konkrete Alternativen insbesondere fährden, ohne der Bevölkerung das zu große Risiko im Jugendstrafrecht vorzuschlagen, die mit der aufzubürden, daß der auf Bewährung entlassene Aussonderung von Straffälligen Schluß machen Straffällige erneut Straftaten begeht, erneut Schä- und statt dessen eine partnerschaftliche Begleitung den an Individualrechtsgütern verursacht. in Freiheit ermöglichen. Vielen Dank. Es geht letztlich um das Verhältnis zwischen dem (Beifall bei den GRÜNEN) Straftäter und der Gesellschaft, zwischen Aktion und Reaktion, zwischen Strafe und Sühne, ein ural- ter Konflikt. Dieser Interessenkonflikt — das Vizepräsident Stücklen: Das Wort hat der Herr Ab- möchte ich an dieser Stelle noch einmal klarma- geordnete Beckmann. chen — ist kein Feld für einseitige Wertungen, für Experimente am lebenden Objekt und auch kein Beckmann (FDP): Herr Präsident! Meine Herren! Platz, an dem sich die Vorurteile die Hand reichen. Bevor ich auf einige grundsätzliche Gesichtspunkte Das Strafrecht dient dem Schutz des Bürgers, nicht des vorliegenden Gesetzentwurfs eingehe, möchte seiner Kontrolle. Nicht Sünde und Unmoral sollen ich zunächst einmal die Gelegenheit nutzen, dem bestraft werden, sondern Vergehen und Verbre- Bundesminister der Justiz, Herrn Hans Engelhard, chen. Der Vollzug einer Strafe soll nicht Vergeltung und auch den beteiligten Beamten seines Hauses sein, sondern dem Schutz der Gesellschaft dienen meinen Dank für die Mithilfe bei diesem Gesetzge- und — das ist für mich das überragende Ziel — die bungsvorhaben auszusprechen. Wiedereingliederung des Täters in die Gesellschaft (Zustimmung bei der CDU/CSU) ermöglichen. (Beifall bei der FDP) Wenn man die Vorgeschichte dieses Entwurfs Re- vue passieren läßt, so kann man ohne Übertreibung Hierbei, meine Damen und Herren, wollen wir ihm sagen, daß nicht zuletzt die Bemühungen des Bun- mit dem jetzt eingebrachten Gesetzentwurf helfen. desjustizministers und seiner Beamten das Zustan- Wir wollen ihm eine Brücke bauen, ihm noch ein- dekommen des Gesetzes ermöglicht haben. Insbe- mal die Möglichkeit einräumen, sich für das Recht, sondere die intensive Zusammenarbeit mit den für die Beachtung der gesellschaftlichen Regeln zu Landesjustizverwaltungen hat dazu geführt, daß die entscheiden. Länder bereits frühzeitig ihre Bedenken einbringen und die von dieser Seite unterbreiteten Vorschläge Wir wollen den Anwendungsbereich des Rechts- bereits im Anfangsstadium Berücksichtigung fin- instituts der Strafaussetzung zur Bewährung be- den konnten. hutsam ausweiten, um dem Straffälligen die Rück- Daß letztlich nicht alle Anregungen, die von den kehr zur Rechtsordnung zu ermöglichen. Dies ist Ländern gemacht worden waren, aufgegriffen wer- die grundlegende Zielsetzung unseres Vorhabens. den konnten, mag für das jeweils betroffene Land Wir wollen aber auch dem Gedanken der Strafaus- zwar schwer zu verkraften sein, liegt aber, wie ich setzung zur Bewährung mehr Rechnung tragen. meine, im Wesen eines Kompromisses. Hier gilt es Wir wollen dem Täter die Gelegenheit bieten, sich nun auf beiden Seiten, zurückzustecken und das in durch sein straffreies Verhalten nach der Verurtei- der gegebenen Situation Machbare durchzusetzen. lung den Straferlaß sozusagen zu verdienen, und das meinen wir ernst. Der Straffällige muß mitar- Im Augenblick stellt der hier gefundene Kompro- beiten, er muß seine Mithilfe anbieten und durch miß das dar, was politisch machbar, aus meiner Taten zu erkennen geben, daß er auf den Boden der Sicht aber auch rechtsethisch noch vertretbar ist. Rechtsordnung zurückgekehrt ist. Es handelt sich eben um einen ausgewogenen Kom- promiß. Meine Damen und Herren, dies ist ein einmaliges Diese Betrachtung führt mich zum Kern meines Angebot der Gesellschaft an den Verurteilten. Es Anliegens. Ich möchte nicht noch einmal auf die liegt nun ganz bei ihm, ob er dieses Angebot an- einzelnen Regelungen des Entwurfs eingehen. Ich nimmt oder ausschlägt. Wir können ihm dabei nur denke, dies ist insbesondere durch meinen Kollegen Hilfestellung leisten, sich im wahrsten Sinne des Seesing zur Genüge geschehen. Ich will vielmehr Wortes zu bewähren. Der Verurteilte selbst ist für Ihren Blick einmal auf das Grundsätzliche lenken, sein Schicksal innerhalb der staatlichen Gemein- auf etwas, was über die reine Diskussion um den schaft verantwortlich. Wir können nur den äußeren Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13759

Beckmann Rahmen schaffen. Ihn auszufüllen und zum Ziel zu nen Kriminalpolitik bewährt. Es liegt daher nahe, führen bleibt dem Betroffenen selbst vorbehalten. es behutsam und überlegt auszuweiten und den Ge- (Bohl [CDU/CSU]: So ist es!) gebenheiten anzupassen. Ich bin sicher, daß dies unter Mithilfe aller Beteilig- Ich bin im übrigen, Herr Kollege de With, mit ten gelingen kann. Ihnen und anderen Kollegen natürlich völlig darin einig, daß dem Jugendstrafrecht dabei eine Vorrei- Darüber dürfen wir aber auch nicht vergessen, terrolle zukommt. Darin besteht völlige Einigkeit. daß die Bewährungshilfe die Grenzen ihrer Belast- barkeit erreicht hat. Wir müssen erkennen, daß die (Dr. de With [SPD]: Jetzt ist es verkehrt!) Beamten und Angestellten in diesem Bereich be- Aber weil hier zahlreiche Anmerkungen über das reits jetzt mit ihren Aufgaben mehr als überlastet Schicksal des Referentenentwurfes meines Hauses sind. Wäre hier ein nicht über das normale Maß zum Jugendgerichtsgesetz gemacht wurden, will ich weit hinausgehendes Engagement der Sozialarbei- dazu doch einige wenige Worte sagen. Tatsache ist, ter, der Polizeibeamten, der Vollzugsbediensteten daß damit neue Kosten auf die Länder zukommen. und der sonstigen an der Resozialisierung beteilig- (Dr. de With [SPD]: Das ist klar!) ten Bürger vorhanden, wäre die Bewährungshilfe in Der Bundesfinanzminister hat das größte Interesse ihrer jetzigen Form schon längst nicht mehr auf- daran, zunächst auch über diese Kosten einen ge- rechtzuerhalten. wissen Überblick zu gewinnen. Deswegen sind die (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Länder aufgefordert worden, einmal eine Hochrech- Wir hoffen nun, daß es in absehbarer Zeit den Lan- nung dieser Kosten vorzunehmen — mit dem Er- desjustizverwaltungen unter Mithilfe des Bundes- gebnis, daß dies dort auf nicht unbeträchtliche justizministers gelingt, hier Lösungsmöglichkeiten Schwierigkeiten stößt und wir es ungemein schwer zu erarbeiten und im Rahmen des finanziell Mach- haben, jene Zahlen, die selbst zu errechnen wir baren alles zu tun, damit hier Abhilfe geschaffen nicht in der Lage sind, zu besorgen. werden kann. Zum Schluß, meine Herren, möchte ich noch ein- Vizepräsident Stücklen: Herr Bundesminister, ge- - mal zum Ausdruck bringen, daß meine Fraktion statten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeord- diesen in unseren Augen sehr ausgewogenen Kom- neten de With? promiß als Beitrag zu einer behutsamen Rechts- fortentwicklung begrüßt. Gerade in diesem so sen- Engelhard, Bundesminister der Justiz: Ja, bitte. siblen Bereich, in dem es um die Reaktion des Staa- tes auf strafbares Verhalten geht, sehen wir unse- Vizepräsident Stücklen: Bitte sehr. ren Grundsatz gewahrt, daß neues Recht am Aller- notwendigsten zu orientieren ist. Dr. de With (SPD): Herr Minister, wäre der Augen- (Dr. de With [SPD]: Vor 180 Jahren waren blick nicht günstig, durch eine Ausdehnung der die Liberalen liberaler!) Strafaussetzung zur Bewährung und die damit ge- Wir sehen den Grundsatz gewahrt, Herr Kollege wonnenen Kosten gewissermaßen das zu verrech- de With, daß die von der Gesellschaft erzwungene nen, was das Jugendgerichtsgesetz an Mehrkosten Sühne für das begangene Unrecht nicht durch das bringt, und so die Länderfinanzminister und -sena- Erdulden einer Strafe, sondern auch durch eigene, toren zu überzeugen? positive Leistungen des Täters erbracht werden kann. Engelhard, Bundesminister der Justiz: Herr Kol- (Zustimmung des Abg. Seesing [CDU/ lege de With, Ihr Vorschlag liegt etwa auf jener CSU]) Linie, die dahingeht, in kostensparender Weise hier etwas zu bewegen. Nur werden Sie gerade beim Wir sind uns aber auch im klaren, daß dies nicht Jugendgerichtsgesetz sehen müssen, daß der Ge- der Endpunkt der Entwicklung im Strafrecht und danke des Einstiegsarrestes, der dem Betroffenen im Strafvollzugsrecht sein kann. Wir müssen ab- ein deutliches Zeichen setzt, es ihm aber gleichzei- warten, wie sich die hier vorgeschlagenen Regelun- tig ersparen soll, auf längere Zeit in Jugendstraf- gen in der Praxis bewähren. Erst wenn hierüber vollzug zu kommen, natürlich Mittel erfordert. Erkenntnisse vorliegen, kann man darüber reden, ob ein weiterer Ausbau der Strafaussetzung zur Be- Man wird aber umgekehrt auf jenen Einstiegsar- währung befürwortet werden kann. rest nicht ohne weiteres verzichten können, wenn man es sich nicht so einfach machen will wie die Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. GRÜNEN, die hier von partnerschaftlicher Zusam- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) menarbeit und ähnlichen Dingen erzählt haben, was ganz sicherlich bei dem ernsten Problem der Kriminalität, auch der Jugendkriminalität, von ei- Vizepräsident Stücklen: Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister der Justiz. nem gewissen Edelmut zeugen mag, im Ergebnis aber genau dies nicht bringen wird: einem jungen Menschen, der einen schweren Fehler begangen Engelhard, Bundesminister der Justiz: Herr Präsi- hat, den Ernst der Lage deutlich zu machen, auch dent! Meine Damen und Herren! Die Strafausset- wenn man bereit ist, sich ihm aufgeschlossener zu zung zur Bewährung hat sich in den vergangenen nähern als einem alten Knastbruder, einem auch Jahrzehnten als ein wirksames Mittel einer moder- nach Lebensjahren alten Knastbruder. 13760 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985

Bundesminister Engelhard Das ist meines Erachtens das Wesentliche. Des- eine Problematik, die nicht nur draußen von nie- wegen bejahe ich speziell die Vorreiterrolle im Ju- mand verstanden werden würde, sondern die ja gendstrafrecht. Wir werden weiter bemüht sein, auch dazu führt, daß Schwerkriminalität, wo der trotz aller Schwierigkeiten hier die Hürden zu be- Täter, was seine Zukunft angeht, einen günstigen seitigen, um weiterzukommen. Eindruck macht, mit Strafaussetzung zur Bewäh- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) rung bedacht wird. Ich sage Ihnen, es geht so nicht, auch unter allen Beschwörungen des Bamberger Meine Damen und Herren, zum vorliegenden Landrechts, Herr Kollege de With, mit Anselm von Entwurf: Täter, die zu nicht mehr als zwei Jahren Feuerbach und Ihrer Parallele, die Sie hier gezogen Freiheitsstrafe verurteilt worden sind und sich haben, verbunden mit dem Appell an meine Groß- erstmals im Strafvollzug befinden, sollen häufiger zügigkeit und Aufgeschlossenheit; dies hat ja nun als bisher damit rechnen können, bereits nach Ver- wirklich gehinkt. Denn ich sage Ihnen eines. Aus büßung der Hälfte ihrer Strafe bedingt entlassen zu sehr wohlerwogenen Gründen von Gerichten ver- werden. Dies ist ein Fortschritt. Herr Mann, Sie hängte Freiheitsstrafen von über zwei Jahren nicht haben in Ihrem Beitrag eine unzutreffende Wer- zur Bewährung auszusetzen, hat natürlich mit Fol- tung gegeben. ter nichts zu tun. Voraussetzung für eine Aussetzung des Strafre- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) stes muß allerdings auch weiterhin sein, daß dem Das war auch allen Zuhörern hier ganz offensicht- Verurteilten eine gute Sozialprognose gestellt wer- lich. So hinkt Ihr Beispiel in so beträchtlichem den kann. Diese Regelung soll eine maßvolle Erwei- Maße, daß es nicht dazu dienen kann, hier etwas zu terung des geltenden Rechts sein. Sie läßt sich ei- bewegen. nerseits von folgender Erwägung leiten: Wer sich erstmals im Strafvollzug befindet, spürt dessen Wir- kung in der Regel besonders nachhaltig. Ein ver- Vizepräsident Stücklen: Gestatten Sie eine weitere gleichsweise kurzer Freiheitsentzug und die an- Zwischenfrage? schließende Betreuung durch einen Bewährungs- heifer können daher hier in besonderem Maße gün- Engelhard, Bundesminister der Justiz:- Ja, bitte. stig und spezialpräventiv wirken. Andererseits sollten wir uns aber auch der Dr. de With (SPD): Sind Sie bereit, Herr Minister, Grenze bewußt sein, die bei einer Strafaussetzung zur Kenntnis zu nehmen, daß es in erster Linie um unter generalpräventiven Gesichtspunkten gezogen den Strafbereich zwischen einem und zwei Jahren sein muß. So darf niemand den Eindruck erhalten, und nur in Ausnahmefällen um den Strafbereich als Ersttäter schwerwiegende Delikte begehen zu zwischen zwei und drei Jahren geht und daß es in können, ohne überhaupt mit einem längeren Straf- meinem Beispiel von Anselm von Feuerbach, das vollzug rechnen zu müssen. Radbruch beschrieben hat, darum ging, daß der da- Wir wollen uns dies an einem Beispiel näher an- malige Fürst zugestimmt hat, obwohl die Konserva- schauen. Nach der Strafzumessungspraxis der Ge- tiven nein sagten, und daß seine Zustimmung rich- richte werden Freiheitsstrafen von mehr als zwei tig und dann richtungsweisend war. Nur das war Jahren, nach dem Regierungsentwurf die Ober- das Beispiel. grenze für die Strafaussetzung zur Bewährung, in aller Regel nur bei ganz erheblichen Straftaten ver- Engelhard, Bundesminister der Justiz: Ich glaube, hängt. Im Jahre 1983 sind wegen des Delikts des daß die Parallele auch nicht dadurch besser wird, Einbruchsdiebstahls in der Bundesrepublik daß jetzt die Konservativen hier mit ins Gespräch Deutschland 16 478 Verurteilungen erfolgt. Dabei gebracht werden. ist nur in 853 Fällen, also so rund um die 5%, Frei- (Dr. de With [SPD]: Das war schon in mei heitsstrafe von mehr als zwei Jahren verhängt wor- ner Rede drin!) den. Daran sieht man, daß selbst bei dem schon sei- ner Natur nach ja nicht im Bagatellbereich angesie- Wir, Herr Kollege de With, nicht nur wir beide, son delten Delikt des mit erheblicher und nachhaltiger dern alle hier Versammelten, sind gegen die Folter Kriminalität verübten Einbruchsdiebstahls offen- (Dr. de With [SPD]: Das ist unbestritten!) sichtlich nur in den schwersten Fällen, wo jemand und gegen vieles andere. Dementsprechend ist un- ja auch bereits vielfach vorbestraft sein mag, Frei- ser Rechtssystem in der Bundesrepublik Deutsch- heitsstrafe von mehr als zwei Jahren verhängt wird. land gestaltet als ein humanes System. Jetzt auch diese Fälle mit einer großzügigen Aus- nahmeregelung zu erfassen, würde allen general- (Dr. de With [SPD]: Das ist nicht das The präventiven Gesichtspunkten ins Gesicht schlagen. ma!) Aber es ist so, daß man in der Auseinandersetzung, (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — wie und wo wir zugreifen sollten, verschiedene Mei- Dr. de With [SPD]: Der Punkt ist: zwischen nungen haben kann und daß man kein Reaktionär, ein und zwei Jahren und nicht über zwei ja nicht einmal ein Konservativer zu sein braucht, Jahre!) um der Auffassung zu sein, daß die Einstellung in Wenn Sie in Ihrem Entwurf — ich habe das auf- besonderen Fällen Gnade vor Recht ergehen zu las- merksam verfolgt — darauf abzielen, bei günstiger sen, ihre Grenzen hat, jenseits deren das System Sozialprognose bei Freiheitsstrafen von bis zu drei unserer Strafen Anwendung finden muß, um deut- Jahren Strafaussetzung zu gewähren, so ist dies lich zu machen, daß der Tat die Strafe auf dem Fuß Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13761

Bundesminister Engelhard folgt, so großzügig wir im einzelnen Fall auch sein schriftlich vorgelegt hätten, hätten wir so verfah- mögen. ren. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Dr. de With [SPD]: Herr Präsident, ich Ich erwähne als letzten Punkt, daß es bei der habe das Ihren Beamten vor zwei Stunden angespannten Arbeitsmarktlage manchem Verur- schriftlich ...!) teilten nicht möglich ist, eine Geldstrafe zu bezah- — Also erstens: Die Meldungen gehen nicht an den len, so daß er die Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen Beamten — der ist nur in zweiter Linie verantwort- müßte. Jetzt kann der betroffene Personenkreis da- lich —, sondern an den Schriftführer zu meiner mit rechnen und davon ausgehen, daß auch der Ar- rechten Seite. beitslose die Möglichkeit erhält, die Vollstreckung (Dr. de With [SPD]: Ich wollte die Aufmerk einer Ersatzfreiheitsstrafe durch Leistung freier ge- samkeit der Schriftführer nicht stehlen!) meinnütziger Arbeit abzuwenden, ohne Gefahr zu laufen, seine Ansprüche aus der Arbeitslosenversi- — Wenn ich aufmerksam bin, genügt das. cherung zu verlieren. Das ist ein vernünftiger Weg (Heiterkeit — Dr. de With [SPD]: Dann gerade in unserer Zeit, den wir hier gehen. stelle ich hier den Antrag! Es gibt ein Pro Ich bitte Sie, den Empfehlungen des Rechtsaus- tokoll! Vielleicht ist das dann klar!) schusses Ihre Zustimmung zu geben. — Also, wie möchten Sie abstimmen? Nennen Sie (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) noch einmal den ersten Punkt! (Dr. de With [SPD]: Getrennte Abstim Vizepräsident Stücklen: Weitere Wortmeldungen mung über Art. 1 Ziffer 5!) liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. — Stop! Stop! Wir kommen zuerst zur Einzelberatung und Ab- (Dr. de With [SPD]: Art 1 Ziffer 5!) stimmung, über den Tagesordnungspunkt 4 a. Zu dem von der Fraktion der SPD eingebrachten Ge- — Art. 1 Ziffer 5. Sie wollen es jetzt getrennt ha- setzentwurf auf Drucksache 10/1116 liegt ein Ände- ben? - rungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Druck- (Dr. de With [SPD]: Ich sage, worüber wir sache 10/4431 vor. Ich lasse zunächst über diesen getrennt abstimmen müssen!) Änderungsantrag abstimmen. — Aber eines nach dem anderen! Gut. Also jetzt Wer dem Änderungsantrag der Fraktion DIE stimmen wir ab über den Art. 1. GRÜNEN zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? (Dr. de With [SPD]: Ziffer 5!) — Bei drei Enthaltungen ist dieser Antrag abge- — Ziffer 5. lehnt. (Mann [GRÜNE]: Ziffer 1 erstmal!) Der Ausschuß empfiehlt in seiner Beschlußemp- fehlung auf Drucksache 10/4191 unter Nr. 2, den Ge- — Art. 1 Ziffer 1? setzentwurf der Fraktion der SPD abzulehnen. (Vogel [München] [GRÜNE]: Da hatten wir Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Ab- einen Antrag gestellt!) stimmung über den Tagesordnungspunkt 4 b, und Die Beschlußempfehlung — Nummer 2 — haben zwar zu dem von der Bundesregierung eingebrach- wir noch nicht aufgerufen. ten Gesetzentwurf auf Drucksache 10/2720. Ich rufe (Dr. de With [SPD]: Die Beschlußempfeh die Art. 1 bis 9, Einleitung und Überschrift in der lung nicht!) Ausschußordnung auf. Wer den aufgerufenen Vor- schriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um — Nein. Also dann stimmen wir erst mal ab über ein Handzeichen. — Art. 1 Ziffer 5. (Dr. de With [SPD]: Art. 1 Ziffer 1 bis 4!) (Dr. de With [SPD]: Ja!) Bitte? — Gut. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte (Dr. de With [SPD]: Herr Präsident, ich ich um ein Handzeichen. — hatte gebeten, anders abzustimmen, und (Bohl [CDU/CSU]: Langsam! Worüber stim zwar so, daß zunächst abgestimmt wird men wir denn ab?) über Art. 1 Ziffer 1 bis 4 und dann über Art. 1 Ziffer 6 und dann getrennt über Zif — Bitte? fer 7 und dann wieder getrennt über Art. 2! (Unruhe bei der CDU/CSU) — Pfeffermann [CDU/CSU]: Können wir — Also, Herr Abgeordneter de With, hier ist in der das nicht schriftlich haben?) Verfahrensfrage nicht nach der Geschäftsordnung — Moment! Einen Augenblick, Herr Pfeffermann! verfahren worden. Wir sollten längst in die Mittags- pause eingetreten sein. Aus diesem Grund werde (Dr. de With [SPD]: Ich habe das den Be- ich jetzt die Abstimmung nicht mehr fortführen. amten der Verwaltung rechtzeitig gesagt!) Legen Sie Ihre Wünsche vor. Wir werden sie selbst- — Diesen Antrag hätten Sie mir schriftlich vorle- verständlich in vollem Umfang respektieren. Wir gen können. Dann hätten wir so verfahren, Herr stimmen dann unmittelbar nach der Mittagspause Abgeordneter de With. Wenn Sie den Antrag ab. 13762 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985

Vizepräsident Stücklen Wir treten in die Mittagspause ein. Wir fahren um Gemeinschaft zur Europäischen Union 14.30 Uhr fort. Ich unterbreche die Sitzung. durch den Europäischen Rat in Mailand (Unterbrechung von 13.45 bis 14.30 Uhr) am 29./30. Juni 1985 — Drucksachen 10/3420, 10/4088 — Berichterstatter: Vizepräsident Stücklen: Die unterbrochene Sit- Abgeordnete Dr. Wulff zung ist wieder eröffnet. Brück Die vor der Mittagspause nicht mehr erledigte Ertl Abstimmung zu den Tagesordnungspunkten 4 a c) Beratung der Unterrichtung durch das und b werden wir nach Tagesordnungspunkt 5 Europäische Parlament durchführen. Entschließung zur Regierungskonferenz (Mann [GRÜNE]: Nein, das können wir nicht machen, Herr Präsident!) — Drucksache 10/4068 — — Meine Damen und Herren, melden Sie Ihre Wün- Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: sche rechtzeitig an; dann werden sie auch rechtzei- Auswärtiger Ausschuß (federführend) tig ordnungsgemäß erledigt. Haushaltsausschuß (Mann [GRÜNE]: Wir hatten sie angemel d) Beratung der Unterrichtung durch das det! — Dr. de With [SPD]: Wir hatten sie Europäische Parlament rechtzeitig angemeldet!) Entschließung zu den Arbeiten der Regie- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll rungskonferenz über die Europäische die Tagesordnung erweitert werden um die Bera- Union tung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und — Drucksache 10/4189 — FDP „Ergebnis des Europäischen Rates in Luxem- burg am 2./3. Dezember 1985" — Drucksache Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: - 10/4474 —. Der Antrag soll zur federführenden Be- Auswärtiger Ausschuß (federführend) ratung an den Auswärtigen Ausschuß und zur Mit- Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit beratung an den Innenausschuß, den Finanzaus- Haushaltsausschuß schuß, den Ausschuß für Wirtschaft und an den e) Beratung des Achten Berichts und Emp- Ausschuß für Forschung und Technologie überwie- fehlung der Europa-Kommission zur Er- sen werden. Es ist vorgesehen, den Zusatzpunkt in weiterung der Befugnisse des Europäi- verbundener Debatte mit Punkt 5 der Tagesord- schen Parlaments nung aufzurufen. Ist das Haus damit einverstan- den? — Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so — Drucksache 10/4087 — beschlossen. Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Auswärtiger Ausschuß (federführend) Finanzausschuß Haushaltsausschuß Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 f so- wie die Zusatztagesordnungspunkte 2 und 3 und f) Beratung der Beschlußempfehlung und den soeben verlesenen weiteren Zusatzpunkt auf: des Berichts des Ausschusses für Verkehr 5. a) Zweite Beratung und Schlußabstimmung (14. Ausschuß) zu der Unterrichtung des von der Bundesregierung eingebrach- durch das Europäische Parlament ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Be- Entschließung zum Abschluß des Verfah- schluß des Rates der Europäischen Ge- rens der Konsultationen des Europäi- meinschaften vom 7. Mai 1985 über das schen Parlaments zu dem Vorschlag der System der eigenen Mittel der Gemein- Kommission der Europäischen Gemein- schaften schaften an den Rat für eine Verordnung zur Änderung der Verordnung (EWG) — Drucksachen 10/3791, 10/4053 — Nr. 543/69 über die Harmonisierung be- Beschlußempfehlung und Bericht des stimmter Sozialvorschriften im Straßen- Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) verkehr und der Verordnung (EWG) Nr. 1463/70 über die Einführung eines — Drucksache 10/4185 — Kontrollgeräts im Straßenverkehr Berichterstatter: — Drucksachen 10/3315, 10/4383 — Abgeordnete Esters Borchert Berichterstatter: Abgeordneter Curdt (Erste Beratung 156. Sitzung) b) Beratung der Beschlußempfehlung des Zusatzpunkt 2: Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuß) zum Sechsten Bericht und Empfehlung Abgabe einer Erklärung der Bundesregie- der Europa-Kommission zur Frage der rung Einsetzung einer Regierungskonferenz Europäischer Rat am 2. und 3. Dezember zur Fortentwicklung der Europäischen 1985 in Luxemburg Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13763

Vizepräsident Stücklen Zusatzpunkt 3: Die Bundesregierung kann für sich in Anspruch nehmen, entscheidend zu diesem Erfolg beigetra- Beratung des Antrags der Fraktion der SPD gen zu haben. Europäischer Rat am 2./3. Dezember 1985 in Luxemburg (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) — Drucksache 10/4433 — Wir haben in Mailand nicht nur die Weichen für die Überweisungsvorschlag: Regierungskonferenz gestellt, die für die Luxem- Auswärtiger Ausschuß (federführend) burger Beratungen beachtliche Vorarbeit geleistet Innenausschuß hat, sondern wir haben auch das jetzt vorliegende Finanzausschuß Paket von Reformmaßnahmen ganz wesentlich mit Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Forschung und Technologie gestaltet. Das heißt: Die europapolitische Bilanz dieser Bundesregierung ist eindeutig positiv. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDP (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ergebnis des Europäischen Rates in Luxem- Diese Politik ist realistisch, sie ist von der Bereit- burg am 2./3. Dezember 1985 schaft zum Ausgleich, aber auch von dem Willen — Drucksache 10/4474 — getragen, deutsche Interessen — selbstverständlich Zu Tagesordnungspunkt 5 a liegt ein Entschlie- im Rahmen unserer europäischen Verantwortung ßungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache — wahrzunehmen. 10/4434 vor. Wir haben auch auf diesem Felde ein schwieriges Meine Damen und Herren, nach einer Vereinba- Erbe übernommen, das wir bis in die jüngste Zeit in rung im Ältestenrat sind eine gemeinsame Bera- zwei Kernbereichen europäischer Politik zu spüren tung der Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 f sowie der bekamen: in der Agrarpolitik und im Haushalt der Zusatztagesordnungspunkte 2 und 3 und des weite- Gemeinschaft. ren Zusatzpunktes und eine Aussprache von drei (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Stunden vorgesehen. Ist das Haus damit einver- standen? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Hätten diejenigen, die heute nach einer durchgrei-- Es ist so beschlossen. fenden Reform der Agrarpolitik rufen, bereits frü- her Maßnahmen eingeleitet, wären uns viele Pro- Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung bleme und den Betroffenen mit Sicherheit manche hat der Herr Bundeskanzler. Härte erspart geblieben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Kohl, Bundeskanzler: Herr Präsident! Meine Es war diese Bundesregierung, die die drängend- sehr verehrten Damen und Herren! Die europäi- sten Probleme auf dem Europäischen Rat in Stutt- schen Staats- und Regierungschefs haben am gart gebündelt und die Verhandlungen in Gang ge- 2. und 3. Dezember in Luxemburg ein Vertragswerk setzt hat, die dann im Juni 1984 in Fontainebleau beschlossen, das die politische und institutionelle erfolgreich abgeschlossen werden konnten: Durch ein wesentli- Weiterentwicklung der Gemeinschaft die Begrenzung der Agrarpreisgarantie haben wir ches Stück voranbringen wird. den Zusammenbruch der Marktordnungen verhin- Vorausgegangen sind wieder einmal sehr schwie- dert. Wir haben damit gleichzeitig einen Kosten- rige, sehr zähflüssige Verhandlungen von fast block reduziert, der den Haushalt der Gemeinschaft 30stündiger Dauer in diesen beiden Tagen. Erneut in eine nicht mehr finanzierbare Höhe getrieben wurde die Erfahrung bestätigt, daß eben nur kleine hatte. Schritte in die Zukunft möglich sind. Aber dieser manchmal sehr mühsame Prozeß ist unverzichtbar, Wir haben die Haushaltsungleichgewichte, die wenn wir auf dem Wege zur europäischen Integra- nicht nur Großbritannien, sondern auch uns selbst betrafen, korrigiert und damit ein Problem gelöst, tion vorankommen wollen, und ich füge hinzu, es gibt keine wirkliche Alternative zu dieser Politik. das die Gemeinschaft über viele Jahre hinweg ge- lähmt hat. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir haben auf Regeln für die Haushaltsdisziplin Wir haben in wichtigen Bereichen Fortschritte gedrängt, die uns in Zukunft vor einer weiteren erzielt, die weit in die Zukunft weisen. Die Ver- Ausuferung der Kosten, vor allem der Agrarkosten, tragstexte, über die wir uns in Luxemburg inhalt- bewahren soll. lich geeinigt haben, werden von den Außenmini- stern im nächsten Rat am 16. und 17. Dezember Wir haben schließlich, meine Damen und Herren endgültig fertiggestellt. Wir werden als Bundesre- — das möchte ich wenige Tage vor dem 1. Januar, gierung darauf drängen, daß dann bald unterzeich- dem Tag des förmlichen Beitritts von Spanien und net wird, und die Verträge unverzüglich den gesetz- Portugal noch einmal herausstellen —, die Ver- gebenden Körperschaften Bundestag und Bundes- handlungen durch die Koppelung der Erhöhung rat zuleiten. Bis zur Unterzeichnung, so hoffen wir, der Eigenmittel an die Erweiterung zum Erfolg ge- werden auch diejenigen Mitgliedstaaten, die jetzt führt. Ich bin für diese Strategie viel kritisiert wor- noch aus sehr unterschiedlichen Gründen Vorbe- den. Ich möchte heute einmal mehr die Behauptung halte eingelegt haben, ihre endgültige Zustimmung aufstellen, daß der Beitritt, der von uns allen ge- geben können. wünschte Beitritt von Spanien und Portugal zum 13764 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985

Bundeskanzler Dr. Kohl 1. Januar 1986 ohne dieses Junktim nicht möglich bewältigen zu können. Das ist ein ganz wesentli- gewesen wäre. cher Fortschritt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Lassen Sie mich dazu ganz offen bekennen: Er wird bei allem Verdruß, daß nicht noch mehr er- In Stuttgart haben wir die Feierliche Deklaration reicht werden konnte, auch nicht dadurch geschmä- zur Europäischen Union verabschiedet. Sie ging auf lert, daß Ausnahmen zugelassen werden mußten. eine sehr verdienstvolle Initiative des Kollegen Wer den Weg Europas durch die Jahrhunderte Genscher und seines damaligen italienischen Kolle- kennt, die besondere Situation der einzelnen Völ- gen Colombo zurück. ker, wer sich erinnert, daß wir in diesem Jahr den (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) 40. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs be- gangen haben, der wird verstehen, ja der muß ver- Auf meinen Vorschlag hin hat sich der Mailänder stehen, daß über viele Jahrzehnte, sogar über Jahr- Gipfel vorrangig mit der Frage befaßt, welche politi- hunderte gewachsene Strukturen nicht über Nacht schen und institutionellen Maßnahmen erforderlich beseitigt werden können und daß nicht in allen Fäl- sind, um diesem Ziel näherzukommen. Denn, meine len die Mehrheitsentscheidung durchsetzbar war Damen und Herren, die Europäische Union darf oder auch von uns — das muß ich fairerweise gleich nach unserem Willen keine leere Hülse bleiben, sie hinzufügen — gewollt war. Das gilt beispielsweise muß mit politischem Leben erfüllt werden. für das völlig unterschiedliche Steuer- und Sozialsy- Auf Grund der politischen Vorgaben des Mailän- stem in den einzelnen Ländern der Europäischen der Gipfels hat die Regierungskonferenz ihre Ar- Gemeinschaft. Für uns selbst war es wichtig durch- beiten Anfang September aufgenommen. Wir haben zusetzen — um ein wichtiges Beispiel zu nennen —, uns in Luxemburg auf die wichtigsten Kernfragen daß die Grundsätze der Berufsordnung — denken konzentriert. Für die Bundesregierung standen da- Sie an die Handwerksordnung — auch weiterhin bei der Binnenmarkt, die Erweiterung der Befug- unserem Votum mit unterliegen müssen. nisse des Europäischen Parlaments und der Ver- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) trag über außenpolitische Zusammenarbeit im Vor- dergrund. Daneben spielten auch wichtige neue Po- Wir sind mit Nachdruck für eine Bestimmung litikbereiche eine Rolle, z. B. Forschung und Tech- eingetreten, die die Kommission verpflichtet, bei ih- nologie sowie Umweltfragen. Andere Mitgliedstaa- ren Harmonisierungsinitiativen im Bereich von ten haben zudem darauf gedrängt, auch ein Kapitel Umwelt, Gesundheit, Sicherheit, Arbeits- und Ver- über die „Kohäsion" und Währungsfragen in das braucherschutz hohe Standards zugrunde zu legen. Vertragswerk aufzunehmen. Aber ich füge gleichzeitig hinzu — auch im Blick auf die Diskussion in den deutschen Parteien, nicht Der schwierigste Teil — das war zu erwarten — zuletzt in meiner eigenen Partei —: Wer erwartet, vor und während der Tagung in Luxemburg betraf daß in Europa nur die deutschen Standards zum die Änderungen des EWG-Vertrages. Sie wissen, Maß aller Dinge werden, der wird Europa nicht daß sich einige Regierungen zunächst überhaupt schaffen. Wir müssen alle kompromißbereit sein, gegen Vertragsänderungen gesträubt haben; ich er- um auf diesem Weg weiterzukommen. innere an die Debatte in diesem Haus nach dem Mailänder Gipfel. Die Bundesregierung, vor allem (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ich selbst, hat jedoch von Anfang an die Auffassung Wir werden jetzt darauf drängen, daß die Umset- vertreten, daß eine lediglich politische Beschlußfas- zung der im Weißbuch der Kommission enthalte- sung die anstehenden Probleme nicht dauerhaft lö- nen Vorschläge — es sind nahezu 300 an der Zahl sen kann. Ich begrüße es daher sehr, daß wir uns — vorankommt. Vor allem die bereits im EWG-Ver- schließlich darauf verständigen konnten, die not- trag von 1957 verankerten vier Grundfreiheiten — wendigen Schritte im Blick auf eine Reform in der freie Personen- und Warenverkehr, der freie rechtsverbindlichen Texten festzuschreiben. Dienstleistungs- und Kapitalverkehr — müssen ge- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) währleistet werden. Das wird von allen Flexibilität verlangen, aber gleichzeitig die Gemeinschaft um Vor allem die Einigung auf ein Kapitel über den eine ganz entscheidende Dimension bereichern. Binnenmarkt, die erst nach einer zähen Diskussion erreicht wurde, stellt einen wichtigen Schritt nach Ich weiß, auch hierzulande gibt es Stimmen, die vorne dar. Wir hatten uns zwar schon in Mailand ängstlich vor zuviel Dynamik warnen. Wir sollten darauf verständigt, den europäischen Binnenmarkt statt dessen mehr Vertrauen in die Anpassungsfä- bis 1992 zu vollenden. Das wäre bei der Fülle der higkeit, in die Dynamik nicht nur der deutschen, Vorhaben, die die Kommission in ihrem Weißbuch sondern auch der europäischen Wirtschaft über- dazu aufführt, mit dem bisher geltenden Abstim- haupt haben. Sorgen, so meine ich, brauchen sich mungsverfahren im Rat auf keinen Fall zu schaffen höchstens jene zu machen, die sich nur deshalb hin- gewesen. Die entscheidenden Elemente des in Lu- ter eingefahrenen Regelungen verschanzen, weil xemburg erreichten Kompromisses sind die Festle- sie den frischen Wind des Wettbewerbs scheuen. gung eines Termins — es ist der 31. Dezember 1992 Allen, nicht zuletzt unserer eigenen Wirtschaft, — für die Vollendung des Binnenmarkts und die hat der Gemeinsame Markt — das möchte ich doch Einführung der qualifizierten Mehrheit für die sagen — überwiegend Vorteile gebracht. Fast 50% Herstellung der vier Grundfreiheiten im Binnen- der deutschen Industrieausfuhren gehen in die markt. Wir haben damit die rechtlichen Vorausset- Länder der Europäischen Gemeinschaft. Dieser zungen geschaffen, um diese Aufgabe überhaupt Prozentsatz wird sich in wenigen Wochen mit dem Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13765

Bundeskanzler Dr. Kohl Beitritt von Spanien und Portugal — nach allem, deten Umweltkapitel zu. Wir haben von Anfang an was man berechnen kann — auf 60 erhöhen. ein solches Kapitel befürwortet und sind dafür ein- getreten, um die Umweltpolitik als Gemeinschafts- Wir haben in Luxemburg eine — nicht zuletzt für aufgabe zu unterstreichen und eine gesicherte uns — sehr schwierige Diskussion über die soge- Rechtsgrundlage für gemeinsame Aktionen zu nannte Kohäsion geführt. Hinter diesem neuen schaffen. Die Tatsache, daß die Verhandlungen zu Schlagwort verbirgt sich mancherlei, was für uns diesen Vertragsergänzungen unproblematisch ver- voller Probleme ist. Mit ihm soll die Verpflichtung liefen, belegt, wie sehr sich auch im Bereich der auf die Solidarität innerhalb der Gemeinschaft un- Europäischen Gemeinschaft erfreulicherweise das terstrichen werden. Ich sage klar und deutlich, daß Umweltbewußtsein verändert — ich möchte sagen: die Bundesregierung selbstverständlich zu diesem verbessert — hat. Prinzip der Solidarität steht. Wir haben durch unse- ren materiellen und finanziellen Beitrag zur Ge- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) meinschaft als Bundesrepublik Deutschland immer Wer die Erfahrungen bei der Einführung eines wieder bewiesen, daß wir das Ziel einer harmoni- umweltfreundlichen Autos mit all den Normen, all schen Wirtschaftsentwicklung in der gesamten Ge- dem Streit und den Auseinandersetzungen, die ja meinschaft nachhaltig unterstützen. Ich denke, dies nicht lange zurückliegen, noch in Erinnerung hat, ist eine Feststellung, die von allen Seiten des Hau- konnte nur aufs höchste erfreut sein, daß das, was ses geteilt wird. Ich erinnere in diesem Zusammen- jetzt überlegt, diskutiert und sicher auch ermöglicht hang an die Bereitstellung von rund 9 Milliarden wird, von einer breiten Basis in der EG getragen DM für die sogenannten Integrierten Mittelmeer- wird. programme. Dagegen ist über eine andere Frage, meine Da- Im Laufe der Regierungskonferenz, d. h. in den men und Herren, die Aufnahme einer währungspo- letzten Monaten, entstand jedoch gelegentlich der litischen Dimension, in die Vertragsänderung, vor Eindruck, daß sich hinter dem Begriff der Kohäsion und auf dem Gipfel hart gerungen worden. Nach nur die Forderungen nach einem verstärkten Fi- dem Gipfel wird es weitergehen. Der Kommissions- nanzausgleich verbargen. Die wirtschaftspoliti- präsident, Jacques Delors, hat kurz vor Ende der schen Prioritäten würden jedoch auf den Kopf ge- Regierungskonferenz einen Vorschlag eingebracht,- stellt werden, wenn die Gemeinschaft nicht mehr in den wir nicht akzeptieren konnten. Ich habe ihm erster Linie auf die Wachstumskräfte der nationa- das in mehreren Gesprächen deutlich gemacht. len Volkswirtschaften, sondern auf einen immer In Luxemburg haben sich die Staats- und Regie- größer werdenden Ressourcentransfer setzen wür- rungschefs schließlich auf eine Regelung geeinigt, de. die wir vorgeschlagen haben und die den Vertrags- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU änderungen in diesem hochsensiblen Bereich eine und der FDP) zukunftsweisende Perspektive gibt. Das Ziel der schrittweisen Verwirklichung der Wirtschafts- und Wir sind solchen Vorstellungen energisch entgegen- Währungsunion wird unter dem Hinweis auf die getreten. Pariser Gipfelkonferenz vom Oktober 1972 in die Aus der Sicht der Bundesregierung kommt es Präambel des Textes zur Änderung des Rom-Ver- weiterhin vorrangig auf die Konvergenz der Wirt- trages aufgenommen. Dies weist über die Be- schaftspolitiken und die Schaffung eines Binnen- schlüsse zur Errichtung des Europäischen Wäh- marktes an, der dann auch zu einer allseitigen Ver- rungssystems im Anschluß an die Schlußfolgerun- besserung der Lebensverhältnisse beitragen kann. gen des Bremer Gipfels vom Juli 1978 hinaus, auf In dieser Auffassung sind wir von der Mehrheit der die ebenfalls ausdrücklich Bezug genommen wird. Mitgliedstaaten unterstützt worden. Das Europäische Währungssystem, das das Zu- Der jetzt in Luxemburg verabschiedete Text stellt sammenwirken in der Gemeinschaft fördert, kann einen politischen Kompromiß dar, der die Ausgewo- nicht Eck- oder Endpunkt einer Vertragsänderung genheit der Politiken der Gemeinschaft wahrt, aber sein, die die Perspektiven bis in das nächste Jahr- auch den Interessen der weniger begünstigten Län- hundert aufzeigt. Das Europäische Währungssy- der und Gebiete Rechnung trägt. stem ist als eine Zwischenstation auf dem Wege der europäischen Integration, nicht jedoch als das letzt- Wir begrüßen es auch, daß es der Regierungskon- lich angestrebte Ziel anzusehen. Das EWS um- ferenz gelungen ist, der Forschungs- und Technolo- schreibt vielmehr den Zustand voneinander ge- giepolitik der Gemeinschaft und der Umweltpolitik trennter Währungsgebiete mit Mechanismen für zu geben. eine gemeinschaftsrechtliche Grundlage den Ausgleich der Wechselkurse, der Interventio- Eine zukunftsorientierte Forschungs- und Techno- nen und der Zahlungsbilanzen. Bis auf weiteres — logiepolitik ist unabdingbar zur Sicherung der euro- das will ich unterstreichen — ist die Flexibilität der päischen Wettbewerbsfähigkeit. Die Formulierung monetären Zusammenarbeit leichter im bisherigen eines besonderen Vertragskapitels wird dieser Be- Rahmen und unter Beachtung der gesetzlichen Zu- deutung gerecht. Die Gemeinschaft hat nunmehr ständigkeiten in den einzelnen Ländern — das gilt auf diesem Feld eine klare Zielsetzung und die not- insbesondere auch für die Stellung der Deutschen wendigen Instrumente, um für die Aufgaben der Bundesbank in der Bundesrepublik Deutschland — Zukunft gewappnet zu sein. zu verwirklichen. Die Mitgliedstaaten müssen die Besondere Bedeutung kommt aus der Sicht der hierin liegenden Möglichkeiten der Zusammenar- Bundesregierung dem in Luxemburg verabschie beit ebenso ausschöpfen wie die Regeln des Ver- 13766 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985

Bundeskanzler Dr. Kohl trags, die eine um vieles weitergehende Liberalisie- schaftlichen Politiken effektiver mitwirken und rung des Kapitalverkehrs vorsehen, als sie schon mitentscheiden kann. bisher in den Mitgliedstaaten erreicht wurde. (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und bei Meine Damen und Herren, ich habe in Luxem- Abgeordneten der SPD) burg darauf hingewiesen, daß viele, die sich mit die- Ich muß gestehen: Der Lernprozeß in allen demo- sen monetären Fragen und auch mit Forderungen kratischen Gruppierungen Europas verläuft da zum an die Bundesrepublik Deutschland wenden, zu- Teil sehr unterschiedlich. Am wenigsten Schwierig- nächst einmal überlegen sollten, ob sie ihren Bei- keiten haben wir damit vielleicht in Deutschland; trag dazu geleistet haben, jene Beschlüsse umzuset- ich glaube, wir sind auf Grund der geschichtlichen zen, die zum Teil vor Jahrzehnten gefaßt und in ein- Gegebenheiten viel weiter als andere. zelnen Ländern bis heute nicht realisiert wurden. Ich denke hier vor allem an die Frage der Liberali- Es ist nicht einfach — und die Erfolge sind recht sierung des Kapitalverkehrs. Hier war der endgül- bescheiden —, für eine Kompetenzerweiterung des tige Erfüllungszeitpunkt das Jahr 1971, und manche Europäischen Parlaments zu werben. Wir haben auf tun so, als seien solche Beschlüsse nie gefaßt wor- der Regierungskonferenz einen Vorschlag einge- den. Wir wissen auch, daß sich im Zusammenhang bracht, der einen realistischen Ansatz für eine stu- mit dem EWS manche Länder in der Gemeinschaft fenweise Beteiligung des Parlaments am Legisla- bisher überhaupt nicht zur Teilnahme bereit finden tivverfahren enthielt. Ich habe die Kollegen in vie- konnten. Das alles gehört in den Kontext einer zu- len Besprechungen, auch in Besprechungen mit ein- künftigen Entwicklung. zelnen, immer wieder auf unsere geschichtliche Er- fahrung hingewiesen, auf die Erfahrung bei der Be- Um die Ausgewogenheit der Vertragsergänzun - gründung des Deutschen Reiches, auf die Stellung gen und den Zusammenhang zwischen Fortschrit- der Länder zur Zentralgewalt, die Erfahrung der ten in der Wirtschaftspolitik einerseits und der Weimarer Republik bei der Verfassungsgebung, Währungspolitik andererseits sicherzustellen, wer- insbesondere auf die Erfahrung, die wir in der Bun- den die Vorschriften über die Wirtschaftspolitik er- desrepublik Deutschland mit unserer Verfassung, gänzt. Sie verpflichten die Mitgliedstaaten zur Zu- mit dem Verhältnis Bundesrat — Bundestag wie sammenarbeit mit dem Ziel, die erforderliche Kon- der sehr wichtigen und, wie sich vor der Geschichte vergenz der Wirtschafts- und Währungspolitik ge- erwiesen hat, sehr klugen Einrichtung des Vermitt- mäß Art. 104 zu sichern, d. h. unter Wahrung eines lungsausschusses gemacht haben. hohen Beschäftigungsstandes und eines stabilen Preisniveaus das Gleichgewicht der Zahlungsbilan- Wer die Diskussionen auf dem EG-Gipfel und im zen zu gewährleisten und das Vertrauen in die Rahmen der EG beurteilen will, muß natürlich da- Währung aufrechtzuerhalten. Das ist ein Ziel, das von ausgehen, daß andere Länder völlig andere ge- bisher keineswegs überall in Europa auch nur an- schichtliche Entwicklungen genommen haben, daß nähernd erreicht werden konnte. vor allem die klassischen europäischen Zentral- staaten, die außer dem zentralen Parlament nie an- Es sind derzeit, meine Damen und Herren, keine dere Parlamente dezentraler, lokaler Art — über institutionellen Änderungen beabsichtigt. Wenn sie die kommunale Ebene hinaus — gekannt haben, erforderlich werden, ist notwendigerweise das par- sich ungeheuer schwertun, diesen Gedanken einer lamentarische Verfahren der Gesetzgebung zur Än- modernen föderalen Ordnung mit ihrer Dezentrali- derung der Verträge vorgesehen, d. h., daß die natio- sierung der legislativen Gewalt zu akzeptieren. Hier nalen Parlamente eingeschaltet werden. ist sicherlich auch für die Zukunft noch ein großer Ich fasse zusammen: Die Perspektive einer Wirt- Lernprozeß notwendig. schafts- und Währungsunion hat in den Vertrag Unser Vorschlag — das möchte ich an dieser Eingang gefunden. Diese Vertragsänderung ist ein Stelle betonen — ging weit über den Text hinaus, weiterer, ein wichtiger Schritt auf dem Wege zur den jetzt in Luxemburg zu verabschieden möglich Union. Die praktische Zusammenarbeit im Europäi- war. Ich sage dies auch an die Adresse mancher schen Währungssystem kann unter flexibler Be- Kollegen — ich sage bewußt: auch mancher rücksichtigung der unterschiedlichen Gegebenhei- Freunde — im Europäischen Parlament, die jetzt ten in den Mitgliedstaaten weitergeführt werden. aus ihrer Sicht — und ich kann das gut verstehen Meine Damen und Herren, ein weiteres, aufs hef- — sehr zu Recht sagen: Warum seid ihr nicht wei- tergekommen, nicht weitergegangen? tigste umstrittenes Thema dieses Gipfels war die Erweiterung der Befugnisse des Parlaments. Wir Einzelaspekte des vorgesehenen Verfahrens wer- haben als Bundesregierung und als Bundesrepublik den in den nächsten Tagen noch einmal von den Deutschland immer wieder darauf hingewiesen, Außenministern formuliert. Das Europäische Par- daß das demokratische Selbstverständnis der Ge- lament wird in wesentlichen Binnenmarktfragen, meinschaft ein größeres Mitspracherecht des Euro- bei denen der Rat mit qualifizierter Mehrheit ent- päischen Parlaments erfordert. Die Bürger in den scheidet, Mitgesetzgeber sein. Die Mitwirkung des Staaten des EG-Europa wählen in freier, geheimer Parlaments wird daher — über die Haushaltsbefug- und direkter Wahl ihre Abgeordneten für das Straß- nisse hinaus — auf die materielle Gesetzgebung burger Parlament. Daß die Bürger in dieses Parla- ausgeweitet. Dabei ist festzuhalten, daß trotz der ment auf die Dauer Vertrauen setzen und investie- erweiterten Einflußnahme des Parlaments auf den ren, können wir nur dann erwarten, wenn dieses Entscheidungsprozeß das letzte Wort jetzt beim Rat Parlament auch bei der Gestaltung der gemein- bleibt. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13767

Bundeskanzler Dr. Kohl Ich bekenne mich klar und eindeutig zu dieser daher zu einer stärkeren Koordinierung ihrer Entscheidung. Wer wirklich die Dinge in Europa Standpunkte zu den politischen Aspekten der Si- vorantreiben will, wer die Lage der einzelnen Län- cherheit. der realistisch betrachtet, der muß wissen, daß dies Der Vertrag sieht ausdrücklich eine enge Beteili- trotz allem eine kluge Entscheidung ist. Man kann gung des Europäischen Parlaments und der Kom- mehr fordern, und das haben ja auch viele getan, mission vor. nicht zuletzt das Parlament selbst. Wenn man aber den Gang der Diskussion kennt und bedenkt, kann Schließlich ist in Aussicht genommen, der Präsi- man das Erreichte nicht unterschätzen. Ich füge dentschaft ein Sekretariat zur Seite zu stellen, um allerdings ebenso klar hinzu — lassen Sie mich das auf diese Weise ein hohes Maß an Kontinuität si- einmal so formulieren, nicht nur als Regierungs- cherzustellen. chef, sondern auch in meiner Funktion als Partei- Meine Damen und Herren, Ziel bleiben eine um- vorsitzender —: Wir können und wir werden bei die- fassende außen- und sicherheitspolitische Zusam- sem Stand nicht stehenbleiben wollen. Wir haben menarbeit und ihr Ausbau letztendlich zu einer ge- jetzt einen Schritt getan, und wir müssen in abseh- meinsamen Außen- und Sicherheitspolitik im Rah- barer Zeit weitere Schritte tun. men einer Europäischen Union. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich habe daher den italienischen Vorschlag, Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Euro- schon jetzt ein Signal für künftige Verbesserungen päische Politik in dieser Zeit wird stets eine Politik zu setzen, mit unterstützt. Aber wir haben in Lu- der kleinen Schritte sein. Das hat überhaupt nichts xemburg keine Chancen für eine Mehrheit gehabt. mit Resignation zu tun, sondern entspricht der Ein- Wir haben dann gemeinsam eine Revisionsklausel sicht, daß sich über Jahrhunderte gewachsene poli- vorgeschlagen, die vorsah, daß wir — noch vor 1992 tische und soziale Strukturen, die in bitteren krie- — die Möglichkeit weitergehender Zuständigkeiten gerischen Auseinandersetzungen auch gegeneinan- prüfen sollten. Aber auch dieser Vorschlag, meine der standen, nicht in einem kurzen Anlauf verän- Damen und Herren, war dann nicht mehrheitsfä- dern lassen. 30 Jahre sind vor der Geschichte eben hig. doch nur ein kurzer Anlauf. Es wird immer wieder über die langsamen Ent- Wir haben in Europa vieles auf den Weg gebracht, geklagt. Wir haben scheidungsprozesse in Brüssel und ich denke, es ist wichtig, in dieser Stunde zu uns deshalb darauf verständigt, die Durchführungs- sagen: Es gab dabei viel Gemeinsamkeit unter den und Verwaltungsbefugnisse der Kommission zu er- Demokraten, auch in der Bundesrepublik Deutsch- weitern. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich land. Es bleibt noch viel zu tun. Helfen wird uns begrüßen, daß der neue Kommissionspräsident es dabei, so denke ich, daß die große Mehrheit unserer in seiner bisherigen Amtszeit verstanden hat, die Bürger — vor allem auch der jungen Generation; Rolle der Kommission in einer dynamischen Weise ich habe dies gerade letzte Woche in einer Diskus- zur Geltung zu bringen — bei allen Diskussionen; sion nach einem Vortrag in Cambridge erfahren — es gab dabei auch mancherlei Ärger. Europa will, ja viele ungeduldig sind und noch ent- Nach außen stellt sich die Gemeinschaft heute im schiedener vorangehen wollen. wesentlichen als Handelsmacht dar. Die eigentliche Meine Damen und Herren, wir haben uns in die- fällt nicht in ihre Zuständigkeit, son- Außenpolitik sem Jahr — 40 Jahre nach Kriegsende — an das dern ist eine Domäne der Mitgliedsstaaten, die sich Jahr 1945 zurückerinnert, an das Jahr, das uns die in der EPZ um Abstimmung und Koordinierung ih- Befreiung von der nationalsozialistischen Herr- rer Interessen bemühen. schaft brachte, an das Jahr des Zusammenbruchs Für die Bundesregierung war es von Anfang an des Dritten Reiches, an das Jahr, in dem der Zweite ein wichtiges Ziel, die EPZ auf eine vertragliche Weltkrieg, der weit über 50 Millionen Menschen das Grundlage zu stellen. Wir haben daher in Mailand Leben kostete, der den alten Kontinent verwüstet gemeinsam mit Frankreich einen Entwurf für einen hat und dessen politischen Strukturen grundlegend Vertrag über politische Zusammenarbeit einge- veränderte, sein Ende fand. bracht. Die Regierungskonferenz hat über diese In- Wenn wir, die freien Völker Europas, an diese itiative — zusammen mit einem gleichzeitig vorge- Ausgangssituation zurückdenken, dann können wir legten britischen Entwurf — intensiv beraten. in aller Demut vor der Geschichte deutlich machen, Der jetzt in Luxemburg vereinbarte Vertragstext daß wir Grund haben, für einen Weg dankbar zu enthält wesentliche Elemente aus diesen Entwür- sein, den unsere Völker in 40 Jahren in Frieden und fen: Freiheit, in enger Freundschaft, in guter Zusam- menarbeit zurücklegen konnten. Das Bemühen um die Ausarbeitung und Verwirk- lichung einer europäischen Außenpolitik wird zu ei- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ner vertraglichen Verpflichtung aller Mitgliedsstaa- Die großartige Idee eines geeinten Europas, was ten. wir jetzt bereits erreicht haben und was wir noch Für uns besonders wichtig ist die Feststellung, erreichen wollen, das alles ist in seiner ganzen Di- daß zu der außenpolitischen Identität Europas auch mension, in seiner historischen Perspektive nur vor eine engere Zusammenarbeit in Fragen der Sicher- dem Hintergrund jener Ereignisse zu erfassen, die heit beiträgt. Die Mitgliedsstaaten verpflichten sich gerade erst 40 Jahre zurückliegen. 13768 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985

Bundeskanzler Dr. Kohl Wir dürfen uns deshalb — bei aller Ungeduld und innert, nämlich an Johannes Brahms. Als Brahms auch bei allen Rückschlägen — nicht beirren las- einmal dem populären Violinkonzert von Max sen. Wir sind auf dem richtigen Weg. Bruch zugehört hatte, soll er hinterher gesagt ha- Wir dürfen auch zukünftig nicht vor den zahlrei- ben, die Aufführung sei ihm etwas anstrengend ge- chen Schwierigkeiten zurückschrecken. Es gibt wesen; denn er habe sich so selten setzen können; trotz allem keinerlei Anlaß zum Pessimismus in Eu- schließlich habe er so viele alte Bekannte begrüßen ropa. Eurosklerose ist ein dümmliches Schlagwort; müssen. es ist nicht hilfreich, es bringt uns nicht weiter. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) Meine Damen und Herren, Europa, diese Vision, Ähnlich ist es mir bei dem Bericht über den Lu- die viele von uns — auch mich als Schüler — unmit- xemburger Gipfel gegangen: liebliche, teilweise telbar nach dem Kriege erfaßt hat, die damals — sehr bekannte, auch populäre Melodien, aber natür- um nur ganz wenige zu nennen — von Konrad lich keine große neue Symphonie. Das wurde aber, Adenauer und Paul-Henri Spaak, von Winston Herr Bundeskanzler, von Ihnen auch wirklich nicht Churchill oder Alcide de Gasperi den Jungen vorge- erwartet. stellt wurde, ist für die damalige wie für die heutige junge Generation eine faszinierende Perspektive, Ich will auch überhaupt nicht bekritteln, polari- die jede Mühe lohnt, die unsere Phantasie bewegen sieren oder polemisieren. Wir sind mit vielem von muß, um die wir uns leidenschaftlich bemühen dem, was Sie vorgetragen haben, durchaus einver- müssen. standen, zumal manches davon ja die Fortsetzung Ich denke, zwischen uns Demokraten sollte nicht von Linien bedeutet, die andere zu unserer Zeit das Ziel, sondern, wenn überhaupt, nur der Weg schon begonnen hatten. oder die Mittel streitig sein. Unsere gemeinsame (Beifall bei der SPD) Aufgabe bleibt es, diese Vision eines geeinten, eines freien, eines demokratischen Europa im Bewußt- Ich will vielmehr einige Aspekte zu einer nüch- sein vor allem der jungen Generation zu verankern. ternen Betrachtung der Lage beitragen. Nüchtern- Sie muß dabei wissen, daß es ihre Zukunft ist, um heit allerdings ist in Sachen Europas fast immer die wir uns jetzt bemühen, ihre Zukunft in Frieden notwendig. — Vor sechs Jahren hat der damalige und Freiheit und nur so auch eine Zukunft von Oppositionsführer Kohl nach einer anderen Luxem- sozialer Gerechtigkeit und Wohlstand. burger Konferenz gesagt, es sei ein jämmerliches Bild gewesen; Das, meine Damen und Herren — auch dieses Wort gehört in den Deutschen Bundestag —, ist na- (Zuruf von der CDU/CSU: Was?) türlich eine Vision, die über Westeuropa hinaus- vor fünf Jahren: „Es ist für Europa fünf Minuten vor greift; denn wir vergessen zu keiner Stunde, daß zwölf". Vor vier Jahren hat er den Europäischen Rat EG-Europa eben nur ein Torso ist, daß Dresden und ein „Symbol kollektiver Unfähigkeit und Veranwor- Leipzig, Warschau und Prag, Budapest und Buka- tungslosigkeit" genannt. Nach dem Stuttgarter rest — um nur wenige wichtige Plätze Europas zu Treffen des gleichen Rats, dem er nun inzwischen nennen — genauso zu diesem alten großen Europa selbst angehörte, hat er hier, inzwischen vorsichti- gehören ger geworden, ausgeführt: „Viele Worte können das (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Handeln nicht ersetzen". Ein Jahr später, nach ei- und daß das Ziel der Einigung Europas immer auch nem erneuten Gipfel, noch etwas vorsichtiger: Das die Uberwindung der Spaltung des europäischen Brüsseler Treffen sei ohne abschließendes Ergebnis Kontinents einschließt. Meine Damen und Herren, geblieben; er bedauere dies zutiefst. dafür lohnt es sich zu streiten, dafür lohnt es sich Wieder ein Vierteljahr später, im Sommer dieses auch zu arbeiten. Jeder kleine Schritt voran — und Jahres nach Fontainebleau, sagte dann Herr Stol- mehr ist nach allen Erfahrungen nicht möglich — tenberg, noch nie seit den 60er Jahren habe eine ist ein Schritt in eine bessere Zukunft. EG-Konferenz so entscheidende Fortschritte ge- (Anhaltender lebhafter Beifall bei der bracht. Herr Stoltenberg, Sie haben damals offen- CDU/CSU und der FDP) bar die weise Empfehlung von Mark Twain beher- zigt, der geschrieben hatte: Wahrheit ist das Kost- Vizepräsident Stücklen: Das Wort hat der Herr Ab- barste, was wir besitzen; laßt uns sparsam damit geordnete Schmidt (Hamburg). umgehen. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) Schmidt (Hamburg) (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Jahreszeit läßt ja frohe Der Bundeskanzler hat heute jenen Rückfall in Botschaften erwarten, und eine solche haben wir europäische Euphorie nicht wiederholt. Im Gegen- eben vernommen, nach der Weise: Von drauß' vom teil, er hat noch einmal vorsichtiger gesprochen. Er Gipfel komm' ich her ..., wo es dann hinterher hat richtigerweise die ungelösten, noch vor uns lie- heißt: „Überall auf den Tannenspitzen sah ich genden Probleme auch nicht ganz verschwiegen; er gold'ne Lichtlein blitzen". hat sich auch gegen Vorwürfe verteidigt, nicht weit genug gegangen zu sein. Herr Bundeskanzler, Sie (Zurufe von der CDU/CSU: Ein gelungener haben j a recht: Das ist ein ganz langer Weg. Viele, Einstieg!) viele kleine Schritte sind notwendig, und Sie haben Die Erklärung, die wir gehört haben, hat mich an einen davon gemeinsam mit Ihren elf Kollegen zu- einen großen Sohn meiner Vaterstadt Hamburg er- stande gebracht. Dagegen ist nichts zu sagen. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13769

Schmidt (Hamburg) Aber insgesamt haben Sie ein so positives Bild vor Amtsantritt der jetzigen Regierungen in Paris, gezeichnet, daß man beinahe George Bernard Shaw Rom, Bonn usw. beschlossen oder eingeleitet. paraphrasieren und sagen möchte: Der Luxembur- Dann kam der zweite Ölschock dazwischen, von ger Gipfel vom Anfang dieser Woche gehört ganz dem Harold Macmillan jüngst im Oberhaus gesagt zweifellos zu den 30 erfolgreichsten Gipfeln der Eu- hat — ich zitiere ihn wörtlich —: ropäischen Gemeinschaft. Das war nicht unsere Schuld, aber beinahe hat (Heiterkeit bei der SPDdieser und Ölschock den die industrielle GRÜ- Gesellschaft NEN) der heutigen Welt zerstört. Daß wir unter dem Meine Damen und Herren, ich habe die wörtli- Schlag gewankt haben, das war kein Wunder, chen Zitate aus früheren Reden, aus offiziellen Pro- wohl aber war es ein Wunder, daß wir ihn über- tokollen nicht vorgelesen, um jemanden zu ärgern, standen haben. sondern eigentlich nur, um wirklich zur Nüchtern- Er hat recht. Tatsächlich haben wir diesen Schlag heit bei der Betrachtung all dieser kleinen Schritte allerdings noch nicht ganz überstanden. Denn seit zu mahnen. Die Nüchternheit darf durchaus, ja, sie dem zweiten Ölschock und seit seinen katastropha- sollte mit der Leidenschaft für die europäische len weltwirtschaftlichen Folgen, nämlich den Ver- Sache gekoppelt sein. Aber ebenso wichtig bleiben werfungen im Preis-, Handels- und Zahlungsbilanz- Wille und Fähigkeit zum beharrlichen Bohren sehr gefüge vieler Staaten und steil ansteigender Mas- dicker Bretter und — ich wiederhole es — die Fä- senarbeitslosigkeit, seit 1980 also ist kein wirklicher higkeit, nüchtern und realistisch einzuschätzen, Fortschritt in der EG mehr möglich gemacht wor- was geht, auch was nicht geht, wann etwas geht und den. wie man es gehen machen kann. Dann kamen 1981 und 1982 Regierungswechsel in Sie haben, Herr Bundeskanzler, eben von dem Washington, in Paris, in Bonn, zwangsläufig auch schwierigen Erbe — so drückten Sie sich aus — der neue Politiken der neuen Regierungen. Die interna- Agrarpolitik gesprochen. Sie haben recht. Die tionale Schuldenkrise kam hinzu, ebenso die ameri- Agrarpolitik verschlingt inzwischen 70 % des Etats kanische Haushaltskrise mit ihren schlimmen welt- der EG, und infolge der hohen Subventionen er- weiten Auswirkungen auf die reale Zinshöhe auf zeugt die Gemeinschaft im Durchschnitt 25 % mehr der ganzen Welt, auf die Wechselkurse, auf die Han- Getreide, Rindfleisch, Butter und Zucker, als wir delspolitik, auf den Kapitalabfluß aus aller Welt Europäer gemeinsam aufessen können. Eigentlich nach den USA, allerdings auch mit der — wahr- müßte jedermann erkennen: Hier geht nichts scheinlich vorübergehenden — Wirkung der Steige- mehr. rung der Exportbeschäftigung in Japan, Europa, Schließlich besteht j a auch — wenn wir noch ein- Deutschland und anderswo. mal auf den Etat sehen — die europäische Erwerbs- Die Unordnung unter den wichtigsten Faktoren bevölkerung nur zu 7 % aus Landwirten, aber doch der Weltwirtschaft ist seither größer als jemals im zu 11 % aus Arbeitslosen. Es gibt eine gemeinsame, letzten Vierteljahrhundert. Dies ist keineswegs die immer noch produktionssteigernde Landwirt- Schuld der Europäer oder der EG. Wohl aber ist die schaftspolitik, aber es gibt — leider — kein gemein- Europäische Gemeinschaft mangels geistiger, poli- sames gesamtökonomisches Handeln zur Bewälti- tischer, ökonomischer Führung uneinig hinsichtlich gung der Arbeitslosigkeit. der gemeinsamen Vertretung ihrer ökonomischen Interessen in dieser Unordnung. (Beifall bei der SPD) Frankreich hat 1981 eine Haushaltsdefizitpolitik Dieser Vorwurf trifft natürlich alle Regierungen, Reaganschen Ausmaßes begonnen. Sie kam am keineswegs bloß die gegenwärtige deutsche Bun- meisten der italienischen, der deutschen usw. Be- desregierung; er trifft auch die vorangegangenen schäftigung zugute und mußte nach drei Franc-Ab- Regierungen in allen Hauptstädten einschließlich wertungen — die vierte wird wohl im Frühjahr 1986 unserer früheren Regierung. Darin, Herr Bundes- folgen — bald abgebrochen werden. Das Europäi- kanzler, hatten Sie recht. Aber bitte schieben Sie sche Währungssystem hat damals seine die ökono- die Agrarmisere nicht von sich ab. Sie waren es, der mische Politik der Mitgliedsregierungen harmoni- zusätzliche nationale Agrarsubventionen einge- sierende Kraft gezeigt. führt hat. (Beifall bei der SPD) Umgekehrt Deutschland und in unserem Gefolge auch Holland: Hier hat man alsbald umgekehrt eine Sie waren es, der sich durch das erste deutsche Veto deflatorische Haushaltspolitik versucht, ähnlich in in der gesamten Geschichte der Europäischen Ge- England. Deswegen haben diese Staaten heute hö- meinschaft gegen agrarpolitische Vernunft ge- here Arbeitslosigkeiten als je zuvor, als jemals seit stemmt hat. dem Zweiten Weltkrieg. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Die letzten, tatsächlich wichtigen Errungenschaf- ten der Europäischen Gemeinschaft, der Beitritt Das volkswirtschaftliche Wachstum hingegen ist Englands und inzwischen fünf weiterer Staaten, das weitgehend dem Exportanstieg zu verdanken, d. h. Europäische Währungssystem, die Direktwahl des weitgehend den im vorigen und im jetzt ablaufen- Parlaments, das inzwischen, wie vorausgesehen, be- den Jahr unsinnig hohen Dollarwechselkursen. gonnen hat, sich die demokratisch notwendigen Aber auch die übrigen EG-Staaten verfolgen na- Rechte schrittweise zu erkämpfen, all dies wurde tional beschränkte ökonomische Konzepte in ihren 13770 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985

Schmidt (Hamburg) Geld-, Währungs-, Kapitalmarktpolitiken, in ihren zifik oder chemische Waffen, es gibt zu all diesen Steuer- und Haushaltspolitiken, auch in ihren Europa existentiell angehenden Fragen gegenwär- strukturpolitischen Versuchen. tig keine gemeinsame Politik der europäischen Re- gierungen. Wenn man sich die Arbeitslosigkeitszahlen in Eu- ropa anschaut — eines unserer Nachbarländer hat (Zuruf von der SPD: Leider!) sogar 16 % Arbeitslose! —, dann stellt man fest, daß keiner der Staaten der Gemeinschaft mit seiner Es gibt nicht einmal eine gemeinsame Politik der anachronistischen Alleingangspolitik irgendeinen europäischen Regierungen gegenüber dem Ober- zu Buche schlagenden Erfolg in der Bekämpfung sten Gaddafi in Libyen. Bei dieser Lage wirkt die der Arbeitslosigkeit erzielt hat. von einem unserer Bundestagskollegen stammende außenpolitische Einteilung seiner eigenen Freunde (Beifall bei der SPD) in entweder Genscheristen oder Stahlhelmer gera- Der Hauptgrund dafür liegt darin, daß nicht nur dezu rührend provinziell. wegen der zum Teil enormen Weltmarktabhängig- keit — wir Deutschen exportieren inzwischen 35% (Beifall bei der SPD — Zuruf von der unseres Sozialprodukts, die Europäische Gemein- FDP) schaft als ganze ungefähr 25% —, sondern auch Ich will nachher auf die Frage dieser politischen wegen des innerhalb Europas erreichten Grades Gesamtstrategie zurückkommen und spreche im der tatsächlichen gegenseitigen wirtschaftlichen Augenblick von dem ökonomischen Ausschnitt der Verflechtung weder für Frankreich noch für Gesamtstrategie. Deutschland noch für Holland, Italien, England, Belgien usw. eine rein nationale Zinspolitik erfolg- Es gibt heute auf der Welt vier große homogene reich möglich ist. Märkte: Die von Amerika ausgehenden weltrekordhohen Erstens ist es China mit 1 Milliarde Menschen. Es realen Zinsen sind der Hauptgrund für die europäi- hat gegenwärtig zwar einen Lebensstandard von sche Investitionsschwäche von heute und für die nur 300 Dollar pro Kopf und Jahr, aber in andert- aus dieser Investitionsschwäche herrührende Ar- halb Jahrzehnten könnten es durchaus mehr als beitslosigkeit; der Hauptgrund auch für die zeitliche 800 Dollar pro Kopf werden, wenn Deng Xiaopings Verlängerung der zweiten Ölschockkrise über die und Zhao Ziyangs Reformpolitik nicht zurückge- frühen 80er Jahre hinaus. dreht wird. Natürlich ist dieser wirtschaftlich ge- Harold Macmillan, heute „The Earl of Stockton", waltige Organismus China schon heute militärisch hat in der vorhin schon zitierten fabelhaften Jung- und politisch die dritte Weltmacht. fernrede im Oberhaus dazu gesagt: Der zweite große homogene Markt ist die Sowjet- Reagan hat in Umkehrung von Keynes die Res- union mit 270 Millionen Menschen, eine überzen- sourcen der Alten Welt einberufen, um damit tralisierte Verwaltungswirtschaft, Befehlswirt- die Expansion der Neuen Welt zu finanzieren. schaft von geringer Leistungsfähigkeit, die wegen der seit Jahren andauernden Abzweigung von 12 National beschränkte ökonomische Politiken hier bis 14 % ihres Sozialprodukts für militärische in Europa sind machtlos gegen diesen Sog, und sie Zwecke nur ganz langsam den relativ niedrigen Le- werden sich auch dann als machtlos herausstellen, bensstandard dieser 270 Millionen Menschen heben wenn sich in Zukunft ergibt, daß die horrenden Dol- kann. larauslandsschulden der USA nur durch Inflationie- rung des Dollars bedient werden können, von Til- Drittens sind die Vereinigten Staaten zu nennen: gung gar nicht zu sprechen. 240 Millionen Menschen, ein homogener Markt, ein Aber eine gemeinsame europäische Abwehr die- Wirtschaftsorganismus von enormer Leistungs- ser Gefahren wird nicht versucht. Für uns Europäer kraft, 50 Staaten, aber natürlich nur eine einzige gilt dann möglicherweise die Tucholskysche Defini- Währung, eine einzige ökonomishe Politik; und die tion, nämlich: „Nationalökonomie ist, wenn Leute Gerätestecker, die in Kalifornien hergestellt wer- sich wundern, warum sie kein Geld haben. Das hat den, passen natürlich auch in die Steckdosen in mehrere Gründe. Die feinsten sind die wissen- New Hampshire; im Lebensstandard deshalb Eu- schaftlichen Gründe." ropa deutlich überlegen. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) Viertens Japan: 120 Millionen Menschen, sehr lei- stungsbewußt, vielleicht etwas zu diszipliniert — Und wenn ich selber auch einmal zugespitzt formu- für meinen Geschmack —, im Lebensstandard an lieren darf: es sieht so aus, als ob die Europäische Europa noch nicht ganz heranreichend. Aber weil Gemeinschaft politisch gegenüber beiden weltwirt- sie von Hokkaido bis Okinawa nur eine einzige schaftlichen Zeitbomben abgedankt hat, sowohl ge- Währung haben, eine einzige ökonomische Politik, genüber der lateinamerikanischen Schuldenkrise eine einzige technische Gesetzgebung und so fort, als auch gegenüber der US-amerikanischen Haus- werden sie uns bald eingeholt haben. Sie fangen halts-, Zins- und Zahlungsbilanzkrise. schon an, uns ein wenig mitleidig das von Professor Es gibt aber auch, Herr Bundeskanzler, kaum Giersch in Kiel, Herr Bundeskanzler, geprägte und noch eine gemeinsame europäische Außenpolitik, von einigen Amerikanern weltweit verbreitete etwa auf dem Felde der Rüstungs- und Abrüstungs- Schlagwort von der Eurosklerose entgegenzuhalten politik. Ob SDI oder ABM, ob Atomversuche im Pa- und nachzuplappern. Denn Sie rechnen damit, uns Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13771

Schmidt (Hamburg) in absehbarer Zeit in ihrem Lebensstandard zu So wie etwa der Airbus nur deshalb auf der gan- überholen. zen Welt konkurrenzfähig ist — und damit dürfen sich frühere Bundesregierungen durchaus schmük- An fünfter Stelle ist dann der sogenannte Ge- ken — oder die Ariane oder die Satelliten der ESA, meinsame Markt der Europäer zu nennen, der ab 1. Januar 320 Millionen Menschen umfassen wird. weil sie in einem europaweiten Maßstab entwickelt Aber hat man eigentlich je in der Geschichte von und finanziert und produziert und nicht etwa in einer rein französischen oder rein italienischen einem Marktplatz gehört, auf dem elf oder zwölf Kaufleute jeder in einer anderen Währung bezahlt oder sonstigen nationalen Bastelstube gebaut wer- werden will, insgesamt also elf Währungen vorhan- den, so ist es doch auch mit der Wirtschaft Europas den sind, wo aber jeder Käufer nur eine einzige insgesamt! Währung im Portemonnaie hat, wo einige der Im Wettbewerb mit den Unternehmensleitungen, Marktaufseher die durchaus vorhandene gemein- den Arbeitnehmern und den Regierungen dieser same Währung — ich rede vom ECU, Herr Stolten- vier anderen großen homogenen Märkte der Welt berg — als skandalöse Parallelwährung verdam- können wir in Europa auf die Dauer nur dann be- men und den Menschen in ihren Wohnvierteln so- stehen, können wir unseren Lebensstandard und gar verbieten, Zahlungsmittel dieser einen gemein- unsere Beschäftigung auf die Dauer nur dann stei- samen Währung zu besitzen? gern, wenn wir uns die potentiellen Vorteile der (Austermann [CDU/CSU]: Wo ist das so?) wirtschaftlichen Größenordnung Europas tatsäch- lich zunutze machen Hat man je von einem Marktplatz gehört, auf dem es einigen Kunden verboten bleibt, bestimmte Bier- (Beifall bei der SPD) sorten zu kaufen, weil die angeblich nicht rein ge- oder wenn wir uns, wie man in Amerika sagt, die nug sind — andere Kunden dürfen dieses Bier aber Economy of scale zunutzen machen. trinken —, wofür umgekehrt einige Lieferanten aus den gleichen Wohnvierteln wütend ihr Recht vertei- Ich weiß, daran wird gerarbeitet. Der Bundes- digen, ihren Wein zu verzuckern oder, wie es so kanzler hat erwähnt, 300 Harmonisierungsrichtli- schön heißt, „zu verbessern" — einen Wein, den nien seien noch fällig. Hoffentlich gehen -dann die dann Menschen in anderen Wohnvierteln desselben Regierungen mit der Umsetzung dieser Harmoni- Markts nicht trinken sollen? sierungsdirektiven etwas vernünftiger um, als die Bundesregierung mit dem vor vier Jahren beschlos- (Unruhe bei der CDU/CSU) senen einheitlichen Muster für den europäischen Wieso, Herr Schwarz-Schilling, kann ich kein Paß umgegangen ist. Eigentlich sollte er am 1. Ja- französisches Telefon kaufen? Wieso kann ein Eng- nuar dieses Jahres ausgestellt werden. Inzwischen länder kein deutsches Fernsehgerät kaufen und an- liegt seit Sommer dieses Jahres ein ganz anderer schließen? Wieso können die Eisenbahnen Europas Paßgesetzentwurf im Innenausschuß, und vom Ein- nicht Lokomotiven oder Waggons oder Signalein- führungsdatum für den europäischen Paß ist in die- richtungen aus den anderen Wohnvierteln, aus den sem Entwurf keine Rede mehr. anderen Ländern Europas kaufen? George Bernard Shaw hat einmal geschrieben: (Frau Dr. Hellwig [CDU/CSU]: Wieso ha Die besten Reformer der Welt sind diejenigen, die ben Sie das alles nicht durchgesetzt?) bei sich selber anfangen. Wieso muß ein Lastwagenfahrer auf dem Weg von (Beifall bei der SPD — Seiters [CDU/CSU]: Deutschland nach Italien bei angeblich von Ihnen Sehr gut! — Beifall des Abg. Klein [Mün geschaffenen offenen Grenzen ganze 27 Dokumente chen [CDU/CSU]) parat halten und vorzeigen? Wer z. B. das Veto in den europäischen Räten ab- (Feilcke [CDU/CSU]: Wenn man nur gele schaffen will, der könnte verbindlich erklären: Die gentlich hier ist, weiß man das nicht!) deutsche Bundesregierung wird kein Veto mehr Der in aller Welt so genannte „common market" einlegen. ist in Wirklichkeit bisher ziemlich „uncommon", auf (Beifall bei der SPD — Frau Dr. Hellwig deutsch: ziemlich ungewöhnlich. [CDU/CSU]: Das ist wieder einseitig!) Dies ist ganz gewiß nicht die Schuld der gegen- — Das können Sie leicht erklären. Auch wir haben wärtigen Bundesregierung; ganz gewiß nicht. Die das 13 Jahre lang nicht gemacht. Wir haben uns Bundesregierung hat das meiste so vorgefunden, allerdings nicht damit gebrüstet. Wir fangen heute wie es heute ist. Ich darf Ihnen versichern: Vor an, uns damit zu brüsten, nachdem Sie sich hier als 15 Jahren war das alles noch sehr viel ärger. die Erfinder Europas dartun. (Frau Dr. Hellwig [CDU/CSU]: Na bitte!) (Beifall bei der SPD) Aber die Bundesregierung sollte bitte nicht ver- Wer europaweite Ausschreibungen und Käufe aller schlimmbösern. Ein deutsches Veto, Herr Bundes- Regierungen und staatlichen Stellen — Bundesbe- kanzler, gegen eine Rationalisierung dieses hörden, Bundeswehr, Post, Bahn usw. — einführen Marktes hat es zu unserer Zeit in der Tat niemals will, der könnte doch sofort erklären, daß wir in gegeben Deutschland auf nationale Beschränkungen unse- (Beifall bei der SPD) rer Ausschreibungen und Beschaffungen verzichte- mit all seinen Rückwirkungen in Frankreich. ten. Wer bei jeder solchen Sache immer erst die 13772 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 Schmidt (Hamburg) Gegenleistung des anderen schriftlich auf den Tisch änderung geschaffen werden konnte, genauso haben will könnte es heute ohne Vertragsänderung seine (Zuruf des Abg. Kittelmann [CDU/CSU]) zweite Ausbaustufe erreichen. (Beifall bei der SPD) — und ich kenne natürlich schon alle Gegenargu- mente, Herr Kollege, welche ebenso natürlich den Ich stimme Ihrem Bedauern darüber zu, Herr Bun- Vorteil für den Leistungswettbewerb und für den deskanzler, daß Frau Thatcher trotz gegenteiliger Fiskus des Herrn Stoltenberg abstreiten wollen —, Meinung der englischen Finanzwelt immer noch der ist dann eben doch bloß ein Politiker. Lloyd nicht mitmachen will, aber der weitere Ausbau des George hat einmal gesagt, ein Politiker sei jemand, EWS wird dadurch doch nicht behindert. Eher im mit dessen Politik man nicht übereinstimme. Wenn Gegenteil: Je erfolgreicher sich das Europäische man aber mit ihr übereinstimme, dann sei er ein Währungssystem entwickelt, um so wahrscheinli- Staatsmann. cher wird Englands Beitritt. (Beifall bei der SPD) Der Hauptwiderstand gegen den Ausbau des EWS kommt in Wahrheit Und jetzt ohne Spaß: Europa braucht vielleicht aus Deutschland, ge- nicht alle seine Politiker, aber es braucht einige nauer: aus Frankfurt und aus der Rheindorfer Straße in Bonn. Der Bundeskanzler hat ihn von wenige Staatsmänner. Oder wie mein Freund Cal- laghan vor ein paar Tagen formuliert hat: dorther übernommen. Der Finanzminister ist sogar bis zur Forderung vorgedrungen, selbst bei Ände- (Zurufe von der CDU/CSU) rung des EG-Vertrages dürfe die Autonomie der Europa braucht einen modernen Ernest Bevin oder Bundesbank nicht berührt werden. Die „Financial Robert Schuman oder Jean Monnet mit deren Kraft Times" hat dazu sarkastisch geschrieben, einige — ich zitiere Callaghan —, mit deren konstruktiver westdeutsche Währungspolitiker schlichen auf Ze- henspitzen um diese obskure Sache herum, als Energie und mit deren Vorstellungsvermögen — „imagination", so sagt er —, um die institutionellen könnte da eine Bombe hochgehen. Und tatsächlich Hemmnisse zu überwinden. kam ja jüngst ein Brief aus Frankfurt hier nach Bonn, der demjenigen des Ministers Weinberger- an (Beifall bei der SPD — Freiherr von Schor seinen Präsidenten ähnelte, als dieser in Genf ge- lemer [CDU/CSU]: Johannes Rau fehlt!) rade mit Generalsekretär Gorbatschow zu reden hatte. Meine Fraktion hat Ihnen eine Entschließung über das, was jetzt praktisch zu tun ist, vorgelegt (Klein [München] [CDU/CSU]: Die zeitli und ich greife daraus die Punkte 3, 4 und 5 heraus. che Abfolge stimmt nicht ganz!) Wir stimmen weitgehend überein mit einer einstim- Die Bundesbank muß erkennen: Jedes Verbot, migen Empfehlung, welche das Monnet-Komitee den ECU zu verwenden, tendiert dazu, das Quasi- im Juni dieses Jahres hier in Bonn unter Vorsitz Monopol des Dollars aufrechtzuerhalten und damit von an die Adresse der Regierenden die Giralgeldschöpfung unserer Geschäftsbanken in Europa gerichtet hat. Diese drei Empfehlungen von den extremen Kursschwankungen des Dollars haben den großen Vorteil, daß sie keinen neuen völ- abhängig zu machen. kerrechtlichen Vertrag, keine Ergänzung der euro- päischen Verträge, keine langdauernden Ratifika- (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ tionsverfahren in zwölf Parlamenten erfordern, CSU: Das war zu Ihrer Zeit schon falsch!) sondern daß die Regierungen sie verwirklichen Ich rufe in Ihre Erinnerung: Zu Jahresbeginn 1980 können, ohne neue Institutionen dafür zu schaffen. war der Dollar 1,70 DM wert, in diesem Frühjahr, In einem Wort: Es handelt sich um das jetzt, um das im Frühjahr 1985, war er 3,40 DM wert — doppelt so hier und um das sogleich Machbare. viel —, im Augenblick ist er nur 2,50 DM wert; der Kurs der EWS-Währungen hingegen hat wesentlich Erstens. Wir halten z. B. den weiteren Ausbau des geringer geschwankt als derjenige der frei floaten- Europäischen Währungssystems und der ECU-Wäh- den Währungen, etwa der des Dollars. Die Wechsel- rung für einen heute gangbaren und zugleich not- kurskorrekturen im System sind genauso reibungs- wendigen Schritt. Sie, Herr Bundeskanzler, haben los abgelaufen wie früher einmal zu Zeiten des Sy- Ihre ablehnende, Ihre negative Einstellung heute stems von Bretton Woods. Sie haben sich an den breit dargelegt, und ich möchte darauf antworten. fundamentalen Faktoren wie den unterschiedlich Gewiß, für die schließliche Vollendung des Europäi- hohen Inflationsraten in Europa und den Zahlungs- schen Währungssystems wird man eine Ergänzung bilanzgleichgewichten orientiert. Sie waren deshalb der Römischen Verträge brauchen, wie etwa Präsi- berechenbar. Das EWS hat seine Partnerstaaten in dent Delors das im Herbst vorgeschlagen hat. Europa gegenüber dem Rest der Welt begünstigt Heute wäre die Einrichtung einer autonomen euro- und uns vor allzugroßen Verzerrungen der Preise, päischen Zentralbank noch nicht geboten. Die Ver- der Kosten, der Allokationen bewahrt. tragsergänzung aber, die vorgestern in Luxemburg zustande gebracht worden ist, besteht nun tatsäch- (Beifall bei der SPD) lich nur aus unverbindlichen, allgemeinen Redens- Regierungen und Notenbanken sollten Schritt für arten. Damit kann jetzt jeder tatsächliche Fort- Schritt ganz pragmatisch lernen, in der Währungs- schritt auf Eis gelegt werden, bis der Ergänzungs- politik sowohl EG-intern als auch im Verhältnis zu vertrag nach einer Reihe von Jahren schließlich ra- Amerika und zu Japan an einem Strang zu ziehen. tifiziert ist, wenn er denn überhaupt zustande Wenn sie es nicht lernen, dann sehe ich nicht, wie kommt. Aber genauso, wie das EWS ohne Vertrags- Europa seinen schwindenden Einfluß auf der inter- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13773

Schmidt (Hamburg) nationalen ökonomischen Bühne zurückgewinnen Europäisierung aller öffentlichen Ausschreibun- soll. Ich sehe dann auch keine Besserung, keine gen. Das Monnet-Komitee hatte Ihnen das schon dauerhafte Besserung der Arbeitslosigkeit in Euro- für Mailand vorgeschlagen. Es wird Zeit, daß einer pa. die Initiative ergreift. Delors hat Ihnen im Juli ein Wenn wir, Herr Bundeskanzler, 1979 den Tenden- ganzes Paket von Vorschlägen für die Schaffung des Binnenmarkts vorgelegt: von der Vereinheitli- zen der Bundesbank gefolgt wären, dann gäbe es chung der technischen Normvorschriften über die das EWS überhaupt nicht, ein System, dem alle eu- Steuerharmonisierung bis hin zu den unterschiedli- ropäischen Ökonomen heute den Erfolg bescheini- chen Einzelwertberichtigungen und Mehrwertsteu- gen. Heute ist — anders als die Warner in Frankfurt ersätzen usw. Ich will das nicht ausmalen. Sie selbst schreiben oder schreiben lassen — klar ersichtlich haben es erwähnt. Man muß aber auch an die Not- — siehe das Beispiel Frankreich —, daß geld- und wendigkeit erinnern, währungspolitischer Gleichlauf die Regierungen europäische Dienstleistungen zu ermöglichen. Ich habe bisher weder französische zur Konvergenz ihres allgemeinen wirtschaftspoli- Wirtschaftsberatung bei Hamburger Firmen erlebt tischen Verhaltens zwingt. Wer aber, Herr Stolten- noch deutsche Wirtschaftsprüfung in Rom. Wohl berg, die umgekehrte Reihenfolge verlangt, erst aber erobern amerikanische Beratungsfirmen und wirtschaftspolitischen Gleichlauf auf allen Feldern hundertköpfige amerikanische Rechtsanwaltssozie- und erst dann — vielleicht — auch währungspoliti- täten inzwischen unsere Märkte in Europa, in jeder schen Gleichlauf, der kann kein geschichtliches größeren Stadt. Das muß j a so nicht sein. Beispiel für den Erfolg seines Rezeptes beibringen, und vielleicht will er diesen Erfolg ja auch gar Binnenmarkt heißt natürlich abermals Souverä- nicht. nitätsverzicht, vor allem auch gegen den Wunsch (Beifall bei der SPD) national organisierter Interessenverbände. Die Regierung und ihr Finanzminister haben de- (Beifall bei der SPD) taillierte Vorschläge für den Ausbau des EWS auf dem Tische, z. B. u. a. auch von mir. Sie sollten den Im übrigen haben einige Industrien erfolgreich ge- Rat eines bedeutenden Mannes befolgen, der gesagt zeigt — ich denke z. B. an einen Bereich in der Elek- hat trobranche —, daß die Unternehmen manches zur Herstellung gemeinsamer technischer Normenvor- (Lachen bei der CDU/CSU) schriften beitragen können; leider geschieht das — ja, lachen Sie nicht zu früh —: Es ist die Schwä- nicht in der Automobilwirtschaft. che der Regierungen, die Beschlüsse in der EG ständig verhindert, z. B. beim europäischen Wäh- Der dritte Bereich, in dem sofort und konkret rungssystem. — Der dies sagte, war Dr. Kohl; es ohne ratifikationsbedürftige Verträge gehandelt war am 9. Januar 1981. werden könnte, ist der Bereich des technischen Fortschritts in Europa. Präsident Mitterrand hatte (Lachen und Beifall bei der SPD) im Mai 1984 in Straßburg drei technologische Fel- Damals, Herr Bundeskanzler, war das Europäische der genannt — Elektronik, Weltraum, Verkehrswe- Währungssystem zwar längst in Funktion, aber in sen —, die wir zur Wiedergewinnung europäischer der Zwischenzeit — Sie sind seit drei Jahren im Wettbewerbsfähigkeit fördern sollten. Wir Sozialde- Amt — ist es nicht weiter ausgebaut worden. Also, mokraten haben jene Vorschläge unter Hinzufü- bitte, zeigen Sie die Stärke, die Sie früher von ande- gung der Umwelttechnologie im Bundestag unter- ren verlangt haben. stützt. Aber trotz des neuen und sehr schönen Eureka-Schlagwortes ist die Sache seither nicht (Beifall bei der SPD) viel weitergekommen. Dabei wird von Ihnen keineswegs erwartet, daß Sie Die funktionierenden europäischen Forschungs- der Bundesbank etwas wegnehmen oder gar das und Technologiekooperationen hatte es j a längst Bundesbankgesetz ändern. Das Gesetz muß ledig- vorher gegeben. Sie braucht man heute nun nicht lich angewandt werden. künstlich unter ein neues Sekretariatsdach zu Außenwährungspolitik bleibt schließlich Teil der schaffen; sie haben ja doch bisher gut funktioniert. allgemeinen Wirtschaftspolitik der Bundesregie- Das gilt genauso für die etwa 3 000 Personen, die in rung, und sie bleibt Teil der Außenpolitik, hier der der Forschung und im Forschungsmanagement Europapolitik der Bundesregierung. Was Sie zu durch die EG beschäftigt sind. Man soll die beste- dem Thema EWS ausgeführt haben, war eigentlich henden Institutionen nutzen und nicht ständig neue bloß die Bemäntelung einer Kapitulation vor ver- Bürokratien hinstellen, auch wenn sie sich vor- meintlichen — vermeintlichen! — nationalen deut- nehm Sekretariat nennen. schen Interessen. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Warum lassen Sie Ihren Postminister nicht den Zweitens. Was die Herstellung des einheitlichen Anstoß dazu geben, daß die Postverwaltungen der Binnenmarkts bis 1992 angeht, so würde ich einräu- Staaten der EG untereinander ein einheitliches men, daß das eine sehr viel kompliziertere Aufgabe Glasfaserbreitbandnetz vereinbaren und voranbrin- ist als der Ausbau des Europäischen Währungssy- gen, statt diese ewigen Fehlinvestitionen in die stems. Sehr viel komplizierter! Die vielen Harmoni- Kupferverkabelung vorzunehmen? sierungen sind erwähnt worden. Aber auch auf die- sem Felde kann einiges sofort geschehen, z. B. die (Beifall bei der SPD) 13774 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985

Schmidt (Hamburg) Warum lassen Sie den Verkehrsminister nicht seine Ich will mich den institutionellen Vorschlägen zu- Kollegen in Paris und in Brüssel anstoßen, damit in wenden, die auf unseren Tischen liegen. Den Ver- Europa — wie Mitterrand vorgeschlagen hat — ein tragsentwurf à la Luxemburg kennen wir zwar gemeinsames Schnellbahnsystem errichtet wird? noch nicht genauer; er ist auch noch nicht fertig. Holland, Italien, andere würden sich schnell beteili- Ein Dooge-Bericht lag aber vor, ein vollständiger gen. Lassen Sie es planen von Rom bis nach Kopen- europäischer Verfassungsentwurf des Straßburger hagen. Die französische Eisenbahn hat gezeigt, daß Parlaments für eine Europäische Union liegt vor, sie das kann. Die japanische kann es schon lange. viele Studien, Vorschläge, die Westeuropäische Aber auch die Bundesbahn hat jüngst einen Hoch- Union soll ausgebaut werden. Die „Welt" von ge- geschwindigkeitszug vorgestellt. Wieso geht das ei- stern hat Sie zitiert, Herr Bundeskanzler; Sie sollen gentlich nur national und nicht gemeinsam? Es ist in Luxemburg gesagt haben: „So geht es nicht wei- doch ein gemeinsames Eisenbahnnetz. ter." — Sie sollen auch gesagt haben: „Im Grunde (Beifall bei der SPD) sind wir völlig überfordert." — Sofern die beiden Zitate zutreffen und sofern sie auf den Wirrwarr all Wenn wir Flugzeuge und Fernmelde- und For- dieser Vorschläge gemünzt sind, kann ich ihnen schungssatelliten gemeinsam bauen konnten, wieso meine Zustimmung nicht verhehlen. Es bleibt aber eigentlich nicht auch Satelliten zur militärischen dann erstaunlich, daß der von CDU/CSU und FDP Aufklärung, wie Paris es vorgeschlagen hat? Sollen vorgelegte Entschließungsantrag das Ganze einen denn wir Europäer auf ewig in der Abrüstungskon- „Durchbruch" nennen will. trolle von den Brosamen abhängig bleiben, die von (Mann [GRÜNE]: Das ist der Kohlsche den Tischen der Hunderte von Aufklärungssatelli- Stil!) ten der beiden Großmächte fallen? Für meine Person möchte ich Jean Monnet in (Beifall bei der SPD) Erinnerung rufen. In seinen „Lebenserinnerungen Meine Damen und Herren, SDI ist eine Sache — eines Europäers" lesen Sie, man solle „Breschen in eine Sache, die zugleich eine Kernfrage künftiger die Mauern der nationalen Souveränitäten schla- Strategie bedeutet. Hoffentlich wird sie unter Be- gen, die so begrenzt sind, daß sie Zustimmung er- rücksichtigung unserer europäischen Sicherheitsin- langen können, gleichzeitig aber doch tief genug, teressen entschieden. Europäische industrielle In- um die Staaten zu der für den Frieden notwendigen teressen sind dabei zwar nicht gleichgültig, aber sie Einheit zu bewegen". sind bestenfalls zweitrangig. Man kann doch wohl Für mich selbst hat diese Überzeugung seit dem eine strategische Revolution nicht nach ihrem tech- Scheitern des Projekts einer Europäischen Vertei- nologischen spillover beurteilen wollen. digungsgemeinschaft vor mehr als dreißig Jahren (Beifall bei der SPD) immer gegolten. Ich bin deshalb in meiner Zustim- mung zu umfassenden Entwürfen, die nicht bloß Eine durchaus andere Sache ist die Notwendig- begrenzte Breschen schlagen sollen, sondern die keit Europas, sich technologisch gegen die vier gro- ganz neue Grundmauern errichten wollen, zurück- ßen, aber homogenen Wirtschaftskörper zu behaup- haltend. Sie können in der Ratifikation genauso ten, von denen ich sprach. Ich habe in diesem scheitern, wie die EVG Anfang der 50er Jahre im Herbst einige hochtechnisierte japanische Unter- französischen Parlament gescheitert ist. nehmen studiert. Manches hat mir imponiert. Eini- ges können wir schon von den Japanern lernen. Wenn die Regierungschefs heute in der EG ge- Aber eine Sache hat mir zutiefst mißfallen. Eine meinsam das Veto abschaffen oder einschränken japanische Elektrofirma baut serienweise Compu- wollen, das seit 20 Jahren, seit der Politik des leeren ter, die zum Schluß das Markenzeichen einer euro- Stuhls, de facto eingeführt ist, dann genügte es päischen Elektronikfirma aufgeklebt bekommen doch, wenn sie gemeinsam erklärten, sie wollten und unter diesem Firmenzeichen in der ganzen sich von nun an tatsächlich an den geltenden Text Welt verkauft werden. Offenbar war die europäi- der Römischen Verträge halten. sche Firma nicht in der Lage, die Geräte in gleicher (Beifall bei der SPD) Qualität selbst zu produzieren oder sie zu vergleich- Notfalls könnten Sie dem geltenden Text eine ge- baren Kosten zu produzieren. meinsame Interpretation hinzufügen. Ob wir es also Eureka nennen oder ob wir es Wenig aussichtsreich erscheinen dagegen Versu- anders nennen: Nur wenn wir die Größenordnung che, durch einen formalen Vertrag tatsächlich eine ausnutzen, die uns durch über 300 Millionen intelli- gemeinsame Außenpolitik zustande zu bringen, genter und fleißiger Europäer gegeben ist, nur etwa auf dem Felde der Sicherheit, das der Bundes- wenn diese 300 Millionen ihre Forschung und Tech- kanzler hier in diesem Zusammenhang ausdrück- nik gemeinsam voranbringen, nur dann halten wir lich hervorgehoben hat. Wie kann eine gemeinsame unseren relativen Lebensstandard und unsere Be- Sicherheitspolitik tatsächlich verfolgt werden, schäftigung. Das gilt für das ganze Feld, von den wenn Irland neutral ist; wenn Frankreich zwar der Quarzuhren und den neuen Medientechniken bis Allianz, nicht aber der NATO angehört; wenn zwar hin zur Umwelttechnologie oder der Technologie Frankreich und England Nuklearmächte sind, aber der Kohle, der Kernenergie oder der Sonnenener- nur einer von beiden den Atomteststoppvertrag und gie. Schließlich haben uns allen ja die beiden Öl- nur einer von beiden den Nichtverbreitungsvertrag schocks und das Verhängnis der allzu hohen Ohm- für Atomwaffen unterschrieben hat; wenn wir ande- portabhängigkeit Europas deutlich genug das Fell ren mittleren und kleineren Staaten in der EG den verbrannt. Nichtverbreitungsvertrag zwar natürlich ratifiziert Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13775

Schmidt (Hamburg) haben und auch peinlich genau einhalten, aber lei- Die Harmel-Doktrin der Atlantischen Allianz war der seit 15 Jahren vergeblich darauf warten, daß eine sehr brauchbare Gesamtstrategie. auch die nuklearen Vertragspartner ihre Abrü- (Zustimmung des Abg. Dr. Ehmke [Bonn] stungsverpflichtungen aus Art. 6 endlich erfüllen; [SPD]) (Beifall bei der SPD) Sie war präzise in ihrem doppelten Kern, aber doch allgemein genug, um von allen europäischen Bünd- und wenn sich schließlich die nichtnuklearen Staa- nisstaaten und von den Amerikanern gemeinsam ten in der EG in zwei unterschiedliche Interessen- getragen werden zu können. Sie verzichtete darauf, gruppen aufteilen, in solche, die keine fremden die sich erst später entwickelnden Politiken der Atomwaffen auf ihrem Boden dulden wollen, und Verteidigung, der Rüstungsbegrenzung oder der solche wie Italien, Deutschland, Belgien und Hol- vertraglichen Zusammenarbeit mit der Sowjet- land, die dies nach schwierigen inneren Auseinan- union im Vorwege im Detail oder geradezu in Para- dersetzungen gestatten? graphen zu regeln. Das ganze Dokument war der Form nach ein bloßer Ratsbeschluß; es war, wenn Aus all diesen — auch völkerrechtlichen — Un- ich mich recht erinnere, nicht länger als zweiein- terschieden im Sicherheitsstatus und außerdem aus halb Druckseiten. unterschiedlichen geographischen Lagen ergeben sich sehr verschiedene Interessen, z. B. gegenüber Jener nach dem damaligen Vorsitzenden des Ra- den meisten Abrüstungsproblemen. Wir Deutschen tes — es war der Belgier Pierre Harmel — ge- haben ein dringliches, ein vordringliches Interesse nannte Beschluß hatte zwei Voraussetzungen. Er am Erfolg der Verhandlungen über atomare Mittel- setzte erstens den Druck der sowjetischen Welt- streckenwaffen, die jüngst von Gorbatschow und macht auf Europa voraus, und er setzte zweitens, Reagan wieder in den Mittelpunkt gerückt worden daraus resultierend, die fortdauernde Notwendig- sind, über eurostrategische Waffen, die auf uns ge- keit des Bündnisses der Europäer mit der anderen richtet sind. Für die Portugiesen dagegen kann dies Weltmacht, mit den USA, voraus. Beide Vorausset- nur eine von vielen anderen, für sie gleichrangigen zungen bestehen heute noch genauso, wie sie 1967 Fragen sein. Für London hat die „special relation- bestanden haben. ship" zu Amerika jedenfalls bisher vor vielen euro- Der Kern der Doktrin bestand aus zwei Punkten. päischen Interessen Vorrang. Für die gleichfalls mit Erstens: Die Allianzpartner verpflichteten sich Washington verbündeten Franzosen sieht das er- selbst zu erheblichen gemeinsamen Verteidigungs- heblich anders aus, siehe die völlig unterschiedli- anstrengungen, um durch tatsächliche Verteidi- chen Haltungen in London und in Paris gegenüber gungsfähigkeit abzuschrecken. Zweitens: Auf der SDI. Basis der so hergestellten Sicherheit boten sie der Sowjetunion Zusammenarbeit an, vornehmlich auf Was nützt aber nun in solcher Situation eine ver- dem Felde der Rüstungsbegrenzung und Abrü- tragliche Festlegung, bei allen zukünftig vorkom- stung, aber auch auf wirtschaftlichem Felde usw. menden sicherheitspolitischen Fragen einer Mei- Wenn Sie so wollen, war das eine Doppelstrategie nung sein zu wollen? Welcher Meinung denn? Oder im wahren Sinne dieses heute inflatorisch miß- wird vielleicht die sehr interessante, aber in Ame- brauchten Wortes. rika wie in Europa sehr umstrittene Idee des ameri- kanischen Präsidenten, mit Hilfe von SDI die Stra- Diese außenpolitische gemeinsame Strategie Eu- tegie des Bündnisses völlig umzuwälzen, von dem ropas und der Amerikaner ist ein Jahrzehnt lang neuen Vertrag ausgenommen? sehr erfolgreich gewesen. Sie wurde von der So- wjetunion akzeptiert. Sie hat nicht nur den Ein- Meine Herren, marsch in die Tschechoslowakei überstanden, son- dern auch den Vietnam-Krieg, an dem beide Welt- (Frau Dr. Hellwig [CDU/CSU]: Was ist mächte beteiligt waren. Dann ist sie in der zweiten denn mit den Damen?) Hälfte der 70er Jahre zerbröckelt. Auf beiden Seiten wurden Fehler gemacht. Der größte Fehler war die durchaus ohne Vertrag über die gemeinsame Au- SS-20-Rüstung, dann der Einmarsch in Afghani- ßenpolitik haben die europäischen Regierungschefs stan, so daß Präsident Carter danach öffentlich ge- und Außenminister häufig genug auf vielen wichti- sagt hat, jetzt erst erkenne er den wirklichen Cha- gen außenpolitischen Feldern gemeinsam agiert, rakter der Sowjetunion. Das ehrte ihn zwar seiner z. B. in der Mittelostpolitik, z. B. einige Jahre lang in Ehrlichkeit wegen. Wir Europäer hingegen hatten der Namibiapolitik, z. B. in der Abwehr des ameri- solche Aha-Erlebnisse nicht; denn wir hatten ja kanischen Röhrenembargos. Am erfolgreichsten keine Illusionen gehabt. Aber in den Vereinigten haben sie — ohne jede Vertragsgrundlage — bei Staaten wurde nun jede tatsächliche oder auch jede der Konzipierung der Harmel-Doktrin 1967 koope- angebliche Illusion über sowjetische Politik ins riert, vor allem bei ihrer tatsächlichen Anwendung krasse Gegenteil verkehrt. SALT II wurde nicht und Befolgung. mehr ratifiziert, und bis zum „evil empire" war es dann nach dem Präsidentenwechsel nicht mehr (Beifall bei der SPD) weit. Der Abschuß des koreanischen Verkehrsflug- Das reichte doch vom Nichtverbreitungsvertrag, zeuges hat zu alledem erheblich beigetragen. von SALT I und ABM über die deutschen Ostver- Die Harmel-Epoche, meine Damen und Herren, träge und das Viermächteabkommen über Berlin war möglich gewesen, weil die Europäer außenpoli- bis hin nach Helsinki. tisch zusammengearbeitet haben. Sie ging kaputt 13776 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985

Schmidt (Hamburg) von dem Zeitpunkt an, wo die Zusammenarbeit zwi- Als dieses Dilemma vor zwei Jahrzehnten zum schen Europäern und Amerikanern zerbröckelte. ersten Mal — eigentlich schon während der Ver- Der europäische Einfluß auf die Gesamtstrategie handlungen zum Elysée-Vertrag und über MLF — Washingtons ist ab 1977 zunächst langsam und auftauchte, gab es bei den beiden großen Parteien dann schrittweise zerbröckelt, gemeinsam mit der hier in diesem Hause durchaus verschiedenartige Harmel-Doktrin. Sie war eine Gleichgewichtsdok- Tendenzen in der Beurteilung, wie man sich verhal- trin — das ist europäisches Interesse —, sie war ten solle. Ich erinnere mich, daß Baron Guttenberg keine Überlegenheitsstrategie. Sie kennzeichnet und Franz Josef Strauß und darum in Sachen Friedenssicherung die bei weitem entsprechend ein gaullistisches Epitheton ornans erfolgreichste Phase der Nachkriegszeit. Aber das angehängt bekommen haben. Gerhard Schröder, kann doch, Herr Bundeskanzler, jetzt nicht durch Fritz Erler, , auch einen rein formalen, von der Substanz her inhaltslo- oder mich, uns nannte man „Atlantiker". Diese Bei- sen außenpolitischen Kooperationsvertrag der Eu- namen waren allerdings schwere Übertreibungen. ropäer untereinander wiederhergestellt werden. Aber das zugrundeliegende Dilemma war real. Das Dilemma steht heute leider wieder stärker im Vor- (Beifall bei der SPD) dergrund als zur Zeit von Giscard d'Estaing oder Denn ohne den Willen Amerikas geht es schon gar von Pompidou. nicht. Die Ursachen für das Hervortreten dieses Dilem- Es gibt gegenwärtig keine gemeinsame Gesamt- mas liegen nur zum Teil in Paris. Sie liegen zum strategie des Bündnisses. Statt eines, wie ich glau- Teil in Bonn, zum Teil in Washington. Vor ein paar be, substanzlosen, wenn auch wahrscheinlich un- Tagen hat Jean François-Poncet im „Figaro" ge- schädlichen außenpolitischen Kooperationsvertra- schrieben — ich zitiere wörtlich —: ges, schiene es mir wichtiger, wenn die europäi- Regelmäßige Treffen, Höflichkeiten und De- schen Regierungen untereinander die langfristige mentis ändern nichts an der Tatsache, daß die Interessenlage ihrer Staaten im Verhältnis zur So- deutsch-französischen Beziehungen nicht mehr wjetunion, auch zu den USA, auch untereinander, das sind, was sie einmal waren. erneut in die Tiefe gehend analysierten. Sie würden dann wahrscheinlich erneut auf die alte Erkenntnis Zum Beleg führte er dann sieben wichtige Mei- stoßen, die der geschichtserfahrene Winston Chur- nungsverschiedenheiten an: SDI, neue GATT-Run- chill damals 1946 in Zürich ausgesprochen hat. Die de, europäisches Kampfflugzeug, Raumstation Co- europäische Familie, so sagte er, braucht ein Zu- lumbus statt Hermes, die Aufschiebung einer Ent- sammengehen von Frankreich und Deutschland. scheidung über den Beobachtungssatelliten, die zö- Monnet und Schuman, später de Gaulle und Ade- gerliche Behandlung von EUREKA und natürlich nauer und später wieder andere in Paris und Bonn das Kiechlesche Veto. Hier kennen eine ganze haben das verstanden. Sie haben nach diesem Ver- Menge von uns François-Poncet als einen nüchter- ständnis praktisch zu handeln versucht. Dabei sind nen Mann. Ich will mir — trotz seiner Nüchtern- — Sie haben recht, Herr Bundeskanzler — große heit — seine Schlußfolgerung nicht zu eigen ma- Fortschritte erreicht worden. Vor allem anderen chen. In ihr ist von einer „tiefgreifenden Ver- nenne ich die freundschaftliche Gesinnung der schlechterung" die Rede. Franzosen und der Deutschen gegenüber einander. Ich weiß auch, daß bei Verstimmungen zwischen (Beifall bei der SPD) Menschen oder Regierungen oder den öffentlichen oder veröffentlichten Meinungen von Völkern meist Natürlich sind manchmal auch Fehler gemacht auf beiden Seiten Fehler gemacht worden sind. Des- worden, jedenfalls sind Erschwernisse eingetreten. halb sollte man sowohl im Elysée als auch im Kanz- Die prononcierte Wiederaufnahme der autonomen leramt prüfen, ob Fehler vorliegen und wie sie für nuklearen Verteidigungskonzeption de Gaulles „à die Zukunft vermieden werden können. Weder liegt tous azimuts", gegen alle Himmelsrichtungen, es in Frankreichs Interesse, uns Deutsche in alter- durch den gegenwärtigen Präsidenten in Paris hat native oder polarisierende Entscheidungssituatio- das deutsche Dilemma wiederaufleben lassen. Un- nen zu drängen oder drängen zu lassen, noch dür- sere gegenwärtige Bundesregierung und wir alle fen wir selbst uns in polarisierende Entscheidungs- leiden daran. Ich meine jenes Dilemma, das uns situationen hineinbegeben. Deutschen der große Präsident de Gaulle heute vor 20 Jahren durch seinen Auszug aus der NATO be- Beide Chefs müssen wissen, daß das Ausbleiben schert hat. einer eindeutig kooperativen sicherheitspolitischen Entscheidung Frankreichs die Sache heute stärker Dieses Dilemma besteht darin, geschichtlich und erschwert als zur Zeit der Harmel-Strategie in den politisch und psychologisch vornehmlich auf die Le- 70er Jahren. gitimation durch den französischen Partner ange- wiesen zu sein und doch zugleich, in Sachen unse- Die Zeit für eine neue, den europäischen Interes- rer eigenen Sicherheit auf Frankreichs Hilfe nur sen dienliche Gesamtstrategie unseres westlichen eingeschränkt rechnen dürfend, militärisch und Bündnisses ist trotz des Genfer Gipfels, der ein bündnispolitisch vornehmlich auf den amerikani- erster Schritt auf einem viele Meilen langen Wege schen Partner angewiesen zu sein — und dies bei- gewesen ist, zwischen den Regierungen des We- des bei ganz erheblicher Divergenz der Politik und stens offenbar noch nicht reif. Aber Europa wird in der Strategie des französischen und des amerikani- diesem Bündnis und in der Welt nur dann wieder schen Partners. ein Gewicht in die Waagschale legen können, wenn Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13777

Schmidt (Hamburg) dies gemeinsam und im engen Einvernehmen zwi- geln, wenn Kommissionspräsident und Minister schen Deutschen und Franzosen geschieht. das wirklich nicht können. — Aber das letztere ist doch gar nicht der Fall. (Beifall bei der SPD und der FDP) Warum läßt man z. B. Delors nicht einen Mar- Am Montag dieser Woche hat mein Freund Giscard shall-Plan oder einen Reagan-Plan für Zentralame- d'Estaing hier vor dem DIHT in Bonn gesprochen rika ausarbeiten und qua EG der amerikanischen und gesagt: und der japanischen Regierung ein Angebot ma- Dort, wo Deutschland und Frankreich einig chen, das so lauten könnte: Costa Rica und El Salva- sind, kommt Europa voran. dor, Guatemala, Honduras, Nicaragua, die Staaten der zentralamerikanischen Landbrücke haben zu- Dort, wo Deutschland und Frankreich sich sammen ein Bruttosozialprodukt von ganzen 30 trennen, tritt Europa auf der Stelle. Milliarden Dollar. Das ist ungefähr 1 % des amerika- Beides trifft den Kern. nischen oder des europäischen Sozialprodukts. Wir schlagen euch in Washington und in Tokio vor, das (Beifall bei der SPD) Sozialprodukt pro Kopf in Zentralamerika, sagen Und wenn ich einen bescheidenen persönlichen wir, in sieben Jahren zu verdoppeln. — Natürlich Rat hinzufügen darf: So wie Präsident Mitterrand könnten wir uns das leisten. Es würde jeden von selbstverständlich und selbstverständlich taktvoll uns weniger als ein Zehntel Prozent unseres jährli- Kontakt pflegt und Kontakt pflegen läßt zu führen- chen Sozialprodukts kosten. Aber natürlich würde den Personen der Opposition in Bonn, so sollte die damit endlich eine wirtschaftliche und soziale deutsche Seite Kontakt pflegen in Paris, nicht nur Grundlage geschaffen, auf der dann Contadora und zu Herrn Fabius, sondern auch zu den Herren Chi- Vernunft sich durchsetzen könnten gegen ziellose rac, Chaban-Delmas, Giscard, Raymond Barre, na- Revolutionäre und Contras und Diktaturen. türlich auch zu Rocard. Persönliche Freundschaf- (Beifall bei der SPD) ten, meine Damen und Herren, zwischen den Und natürlich wäre das ein positiver Beitrag euro- Staatslenkern Frankreichs und Deutschlands sind päischer Außenpolitik zur Entgiftung der Welt. ein Geschenk. Die kann man nicht durch Beschluß - kreieren. Aber freundschaftliche Kontakte und Ver- Oder ein anderes Beispiel: Warum läßt man De- ständigung zwischen den wichtigen Personen der lors nicht die Initiative von Jim Baker in Seoul auf- politischen Klasse in beiden Ländern, die hingegen greifen. Da hat zum erstenmal ein Amerikaner in können durchaus erarbeitet werden — die richtige Richtung gedacht, zum erstenmal Wa- shington die Schuldenkrise als langfristige Aufga- (Frau Dr. Hellwig [CDU/CSU]: Hat sich je be, als politische Aufgabe verstanden und ernst ge- mand bei Ihnen beschwert?) nommen. Jetzt müssen wir Europäer das Problem damit es bei abermaligen Regierungswechseln endlich auch als langfristiges Problem verstehen, nicht noch mal so hergehen muß wie Montag und sowohl als finanzökonomisches, vor allem aber als Dienstag in Luxemburg, etwa nach dem Diktum weltpolitisches Problem. Warum liefern wir nicht Rossinis über Wagners Lohengrin: „Sehr schöne die bei Jim Baker noch fehlenden wesentlichen Ele- Momente, aber böse Viertelstunden". mente? (Heiterkeit bei der SPD) Das sind zwei Beispiele für Ansatzpunkte zum konkreten Handeln hier und heute. Der außenpoliti- Ich möchte auf zwei Personen hinweisen, die au- sche Kooperationsvertrag des Europäischen Rats ßerhalb der Regierungen stehen, zwei Staatsmän- kommt erst in Jahren, und der wird ganz gewiß ner, konzeptionsstark und urteilskräftig, deren aus- weder für Seoul noch für Zentralamerika Rezepte gleichenden Ratschlag man sowohl in Paris als liefern. auch in Bonn als auch anderswo in Europas Haupt- Meine Damen und Herren, lassen Sie mich am städten hören sollte. Ich meine den englischen Kon- Schluß sagen: Wir Sozialdemokraten, und so auch servativen und ich meine den Lord Carrington, ich, sind des deutschen Schicksals in der Zukunft französischen Sozialdemokraten Jacques Delors. unserer Nation wegen immer überzeugte Europäer Das sind beides gestandene, ausgewiesene Männer. gewesen, immer Freunde Amerikas, Es würde mir sehr schwerfallen, ihren Rat auszu- schlagen. (Feilcke [CDU/CSU]: Haha!) Warum läßt man sie nicht agieren, z. B. im Vor- immer auch — auf der Basis der eigenen Sicherheit felde des Genfer Gipfels? Etwa jener New Yorker — überzeugte Verfechter der Verständigung mit Nachmittag, der ominöserweise mit dem französi- unserem mächtigen Nachbarn Sowjetunion. schen Präsidenten nicht abgestimmt war und zu (Beifall bei der SPD) dem er deshalb nicht erschien, der konnte doch wohl einen deutlichen europäischen Einfluß nicht Wenn heute, wie wohl meistens, meine Ausführun- ersetzen, der vor Genf lange Zeit völlig gefehlt gen zu Europa nicht so euphorisch geklungen ha- ben, so bedenken Sie bitte, daß sich bei uns lebens- hatte. langer Idealismus mit nüchterner, pragmatischer, (Beifall bei der SPD) realistischer Vorstellung von dem, was heute mach- Oder z. B. im Vorfeld der Euro-Gipfel von Mailand bar ist, verbindet. Ich selbst habe in der Politik oder Luxemburg. Nur dann, Herr Bundeskanzler, Optimismus immer für fast ebenso gefährlich ge- sollen die Staatslenker persönlich die Details re halten wie Pessimismus; und tatsächlich, die Pro- 13778 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985

Schmidt (Hamburg) gnosen der Optimisten und die Prognosen der Pes- Herzlichen Dank. simisten erweisen sich im Durchschnitt der politi- (Lang anhaltender Beifall bei der SPD) schen Lebenserfahrung in gleichem Maße als feh- lerhaft und irreführend, Vizepräsident Stücklen: Das Wort hat der Herr Ab- (Feilcke [CDU/CSU]: Per Saldo hilft Opti geordnete Klein (München). mismus!) so bei der Wettervorhersage, so bei der Konjunktur- Klein (München) (CDU/CSU): Herr Präsident! prognose, so auch bei der Vorhersage von epoche- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was der machenden Wirkungen des Luxemburger Gipfels. Kollege Schmidt gegen Schluß seiner Rede als Aber ich gebe durchaus zu: Im Durchschnitt leben Standortbestimmung der deutschen Sozialdemo- die Optimisten glücklicher als die Pessimisten. kratie gesagt hat, nehme ich ihm mit Respekt ab. Ich fürchte nur: Er hat dabei so wenig einen Mehr- (Feilcke [CDU/CSU]: Das ist richtig!) heitsstandpunkt seiner Partei formuliert wie im Manchmal sind Sie, Herr Bundeskanzler, allein Herbst 1983. Ihres Optimismus wegen glücklich. (Beifall bei der CDU/CSU) (Feilcke [CDU/CSU]: Der Vogel ist un Meinen Respekt auch, Herr Kollege Schmidt, vor glücklich!) dieser bitteren, selbstkritischen Analyse über die Phase des Zerbröckelns der Zusammenarbeit zwi- Ich denke dabei ganz besonders an die Schlußpas- schen den Europäern und den Vereinigten Staaten. sage Ihrer Erklärung vorhin. Aber lassen Sie uns bitte dabei die Wirklichkeit nicht schöner malen, als (Zuruf des Abg. Feilcke [CDU/CSU]) sie ist. In der Wirklichkeit ist in all den Mitglied- Meine Damen und Herren, im übrigen — wir hat- staaten der Europäischen Gemeinschaft eine ge- ten schon ein bißchen vergessen, wie das ist — wisse Europamüdigkeit eingetreten; ein Effekt von haben wir natürlich weite Passagen einer intelli- zu vielen euphorischen Reden und Ankündigungen genten, kundigen, und zu vielen nachfolgenden Enttäuschungen. (Feilcke [CDU/CSU]: Staatsmännischen!)- (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) teilweise sehr fairen, teilweise einseitigen Lassen Sie uns seltener große Ziele ankündigen, (Feilcke [CDU/CSU]: Eingebildeten!) aber dafür häufiger, nein, immer das konkrete Tour d'horizon hier erlebt, die, wenn Sie so wollen, Machbare tatsächlich tun. ein Beispiel routinierter Vortragskunst ist. (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten (Dr. Blank [CDU/CSU]: 20 000-Dollar- der GRÜNEN) Kunst!) Auch wenn das Tun dann begrenzt bleibt, bringt es Ich kann mir gut vorstellen, wie ein fasziniertes uns in seiner Summierung doch weitaus besser Publikum in Milwaukee dem zuhört. Das ist immer so ein wenig insinuierend, er wisse alle Lösungen voran als verpuffende Euphorie. für die Probleme, die er beschreibt und analysiert. Sie haben, Herr Bundeskanzler, am Schluß vom (Dr. Blank [CDU/CSU]: Er ist ein Weltöko gemeinsamen europäischen Ziel der Demokraten nom!) gesprochen. Ich habe gemeint, daß sich das auch an uns richtet. Das war gut. Ich füge hinzu: Der Ur- Meine Damen und Herren, es geht vorwärts in grund des westeuropäischen Zusammenschlusses Europa. Die Luxemburger Sitzung des Europäi- liegt in der Vorgeschichte des letzten Weltkrieges, schen Rates hat erkennbare Fortschritte gebracht. an den Sie erinnert haben. Er liegt auch in der prä- In dem Antrag, den Ihnen meine Fraktion heute senten Nähe des mächtigen kommunistischen dazu vorlegt, heißt es: Nachbarn. Er liegt im Willen, zu verhindern, daß Die Bundesregierung hat, wie die Entwicklung sich je die Schrecken der Vergangenheit wiederho- seit dem Stuttgarter Treffen des Europäischen len. Er liegt auch im Willen zur Selbstbehauptung Rates 1983 belegt, entscheidenden Einfluß auf der Völker Europas. Ich stimme Ihnen zu: aller Völ- Beschleunigung und Ausweitung des ins Stok- ker Europas. Sie haben die im Osten ausdrücklich ken geratenen europäischen Integrationspro- namentlich genannt, und auch ich schließe sie ein. zesses ausgeübt. Er liegt auch im Willen zur Selbstbehauptung aller Dies ist eine nüchterne, tatsachengerechte Be- Völker Europas gegenüber der immer noch steigen- wertung eines Erfolges für die Bundesregierung, ei- den militärischen und wirtschaftlichen und insge- nes Erfolges für die Bundesrepublik Deutschland, samt politischen Macht der beiden Weltmächte. für die Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, daß wir und für deren Partnerstaaten in aller Welt. gelassene und respektierte Nachbarn der einen Ich glaube zu wisen, warum der Oppositionsfüh- Weltmacht, Sowjetunion, bleiben und daß wir ge- rer entgegen aller sonstigen Übung heute nicht auf genüber der anderen Weltmacht, Amerika, Freunde, die Regierungserklärung des Bundeskanzlers ge- Verbündete, Weggenossen, Partner bleiben, daß wir antwortet hat. In der Debatte am 27. Juni dieses Europäer aber nie auf den Status von Klienten, von Jahres hat er — ein bißchen polemisch umrankt — Schutzbefohlenen absinken, sondern daß wir Part- vorgetragen, was die Sozialdemokraten von der Eu- ner bleiben! ropapolitik der Bundesregierung erwarten. Aus der Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13779

Klein (München) heutigen Regierungserklärung des Bundeskanzlers nengrenzen zwischen den 12 EG-Staaten. Die Vor- wird deutlich, daß die Bundesregierung dem aller- aussetzung dafür schafft der Übergang vom Ein- größten Teil dieser Erwartungen gerecht geworden stimmigkeitsprinzip auf qualifizierte Mehrheiten ist. Der Kollege Dr. Vogel hätte sich heute also fai- bei den entsprechenden Entscheidungsprozeduren. rerweise bedanken müssen. Dem hat er sich entzo- Bei Verwirklichung dieses Binnenmarktes werden gen. von allen Beteiligten noch weitgehende Konzessio- nen gefordert werden. (Feilcke [CDU/CSU]: So was steht ihm auch nicht!) In einigen wichtigen Bereichen ist es gelungen, die hohen Standards der Bundesrepublik Deutsch- Den Mitgliedern des Europäischen Rates ist in land durchzusetzen. Aber so wie wir möchten auch Luxemburg etwas gelungen, was unseren Respekt andere bestimmte, in ihrem Lande gewachsene verdient: Sie haben es in einer ganzen Reihe wichti- Strukturen schützen. Dabei können noch Gegen- ger Fragen geschafft, einen Durchbruch zu erzielen, sätze aufeinanderprallen. ohne der Gefahr der pompösen, Illusionen wecken- den Selbstberühmung zu erliegen. Ich nenne, Herr Kollege Schmidt, einen Punkt, über den beispielsweise kein bayerischer Politiker Natürlich bedarf die europäische Einigung der vi- mit sich reden lassen kann: das Reinheitsgebot des sionären Kraft. Bleibt die Wirklichkeit aber weit Biers. hinter den Ankündigungen zurück oder verheddert sich die Gemeinschaft in Bestimmungen, die der Der Umweltschutz, meine Damen und Herren, Bürger nicht mehr begreift, breiten sich Enttäu- wird in den Vertragstext aufgenommen. Auf dem schung und Resignation aus. Franz Josef Strauß, Stuttgarter Europagipfel war die Bundesregierung dieser engagierte Europäer der ersten Stunde, ge- mit dieser Forderung noch ein einsamer Rufer. Und hört zu den beredten Warnern vor solchen Fehlent- als Bundesinnenminister Zimmermann mit seinen wicklungen. ersten Vorschlägen für ein umweltfreundliches Auto vor die europäische Öffentlichkeit trat, höhnte Die Luxemburger Beschlüsse aber leiten Ent- die Opposition. Aber diese Impulse haben positive, wicklungen ein, die jedem einzelnen von den ab ein gemeinsames europäisches Umweltbewußtsein 1. Januar 1986 rund 320 Millionen Europäern in der schaffende Wirkungen gezeitigt. Gemeinschaft Vorteile bringen. Damit meine ich keineswegs nur die Maßnahmen, die unter dem Auch die Forschungs- und Technologiepolitik der Stichwort „Europa der Bürger" getroffen werden Gemeinschaft wird in einem eigenen Vertragskapi- sollen, etwa den Wegfall der Personenkontrollen an tel verankert, das Ziel der Wirtschafts- und Wäh- den Grenzen oder die gegenseitige Anerkennung rungsunion ausdrücklich in den EWG-Vertrag auf- von Hochschuldiplomen und Prüfungen; vielmehr genommen. beziehe ich mich auf die Schaffung des Binnen- Was die Mitwirkungsmöglichkeiten des Europäi- marktes, die Forschungs- und Technologiepolitik schen Parlaments anlangt, so ist der Bundeskanzler der Gemeinschaft, den gemeinsamen Umwelt- mit erheblich weitergehenden Vorstellungen nach schutz, die Kompetenzausweitung des Europäi- Luxemburg gegangen. Sie waren nicht voll durch- schen Parlaments und die Zusammenarbeit auf setzbar. Doch auch das schließlich Erreichte, ein dem Gebiet der Außenpolitik. Kompromiß zwischen den äußerst restriktiven Dä- Freilich, viele der Ergebnisse waren nicht maxi- nen und den äußerst progressiven Italienern, ist mal, sondern bestenfalls nur optimal oder wie im wesentlich der Beharrlichkeit des Bundeskanzlers Falle des Europaparlaments sogar noch ein bißchen zu danken. weniger. Doch, selbst wenn man sich drei Schritte (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) vorgenommen hat und nur zwei tun kann, meine Damen und Herren, ist das immer noch besser, als Meine Damen und Herren, als Chef einer Koali- stehenzubleiben. tionsregierung aus drei Parteien, in der immer wie- der operative Kompromisse nötig sind und in der Der Begriff Kompromiß hat für mich keine ab- jeder Triumph den Erfolg gefährden würde, ist er wertende Bedeutung. Er ist das oft mühsam er- natürlich gut im Training. reichte Ergebnis demokratischen Abgleichs unter- schiedlicher Interessenlagen. Für die initiative Rol- (Zuruf von der CDU/CSU) le, die Bundeskanzler Kohl bei der Erreichung vie- An dieser Stelle sei mir aber ein Wort an die Kol- ler dieser notwendigen Kompromisse gespielt hat, leginnen und Kollegen der SPD gestattet. Nutzen für sein Drängen auf mehr Fortschritt und für die Sie doch Ihre Parteibeziehungen innerhalb der So- behutsame Mittlerposition, mit der er gegensätzli- zialistischen Internationale, um auf Sozialdemokra- che Standpunkte zusammenzubringen trachtete, ten und Sozialisten in Dänemark und auf die Mit- habe ich ihm namens der CDU/CSU-Bundestags- glieder der Labour Party in Großbritannien einzu- fraktion zu danken. wirken. Denn es ist deren erbitterter, freilich meist (Beifall bei der CDU/CSU) innen- oder parteipolitisch begründeter Widerstand, der es einem Ministerpräsidenten Schlüter oder ei- Der wohl bedeutendste Beschluß — Heinz Stadl- ner Premierministerin Thatcher so schwer macht, mann bezeichnet ihn in der heutigen „Frankfurter Konzessionen zuzustimmen. Dadurch würde die eu- Allgemeinen Zeitung" als Mittelpunkt der Reform- ropäische Gesinnung der SPD glaubwürdig. bestrebungen — zielt auf die Schaffung eines euro- päischen Binnenmarktes, eines Raumes ohne Bin- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) 13780 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985

Klein (München) Das läge auch im deutschen Interesse — im Gegen- Zu rühmen ist die kaltblütige Ruhe, mit der satz zu Ihrer Techtelmechtel-Gegenaußenpolitik ge- Europas Oberhäupter auf jene Bombe reagier- meinsam mit regierenden kommunistischen Par- ten, die, nur 70 Meter entfernt, vor ihrem Ta- teien in Osteuropa. gungshauptquartier in Luxemburg explodierte. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) „Sie ließen sich nicht stören", vermerkt die offi- zielle Verlautbarung. Es ist ein Satz, der ... von Bei allem Verständnis für die Enttäuschung über ewiger Wahrheit kündet. Die Staats- und Regie- noch nicht Erreichtes bei unseren Kollegen im Eu- rungschefs der EG, wieder einmal angetreten, ropäischen Parlament kann ich die Interview-Auße- um den Traum Europa mit neuen Klauseln und rungen der beiden Europa-Parlamentarier Seefeld Paragraphen zu beflügeln, lassen sich nicht stö- und Alber nicht ganz so gelassen hinnehmen, wie es ren — nicht von Bomben ... soeben der Bundeskanzler getan hat. Niemand, der europäische Gemeinsamkeit ernsthaft will, darf Und schon gar nicht von so ernsten sozialen, wirt- sich über die historische, wirtschaftliche, politische schaftlichen, ökologischen und agrarpolitischen und kulturelle Identität eines Partnerlandes so hin- Problemen. Sie ließen sich nicht stören von 14 Mil- wegsetzen, wie es der sozialdemokratische Europa- lionen registrierten Arbeitslosen in diesem Europa Abgeordnete Seefeld mit dem Satz tut: Wem es heute, und sie ließen sich nicht von den neuesten nicht paßt, der soll das sagen und uns notfalls ver- OECD-Prognosen stören, daß 1986 die 20-Millionen- lassen. Marke überschritten wird. 20 Millionen Arbeitslose, Herr Genscher, in 1986! 20 Millionen Arbeitslose, Solche Einstellung auch noch mit der Forderung Herr Genscher, im Jahre 1986! Sie lassen sich nicht nach mehr europäischer Demokratie zu begründen, stören von den Ursachen von Armut in Europa. Der ist schlicht absurd. Schließlich soll nach dem Willen EG-Kommissar Peter Sutherland nannte es einen des Europäischen Rates durch einen Vertrag nun- Fortschritt — „einen Fortschritt" sagte er —, daß mehr auch die Voraussetzung für eine gemeinsame inzwischen keine der EG-Regierungen mehr das Außen- und Sicherheitspolitik geschaffen werden, Vorhandensein von Armut in ihrem Land bestreite. die über den Rahmen der EPZ, der Europäischen Das ist Fortschritt in Europa! Doch die EG-Finanz Politischen Zusammenarbeit, hinausgeht. Die EG mittel für das neue EG-Armutsprogramm wurden hat schon in den letzten Jahren ungeachtet aller - von Bonn und von London von 80 Millionen DM auf inneren Schwierigkeiten außenpolitisches Profil ge- 56 Millionen DM gestrichen. Armut, die heute vor- wonnen. Darauf haben sich die USA, Kanada, Japan wiegend mit alten Menschen, Menschen ohne und andere befreundete Staaten längst eingestellt. Wohnsitz, Dauerarbeitslosen, Gastarbeiterfamilien, Das hat aber auch die UdSSR und die RGW-Länder Alleinerziehenden, politischen Flüchtlingen und Be- zum Überdenken ihrer ursprünglich ablehnenden hinderten zu tun hat. Haltung veranlaßt. Und die Staaten der Dritten Welt mit der Volksrepublik China an der Spitze ver- Aber wen kümmert das schon im Europa von sprechen sich viel von einer noch intensiveren Zu- oben? Noch vor dem Weihnachtsfest 1985 lassen die sammenarbeit mit einer noch geschlosseneren Eu- EG-Behörden mit deutscher Zustimmung rund 650 t ropäischen Gemeinschaft. Trockenfeigen vernichten. Das Angebot dieser Mit Spanien und Portugal, die übrigens beide Früchte vor der Weihnachtszeit soll nach dem Wil- schon jetzt außergewöhnlich konstruktiv mitarbei- len der EG-Landwirtschaftsminister begrenzt und ten, hat das Gewicht der EG weltweit zugenommen. der Preis hoch gehalten werden. Auch das ist Eu- Gelingt es den Zwölf, außenpolitisch weitgehend ropa von oben. mit einer Zunge zu sprechen und sicherheitspoli- Sie ließen sich auch nicht stören, Herr Kohl, als tisch stärker an einem Strang zu ziehen, wird die Ihr Parteikollege, der Europaabgeordnete Herr Al- Beispielkraft ihrer friedlichen, freiheitlichen und ber, am Montag gemeint hat, den EG-Ministerrat demokratischen Zusammenarbeit auf ganz Europa könne man gut und gern in „Alliierte Hochkommis- wirken. Auch zum Nutzen aller Deutschen. sion für Europa" umbenennen, denn seine soge- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) nannte Gesetzgebung sei undemokratisch. Die Ge- setzgebung ausschließlich durch den Ministerrat, Die zwölf Außenminister haben die Aufgabe, so Ihr Kollege, könne fast als Besatzungsrecht be- Mitte Dezember die Luxemburger Ratsbeschlüsse zeichnet werden. Wir stimmen nicht mit den Zielen in Vertragsform zu fassen. Ihre elf Kollegen und von Herrn Alber überein, aber für seine Kritik ha- Sie, Herr Bundesaußenminister, müssen den Teu- ben wir durchaus Verständnis. Die Oberhäuptlinge fel, der ja bekanntlich im Detail steckt, bändigen. Europas haben es in Luxemburg immerhin ge- Dafür wünschen wir Ihnen Erfolg. schafft, über Verhütungsmittel und einen freien (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Binnenmarkt zu sprechen, und von diesem Thema führte ein kurzer Weg zu der Frage, wie ein freier Handel mit Pornographie verhindert werden könne. Vizepräsident Stücklen: Das Wort hat Frau Abge- ordnete Kelly. Was die Demokratisierung des Europaparlaments angeht, so meinte gestern Außenminister Genscher (Feilcke [CDU/CSU]: Maschinengewehr!) im Auswärtigen Ausschuß: Das letzte Wort habe weiterhin der EG-Ministerrat, in letzter Instanz ent- scheiden die EG-Minister. Frau Kelly (GRÜNE): Liebe Kolleginnen und Kol- legen! In einem Kommentar meinte die „Süddeut- So kann es eigentlich nicht mehr weitergehen. sche Zeitung" gestern: Und das wird Demokratisierung des Europaparla- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13781

Frau Kelly ments genannt. Diese Art von Europapolitik ist sen, kriminellen Force de frappe, die weiterhin weit höchst zynisch und menschenverachtend. weg von Frankreich ihre Atombomben im Pazifik Ein weiteres Beispiel des zynischen Europas von testet, ohne Rück- oder Vorsicht auf Menschenle- oben ist diese Anzeige von Panavia Aircraft, die ich ben und Natur, genau wie die beiden Supermächte, mitgebracht habe, letzte Woche in der „Zeit" er- die wir ständig ermahnen und ständig auffordern, schienen, zu einem Atomteststopp zu kommen. (Die Rednerin zeigt einen Zeitungsaus Und wo bleibt denn die europäische Moral z. B. in schnitt) bezug auf Südafrika und Druck auf das Apartheid- regime? eine Anzeige der Panavia Aircraft zum Thema 800 Tornado — Allwetterkampfflugzeuge, die sie herge- Letztes Jahr haben Sie, Herr Schmidt, die rü- stellt hat. „Ein Erfolg Europas", so die Überschrift stungspolitische Zusammenarbeit in Europa her- dieser Anzeige letzte Woche und auch diese Woche. vorgehoben — auch diesmal haben Sie das getan, Daraus nur ein Zitat: z. B. bei Transall, bei ESA, bei Alpha-Jet, bei Hot, bei Milan, bei Roland —, um darin den Weg zur poli- Panavia, ein funktionierendes europäisches In- tischen Eigenständigkeit Europas zu beschreiben. strumentarium, seit 16 Jahren ein verläßlicher Diesen Weg werden aber ganz viele soziale Bewe- und fähiger Partner der NATO-Luftstreitkräfte. gungen in diesem Europa nicht mitmachen. Deshalb Was in der WEU zur Zeit vorgeht, vorprogram- — so in dieser Anzeige — miert wird, zeigt ganz deutlich, daß man das Europa haben sich auch die kochentwickelten der Rüstungsindustrie und der Militaristen eben — so heißen sie — auch ohne die Quertreiber und ohne die Querulan- ten, die Iren, die Griechen und die Dänen, vorantrei- Luftwaffen Omans und Saudi-Arabiens für Pa- ben kann. Wenn es nicht in der EG geht, dann navia entschieden und werden 80 Tornados ein- innerhalb der WEU, dem militärischen Arm der Eu- setzen. ropäischen Gemeinschaft. Der Luxemburger Gipfel Das wird als Erfolg Europas bezeichnet. und seine Aussagen dazu bestärken uns- in dieser Annahme. Ich glaube, dies geht Hand in Hand mit den Visio- nen eines , der sich nicht ganz so gut Die Karten müssen offen auf den Tisch. Wie steht ausdrückt, und den Visionen eines , es eigentlich mit der festgelegten Beistandsver- der sich sehr gut und brillant ausdrückt, der aber pflichtung im Rahmen des WEU-Vertrages? In der vieles verschweigt, mit den Visionen eines Herrn WEU-Empfehlung vor einem Jahr regte die WEU- Genscher und eines Herrn Strauß: die große Koali- Versammlung an, daß WEU-Mitglieder bei Entwick- tion für Europa, an der wir, DIE GRÜNEN, uns nie lungen außerhalb des NATO-Gebiets, die die lebens- beteiligen werden. wichtigen Interessen der WEU-Staaten berühren, (Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Ist auch gut Streitkräfte in diese Krisenregionen verlegen soll- so!) ten. Wir wissen, daß der WEU-Vertrag keine geogra- phische Begrenzung des Aufgabenbereichs enthält. Diese große Koalition möchte die Eigenständigkeit, Trägt auch Helmut Schmidt diese Vision mit? die Unabhängigkeit und die Souveränität Europas herbeirüsten und errüsten über den Aufbau einer Auch im EG-Rahmen werden Überlegungen über militärischen und wirtschaftlichen, ausbeuteri- eine gemeinsame Militärpolitik vis-à-vis der Dritten schen europäischen Supermacht unter französi- Welt angestellt. Vorschläge für EG-Friedens- und scher Führung. Eingreiftruppen zur Sicherung unserer Rohstoff- und Energieversorgung aus der Dritten Welt und Herr Schmidt, Sie haben schon vor einem Jahr, für die Sicherung der Seewege durch gemeinsame am 28. Juni 1984, in diesem Hause davon geträumt, Missionen der militärischen Flotten der EG-Mit- daß Frankreich seine autonome Nuklearmacht gliedstaaten deuten darauf hin, daß sich die EG auch auf die Abschreckung zugunsten der Bundes- eigenständige militärische Interventionskapazitä- republik erstrecke. Beide Seiten würden, so sagten ten zulegen will. Dabei darf die indirekte militäri- Sie damals, Herr Schmidt, Ihre soldatischen Fähig- sche Durchdringung der Staaten der Dritten Welt keiten — die soldatischen Fähigkeiten der Bundes- über europäische Rüstungslieferungen nicht ver- republik und Frankreichs, so meinten Sie — und gessen werden. Und Ankara bietet zur Zeit Übungs- Frankreich würde seine große geschichtliche Mili- plätze in Anatolien für unsere Tiefflieger als Gegen- tärtradition in die gemeinsame Verteidigung ein- leistung für den Leo II an; auch das ist Europa. bringen — Weitere Bausteine für eine Super- und Atom- (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) streitmacht Europa sind die europäischen Raum- das Konzept eines deutsch-französischen Tandems fahrt- und Atomindustrien, militärische Projekte oder einer deutsch-französischen Militärallianz, auf sogenannter ziviler Grundlage. Dies fängt bei von der Sie immer wieder sprechen, welches zur Plänen für eine bemannte europäische Raumsta- politischen Führung der EG führen soll und später tion an und führt über zivile Ergebnisse von Eure- einer Europäischen Union. Und dies, Herr Schmidt, ka, die für SDI militärisch genutzt werden können, mit einer Regierung, die ein Greenpeace-Schiff mit und das verbindende Zwischenglied ist die Europäi- terroristischer Absicht versenkt hat und damit je- sche Verteidigungsinitiative, bei der es um Antira- manden umgebracht hat und mit einer skrupello keten und Spionagesatelliten geht und die sich ge- 13782 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985

Frau Kelly rade Herr Wörner seit einigen Tagen herbeisehnt. Selten hat es in den Medien über einen Europa- Und in der WEU plant man tüchtig die Eroberung gipfel so unterschiedliche Berichte gegeben wie des Weltraums auch unter militärischen Gesichts- über die Luxemburger Konferenz. Es ist vom Schei- punkten. tern die Rede, von einer Konferenz ohne jegliche Bei der Nukleartechnologie in Europa, Herr Ergebnisse und auf der anderen Seite von einem Schmidt, wird deutlich, daß die sogenannte zivile Durchbruch und von dem Aufstoßen eines Tores. Atomindustrie die technologische Basis für militäri- Wie so oft liegt die Wahrheit auch hier in der Mitte. sche Nuklearvorhaben bildet, z. B. — und damit Die Konferenz hat Ergebnisse gebracht. Es gab drei komme ich zum Schluß — über den französischen Schritte nach vorn. Es wurde das im Augenblick Schnellen Brüter Super-Phénix, an dem RWE betei- Machbare erreicht. ligt ist und der eindeutig französischen militäri- Aber eines ist unbestritten und ganz sicher: Ohne schen Interessen dient. die Kompromißbereitschaft und die flexible Hal- Was als neue europäische Identität verkauft wird, tung der Bundesregierung wäre Luxemburg ein ist nicht Europäisierung der Sicherheitspolitik, son- Fehlschlag geblieben. Die FDP-Fraktion dankt Bun- dern es ist in Wirklichkeit eine neue Arbeitsteilung deskanzler Kohl und Außenminister Genscher aus- zwischen Amerika und Europa. Wir sollen die USA drücklich für ihre erfolgreiche Verhandlungsfüh- dabei in ihrer globalen Polizeirolle unterstützen rung. und in Europa entlasten. Und so bleiben wir in die (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Globalstrategie der Amerikaner eingebunden, ver- stärken den Druck auf den Ostblock und werden Darüber hinaus hofft die FDP, daß die offen ge- langsam, aber sicher eine dritte militärische nuk- bliebenen Fragen noch in diesem Jahr einvernehm- leare Supermacht mit eigenen nuklearen Optionen. lich gelöst werden. Die FDP steht uneingeschränkt Ich glaube nicht, daß das der Wunsch einer solchen hinter Außenminister Genscher, der die Last der Großen Koalition ist — oder vielleicht doch? Verantwortung auf der Ratssitzung am 16./17. De- Zum Schluß noch ein Satz von Frau Helga Wex, zember 1985 zu tragen hat. der auch aus einer Rede eines SPD-Mitglieds sein (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) könnte: Es hat sich wieder einmal gezeigt, daß für einen Voraussetzung für eine atomare europäische Fortschritt in Europa eine deutsch-französische In- Verteidigung durch die Europäer selbst wäre itiative unerläßlich ist. Die Bundesrepublik und eine Europäische Union mit einer zentralen Re- Frankreich hatten ausgehandelt, daß Frankreich gierung mit Zuständigkeiten für Außen- und Si- seine Kapitalverkehrskontrollen abbaut, bevor es cherheitspolitik. zu einer deutschen Beteiligung an einer Weiterent- Diesen Weg tragen wir niemals mit. wicklung des Europäischen Währungssystems (Beifall bei den GRÜNEN) kommt. Damit war klar, daß der zweite Schritt — ich glaube auch nicht, Herr Schmidt, daß Sie das anders gemeint haben —, nämlich die Währungs- Vizepräsident Stücklen: Das Wort hat der Herr Ab- union, nicht vor dem ersten Schritt, nämlich der geordnete Dr. Rumpf. Anpassung der Wirtschafts-, der Konjunktur- und der Steuerpolitik, gemacht werden kann. Dr. Rumpf (FDP): Herr Präsident! Meine sehr ge- Kommissionspräsident Jacques Delors hatte sich ehrten Damen und Herren! Herr Kollege Schmidt, bekanntlich für den umgekehrten Weg ausgespro- wir haben uns wirklich sehr gefreut, daß Sie im chen, also zuerst die europäische Währungspolitik Deutschen Bundestag wieder einmal das Wort zu zu harmonisieren. wichtigen Fragen der deutschen Politik und der Weltpolitik ergriffen haben. Wir hatten dabei den Das auf solchen Konferenzen übliche Geben und Vorteil, auch ganz umsonst zuhören zu dürfen. Nehmen wurde erst ermöglicht, als die Bundesre- gierung in der Währungsfrage einlenkte, ohne da- In Ihrer Rede gab es schöne Passagen. Allerdings bei die wichtigsten Aspekte der deutschen Position muß ich sagen, daß wir uns in der Vergangenheit preiszugeben. Im Vertrag wird nun die Konvergenz von Ihnen ähnliche Beiträge gewünscht hätten, z. B. der Wirtschafts- und Währungspolitik als notwen- zum NATO-Doppelbeschluß und zur Haltung Ihrer dige Voraussetzung für eine europäische Währung Partei zu dieser Politik, die ja Ihre Politik war und definiert. Die Autonomie der Deutschen Bundes- die auch unsere noch ist. Ein paar deutliche Worte bank bleibt unangetastet. Die Unabhängigkeit der hätten uns schon genutzt. Nachdem Sie sich nun Deutschen Bundesbank ist für uns der Schlüssel entschlossen haben, wieder häufiger im Deutschen für eine erfolgreiche und stabile Währungspolitik. Bundestag zu reden, freuen wir uns jetzt schon auf So gesehen bleibt die EG-Währungsunion ein Ihre Beiträge erstens zum Verhältnis der SPD zur fernes Ziel. Hier hätte ich mir in der Vergangenheit Atlantischen Allianz, insbesondere zu den USA — schon etwas mehr Flexibilität seitens der Bundesre- viele Ihrer Worte waren ja in Ihre eigene Partei gierung gewünscht. hinein gesprochen —, zweitens zur Wirtschafts- und Finanzpolitik in diesem Staate und drittens zu dem Warum soll es eigentlich nicht möglich sein, eine Konjunkturprogramm der SPD. Wir versprechen private Verwendung der europäischen Währung, Ihnen schon heute, Herr Kollege Schmidt, Ihren nämlich des ECU, in der Bundesrepublik zuzulas- Worten aufmerksam zu lauschen und Ihren Ausfüh- sen? Dadurch würde die für wichtig gehaltene Auto- rungen Beifall zu zollen. nomie der Bundesbank sicher nicht angetastet. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13783

Dr. Rumpf Ein anderes Gebiet sind die vielen Normen und xemburg deshalb auch einen wichtigen Schritt zur DIN-Vorschriften im deutschen Wirtschaftssystem, Verbesserung dieser Situation. die einer Harmonisierung der Märkte entgegenste- Es bleibt zum Schluß ein Wort zur Stärkung des hen. In diesem Zusammenhang sehen wir Freien Europaparlaments zu sagen. Hier ist wirklich am Demokraten in dem von uns vorgeschlagenen gro- wenigsten erreicht worden. Bei der Rechtsetzung ßen Steuerreformpaket einen echten Schritt in der Gemeinschaft wird das Europäische Parlament Richtung Harmonisierung der europäischen Steu- auch in Zukunft keine Befugnisse haben. Es gibt ersysteme. Unter anderem ist ja vorgesehen die lediglich eine beschränkte Mitwirkung. Die Vor- Vermögensteuer und die Gewerbesteuer — Steuer- schläge des Parlaments müssen vom Ministerrat arten, die es in anderen Ländern in dieser Form zur Kenntnis genommen werden. Er kann sie billi- nicht gibt — abzuschaffen. Bei den Verbrauchsteu- gen, oder er muß sie zurückweisen. Einfach in den ern wie z. B. der Mehrwertsteuer hätten wir uns Papierkorb werfen kann er sie nicht mehr. Zum den Nachbarländern anzupassen. Ich bin schon mindesten muß dem Europaparlament so etwas wie jetzt auf die Diskussion in diesem Hause gespannt eine konkurrierende Gesetzgebung oder eine Mit- — wenn es einmal so weit ist — über die Steuerre- entscheidung eingeräumt werden. Wir Freien De- formpakete. mokraten haben deshalb durchaus Verständnis für Wir Freien Demokraten sehen in dieser Steuerre- die italienische Haltung, den Luxemburger Vertrag form jedenfalls einen Schritt zur Angleichung na- nur dann zu ratifizieren, wenn das Europaparla- tionaler Vorschriften, zu einem Markt ohne Binnen- ment das Kompromißpaket insgesamt gebilligt hat. grenzen in Europa, wie ihn der Vertrag von Luxem- Aber wir halten dieses Vorgehen für unpolitisch. burg j a vorsieht und wie er bis 1992 erreicht werden Sollten die frustrierten Europaparlamentarier der soll. Versuchung verfallen, das im ganzen unbefriedi- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) gende Ergebnis zu verwerfen, dann sind damit auch die kleinen, aber wichtigen Fortschritte zunichte Beim freien Verkehr von Waren, Personen, gemacht, besonders auf dem Gebiet des Umwelt- Dienstleistungen und Kapital wird das Prinzip der schutzes und in der technologischen Zusammenar- Einstimmigkeit in einigen Bereichen zugunsten ei- beit. - ner qualifizierten Mehrheit aufgelockert. Wir sehen darin Mut zum Risiko. Es ist in unseren Augen die Vor wenigen Tagen, meine Damen und Herren, zweite wichtige Vertragsänderung. Allerdings bleibt am 27. November, sagten Sie, Herr Bundeskanzler, diese Ausweitung nach dem Gipfelkompromiß we- in einer Rede vor der Cambridge Union Society und gen der Ängste nationaler Bürokratien und Interes- der Cambridge University Conservative Associ- sengruppen ein schmaler Pfad. ation, daß die nationalen Identitäten dann am be- sten gewahrt werden können, wenn unsere Politik Herr Schmidt, Sie haben bedauert, daß die Eisen- in gemeinsame Strukturen verwirklicht wird. Dar- bahnsysteme nicht besser angeglichen sind. Ich aus ergäben sich dann auch neue politische Spiel- frage mich vor diesem Hintergrund, was Sie zu der räume. Wörtlich haben Sie fortgefahren: Ankündigung von Ministern von Bundesländern, in ihren Ländern eine Beschränkung auf 100 km/h Dafür müssen wir aber auch von dem einen einzuführen, sagen. Das wäre erst recht ein Weg oder anderen, tief im nationalen Bewußtsein zurück in den Partikularismus. verwurzelten Denkmuster Abschied nehmen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Dieser Satz, vor einer englischen Zuhörerschaft ge- Mann [GRÜNE]: Seit wann ist die Eisen sagt, bezieht sich auf uns alle, selbstverständlich bahn überhaupt das Problem? Das ist doch auch auf uns Deutsche. Unfug!) Die kritischen Untertöne meiner Ausführungen Wir warten mit Interesse, ob die Regierungschefs sollen die Bundesregierung nicht entmutigen, son- den Willen und die Macht besitzen werden, ihre dern anspornen auf ihrem Weg, konsequent und Ministerialbürokratien und Interessengruppen in noch nachdrücklicher weiterzugehen. Große euro- ihre Schranken zu weisen. Die Fleißarbeit wäre päische Taten können deshalb nicht zustande kom- auch umsonst, wenn in Zukunft noch einmal ein men, weil den Regierungen keine ungeduldigen größerer Mitgliedstaat auf das Vetorecht pocht. oder engagierten Wähler im Nacken sitzen. Zum Handeln schwingen sich die Regierungen nur dann Damit komme ich ganz zufällig zur Agrarpolitik. auf, wenn innenpolitischer Druck wächst. Den Rük- Die europäische Agrarpolitik und vor allem die kenwind und den Druck müssen die Parteien und deutsche Landwirtschaft leiden doch nicht deshalb, Fraktionen des Hauses hier insgesamt ausüben. meine Damen und Herren, weil es zuviel Europa Wir wollen dies im Interesse Europas tun. gibt, sondern — ganz im Gegenteil — weil es zuwe- nig davon gibt. Hätten wir den einheitlichen Bin- Danke schön. nenmarkt und die Harmonisierung aller Steuer-, (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Währungs- und auch Wirtschaftssysteme, dann ginge es der deutschen Landwirtschaft sicher bes- ser. Denn dann würden auf den Märkten nur noch Qualitäten entscheiden und nicht offene oder ver- Vizepräsident Stücklen: Ich erteile das Wort dem steckte Subventionen. Der Landwirtschaft macht Herrn Bundesminister des Auswärtigen. die lange Übergangszeit ohne echten Wettbewerb (Mann [GRÜNE]: Der Oberhäuptling der zu schaffen. Die Freien Demokraten sehen in Lu- Genscheristen spricht!) 13784 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985

Genscher, Bundesminister des Auswärtigen: Ja, eine Aufhebung auch des Egoismus bei der nationa- das ist eine starke Fraktion hier im Hause. Täu- len Auftragsvergabe; aber das funktioniert nun schen Sie sich da nicht! wirklich nur, wenn es von allen Staaten gleichzeitig (Heiterkeit) praktiziert wird. Sie verlangt schließlich die Mög- lichkeit der Bildung europäischer Gesellschaften. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich denke, daß es ermutigend ist, daß Es ist hier die Frage aufgeworfen worden, ob in der Bundeskanzler und der Kollege Schmidt in der der Währungspolitik die Staats- und Regierungs- Überzeugung übereinstimmten, daß unsere euro- chefs mutig genug waren, ob sie bereit waren, weit päische Verantwortung über die Grenzen der Euro- genug zu gehen, oder ob hier Zaghaftigkeit das päischen Gemeinschaft hinausreicht, d. h. daß wir Handeln diktierte. Wir sind der Meinung, daß die unsere Verantwortung als eine Verantwortung in Aufnahme des Zieles der Währungsunion in die Ge- ganz Europa und für ganz Europa begreifen und meinschaft den vertraglichen Zielen unserer Ge- daß die konkrete Aufgabe lautet, das demokratisch meinschaft zum erstenmal ausdrücklich die wäh- organisierte Europa handlungsfähiger zu machen. rungspolitische Dimension eröffnet hat. Das ist eine wichtige Zielrichtung. Dieser geschichtliche Zusammenhang muß uns immer vor Augen stehen, und wir fühlen ja, daß Aber der Vertragsinhalt bringt so, wie wir ihn unabhängig von den Systemen das europäische Be- vereinbart haben, auch eine wichtige Entscheidung wußtsein stärker wird, ja, daß man schon von einem in Richtung der Auffassungen der Bundesregie- europäischen Patriotismus sprechen kann, der die rung. Es ist nämlich die Frage, ob die Währungs- Menschen — wiederum unabhängig von den Sy- union am Anfang steht und ob man von ihr gera- stemen — stärker und stärker ergreift. dezu automatisch die Konvergenz von Wirtschafts- In Luxemburg ging es darum, unsere Europäi- und Finanzpolitik erwarten kann, entschieden wor- sche Gemeinschaft in ihrer Entscheidungsfähigkeit den. Es ist die Notwendigkeit der Herstellung der zu stärken, jene Blockaden zu überwinden, die sich wirtschaftlichen und der finanzpolitischen Konver- an das Einstimmigkeitsprinzip knüpften und die es genz dafür, das Ziel der Währungsunion erreichen in der Vergangenheit z. B. unmöglich machten, ei- zu können, in den Vertrag aufgenommen worden. nen Binnenmarkt tatsächlich herzustellen. Wir (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten mußten dort die Vorkämpfer dieses Binnenmarktes der CDU/CSU) sein; denn ohne einen freien Markt in der Europäi- schen Gemeinschaft ist weder eine technologische Das ist eine wichtige, im Interesse auch unserer Entwicklung möglich, noch können sich die Markt- Stabilitätspolitik bedeutsame Entscheidung. Sie kräfte von über 300 Millionen Menschen auswir- wird uns jetzt die Möglichkeit geben, über die Wir- ken. kungen des Europäischen Währungssystems hin- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) aus nachhaltig dafür einzutreten, daß wir bei dieser Konvergenz materielle Fortschritte machen. Hier Deshalb ist es ein erheblicher Fortschritt, daß wir ist ein qualitativer Sprung erreicht worden, weil bei den Mehrheitsentscheidungen signifikant vor- eine lähmende Diskussion durch Vertragsänderung angekommen sind. Dann, wenn wir uns selbst den in der nach unserer Meinung richtigen Weise ent- Mehrheitsentscheidungen unterworfen haben, schieden wurde. Das Europäische Währungssystem mußte auch klar sein, daß diese Mehrheitsentschei- — das werden auch seine Skeptiker zugeben — hat dungen nicht zurückführen dürfen, sondern daß ohne Zweifel eine disziplinierende, in Richtung auf sich Europa als Fortschrittsgemeinschaft bestäti- eine stabilitätsorientierte Wirtschafts- und Finanz- gen muß. Wenn wir also Entscheidungen im Be- politik sich auswirkende Funktion; darüber gibt es reich der beruflichen Sicherheit, des Arbeitsschut- keinen Zweifel. zes, des Umweltschutzes oder der Gesundheit der Mehrheitsentscheidung unterwerfen, muß klar (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) sein: Es darf keine Mehrheiten zurück geben kön- Aber ohne eine Konvergenz der Wirtschafts- und nen, sondern es muß eine Harmonisierung nach Finanzpolitik ist das EWS an die Grenze seiner Wir- vorn, nach oben, ausgerichtet auf die höchsten Standards, stattfinden. kungsmöglichkeiten gestoßen. (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) der CDU/CSU) Deshalb war es so wichtig, daß wir dieses Ziel in Das haben wir sichergestellt. Das war keine einfa- unseren Vertrag aufgenommen haben. Das war che Sache, denn da werden, wie wir ja aus dem keine einfache Sache. Es heißt hier: Bereich des Umweltschutzes wissen, von vielen un- Um die für die Weiterentwicklung der Gemein- serer Partner erhebliche Schritte erwartet. schaft erforderliche Konvergenz der Wirt- Auch die technologische Bewußtwerdung in Euro- schafts- und Währungspolitik zu sichern, arbei- pa, die technologische Stärkung Europas, eine un- ten die Mitgliedstaaten gemäß den Zielen des abdingbare Voraussetzung seiner wirtschaftlichen Artikels 104 zusammen. Sie berücksichtigen da- und politischen Unabhängigkeit, setzt voraus, daß bei die Erfahrungen, die bei der Zusammenar- über die EUREKA-Initiative hinaus die Technolo- beit im Rahmen des Europäischen Währungs- giegemeinschaft gebildet wird. Diese verlangt eine systems und mit der ECU gesammelt worden Aufhebung der durch unterschiedliche Normen her- sind, und respektieren die bestehenden Zustän- vorgerufenen Hindernisse. Sie verlangt in der Tat digkeiten. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13785

Bundesminister Genscher In der Tat, sie respektieren die bestehenden Zu- sind, in den entscheidenden Sicherheitsfragen un- ständigkeiten. Dazu gehört auch die Unabhängig- sere eigenen Interessen zu identifizieren? keit unserer Notenbank. Diese Unabhängigkeit (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) müssen wir wahren, solange es nicht eine ebenso unabhängige europäische Notenbank gibt, die es Deshalb ist es so bedeutsam, daß wir wenigstens die nicht geben kann, bevor wir die Konvergenz der wichtigsten Aspekte — wenn auch nicht die militä- Wirtschafts- und Finanzpolitik hergestellt haben. rischen — der Sicherheitspolitik einbezogen ha- ben. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Der Kollege Schmidt hat zu Recht auf die unter- Die Zeichen sind in die richtige Richtung gesetzt. schiedlichen Interessenlagen hingewiesen. Es ist Hier ist ein neuer dynamischer Faktor in die Ge- wahr, daß Portugal sicherheitspolitische Fragen aus meinschaft hineingetragen worden, ein dynami- seiner geographischen Lage heraus anders beurtei- scher Faktor, der nun ausgefüllt werden will. Es hat len und in der Wertigkeit sehen muß als die Bun- sich gezeigt, daß auch bei dieser Frage wiederum desrepublik. Aber ist das wirklich ein Argument ge- eine enge deutsch-französische Zusammenarbeit gen eine europäische Zusammenarbeit in der Si- notwendig war, um dieses Ziel erreichen zu können. cherheitspolitik? Ist es nicht vielmehr ein Argu- Wir haben das aber auch in Absprache mit den ment für eine gemeinsame Gestaltung der Sicher- anderen wichtigen Ländern getan in dem Bewußt- heitspolitik, nämlich daß unterschiedliche Wertig- sein, daß Frankreich und Deutschland die Impulse keiten dahin geführt werden, daß gleichgerichtetes geben können und müssen, daß aber die Mitarbeit Handeln schwerpunktmäßig erzielt wird? Das muß der anderen unerläßlich ist, wenn wir vorankom- doch unser Ziel sein. men wollen. Deshalb glaube ich, daß es richtig und notwendig Meine Damen und Herren, dieses Vorankommen war, daß wir die Sicherheitspolitik einbeziehen. wird sich jetzt auch in den Impulsen für die techno- Auch hier wieder wird eine besondere Verantwor- logische Zusammenarbeit erweisen müssen, wenn tung bei Frankreich und der Bundesrepublik die Herstellung des größeren europäischen Marktes Deutschland liegen. Da kann man keinen Zweifel dafür den Rahmen eröffnet. daran haben, daß in diesen wichtigen Fragen der Das Parlament hätte nach unserer Auffassung Schulterschluß zwischen dieser Bundesregierung noch mehr Mitwirkungsmöglichkeiten erhalten sol- und der französischen Regierung sehr eng ist. Das len. Hier sind wir an Grenzen gestoßen, die andere wird sogar derjenige bestätigen, der in Fragen des gesetzt haben, auf denen Mitwirkung wir angewie- NATO-Doppelbeschlusses anderer Meinung war als sen sind. Wir sind hier an Grenzen gestoßen, die die Regierungsmehrheit. andere gesetzt haben, die aus einer anderen Tradi- Als der französische Präsident hier Anfang 1983 tion ihres eigenen Parlamentsverständnisses, aus in einer vitalen sicherheitspolitischen Frage, für einer längeren Geschichte größere Schwierigkeiten Frankreich, das selbst am NATO-Doppelbeschluß als wir haben, auch Kompetenzen an das Europäi- nicht teilnahm, seine Unterstützung erklärte, war sche Parlament abzugeben. Wir hoffen, daß man das für mich ein Akt sicherheitspolitischer Solidari- aus Italien den Vorbehalt zurückzieht; denn es wäre tät in Europa. falsch, das jetzt Erreichte aufs Spiel setzen zu wol- len. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Die Frage der außenpolitischen Zusammenarbeit Das erfordert eine Antwort im weiteren sicherheits- ist ebenfalls in einem qualitativen Schritt neu be- politischen Handeln. Was jetzt in den Konsultatio- antwortet worden. Die Frage der außenpolitischen nen zwischen den Außen- und Verteidigungsmini- Zusammenarbeit ist in Richtung auf eine europäi- stern Frankreichs und der Bundesrepublik ge- sche Außenpolitik entschieden worden. Meine Da- schieht, ist ja das Suchen nach dieser gemeinsamen men und Herren, ich denke noch genau zurück an Antwort. die zaghaften Versuche, sich in der europäischen Aber es wäre zu wenig, wenn wir diese Zusam- politischen Zusammenarbeit zu organisieren, an die menarbeit mit dem sicherheitspolitischen Aspekt Weigerung, von einer europäischen Außenpolitik zu auf Frankreich und Deutschland beschränkten. Das sprechen, was von vornherein der Zusammenarbeit gehört auch in die Europäische Gemeinschaft hin- Grenzen auferlegt. Jetzt haben wir uns darauf ver- ein. Man kann heute ja gar nicht mehr Außen- und ständigt, daß es eine europäische Zusammenarbeit Sicherheitspolitik voneinander trennen; es sei denn, in der Außenpolitik geben wird. Eine europäische man wollte Sicherheitspolitik nur als etwas rein Mi- Außenpolitik zu schaffen, ist das Ziel, das wir uns litärisches verstehen. In Wahrheit sind wir doch gesetzt haben. alle der Meinung, daß die Rüstungskontrollpolitik ein integraler Bestandteil unserer Sicherheitspoli- Ich bin froh darüber, daß hier die Sicherheitspoli- tik einbezogen ist. Ich würde noch glücklicher über tik ist. den Entwurf sein, wenn er die Sicherheitspolitik in Deshalb ist es so notwendig, daß wir über diese allen Aspekten einbezogen hätte. Meine sehr ver- Aspekte auch in der Europäischen Gemeinschaft ehrten Damen und Herren, kann es denn angehen, sprechen. Da ist diese Europäische Gemeinschaft, daß es in Europa Stimmen gibt, die sich über Un- wie ihr Auftreten in der Abrüstungskonferenz in gleichgewichtigkeit zwischen Europa einerseits und Stockholm, wie das Auftreten bei der KSZE zeigt, den Vereinigten Staaten andererseits beklagen, doch längst auch in den sicherheitspolitischen Fra- wenn wir aber gleichzeitig selbst nicht in der Lage gen zu einem handlungsfähigen Faktor geworden. 13786 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985

Bundesminister Genscher Aber das muß weiter ausgebaut werden. Aus Koor- ropa, solange es nicht ausreichend geeint ist, ist aus dinierung muß gemeinsame Politik werden. Das ist eigener Verantwortung zu schwach im Bündnis. das Ziel dieses Teils des Vertrages. Hier wiederum (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) kommt der deutsch-französischen Zusammenarbeit eine besondere Funktion zu. Das hat doch diesen Uns selbst zu stärken, das ist europäische Verant- Gipfel in der Vorbereitung und beim Ablauf maß- wortung. geblich bestimmt. Wenn wir beides tun, nämlich das demokratische Europa in allen Bereichen handlungsfähig zu ma- Ich kann mich noch genau an jene Stimmen erin- chen und zu einem wirklich gleichberechtigten nern, die vor Mailand gesagt haben: Es wird nicht Partner der Amerikaner aus eigener Kraft zu wer- zu einer Regierungskonferenz kommen. Als wir von Mailand zurückkamen, wurde gesagt: Aber die und den, können wir auch jene Verantwortung erfüllen, die und die werden an der Regierungskonferenz die uns als Europäer in ganz Europa und für ganz nicht teilnehmen. Dann nahmen sie teil. Dann Europa aufgetragen ist. Das meine ich, wenn ich von einem wachsenden europäischen Patriotismus wurde gesagt: Sie werden teilnehmen, aber sie wer- spreche, in dem sich das einordnet, was wir als Ver- den nicht mitarbeiten. Dann haben sie mitgearbei- antwortung und Verantwortungsgemeinschaft der tet. Deutschen verstehen. Heute haben wir in der Tat italienische Vorbe- Vielleicht gehört es ja zu den größten Errungen- halte und einen allgemeinen dänischen Vorbehalt, schaften der deutschen Nachkriegspolitik, daß wir der sich aus der dortigen Mehrheitslage im Parla- verstanden haben, daß wir die nationalen Ziele un- ment erklärt. Beide Vorbehalte gehen in die entge- seres Volkes nur dann verwirklichen können, wenn gengesetzte Richtung: die Italiener wollen weiterge- wir ihre Verwirklichung in Übereinstimmung mit hen, die Dänen wollen nicht so weit gehen. Ich will unseren Nachbarn — mit allen unseren Nachbarn hoffen, daß sich beide Vorbehalte gegeneinander — suchen und nicht gegen sie. aufheben werden. Wer wollte nach der Zustimmung von 10 Regierungen eigentlich das Scheitern dieses Ich danke Ihnen. wirklich entscheidenden Schrittes auf seine eigene (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Verantwortung nehmen? Das ist die Frage, die sich jetzt jeder stellen muß, der dann zur Ratifizierung dieses Vertrages zu schreiten hat. Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Abge- ordnete Auhagen. Für uns sind die Ziele dabei ganz klar: die Hinar- beit auf eine europäische Außen- und Sicherheits- politik, die Nutzung der Kräfte des größeren euro- Auhagen (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Da- päischen Marktes durch einen europäischen Bin- men und Herren! Wir GRÜNEN kommen überwie- nenmarkt, die Nutzung der Möglichkeiten der Kon- gend aus einer Generation, die durch Reisen und vergenz der Wirtschafts- und Finanzpolitik und der persönliche Kontakte zu Europa ein positives und Währungspolitik, um Europa zu einer Stabilitätsge- selbstverständliches Verhältnis hat, aber ohne pa- meinschaft zu machen, wie wir es schon erreicht triotisches Pathos. Für uns ist daher eine friedliche haben. Sie, Frau Kollegin Kelly, haben gesagt, die und solidarische Europäische Gemeinschaft ein po- Regierungschefs hätten sich nicht um die Arbeitslo- sitives Ziel. sen gekümmert. Wir sind dorthin gegangen, um (Beifall bei den GRÜNEN) durch die Stärkung der Wirtschaftskraft unseres Warum lehnen wir nun diese gegenwärtige Form Europas dazu beizutragen, daß in ganz Europa Fort- der EG und vor allem ihre Weiterentwicklung, wo- schritte bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit rüber in Luxemburg verhandelt worden ist, zu ei- gemacht werden können, wie sie sich in der Bun- nem vollendeten Binnenmarkt ab? Vollendung des desrepublik Deutschland abzeichnen. Binnenmarktes heißt: Niederreißen der verbliebe- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) nen Wirtschaftsgrenzen, was beinhaltet: Einheit- lichkeit der Normen und technischen Vorschriften, Wir hätten da einen Fehler gemacht, wenn wir Harmonisierung der Steuervorschriften, Verzicht uns falsche Wirtschaftskonzepte zu eigen gemacht auf Kapitalverkehrskontrollen sowie ein einheitli- hätten. Wir haben richtig gehandelt, daß wir die ches Währungssystem. Notwendigkeit der Konvergenz der Wirtschafts- und Finanzpolitiken in den Vertrag aufgenommen Womit werden diese tiefen Eingriffe in die natio- haben. Da begreifen wir die Sicherung der technolo- nale Gestaltungsfähigkeit gerechtfertigt? Wenn es gischen Führungsposition Europas als einen Akt nicht nur der pure Höhenrausch ist, Europa zur europäischer Selbstbehauptung. größten Handelsmacht der Welt zu machen, so ist es die trügerische Hoffnung, durch einen gemeinsa- Damit komme ich zum Eingang zurück: Wir als men europäischen Markt das Problem von 19 Mil- Europäer haben unsere Kräfte wirtschaftlich und lionen Arbeitslosen zu lösen, trügerisch angesichts politisch zu stärken und zusammenzufügen und der deutschen Erfahrung mit einem Superexportre- dort, wo Europa demokratisch handlungsfähig ist, kord und gleichzeitig einem Rekord an Arbeitslo- das Höchstmaß an gemeinsamem Handeln und sigkeit, die wir trotz dieser wirtschaftlichen Expan- Entscheidungen zu erreichen und damit unser Ge- sion nicht bewältigen können. Ähnlich wie die tech- wicht als Partner unserer nordamerikanischen Ver- no-romantische Flucht in den Weltraum ist das eine bündeten zu stärken. Ich bleibe dabei: Nicht die Flucht in Wachstum und neue Größenordnungen, Amerikaner sind im Bündnis zu stark, sondern Eu- die Flucht nämlich vor der schwierigen sozialen Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13787

Auhagen und ökonomischen Gestaltungsaufgabe vor Ort, Ar- gerecht wird und damit auch Handlungsspielräume beit und Einkommen anders zu verteilen und die für schwache Regionen schafft. sozialen Sicherungssysteme umzubauen. (Zustimmung bei den GRÜNEN) Die Idee des vollendeten Binnenmarktes mit der Wir wollen eine Verschärfung der Umweltstandards Harmonisierung des Steuerrechts verbaut hier auf EG-Ebene statt ihrer Aufweichung. Handlungsmöglichkeiten, z. B. die Einführung einer Danke schön. Wertschöpfungssteuer, die Sie, liebe Europa-Eupho- (Beifall bei den GRÜNEN) riker von der SPD, ja auch fordern. Glauben Sie, daß es leichter werden wird, die Energiesteuer, mit der Sie Arbeit und Umwelt finanzieren wollen, auf Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Bun- EG-Ebene durchzufechten? desminister der Finanzen, Herr Dr. Stoltenberg. Noch bedenklicher ist die Tatsache, daß die Bun- desregierung nach dem Katalysator-Desaster des Dr. Stoltenberg, Bundesminister der Finanzen: letzten Jahres bereit ist, bei Produktnormen auf Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erlau- ökologisch optimale Standards zu verzichten. Ihnen ben Sie mir noch einige Minuten, um auf die Aus- ist es wohl ganz recht, wenn ökologische Forderun- führungen des Kollegen Helmut Schmidt zur Wirt- gen in Zukunft nicht mehr von Ihnen abgeblockt schafts- und Währungspolitik und auch auf seine werden müssen, sondern wenn Sie Ihre Untätigkeit Kritik an der Bundesbank und der Bundesregie- auf EG-Sachzwänge schieben können. rung einzugehen. Ich glaube, die Gründungsväter der Europäischen (Beifall bei den GRÜNEN — Zuruf von den Gemeinschaft waren auch hier weitblickender als GRÜNEN: So ist es!) manche, die später kamen; denn es trifft nicht zu, Daß Sie diese Sachzwänge nun für die Zukunft daß sie 1957 die Währungspolitik gleichsam ver- noch ausbauen wollen, soll hier bitteschön zu Proto- nachlässigt oder im Vertrag kaum behandelt haben. koll genommen werden. In den Artikeln 2 und 67 bis 73 finden wir seit 28 Jahren im Vertrag die vorrangigen Aufgaben ei- Warum dieses Nachgeben der Bundesregierung ner europäischen Währungspolitik. Zu Recht ist zu Lasten ökologischer Standards? Warum keine schon damals die Liberalisierung des Kapital- Unterstützung für die Abgasforderung Dänemarks markts, des Kapitalverkehrs in der Gemeinschaft in Luxemburg? Warum? — Um den ersehnten als entscheidende Voraussetzung dafür beschrieben freien Binnenmarkt zu bekommen. Sie wollen einen worden, daß es so etwas wie wirksame europäische plattgewalzten europäischen Binnenmarkt als Währungspolitik geben kann. großtechnologische Weltmarktkon- Startbahn für Aber wir müssen feststellen, daß dies in 28 Jah- USA. Dabei böte gerade kurrenz mit Japan und den ren nicht einmal unter den sechs Gründungsmit- ein Zusammenschluß wie die EG eine Chance, sich gliedern der Gemeinschaft erreicht worden ist. Der von der wildwüchsigen Weltmarktlogik zu lösen, ei- Abbau von Kapitalverkehrskontrollen — das ist die nes Weltmarktes, in dem nicht mehr nach dem Nut- Position der Bundesregierung im Einvernehmen zen für die Menschen gefragt, sondern allein die mit der Bundesbank, Herr Kollege Schmidt — ist Frage gestellt wird: Was macht die Konkurrenz? die wichtigste Voraussetzung dafür, daß die von Ih- Das müssen wir auch machen. nen zu Recht erwähnte externe Disziplin in der (Zuruf von den GRÜNEN: Leider ist es Gemeinschaft wirksam werden kann, so!) (Beifall bei der CDU/CSU) Eine andere EG, die nicht uniforme Einheitlich- und ist natürlich eine Vorbedingung für einen wirk- keit vorantreibt, sondern solidarisch die gemeinsa- lichen gemeinsamen Markt und, wie man im Euro- men Kräfte zur regionalen Entfaltung mobilisiert, padeutsch sagt, seine monetäre Dimension. könnte einen dritten Weg weisen, einen Weg zwi- Die Bundesrepublik Deutschland hat dieses Ziel schen weltweitem wirtschaftlichem Vernichtungs- erreicht, die Niederlande und Großbritannien ha- konkurrenzkampf einerseits und illusorischem na- ben es fast erreicht, seit kurzem erfreulicherweise tionalem Autarkiestreben andererseits. auch Dänemark. Frankreich ist — das ist zu begrü- ßen — auch durch die Entscheidungen der letzten (Sehr gut! bei den GRÜNEN) Tage auf dem Wege, aber es hat noch eine weitere Wir wollen ein Europa, das sich nicht bedingungslos Strecke zurückzulegen. Hier müssen wir arbeiten, der Macht und dem Expansionsstreben großer Kon- und hier bemühen wir uns. zerne unterwirft. Wir wollen eine Agrarpolitik, die Das europäische Währungssystem ist eine zusätz- das Bauernlegen stoppt und kleinbäuerliche ökolo- liche wichtige Vereinbarung von Regierungen und gische Landwirtschaft fordert, Notenbanken außerhalb des Vertrages. Die Zwi- (Beifall bei den GRÜNEN) schenbilanz — Herr Kollege Genscher hat es schon gesagt — ist positiv; das europäische Währungssy- wir wollen eine Regionalpolitik, die regionale Wirt- stem hat sich in sechs Jahren, aufs Ganze gesehen, schaftskreisläufe fördert und lokale Entscheidungs- bewährt. Aber die Bilanz ist nach meiner bis jetzt kompetenzen stärkt. Wir wollen eine Bundesrepu- dreijährigen Erfahrung auch deshalb positiv, weil blik, die ihrer Verantwortung als Vorreiter für öko- der Vollzug sehr weitgehend den Notenbanken logische Reformen und für Arbeitszeitverkürzung überlassen worden ist und in deren geräuschlosen 13788 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 Bundesminister Dr. Stoltenberg effektiven Zusammenarbeit diese Zone relativer gend erwünscht war, unter den wirtschaftlich zu- Stabilität Wirklichkeit geworden ist. Insofern sage sammenwachsensollenden Partnern der EG einen ich offen, daß ich es für gut gehalten habe, daß die monetären Gleichlauf herzustellen, es wenigstens Bundesbank damals vor sechs Jahren gewisse an- zu versuchen, so daß der Vergleich mit 1957 — Mes- derslautende Überlegungen und Vorstellungen Ih- sina, Römische Verträge — wegen vollständig ver- rer Regierung auch korrigiert hat; das hat sich als änderter Voraussetzungen zur Sache eigentlich richtig erwiesen. nichts einträgt. Der Ausbau des Europäischen Währungssystems (Beifall bei der SPD) ist notwendig. Wir stimmen darin, wenn auch mit etwas anderen Prioritäten, überein. Für uns hat die Dr. Stoltenberg, Bundesminister der Finanzen: Ich Frage, ob Großbritannien demnächst dem Interven- gebe Ihnen darin recht, daß der Zusammenbruch tionsverbund beitritt, eine größere Bedeutung, als des Bretton Woods-Systems und der Übergang zu das in Ihren Prioritäten erkennbar ist. Es ist nicht flexiblen Wechselkursen die Bedingungen natürlich einzusehen, daß die neben der D-Mark zur Zeit erheblich verändert hat. Aber ich möchte hinzufü- stärkste Währung in der Gemeinschaft diese ent- gen, Herr Kollege Schmidt, daß auch unter diesen scheidende Verpflichtung nicht übernimmt. Von veränderten Bedingungen erst vor wenigen Jahren Belgien und Italien wird erwartet, daß sie die da- Staaten, die der Gemeinschaft relativ kurze Zeit an- mals übergangsweise eingeführten befristeten Son- gehören wie Dänemark, es durch eine überzeu- derregelungen abbauen. gende Stabilitätspolitik erreicht haben, die Kapital- Unsere Forderung an die Kommission ist unver- verkehrskontrollen abzubauen. Was für Dänemark ändert, Herr Kollege Schmidt, nämlich zunächst in drei Jahren möglich war, muß auch für andere, einmal durch eigene Initiativen das der Verwirkli- die ich genannt habe, möglich sein, jedenfalls in chung näherzubringen, was seit 28 Jahren im Hin- einer angemessenen Frist. blick auf die Währungspolitik im Vertrag steht. Wir (Beifall bei der CDU/CSU) erwarten von der Kommission — und wir sagen es ihr seit Jahren —, konkrete Vorlagen für den Abbau Vizepräsident Cronenberg: Gestatten Sie noch eine der Kapitalverkehrskontrollen vorzulegen, natür- Zwischenfrage, Herr Bundesminister? — Bitte lich mit angemessenen Übergangsfristen, aber doch schön. mit eindeutigen Vorgaben. Mir scheint bei allem Respekt, den ich teile, auch vor dem von Ihnen Schmidt (Hamburg) (SPD): Ich muß es in Frage- hervorgehobenen Präsidenten der Kommission form kleiden: Wollen Sie mir bitte glauben, daß ich Jacques Delors, den ich als Finanzminister, als Kol- diesem Satz in der Tat zustimme? legen schätzen gelernt habe, daß eine wichtigere (Heiterkeit) Aufgabe der Kommission, als den Versuch zu ma- chen, eine federführende Rolle in den Fragen der Dr. Stoltenberg, Bundesminister der Finanzen: Ich internationalen Währungspolitik oder bei Sanie- bedanke mich für das Einvernehmen. Ich wollte rungsprogrammen für Mittelamerika zu überneh- dies nur als eine Priorität in unserem Denken her- men, die ist, zunächst einmal das zu tun, was der vorheben, nachdem Sie uns ja zwar freundschaft- Vertrag seit 28 Jahren zwingend vorschreibt, jeden- lich, aber deutlich kritisiert haben. Wenn ich „uns" falls durch ihre Initiativen. sage, meine ich sowohl die Graurheindorfer Straße (Beifall bei der CDU/CSU) wie auch Frankfurt. So haben Sie das beschrieben. Denn solange wir Kapitalverkehrskontrollen ha- Ich muß das hier einmal zur Verdeutlichung un- ben — — serer Prioritäten ganz klar sagen. Denn, Herr Kol- lege Schmidt, solange wir diese Kapitalverkehrs- Vizepräsident Cronenberg: Erlauben Sie eine Zwi- kontrollen in der Gemeinschaft haben — sogar, ich schenfrage? sage es noch einmal, im Bereich der Gründungs- mitglieder —, kann der ECU, der eine Währungsein- Dr. Stoltenberg, Bundesminister der Finanzen: Ja, heit ist, heute per definitionem eben noch keine sehr gerne. Währung, keine internationale Reservewährung vom Gewicht der Deutschen Mark sein. Die Voraus- Vizepräsident Cronenberg: Bitte sehr. setzung dafür, daß der ECU später einmal unter gewissen Bedingungen in diese Rolle hineinwach- Schmidt (Hamburg) (SPD): Ich würde gern die sen kann, ist, daß wir zunächst einmal den Gemein- Frage stellen, Herr Stoltenberg, ob Sie einräumen samen Markt im Bereich der Währung in der Euro- würden, daß zur Zeit der Römischen Verträge vor päischen Gemeinschaft herstellen. Wie könnte es 28 Jahren jedermann von der Existenz des funk- eigentlich anders sein! tionstüchtigen Bretton Woods-Systems mit festen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wechselkursen selbstverständlich ausgegangen ist und auch ausgehen durfte, daß deshalb damals eine Deswegen drängen wir darauf mit Geduld, mit Be- Erwähnung der monetären Dimension in den Römi- harrlichkeit, mit Verständnis für die Schwierigkei- schen Verträgen ganz und gar überflüssig war, daß ten anderer, aber doch als einer Priorität der Wäh- sich aber die Lage seit dem Zusammenbruch des rungspolitik. Systems fester Wechselkurse in der Welt und auch Die offizielle Verwendung der ECU ist mit aus- in Europa grundlegend geändert hat, so daß in den drücklicher Unterstützung der von Ihnen kritisch 70er Jahren — anders als in den 50ern — es drin- angesprochenen Bundesbank in den letzten zwei Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13789

Bundesminister Dr. Stoltenberg Jahren erheblich erweitert worden. Wir begrüßen ner stabileren Wirtschafts- und Währungsstruktur das. gibt, darin stimme ich Ihnen zu. Ich mache kein Hehl aus der Auffassung — ich Lassen Sie mich zum Schluß einen letzten Punkt sage es nicht zum erstenmal —, daß nach den jetzt aufnehmen. Es ist die Frage der weltweiten Verant- erreichten positiven Klarstellungen für Grundsatz- wortung der EG und ihrer Mitgliedsstaaten. Ich be- orientierungen der europäischen Währungspolitik tone hier ausdrücklich — und ich unterstelle, daß die Frage einer privaten Verwendung der ECU noch das auch in Ihrer Zeit als Bundeskanzler so war —: einmal geprüft werden sollte. Wir werden darüber Alle wesentlichen internationalen Beiträge, die wir als Regierung in eine Erörterung der Argumente und andere weltweit im Währungsfonds, in der mit der Bundesbank eintreten. Aber meine Erfah- Weltbank, in der Fünfer-Gruppe leisten, beruhen rungen sind, daß es gut ist, mit dieser bedeutenden, auf einer Vorabstimmung in der Europäischen Ge- unabhängigen Institution auch zu argumentieren meinschaft. Das verstehen wir unter europäischer und sie nicht über das unbedingt notwendige Maß Solidarität. Aber es bedeutet nicht, daß wir etwa hinaus mit öffentlicher Kritik zu überziehen. mit Aussicht auf Erfolg zu dem dramatischen Meine Damen und Herren, Währungsunion — Thema der internationalen Verschuldung nur eine Herr Kollege Genscher hat es gesagt, ich brauche abgegrenzte EG-Position zur Geltung bringen kön- es nicht zu wiederholen — steht in einem Zusam- nen. Eine Beherrschung und schließliche Lösung menhang mit der Wirtschaftsunion. Nun führt der der internationalen Schuldenkrise ist nur vorstell- Streit nicht sehr weit, ob das eine erst vorangehen bar, wenn die Abstimmung über die Mitgliedsstaa- muß oder das andere. Ich glaube, es steht in einem ten der Gemeinschaft hinaus in den entscheiden- Prozeß der Wechselwirkung. den Punkten auch die Vereinigten Staaten von Amerika und Japan und andere Industrieländer Jedenfalls ist eines sicher: Im Wert einer Wäh- einbezieht. Das ist per definitionem so. rung spiegelt sich die wirtschaftliche Bilanz und Vertrauenswürdigkeit jedes Landes und jeder Und so hat es ja seinen Sinn, daß wir, ausgehend Volkswirtschaft wider. Zunächst einmal muß durch von einer Abstimmung und einer Diskussion in der eigene Anstrengung und Zusammenarbeit mit an- EG auch als Bundesregierung und Bundesbank im deren dieses Vertrauen gefestigt werden, wenn eine Währungsfonds, in der Weltbank, in der Fünfer- europäische Währungseinheit — später einmal, wie Gruppe unsere Gesichtspunkte vertreten. Ich sage: wir hoffen, eine europäische Währung — wirklich in Abstimmung mit der Kommission, aber nicht ihr Gewicht in die Waagschale werfen soll. Im übri- vertreten durch ein Mitglied der Kommission, auch gen wird das ein wechselseitiger Prozeß sein. wenn das vielleicht die Vorstellung des einen oder des anderen in Brüssel sein mag. Es geschieht viel- Was nun die Grenzen betrifft, die wir sehen — ich mehr auch in Verantwortung der deutschen Regie- will es hier kurz sagen; Herr Kollege Schmidt, auch rung, die hier in Ihrer Amtszeit ein großes Gewicht dies haben Sie als Finanzminister und als Bundes- hatte; Sie haben immer Wert darauf gelegt, das kanzler gewußt —: Geldwertstabilität ist ein kostba- sichtbar zu machen. Wir glauben, daß dieses große res Gut, und wir möchten die in den letzten Jahren Gewicht unverändert auch der jetzigen Bundesre- verstärkt wiedergewonnene Stabilität, das Ver- gierung und der unabhängigen Notenbank zu- trauen in unsere Deutsche Mark auch nicht leicht kommt, wenn es um Fragen der Schuldenkrise und aufs Spiel setzen. Auch das ist eine Koordinate un- des internationalen Wirtschafts- und Währungssy- seres Systems. stems geht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Und etwas mehr haben wir doch erreicht als das, was hier gesagt wurde. Die Zeit reicht nicht — ich Vizepräsident Cronenberg: Herr Bundesminister, habe das in der Haushaltsdebatte gesagt —, über gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten die Erklärungen und Absprachen der Fünfer- Ertl? Gruppe im September oder das zu reden, was wir mit sehr viel Mühe in Seoul ein Stück vorange- Dr. Stoltenberg, Bundesminister der Finanzen: bracht haben. Nein, diese Zusammenarbeit, bei al- Bitte sehr, Herr Kollege Ertl. len Grenzen und Enttäuschungen, ist erfolgreicher, als von vielen angenommen wird. Vizepräsident Cronenberg: Bitte sehr. Schönen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ertl (FDP): Herr Kollege Stoltenberg, würden Sie mir auch darin zustimmen: Solange es weder Wirt- Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat die Abge- schafts- noch Währungspolitik gibt, kann es keine ordnete Frau Dr. Hellwig. funktionsfähige Agrarpolitik geben, und damit sind alle Pläne bezüglich einer Reform illusorisch? Frau Dr. Hellwig (CDU/CSU): Herr Präsident! (Zurufe von der SPD: Na, na!) Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist vielleicht ganz hilfreich, anläßlich einer solchen De- Dr. Stoltenberg, Bundesminister der Finanzen: batte mal in die Protokolle zu schauen, wie es ei- Also, Herr Kollege Ertl, ich möchte jetzt nicht wa- gentlich 1957 war, als die EWG-Verträge angenom- gen, improvisierend auf dieses große neue Thema men wurden. Man stellt fest, daß durch alle Fraktio- einzugehen. Aber daß es einen Zusammenhang zwi- nen hindurch Hoffnung und Befürchtung einander schen einem funktionsfähigen Agrarmarkt und ei- die Waage hielten, so wie auch heute wieder. Die 13790 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985

Frau Dr. Hellwig Befürchtung, die von den verschiedenen Opposi- naten geführt werden — hoffentlich werden sie tionsparteien damals geäußert wurde, war die, die noch in diesem Jahr abgeschlossen —, erhalten kleine Sechsergemeinschaft könnte eine kleine Ge- bleiben; sonst ist die Hoffnung, auf die wir uns alle meinschaft bleiben und damit wirtschaftspolitisch stützen, nämlich 1992 wirklich einen Binnenmarkt und dann später auch gesamtpolitisch zu einer end- zu haben, zerstört. Die Schritte dorthin, diese vie- gültigen Spaltung selbst Westeuropas führen. Man len, vielen kleinen Schritte, sind nur dann in ange- verwandte den Vergleich, wie bei der kleindeut- messenem Zeitraum erreichbar, wenn einerseits die schen Lösung komme es jetzt zu einer kleineuropäi- qualifizierte Mehrheit hier den Durchbruch schafft schen Lösung, die nie die Chance haben werde, eine und andererseits die Fristsetzung für Rat und Par- echte stabilisierende dritte Kraft zu sein. lament tatsächlich auch dazu führt, daß die entspre- Die Hoffnung richtete sich andererseits wieder — chenden Entscheidungen fallen. es ist klar, daß diese insbesondere von den Vertre- Meine Damen und Herren von der SPD-Opposi- tern der Regierung geäußert wurde — darauf, daß tion, ich habe Ihre bisherigen Einlassungen und der in der EG schon angelegte Binnenmarkt späte- auch die heutige Rede von Altbundeskanzler stens in 15 Jahren vollendet sein würde. Meine Da- Schmidt als vorwärtsweisend verstanden. Sie drük- men und Herren, das war 1957. 1972 hätte er also ken aus, daß Sie zwar nicht ganz mit dem Erreich- vollendet sein müssen. ten zufrieden sind, aber anerkennen, daß dieses im- Allerdings hat auch schon damals die Frage — merhin wesentlich besser als nichts ist, und daß Sie, und auf die möchte ich mich heute konzentrieren — vorwärtstreibend, wild entschlossen sind, mit uns eine entscheidende Rolle gespielt, ob es nicht durch den Weg in Richtung auf eine Vereinheitlichung die Tatsache, daß es zu einer europäischen Gesetz- des Rechts im europäischen Rahmen voll verant- gebung kommen werde und diese nicht demokra- wortlich mitzugehen und die dafür notwendigen tisch kontrolliert sei, zu einer schleichenden Entde- Entscheidungen in diesem Bundestag auch mitzu- mokratisierung durch die Gesetzgebung in Europa tragen. Darauf wird es in den nächsten Jahren bis kommen werde. 1992 entscheidend ankommen. Wie ist es heute, meine Damen und Herren? Da Ich kündige hier an, ich werde Sie an Ihren guten möchte ich die Diskussion einfach wieder einmal Willen erinnern, europäische Entscheidungen mit- zusammenbinden. Wir haben ja in diesem Bundes- zutragen, denn wir werden nicht unbeträchtlichen tag auch eine Europa-Kommission. In der Europa- Spannungen ausgesetzt sein, wenn eine solche qua- Kommission des Bundestages begleiten wir mit lifizierte Mehrheitsentscheidung im Rat und im großer Aufmerksamkeit, mit großem Interesse und Parlament einmal zu unseren Ungunsten ausgeht. mit Entschließungen die Arbeit sowohl der Regie- Dann werden wir uns an unseren Europa-Idealis- rungschefs als auch der Regierungskonferenzen, mus, und zwar gemeinsam, auch Sie, meine Damen die mehr auf Beamtenebene stattfinden. Wir haben und Herren von der Opposition, erinnern und diese in diesem Jahr verschiedene Entschließungen ge- Entscheidung tragen müssen. Wir dürfen dann z. B. faßt. Unsere übrigens mit den Parteien der Opposi- unsere Regierung nicht auffordern, etwa unter dem tion einstimmig getroffenen Entschließungen — die Gesichtspunkt, daß unsere nationalen Interessen zu GRÜNEN waren leider nie anwesend — konzen- stark berührt seien, alles zu tun, um uns von dieser trierten sich immer wieder darauf, dieses demokra- Entscheidung wieder herunterzubringen. Auch aus tische Element zu stärken. Unsere einstimmigen diesem Grunde halte ich es für so ungeheuer wich- Forderungen gehen dahin, und wir ermuntern hier tig, daß es zu Mitverantwortungsrechten des Euro- die Bundesregierung ausdrücklich, dafür zu sorgen, päischen Parlaments kommt. Nehmen Sie z. B. die daß das Europäische Parlament als der entschei- Agrarpolitik. Da muß unser armer Minister Ignaz dende demokratische europäische Faktor genügend Kiechle — er sitzt gerade hier — heute allein durch Mitbestimmungsbefugnisse bekommt. die Bundesrepublik reisen und sich stellvertretend Herr Außenminister, ich möchte in dem Zusam- für Europa beschimpfen lassen, und alle Bundes- menhang den Auftrag, der in unserer letzten Ent- tagsabgeordneten — ich nehme unsere gar nicht in schließung steht, an Sie weitergeben: Das Europäi- Schutz — stellen sich einen Schritt beiseite und sche Parlament muß mitentscheidend an der Ge- geben die Aggressivität an den einzigen europäisch setzgebung beteiligt werden. Gegen diesen Grund- Verantwortlichen, nämlich , weiter satz würde u. a. verstoßen, wenn eine endgültige und sagen so ungefähr: Na, hättest du nicht noch Entscheidung wegen Untätigkeit des Rates deswe- härter sein müssen, um hier auf jeden Fall natio- gen nicht zustande käme, weil der Rat nicht an ver- nale Interessen durchsetzen zu können? gleichbare Fristen für eine Beschlußfassung gebun- Darum wird es wichtig sein, daß die europäischen den würde wie das Europäische Parlament. Parlamentarier, die solche demokratischen Ent- Ich stelle hier mit großem Dank und großer Zu- scheidungen vollverantwortlich tragen, dann auch versicht fest — wir hatten in unseren Sitzungen vor Ort gehen und sie als legitim gewählte Abgeord- zweimal mit Vertretern der deutschen und der euro- nete gegenüber den Bauern oder gegenüber den päischen Beamtenschaft über diese Frage disku- Unternehmern oder gegenüber den verschiedenen tiert —, daß es in dem Entwurf, der uns vorliegt, Umweltschützern vertreten, denen zukünftige, eu- gelungen ist, nicht nur dem Parlament, sondern ropäisch gefundene Umweltlösungen vielleicht auch dem Rat eine Frist für seine Entscheidungen nicht weit genug sind und die der Meinung sind, wir zu setzen. Diese Fristsetzung muß in den Nachver- hätten hier in diesem deutschen Hasenstall à la handlungen, die in den nächsten Wochen und Mo- GRÜNE bleiben müssen, den Sie ja deutlich ange- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13791

Frau Dr. Hellwig kündigt haben, indem Sie erklärt haben: Wir bauen besonders für mittelständische Unternehmen. Auf hier unser kleines, sauberes Umweltnestchen, ganz, der anderen Seite soll verhindert werden, daß Wett- ganz sauber, nicht beschmutzt von nicht so umwelt bewerbsbeschränkungen durch Marktübermacht bewußten Franzosen oder Engländern, die den von Großfirmen zustande kommen. Es soll eine Fu- Stand unseres Umweltbewußtseins noch nicht er- sionskontrolle auch in Europa geschaffen werden. reicht haben. Damit soll wirkungsvoll gegen vertikale Beschrän- In der Hoffnung, daß wir hier zu einem gemeinsa- kungen und gegen den Mißbrauch von Marktmacht men europäischen Denken kommen und daß diese vorgegangen werden. gemeinsamen europäischen Interessen auch im Eu- Sechstens. Die Beseitigung der Steuerschranken ropäischen Parlament formuliert werden können, ist das schwierigste Gebiet. Die Steuerharmonisie - freue ich mich auf die weitere Zusammenarbeit mit rung hat eine wichtige Funktion, aber wir wissen, Ihnen, meine Kollegen, in der Europa-Kommission. daß sie schon deshalb sehr schwierig werden wird, Vielen Dank. weil sie nur einstimmig herbeigeführt werden kann. Aber zu einem vollständigen Abbau der Grenzkon- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) trollen ist sie unbedingt notwendig. Alle diese Forderungen hat die Europäische Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Abge- Kommission in ihr Weißbuch aufgenommen. Wir ordnete Schwörer. begrüßen diese Vorlage, und wir ermutigen die Bundesregierung, die Umsetzung dieses Papiers in die Wirklichkeit mit Nachdruck zu betreiben. Das Dr. Schwörer (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Da unsere gro- Ziel, das Jahr 1992 für die Vollendung des Binnen- ßen Vorredner mir die Hälfte meiner Zeit genom- markts, ist ein ehrgeiziges Ziel. Das wissen wir. men haben, Aber der Beschluß von Luxemburg mit der Möglich- keit, Bestimmungen zum Binnenmarkt mit qualifi- (Bindig [SPD]: Jedem das Seine! — Weitere zierten Mehrheiten zu beschließen, ist ein echter Zurufe von der SPD) Fortschritt. Er berechtigt uns zu der Hoffnung, daß beschränke ich mich auf den Binnenmarkt. Dazu es tatsächlich auf diesem Gebiet weitergeht.- möchte ich einige Gedanken vortragen. Das zähe Ringen und das Ergebnis von Luxem- Ab 1. Januar 1986 werden 320 Millionen Men- burg zeigen eindrucksvoll die Ernsthaftigkeit, mit schen in diesem großen europäischen Binnenmarkt der die Staats- und Regierungschefs die EG-Reform leben. Für die Wirtschaft der Gemeinschaft ist dies betreiben. Die Fortschritte sind zwar nicht so, wie eine Herausforderung, aber auch eine Chance. Auch wir sie uns gewünscht hätten, aber sie bedeuten andere Wirtschaftsmächte werden sich um diesen einen Schritt in die richtige Richtung. Deshalb dan- Markt bemühen. Das sollen sie auch, und zwar mög- ken wir unserer Bundesregierung und vor allem lichst ungehindert. Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl für sein sehr gro- Die Europäer würden sich ein Armutszeugnis ßes persönliches Engagement in dieser Frage. ausstellen, wenn sie sich den Anforderungen dieses (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) großen Wirtschaftsraumes nicht ohne Abschirmung Für uns Deutsche ist nicht nur wichtig, daß der gewachsen fühlten. Das Wichtigste für Europas Gemeinsame Markt nun verwirklicht werden kann. Wirtschaft ist aber, daß endlich ein einheitlicher Wichtig ist auch, daß er nicht durch ein Mehr an europäischer Wirtschaftsraum ohne Hindernisse, Protektionismus gegenüber Drittländern und auch ohne neu geschaffene Grenzen zustande kommt. nicht durch ein Weniger an währungspolitischer Darum hat die Koalition der Mitte vom ersten Tag Stabilität im Inneren der EG erkauft wird. Das sind an gekämpft. Die CDU/CSU-Fraktion bekräftig wichtige Voraussetzungen für eine Wachstumspoli- heute nochmals diese Ziele: tik, die sich der Preisstabilität verpflichtet weiß und Erstens. Wir wollen den Abbau aller Grenzkon- die durch die Verbesserung der Rahmenbedingun- trollen. gen der Wirtschaft und durch Steuerentlastungen für alle Bürger die nötigen Impulse zustande brin- Zweitens. Wir wollen die Beseitigung der techni- gen will, um zu schaffen. schen Schranken. Ein in der EG rechtmäßig in Ver- dauerhafte Arbeitsplätze kehr gebrachtes Erzeugnis sollte überall ungehin- Vor allem die junge Generation in Europa darf dert verkauft werden können. Dazu gehören die wieder hoffen. Sie wird es auf diesem Wege am ehe- entsprechenden Normen. Die technische EG-Nor- sten durch neue, moderne Arbeitsplätze in Europa mungsinitiative, die wir in diesem Sommer beraten leichter haben, die erlernten Fähigkeiten nutzbrin- haben, ist ein echter Fortschritt. gend für sich und ihre Familien einzusetzen. Das zu erreichen ist das wichtigste Ziel der Europäischen Drittens. Die Liberalisierung des öffentlichen Be- Gemeinschaft. schaffungsmarktes ist zwar weitergegangen, ist aber längst noch nicht dort, wo wir sein wollen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Viertens. Unaufschiebbar ist die Schaffung eines europäischen Kapitalmarktes. Dazu hat der Fi- Vizepräsident Cronenberg: Weitere Wortmeldun- nanzminister einiges gesagt. Deshalb kann ich mir gen liegen mir nicht vor. weitere Ausführungen sparen. Wir kommen zur Schlußabstimmung, und zwar Fünftens. Wir wollen auf der einen Seite Unter- zunächst über den von der Bundesregierung einge- nehmenskooperationen über die Grenzen hinweg, brachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Beschluß 13792 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985

Vizepräsident Cronenberg des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom Der Ausschuß empfiehlt Ihnen zu Punkt 4 a 7. Mai 1985 über das System der eigenen Mittel der in seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache Gemeinschaften, Drucksache 10/3791. Ich rufe 10/4391 unter Nr. 2, den Gesetzentwurf der Fraktion Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer der SPD abzulehnen. dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den Ich rufe die Art. 1 bis 6, Einleitung und Über- bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthal- schrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zu- tungen? — Damit ist der Gesetzentwurf angenom- zustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzei- men. chen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Nunmehr ist über eine Beschlußempfehlung des Damit ist das Gesetz in zweiter Beratung abgelehnt. Ausschusses abzustimmen. Der Haushaltsausschuß Nach § 83 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung entfällt empfiehlt unter Nr. 2 der Beschlußempfehlung auf jede weitere Beratung. Drucksache 10/4185 die Annahme einer Entschlie- Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Ab- ßung. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustim- stimmung zu Punkt 4 b der Tagesordnung, und zwar men wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — über den - von der Bundesregierung eingebrachten Gegenprobe! — Enthaltungen? — Damit ist die Be- Gesetzentwurf auf der Drucksache 10/2720. schlußempfehlung angenommen. Ich rufe Art. 1 in der Ausschußfassung auf. Zu Wir kommen nunmehr zum Entschließungsan- dieser Ausschußfassung liegt ein Änderungsantrag trag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4434. der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4432 vor. Wer diesem SPD-Entschließungsantrag zuzustim- Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD men wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Hand- Gegenprobe! — Enthaltungen? — Damit ist dieser zeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält Entschließungsantrag abgelehnt. sich? — Dann ist dieser Änderungsantrag abge- Wir kommen zur Abstimmung über den Tages- lehnt. ordnungspunkt 5 b, und zwar über die Beschluß- Die Fraktion der SPD und die Fraktion der GRÜ- empfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf NEN verlangen getrennte Abstimmung über die Drucksache 10/4088. Wer dieser Beschlußempfeh- einzelnen Vorschriften. lung des Auswärtigen Ausschusses zuzustimmen Ich rufe Art. 1 Nr. 1 in der Ausschußfassung auf. wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ge- Wer der Nr. 1 zuzustimmen wünscht, den bitte ich genprobe! — Enthaltungen? — Damit ist diese Be- schlußempfehlung angenommen. um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthal- tungen? — Das erste war die Mehrheit. Damit ist Zu den Punkten 5 c bis 5 e der Tagesordnung so- die Nr. 1 angenommen. wie dem Zusatzpunkt 3 zur Tagesordnung schlägt Ich rufe Art. 1 Nr. 2 bis 4 in der Ausschußfassung Ihnen der Ältestenrat die Überweisung der Vorla- auf. Wer Nr. 2 bis 4 zuzustimmen wünscht, den bitte gen an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus- ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? schüsse vor. Gibt es dazu noch andere Vorschläge? — Enthaltungen? — Nr. 2 bis 4 sind einstimmig an- — Das ist nicht der Fall. Dann ist dies so beschlos- genommen worden. sen. Ich rufe Art. 1 Nr. 5 in der Ausschußfassung auf. Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Antrag Wer der Nr. 5 zuzustimmen wünscht, den bitte ich der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 10/4474 zur um das Handzeichen. Wer stimmt dagegen? — Ent- federführenden Beratung an den Auswärtigen Aus- haltungen? — Damit ist die Nr. 5 mit Mehrheit an- schuß zur Überweisung und zur Mitberatung an genommen. den Innenausschuß, den Finanzausschuß, den Aus- schuß für Wirtschaft und den Ausschuß für For- Ich rufe Art. 1 Nr. 6 in der Ausschußfassung auf. schung und Technologie. — Weitere Vorschläge Wer der Nr. 6 zuzustimmen wünscht, den bitte ich hierzu werden nicht gemacht. Dann ist auch dies so um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — beschlossen. Enthaltungen? — Dann ist dies mit großer Mehr- heit angenommen. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Punkt 5 f der Tagesordnung, und zwar über die Be- Ich rufe Art. 1 Nr. 7 in der Ausschußfassung auf. schlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr auf Wer der Nr. 7 zuzustimmen wünscht, den bitte ich der Drucksache 10/4383. Wer dieser Beschlußemp- um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — fehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Enthaltungen? — Dann ist dies mit den Stimmen Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthal- der Koalition angenommen. tungen? — Dann ist diese Beschlußempfehlung an- Ich rufe Art. 1 Nr. 8 bis 15 in der Ausschußfassung genommen. auf. Wer Nr. 8 bis 15 zuzustimmen wünscht, den Meine Damen und Herren, wir kommen nunmehr bitte ich um das Handzeichen. — Enthaltungen? — zu der Fortsetzung der vor der Mittagspause unter- Wer stimmt dagegen? — Nr. 8 bis 15 sind gegen die brochenen Abstimmung zu den Punkten 4a und b Stimmen der GRÜNEN angenommen worden. der Tagesordnung. Ich muß Ihre Geduld einige Zeit Ich rufe Art. 2 Nr. 01 sowie Nr. 1 bis 3, und zwar in Anspruch nehmen. Es handelt sich um die Ent- bis zum § 454b Abs. 1 in der Ausschußfassung auf. würfe eines Strafrechtsänderungsgesetzes. Ich bitte Wer diesen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den die Stimmführer, darauf zu achten, daß dieser et- bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — was komplizierte Abstimmungsvorgang ohne allzu Enthaltungen? — Bei Enthaltung der GRÜNEN große Schwierigkeiten abgewickelt werden kann. sind diese Vorschriften angenommen. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13793

Vizepräsident Cronenberg Ich rufe nunmehr aus Nr. 3 des Art. 2 den § 454 b Enthaltungen? — Damit ist Nr. 3 Ziffer 2 der Be- Abs. 2 in der Ausschußfassung auf. Wer dieser Vor- schlußempfehlung einstimmig angenommen wor- schrift in der Ausschußfassung zuzustimmen den. wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ge- Somit ist die Beschlußempfehlung des Ausschus- genstimmen? — Enthaltungen? — Damit ist diese ses unter Nr. 3 auf Drucksache 10/4391 insgesamt Vorschrift mit den Stimmen der Koalition ange- angenommen worden, und wir sind am Ende dieses nommen worden. komplizierten Tagesordnungspunktes. Art. 2 Nr. 01 sowie Nr. 1 bis 3 sind damit ange- nommen. Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf: Ich rufe Art. 2 Nr. 4 bis 12 in der Ausschußfassung auf. Wer Art. 2 Nr. 4 bis 12 zuzustimmen wünscht, Zweite und dritte Beratung des von der Bun- den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! desregierung eingebrachten Entwurfs eines - Enthaltungen? — Bei Stimmenthaltung der Siebten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes GRÜNEN ist Art. 2 Nr. 4 bis 12 angenommen wor- über den Finanzausgleich zwischen Bund den. und Ländern — Drucksache 10/3972 — Ich rufe die Art. 3 bis 7 in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustim- a) Beschlußempfehlung und Bericht des Fi- men wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — nanzausschusses (7. Ausschuß) Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Stimmenthal- — Drucksache 10/4282 — tung der GRÜNEN sind die aufgerufenen Vorschrif- Berichterstatter: Abgeordnete Schlatter ten angenommen worden. Dr. von Wartenberg Ich rufe Art. 8 in der Ausschußfassung auf. Wer b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus Art. 8 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das schuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Damit ist Art. 8 mit Mehrheit angenommen. — Drucksache 10/4283 — Ich rufe Art. 9 in der Ausschußfassung auf. Wer Berichterstatter: - zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Hand- Abgeordnete Roth (Gießen) zeichen. — Danke sehr. Gegenprobe! — Enthaltun- Hoppe gen? — Damit ist die aufgerufene Vorschrift ange- Wieczorek (Duisburg) nommen. Kleinert (Marburg) Es bleibt noch über Einleitung und Überschrift (Erste Beratung 168. Sitzung) abzustimmen. Wer Einleitung und Überschrift zuzu- Hierzu liegen ein Änderungsantrag und ein Ent- stimmen wünscht, den bitte ich um das Handzei- schließungsantrag der Fraktion der SPD auf den chen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich Drucksachen 10/4435 und 10/4436 vor. der Stimme? — Damit sind auch Einleitung und Nach einer Vereinbarung des Ältestenrates sind Überschrift angenommen. für diese Aussprache 60 Minuten vorgesehen. — Wir treten nunmehr in die Widerspruch im Hause erhebt sich nicht. Ich nehme dritte Beratung auch an, daß das Wort zur Berichterstattung nicht gewünscht wird, so daß ich die allgemeine Ausspra- ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem che eröffnen kann. Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Danke sehr. Wer Das Wort hat der Herr Abgeordnete Uldall. stimmt dagegen? — Danke schön. Damit ist der Ge- setzentwurf als Ganzer angenommen. Uldall (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen Meine Damen und Herren, wir sind damit noch und Herren! Beim vorliegenden Gesetzentwurf geht nicht am Ende, denn es ist noch über eine Beschluß- es um die Verteilung der Mehrwertsteuer zwischen empfehlung des Ausschusses abzustimmen. dem Bund und den Bundesländern. Die Vorlage Der Rechtsausschuß empfiehlt Ihnen unter Nr. 3 sieht vor, daß der Anteil des Bundes auf 65% abge- der Beschlußempfehlung auf Drucksache 10/4391 senkt wird und daß die Länder mehr bekommen, die Annahme einer Entschließung. Die Fraktion der und zwar 35%. Diese Verbesserung des Länderan- GRÜNEN verlangt auch hier getrennte Abstim- teils bedeutet für die Länder Mehreinnahmen in mung, und wir werden uns diesem Prozeß selbstver- Höhe von etwa 600 Millionen DM im kommenden ständlich unterziehen. Jahr. Wer der Nr. 3 Ziffer 1 der Beschlußempfehlung Damit haben wir seit Übernahme der Regierung auf Drucksache 10/4391 zuzustimmen wünscht, den im Jahre 1982 bereits die dritte Verbesserung des bitte ich um ein Handzeichen. — Danke schön. Ge- Mehrwertsteueranteils der Länder durchgeführt; genprobe! — Enthaltungen? — Damit ist Nr. 3 Zif- (Vogel [München] [GRÜNE]: Und bei den fer 1 der Beschlußempfehlung gegen die Stimmen anderen Steuern werden sie ausgeplün der GRÜNEN angenommen. dert!) Wer der Nr. 3 Ziffer 2 der Beschlußempfehlung insgesamt bedeutet das für die Länder eine Verbes- auf Drucksache 10/4391 zuzustimmen wünscht, den serung in der Größenordnung von 3 Milliarden bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — DM. 13794 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 Uldall Von einer Konsolidierung des Bundes zu Lasten Bürgermeister von Dohnanyi. Ich freue mich, daß der Länder kann also, wenn man sich diese Zahlen der Hamburger Finanzsenator Gobrecht hier ist, vor Augen hält, überhaupt nicht die Rede sein. Vor den ich deswegen auch besonders ansprechen allem kann man dann nicht von einer Konsolidie- möchte. Mit der Kampagne des Hamburger Bürger- rung des Bundes zu Lasten der Länder reden, wenn meisters soll letztlich der Eindruck erweckt werden, man bedenkt, daß dem Bund von seinem Anteil an als ob Hamburg von allen Finanznöten frei wäre, der Mehrwertsteuer ja eben nur ein ständig schma- wenn eben nur der Länderfinanzausgleich anders ler werdender Anteil dadurch verbleibt, daß noch geregelt würde. Sehen wir uns einmal an, wie die die Bundesergänzungszuweisungen abzusetzen tatsächliche Finanzlage Hamburgs ist und ob eine sind und die Abführungen an die EG immer weiter solche Behauptung überhaupt aufrechtzuerhalten steigen. ist. Hamburg nimmt 1986 1,5 Milliarden DM an neuen Krediten auf, um seine Haushaltslücke zu Überhaupt scheint es mir an der Zeit zu sein, mit schließen. Ebenfalls 1,5 Milliarden DM benötigt der ständig von der SPD aufgegriffenen Behaup- Hamburg, um die laufenden Kredite mit Zinsen zu tung aufzuhören, die Länder seien finanziell be- bedienen. Diese Zahlen verdeutlichen, vor welchen nachteiligt. Die SPD-Länder hatten im Bundesrat gewaltigen Finanzproblemen die Stadt Hamburg eine noch weitergehende Forderung gestellt. Sie steht und daß in Hamburg von einer Konsolidie- wollten eine Verbesserung ihres Anteils um weitere rung, so wie sie hier beim Bund bereits praktiziert 0,5 % erreichen. Deswegen möchte ich einmal die wird, bei weitem noch nicht gesprochen werden Zahlen nennen, wie sich die Steuereinnahmen im kann. Bund und in den Ländern in den vergangenen Jah- ren entwickelt haben. Nach den neuesten Steuer- Wenn man sich aber einmal ansieht, was Ham- schätzungen jetzt vom November 1985 steigen die burg in den Länderfinanzausgleich zahlt, nämlich Steuereinnahmen des Bundes von 1985 auf 1986 um 290 Millionen DM pro Jahr, dann erkennt man, daß 2,1 %, die der Länder steigen mehr als doppelt so das nicht einmal 20 % des Betrages ausmacht, den schnell, nämlich um 4,8 %. Auch absolut steigen die der Hamburger Senat für neue Kredite aufnimmt. Steuereinnahmen der Länder schneller. Sie steigen nämlich um knapp 8 Milliarden DM, während der (Dr. Apel [SPD]: Ein schöner Patriot- sind Bund seine Einnahmen nur um etwa 4 Milliarden Sie!) DM erhöhen kann. Das gleiche Bild gab es 1985, als — Herr Kollege Apel, wer hier der richtige Patriot der Bund 5,2 % Mehreinnahmen hatte, die Länder ist, das werden wir noch einmal feststellen. — Denn aber 6,4 % hatten. Auch im Vorjahr gab es eine ähn- keiner, nicht einmal der Hamburger Bürgermeister, liche positive Entwicklung für die Länder. geschweige denn ein Fachmann wie Sie, Herr Apel, Es ist also falsch, zu sagen, daß die Länder durch wird die Auffassung vertreten, daß man bei dem die Tarifreform benachteiligt würden. Genau das Verfassungsgerichtsstreit in Karlsruhe so gut ab- Gegenteil ist der Fall. Die Länderfinanzen entwik- schneiden wird, daß Hamburg von Zahlungen in keln sich von den Steuereinnahmen her gesehen den Länderfinanzausgleich völlig freigestellt wird. besser als die Steuereinnahmen des Bundes. Wenn Wenn man die besten Rahmenbedingungen un- die SPD-Länder dennoch meinen, daß sie die Steu- terstellt, dann könnte Hamburg bestenfalls 70 Mil- ersenkung nicht verkraften können, und deswegen lionen DM sparen. Das würde bedeuten, daß gerade einen noch höheren Mehrwertsteueranteil fordern, 5 % der Finanzprobleme, die sich Hamburg stellen, so bestätigen sie letztlich ihr eigenes finanzpoliti- durch eine Änderung des Länderfinanzausgleichs sches Versagen. gelöst würden. 95 % der Probleme, die wir mit den So schlecht würde es ja auch um einige SPD Finanzen in Hamburg haben, würden überhaupt Länder gar nicht stehen, wenn diese Länder etwas erst gar nicht angepackt. Man lenkt nur von den sorgfältiger auf der Ausgabenseite vorgehen wür- Problemen ab. Ich meine, es ist unseriös von Bür- den. So konnten wir heute in der Zeitung lesen, daß germeister von Dohnanyi, nur über ein Randpro- Johannes Rau seinen Ministerpräsidentenetat an- blem zu sprechen, aber das Hauptproblem zu verne- heben will, um im Vorwahljahr 1986 finanziell bes- beln. ser ausgestattet zu sein. Sein Etat soll um 15 % oder (Dr. Spöri [SPD]: Sie schaden der Rechts um 13 Millionen DM im kommenden Jahr steigen. position Ihrer Heimatstadt! Das ist eine Das heißt, meine Damen und Herren, daß fast 10 % Schande! Das kostet Sie 10 % bei der näch der zusätzlichen Mehrwertsteuereinnahmen des sten Bundestagswahl!) Landes Nordrhein-Westfalen verbraten werden, um den Ministerpräsidentenetat von Johannes Rau Das geschieht nur, um eine Entschuldigung für das aufzubessern, damit er im Vorwahljahr 1986 ent- Scheitern der Hamburger Finanzpolitik zu konstru- sprechend besser dasteht. Ich halte es für unglaub- ieren. Die Devise für Bürgermeister von Dohnanyi lich, daß man auf der einen Seite nach höheren muß aber heißen: Nicht entschuldigen, sondern ent- Zuweisungen bei der Mehrwertsteuer ruft und auf schulden! der anderen Seite die wahlkampfbezogene Ausga- (Beifall bei der CDU/CSU) bensteigerung in einem so überzogenen Maße vor- Zugleich setzt sich der Hamburger Senat hin- nimmt, wie es Johannes Rau in Nordrhein-Westfa- sichtlich seiner Position vor dem Verfassungsge- len tut. richt einem leichtfertigen Spiel aus. Es wäre klüger, Eine besonders laute Kampagne in Sachen Län- wenn er nicht die Vorteile Hamburgs in der Ein- derfinanzausgleich führt zur Zeit der Hamburger wohnerbewertung aufs Spiel setzen würde. Das Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13795

Uldall Bundesfinanzministerium hat mir noch einmal be- zwischen Bund und Ländern zu. Das bedeutet je- stätigt, daß der Vorteil Hamburgs bei der Einwoh- doch nicht, Herr Kollege Schwörer, daß dieser Ge- nerbewertung etwa 900 Millionen DM ausmacht. setzentwurf in jedem Punkt voll unseren Vorstel- Hamburg darf diesen Vorteil nicht einfach zur Dis- lungen entspräche. Ganz im Gegenteil! Es gibt da position stellen, sondern muß alles tun, um Verbün- eine Menge Probleme. Ich möchte nur drei Punkte dete zu suchen, um diese Vorteile Hamburgs im herausgreifen. Länderfinanzausgleich zu verteidigen. Die vorgesehene Erhöhung des Länderanteils an (Repnik [CDU/CSU]: Aber nicht gegen Ba der Umsatzsteuer um 0,5 Prozentpunkte ist be- den-Württemberg!) stimmt kein angemessener Ausgleich für Länder — Nein. Vielleicht läßt sich ja auch einmal zusam- und Gemeinden angesichts der Steuerausfälle, die men etwas machen. sie aus der sogenannten größten Steuerreform aller (Repnik [CDU/CSU]: Sehr gut!) Zeiten zu erwarten haben. Wir dürfen, wenn wir Nur, man darf auf keinen Fall das machen, was hier als Bundestagsabgeordnete diskutieren, nicht Bürgermeister von Dohnanyi macht. Er sucht sich vergessen, daß die Länder und die Gemeinden nämlich in der ganzen Bundesrepublik keine durch die Mehrheitsbeschlüsse dieses Hauses in den nächsten Jahren mit 57,5 % der 20 Milliarden Freunde; er verärgert vielmehr die anderen Bun- DM Steuerausfall belastet werden. Meine Damen desländer zusätzlich durch einen großen Rundum- und Herren, wenn die Bundesregierung in diesem schlag. (Beifall bei der CDU/CSU) Gesetzgebungsverfahren wirklich einen angemes- senen Ausgleich für Länder und Gemeinden ge- Meine Damen und Herren, dies ist eine leicht sucht hätte, hätte sie den Ländern einen zusätzli- durchschaubare Politik des Bürgermeisters, der die chen Umsatzsteueranteil von 2,3 % zubilligen müs- hamburgischen Interessen damit aufs allerhöchste sen anstatt der 0,5 %, die jetzt vorgesehen sind. gefährdet. Wenn gar die Zusage des Herrn Bundeskanzlers an (Zustimmung bei der CDU/CSU) die Bundesländer, Herr Schwörer, eingehalten wür- de, daß die Länder nur anteilig an 17 Milliarden DM Ich möchte noch einen anderen Aspekt anspre- - chen. Ich möchte hier darlegen, welche positiven der Steuerausfälle aus der größten Steuerreform al- Auswirkungen die Finanzpolitik des Bundes auf die ler Zeiten beteiligt werden sollten, müßte der Bund Länder hat. Durch die Konsolidierung der Bundes- den Ländern in diesem Gesetzgebungsverfahren so- finanzen ist es ja gelungen, die Zinsen deutlich zu gar 3,2 % an zusätzlichem Umsatzsteueranteil zuge- senken. Seit August 1985 ist der Zinssatz für die stehen. Das sind die Fakten. öffentlichen Anleihen um 1,5 Prozentpunkte gesun- Warum sage ich das hier? Wenn wir als Bundes- ken. Jedes Bundesland spart dadurch Zinsen. Jedes tagsabgeordnete Gesamtverantwortung für diesen Bundesland mag sich einmal ausrechnen, wieviel föderalen Bundesstaat tragen und nicht nur mit en- die Länder auf Grund der Konsolidierungspolitik gem Horizont die Interessen der Bundeskasse ver- des Bundes sparen. Diese Summe wird fast die Grö- treten, kann uns das Ergebnis, das hier vorgelegt ßenordnung erreichen, die durch die in dem vorlie- worden ist, bestimmt nicht glücklich stimmen. Die- genden Gesetzentwurf vorgesehene Verbesserung ses Ergebnis entspricht nicht einem angemessenen der Mehrwertsteuerzuweisung erreicht wird. Für Ausgleich für die Steuerausfälle, die die Länder und Hamburg allein bedeutet das eine Verbesserung um Gemeinden in den nächsten Jahren zu erwarten rund 200 Millionen DM. haben. Ich kann daher zusammenfassend feststellen, daß die finanzpolitischen Bemühungen der Länder, (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) ihre Haushalte zu konsolidieren, durch die solide Finanzpolitik des Bundes tatkräftige Unterstützung Ein gerechter Ausgleich ist einmütig von den erhalten. Darüber hinaus führt die Finanzpolitik Ländern im Bundesrat durch das Junktim zwischen der Bundesregierung zu einer Entlastung des Bür- Steuersenkungsgesetz 1986/88 auf der einen Seite gers. Sie führt zu einer Verringerung der Steuerlast, und Finanzausgleich auf der anderen Seite formu- die wir zu tragen haben. Die Bundesregierung be- liert worden. Was wir jetzt hier haben, fällt weit hin- treibt eine gute Finanzpolitik. Wir werden deswe- ter diese Vorstellungen zurück. gen alles tun, um die Bundesregierung in ihren Be- Die Unionsländer haben eben die gemeinsame mühungen auch weiterhin zu unterstützen. Front, die sie noch im Bundesrat bezogen hatten, (Beifall bei der CDU/CSU) inzwischen verlassen. Leider muß ich sagen, daß die Ministerpräsidenten der Union wieder einmal aus Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Abge- Parteiräson ihre Länderinteressen zuwenig vertre- ordnete Spöri. ten haben. Sie haben einem faulen Kompromiß zu- gestimmt, der nicht im Bundesrat, sondern im Kon- (Dr. Schwörer [CDU/CSU]: Jetzt kommt rad-Adenauer-Haus durch Helmut Kohl und Franz wieder Gift und Galle!) Josef Strauß ausgehandelt worden ist. Unabhängig von dem unbefriedigenden Ergebnis, meine Damen Dr. Spöri (SPD): Herr Präsident! Meine sehr ver- und Herren, ist dieser Vorgang bedenklich, allein ehrten, lieben Kolleginnen und Kollegen! Die SPD vom Prozeduralen her gesehen, einfach deswegen, Bundestagsfraktion stimmt dem vorliegenden Ge- weil er ein weiteres Beispiel dafür ist, wie die Funk- setzentwurf zur Neuregelung des Finanzausgleichs tion des Bundesrats zunehmend durch Mausche- 13796 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985

Dr. Spöri leien auf der Ebene der Parteischiene der CDU und Vizepräsident Cronenberg: Gestatten Sie eine wei- im Konrad-Adenauer-Haus ausgehöhlt wird. tere Zwischenfrage des Abgeordneten Uldall? (Beifall bei der SPD) Dr. Spöri (SPD): Ich muß jetzt weitermachen, ich Zweitens dürfen wir bei dieser Diskussion — weil habe nur zehn Minuten Zeit. es um den Ausgleich von Steuerausfällen geht — nicht vergessen, meine Damen und Herren von der Vizepräsident Cronenberg: Herr Abgeordneter, ich Union, was eigentlich hier zu 57,5 % zu Lasten der mache Sie darauf aufmerksam, daß ich Ihnen das Länder und Gemeinden an Steuerpolitik finanziert auf die Zeit nicht anrechne. werden soll. Diese Frage muß auch hier erlaubt sein. Dr. Spöri (SPD): Wird nicht angerechnet? (Repnik [CDU/CSU]: Zum Nutzen der Bür ger!) Vizepräsident Cronenberg: Ich habe es Ihnen nicht angerechnet. Diese Steuerpolitik ist so skandalös, Herr Kollege Repnik, daß der Durchschnittsverdiener in den Dr. Spöri (SPD): Herr Präsident ist heute wieder nächsten Jahren per saldo, wenn man die Kranken- wohlwollend. Prima! versicherungsbeitragssteigerung einrechnet, nicht mehr in der Tasche haben wird und die Lohnsteuer- Uldall (CDU/CSU): Herr Spöri, erinnere ich mich belastung des Durchschnittsarbeitnehmers trotz falsch, daß Ihre Fraktionskollegin und stellvertre- dieser Steuerentlastung in den nächsten drei Jah- tende Fraktionsvorsitzende, Frau , die ren weiter auf einen einmaligen Rekordstand im heute abend leider nicht hier sein kann, gefordert Jahre 1988 wachsen wird. Das sind die Fakten. hatte, 50 % der vorgesehenen Steuersenkung nicht (Beifall bei der SPD — Abg. Uldall [CDU/ vorzunehmen, und erinnere ich mich falsch, daß der CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage Herr Senator Gobrecht, der dort drüben sitzt, eben- — Dr. Struck [SPD]: Herr Uldall, was soll falls gefordert hatte, auf die Steuersenkung völlig das denn? Sie haben doch schon geredet!) zu verzichten, und daß auch der Ministerpräsident Ihres Fast-Kanzlerkandidaten namens- Posser ge- — Deshalb, Herr Kollege Uldall, waren die SPD fordert hatte, auf eine Steuersenkung zu verzich- regierten Länder im Gesetzgebungsverfahren zum ten? Finanzausgleich zu Recht empört über das, was steuerpolitisch mit den knappen Mitteln aus ihren (Urbaniak [SPD]: Jetzt macht er den Pos Landeskassen und mit den knappen Mitteln aus ser schon zum Kanzlerkandidaten!) den Gemeindekassen gemacht wurde. — Jetzt kön- nen Sie fragen, aber kurz und präzise. Dr. Spöri (SPD): Herr Kollege Uldall, schon wieder eine Verwechselung. Sie müssen die Zeitung richtig (Lachen bei der SPD) lesen. Es war so: Die Kollegen, der Kollege Gob- recht, Vizepräsident Cronenberg: Bitte schön, Herr Abge- (von Schmude [CDU/CSU]: Der hilft Ihnen ordneter Uldall. gleich noch!) heute der Finanzsenator von Hamburg, der Finanz- minister des Landes Nordrhein-Westfalen, Herr Uldall (CDU/CSU): Herr Kollege Spöri, würden Posser, und die Kollegin Fuchs, haben alle unserem Sie mir nicht zustimmen, daß die steuerliche Bela- alternativen Steuerentlastungskonzept im Umfang stung des Durchschnittsverdieners, wie Sie bekla- von 20 Milliarden DM in diesem Haus zugestimmt. gen, noch stärker ansteigen würde, wenn wir diese Sie müssen es einmal im Protokoll nachlesen, da Steuersenkung, die Sie so beklagen, nicht vornäh- kann man es finden. Aber wenn sich diese Kollegen men? gegenüber Steuersenkungen skeptisch geäußert ha- (Zurufe von der SPD) ben, dann gegen diese unseriösen steuerpolitischen Versprechungen, die Sie gegenwärtig in die Land- schaft setzen, um Wahlspeck auszulegen; sie sind Dr. Spöri (SPD): Lieber Herr Kollege Uldall, ich gebe Ihnen nachher gerne noch ein Privatissimum, nicht finanziert, sie sind finanzpolitisch überhaupt aber ich kann Ihnen jetzt schon sagen: Sie haben nicht abgedeckt. Es ist richtig, daß die Kollegen aus versäumt, hier zur Kenntnis zu nehmen, daß die meinen Reihen gegenüber diesen Vorschlägen eine SPD-Bundestagsfraktion ein Konzept vorgelegt hat, gewisse Skepsis vorbringen. Das ist natürlich rich- das Sie hier im Deutschen Bundestag abgelehnt ha- tig. ben, das diese 20 Milliarden DM viel eindeutiger (Beifall bei der SPD — Zurufe von der zugunsten der Arbeitnehmer, des Durchschnittsver- CDU/CSU) dieners vergeben hätte, und dann hätten wir diese — Ja, natürlich. Was Sie an steuerpolitischen Ver- Steigerung der Lohnsteuerbelastung eben nicht. sprechen in die Landschaft setzen, haben Sie fi- Diese Steigerung kommt nur dadurch zustande, daß nanzpolitisch gar nicht gedeckt. Das können Sie Sie oben, bei über 70 000 DM Jahreseinkommen, bei nicht decken. Sie leimen die Leute vor den Wahlen den Spitzeneinkommensbeziehern, die Hauptentla- mit solchen bunten Luftballons. Das ist die Reali- stung vornehmen. Das ist der Grund dafür. tät. (Beifall bei der SPD — Repnik [CDU/CSU]: (Dr. Soell [SPD]: Wechselreiter!) Daß wir die Familien entlasten!) Jetzt gehe ich einmal weiter. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13797

Dr. Spöri Drittens. Das Steuersenkungsgesetz, Herr Kol- Vizepräsident Cronenberg: Dies veranlaßt den Ab- lege Uldall, 1986/88 war ja nicht die einzige Opera- geordneten Schwörer zu einer Zwischenfrage. Sind tion zu Lasten der Länder und Gemeinden in den Sie einverstanden? letzten Jahren. Die Bundesregierung hat im Rah- men ihrer sogenannten Politik der Verbesserung Dr. Spöri (SPD): Herr Schwörer, immer, natür- der Rahmenbedingungen für die Unternehmen pro lich! Jahr 10 Milliarden Subventionen für die Unterneh- men zusätzlich ausgeworfen. Dr. Schwörer (CDU/CSU): Herr Kollege Spöri, ist Ihnen erstens entgangen, daß der Finanzminister in (Dr. Schwörer [CDU/CSU]: Das ist ja alles diesem Hause gesagt hat, diese Anpassung der Ab- nicht wahr!) schreibungsbedingungen sei international geboten, Was ist aus dieser Politik geworden? weil die deutsche Industrie die schlechtesten Bedin- gungen für Abschreibungen habe? Zweitens: Wis- (Repnik [CDU/CSU]: Arbeitsplätze!) sen Sie nicht — als Steuerexperte müßten Sie das — Ach, fragen Sie einmal Herrn Kreile. Der hat eigentlich wissen —, daß es sich hier nur um Ver- sich erst vorgestern beim BDI darüber gerühmt, schiebungen, um Verlagerungen und nicht um ei- daß so viele Steuerentlastungen für Unternehmen nen endgültigen Steuerverzicht handelt? geschaffen worden sind. (Zuruf von der CDU/CSU: Das begreift er (von Schmude [CDU/CSU]: Das sind doch nicht!) keine Subventionen!) Dr. Spöri (SPD): Unabhängig davon, daß wir un- Ganz abgesehen davon, daß mit diesen steuerli- terschiedlicher Auffassung über die wirtschaftspoli- chen Geschenken an die Unternehmen eigentlich tische Effektivität dieser Abschreibungsmaßnah- nur eine günstige Gewinndynamik noch einmal men sind, ist es einfach die finanzpolitische Auswir- nach oben getrimmt worden ist kung dieser Abschreibungsverbesserung in den (Repnik [CDU/CSU]: 800 000 neue Arbeits nächsten Jahren — und wenn es finanztechnisch plätze!) auch nur ein Zinsvorteil ist —, daß Länder-- und Ge- meindehaushalte schlechter gestellt werden und und daß der hohe Arbeitslosensockel mit dieser daß dies Gift für die Investitionstätigkeit und damit Steuerpolitik eigentlich nicht reduziert werden auch für die Bauindustrie ist, deren Interessen Sie konnte, gab es keine flankierenden Hilfen, keinen hier besser vertreten sollten. flankierenden Ausgleich für Länder und Gemein- (Abg. Dr. Schwörer [CDU/CSU] meldet sich den im Rahmen dieser Politik. Das Ende der Fah- erneut zu einer Zwischenfrage) nenstange bei dieser Politik, die auf die finanziellen Interessen und auf die Situation der Länder und Vizepräsident Cronenberg: Herr Abgeordneter Gemeinden keine Rücksicht nimmt, ist noch gar Spöri, ich möchte den Herrn Abgeordneten Schwö- nicht erreicht. Es ist ja so, daß wir als nächsten rer darauf aufmerksam machen, daß wir ein biß- Punkt in diesem Hohen Haus die Abschreibungs- chen auf die Zeit zu achten und Sie Gelegenheit bei Wirtschaftsgebäuden debattieren verbesserung haben, beim nächsten Tagesordnungspunkt genau werden. Was bedeutet das für Länder und Gemein- diesen Sachverhalt ausführlich zu diskutieren. Ich den, Herr Schwörer? Das bedeutet, daß allein 1988 bitte also um Verständnis, wenn ich keine weitere die Länder und Gemeinden wegen dieser Maß- Zwischenfrage zulasse. — Herr Abgeordneter Spöri, nahme mit 2,4 Milliarden DM zusätzlich belastet ich bitte Sie fortzufahren. werden, der Bund dagegen nur mit 1,3 Milliarden DM. Es ist doch rechnerisch ganz klar: Dadurch Dr. Spörl (SPD): Herr Schwörer, wir können — wird die Verteilungsposition von Ländern und Ge- sicherlich wechselseitig mit Gewinn — noch oft dis- meinden gegenüber dem Bund ohne irgendwelche kutieren, auch im Restaurant. Ausgleichsmaßnahmen im finanziellen Bereich weiter geschwächt. Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf zur Neuregelung des Finanzausgleichs, den wir hier be- Sie brauchen sich überhaupt nicht zu wundern, raten, sollte aber unabhängig von den soeben debat- Herr Schwörer. Sie sind ja von der Bauindustrie. tierten Fragen auch einmal Anlaß sein, uns zu über- Sie wären ein schlechter Lobbyist, wenn Sie das legen, ob denn eigentlich unabhängig von der Ver- nicht berücksichtigten, was ich jetzt sage: teilung des Steuerkuchens zwischen Bund und Län- (Dr. Schwörer [CDU/CSU]: Ich bin Volks dern die Länderpositionen untereinander — im vertreter!) Vergleich zwischen den Ländern — noch dem ver fassungsmäßigen Auftrag unseres Grundgesetzes Sie brauchen sich nicht zu wundern, wenn bei die- entsprechen. Wenn ich in das Grundgesetz schaue, ser Finanzpolitik in den nächsten Jahren dann finde ich diesen verfassungsmäßigen Auftrag (Zuruf von der CDU/CSU: Sie malen doch in Art. 107 formuliert. Darin steht, daß wir hier nur schwarz!) durch unsere Politik die Finanzkraft der Länder untereinander anzugleichen haben. Das ist unser die Investitionsquoten bei finanzschwachen Län- Auftrag. dern und Gemeinden zu Lasten der Bauindustrie Meine Damen und Herren, vor dem Hintergrund weiter schrumpfen werden. dieses Auftrages kann ich Ihnen sagen, daß aus (Zustimmung bei der SPD) meiner Sicht der horizontale Länderfinanzaus- 13798 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985

Dr. Spöri gleich und die Bundesergänzungszuweisungen zu zung, hat dies bewiesen, indem man nämlich auf Recht im Kreuzfeuer der Kritik andere Politikbereiche ausgewichen ist. (Dr. Struck [SPD]: Sehr wahr!) Im föderativen Staat gehören die Finanzvertei- und auch auf dem verfassungsrechtlichen Prüf- lungsprobleme stets zu den kontrovers diskutierten stand vor dem Bundesverfassungsgericht stehen; Fragen. Diese alte, in der Natur der Dinge liegende denn es kann nicht in Ordnung sein, wenn z. B. Erfahrung bestätigt sich jetzt wieder einmal. Das Lasten aus nationalen Aufgaben, wichtige Ausga- Gesetz zur Änderung des Finanzausgleichs zwi- benlasten aus nationalen Gründen — etwa im Be- schen Bund und Ländern ist das Ergebnis heute reich Kohle und Stahl — im Rahmen des Länderfi- fast schon wieder vergessener streitiger Debatten nanzausgleichs überhaupt keine Berücksichtigung zwischen Bund und Ländern als Folge des Steuer- finden. Es kann nicht in Ordnung sein, wenn Stadt- senkungsgesetzes 1986/88. Umland-Verflechtungsprobleme in diesem Finanz- ausgleich nicht berücksichtigt werden. Und es kann Es geht um die Frage, ob es wegen dieses Steuer- nicht in Ordnung sein, wenn z. B. Bayern in diesem senkungsgesetzes überhaupt eine Neuverteilung Jahr an Bundesergänzungszuweisungen das der Umsatzsteuer zwischen Bund und Ländern ge- 26,5fache dessen kassiert, was es an Länderfinanz- ben muß. Sie wissen, daß die ursprüngliche Aus- ausgleich bekommt. Dann sind Bundesergänzungs- gangsposition des Bundesfinanzministers — wie zuweisungen keine ergänzenden Zahlungen im ich meine, zu Recht - diejenige war, daß dieses Sinne der Verfassung mehr. Steuersenkungsgesetz keine , Neuverteilung der Deswegen, meine Damen und Herren, gibt es ge- Umsatzsteuer notwendig machen würde, und zwar nügend gute Gründe für Normenkontrollverfahren, aus zwei Gründen nicht: zum einen, weil es eine für die Klagen der Länder vor dem Bundesverfas- platte Selbstverständlichkeit ist, daß, wenn dem sungsgericht. Zum Abschluß aber muß ich Ihnen Bürger zu hohe oder zuviel abgenommene Steuern sagen: Dies kann mich überhaupt nicht beruhigen. zurückgegeben werden, die drei Empfängergrup- Wir sollten nicht nur auf das Bundesverfassungsge- pen, die ihn abkassiert haben, auch die Minderein- richt starren; nahmen zu tragen und zu verkraften haben; zum zweiten aber auch deshalb, weil unsere- Verfassung (Zustimmung bei der SPD und den GRÜ vorschreibt, daß dieser Verteilung der Umsatz- NEN) steuer alle Einnahme- und Belastungsfaktoren des denn wir würden Illusionen unterliegen, wenn wir Bundes einerseits und der Länder andererseits zu erwarteten, daß uns das Urteil des Bundesverfas- berücksichtigen sind. Die Ausgangsverhandlungs- sungsgerichts fertige Gesetzesformulierungen zur position des Bundesfinanzministers mit den zusätz- Lösung liefert. lichen Ausgabenbelastungspositionen des Bundes, (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und z. B. im EG-Bereich, waren eigentlich so gut, daß den GRÜNEN) man fast schon das halbe Prozent als ein bißchen unseriös herausverhandelt bezeichnen könnte. Dies Meine Damen und Herren, die Tatsache, daß steht nun als Ergebnis der Verhandlungen im Ge- diese wichtigste Aufgabe des Föderalismus nicht setz und findet unsere Billigung. mehr politisch in diesem Hause unter der Federfüh- rung der Bundesregierung entschieden wird, son- Meine Damen und Herren, noch kritischer dern sie vor Gericht geklärt werden muß, vor dem scheint neben diesem vertikalen Finanzausgleich höchsten deutschen Gericht, ist kein Ruhmesblatt die Frage zu sein, wie der horizontale Finanzaus- für den deutschen Föderalismus und für die Quali- gleich zwischen den Ländern selbst aussieht. Wie tät unserer Finanzausgleichspolitik. Sie wissen, sind es nunmehr sechs Länder, die das Herzlichen Dank. Bundesverfassungsgericht wegen dieser Frage an- (Beifall bei der SPD) gerufen haben, übrigens mit höchst unterschiedli- chen Begründungen. Die einen meinen, ihre Son- derlasten seien nicht ausreichend berücksichtigt Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Abge- oder die Sondereinnahmen des anderen seien nicht ordnete Gattermann. berücksichtigt, die Einwohnerbewertung stimme nicht, sei falsch oder die Verteilung der Ergän- Gattermann (FDP): Herr Präsident! Meine sehr zungszuweisungen sei zu beanstanden. verehrten Damen und Herren! Der Finanzminister des Landes Nordrhein-Westfalen hat mir wie ande- Zu diesem letzten Punkt hat der nordrhein-west- ren nordrhein-westfälischen Abgeordneten einen fälische Finanzminister hier in der vorigen Woche Brief geschrieben, in dem es heißt: ein vehementes Plädoyer für die Einbeziehung Nordrhein-Westfalens in die Ergänzungszuweisun - Hierin sehe ich keine parteipolitische Thema- gen des Bundes an finanzschwache Länder gehal- tik, sondern ein wichtiges, ausschließlich am ten. Nordrhein-Westfalen bemüht sich also, in den objektiven Landesinteresse orientiertes Anlie- Kreis der sonderzualimentierenden Länder zu kom- gen. men. Ich sage als Nordrhein-Westfale: Ich würde Ich glaube, er hat recht, wenn er sagt, daß der Län- sehr hoffen, daß die Steuereinnahmen des letzten derfinanzausgleich tunlichst nicht in die parteipoli- Quartals 1985, von denen Herr Passer bisher nicht tischen Auseinandersetzungen hineingeraten sollte. sprechen konnte und nicht gesprochen hat, und die Was eben hier so ein wenig hochgekommen ist an Steuereinnahmen des Jahres 1986 des Landes parteipolitischer, unnötig scharfer Auseinanderset Nordrhein-Westfalen so sein werden, daß dies nicht Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13799

Gattermann der Fall ist; wäre dies doch ein Beweis dafür, daß denfalls nicht dazu da, diesen Streit durch Partei- die Wirtschaftskraft meines Landes besser gewor- nahme für die eine oder die andere Seite zu schü- den ist. ren. Deswegen ist es richtig, daß wir die Ergän- zungszuweisungen weiter nach denselben Berech- Der Finanzminister des Landes Nordrhein-West- nungsmethoden verteilen, wie wir das in den 35 falen hat in der vergangenen Woche ein vehemen- Jahren des Konsenses mit den Ländern getan ha- tes Plädoyer zu diesem Fragenkomplex deshalb ge- ben. halten, weil er beklagt, daß sein Land in der politi- schen Auseinandersetzung immer mehr mit negati- Herzlichen Dank. ven Adjektiven tituliert werde und deswegen das (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Image des ganzen Landes in Gefahr gerate. Ich kann dazu nur sagen: Ich beklage dies mit ihm. Aber wer die eigenen Probleme verdrängt oder da- durch beseitigen will, daß er die Verantwortlichkei- Das Wort hat der Abge- ten im allzu bekannten Schwarzen-Peter-Spiel wo- Vizepräsident Cronenberg: ordnete Vogel (München). anders hin verlagert, nämlich nach Bonn, darf sich nicht wundern, wenn von der anderen Seite her die Fehler und Versäumnisse der Landes- und der Fi- nanzpolitik von Nordrhein-Westfalen sehr nach- drücklich herausgestellt werden. Vogel (München) (GRÜNE): Herr Präsident! Frau Will-Feld! Frau Hürland! Liebe Kollegen! Nach dem Ein Punkt in den Ausführungen des Finanzmini- vorliegenden Gesetzentwurf werden die Umsatz- sters Posser bedarf der Richtigstellung, damit es in steuereinnahmen der Länder 1987 um insgesamt den Protokollen des Deutschen Bundestages nicht 625 Millionen DM höher sein als in diesem Jahr. unwidersprochen bleibt. Allein durch die Änderung der Abschreibungsfri- sten für Wirtschaftsgebäude, die als nächster (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Nur einer?) Tagesordnungspunkt hier zur Debatte steht, wer- — Ein Punkt scheint mir ganz entscheidend zu sein, den den Ländern Mindereinnahmen in Höhe von Herr Kollege. — Herr Posser spricht von der Basis 1,4 Milliarden DM bei der Einkommensteuer- entste- eines vorher von ihm beschriebenen Zahlenmateri- hen. Im Finanzausschuß wird diese Woche ein als als, „das im Bundesministerium der Finanzen zu- Steuerbereinigungsgesetz getarntes Subventions- sammengestellt worden ist". Das von ihm in Bezug gesetz beraten, nach dem die Steuervergünstigung genommene Zahlenmaterial ist nicht im Bundesmi- für die Landwirtschaft wesentlich erhöht, die Son- nisterium der Finanzen zusammengestellt worden, derabschreibung für Handelsschiffe verlängert und sondern es handelt sich um die Zusammenstellung etliche weitere Steuerausfälle beschlossen werden, von Zahlenmaterial für die regionalisierte Steuer- die zu 57,5% von den Ländern und Gemeinden zu schätzung, die die Länder veranstalten. Das Zahlen- tragen sind. material ist diesmal im Finanzministerium des (Zuruf von den GRÜNEN: Das ist ein Skan Landes Baden-Württemberg gesammelt worden. dal!) Der Bund hat bei all seinen Zahlenberechnungen, wenn er gefordert war, immer die tatsächlichen, Bei dieser Finanzpolitik davon zu sprechen, nachprüfbaren Zahlen des letzten abgeschlossenen durch die Erhöhung des Umsatzsteueranteils der Steuerjahres zugrunde gelegt; das ist das Jahr 1984. Länder um einen halben Prozentpunkt werde ein Das sind nicht die ersten drei Quartale des Jahres Ausgleich geschaffen, ist fürwahr ein Hohn. Es ist 1985, von denen Herr Posser auf Grund einer gänz- kein Wunder, daß das Investitionsniveau der Ge- lich anderen Berechnungsmethode ausgeht und die meinden mittlerweile real auf das Niveau von 1983 dann im Zusammenhang mit der Steuerschätzung gefallen ist. Die Gemeinden können überhaupt 1986 fortgeschrieben sind. Dies muß klargestellt nicht mehr vorauskalkulieren, welcher Wirtschafts- werden, damit nicht der Irrtum entsteht, der Vor- lobby die Bundesregierung wieder nachgeben wurf von Herrn Posser sei richtig, wir verabschiede- wird, ten hier ein Gesetz, das nicht nur nicht verfassungs- (Zuruf von den GRÜNEN: So ist es!) konform, sondern verfassungswidrig sei. welche neuen Sonderabschreibungen und Freibe- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) tragserhöhungen sie wieder in das Einkommen- steuergesetz aufnimmt, teilweise an der ersten Le- Im übrigen gilt für dieses Gesetz und für unser sung vorbei, nur im Ausschuß eingebracht und Handeln als Bundesgesetzgber, daß wir uns natür- ruckzuck „verbraten". lich ungern in diesen Streit der sechs Länder vor dem Bundesverfassungsgericht hineinziehen lassen Die Ergänzungszuweisungen des Bundes machen würden und für die eine oder die andere Interpreta- das Defizit im vertikalen Finanzausgleich noch tion Partei ergreifen würden. In der Vergangenheit lange nicht wett. ist es stets so gewesen, daß das föderative System (Zuruf von den GRÜNEN: Genau!) funktioniert hat, daß man sich nach hartem, zähem Ringen immer zu irgendwelchen Kompromissen Sie erweisen sich vielmehr gerade auch unter dem durchgerungen hat. Das hat in der Bundesrepublik Gesichtspunkt regionaler Autonomie als problema- Deutschland 35 Jahre lang funktioniert. Wenn die tisch, weil wegen der abstrusen Art, wie diese Er- Konsensfähigkeit der Länder nachläßt, was an gänzungszuweisungen auf die Länder verteilt wer- sechs Verfassungsklagen abzulesen ist, sind wir je- den, der Bund hier ein finanzpolitisches Instrument 13800 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985

Vogel (München) in der Hand hat, um die Länder am goldenen Zügel, Eine besondere Ironie des horizontalen Finanz- um nicht zu sagen, an der Kandare zu führen. ausgleichs jedoch ist es,

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Können Sie (Dr. Spöri [SPD]: Herr Uldall wird bald aus nicht etwas langsamer reden? Nehmen Sie Hamburg ausgebürgert!) doch Rücksicht auf die Stenographen!) wenn Niedersachsen ein Drittel der Ergänzungszu- weisungen erhält, also sehr viel mehr als Bremen, Ab dem nächsten Jahr wird auch Bremen neben obgleich es gerade die Abwanderung von Unterneh- vier CDU/CSU-regierten Bundesländern und dem men nach Niedersachsen ist, die Bremen in die Saarland erstmals Ergänzungszuweisungen erhal- schlechte Haushaltslage hineinmanövriert hat. Als ten. Das werden 1986 96 Millionen DM sein. Diese Anreize für die Unternehmen bietet Niedersachsen 96 Millionen DM wurden von Bremen — darauf den Ausverkauf seines Bodens und spezielle Ver- hatte ich schon in der letzten Debatte hingewiesen günstigungen, für die u. a. deshalb das Geld da ist, — mit der Zustimmung zur Förderung der Wieder- weil die Förderzinsen nur zur Hälfte bei der Be- aufbereitungsanlage in Wackersdorf und mit der rechnung der Finanzkraft des Landes und damit Zustimmung zur Frühpensionierung der Offiziere bei der Berechnung der Ausgleichszahlungen be- im Bundesrat erkauft. Es ist doch fürwahr ein rücksichtigt werden. Skandal, daß hier für die Bundesregierung die Mög- lichkeit besteht, Druck auf Länder auszuüben. Übri- (Zuruf von den GRÜNEN: Ich würde lang gens brauchen die bisher schon Ergänzungszuwei- samer reden! Dann könnte man zwischen sungen empfangenden CDU/CSU-regierten Länder durch auch einmal klatschen!) von ihrem Besitzstand nichts an Bremen abzuge- Meine Damen und Herren, eine unzureichende ben. Dabei haben Sie, Herr Uldall, in der letzten Ausstattung der Länder und Gemeinden mit auto- Debatte eine nicht vorhandene Großzügigkeit der nom verfügbaren Mitteln kann auch nicht durch CDU/CSU-regierten Länder unterstellt. Die Sum- spezielle, zweckgebundene Zuweisungen des Bun- me, die an Bremen gezahlt wird, entspricht nämlich des wettgemacht werden. So sind z. B. die Leistun- fast genau dem Anstieg der Ergänzungszuweisun- gen aus der Gemeinschaftsaufgabe „Regionale gen auf Grund des Anstiegs des Umsatzsteuerein- Wirtschaftsförderung" für strukturschwache- Ge- kommens. Das heißt, die Koalitionsfraktionen biete ausdrücklich nur für die Subventionierung brauchten den CDU/CSU-regierten Ländern keinen von Produktion und Dienstleistungen für den über- einzigen Pfennig wegzunehmen, um Bremen in den regionalen Gebrauch vorgesehen. Wir GRÜNEN Kreis der Empfängerländer aufzunehmen. sind der Meinung, daß, genau umgekehrt, die Ver- besserung der politischen wie wirtschaftlichen Ei- (Uldall [CDU/CSU]: Das stimmt nicht! Das genständigkeit der Regionen gefördert werden ist falsch!) muß.

Bremen erhält nur 5,3 % der Ergänzungszuweisun- Ich will das am Beispiel von Bremen aufzeigen. gen, Bayern dagegen 17,4 %. Vielleicht liegt übrigens Dort steht der Bau eines Heizkraftwerks an, das ein in diesem Kostgängertum des Freistaates Bayern Einstieg in die Entwicklung und Produktion um- auf Kosten der anderen Bundesländer die Wurzel weltfreundlicher Energietechnik sein und durch für das ungebrochene Verhältnis des bayerischen das die bestehende weitgehende Autonomie des Landesvaters zu Subventionen. Landes in der Energieversorgung erhalten bleiben könnte. Hier versucht jetzt die Preußenelektra mit (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Na, na!) Dumpingpreisen für die Industrie diesen Kraft- werksbau zu verhindern, um ihren Atomstrom billig Er bezieht ja nun praktisch Subventionen nicht nur absetzen zu können. als Ministerpräsident des Freistaates Bayern und (Mann [GRÜNE]: Das ist sehr interes als Aufsichtsratmitglied der Airbus-Organisation, sant!) sondern er strebt auch an, daß die Privatflieger steuerlich subventioniertes Benzin bekommen. Er Es geht also nicht nur um eine volkswirtschaftlich hat auch ein gutes Vorbild am Postwirt in Altötting, in ihren Kosten unkalkulierbare und für die Gesell- dem ja nun eine Wallfahrtsautobahn direkt bis vor schaft verheerende Energiepolitik, sondern auch die Haustür gelegt wird, damit das Geschäft dort um die Autonomie der Regionen. Deshalb brauchen besser läuft. die Regionen Mittel, um den Versuchen der Ausla- gerung der wirtschaftlichen Entscheidungsbefug- Bremen hatte im letzten Jahr eine Arbeitslosen- nisse entgegenwirken zu können. rate, die um 53 % über dem Bundesdurchschnitt lag. (Beifall bei den GRÜNEN) Bayern gehörte zu den Ländern mit der niedrigsten Arbeitslosigkeit. Die gegebene Erhöhung des Umsatzsteueranteils reicht dafür nicht aus. Deshalb ist es an der Zeit, (Uldall [CDU/CSU]: Jawohl! Da sieht man den vertikalen Finanzausgleich zugunsten der Län- doch den Unterschied zwischen SPD- und der und Gemeinden zu verbessern. Wir werden dem CDU/CSU-regierten Ländern!) SPD-Änderungsantrag zustimmen, der besagt, daß die jetzt vereinbarte Aufteilung der Ergänzungszu- Daß hier eine Änderung des Verteilungsschlüssels weisungen zunächst einmal nur für ein Jahr gilt, notwendig ist, dürfte doch eigentlich jedem klar und halten es für erforderlich, daß dann unmittel- sein. bar in neue Verhandlungen eingetreten wird. Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13801

Vogel (München) Vielen Dank. ßen beträchtliche Mittel in Form von Beihilfen und (Beifall bei den GRÜNEN) Darlehen zur Finanzierung von Länderaufgaben an die Länder; 1984 waren es immerhin fast 1,2 Milliar- den DM. Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat Herr Par- lamentarischer Staatssekretär Dr. Voss. Angesichts dieser Entwicklung wäre es vernünf- tig, in Zukunft wenigstens den Anteil der EG am Dr. Voss, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- Umsatzsteueraufkommen vorab von dem zwischen ster der Finanzen: Herr Präsident! Meine sehr ver- Bund und Ländern zu verteilenden Umsatzsteu- ehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung eraufkommen abzusetzen und in den Verhandlun- begrüßt es, daß der vorliegende Entwurf im feder- gen dann nur noch das Beteiligungsverhältnis an führenden Finanzausschuß des Deutschen Bundes- dem noch verbleibenden national zur Verfügung tages Zustimmung gefunden hat. Gleichwohl muß stehenden Aufkommensanteil zu vereinbaren. ich hier noch einmal darauf hinweisen, daß der er- Gestatten Sie mir noch eine Bemerkung zu den reichte Kompromiß sozusagen die Grenze der fi- Bundesergänzungszuweisungen. Sie werden j a, wie nanziellen Möglichkeiten des Bundes darstellt. wir bereits gehört haben und wie uns allen bekannt Herr Kollege Spöri, wenn Sie sich die Ausführun- ist, sehr kontrovers behandelt. Dadurch, daß der gen, die ich zur ersten Lesung gemacht habe, ein- Bund bisher in der vorhandenen Größenordnung mal zu Gemüte geführt hätten, Bundesergänzungszuweisungen vorgenommen hat, (Dr. Spöri [SPD]: Da habe ich Tennis ge ist der Druck der finanzstarken Länder, ihrerseits spielt!) höhere Ausgleichsleistungen zu erbringen, wegge- nommen worden. Nun erscheinen einigen Ländern hätten Sie erkannt, daß bei dem Verhältnis von die Finanzausgleichsergebnisse nicht mehr ausrei- Ländern und Gemeinden bezüglich des Haushalts- chend. Das drückt sich, wie gesagt, in den Normen- volumens, der Anteil der Länder 58 % beträgt, wobei kontrollverfahren aus. der Bund korrespondierend 42 % der Gesamtausga- ben aller öffentlichen Haushalte hat, und die Län- Aus der Sicht des Bundes muß aber darauf hinge- der, wenn sie bei der Steuerentlastung 57,5 % tra- wiesen werden, daß eine weitere Erhöhung- der gen, proportional genau das tragen, was sie zu tra- Bundesergänzungszuweisungen schon unter Haus- gen haben. Von daher, Herr Kollege Spöri, ist der haltsgesichtspunkten nicht in Betracht kommen Bund besonders länderfreundlich gewesen — der kann. Vielmehr muß im Interesse der finanzschwä- Kollege Gattermann hat es soeben auch noch ein- cheren Länder in Richtung einer Intensivierung, mal angesprochen —, wenn er den Ländern den- d. h. einer Umstrukturierung des Länderfinanzaus- noch zusätzlich einen halben Prozentpunkt ge- gleichs weitergedacht werden. Dabei sind etwaige währt. Das wäre nach dem Ausgabenvolumen und Vorgaben aus der Entscheidung des Bundesverfas- nach dem Belastungsvolumen auf Grund der Tarif- sungsgerichts zu berücksichtigen, die wir wohl im entlastung nicht notwendig gewesen. ersten Halbjahr 1986 erwarten können. Der Kollege Uldall hat bereits darauf hingewie- Die Verteilung der Bundesergänzungszuweisun- sen, wie sich die Umsatzsteuer in den letzten Jah- gen hat im bisherigen Gesetzgebungsverfahren im ren zuungunsten des Bundes verschoben hat. Ich Finanzausschuß wie auch im Bundesrat eine große muß hier auch noch einmal deutlich machen, daß Rolle gespielt. Zum Beispiel hat Finanzminister Dr. man, wenn man den Bundesanteil am Umsatzsteu- Posser in der vergangenen Woche von dieser Stelle eraufkommen richtig einschätzen will, insbeson- aus die weitere Bezugsberechtigung Bayerns von dere mit einkalkulieren muß, was der Bund aus sei- Ergänzungszuweisungen nachdrücklich bezweifelt nem Anteil zusätzlich an Bundesergänzungszuwei- und den vorliegenden Gesetzentwurf in die Nähe sungen zahlt und was er in steigender Größenord- der Verfassungswidrigkeit zu rücken versucht. nung auch an die EG zu zahlen hat. Wenn man sich Dazu ist anzumerken, daß die Vermutung, Bayern diese Zahlen einmal zu Gemüte führt, wird deutlich, könne 1986 den Status eines finanzschwachen Lan- daß von dem Anteil, den der Bund an der Umsatz- des verlieren, auf sehr ungesicherten Annahmen steuer hatte und der im Jahre 1976 noch 62,6 % beruht. Der Kollege Gattermann hat das eben be- betrug, inzwischen zehn Prozentpunkte abgezogen reits angesprochen. Denn die regionalisierte Steu- worden und nur noch 52 Prozentpunkte für den erschätzung, die Minister Posser hier in die Diskus- Bund verblieben sind. Diese Verschiebung allein zu sion eingeführt hat, bildet insoweit keine tragfähige Lasten des Bundes ist nicht für alle Zeit verkraft- Grundlage oder einen hinreichenden Anlaß für Än- bar. Die Länder sollten sich daher nicht länger der derungen, da diese Regionalisierung — die übri- Einsicht verschließen, daß es de facto nicht mehr gens nicht von der Bundesregierung stammt — die nur zwei, sondern längst drei Ebenen sind, zwi- Einnahmeverhältnisse zwischen den Ländern aus schen denen das Umsatzsteueraufkommen aufge- einer zurückliegenden Referenzperiode auf die in teilt wird, wobei das Gewicht der EG-Ebene von die Zukunft gerichtete Steuerschätzung schablo- Jahr zu Jahr noch zunimmt. nenhaft überträgt. Diese Belastung kann, wie gesagt, der Bund al- Auch kann der Gesichtspunkt nicht vernachläs- lein nicht länger tragen. Wer die europäische Inte- sigt werden, daß in dem Normenkontrollverfahren gration will, der muß dafür auch Opfer bringen. Das vor dem Bundesverfassungsgericht praktisch alle gilt für die Länderebene um so mehr, als sie nicht Elemente des Finanzausgleichs streitig gestellt unerheblichen Nutzen aus der deutschen Mitglied- sind. Daher kann heute niemand mit Sicherheit sa- schaft in der EG zieht. Aus dem EG-Haushalt flie- gen, welche Bemessungskriterien für die Finanz- 13802 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985

Parl. Staatssekretär Dr. Voss kraftbestimmung der einzelnen Länder nach einer den eigentlichen Problemen der Hansestadt ab- Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Be- lenkt, stand haben werden. (Dr. Apel [SPD]: Jetzt macht er schon wie Schließlich sollte sich niemand der Illussion hin- der Wahlkampf!) geben, daß ein Land von heute auf morgen auf seine Ausführungen immer nur auf 5 % Randproble- Ergänzungszuweisungen in einer Größenordnung me beschränkt, aber das eigentliche Finanzproblem von jährlich rund 300 Millionen DM verzichten Hamburgs in der Größenordnung von mehr als 1 könnte, ohne nach Kompensationsmöglichkeiten im Milliarde DM gar nicht angeht? Finanzausgleichssystem zu suchen. (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Spöri Vor diesem Hintergrund halte ich die Beteiligung [SPD]: Machen Sie doch zu Hause Wahl Bayerns an den Ergänzungszuweisungen im vorlie- kampf!) genden Gesetzentwurf für eine richtige und verant- wortbare Entscheidung. Die Länder mit einer un- günstigen Finanzlage sollten die Lösung ihrer Fi- Dr. Struck (SPD): Herr Kollege Uldall, nun haben nanzprobleme nicht durch bloße Veränderungen Sie schon wieder Wahlkampf gemacht. Ich hatte des Finanzausgleichs erwarten. Ein Blick auf die Ihnen gerade gesagt, Sie sollten das sein lassen. gegenwärtige Größenordnung des Finanzausgleichs zeigt nämlich, daß auch eine Umstrukturierung in- (Uldall [CDU/CSU]: Das ist die Wahrheit!) nerhalb des Finanzausgleichs nur zu relativ be- — Ach, hören Sie auf damit. Sie sind hier nicht in grenzten Verschiebungen führen kann. Die Hoff- der Hamburger Bürgerschaft, sondern im Deut- nung auf Veränderung beim Finanzausgleich be- schen Bundestag. freit daher diese Länder nicht von der Notwendig- (Uldall [CDU/CSU]: Das ist die Wahrheit, keit, eine Politik der Gesundung ihrer eigenen Fi- und die schmerzt!) nanzen zu betreiben. Hier müssen Sie sich schon ein bißchen ernsthafter Daher bitte ich namens der Bundesregierung, um das Thema des horizontalen Finanzausgleichs dem Gesetzentwurf in der vorliegenden Fassung kümmern. - zuzustimmen. (Beifall bei der SPD) Danke schön. Zweitens. Herr Kollege Gattermann, an Sie ein (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wort gerichtet: Es läßt sich nicht bestreiten, Herr Gattermann — das müßte Ihnen als Vorsitzendem Nun hat der Abgeord- des Finanzausschusses geläufig sein —: Der Anteil Vizepräsident Cronenberg: an den nete Struck das Wort. der Länder Steuerausfällen durch das neue Steuersenkungsgesetz ist viel größer als der Anteil der Länder am Steueraufkommen insgesamt. Das Dr. Struck (SPD): Herr Präsident! Meine Damen heißt, man muß davon ausgehen — das war die Ziel- und Herren! Auf meine Vorredner möchte ich in richtung der Verhandlungen zwischen den Ländern einigen Punkten eingehen. und der Bundesregierung; Herr Kollege Voss wird Zunächst zu Ihnen, Herr Uldall. Als Hamburger das bestätigen können —, daß sich die Länder Bundestagsabgeordneter hätte es Ihnen gut ange- durch das Steuersenkungsgesetz stärker belastet standen, hamburginterne Wahlkampfauseinander- gefühlt haben, als sie meinen verantworten zu kön- setzungen, die Sie möglicherweise mit dem Bürger- nen. Ich glaube, in diesem Punkt sind wir uns rela- meister dort haben, nicht gerade bei diesem Punkt tiv schnell einig. Die Konsequenzen haben wir in in den Plenarsaal des Deutschen Bundestages zu diesem Gesetzentwurf vorliegen. tragen. (Beifall des Abg. Dr. Spöri [SPD]) (Beifall bei der SPD — Dr. Spöri [SPD]: Nun zu den beiden Anträgen, die die SPD-Bun- Das macht man nicht auf ausländischem destagsfraktion gestellt hat. Zunächst möchte ich Boden!) bemerken, daß wir sehr begrüßen, daß das Land Sie haben schon eine Verantwortung, Herr Kollege Bremen durch dieses Gesetz neu in den Kreis der Uldall, was den horizontalen Finanzausgleich und Empfänger von Ergänzungszuweisungen auf ge- die finanzielle Situation der Freien und Hansestadt nommen worden ist. Wir wissen alle, daß der bun- Hamburg angeht. desstaatliche Finanzausgleich auf dem verfas- sungsrechtlichen Prüfstand beim Bundesverfas- (Abg. Uldall [CDU/CSU] meldet sich zu ei sungsgericht in Karlsruhe steht. Es gibt Normen- ner Zwischenfrage) kontrollanträge von sechs Bundesländern. Ich will — Bitte sehr. hier nicht im einzelnen auf diese Anträge eingehen. Einige Bemerkungen dazu seien uns jedoch schon erlaubt. Ich komme dann auch auf unsere Anträge Vizepräsident Cronenberg: Bitte schön, Herr Abge- dazu. ordneter Uldall. Das Volumen der Ergänzungszuweisungen des Bundes steht heute in keinem angemessenen und Uldall (CDU/CSU): Herr Kollege Struck, ist Ihnen vertretbaren Verhältnis zu dem Finanzvolumen des nicht aufgegangen, daß sich meine Kritik darauf Länderfinanzausgleichs, obwohl die Bundesergän- erstreckte, daß der Hamburger Bürgermeister von zungszuweisungen eigentlich, wie das Wort schon Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13803

Dr. Struck sagt, eine Ergänzung des horizontalen Finanzaus- Spruch des Bundesverfassungsgerichts angeboten gleichs sein sollen. hat, damit man dann zu einer Einigung unter den (Dr. Spöri [SPD]: Das ist der Punkt!) Ländern kommt, daß sie sich also nicht — wie Sie hier unterstellen — genüßlich im Sessel zurück- Im Jahre 1970 machten die Ergänzungszuweisun- lehnt und abwartet, was da kommen wird? gen 8,2 % des Länderfinanzausgleichsvolumens aus. 1984 betrug diese Quote bereits 71,4 %. Daran sieht man, daß die Leistungen aus den Ergänzungszuwei- Dr. Struck (SPD): Herr Kollege Voss, ich bin gerne sungen in einem außerordentlichen Umfang gestie- bereit, das zur Kenntnis zu nehmen, aber ich gen sind. Es kann auch nicht angehen, daß ein Land möchte Ihnen mit einer Gegenfrage antworten; Sie aus den Ergänzungszuweisungen mit dem Zwanzig- können diese Frage dann gern wiederum mit einer fachen dessen, was es aus dem horizontalen Finanz- Zwischenfrage beantworten, wenn wir das hier so ausgleich bekommt, rechnen kann. handhaben wollen. (Beifall bei der SPD) Darf ich daraus schließen, Herr Kollege Voss, daß das Bundesministerium der Finanzen bereits jetzt Das widerspricht dem Prinzip der Ergänzungszu- politische Vorstellungen davon hat, was passiert, weisungen. wenn das Bundesverfassungsgericht so oder so ent- Wir haben deshalb, Herr Kollege Voss, die Bun- scheidet? desregierung mit unserem Änderungsantrag aufge- fordert, die Regelungen, die jetzt in dem Gesetzent- Vizepräsident Cronenberg: Mir wäre es lieber, wurf enthalten sind, nicht für zwei Jahre, sondern wenn sich das jetzt in eine Frage kleiden ließe. Wir nur für das Jahr 1986 gelten zu lassen, weil wir der wollen j a ökonomisch mit der Zeit umgehen. Auffassung sind, daß die Frage der Verfassungsmä- ßigkeit sehr ernsthaft zu diskutieren ist. Der Deut- sche Bundestag ist gut beraten, wenn er ein Gesetz, Dr. Struck (SPD): Er kann ja fragen, ob ich das zur von dem man ahnen kann, daß das Bundesverfas- Kenntnis nehmen kann. sungsgericht Zweifel anmelden wird, nicht länger als nötig gelten läßt. Vizepräsident Cronenberg: Bitte sehr, Herr Dr. (Beifall bei der SPD) Voss. Deshalb haben wir den Antrag gestellt, diese Er- gänzungszuweisung nur für ein Jahr in der im Ge- Dr. Voss (CDU/CSU): Sind Sie bereit, zur Kennt- setz genannten Höhe festzulegen. nis zu nehmen, daß das Bundesministerium der Fi- nanzen in seinen politischen Überlegungen bereits Der Entschließungsantrag, den die Sozialdemo- so weit fortgeschritten ist, daß es, wenn der Spruch kraten vorgelegt haben, bezieht sich auf das Grund- des Bundesverfassungsgerichts erfolgt ist, sofort in satzproblem: Was passiert mit den Ergänzungszu- der Lage ist, darauf aufzubauen? weisungen, was passiert beim Bundesverfassungs- gericht? Hier muß ich ein Wort der Kritik an die (Uldall [CDU/CSU]: Sehr gut!) Bundesregierung richten. Das wird Sie nicht ver- wundern. Aber ich habe das Gefühl, Herr Kollege Dr. Struck (SPD): Ich nehme das gerne zur Kennt- Voss, daß die Bundesregierung den Streit der Län- nis. Es wundert mich allerdings — das muß ich ehr- der vor dem Bundesverfassungsgericht sozusagen lich sagen —, weil ich Ihnen das nicht zugetraut zufrieden zurückgelehnt im Sessel verfolgt. Das hätte. Wollen wir also einmal abwarten, was dabei kann aber nicht sein, Herr Kollege Voss, weil wir herauskommt. uns darin einig sind, daß ein Urteil — egal, wie es (Zustimmung bei der SPD) ausfallen mag — natürlich auch Auswirkungen auf Am 14. Januar 1986 soll die mündliche Verhand- uns, also auf den Bundestag, auf die Bundesregie- lung vor dem Bundesverfassungsgericht stattfin- rung und auf den Bundeshaushalt, haben wird; den. Wer erwartet, daß das Bundesverfassungsge- denn das Bundesverfassungsgericht wird ja in der richt eine Entscheidung darüber treffen wird, wie Frage des horizontalen Finanzausgleichs die Ergän- der richtige Finanzausgleich auszusehen hat, d. h. zungszuweisungen nicht außer acht lassen können. ob und wieviel einige Länder weniger in den Län- Die Bundesregierung wird deshalb ihre defensive derfinanzausgleich einzuzahlen haben, überfordert Haltung aufgeben müssen und wird sich mit kon- das Gericht. struktiven Vorschlägen an der Meinungsbildung zu Die für eine Neurege- beteiligen haben, wie dies im übrigen im Jahre 1969 politische Verantwortung lung der Finanzbeziehungen zwischen den Ländern auch der damalige Finanzminister getan hat. und für die Regelung der Bundesergänzungszuwei- sungen wird auch nach einem Urteil von Karlsruhe Vizepräsident Cronenberg: Herr Abgeordneter bei den Ländern einerseits und bei Bundesregie- Struck, der Herr Abgeordnete Voss möchte eine rung und Bundestag andererseits bleiben. Wir ver- Zwischenfrage stellen. missen bisher eine klare Position der Bundesregie- rung. Wir wollen wissen, ob sie sich schon auf die Dr. Struck (SPD): Bitte sehr. Vorschläge zur Anpassung des Finanzausgleichsge- füges und insbesondere zum Thema der Bundeser- Dr. Voss (CDU/CSU): Herr Kollege Struck, sind gänzungszuweisungen vorbereit hat, und ich sehe Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß die Bun- mit großem Interesse, Herr Kollege Voss, Ihren desregierung bereits jetzt ihre Mithilfe nach einem diesbezüglichen Vorschlägen entgegen. 13804 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985

Dr. Struck Ich habe den Eindruck, daß auch wir im Deut- — Enthaltungen? — Auch dies ist einstimmig ange- schen Bundestag, weil natürlich jeder Abgeordnete nommen. auch darüber nachdenkt, was dann, wenn im hori- Wir kommen zur Abstimmung über den Ent- zontalen Finanzausgleich das eine oder andere ge- schließungsantrag der Fraktion der SPD auf Druck- ändert wird, in seinem eigenen Bundesland pas- sache 10/4436. Wer dem Entschließungsantrag der siert, unsere Verantwortung schon ernsthafter SPD zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das wahrnehmen müssen, was die Frage angeht: Wel- Handzeichen. Danke schön. Gegenstimmen? — Da- che Konsequenzen sind aus einem Urteil des Bun- mit ist dieser Entschließungsantrag abgelehnt. desverfassungsgerichts auch zum horizontalen Fi- nanzausgleich zu ziehen? Wir können uns davor nicht drücken und können die Verantwortung dafür nicht allein den Ländern Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a, 7 b und überlassen. Auch wir selbst sind gefordert. Be- den Zusatzpunkt 4 der Tagesordnung auf: kanntlich hat sogar die Sachverständigenkommis- 7 a) Zweite und dritte Beratung des von der Bun- sion beim Bundesfinanzminister in Sachen Neure- desregierung eingebrachten Entwurfs eines gelung der Umsatzsteuer eine deutliche Kritik am Gesetzes zur Verbesserung der Abschrei- Deutschen Bundestag, also an uns, geübt, weil wir bungsbedingungen für Wirtschaftsgebäude uns — so die Sachverständigenkommission — in eine bloße Notarrolle haben drängen lassen; das — Drucksache 10/4042 — heißt, wir bestätigen nur das, was die Länder unter- aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Fi einander ausgehandelt haben. Das kann aber nicht nanzausschusses (7. Ausschuß) die Zielrichtung unserer Politik im Deutschen Bun- destag sein. Ich nehme an, Sie werden dagegen — Drucksache 10/4372 — auch keine Einwendungen geltend machen. Wir hal- Berichterstatter: ten eine solche Selbstbeschränkung mit dem Abgeordnete Poß Selbstverständnis des Parlaments nicht für verein- von Schmude bar. bb) Bericht des Haushaltsausschusses- (8. Aus- (Zustimmung bei der SPD) schuß) gemäß § 96 der Geschäftsord- Es geht hier um elementare Fragen der bundes- nung staatlichen Finanzverfassung und um existentielle — Drucksache 10/4399 — Fragen für einzelne Länder innerhalb des föderati- Berichterstatter: ven Aufbaus. Abgeordnete Roth (Gießen) Meine Damen und Herren, ich hoffe, daß die Bun- Hoppe desregierung, aber auch die Kolleginnen und Kolle- Wieczorek (Duisburg) gen im Deutschen Bundestag diesem Appell an ihre Kleinert (Marburg) verfassungsmäßige Pflicht, die Finanzsituation der (Erste Beratung 169. Sitzung) Länder untereinander und im Verhältnis zum Bund ordnungsgemäß zu regeln, folgen werden, und ich b) Erste Beratung des von der Bundesregierung wünsche uns allen dabei eine gute Hand. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Investionszulagengesetzes (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN) — Drucksache 10/4297 — Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß (federführend) Vizepräsident Cronenberg: Weitere Wortmeldun- Ausschuß für Wirtschaft gen liegen nicht vor. Die Aussprache wird geschlos- Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen sen. Haushaltsausschuß Wir kommen zur Einzelberatung und Abstim- Zusatzpunkt 4: mung. Ich rufe Art. 1 auf. Hierzu liegt auf Druck- Erste Beratung des von den Abgeordneten sache 10/4435 ein Änderungsantrag der Fraktion Roth, Dr. Jens, Urbaniak, Wieczorek (Duis- der SPD vor. Wer diesem Änderungsantrag zuzu- burg), Dr. von Bülow, Collet, Dr. Ehrenberg, stimmen wünscht, den bitte ich um das Handzei- Jung (Düsseldorf), Junghans, Frau Dr. Marti- chen. — Wer ist dagegen? — Damit ist dieser Ände- ny-Glotz, Dr. Mitzscherling, Reuschenbach, rungsantrag abgelehnt. Rohde (Hannover), Schanz, Frau Skarpelis- Ich rufe die Art. 2 und 3 sowie Einleitung und Sperk, Sieler, Wolfram (Recklinghausen), Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften Zeitler, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Hand- eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Ge- zeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — setzes zur Änderung des Gesetzes über eine Damit ist das einstimmig angenommen worden. Investitionszulage für Investitionen in der Eisen- und Stahlindustrie Wir treten in die — Drucksache 10/4235 — dritte Beratung Überweisungsvorschlag: ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Finanzausschuß (federführend) Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, Ausschuß für Wirtschaft den bitte ich, sich zu erheben. — Die Gegenprobe! Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13805

Vizepräsident Cronenberg Meine Damen und Herren, interfraktionell und ben. Es geht um eine verhältnismäßig wichtige gemäß einer Vereinbarung im Ältestenrat sind eine Frage betreffend den Stahl. Die Firmen, die schon gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte die Zusagen hatten, die schon mit gewissen Förder- 7 a, 7 b sowie des Zusatzpunktes 4 der Tagesord- mitteln rechneten, rechnen durften, sollen, wenn die nung und eine Aussprache von 60 Minuten vorgese- Förderung auf Grund EG-Rechts Ende dieses Jah- hen. — Hiergegen erhebt sich Gott sei Dank kein res ausläuft und sie infolge dessen in Lieferschwie- Widerspruch. rigkeiten gekommen sind oder wenn die Genehmi- Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? gungen aus irgendeinem Grund verzögert worden — Das ist Gott sei Dank auch nicht der Fall, so daß sind, nicht das Nachsehen haben. Wir wären sehr wir zur Aussprache kommen. Um das Wort hat zu- dankbar, wenn das morgen einvernehmlich gere- nächst der Parlamentarische Staatssekretär Dr. gelt werden könnte. Wie es ausschaut, wird das der Häfele gebeten. Herr Parlamentarischer Staatsse- Fall sein. kretär, Sie haben das Wort. Ich komme schließlich noch auf den Entwurf ei- nes Gesetzes zur Verbesserung der Abschreibungs- Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- bedingungen für Wirtschaftsgebäude zu sprechen, ster der Finanzen: Herr Präsident! Meine Damen den wir heute hier in diesem Hohen Hause verab- und Herren! Gestatten Sie mir zunächst ein paar schieden wollen. Ich möchte mich beim Finanzaus- Worte zu dem Gesetzentwurf, den die Bundesregie- schuß des Deutschen Bundestages sehr für die zü- rung eingebracht hat, um das allgemeine Investi- gige Beratung bedanken. Ich glaube, wir haben eine tionszulagengesetz zu ändern. Wir ziehen hier Verbesserung erreicht, indem wir eine Anregung Schlußfolgerungen aus neuen Erkenntnissen, die des Bundesrates übernommen haben. Das wird ge- der Planungsausschuß, der zwischen den Ländern rade für kleinere und mittlere Unternehmen von und dem Bund besteht, gefunden hat, um die regio- Bedeutung sein: Voraussetzung für die Abschrei- nale Wirtschaftsförderung zu begleiten, um die re- bung ist nicht mehr, daß ein Drittel des Gebäudes gionale Förderpolitik zu konzentrieren und zu ver- privat und zwei Drittel wirtschaftlich genutzt wer- stärken. Vor allem zwei Schwerpunkte enthält die- den; künftig kann auch ein kleiner Handwerker, der ser Gesetzentwurf. Der erste ist, daß die privaten ein Gebäude zur Hälfte privat und zur Hälfte ge- Investitionsvorhaben, die Forschung und Entwick- werblich nutzt, den gewerblichen Teil voll abschrei- lung betreffen, künftig verstärkt werden, indem das ben. Nach dem ursprünglichen Entwurf wäre er sogenannte Anhäufungsverbot zwischen dieser und nicht erfaßt worden. Das ist eine Verbesserung. der allgemeinen Investitionszulage wegfällt. Das ist eine Konzentration und eine Verstärkung. Insgesamt dient diese Verbesserung der Ab- Weiterhin soll vor allem auch verhindert werden, schreibungsbedingungen — das ist der Hauptsinn daß sich nur besonders kapitalkräftige Betriebe an- dieses Gesetzes — dazu, den Wandel unserer Wirt- siedeln statt solche, die mehr Arbeitsplätze schaf- schaft zu fördern, ihre Anpassungsfähigkeit zu stei- fen. Es kommt also künftig sehr stark auf die Zahl gern und zugleich — das tritt ergänzend hinzu — der Arbeitsplätze an, die dabei geschaffen werden. die Bautätigkeit zu verstetigen. Diese Maßnahmen Wir wären sehr dankbar, wenn die Fraktionen — sind nicht befristet. Wir wollen eine dauerhafte För- und erfreulicherweise haben sie die Bereitschaft derung gewähren. schon bekundet — dieses in das morgen zu Ende zu Wir sind dem Finanzausschuß auch sehr dankbar, beratende Steuerbereinigungsgesetz 1986 im Fi- daß er dieses Gesetz, das jetzt rasch verabschiedet nanzausschuß noch aufnehmen würden. Wir haben wird, benutzt hat, um das gemeinsame Anliegen in der Zwischenzeit nicht nur die fünf Punkte, die aufzunehmen, energiesparende und umweltfreund- der Bundesrat angeregt hat, übernommen, sondern liche Maßnahmen beim Heizungs- und Warmwas- uns heute dazu durchgerungen, auch den letzten seranlagenbau für alte Gebäude, die mindestens 10 Punkt, dessen Aufnahme der Bundesrat wünscht — Jahre alt sind, vorzusehen. Das ist inzwischen Be- übrigens auf Antrag von Hessen —, noch aufzuneh- standteil dieses Gesetzentwurfes geworden. Wir ha- men, um sicherzustellen, daß dieses Gesetz hier ben die Regelung ja relativ großzügig ausgestaltet. noch in zweiter und dritter Lesung mit dem Steuer- Das Gesetz tritt rückwirkend zum 1. Juli 1985 in bereinigungsgesetz im laufenden Jahr zustande Kraft. Man konnte also schon ab 1. Juli 1985 anfan- kommen kann. gen, denn es bestand überhaupt kein Zweifel, daß Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn das Gesetz so verabschiedet wird. Insofern erhält Sie es gestatten, dann sage ich aus Gründen der das Ausbaugewerbe jetzt vor Weihnachten, da die Vereinfachung nur ganz wenige Worte zu den ande- schwierigen Wintermonate anbrechen, durch die ren Punkten, die hier in verbundener Debatte bera- Verkündung des Gesetzes im Bundesgesetzblatt ten werden. letztgültige Klarheit. Wir sind sehr dankbar, wenn Ich möchte zunächst auf die Änderung des Stahl- dieses Gesetz heute hier im Hohen Hause verab- investitionszulagengesetzes zu sprechen kommen. schiedet wird. Die SPD-Fraktion hat hierzu einen erfreulichen An- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) trag eingereicht, der, wie wir aus den Beratungen des Finanzausschusses wissen, nicht nur die Zu- stimmung der beiden Koalitionsfraktionen findet, sondern inhaltlich auch dem entspricht, was die Ko- alitionsfraktionen seit dem Frühsommer dieses Vizepräsident Cronenberg: Herr Staatssekretär, Jahres an die Bundesregierung herangetragen ha- ich möchte mich sehr dafür bedanken, daß Sie die 13806 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985

Vizepräsident Cronenberg Kürze nicht nur angekündigt, sondern auch prakti- werden, müssen entsprechende Abschreibungen in ziert haben. der Bilanz berücksichtigt werden, auch wenn die (Beifall bei der CDU/CSU und den GRÜ betriebliche Nutzungsdauer länger ist und auch NEN) dann, wenn durch diese Festlegung der verkürzten Abschreibungsfrist Verluste entstehen. Das Wort hat der Abgeordnete Poß. (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Der macht Unsere Hauptkritik an der heute zu verabschie- das jetzt genauso!) denden Verkürzung der Abschreibungsdauer be- zieht sich aber auf die Finanzierung dieser teuren Maßnahme. Für die Bewertung der Beschäftigungs- Poß (SPD): Nein, da muß ich Sie enttäuschen. — wirkung insgesamt ist ganz entscheidend, daß bei Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich den öffentlichen Haushalten hohe Einnahmeaus- möchte zunächst auf das Gesetz zur Verbesserung fälle entstehen, die durch weitere Einsparungen in der Abschreibungsbedingungen für Wirtschaftsge- den jeweiligen Haushalten kompensiert werden bäude eingehen. Die SPD hat den Eindruck, daß müssen. Allein in diesem Finanzplanungszeitraum dieses Gesetz eine Alibi-Maßnahme ist, die von der werden bundesweit mehr als 10 Milliarden DM beschäftigungspolitischen Tatenlosigkeit dieser Steuermindereinnahmen entstehen, davon in dem Bundesregierung ablenken soll. viel gescholtenen Land Nordrhein-Westfalen 1 Mil- (Zustimmung bei der SPD) liarde DM und in den nordrhein-westfälischen Ge- meinden rund 850 Millionen DM. Diese Ausfälle Unsere Bedenken, die wir anläßlich der ersten Le- müssen neben denen aus der Steuerreform 1986/88 sung vorgetragen haben, sind durch die Ausschuß- verkraftet werden. beratungen nicht widerlegt worden. Wir sind dar- über hinaus der Meinung, daß es ein viel zu teures Hauptbetroffene der Wirtschafts- und Steuerpoli- Gesetz ist und daß es die von ihm erhofften stimu- tik der Bundesregierung sind wieder einmal die lierenden Wirkungen für die Bauwirtschaft und die Städte und Gemeinden. Sie haben einen weit über- Beschäftigungslage insgesamt nicht haben wird. proportionalen Beitrag zur Finanzierung der Ab- schreibungsverbesserungen zu leisten. Der Deut- (Dr. Schwörer [CDU/CSU]: Lesen Sie doch - das Gutachten des Ifo-Instituts!) sche Städtetag hat diesen Anteil bis 1989 mit 28,4 % an den gesamten Einnahmeausfällen berechnet, un- — Herr Schwörer, selbst nach den Angaben der ter Einbeziehung des kommunalen Finanzaus- Bundesregierung wird das von ihr zusätzlich erwar- gleichs sogar mit 35,4 %. Diese Finanzmittelkürzung tete Bauvolumen in Höhe von ca. 3,9 Milliarden DM trifft die kommunale Ebene, die ständig von der nur genau den Betrag der ab 1989 zu erwartenden Bundesregierung aufgerufen wird, mehr zu inve- Steuerausfälle erreichen. Deshalb werden wir die- stieren. Ich fürchte, daß die Folge dieser Maßnahme sem Gesetz nicht zustimmen. sein wird, daß die Städte und Gemeinden eher we- Die Verkürzung des Abschreibungszeitraumes niger als mehr Investitionen vornehmen werden; von 50 Jahren auf 25 Jahre führt bei den Unterneh- denn von einem Ausgleich der überproportionalen men zu einer Senkung der Ertragssteuerbelastung. Steuerausfälle ist bei der Bundesregierung entge- Zusätzliche Investitionsentscheidungen werden da- gen ihren früheren Versprechungen keine Rede durch direkt nicht initiiert, schon gar nicht kurzfri- mehr. Der Grund, warum die Kommunen überpro- stig. Diese Einschätzung, Herr Schwörer, teilen wir portional betroffen sind, liegt darin, daß die Gewer- mit dem Hauptverband der Deutschen Bauindu- besteuer bei den Steuerausfällen ein besonders gro- strie. Auch der Vizepräsident der Deutschen Bun- ßes Gewicht hat. Bereits im Jahre 1988 wird das desbank, Herr Dr. Schlesinger, hat auf die beträcht- Bruttoaufkommen der Gewerbesteuer allein durch lichen Mitnahmeeffekte hingewiesen. Diese Skep- diesen gesetzgeberischen Eingriff um über 1,1 Milli- sis teilt das Deutsche Institut für Wirtschaftsfor- arden DM verkürzt werden, meint der Deutsche schung in Berlin, aber auch der Sachverständigen- Städtetag — und dies bei der sogenannten Gewer- rat. Sie sehen — wenn Sie auf Ifo verweisen —, wir besteuergarantie der Bundesregierung. Auf der ei- sind in guter Gesellschaft mit unserer Meinung. In nen Seite eine Bestandsgarantie abgeben — die Sie seinem Sondergutachten hatte der Sachverständi- immer wiederholen — und auf der anderen Seite genrat insbesondere die pauschale — ich betone: gleichzeitig diesen Bestand verringern, das grenzt pauschale — Kürzung der Abschreibungsdauer von an Heuchelei, meine Damen und Herren. 50 auf 25 Jahre kritisiert und eine differenzierte (Beifall bei der SPD) Regelung empfohlen, Herr Häfele, die den wirt- schaftlichen Verwendungsbedingungen der ver- Ein neues Paradebeispiel für gebrochene Zusa- schiedenen Gebäudetypen auch Rechnung trägt. gen hat der Chef der beiden Herren, der verehrte Hier sehen auch wir einen erheblichen Mangel der Herr Bundesfinanzminister, letzter Tage erst gelie- vorgesehenen Regelung. Es ist doch nicht so — wie fert. Er hat die Bestandsgarantie des Bundeskanz- wir wissen —, daß bisher alle Wirtschaftsgebäude lers einfach aufgehoben. Seine Wiedergabe der Ge- erst nach 50 Jahren abgeschrieben gewesen wären. werbesteuergarantie ist eine klare Verfälschung Die Gebäude z. B., die einem erhöhten Verschleiß der Kohlschen Formulierung. Und das ist schon ein unterlagen oder durch Veralterung ihren Wert ver- Kunststück. Sie läßt Schlimmes ahnen und muß die loren hatten, konnten schon bisher vorzeitig abge- Verunsicherung der Gemeinden noch verstärken. schrieben werden. Ich nenne das Stichwort „Teil- Da geht doch der Bundesfinanzminister — Sie ha- wertabschreibung". In Zukunft, Herr Schwörer, ben das im „Bulletin" gebracht — zum Bundesver- muß aber steuerlich in 25 Jahren abgeschrieben band der Deutschen Industrie und spricht am 3. De- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13807

Poß zember über die Ziele der Steuerpolitik in der näch- hat, die der Planungsausschuß vorgeschlagen hat? sten Legislaturperiode. Und was erklärt er zur Ge- Gefördert werden nur Produktionen, die überwie- werbesteuer, Herr Häfele? Die Diskussion über die gend außerhalb der Region verkauft werden. Das Gewerbesteuer müsse weitergehen. heißt heute aber: Nur wer schon 50 vom Hundert überregionalen Absatz hat, erhält diese Förderung, (Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!) nicht aber, wer mit dieser Förderung in die überre- Und wörtlich: gionale Orientierung hineinwachsen will. Das wäre Die Bundesregierung hat deshalb den Gemein- auch eine Aufgabe z. B. für die Mittelstandspolitiker den im wesentlichen der Union, sich um dieses Detail einmal zu küm- mern, das gar nicht so unbedeutend ist, wenn man — ich wiederhole: im wesentlichen — immer das hehre Ziel der Mittelstandspolitik ver- den Weiterbestand der Gewerbesteuer garan- kündet. tiert, solange es keine befriedigende Alterna- (Schulze [Berlin] [CDU/CSU]: Das ist nicht tive gibt. nur ein hehres Ziel!) Von dieser Einschränkung auf das Wesentliche — Das ist auch das Ziel der SPD. Aber wir klaffen ist bei der Garantie des Bundeskanzlers nichts zu in Theorie und Praxis nicht so weit auseinander wie lesen. Will also hier der Bundesfinanzminister Sie. nachträglich rechtfertigen, daß er durch Abschrei- bungsverkürzungen über 1 Milliarde DM Gewerbe- (von Schmude [CDU/CSU]: Das liegt aber steuer weggenommen hat, und will er dieses Spiel- an Ihrem Theoriedefizit!) chen nach der Salamitaktik fortsetzen? Denn die — Und an Ihrem Praxisdefizit, Herr von Schmude; Gewerbesteuer ist nach seiner Interpretation nur das paßt doch dann. noch „im wesentlichen" aufrechtzuerhalten. Das heißt doch nichts anderes, als daß der Bundesfi- Ob die finanziellen Größenordnungen der Förde- nanzminister schon wieder plant, die Gewerbe- rung für die ausgeschlossenen Handwerksbetriebe steuer auszuhöhlen. so erheblich sind, werden wir in den Ausschußbera- tungen prüfen. Ich halte haushaltsmäßige- Erwä- Dabei hat der Sachverständigenrat in seinem gungen in diesem Zusammenhang für fragwürdig, neuesten Gutachten die Verantwortung der Bun- da offensichtlich bei den Handwerksbetrieben das desregierung deutlich herausgestellt, wenn er in Geld eingespart wird, das für Wackersdorf in viel der Textziffer 277 feststellt: höherem Maße ausgegeben werden soll. Wir führen die zurückhaltende Investitionspoli- (Mann [GRÜNE]: Mit Zustimmung der tik der Gemeinden auf deren Unsicherheit über SPD übrigens! Sagen Sie einmal dazu et die künftige Finanzausstattung zurück. was!) (Beifall bei der SPD) — Moment, Kollege. Seien Sie nicht so voreilig! Ich fordere den Bundesfinanzminister und die Kommunalpolitiker der Koalition auf, sich im Inter- Wir werden im Ausschuß sehr genau prüfen, wie esse der Kommunen, im Interesse der kommunalen es sich mit den bis zur dritten Lesung zu stellenden Investitionstätigkeit und damit im Interesse einer Anträgen bei Wackersdorf verhält. Schließlich geht besseren Beschäftigungspolitik zu dieser Manipula- es hier um ein Subventionsvolumen für ein einziges tion hier zu äußern. Unternehmen in Höhe von mehr als 600 Millionen DM aus der regionalen Investitionszulage. (Beifall bei der SPD — Schulze [Berlin] [CDU/CSU]: Was halten Sie von der Förde Bayern möchte — sehr trickreich — für Wackers- rung der Bauwirtschaft?) dorf die Vorteile der bisherigen Regionalförderung, sprich: 600 Millionen DM, und zusätzlich die Mög- — Ich habe vorhin etwas dazu gesagt, sehr geehrter lichkeit der Forschungszulagen nach neuem Recht. Kollege. Nicht anders kann man die Anträge, die mit Mehr- In verbundener Debatte findet auch die erste Le- heit vom Bundesrat gefaßt wurden, interpretieren. sung des Investitionszulagenänderungsgesetzes Wenn hier haushaltsmäßige Bedenken bestehen, statt. Dazu möchte ich nur einige kurze Anmerkun- weil Mitnahmeeffekte für eine auch sonst notwen- gen machen; wir werden morgen im Ausschuß si- dige Betriebsverlagerung vorherzusehen sind, dann cherlich intensiver diskutieren. Diese Vorlage ist möchten wir dazu morgen Aufklärung im Ausschuß eine Fortentwicklung der alten Rechtslage und be- erhalten, Herr Häfele. Oder kann die Bundesregie- deutet eine Anpassung an veränderte Entwicklun- rung schon heute erklären, daß sie keinen Antrag gen. Das begrüßen wir ebenso wie die Verbindung aus Wackersdorf erhält oder daß sie einen solchen von forschungs- und regionalpolitischen Kriterien. Antrag aus rechtlichen Gründen nicht genehmigen Die Begrenzung der Förderung auf einen Höchst- wird? betrag dokumentiert die Absicht, Kapitalinvestitio- Aber Großzügigkeit bei den großen und enge nen nicht um jeden Preis und in jeder Höhe zu Grenzen bei den kleinen Unternehmen, den Hand- unterstützen und führt endlich das Kriterium „dau- werksbetrieben, das ist nicht unsere Förderungspo- erhafte Arbeitsplätze" ein. Dennoch möchten wir litik. Einer Lex Wackersdorf werden wir nicht zu- gerne wissen — da frage ich die Bundesregie- stimmen, meine Damen und Herren. rung —, warum die Förderung des Handwerks in diesem Gesetz nicht die Berücksichtigung gefunden (Beifall bei der SPD) 13808 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985

Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Abge- zere Abschreibungszeiten seien auch in der Vergan- ordnete von Schmude. genheit auf Einzelantrag möglich gewesen, macht es sich wirklich zu einfach. Ich habe mir von einem kleineren Unternehmer in meinem Wahlkreis ein- von Schmude (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine mal die Korrespondenz in einer solchen Angelegen- Damen und Herren! Die Haushaltsdebatte der ver- heit zeigen lassen. Da wurden von der Finanzver- gangenen Woche hat noch einmal in eindrucksvol- waltung immer neue Nachweise verlangt, teure ler Weise verdeutlicht, in welch starkem Maße die Gutachten gefordert, und nach fast einjährigem konjunkturelle Aufwärtsentwicklung in der Bun- Kampf kam ein ganz fauler Kompromiß für diesen desrepublik durch die seit der Wende verbesserten Unternehmer heraus. Rahmenbedingungen in der Wirtschaft verursacht Gerade weil Großbetriebe sich in der Vergangen- worden ist. Der weitere Ausbau dieser Rahmenbe- heit in diesem Bereich viel erfolgreicher durchset- dingungen ist aber aus konjunkturellen wie auch zen konnten, verlangt es neben den generellen Er- aus strukturellen Gründen notwendig. Gerade die- wägungen, die hier am Platze sind, auch das Gebot sen Zielen dient der vor uns liegende Gesetzent- der Chancengleichheit, eine gesetzliche Regelung wurf: der Gesetzentwurf über die Verbesserung der zu treffen, die mehr Steuergerechtigkeit insbeson- Abschreibungsbedingungen für Wirtschaftsgebäu- dere auch zugunsten der Klein- und Mittelbetriebe de, jetzt erweitert um den Bereich moderne Hei- bewirkt. zungs- und Warmwasseranlagen, sowie der Gesetz- entwurf zur Änderung des Investitionszulagenge- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) setzes. Im Falle der steuerfreien Rücklage nach § 6 b war Die Opposition hat in der ersten Lesung ihre ab- es übrigens zu Ihrer Regierungszeit, meine Damen lehnende Haltung in bezug auf die verkürzten Ab- und Herren von der Opposition, genauso: Mittel- schreibungsfristen nicht mit überzeugenden Argu- ständische Unternehmen mußten sich wegen des menten rechtfertigen können. § 6 b mit dem Finanzamt herumschlagen; große Be- (Zuruf von den GRÜNEN: Aber doch!) triebe wie Flick hatten es wesentlich einfacher, wie wir wissen. - Ich kann das auch heute nach der Rede des Kolle- gen Poß nicht anders sehen. Die Herabsenkung der Abschreibungsfristen bringt aber auch gegenüber der bisherigen Praxis (Vogel [München] [GRÜNE]: Bei mir wer- den Sie es anders sehen!) (Zuruf des Abg. Poß [SPD]) Dieses Verhalten bleibt um so unverständlicher, als ein gutes Stück Erleichterung, ein gutes Stück Ent- es hier um die Schaffung von Arbeitsplätzen geht, bürokratisierung, da wir künftig bedeutend weni- das Gesetz insbesondere von der mittelständischen ger Anträge auf Herabsetzung der Abschreibungs- Wirtschaft befürwortet wird und im übrigen auch zeit zu erwarten haben. die Gewerkschaften keine ablehnende Haltung ge- In dieses Gesetz konnten, nicht zuletzt aus Ko- zeigt haben. Es drängt sich der Verdacht auf, daß stengründen, Altbauten nicht einbezogen werden; aus ideologischen Gründen das offensichtlich im- aber ich sage hier: Es kann erwartet werden, daß mer noch gestörte Verhältnis Ihrer Partei zur Wirt- die Finanzverwaltung ihre auch künftig individuell schaft der wahre Grund für die ablehnende Haltung zu treffenden Entscheidungen über die tatsächliche ist. Lebensdauer von Altgebäuden näher an der Praxis (Zustimmung bei der CDU/CSU und der orientiert fällen wird. FDP) Es geht bei diesem Gesetz nicht um eine Art Vor- Die Lebensdauer von Betriebsgebäuden wird ruhestandsregelung für Gebäude, sondern vielmehr maßgeblich und unbestreitbar von dem schneller um eine zwingend notwendige strukturelle Anpas- gewordenen technologischen Wandel bestimmt. Da- sungsmaßnahme. Es ist deshalb völlig abwegig, hier neben wirken zusätzlich neue gesetzliche Vorschrif- eine Art Subventionscharakter zu konstruieren. Al- ten, die derartige Investitionsentscheidungen beein- lerdings stärkt dieses Gesetz die Investitionskraft flussen. der Unternehmen, da der steuerstundende Charak- (Zuruf des Abg. Poß [SPD]) ter von Abschreibungen zur Rücklagenbildung bei- — Warten Sie ab! trägt. Dies ist um so notwendiger, als der Wiederbe- In unseren europäischen Nachbarländern und schaffungswert abgeschriebener Aktiva in der Re- weit darüber hinaus ist diesem Tatbestand des gel wesentlich höher liegt. Wandels schon lange durch Abschreibungszeiten Betriebe planen ihre Investitionen auf Grund der Rechnung getragen worden, die bei 20 Jahren und Absatz- und Ertragsentwicklung; aber die prakti- darunter liegen. sche Umsetzung solcher Überlegungen hängt ent- (Poß [SPD]: Bei uns teilweise ja auch!) scheidend von den Kosten und deren Finanzierung ab. Das hierfür erforderliche Eigenkapital ist in den Mit diesem Gesetz wird nichts anderes als Chan- Zeiten Ihrer Regierung stark zurückgegangen, und cengleichheit im internationalen Wettbewerb ange- zwar besonders zu jener Zeit, als man die „Belast- strebt. barkeit der Wirtschaft testen" wollte. Aus Erträgen (Zustimmung bei der CDU/CSU) allein können die Unternehmen ihre Investitionen Wer — wie der Kollege Poß oder auch der Kollege selten finanzieren. Großunternehmen haben es ein- Wieczorek in der ersten Lesung — behauptet, kür fach, wenn sie auf den Kapitalmarkt gehen. Mittel- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13809 von Schmude ständische Unternehmen brauchen um so stärker gewirkt. Aber die Präferenzsituation muß von Zeit die Möglichkeit der eigenen Ertragskraft und auch zu Zeit überprüft werden. der Rücklagenbildung durch Abschreibung. Inso- weit wird vor allem kleinen und mittleren Firmen Die vor uns liegenden Gesetze haben nachhaltige durch diese verbesserten Abschreibungsmöglich- konjunkturelle Wirkungen, insbesondere im Be- keiten geholfen. Der Kollege Klose hat in der ersten reich der Bauwirtschaft. Der Arbeitsmarkt profi- Lesung zu Recht darauf hingewiesen, daß vor allem tiert davon. Wenn man die Basiszahlen von Ifo bei kleinen und mittleren Betrieben ein erheblicher hochrechnet, kommt man, über den Dreijahreszeit- Investitionsstau vorhanden ist. Die notwendigen raum hinausgerechnet, auf 150 000 zusätzliche Ar- Anstoß- und Auslöseeffekte werden mit diesem Ge- beitskräfte. Abgesehen davon werden durch ent- setz erreicht. Die alternative Inanspruchnahme ent- sprechende Investitionen andere Arbeitsplätze si- weder der verdoppelten Abschreibung auf jährlich cherer gemacht, da die Wettbewerbsfähigkeit der 4% bei der linearen MA oder der nun auf 45 % ange- Unternehmen durch Investitionen nachhaltig gesi- hobenen degressiven MA ist auch für kleine und chert wird. Und wenn man weiß, daß Investitionen ertragsschwächere Betriebe in Verbindung mit dem von heute die Arbeitsplätze von morgen sind, dann Gesetz über den Verlustrücktrag bzw. Verlustvor- sage ich: Vorzieheffekte sind bei diesem Gesetz so- trag interessant. Starke konjunkturelle Impulse gar erwünscht. sind deshalb für die Baubranche zu erwarten. Sie Wenn nun Städte und Gemeinden darauf verwei- können auch erwartet werden von der Wiederein- sen, daß sie Steuerausfälle in den nächsten vier führung der Sonderabschreibung für Heizungs- Jahren haben werden — da werden ja unterschied- und Warmwasseranlagen. Die entsprechende Ände- liche Zahlen genannt; ich nenne mal die Zahl 2,9 rung des § 51 des Einkommensteuergesetzes trägt Milliarden DM, auf die sich der Haushaltsausschuß auch energie- und umweltpolitischen Gesichtspunk- geeinigt hat —, so kann man demgegenüber nur ten Rechnung. Die Organisationen des Handels, des darauf hinweisen, daß Städte und Gemeinden in der Wohnungseigentums und des Wohnungsbaus haben Vergangenheit — in den letzten drei Jahren — von diese Gesetzesinitiative nachdrücklich begrüßt. der Konsolidierungspolitik, von dieser Politik der Vereinzelte Mitnahmeeffekte sind auch bei die- Wende in der Konjunkturpolitik am stärksten- profi- sem Gesetz nicht auszuschließen. Es gibt sie eigent- tiert haben. Bei den gegriffenen Zahlen über Steu- lich bei jedem Gesetz. Aber fest steht, daß bei Stroh- erausfälle, Herr Poß, feuerprogrammen — und da haben Sie j a Ihre Er- (Zurufe von der SPD) fahrungen — stets die Trittbrettfahrer mit auf sprin- gen. Dies ist nachweislich auch bei Ihrem Pro- bei diesen Kalkulationen bleiben nun die konjunk- gramm „Arbeit und Umwelt" so; denn gerade mit turell bedingten Mehreinnahmen völlig unberück- diesem Programm sollen Investitionen gefördert sichtigt, werden, die auf Grund gesetzlicher Vorschriften oh- (Zurufe von der SPD) nehin durchgeführt werden müßten. die gerade durch dieses Gesetz initiiert werden. Sie Die ebenfalls zur Beratung anstehende Änderung bleiben völlig außer Ansatz. Übersehen wird auch, des Investitionszulagengesetzes stärkt die regio- daß Abschreibungsverbesserungen eben nur steu- nale Strukturpolitik in den Fördergebieten. Dies erstundenden Charakter haben und eben nur dazu wird vor allem erreicht durch die Aufhebung des beitragen, daß vorn stärker abgeschrieben wird und Kumulationsverbotes von regionaler Zulage und hinten eben diese steuerlichen Möglichkeiten nicht Zulage für Forschung und Entwicklung. Dadurch mehr in Anspruch genommen werden können. werden Forschungs- und Entwicklungsvorhaben besonders gefördert. Auch die vorgesehene Absen- Undurchsichtig bleibt aus der Sicht der Städte kung der Höchstgrenze der Fördermittel ist sinn- und Gemeinden auch, daß der Arbeitsmarkteffekt voll im Interesse der Schaffung von mehr Dauerar- hier nicht berechnet wird. Sie haben ja bei anderer beitsplätzen. Gelegenheit des öfteren vorzurechnen versucht, wie die Situation am Arbeitsmarkt die Gemeinden bela- Die Ankündigung der Bundesregierung, daß stet. Ich stelle fest, daß Bund, Länder und Gemein- künftig nur noch die im Rahmenplan der Gemein- den auch bei diesem Gesetz in einem Boot sitzen. schaftsaufgabe genannten Gebiete gefördert wer- Angesichts der Steuermehreinnahmen für die Ge- den, läßt hoffen, daß die Neuordnung der Gebiets- meinden von durchschnittlich 5 % in den nächsten kulisse, die ja ursprünglich für Anfang 1986 vorge- Jahren, bereits unter Berücksichtigung des Geset- sehen war, sich nun nicht mehr allzusehr verspätet. zes, kann man auch den Kommunen zumuten, ei- Bei der Überprüfung der Fördergebiete muß aber nen Beitrag zur konjunkturellen Weiterentwick- — ich sage das ausdrücklich — den Belangen Ber- lung in dieser Form zu leisten. Die Gemeindefinan- lins und des Zonenrandgebietes Rechnung getragen zen lassen es im übrigen — ebenfalls nach Aussage werden. des Städtetags — zu, daß erstmals seit 1980 in 1985 (Zuruf von der CDU/CSU: Und Ham mit steigenden Investitionen bei den Kommunen burgs!) gerechnet werden kann. Der Präferenzvorsprung dieser beiden, durch die Es bleibt also insgesamt völlig unverständlich, deutsche Teilung besonders benachteiligten Ge- warum die Opposition dieses Gesetz über die ver- biete darf auf keinen Fall abgebaut werden. Die besserten Abschreibungsbedingungen ablehnt. jetzt vorgesehenen Verbesserungen haben sich auch in der Zonenrand- und Berlinförderung aus (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) 13810 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985

Vizepräsident Cronenberg: Nun hat der Abgeord- Dr. Köhler (Duisburg) (CDU/CSU): Herr Kollege, nete Vogel (München) mal wieder das Wort. ist Ihnen vielleicht entgangen, daß der Wirtschafts- ausschuß bei diesen beiden Gesetzentwürfen mitbe- Vogel (München) (GRÜNE): Herr Präsident! ratend ist? Der entscheidende Ausschuß ist der Fi- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe hier die nanzausschuß. Ich habe Sie in der Finanzausschuß- Tagesordnung für den 5. Dezember in Händen. Un- sitzung ja gesehen. Er wird erst morgen in zweiter ter Tagesordnungspunkt 7 b steht: „Erste Beratung und dritter Lesung darüber entscheiden. Wie erklä- des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- ren Sie sich Ihre falsche Auslegung der Geschäfts- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Investi- ordnung? tionszulagegesetzes". Auf der Zusatz-Tagesordnung steht als Punkt 4 die Änderung des Gesetzes über Vogel (München) (GRÜNE): Das ist eine korrekte eine Investitionszulage für Investitionen in der Ei- Auslegung der Geschäftsordnung, denn das Selbst- sen- und Stahlindustrie; erste Beratung. Ich habe befassungsrecht der Ausschüsse muß auf jeden Fall hier gleichzeitig die Stellungnahme des Ausschus- jede Festlegung vermeiden. Also: Der Ausschuß ses für Wirtschaft des Deutschen Bundestages, der darf sich lediglich damit befassen; aber er darf damit bereits seine abschließende Stellungnahme keine Entschließung dazu machen und auch keine zu diesen beiden Gesetzentwürfen, die heute zur Stellungnahme endgültig verabschieden. Insofern ersten Beratung anstehen, bekanntgibt, und zwar ist Ihre Auslegung der Geschäftsordnung falsch. mit Datum vom 4. Dezember, also von gestern. (Mann [GRÜNE]: Selbstbedienungsladen!) Vizepräsident Cronenberg: Meine Herren, ohne Ich habe hier den Text des § 62 der Geschäftsord- mich in den Streit hier einmischen zu wollen, darf nung, ich Sie informieren, daß ein Antrag vorliegt, die Mitberatung im Wirtschaftsausschuß nicht vorzu- (Ströbele [GRÜNE]: Selbstbedienungsla nehmen, sondern die Ausschußberatung auf den Fi- den!) nanzausschuß zu beschränken. Ich könnte mir vor- in dem über die Aufgaben der Ausschüsse steht: stellen: Dadurch wird das ganze Problem gelöst. „Als vorbereitende Beschlußorgane des Bundesta- (Aha-Rufe und Lachen bei den GRÜNEN)- ges haben Sie die Pflicht, dem Bundestag be- stimmte Beschlüsse zu empfehlen, die sich nur auf Ich bitte Sie, Herr Abgeordneter Vogel, in Ihrer die ihnen überwiesenen Vorlagen ... beziehen dür- Rede fortzufahren. fen." (München) (GRÜNE): Dann stelle ich aber Ich stelle fest: Dieses Gesetz wird, wenn es so Vogel fest, daß hier in der Tagesordnung unter „Überwei- bleibt, rechtswidrig zustande kommen. sungsvorschlag des Ältestenrates" ausdrücklich (Hört! Hört! bei den GRÜNEN) auch der Ausschuß für Wirtschaft aufgeführt wird. Ich fordere das Präsidium von dieser Stelle aus Da im Ältestenrat normalerweise nach dem Kon- auf, dieses Gesetz nicht zur zweiten und zur dritten sensprinzip vorgegangen wird, kann ich mir nicht Beratung zuzulassen, wenn sich der Wirtschaftsaus- vorstellen, daß unser parlamentischer Geschäfts- schuß nicht erneut damit befaßt. führer bisher von dieser Position abgerückt ist. (Beifall bei den GRÜNEN) (von Schmude [CDU/CSU]: Vielleicht war Und ich fordere schon jetzt den Geschäftsordnungs- er auch nicht dabei!) ausschuß des Deutschen Bundestages auf, sich mit Auch das möchte ich deutlich machen: Der Abge- diesem Sachverhalt eingehend zu befassen. ordnete Poß hat ja schon die Befürchtung geäußert, Ich weise den Appell des Staatssekretärs Häfele es könne sich hier um eine Lex Wackersdorf han- an dieser Stelle zurück, der hier wirklich — ich muß deln. sagen: — heuchlerisch um baldige Beratung gebe- (Mann [GRÜNE]: So ist es!) ten hat, wenn praktisch die Beratung in den Aus- Angeführt wird hier insbesondere die Aufhebung schüssen schon abgeschlossen ist. des Kumulationsverbotes, die dazu führen wird, daß Im Finanzausschuß habe ich immerhin erreichen in Zukunft im Zonenrandgebiet nicht nur die Regio- können, daß die Ausschußsitzung nicht am Don- nalzulage von 8 bis 10 % gezahlt wird, sondern daß nerstag mit der abschließenden Beschlußfassung darüber hinaus spezielle Forschungszulagen von über dieses Gesetz beendet wurde, sondern daß wir 20 % gezahlt werden. uns morgen früh noch einmal treffen, um dieses (Ströbele [GRÜNE]: Hört! Hört!) Gesetz abschließend zu beraten. Für Investitionen, die eine für Menschen und Um- (Beifall bei den GRÜNEN) welt besonders unsichere Technik anwenden, (Mann [GRÜNE]: Unerhört!) Vizepräsident Cronenberg: Herr Abgeordneter Vo- werden also künftig insgesamt 30 % Investitionszu- gel, der Herr Abgeordnete Köhler möchte eine Zwi- lage gezahlt werden. schenfrage stellen. (Mann [GRÜNE]: Eine zweite Lex Wak kersdorf!) Vogel (München) (GRÜNE): Bitte. Ich möchte es einmal genauer beleuchten. Der Höchstbetrag für die Investitionszulage orientiert Vizepräsident Cronenberg: Bitte sehr. sich an den Investitionskosten pro Arbeitsplatz. Da- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13811

Vogel (München) bei gilt eine Höchstgrenze in Höhe des Zehnfachen — Ja, das reicht wirklich. des Betrages, der im Rahmenplan der Regionalför- (Ströbele [GRÜNE]: Geschenk an die Indu derung als Durchschnittsbetrag der Investitionsko- strie!) sten pro Arbeitsplatz angesetzt ist. Konkret: Die Im übrigen möchte ich, nachdem hier der Antrag Höchstgrenze für die Bemessung der Investitions- gestellt wird, nicht an den Wirtschaftsausschuß zu zulage sind 2 Millionen DM pro Arbeitsplatz. Das überweisen, wohl auf Grund des von mir dargestell- heißt, bis zu 2 Millionen DM pro Arbeitsplatz wer- ten Tatbestandes, doch einmal fragen, ob auch an den gefördert. den Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen nicht Früher gab es eine Ausschlußgrenze in Höhe von überwiesen werden soll. 6 Millionen DM. Arbeitsplätze, die pro Platz mehr (Zuruf von der CDU/CSU: Der hat sich als 6 Millionen DM kosteten, waren überhaupt nicht schon damit befaßt!) förderungswürdig, weil sie als zu kapitalintensiv Soweit ich weiß, hat sich nämlich der Zonenrand- angesehen wurden. Die WAA Wackersdorf wäre in- förderungs-Unterausschuß inzwischen auch damit sofern fraglich gewesen, da hier wahrscheinlich befaßt, 8 Milliarden DM für ca. 1 000 Arbeitsplätze ausgege- ben werden. Nach der neuen Regelung ist auf jeden (Zuruf von der CDU/CSU: Das braucht er Fall sichergestellt, daß die Wiederaufarbeitungsan- doch gar nicht!) lage Geld erhalten wird. und auch der Ausschuß für regionale Wirtschafts- struktur hatte diesen Punkt gestern auf der Tages- Wenn es sich bei Investitionen um eine fragliche ordnung. Technik handelt, weshalb dann die Forschungszu- (Beifall bei den GRÜNEN — Mann [GRÜ lage gezahlt wird, dann werden also pro Arbeits- NE]: Das ist hier ja ein richtiger Sumpf!) platz 600 000 DM an Zulage gezahlt. Mit dieser Summe könnten aber z. B. 15 Arbeitsplätze im Be- Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Abge- reich der Pflegeleistungen direkt und voll finanziert ordnete Dr. Solms. werden. Das bedeutet, daß allein aus der Investi- tionszulage für 100 Arbeitsplätze in Wackersdorf - 1 500 Arbeitsplätze im Dienstleistungsbereich voll Solms (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehr- aus öffentlichen Mitteln finanziert werden könn- ten Damen und Herren! Ich darf für die FDP-Frak- ten. tion ganz kurz folgendes erklären. Den grundsätzli- chen Argumenten und Erwägungen des Kollegen Überhaupt ist auch interessant, daß die Kraft- von Schmude ist nichts hinzuzufügen. Die vorweih- werke plötzlich nicht mehr förderungswürdig sind. nachtliche Stimmung und Milde und das Mitgefühl Dezentrale Wirbelschichtfeuerungsanlagen, alter- mit den Kollegen in diesem Hause veranlassen native Windkraftanlagen z. B. werden aus der För- mich deshalb, nur zu sagen: In dem Bewußtsein, derung ausdrücklich herausgenommen, und gleich- daß mit der Verabschiedung dieser Gesetze etwas zeitig wird sichergestellt, daß die WAA auf jeden Wesentliches zur Verbesserung der Beschäfti- Fall gefördert wird. gungsmöglichkeiten der Arbeitnehmer in der Bau- wirtschaft getan und ein Anreiz zur Verstärkung (Mann [GRÜNE]: Das ist ein Skandal!) der Investitionstätigkeit der Wirtschaft ganz allge- mein gegeben wird, erkläre ich, daß die FDP diesen — Richtig. Gesetzentwürfen zustimmt. Ich möchte noch auf den Gesetzentwurf zu spre- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — chen kommen, der hier in dritter Beratung ansteht. Schulze [Berlin] [CDU/CSU]: Eine gute Es handelt sich darum, daß die Abschreibungsfrist Rede!) für neue Wirtschaftsgebäude von 50 auf 25 Jahre verkürzt wird. Natürlich handelt es sich hier um Vizepräsident Cronenberg: Herr Abgeordneter, das eine Subvention, und das ist, Herr von Schmude, im Haus weiß Ihnen für die Kürze zu danken. Ausschuß wirklich überdeutlich geworden. Die Si- Das Wort hat der Herr Abgeordnete Urbaniak. tuation ist doch die: Die Abschreibungsfrist für ein riesiges Firmengebäude beträgt 25 Jahre, die Ab- Urbaniak (SPD): Herr Präsident! Meine Damen schreibungsfrist für die Hausmeisterwohnung un- und Herren! 1982 haben wir in diesem Hause ein ten beträgt jedoch 50 Jahre. Da besteht doch offen- Stahlprogramm verabschiedet, dessen wesentliche sichtlich eine Diskrepanz zwischen Abschreibungs- Bestandteile soziale Flankierung, Stahlstandorte- dauer und Erhaltungsdauer des Gebäudes. Es kann programm und Investitionshilfen waren, ein Pro- doch nicht angehen, daß die Hausmeisterwohnung gramm also, das zur Modernisierung der deutschen 50 Jahre hält, der Rest aber nur 25 Jahre. An dieser Stahlindustrie und zur Sicherung der Arbeitsplätze Differenz zeigt sich ganz deutlich, daß eine Subven- beitragen sollte. Die damaligen Wettbewerbsverzer- tionierung von Industriebetrieben gewollt ist. Das rungen in der Europäischen Gemeinschaft haben läßt man sich auch etwas kosten: 1987 2,2 Milliarden dies ja herausgefordert. DM, 1988 3,7 Milliarden DM und 1989 3,9 Milliarden DM, mit weiterhin steigender Tendenz. Nun ist das Stahlinvestitionszulagengesetz in die- sem Zusammenhang sozusagen dadurch in Schwie- (Mann [GRÜNE]: So wird mit unseren rigkeiten gekommen, daß der Kompromiß, der mit Steuergeldern umgegangen! Das ist sehr dem Kodex in Luxemburg gefunden worden ist, be- aufschlußreich!) stimmte Grenzen für den 31. Dezember 1985 setzt. 13812 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985

Urbaniak Es muß hier eine Rechtslage gefunden werden, die um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — dazu führt, daß wir noch in diesem Jahr klären kön- Enthaltungen? — nen, daß Anzahlungen nicht nur auf Teilherstel- (Zurufe von den GRÜNEN: Die Mehrheit lungskosten, sondern auch auf Gesamtherstellungs- ist dagegen!) kosten geleistet werden können, damit das von die- sem Hohen Haus genehmigte Investitionsvolumen — Nein, es ist mit Mehrheit angenommen worden. für die Modernisierung der Stahlindustrie zur Aus- Wir treten in die zahlung kommt. dritte Beratung Dies beabsichtigen wir mit unserem Gesetzent- ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem wurf. Wir haben im Wirtschaftsausschuß schon vor Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte Monaten auf diese Situation aufmerksam gemacht, ich, sich vom Platz zu erheben. — Wer stimmt dage- auch die Bundesregierung gebeten, geeignete gen? — Schritte zu unternehmen. Es ist dann in der letzten (Ströbele [GRÜNE] und Bueb [GRÜNE]: Sitzung des Wirtschaftsausschusses über diese Auszählen!) Frage einigermaßen Klarheit darüber entstanden, wie man diese Dinge regeln will, nämlich im Steuer- — Das Präsidium ist sich einig, daß die Mehrheit bereinigungsgesetz 1985. gegeben ist. Wir gehen von der Mehrheit aus und stellen fest, daß das Gesetz damit angenommen Wir sind uns darüber im klaren, daß die Perspek- worden ist. tiven für die Sicherung der Arbeitsplätze in der Stahlindustrie nicht so überschaubar sind, daß wir Meine Damen und Herren, zu Tagesordnungs- sagen könnten: Alles das, was in der EG verhandelt punkt 7 b und Zusatztagesordnungspunkt 4 wird worden ist, gibt uns zu vorsichtigem Optimismus vorgeschlagen, die Gesetzentwürfe auf den Druck- Anlaß. Vielmehr könnte es in Zukunft noch sehr sachen 10/4297 und 10/4235 an den Finanzausschuß schwierig werden. Denn die Bundesregierung hat ja zu überweisen, also nicht wie in der Vorlage. Ich in diesem Jahr einem Investitionsvolumen für die möchte feststellen, ob Konsens in dieser Frage be- Mitbewerber zugestimmt, das uns noch sehr große steht? — Zur Geschäftsordnung meldet sich der Ab- Schwierigkeiten machen wird. geordnete Vogel. - Wir möchten gern, daß unser Gesetzentwurf aus- schließlich an den federführenden Finanzausschuß Vogel (München) (GRÜNE): Ich beantrage, daß er überwiesen wird. Dies ist interfraktionell wohl auch auch an den Ausschuß für Wirtschaft überwiesen so vereinbart worden. Wir bitten, eine Überweisung wird. Nachdem sich der Ausschuß für Wirtschaft an den Wirtschaftsausschuß und an den Ausschuß schon qualifiziert damit beschäftigt hat, wird er für Arbeit und Sozialordnung nicht vorzunehmen. auch in der Lage sein, eine Vorlage an den Finanz- ausschuß zu erstellen. Es handelt sich hier um ei- (Vogel [München] [GRÜNE]: Aha!) nen Gesetzentwurf, der eindeutig auch in den Wirt- Denn morgen wird j a im Finanzausschuß über das schaftsausschuß gehört. Steuerbereinigungsgesetz wohl weiterberaten, so daß wir mit unserer Initiative noch erhebliche Sub- Vizepräsident Cronenberg: Der Abgeordnete Urba- stanz liefern, um das politische Ziel zu erreichen, niak hat das Wort zur Geschäftsordnung. das wir in diesem Hohen Hause beschlossen ha- ben. Urbaniak (SPD): Herr Präsident! Wir sind ja dieje- Den Kolleginnen und Kollegen des Finanzaus- nigen, die den Gesetzentwurf erarbeitet, vorgelegt schusses wollen wir mit diesem Entwurf nur hilf- und begründet haben. Wir haben gehört, daß man reich sein. Wir von der SPD-Fraktion sind uns dar- sich interfraktionell zu unserem Entwurf geeinigt über im klaren: Das Investitionsvolumen muß aus- hat, und wir bitten, ihn nur an den Finanzausschuß geschöpft werden, um die Arbeitsplätze in der zu überweisen. Stahlindustrie sicherer zu machen (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Cronenberg: Ich verstehe den An- und die Wettbewerbsvoraussetzungen für die deut- trag des Abgeordneten Vogel so, daß er wünscht, sche Stahlindustrie ebenfalls erheblich zu verbes- daß darüber abgestimmt wird, ob neben dem Fi- sern. nanzausschuß auch der Wirtschaftsausschuß mit dem Fragenkomplex beschäftigt wird. Ich lasse dar- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne über abstimmen. ten der CDU/CSU und der FDP) Wer dem Antrag des Abgeordneten Vogel zuzu- stimmen wünscht, den bitte ich um das Handzei- Vizepräsident Cronenberg: Meine Damen und Her- chen. — Wer dagegen stimmt, den bitte ich um das ren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Handzeichen. — Damit ist der Antrag des Abgeord- Wir kommen damit zur Einzelberatung und Ab- neten Vogel abgelehnt. Die ausschließliche Über- weisung an den Finanzausschuß ist damit beschlos- stimmung über den Tagesordnungspunkt 7a, und sen. zwar über den von der Bundesregierung einge- brachten Gesetzentwurf auf Drucksache 10/4042. Ich rufe die Art. 1 bis 5, Einleitung und Überschrift Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 8 auf. in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen (Zuruf des Abg. Becker [Nienberge] Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich [SPD]) Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13813 Vizepräsident Cronenberg — Es geht jetzt auch noch um den Zusatztagesord- schaftsentwicklung nicht — wie gerne von so man- nungspunkt 4. Der Abgeordnete Becker hat mit sei- chem — negativ betrachtet werden. Ein Konjunk- ner Bemerkung recht. Die Überweisung bezog sich turprogramm mit bekannten Strohfeuereffekten auf den Finanzausschuß. Ich glaube feststellen zu würde der Wirtschaftslage nicht gerecht. dürfen, das Haus ist sich einig, daß der Gesetzent- Notwendig ist jedoch im Rahmen einer neuen wurf unter Zusatzpunkt 4 entsprechend dem An- Grundausrichtung der Wirtschafts- und Finanzpoli- trag des Abgeordneten Urbaniak ausschließlich im tik der Bundesregierung ein Anstoß für einen dau- Finanzausschuß behandelt werden soll. Überwiesen erhaften Anstieg, vor allem der kommunalen Inve- werden natürlich die beiden Entwürfe. stitionen. Durch Erfolge bei der Haushaltskonsoli- dierung haben die Gemeinden ingesamt den not- Nachdem ich somit die Klarheit hergestellt habe, wendigen Spielraum für eine stärkere Investitions- darf ich nunmehr mit Zustimmung des ganzen Hau- tätigkeit wiedergewonnen. Daneben galt und gilt es, ses Tagesordnungspunkt 8 aufrufen: die gewerbliche Bautätigkeit anzuregen. Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Für den ERP-Wirtschaftsplan wurde eine über- Gesetzes über die Feststellung des Wirt- proportionale Mittelaufstockung für die Jahre 1986 schaftsplans des ERP-Sondervermögens für und 1987 um insgesamt 1,6 Milliarden DM, zum Teil das Jahr 1986 (ERP-Wirtschaftsplangesetz über zusätzliche Kreditaufnahme, zum Teil durch 1986) Austausch von Vermögenswerten zwischen dem ERP- und dem Bundeshaushalt finanziert, vorge- — Drucksache 10/3997 — nommen. Auf diese Weise kann für nächstes Jahr Beschlußempfehlung und Bericht des Aus ein Fördervolumen von 4,4 Milliarden DM finan- schusses für Wirtschaft (9. Ausschuß) ziert werden. Ergänzend stehen dazu über die bei- — Drucksache 10/4274 — den Hauptleihinstitute — Kreditanstalt für Wieder- Berichterstatter: aufbau und Lastenausgleichsbank — ein Betrag Abgeordnete Niegel von fast 2 Milliarden DM zur Verfügung, so daß ein Kreditvolumen von insgesamt 6 Milliarden DM vor- Jung (Düsseldorf) - (Erste Beratung 165. Sitzung) handen ist. Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Frak- Für kleine und mittlere Unternehmen stehen da- tion der SPD auf Drucksache 10/4438 vor. von 2,3 Milliarden DM zur Verfügung, Investitionen Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für in Berlin können mit 665 Millionen DM gefördert die Aussprache ein Beitrag bis zu fünf Minuten für werden. Die gegenüber dem Vorjahr zusätzlichen jede Fraktion, einschließlich der Berichterstatter, Mittel sind für die besonderen baurelevanten ERP- vereinbart worden. — Ich sehe keinen Wider- Programme wie ERP-Abwasserreinigungspro- spruch. gramm, ERP-Abfallwirtschaftsprogramm, ERP-Ge- meindeprogramm und E-RP-Standardprogramm be- Der Abgeordnete Niegel hat zunächst das Wort stimmt, deren Zweckbestimmung zum Teil erwei- zur Berichterstattung. Er hat mir mitgeteilt, daß er dies gleichzeitig als Debattenbeitrag betrachtet. tert wird. Hauptsächlich kommen sie — plus 600 Millionen DM — dem Umweltschutz zugute. Insge- (Niegel [CDU/CSU]: Als Berichterstatter samt sind für diesen Bereich für 1986 rund 1,2 Milli- habe ich kein Limit!) arden DM gegenüber 490 Millionen DM im Jahre — Herr Abgeordneter Niegel, ich mache Sie darauf 1985 vorgesehen. Die Mittel sind gegenüber dem aufmerksam, daß im Ältestenrat eine Gesamtzeit Vorjahr verdoppelt worden. vereinbart worden ist, an die ich mich zu halten Politische Voraussetzung für die Aufstockung habe. Das Präsidium wird nicht kleinlich verfahren. war vor allem, daß die übrigen ERP-Programme un- — Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort. verändert weitergeführt werden können, z. B. das ERP-Existenzgründungsprogramm. Das ERP-Pro- Niegel (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Kolle- gramm ist und bleibt derzeit die beste Wirtschafts- ginnen und Kollegen! Der dem Hohen Hause in förderung des gewerblichen Mittelstandes. zweiter und dritter Lesung vorliegende ERP-Wirt- schaftsplan 1986 führt die bekannte und bewährte Im einzelnen: Für das ERP-Abwasserreinigungs- Investitionsfinanzierung kleiner und mittlerer ge- programm — es umfaßt hauptsächlich kommunale werblicher Unternehmen, die Umweltschutzförde- Bauinvestitionen — sind Zusagemittel in Höhe von rung und das Berliner Investitionsprogramm als 610 Millionen DM vorgesehen. Der Verwendungs- Hauptschwerpunkte fort. Gleichzeitig umfaßt er ei- zweck wird im wesentlichen — vor allem bei der nen substantiellen Teil der Maßnahmen, die die Gewässerreinhaltung — ausgeweitet. Einbezogen Bundesregierung Mitte dieses Jahres zur Stärkung werden unter anderem Hauptsammler, Regenüber- und Verstetigung der kommunalen Investitionstä- laufbecken und neue Kanalisationen in gewerblich tigkeit und zur Erleichterung des Anpassungspro- und gemischt genutzten Gebieten. zesses in der Bauwirtschaft beschlossen hat. Für das ERP-Abfallwirtschaftsprogramm, das so- Wegen struktureller Schwierigkeiten und Verän- wohl kommunale als auch zunehmend gewerbliche derungen in der Bauwirtschaft, die auch durch die Investitionen umfaßt, sind 1986 Zusagemittel in Haushaltsschwierigkeiten von früheren Regierun- Höhe von 420 Millionen DM enthalten. In beide Pro- gen und die Finanzschwierigkeiten der Gemeinden gramme — ebenso wie in das ERP-Luftreinhalte- verstärkt wurden, darf die insgesamt positive Wirt- programm — wird 1986 und 1987 die Förderung 13814 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985

Niegel baurelevanter umweltfreundlicher Produktionsan- ton sind im Wirtschaftsplan für 1986 enthalten. Be- lagen einbezogen. Gemeint sind damit Anlagen, die reits bei der zweiten und dritten Lesung des ERP- das Entstehen von Schadstoffen vermeiden und in- Wirtschaftsplans 1985 am 18. April habe ich hier an soweit eine nachträgliche Beseitigung überflüssig dieser Stelle gefordert: Falls eine Verlängerung er- machen, sofern die Investitionen einen wesentli- folgt, sollten ein gewisses Mitspracherecht des Par- chen Bauanteil haben. In allen drei Umweltpro- laments und eine stärkere Hinwendung im Ablauf grammen können umweltfreundliche Produktions- des Programms zur Verbesserung der Verständi- anlagen finanziert werden, wenn damit wesentliche gung des wirtschaftspolitischen Verhältnisses zwi- Bauinvestitionen verbunden sind. schen den USA und der Bundesrepublik Deutsch- Es läßt sich allerdings nicht vermeiden, daß bei land hergestellt werden. der Komplexität der Investitionsmotive auch mit Zum Abschluß der Beratungen des ERP-Plans Mitnahmeeffekten gerechnet werden muß. Ich 1986 ist erfreulicherweise festzustellen, daß bei dem möchte daher an dieser Stelle an die Verwaltung jetzt vorgesehenen Anschlußprogramm die Hälfte und an die Hauptleihinstitute des ERP-Sonderver- der Mittel für spezielle Projekte der deutschameri- mögens appellieren, einen scharfen Maßstab anzu- kanischen Zusammenarbeit überwiegend in der legen, um die wirklich umweltschutzorientierten Bundesrepublik Deutschland vorgesehen ist. Vorhaben für die Förderung herauszufinden. (Vorsitz : Vizepräsident Frau Renger) Das ERP-Gemeindeprogramm betrifft kommu- Weiter ist es, wenn auch erst in letzter Minute, nale Bauinvestitionen zur Verbesserung des Wohn- durch Verhandlungen mit dem Bundeskanzleramt und Freizeitwertes in den Schwerpunktorten der gelungen, zu erreichen, daß sich das deutsche Bera- Gemeinschaftsaufgabe und ergänzt damit die wirt- tungsgremium zusammen mit dem Unterausschuß schaftsbezogenen Maßnahmen. Für 1986 sind für ERP-Wirtschaftspläne auf Einladung des ERP-Un- das Programm Zusagemittel von 100 Millionen DM terausschusses trifft, um Überlegungen für Pro- vorgesehen. In vielen Fällen wird dadurch auch der grammgestaltungen bzw. Anregungen zu beraten. Eigenkapitalanteil der Kommunen zur Komple- Damit ist zumindest der Versuch einer parlamenta- mentierung des Programms für die Stadt- und Dorf- rischen Mitwirkung unternommen. - erneuerung, das ab 1. Juli neu aufgelegt wurde, fi- In diesem Sinne, meine Damen und Herren, bitte nanziert. ich um Annahme des ERP-Wirtschaftsplans 1986. Meine Damen und Herren, der ERP-Wirtschafts- (Beifall bei der CDU/CSU) plan 1986 ist Teil eines Maßnahmenpaketes: Er- gänzt werden die ERP-Mittel durch ein mehrjähri- Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Ab- ges Zusatzkreditangebot der MW und der LAB für geordnete Jung. Gemeinde- und Umweltschutzmaßnahmen von über 5 Milliarden DM. Ich möchte an dieser Stelle der Jung (Düsseldorf) (SPD): Frau Präsident! Nach- KfW und der LAB dafür danken, daß sie zum einen dem es jetzt fast schon zur Tradition geworden ist, von sich aus Programme zusätzlich aufgelegt ha- daß Herr Niegel zum ERP-Wirtschaftsplan nicht ben, zum anderen aber auch Programme finanziert nur als Debattenredner, sondern sozusagen im haben, die ähnlich wie die ERP-Programme zu den gleichen Atemzug auch als Berichterstatter spricht, gleichen Bedingungen finanziert werden. ohne daß die Übergänge sehr deutlich werden, Im Programm für kleine und mittlere Unterneh- möchte auch ich gern mein Recht als Berichterstat- men weist z. B. die KfW 1985 mehr als 4 Milliarden ter in Anspruch nehmen und hier einige einleitende DM aus. Für Umweltschutzinvestitionen z. B. von Bemerkungen zur Struktur des diesjährigen ERP- gewerblichen Unternehmen und für Vorhaben im Wirtschaftsplans vorausschicken und würde gern kommunalen Bereich stellt sie insgesamt 5,5 Milli- auch noch eine besondere Bemerkung anschließen. arden DM zur Verfügung. Meine Damen und Herren, der Wirtschaftsaus- Meine Damen und Herren, das sind Leistungen schuß hat dem Bundestag einmütig empfohlen, den — ERP und die beiden Programme der beiden Gesetzentwurf über die Feststellung des ERP-Wirt- Hauptleihinstitute —, die zusammen mich zu der schaftsplans für 1986 anzunehmen. Maßgeblich Aussage veranlassen, daß noch nie so viele Mittel dafür war die Erhöhung des Zusagevolumens um für investitionsfreundliche Unternehmen, aber 1 Milliarde DM gegenüber dem laufenden Jahr, so auch für investitionsfreudige Kommunen zur Ver- daß im nächsten Jahr insgesamt 4,4 Milliarden DM fügung gestanden haben. an Kreditmitteln zur Verfügung stehen. Regulär, d. h. wenn der revolvierende Charakter des Sonder- Ein Wort zu den Zinskonditionen bei den Haupt- vermögens nicht in Frage gestellt wird, hätte dieses programmpunkten des ERP-Kredits. Diese betra- Zusagevolumen nur um 200 Millionen DM erhöht gen derzeit bundesweit 6 %, im Zonenrandgebiet 5% werden können. Der erweiterte Kreditrahmen soll und in Berlin 4 %. Für Programme mit Umwelt- zum größten Teil zur Förderung von bauwirksamen schutz- und Gemeindeinvestitionen betragen die Investitionen in der gewerblichen Wirtschaft, und Zinskonditionen 5,5 %, und das unabhängig von der zwar im Umweltbereich, verwendet werden. Insge- regionalen Lage. samt stehen 1986 für Umweltschutzmaßnahmen Abschließend darf ich Ihnen noch ein Wort zur aus dem ERP-Wirtschaftsplan 1,1 Milliarden DM Dankesspende sagen. Die letzten 10 Millionen DM zur Verfügung. Dabei müssen die Fördermittel der der für 1972 zugesagten 150 Millionen DM Dankes übrigen Programme des ERP-Sondervermögens spende an den German Marshall Fund in Washing- nicht eingeschränkt werden; sie können in ihrem Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13815

Jung (Düsseldorf) Volumen weitergeführt und sogar aufgestockt wer- Das tun wir allerdings nicht ohne den Hinweis, den. daß die größte Arbeitslosigkeit seit der Gründung Ich möchte eine weitere Bemerkung zu dem der Bundesrepublik, die selbst nach regierungsamt- Sperrvermerk machen, den der Unterausschuß lichen Annahmen in den nächsten Jahren nicht ab- ,,ERP-Wirtschaftspläne" zu der Verpflichtungser- gebaut werden wird — ich füge hinzu: jedenfalls mächtigung für die Dankesspende an den German nicht mit den Mitteln Ihrer Politik —, und die be- Marshall Fund beschlossen und dann kurzfristig drohliche Umweltzerstörung, die Sie nur mit halb- wiederaufgehoben hat; dieser Vorgang ist im Unter- herzigen Maßnahmen angehen, Kraftanstrengun- ausschuß ein Problem gewesen. Bei diesem Sperr- gen ganz anderen Ausmaßes notwendig machen. vermerk ging es lediglich darum, sicherzustellen, Meine Damen und Herren, in der Beratung des daß der ERP-Unterausschuß über Inhalt, Struktur Bundestages befindet sich immer noch unser Vor- und Entscheidungsverfahren des German Program schlag, bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau ein unterrichtet wird. Das ist inzwischen geschehen. Sondervermögen „Arbeit und Umwelt" zu schaffen, mit dem ein wirksamer Beitrag zum Umweltschutz, Es bleibt festzuhalten, daß es ein Teil der Aus- insbesondere zur Beseitigung der Altlasten, und schußmitglieder, nämlich die Sozialdemokraten, lie- gleichzeitig zur Bekämpfung der Massenarbeitslo- ber gesehen hätte, wenn der Gesamtbetrag der sigkeit geleistet werden soll. Dankesspende, nämlich 100 Millionen DM, verteilt auf zehn Jahre, wie bisher in der alleinigen Verfü- Wenn Sie Ihre Maßnahmen zur Förderung von gung der amerikanischen Stiftungsorgane verblie- bauwirksamen Umweltinvestitionen auf das Argu- ben wäre. Die Vertreter des German Marshall Fund ment stützen, daß Sie damit, wie Sie sagen, nicht sind aber mit der nun gefundenen Regelung einver- nur ein konjunkturelles Strohfeuer entfachen, son- standen, so daß wir den Kompromiß, nämlich die dern auch einen Beitrag zur strukturellen Anpas- hälftige Teilung der Summe in ein amerikanisches sung unserer Wirtschaft leisten wollen, dann müß- und in ein deutsches Programm, mittragen kön- ten Sie genau dies auch für das von uns vorgeschla- nen. gene Sondervermögen „Arbeit und Umwelt" gelten lassen. Aber das tun Sie nicht, und zwar nicht nur Auf jeden Fall aber, meine Damen und Herren, deswegen, weil Sie es nicht vertragen können,- wenn wollen wir keinen Zweifel daran aufkommen las- ein richtiger, zukunftsweisender Vorschlag von der sen, daß wir uns des Charakters dieser Dankes- Opposition kommt; das tun Sie auch deswegen spende zur Förderung der deutsch-amerikanischen nicht — davon bin ich überzeugt —, weil Ihnen grö- Zusammenarbeit voll bewußt sind und sie daher ßer dimensionierte staatliche Programme, die der auch ohne Vorbehalt unterstützen wollen. — Soviel Wirtschaft gesellschaftspolitische Ziele vorgeben, wollte ich zur Berichterstattung ergänzen. nicht in das ideologische Konzept passen. Ich habe gesagt — damit komme ich zu dem Bei- Ich füge hinzu: In das ideologische Konzept paßt trag für die Sozialdemokraten —, der erweiterte Ihnen auch nicht unser Vorschlag, Betriebe der Kreditrahmen solle zum größeren Teil zur Förde- Selbstverwaltungswirtschaft mit den Mitteln des rung bauwirksamer Investitionen im Umweltbe- ERP-Sondervermögens zu fördern, wie das schon reich verwendet werden. Für die sozialdemokrati- einmal im Unterausschuß andiskutiert worden ist. sche Bundestagsfraktion kann ich daher sagen: Das Wir halten an unserer Auffassung fest, daß selbst- ist ein Schritt in die richtige Richtung, soweit der verwaltete Betriebe, die mittlerweile über 50 000 Ar- ERP-Haushalt gemeint ist. Wir Sozialdemokraten beitsplätze zur Verfügung stellen, ein zwar nicht zu werden daher dem Haushalt zustimmen. überschätzender, aber auch nicht zu übersehender Aber diese Entwicklung ist überhaupt nicht neu; Faktor auf dem Arbeitsmarkt sind. Nicht alle sozia- darauf möchte ich besonders hinweisen. In den len und arbeitsrechtlichen Begleitumstände dieser ERP-Wirtschaftsplan 1982, also noch zu Zeiten der selbstverwalteten Betriebe können wir kritiklos ak- sozialliberalen Koalition, wurde die Gemeinschafts- zeptieren, aber wir können uns auch nicht der Ein- initiative mit einem Kostenaufwand in Höhe von sicht verschließen, daß in diesen Betrieben Arbeits- insgesamt 1,6 Milliarden DM, verteilt auf vier Jahre, plätze zur Verfügung gestellt werden, die von den aufgenommen, und zwar gegen den Widerstand der dort Beschäftigten nicht nur deswegen als bessere damaligen Opposition. Zum ERP-Wirtschaftsplan Alternative empfunden werden, weil die Mitbestim- 1983 stellte die SPD, nunmehr selbst in der Opposi- mungs- und Mitgestaltungsmöglichkeiten größer tion, den Antrag, das ERP-Programm „Existenz- sind, gründungen und standortbedingte Investitionen" (Ströbele [GRÜNE]: Selbstbestimmungs um 400 Millionen DM aufzustocken und diese Auf- möglichkeiten!) stockung in den Jahren 1984 und 1985 zu wiederho- len. Zur Finanzierung dieser Erhöhung hat sie die sondern vor allem auch deswegen, weil jede Alter- Übernahme von Beteiligungen des ERP-Sonderver- native zur Arbeitslosigkeit besser ist. mögens durch den Bund gegen Zuführung entspre- Meine Damen und Herren, darum wollen wir ge- chender Barmittel vorgeschlagen, ähnlich, wie es meinsam nach Wegen suchen, um diesen Initiativen nunmehr praktiziert werden soll. Das stieß vor drei über ihre Anfangsschwierigkeiten hinwegzuhelfen Jahren noch auf den entschiedenen Widerstand der und um sie zu dauerhaften, sich selbst tragenden derzeitigen Regierungskoalition. Nichtsdestoweni- sozial- und arbeitsrechtlich gesichterten Einrich- ger werden wir den ERP-Wirtschaftsplan unterstüt- tungen zu machen. Wir wollen daher, daß im ERP zen. Das möchte ich für die Sozialdemokraten noch Wirtschaftsplan eine eigene Titelgruppe zur Förde- einmal deutlich machen. rung von Betrieben der Selbstverwaltungswirt- 13816 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 Jung (Düsseldorf) schaft in genossenschaftlicher und genossen- gen um mehr als 1 Milliarde auf insgesamt 4,5 Milli- schaftsähnlicher Form mit einem Ansatz von arden DM vor. 30 Millionen DM eingestellt wird, um die Rahmen- Nach wie vor liegt das Schwergewicht der bedingungen, die wir ja dann noch im einzelnen Förde- rung dabei auf den kleinen und mittleren Unter- erörtern können, für deren Tätigkeit zu verbes- nehmen. sern. Diese Förderung ist zu 98 % auf drei Pro- gramme konzentriert. Dies stärkt die Wirksamkeit Ich bedanke mich. der eingesetzten Mittel, verhindert es doch, daß die (Beifall des Abg. Ströbele [GRÜNE]) Fördermittel nach dem Gießkannenprinzip gleich- mäßig auf alle Unternehmen verteilt werden. Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Ab- (Beifall bei der FDP) geordnete Beckmann. Zu erwähnen ist insbesondere das Existenzgrün- dungsprogramm. Mit diesem ausgesprochen erfolg- Beckmann (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr reichen Programm werden neue Unternehmen ge- verehrten Damen, meine Herren! Der ERP-Wirt- fördert, die frisches Blut in die Wirtschaft bringen schaftsplan ist sozusagen der kleine Bruder des und damit den Wirtschaftskreislauf insgesamt stär- Bundeshaushalts. Wie für manchen anderen klei- ken. nen Partner gilt auch für ihn das Motto: klein aber Besonders stark angestiegen — und dies möchte fein. ich auch noch einmal den Damen und Herren von Das ERP-Sondervermögen zeichnet sich seit je- den GRÜNEN sagen — sind die Ansätze für Um- her nicht durch Größe, wohl aber durch Solidität weltschutzinvestitionen. Mit insgesamt 1,2 Milliar- und Effektivität aus. Bei einem Vergleich mit dem den DM sind sie mehr als doppelt so hoch wie im Bundeshaushalt verdient beim ERP-Sondervermö- Vorjahr. Mit über 1 Milliarde DM liegt der Schwer- gen besonders hervorgehoben zu werden, daß die punkt dabei eindeutig bei der Abfallbeseitigung und Summe der Investitionsausgaben in den letzten der Abwasserwirtschaft. Umweltschutz — das wird Jahren ständig gestiegen ist. Die qualitative Konso- daraus sehr deutlich — ist für uns, für diese Koali- lidierung hin zu mehr Investitionen ist beim Bun- tion, nicht nur ein bloßes Lippenbekenntnis. deshaushalt eine wichtige, ja, vielleicht sogar die (Bueb [GRÜNE]: Na, na!) wichtigste Aufgabe, die in den vor uns liegenden Jahren noch bewältigt werden muß. Und wir verlieren uns auch nicht wie Sie von den GRÜNEN in realitätsferne Maximalforderungen. Beim ERP-Sondervermögen sieht dies ganz an- Die FDP, meine Fraktion, unterstützt konkrete ders aus. Das Fördervolumen für investive Ausga- Maßnahmen, die einen wirksamen Beitrag zur Be- ben wird im Jahre 1986 den Stand der letzten Jahre seitigung der Umweltprobleme leisten. um mehr als ein Drittel übersteigen. Die positiven Wirkungen des ERP-Sondervermögens auf Wirt- (Beifall bei der FDP) schaftsstruktur und Beschäftigung konnten von der Ich möchte aber, abschließend, auch nicht die Bundesregierung und den sie tragenden Koalitions- Berlin-Förderung vergessen, die ebenfalls deutlich fraktionen also kräftig gesteigert werden. höher als im laufenden Jahr sein wird. Auch dies ist Für das Jahr 1986 enthält der ERP-Wirtschafts- ein besonderes Anliegen meiner Fraktion. plan die erste Hälfte der von der Bundesregierung Meine Damen und Herren, wir danken der Bun- in diesem Sommer beschlossenen Maßnahmen zur desregierung, daß sie den ERP-Wirtschaftsplan Verstetigung der kommunalen Bauinvestitionen. rechtzeitig vor Beginn des kommenden Jahres vor- Diese Mittel kommen vor allen Dingen Umwelt- gelegt hat. Die zusätzlichen Fördermittel, besonders schutzinvestitionen zugute. Die zweite Hälfte der im Bereich des Umweltschutzes, können damit Aufstockungsmittel in Höhe von 1,6 Milliarden DM rechtzeitig zu Beginn des Jahres 1986 zur Verfü- ist für 1987 vorgesehen. Rechnet man nun hinzu, gung gestellt werden. Meine Fraktion wird deshalb was die Kreditanstalt für Wiederaufbau und die La- dem vorliegenden Gesetzentwurf gerne zustim- stenausgleichsbank, also die Hauptleihinstitute des men. ERP-Sondervermögens, aus eigenen Mitteln flan- Vielen Dank. kierend als Finanzierungshilfe anbieten, beläuft sich das Gesamtvolumen dieser Maßnahmen auf (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) insgesamt 6 Milliarden DM. Der Bauwirtschaft gewährt das ERP-Sonderver- Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Ab- mögen damit eine wichtige Hilfestellung bei der geordnete Auhagen. derzeitigen konjunkturbedingten Schwierigkeit. Verständlicherweise hätten es die Bauunterneh- men gern gesehen, wenn das ERP-Sondervermögen Auhagen (GRÜNE): Frau Präsident! Meine Da- noch erheblich mehr als bereits geschehen aufge- men und Herren! Grundsätzlich bewerten wir in stockt worden wäre. Die geforderte Aufstockung diesem ERP-Wirtschaftsplan die Umweltschutzin- der Programme um 10 Milliarden DM geht aber vestitionen positiv. Herr Kollege von der FDP, wir über das hinaus, was das ERP-Sondervermögen haben keine Probleme, so etwas auch zu begrüßen. realistischerweise zu leisten vermag. Nur sich mit 1,2 Milliarden DM angesichts der un- Der jetzt zur Beratung vorliegende Wirtschafts- geheuren und noch zunehmenden Zerstörungen in plan 1986 sieht eine Steigerung der Darlehenszusa- den verschiedensten Bereichen sozusagen einen Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13817 Auhagen ökologischen Freibrief ausstellen lassen zu wollen, Eine eigene Titelgruppe zur Förderung genossen- ist uns wirklich zu mickrig. schaftlicher Betriebe wäre in der Tat ein erster sinnvoller Schritt, um die Gründung solcher Be- (Beckmann [FDP]: Das behaupten Sie! — triebe zu ermöglichen. Allerdings bleiben die wirt- Ronneburger [FDP]: Das ist nicht das ein schaftlichen und politischen Vorbehalte der Gut- zige! — Beckmann [FDP]: Das kann er achter und Banken gegenüber diesen Betriebsfor- nicht übersehen!) men und die Sicherungsprobleme bestehen. Positiv finden wir auch die Förderung kleinerer Wenn der Antrag der SPD nicht oppositionelle Unternehmen. Insofern haben wir grundsätzlich Schaumschlägerei für eine alternative Wunsch- eine positive Haltung. klientel im Rahmen sozusagen der neuen SPD sein An zwei Punkten stören wir uns. soll, muß die SPD auch dabei helfen, die realen Schwierigkeiten der selbstverwalteten Betriebe zu Erster Punkt: 155 Millionen DM werden für die überwinden. Deswegen muß konsequenterweise Exportförderung vorgesehen. Exportförderung se- gleichzeitig das Gesetz über die Verwaltung des hen wir angesichts der ungeheuren Außenhandels- ERP-Sondervermögens geändert werden. Darin überschüsse nicht ein. müßte vorgesehen werden, daß die Abwicklung der Zweiter Punkt — und darauf möchte ich mich ERP-Darlehen nicht nur über die Hausbanken und konzentrieren —: die mangelnde Zugangsmöglich- deren Hausgutachter laufen soll, sondern auch über keit für Alternativbetriebe zu den Existenzgrün- private Wirtschaftsberater und Gutachter, die die dungsprogrammen im Rahmen des ERP. Wirtschaftsbedingungen der selbstverwalteten Be- triebe kennen, im Gegensatz zu irgendwelchen Na- (Beifall bei den GRÜNEN) delstreifenmanagern von Banken. Aus diesem Grund enthalten wir uns bei der Ab- (Ströbele [GRÜNE]: Netzwerk zum Bei stimmung über den ERP-Wirtschaftsplan. spiel!) Ich möchte mich jetzt noch auf den Entschlie- Ferner ist in den Richtlinien zu dieser Titel- gruppe als Verwendungszweck aufzunehmen, daß ßungsantrag der SPD in diesem Zusammenhang - beziehen. Die SPD-Fraktion beantragt, einen Son- die Mittel für Betriebsneugründungen und für die dertitel von 30 Millionen DM für die Förderung Übernahme von Betrieben durch Belegschaften zu alternativer genossenschaftlicher Betriebe einzu- verwenden sind. Allen hier im Haus ist bekannt, stellen. Dazu können wir sagen: Wir begrüßen diese daß in der Vergangenheit Betriebsfortführungen Initiative der SPD und vor allen Dingen die Wende durchaus lebensfähiger Betriebe oder Betriebsteile innerhalb der SPD, die noch am 16. Oktober ent- an kurzfristigen Finanzierungslücken gescheitert sprechende Anträge von uns — auch entsprechende sind. Beratungsanträge — auf das Existenzgründungs- (Beifall bei den GRÜNEN) programm im Haushalt des Wirtschaftsministers bezogen, abgelehnt hat. Wir finden es aber trotzdem Vizepräsident Frau Renger: Meine Damen und positiv, daß sich jetzt endlich auch bei der SPD die Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Erkenntnis durchsetzt, daß es sich bei neuen genos- Ich schließe die Aussprache. senschaftlichen Betrieben und Projekten nicht um romantische Spielereien handelt, wie es einige Ge- Wir kommen zur Einzelberatung und Abstim- nossenschaftsverbände und die meisten Gewerk- mung. Ich rufe die §§ 1 bis 11, Einleitung und Über- schaften meinen. Die SPD greift hier auf, was im schrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zu- Bereich der selbstverwalteten Betriebe schon seit zustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzei- langem gefordert wird, nämlich — das ist ganz ent- chen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei eini- scheidend — die Einbeziehung selbstverwalteter gen Enthaltungen angenommen. genossenschaftlicher Betriebe in die öffentliche Wir treten in die Wirtschaftsförderung. dritte Beratung Faktisch sind nämlich die sogenannten Alterna- ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem tivbetriebe aus Programmen wie ERP ausgeschlos- Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, sen. den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — (Ströbele [GRÜNE]: Genau das ist es! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen ange- Schulze [Berlin] [CDU/CSU]: Aber sie krie- nommen. gen auch die Gelder, wenn sie sie benöti- Wir kommen zu dem Entschließungsantrag der gen und rechtliche Sicherheiten bringen!) Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4438. Es ist beantragt, den Entschließungsantrag zur federfüh- — Dazu möchte ich gerade etwas sagen. Entweder renden Beratung an den Ausschuß für Wirtschaft sind sie nicht antragsberechtigt, weil sie eben keine und zur Mitberatung an den Haushaltsausschuß zu juristischen Personen sind, überweisen. Erhebt sich dagegen Widerspruch? — (Ströbele [GRÜNE]: Genau das ist es!) Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. oder die begutachtenden Hausbanken lehnen die Wirtschaftlichkeit dieser Betriebe ab, oder die soge- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf: nannten banküblichen Sicherheiten können nicht Zweite und dritte Beratung des von der Bun beigebracht werden. desregierung eingebrachten Entwurfs eines 13818 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985

Vizepräsident Frau Renger Gesetzes zur Änderung des Fleischbeschau- storbene Kinder und Jugendliche werden die Auf- gesetzes zuchtkosten bis einschließlich des 14. Lebensjahres — Drucksache 10/3279 — in Ansatz gebracht." So heißt es dazu in dem ent- sprechenden Forschungsbericht „Nutzen-Kosten- Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- Analyse der Salmonellenbekämpfung". schusses für Jugend, Familie und Gesundheit (13. Ausschuß) (Zuruf von den GRÜNEN: Unglaublich!) — Drucksache 10/4410 — Dies ist in einem der Ökotest-Magazine der letzten Monate nachzulesen. Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Wagner (Frau Hürland [CDU/CSU]: Welcher Maga (Erste Beratung 143. Sitzung) zine?) Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktionen — Ökotest-Magazin, das ist eine Verbraucher- der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 10/4481 schutzzeitung. vor. (Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Da stand noch Der Ältestenrat hat vorgeschlagen, für die Aus- nie etwas Vernünftiges drin! — Frau Hür sprache für jede Fraktion einen Beitrag bis zu fünf land [CDU/CSU]: Das ist Ihr Laden!) Minuten vorzusehen. Einverstanden? — Es ist so — Nein, nicht unser Laden; das ist eine unabhän- beschlossen. gige Verbraucherschutzzeitung. Berichterstatter wünschen nicht das Wort. (Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Grimms Mär Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort chen!) hat der Abgeordnete Rusche. Mittlerweile sind die Salmonellen auch zum Pro- blem bei Rind- und Schweinefleisch geworden. Der nächste Punkt, den ich ansprechen möchte, (GRÜNE): Frau Präsidentin! Meine Da- Rusche ist die Kontrolle der Rückstände wie Pestiziden, men und Herren! Wie das Schicksal so spielt, halte Antibiotika und anderer Chemikalien. Sie würden ich meine Jungfernrede ausgerechnet zum Fleisch- - nach diesem neuen Gesetz wie bisher völlig unter beschaugesetz. Bei uns herrschte dazu zunächst den Tisch fallen. Es bliebe den Verbraucherschutz- Heiterkeit, doch nach näherem Studium der Mate- organisationen — und z. B. auch dem Ökotest-Ma- rie bemerkten meine Fraktion und ich, wie ernst die gazin — überlassen, einzelne Skandale aufzudek- Sache eigentlich ist. ken und ins Gespräch zu bringen. Die Aufgabe ei- Selbstverständlich gibt es in unserer Partei und nes wirksamen Fleischbeschaugesetzes wäre es Fraktion viele Menschen, die den Verzehr von aber, dies von vornherein zu verhindern. Fleisch für ungesund oder für ethisch bedenklich Wir sind der Meinung, daß eine Änderung des halten. Ich kann Ihnen aber auch sagen, daß selbst Fleischbeschaugesetzes dahin gehend erforderlich unsere Fleischesser Ihren Entwurf ablehnen. ist, Rückstandsuntersuchungen auf gefährliche Der vorliegende Entwurf eines Gesetzes zur Än- Substanzen zu ermöglichen. derung des Fleischbeschaugesetzes, der zur Verein- (Ströbele [GRÜNE]: Entgiftungspro- heitlichung in der EG dienen soll, kann der zuneh- gramm!) menden Verunreinigung und Verseuchung von Fleisch nicht Einhalt gebieten. Das Zurückdrängen Verbote und Gesetze zur Reinhaltung des zum Ver- der Tierärzte aus der Fleischbeschau kann nur eine zehr bestimmten Fleisches nützen nichts, wenn es Verschlechterung der Kontrolle bedeuten. Statt des- keine geeigneten Kontrollinstanzen gibt. sen sollten den Tierärzten Instrumente an die Hand Zum Abschluß noch ein kleines Zitat: Vertrauen gegeben werden, damit sie mit folgenden Pro- ist gut, Beschauen ist besser. blemen besser fertig werden: (Beifall bei den GRÜNEN) Durch Zucht und nicht artgerechte Haltung und Fütterung taucht in den Schlachthöfen vermehrt minderwertiges, sogenanntes PSE-Fleisch auf. Das Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat Frau Ab- zeigt: Mehr Kontrolle und nicht weniger wird ge- geordnete Dempwolf. braucht! (Beifall bei den GRÜNEN) Frau Dempwolf (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Immer häufiger werden bakterielle Verseuchun- Meine sehr verehrten Herren! Meine Damen! Sie gen registiert, bei Hühnern z. B. wird vermehrt Sal- werden sicher nicht erwarten, daß ich auf den Un- monellose festgestellt, die bei Menschen zu Zehn- sinn eingehe, den mein Vorredner hier soeben ge- tausenden von Erkrankten und in schlimmen Fäl- bracht hat; len sogar zum Tode führte. Das ist in der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der (Beifall bei der CDU/CSU — Widerspruch Abgeordneten Hönes nachzulesen. bei den GRÜNEN) Jetzt wird es makaber: Salmonellenschutz bei denn sicherlich wären dann wir alle, die wir hier sit- Hähnchen und Hühnchen würde 190 Millionen DM zen, schon längst vergiftet. kosten, während die Salmonellose bei Menschen (Rusche [GRÜNE]: Sie haben nur nicht zu „nur" 160 Millionen DM kostet. Ein Zitat: „Für ge- gehört!) Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13819

Frau Dempwolf Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Ände- daß die Schlachtung dieser Tiere nach der Fleisch- rung des Fleischbeschaugesetzes wird das gesamte beschaustatistik seit Jahren ohne Bedeutung ist, so Fleischhygienerecht grundlegend überarbeitet. Es haben wir uns doch für die Streichung des Wortes wird von einer Fülle von Detailregelungen befreit „Hunde" entschieden, so daß ein eigenes Gesetz und so gestaltet, das Gemeinschaftsrecht in ange- zum Verbot des Schlachtens von Hunden nicht messener Frist umgesetzt werden kann. mehr notwendig ist. Das Gesetz trägt der Notwendigkeit Rechnung, (Zuruf von den GRÜNEN: Das ist eine die Hygiene in der Fleischgewinnung zu verbessern „Kulturleistung"!) und insbesondere auch besser zu überwachen — Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, es eine Verbesserung für den Verbraucher, der da- liegt uns noch ein Änderungsantrag vor. Durch ihn durch nur Fleisch erhält, von dem er sicher sein wird sichergestellt, daß zwischen den Straftatbe- kann, daß es nicht geeignet ist, die menschliche Ge- ständen und den Ordnungswidrigkeiten klar unter- sundheit zu schädigen, und das auch keine Wert- schieden wird. Ich bitte um Zustimmung zu dem minderung erfahren hat. Wir werden darum das Änderungsantrag und um Zustimmung zu dem Ge- Fleischbeschaugesetz in ein „Fleischhygienegesetz" setz. umbenennen: Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Nicht nur in EG-zugelassenen, sondern in allen Zuruf von den GRÜNEN) Fleischbetrieben wird jetzt der amtliche Tierarzt auch für die Überwachung der Hygiene zuständig. Das Wort hat der Herr Damit wird die Verantwortung für die Untersu- Vizepräsident Frau Renger: Abgeordnete Jaunich. chungen und die Hygieneüberwachung miteinan- der verbunden, und es wird gewährleistet, daß die Hygiene zum Schutze des Fleisches und der Ver- Jaunich (SPD): Frau Präsident! Meine sehr geehr- braucher besser überwacht werden kann. Fleisch ten Damen und Herren! Zunächst zu dem Ände- ist das einzige Lebensmittel, das vor dem Inver- rungsantrag, der j a spät, im Grunde zu spät- einge- kehrbringen einer obligatorischen Untersuchung bracht worden ist. Wir erheben aber keine Fristein- unterliegt. Ausnahmen werden lediglich bei Haus- rede und sind damit einverstanden, daß er im Zu- schlachtungen erteilt, wenn das Fleisch ausschließ- sammenhang mit der Beratung behandelt wird. lich im Haushalt des Besitzers verwendet wird. Nun zu dem vorliegenden Gesetzentwurf. Er Der Grund für diese Regelung liegt vor allem in greift EG-Recht auf oder, besser gesagt, ermöglicht der Tatsache, daß lebende Tiere an Krankheiten lei- dessen Umsetzung und soll in einem gewissen den können, die durch den Fleischgenuß auf den Maße auch zu Verwaltungsvereinfachung führen. Menschen übertragen werden. Es ist keine Frage, So weit, so gut und auch richtig; aber man muß j a daß Aufsicht, Verantwortung und fachliche Kompe- wohl auch fragen, inwieweit dieser Gesetzentwurf tenz wie bisher beim Tierarzt liegen müssen. den berechtigten Belangen des Verbraucher- schutzes Rechnung trägt. Da sind ernsthafte Zwei- Die Funktion des Fleischkontrolleurs liegt in der fel anzumelden. Ja, da sind Zweifel vorhanden, die Zuarbeit und in der Unterstützung des Veterinärs. bis heute noch nicht ausgeräumt sind. Wenn Sie, Die Ausbildung des Fleischkontrolleurs wird inten- Frau Staatssekretärin Karwatzki jetzt in Ihrer siver. Sie wird von jetzt etwa 6 Wochen auf drei gleich folgenden Rede diese Zweifel nicht ausräu- Monate wie bei dem Geflügelfleischkontrolleur ver- men können, sieht sich meine Fraktion nicht im- längert. Bei dem funktionellen Nebeneinander von stande, dem Gesetzentwurf zuzustimmen. Tierärzten und Hilfskräften kommt es entschei- dend darauf an, daß die Arbeit so gestaltet wird, daß Was ist Sache? Insbesondere strittig ist der § 4, der Tierarzt durch laufenden Sprech- und Sichtkon- „Personal" überschrieben, der das Verfahren bei takt zu den ausübenden Hilfskräften Verbindung diesen amtlichen Untersuchungen regelt. Professor hat. Nur so kann im Sinne des EG-Rechtes die volle Wenzel hat in einem Gutachten — Ihnen ist das Verantwortung für jedes einzelne geschlachtete bekannt — ausgeführt: Tier übernommen werden. Auch weiterhin obliegt Nach dem heutigen Stand der wissenschaftli- dem Tierarzt schon auf Grund seiner Ausbildung chen Erkenntnisse ist das Erkennen von kli- die fachliche Beaufsichtigung und Verantwortung nisch erkrankten Schlachttieren sowie von pa- für die gesamte Schlachttier- und Fleischuntersu- thologisch-anatomisch veränderten Einzelorga- chung sowie für den Hygienebereich, auch eine Ver- nen und Organsystemen durch eindeutig gesi- besserung in Richtung Tierarzt. cherte Befunde möglich. Das Schwergewicht Das Verbot der Schlachtung von Hunden — ich der Gefahrenabwehr hat sich aber vom eindeu- habe micht gewundert, Herr Kollege, daß Sie das tigen Befund zum sich entwickelnden Befund nicht angesprochen haben; denn es ist doch eines im Grenzübergangsbereich von „gesund" zu Ihrer Anliegen — „krank" verlagert. Die Befunde in der Schlacht- tier- und Fleischuntersuchung sind unspezifi- (Rusche [GRÜNE]: Ich habe noch kein scher geworden. Aus diesem Grunde bedarf es Hundefleisch gegessen, aber Salmonellen einer fachlich in jeder Hinsicht qualifizierten fleisch habe ich schon gegessen!) Fähigkeit des Untersuchers, aus der Summe ist in großen Bevölkerungsteilen auch ein gehegtes vieler — z. T. nur geringgradiger — Verände- Anliegen. Ließe man sich von der Auffassung leiten, rungen eine Ganzheitsdiagnose zu stellen. 13820 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985

Jaunich Ob die Ausbildung des neu geschaffenen Fleisch- Ich danke vor allem meinen Kollegen im Aus- kontrolleurs, die zwar ein paar Wochen länger als schuß für die sachliche Zusammenarbeit. Herr Kol- die des Trichinenbeschauers, aber nur drei Monate lege Jaunich, trotz der Zweifel, die Sie in dieser umfaßt, bei diesen Anforderungen ausreichend ist, Rede deutlich gemacht haben, ist, glaube ich, auch um solche Kenntnisse zu vermitteln, muß nicht nur diese Sachlichkeit der Zusammenarbeit deutlich ge- bezweifelt, sondern bestritten werden. worden. Wenn es gelingt, Sie in dieser dritten Le- (Beifall des Abg. Rusche [GRÜNE]) sung zu überzeugen, daß man dem noch zustimmen kann, dann kann man, glaube ich, dadurch auch Daher legen wir Wert darauf, daß die Bundesre- beweisen, daß in solchen Debatten wie heute noch gierung jetzt hier erklärt, daß in der nach § 4 zu etwas zu bewegen ist. erlassenden Rechtsverordnung das EG-Recht voll umgesetzt und eingehalten wird. Nach der entspre- (Beifall des Abg. Wolfgramm [Göttingen] chenden EG-Regelung darf sich der amtliche Tier- [FDP]) arzt bei entsprechenden Untersuchungen durch Der Gesetzentwurf ist zu begrüßen, weil durch ihm unterstellte Hilfskräfte unterstützen lassen. die Straffung und Vereinfachung ein kleiner Bei- Wenn dies nicht eindeutig aus der Verordnung her- trag zur Entbürokratisierung geleistet werden vorgeht — der Gesetzentwurf geht davon aus, daß kann. die Fleischbeschauer eigenständig tätig werden — (Dr. Waffenschmidt [CDU/CSU]: Sehr gut!) und wenn Sie uns nicht erklären, daß eine entspre- chende Relation zwischen akademisch ausgebilde- Wir sollten uns als Bundesgesetzgeber generell be- ten Tierärzten und Fleischkontrolleuren besteht, ist mühen, bei allen Gesetzen, die wir beraten, Büro- unser Vorbehalt nicht ausgeräumt und werden wir kratien abzubauen, statt neue zu schaffen. Ich wün- diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen. sche mir in dieser Wahlperiode eigentlich mehr Ge- setzentwürfe, die man in diesem Zusammenhang Im übrigen sollten Sie, Frau Staatssekretärin, loben kann. An erster Stelle dieses Gesetzes steht dem Haus auch noch erklären, ob Sie mit diesem die Verbrauchersicherheit. „Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf das EG-Recht in der Tat vollgültig Gesetzentwurf wird das gesamte Fleichhygiene- respektieren und ob wir nicht eine Klage vor dem recht grundlegend überarbeitet." So heißt- es in der Europäischen Gerichtshof befürchten müssen, bzw. Begründung. Dieser Fleischhygiene dient auch die wer nach Art. 16 eines Tages das Verfahren einlei- vom Ausschuß einmütig gebilligte Empfehlung, ten wird, um die Frage der Unterstützung zu klä- künftig auch das Schlachten von Hunden und Kat- ren. zen zu verbieten und unter Strafe zu stellen. Kurzum, wir haben nach den Beratungen im Aus- Im Ausschuß hatte sich die SPD enthalten, weil schuß berechtigte Zweifel. Auch die Änderungsan- das Gesetz angeblich hinter EG-Recht zurückgehe träge haben in dieser Hinsicht keine qualitative Än- und weil einige Bedenken bestanden, die Kollege derung bewirkt. Noch einmal: Entweder gelingt es Jaunich gerade noch einmal aufgeführt hat. Wir se- Ihnen, unsere Zweifel auszuräumen. Dann können hen diese Bedenken nicht. Das Gesetz übernimmt Sie mit unserer Unterstützung rechnen. Denn zu Grundsätze der EG-Vorschriften, und die besondere den zwei erstgenannten Zielen ist klar: Die EG Verantwortung der Tierärzte ist im Ausschußbe- Umsetzung ist gar keine Frage. Und Verwaltungs- richt besonders hervorgehoben. vereinfachung ist auch für uns ein lohnendes Ziel. Aber der Gesichtspunkt des Verbraucherschutzes Herr Abgeordneter, ge- muß gerade im Fleischbereich, wo wir mit einer Vizepräsident Frau Renger: statten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeord- Vielzahl von Skandalen und Skandälchen immer neten Rusche? wieder zu tun hatten und wohl auch künftig rech- nen müssen, absolut sichergestellt sein. Dies ist un- sere Forderung, bevor wir uns zu diesem Gesetzent- Eimer (Fürth) (FDP): Frau Kollegin, wir sind zeit- wurf positiv äußern können. lich schon im Verzug. (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) Vizepräsident Frau Renger: Da haben Sie sicher recht. Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Eimer. Eimer (Fürth) (FDP): Ich möchte versuchen, mög- lichst kurz zu sprechen und gleich fertig zu wer- Eimer (Fürth) (FDP): Frau Präsidentin! Meine Da- den. men und Herren! Der Gesetzentwurf leistet einen Beitrag, die Rechtsvorschriften innerhalb der Euro- Die Ausbildung der Fleischkontrolleure wird we- päischen Gemeinschaft anzugleichen. Auch hier sentlich intensiver und besser. Gestrafft werden in sieht man wieder, daß es vieler mühevoller, oft lang- diesem Gesetz auch die Straf- und Bußgeldvor- samer und oft als zu klein empfundener Schritte schriften. Wegen der hohen Bedeutung der Fleisch- bedarf, um die Länder der Europäischen Gemein- beschau für die Gesundheit der Menschen in der schaft zusammenzuführen. Dies soll uns jedoch Bundesrepublik halte ich es für unverzichtbar, daß nicht daran hindern, auf dem einmal eingeschlage- wir von Zeit zu Zeit prüfen, ob diese Vorschriften nen Weg fortzufahren. Ein kleiner Schritt in die geeignet und in der Lage sind, die Ziele des Geset- richtige Richtung ist besser, als eine Maximalforde- zes zu unterstützen. rung aufzustellen, die sich nicht verwirklichen (Beifall des Abg. Wolfgramm [Göttingen] läßt. [FDP]) Deutscher Bundestag — l0. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13821

Eimer (Fürth) Wir halten dies, meine Damen und Herren, in der Das EG-Recht sieht eine systematische Kontrolle vorliegenden Form für gegeben, wir halten das Ge- von Fleisch und Fleischerzeugnissen an den Bin- setz für geeignet und werden es deshalb unterstüt- nengrenzen der Gemeinschaft in Zukunft nicht zen. mehr vor. Sie ist auch nicht mehr erforderlich, weil Vielen Dank. in allen Mitgliedstaaten Fleisch nach den gleichen hygienischen Grundsätzen gewonnen und unter- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) sucht wird. Dieser Grundsatz wird in dem vorlie- genden Gesetzentwurf übernommen. Der Schutz Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat Frau des Verbrauchers wird damit in Zukunft durch eine Staatssekretärin Karwatzki. Kontrolle inländischen und eingeführten Fleisches auf allen Handelsstufen sichergestellt. Damit trägt Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär beim Bundes- die Bundesregierung zur Verwirklichung des euro- minister für Jugend, Familie und Gesundheit: Frau päischen Binnenmarktes bei, ohne dabei den Ver- Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Her- braucherschutz zu mindern. ren! Mit diesem Gesetzentwurf wird das nunmehr (Abg. Jaunich [SPD] meldet sich zu einer 85 Jahre alte Fleischbeschaurecht grundlegend Zwischenfrage) überarbeitet. Das Gesetz wird wesentlich gestrafft — Herr Kollege Jaunich, ich wäre Ihnen außeror- und damit übersichtlicher. dentlich dankbar, wenn Sie diesem Gesetz zustim- (Rusche [GRÜNE]: Wird es auch besser?) men könnten. — Es wird auch besser. — Die Bundesregierung lei- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) stet hiermit zugleich einen Beitrag zur Entbürokra- tisierung. In dem Gesetz werden Regelungen der Vizepräsident Frau Renger: Gestatten Sie noch Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft auf dem eine Zwischenfrage, Frau Staatssekretärin? Gebiet der Fleischhygiene in deutsches Recht um- gesetzt. Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Ich wollte Herr Kollege Jaunich, Sie haben einige Fragen zwar gerade abtreten, aber Herrn Jaunich gestatte an mich gerichtet, die insbesondere den Verbrau- ich natürlich noch eine Zwischenfrage. cher- und den Gesundheitsschutz betreffen. Ich möchte Ihnen hiermit sagen, daß die Hilfskräfte nach wie vor unter der Aufsicht des Tierarztes ar- Vizepräsident Frau Renger: Herr Jaunich, bitte. beiten können. Sie arbeiten nicht voll verantwort- lich, sondern unter der Leitung eines Tierarztes. Es Jaunich (SPD): Ich bin Ihnen dankbar; denn es werden lediglich die Tierärzte von der mechani- soll j a der Klarstellung dienen. — Frau Staatssekre- schen Arbeit, die bei der Beschau unbedingt erfor- tärin, Sie haben so gut wie nichts zum Inhalt der derlich ist, entlastet. Ich kann Ihnen erklären, daß Rechtsverordnung gesagt, die der zuständige Bun- das EG-Recht voll berücksichtigt wird und daß in desminister nach § 4 erlassen kann. der Ermächtigung — da können wir gar nichts an- (Zurufe von der CDU/CSU: Frage!) deres regeln — die Regelungen der EG-Kommis- Darf ich davon ausgehen, daß diese Rechtsverord- sion berücksichtigt werden müssen. Dies zu Ihren nung in etwa der Durchführungsverordnung zu § 8 Fragen. des bisherigen Gesetzes entsprechen wird und so- Lassen Sie mich noch einen anderen Aspekt aus mit dem EG-Recht, wonach diese Hilfskräfte nur verbraucherpolitischer Sicht erwähnen. Die bisher unterstützend tätig sind, Rechnung trägt? bei Hausschlachtungen für bestimmte junge Tiere vorgesehene Befreiung von der Schlachttier- und Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Fleischbeschau hat zu Mißbräuchen geführt. Des- Frau Karwatzki, Jaunich, ich habe die Unterlagen, § 8 usw., jetzt halb wird zukünftig die Befreiung von der Schlacht- nicht hier, um das bestätigen zu können. tierbeschau nur noch im Einzelfall zugelassen und diese auf die Hausschlachtungen beschränkt. (Schlottmann [CDU/CSU]: Jetzt freut er sich! — Zuruf des Abg. Jaunich [SPD]) Der federführende Ausschuß hat eine Reihe von Änderungen empfohlen, die der im Laufe des Ge- — Gut, ich will, wenn Sie gestatten, einmal rüber- setzgebungsverfahrens eingetretenen Entwicklung gucken und schauen, ob meine Mitarbeiter nicken. in Brüssel Rechnung tragen. So hat die Bundesre- — Offensichtlich im großen und ganzen ja. gierung die seit langem angestrebte Harmonisie- (Heiterkeit und Beifall) rung der Untersuchungsgebühren für amtliche Un- Herr Kollege Jaunich, auch dafür danke schön, daß tersuchungen von Fleisch auf europäischer Ebene Sie dafür Verständnis haben. erreicht. Die Umsetzung erfolgt in § 23 des Gesetz- entwurfs. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Meine Damen und Herren, das Schlachten von Hunden wird in breiten Kreisen der Öffentlichkeit Vizepräsident Frau Renger: Meine Damen und abgelehnt. Der Ausschuß hat eingehend geprüft, ob Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. für ein Verbot des Schlachtens von Hunden und Ich schließe die Aussprache. Katzen auch ausreichende gesundheitliche Gründe Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Ab- vorliegen. Er hat dies bejaht und deshalb ein stimmung. Ich rufe Art. 1 auf. Hierzu liegt auf Schlachtverbot in § 1 des Gesetzes eingefügt. Drucksache 10/4481 ein Änderungsantrag der Frak- 13822 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985

Vizepräsident Frau Renger tionen der CDU/CSU und FDP vor. Wer diesem zu- Wir treten nunmehr in die zustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzei- chen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen dritte Beratung einige Stimmen ist dieser Änderungsantrag ange- ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem nommen. Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, Wer Art. 1 in der Ausschußfassung mit der soeben den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — beschlossenen Änderung zuzustimmen wünscht, Enthaltungen? — Gegen einige Stimmen ist der Ge- den bitte ich um ein Handzeichen. setzentwurf angenommen.

(Zuruf des Abg. Jaunich [SPD]) Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 10 a bis — Es geht jetzt um die Ausschußfassung mit der 10 g auf: Änderung, der soeben zugestimmt worden ist. a) Beratung der Sammelübersicht 106 des Peti- (Jaunich [SPD]: Richtig, aber gibt es keine tionsausschusses (2. Ausschuß) über Anträge Einzelberatung?) zu Petitionen — Doch, dabei bin ich gerade. — Ich darf wiederho- — Drucksache 10/4037 — len: Wer dem Art. 1 in der Ausschußfassung mit der b) Beratung der Sammelübersicht 107 des Peti- soeben beschlossenen Änderung — — tionsausschusses (2. Ausschuß) über Anträge (Jaunich [SPD]: Frau Präsidentin, ich hätte zu Petitionen gern eine Einzelabstimmung über § 4 ge — Drucksache 10/4038 — habt! — Seiters [CDU/CSU]: Normaler weise wird das von der Geschäftsführung c) Beratung der Sammelübersicht 110 des Peti- beantragt! Also, was ist das nun? Ich lege tionsausschusses (2. Ausschuß) über Anträge Wert darauf, daß das von der SPD-Fraktion zu Petitionen beantragt wird, nicht von einem einzelnen — Drucksache 10/4077 — Abgeordneten!) - — Es wäre schön, wenn man so etwas vorher d) Beratung der Sammelübersicht 111 des Peti- wüßte. tionsausschusses (2. Ausschuß) über Anträge zu Petitionen (Seiters [CDU/CSU]: Das geht doch nicht! — Drucksache 10/4078 — Das möchte ich jetzt mal hören! Das muß der Geschäftsführer beantragen!) e) Beratung der Sammelübersicht 118 des Peti- — Herr Becker, haben Sie Einzelabstimmung bean- tionsausschusses (2. Ausschuß) über Anträge tragt? zu Petitionen — Drucksache 10/4395 — (Zuruf des Abg. Becker [Nienberge] [SPD]) f) Beratung der Sammelübersicht 119 des Peti- — So, dann ist das jetzt der Fall. — Damit wir uns tionsausschusses (2. Ausschuß) über Anträge hier nicht mißverstehen: Der Antrag, über den wir zu Petitionen soeben schon abgestimmt haben, ist erledigt. Dem — Drucksache 10/4396 — haben Sie zugestimmt, wenn ich das richtig gese- hen habe. Sie wünschen also jetzt eine Einzelab- g) Beratung der Sammelübersicht 120 des Peti- stimmung über Art. 1 § 4 „Personal". Sehe ich das tionsausschusses (2. Ausschuß) über Anträge richtig? — Wer diesem § 4 zuzustimmen wünscht, zu Petitionen den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Drucksache 10/4397 — — Enthaltungen? — § 4 — Personal — ist in der Ausschußfassung angenommen. Zu den Tagesordnungspunkten 10 a bis 10 c lie- gen Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN Wer nun Art. 1 in der Ausschußfassung mit der auf den Drucksachen 10/4437 und 10/4411 bis vorhin schon beschlossenen Änderung — Ände- 10/4413 vor. rungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP — zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — der Tagesordnungspunkte 10 a bis 10 c und jeweils Gegen einige Stimmen ist das angenommen. ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden, d. h. daß es zu diesen Tagesord- Ich rufe die Art. 2 bis 4, Einleitung und Über- nungspunkten drei Debattenrunden gibt. Erhebt schrift in der Ausschußfassung auf. Wer dem zuzu- sich dagegen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. stimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzei- Dann ist das so akzeptiert. chen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei ein gen Gegenstimmen angenommen. Damit ist die Zu den Tagesordnungspunkten 10 d bis 10 g ist zweite Beratung abgeschlossen. eine Aussprache nicht vorgesehen. Meine Damen und Herren, ich nehme an, daß Sie Ich eröffne die Aussprache zu Tagesordnungs- keinen Wiederspruch erheben, daß wir in die dritte punkt 10 a. Das Wort hat der Abgeordnete Vahl- Lesung eintreten. — Das ist nicht der Fall. berg. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13823

Vahlberg (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen gen, und daß er sich wieder melde, wenn Ergebnisse und Herren! Der Petent dieser Eingabe wohnt in vorlägen. der Einflugschneise des Flughafens München Im März 1985, jetzt also bereits nach einem hal- Riem. ben Jahr — die Bearbeitungsgeschwindigkeit nä- Im ersten Abschnitt des Steigflugs ziehen die hert sich der Schallgrenze —, schreibt der Innenmi- Flugzeuge über sein Haus hoch. Der Lärm sei infer- nister, nun seien die Berechnungen durch das Da- nalisch, so schreibt er. Im Garten könne man sich tenerfassungssystem DES endlich abgeschlossen. nicht aufhalten. Die Nachrichten im Fernsehen Zwar habe man den Fluglärm gar nicht gemessen, könne man selbst bei geschlossenen Türen und aber die Prognosedaten hätten ergeben, daß die Fenstern kaum verfolgen. Voraussetzungen für eine Neufestsetzung des Der Petent kann nicht verstehen, wieso sein An- Lärmschutzbereichs nicht vorlägen. wesen nicht zum Bereich der Lärmschutzzone 1 ge- 1976 sind die Lärmschutzzonen in München-Riem hört. Im Juni 1980 wendet er sich mit der Bitte an festgelegt worden. Alle fünf Jahre sollen sie laut den Petitionsausschuß, die Lärmschutzzonen zu Gesetz überprüft werden. Das Jahr 1986 steht vor überprüfen. Nach § 4 Abs. 3 des Gesetzes zum der Tür. Das sind zehn Jahre, geteilt durch zwei, Schutz gegen Fluglärm vom 30. März 1971 muß in den Vorgang bearbeitende Ministerien, macht fünf der Tat spätestens alle fünf Jahre eine Überprüfung Jahre. Das ist der Trick. Wir befinden uns also im des Lärmschutzbereichs erfolgen. Der Lärmschutz- Rahmen der im Gesetz festgelegten fünf Jahre. bereich des Flughafens München-Riem wurde am Spaß beiseite: Hier wird ein Bürger meines Er- 1. September 1976 festgelegt. 1980 Eingabe der Peti- achtens veralbert. Tagtäglich und nachts klirren bei tion. Zeit also, die vom Gesetz geforderte Prüfung ihm die Scheiben. Fünf Jahre ist er hingehalten vorzunehmen. worden. Das ist ein Skandal. Schließlich stellt sich Das Innenministerium sagt diese Überprüfung nach fünf Jahren heraus: Gemessen wurde über- zu und teilt das dem Petenten mit Schreiben vom haupt nicht. Es wurde nur prognostiziert. Keiner Juli 1980 mit. Schon zwei Jahre später, im April weiß, wie diese Prognosedaten zustande gekommen 1982, besitzt der Petent die Dreistigkeit, sich erneut sind und nach welchen Kriterien sie im -DES-Sy- an Bonner Instanzen zu wenden, um sie mit seinem stem verarbeitet wurden. Anliegen zu belästigen. Alle zwei Minuten würden startende Flugzeuge über sein Haus donnern, und Es würden zunehmend moderne Flugzeuge einge- obwohl das Nachtflugverbot zunehmend durchlö- setzt werden, wird vom Innenminister gesagt. Die chert würde, könne er sich komischerweise nicht an Lärmbelastung würde deshalb sinken. Nun muß den Fluglärm gewöhnen. Verständnisvoll erkundigt man aber wissen — der Innenminister weiß das er sich nach dem Gang der Dinge — der Amts- natürlich —: Der Flugverkehr hat seit 1980 um 11% schimmel ist ja schließlich kein Rennpferd — und zugenommen. Die alten Maschinen fliegen immer schlägt vor, um Zeit und Kosten zu sparen, ihn nur noch. Die etwas Leiseren sind lediglich hinzuge- noch alle fünf Jahre über die Ermittlungen auf dem kommen. Die Bürger um den Flughafen München- laufenden zu halten. Riem können sich nun beim Lärm der etwas leise- ren Maschinen vom Lärm der lauteren Maschinen Das Bundesinnenministerium antwortet noch im erholen. Die Verweigerung neuer Messungen und selben Jahr — wir schreiben 1982 —, mit der Daten- damit die anständige Erfüllung des Lärmschutzge- einholung sei man noch nicht so weit, aber man setzes grenzt für mich an Amtspflichtsverletzung. habe jetzt das Datenerfassungssystem DES entwik- kelt. DES ist eine Abkürzung und nicht — das muß Ich fordere deshalb, die Petition der Bundesregie- ich ausdrücklich betonen — etwa die Vorsilbe von rung zur Berücksichtigung zu überweisen. Desinformation oder Desinteresse. (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) Aber die Sache kommt nun doch einen großen Schritt voran; denn es wird festgestellt, daß für die Dateneinholung eigentlich das Bundesministerium für Verkehr zuständig sei. Die Kompetenzen sind Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Ab- jetzt also geklärt. Hoffnungsfroh stimmt auch die geordnete Rumpf. — Er ist aber nicht da. Dann Aussage des Ministers — ich zitiere —: „Ich be- kommt der Abgeordnete Wittmann dran. mühe mich auch weiterhin um einen raschen Fort- gang des Verfahrens." Donnerwetter — man kann gespannt sein. Wittmann (Tännesberg) (CDU/CSU): Frau Präsi- Schon ein Jahr später — wir schreiben Septem- dentin! Meine Damen und Herren! Wie bereits im ber 1983 — meldet sich der Minister für Verkehr Ausschuß hat der Kollege Vahlberg hier nicht zum und teilt mit, die erforderlichen Daten seien ihm Thema der Petition gesprochen, sondern hat sehr vom bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft ausführlich die Probleme eines Bürgers dargestellt. und Verkehr übersandt worden. Er werde sie nun Das Anliegen dieser Petition ist die Ausweitung der zur weiteren Bearbeitung an den Bundesminister Lärmschutzzone 1 im Bereich des Flughafens des Innern weiterleiten. München-Riem. — Klar? Das ist das wesentliche Im Oktober 1984 — wieder ein Jahr später — mel- Anliegen, und um das geht es hier. Das Ziel dieser det sich der Innenminister und teilt mit, daß er Ausweitung ist, Zuschüsse zu Aufwendungen für gerade dabei sei, die Berechnungen zu beschleuni- bauliche Schallschutzmaßnahmen zu erhalten. 13824 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 Wittmann (Tännesberg) Ich darf, bevor ich im einzelnen auf Ihren Antrag — Herr Vahlberg, ich habe Ihrem langen, etwas eingehe, noch eine grundsätzliche Bemerkung vor- ausgeweiteten Vortrag, in dem Sie eine lange Ge- ausschicken. schichte, die wir alle kennen, erzählt haben, auch (Vahlberg [SPD]: Es ist ein Bundesgesetz, aufmerksam zugehört; in dem das geregelt wird!) (Vahlberg [SPD]: Sie finden es toll, daß das Wir sind uns auch in der Koalition der Tatsache über fünf Jahre hingeschleppt wird?) bewußt, daß erstens Lärm in den letzten Jahren ins- gesamt zugenommen hat und daß wir zweitens ver- vielleicht wäre es jetzt auch an Ihnen, hier zuzuhö- mehrt etwas gegen diesen Lärm tun müssen. ren. (Kirschner [SPD]: Sehr gut!) Das Ergebnis der Prüfungen steht auf jeden Fall Es ist heute nicht bloß in der Bevölkerung, son- fest: Nach den gesetzlichen Bestimmungen ist eine dern auch in der Politik eine größere Sensibilität Erweiterung der Lärmschutzzone nicht möglich. gegenüber Lärmbelästigungen da. Ich bin deshalb Der Antrag der SPD bedeutet deshalb, daß der sehr erfreut, daß man auch in diesem Hohen Hause Deutsche Bundestag die Bundesregierung auffor- in den Haushaltsberatungen endlich akzeptiert hat, dern soll, entgegen gesetzlichen Bestimmungen die daß man auf den Truppenübungsplätzen mehr ge- Lärmschutzzone zu erweitern. Das ist doch nicht gen Lärm tun muß. So bin ich auch hier grundsätz- bloß widersprüchlich, aber ich möchte mir einen lich der Meinung, daß mehr dagegen getan werden weitergehenden Ausdruck ersparen. muß. Aber man kann nicht eine Petition dazu be- nutzen, gesetzliche Maßnahmen zu ersetzen. (Vahlberg [SPD]: Es soll gemessen wer (Zuruf von der CDU/CSU: Das begreifen den!) die nie!) Die Petition ist deshalb unserer Meinung nach Die Lärmschutzzone in München-Riem ist auf als erledigt anzusehen, da das Anliegen im Rahmen Grund des Gesetzes über Lärmschutz aus dem der jetzt bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten Jahre 1976 überprüft worden, durch Berechnungen, nicht erfüllt werden kann. Eine Gesetzesänderung - durch entsprechendes Datensammeln. Die Tendenz können Sie hier ja jederzeit beantragen, auch eine dieser Berechnungen ist, daß der Lärm eigentlich Änderung des Gesetzes zum Schutz gegen Flug- nicht in dem Ausmaße gekommen ist, wie er erwar- lärm. tet wurde. Das heißt, es gab keine gesetzliche Grundlage, die Lärmschutzzone auszuweiten. Obwohl sie in der Petition nicht angesprochen wurden, möchte ich auf zusätzliche Lärmschutz- Vizepräsident Frau Renger: Herr Abgeordneter, ge- maßnahmen für den Bereich München-Riem einge- statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten hen. Da gibt es ja auch eine Lärmschutzzone 2, in Vahlberg? der etwa 60 000 Menschen wohnen. Ein entspre- chendes Lärmschutzprogramm würde dort etwa Wittmann (Tännesberg) (CDU/CSU): Selbstver- 150 Millionen DM kosten. ständlich. (Vahlberg [SPD]: Das ist ja nicht das The ma!) Vahlberg (SPD): Herr Kollege, die Festlegung der Lärmschutzzone, die 1976 erfolgte, basierte auf Die Abwicklung eines solchen Programms würde Lärmmessungen in dB (A). Warum hat man das im einige Jahre dauern. Verlauf der zehn Jahre oder im Verlauf des Prozes- ses von 1980 bis jetzt nicht machen können? Warum (Vahlberg [SPD]: Jetzt reden Sie nicht zum keine Messungen, warum nur Prognosedaten? Thema!) Maßnahmen in diesem Umfang für einen Flugha- Vizepräsident Frau Renger: Bitte nur kurze Zwi- fen, der in wenigen Jahren aufgelassen wird, sind schenfragen, Herr Abgeordneter. Wir sind ja schon aus ziemlich spät dran. — Bitte, Herr Kollege. wirtschaftlichen Gründen nicht mehr vertret- bar. Andernfalls hätte das Auswirkungen auch auf andere Flughäfen, und es wäre mit Sicherheit auf Wittmann (Tännesberg) (CDU/CSU): Die Lärm- einen Schlag 1 Milliarde DM notwendig, um auch in schutzmessungen, die 1976 stattgefunden haben, der Lärmschutzzone 2 entsprechende Schutzmaß- wurden fortgeschrieben. Das stimmt. Es gibt er- nahmen zu ergreifen. stens durch die Flugzeuge, die dort abfliegen, zwei- tens durch die Häufigkeit der Flugbewegungen und Die Tatsache, daß diese Petition ins Plenum ge- drittens natürlich auf Grund der Daten aus der bracht wurde, läßt wieder vermuten, daß man vor Flugzeugproduktion zuverlässige Möglichkeiten, zu Ort halt ein bißchen Wahlkampf führen will. Ich berechnen, habe das schon bei der großen Aussprache zum Be- (Vahlberg [SPD]: Das ist doch viel kompli richt des Petitionsausschusses zum Ausdruck ge- zierter!) bracht: Es wird immer wieder versucht, Petitionen wie stark der Lärm zugenommen hat und ob eine ins Plenum zu bringen, um vor Ort Wahlkampf ma- Lärmschutzzone ausgeweitet werden muß. chen zu können. (Vahlberg [SPD]: Das ist doch viel kompli (Kirschner [SPD]: Wir nehmen die Anlie zierter!) gen des Bürgers ernst!) Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13825

Wittmann (Tännesberg) Hier hätten Sie vielleicht, wenn Sie wirklich der kerung für Lärmprobleme sehr erheblich verändert Bevölkerung helfen wollen, hat. (Kirschner [SPD]: Im Gegensatz zu Ih Mit diesem Ernst haben Sie, vor allen Dingen nen!) Herr Kollege Wittmann, hier nicht argumentiert. vor Ort verstärkt darauf drängen können, daß mög- Wir sind nämlich in der Tat als Politiker gefordert, lichst bald der neue Flughafen im Erdinger Moos auf Grund solcher Petitionen initiativ zu werden. gebaut wird; Wenn hier jemand 100 Meter entfernt von der Lärmschutzzone 1 wohnt und darauf hinweist — (Frau Dann [GRÜNE]: Das ist keine Alter worauf bisher überhaupt niemand in diesem Ver- native!) fahren eingegangen ist —, daß sich durch die wegen um so schneller wäre die Belastung der Bevölke- der Entführung geänderte Startkurve der Lärm an rung geringer. dem Haus des Petenten erheblich, nämlich inferna- Wir sind deshalb dafür, die Petition als erledigt lisch geändert habe, dann sind wir aufgefordert, anzusehen. wenn wir unsere Aufgabe als Petitionsausschuß (Beifall bei der CDU/CSU) wirklich ernst nehmen, zu überlegen, ob nicht das Lärmschutzgesetz geändert werden muß. Und, Herr Kollege Wittmann, lassen Sie mich das noch sagen, Das Wort hat der Herr Vizepräsident Frau Renger: bevor ich Ihre Zwischenfrage gern zulasse, es gibt Abgeordnete Mann. an anderen Flughäfen Lärmschutzprogramme. Darauf ist in den Unterlagen vom Ministerium Mann (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolle- selbst hingewiesen worden. Das ist nämlich des Pu- ginnen und Kollegen! Nach den Ausführungen der dels Kern. Ich will hier mal als Vermutung äußern, Kollegen Vahlberg und Wittmann kann ich mich zu in München-Riem hat es kein solches Lärmschutz- dieser Petitionsangelegenheit verhältnismäßig kurz programm gegeben, weil Sie Angst gehabt haben, fassen. möglicherweise würde sich dann durch geringeren (Dr. Göhner [CDU/CSU]: Ebenso erstaun Widerstand der Bürger gegen Riem Ihr Einsatz für lich wie selten, daß Sie sich kurz fassen!) Erding als unzeitgemäß erweisen. Man hätte- sehr — Herr Kollege Dr. Göhner, es ist ein rechtlicher wohl zumindest an eine Ausnahmeregelung, wie ich und politischer Skandal ersten Ranges, daß sich die in unserem Antrag dargestellt habe, für Leute, die Überprüfung der gesetzlich vorgeschriebenen Fest- in unmittelbarer Nähe der Lärmschutzzone 1 woh- setzung des Lärmschutzbereichs des Flughafens nen, in Form eines freiwilligen Programms des München-Riem trotz einer aus dem Juni 1980 stam- Flughafens München denken können. menden Petition um annähernd fünf Jahre verzö- gert hat — nach dem Gesetz sollte die Überprüfung Vizepräsident Frau Renger: Gestatten Sie eine Zwi- am 1. September 1981 stattfinden —, und zwar bei schenfrage des Abgeordneten Wittmann? einer Betroffenheit von etwa 60 000 Bürgerinnen und Bürgern allein in der Lärmschutzzone 2. Allein Mann (GRÜNE): Bitte schön. aus diesem Grunde ist unser Antrag zu Ziffer 2 be- rechtigt. Wittmann (Tännesberg) (CDU/CSU): Herr Kollege Mann, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß Ich darf die Kollegen an das erinnern, was im unsere Fraktion bereit war, diese Petition als Mate- Ausschuß beraten worden ist. Aus dem Protokoll rial zu überweisen, um in künftige Überlegungen ergibt sich, daß Sie eigentlich mit einer Überwei- bei Lärmschutzmaßnahmen einbezogen zu werden, sung zur Kenntnisnahme einverstanden sein müß- und daß Sie eigentlich nur eine Absicht hatten, ten, um das Verhalten der Bundesregierung bei der nämlich mal wieder in der Öffentlichkeit — — Bearbeitung dieser Petition — übrigens der frühe- ren und der jetzigen Bundesregierung — zu kriti- Vizepräsident Frau Renger: Einen Augenblick. Das sieren. Ich hoffe also, daß Sie hier fernab von allen letzte gehört wirklich nicht mehr zur Frage. ideologischen und parteilichen Scheuklappen die- sem Antrag unter Ziff. 2 zustimmen werden. Mann (GRÜNE): Ich nehme das zur Kenntnis und Zu Ziff. 1, liebe Kolleginnen und Kollegen, möchte gehe deshalb davon aus, daß Ihre Fraktion unserem ich zunächst einmal auf unseren ausführlichen Än- Antrag unter Ziff. 2 zustimmen wird. — Vielen derungsantrag auf Drucksache 10/4411 Bezug neh- Dank. men. Ich möchte noch eine Stelle aus dem Schrei- (Beifall bei den GRÜNEN) ben des Petenten vom 25. April 1982, aus dem der Kollege Vahlberg bereits auszugsweise zitiert hat, Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Herr einführen. Er hat vorgeschlagen — ich zitiere —, Abgeordnete Dr. Rumpf. „um Zeit und Kosten zu sparen, die Mitteilung über die jeweils noch andauernden Ermittlungen nur Dr. Rumpf (FDP): Meine sehr geehrten Damen noch alle fünf Jahre zu schicken, letztmalig etwa im und Herren! Das einzige, was wir Freien Demokra- Jahre 2007 (geschätztes Ableben des Petenten, falls ten an der Behandlung dieser Petition zu bemän- keine Umweltkatastrophe oder atomare Auseinan- geln haben, ist die lange Zeitdauer, bevor dem Pe- dersetzung dazwischenkommt)". Ich meine, wir soll- tenten eine abschließende Antwort gegeben worden ten diese gallige Formulierung eines Bürgers sehr ist. Die Petition stammt vom Juni 1980, wir schrei- ernst nehmen, und wir sollten auch sehr ernst neh- ben jetzt 1985. Also fünfeinhalb Jahre, meine Da- men, daß sich in der Tat das Bewußtsein der Bevöl- men und Herren, das ist wirklich zu lange. Das ist 13826 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985

Dr. Rumpf auch für uns Abgeordnete, geschweige denn für die genprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abge- Bürger eine zu lange Zeit, die zugemutet werden lehnt. kann. Das Bundesministerium des Innern, die baye- (Zuruf von der SPD: Bedauerlicherweise rischen Landesbehörden und die Flugplatzbetreiber abgelehnt!) München-Riem müssen sich deshalb den Vorwurf gefallen lassen, daß sie die Sache etwas verschleppt Der Antrag Drucksache 10/4411 der GRÜNEN haben und die Ernsthaftigkeit des Falles nicht so lautet in diesem Punkt: „... wird der Bundesregie- ganz erfaßt haben. rung zur Berücksichtigung überwiesen". Wer die- sem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um In der Sache bedauern wir, daß dem Petenten das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? nicht geholfen werden kann. Als Fluglärmgeschä- — Der Antrag ist im selben Stimmverhältnis abge- digter — ich bin selber einer — habe ich großes lehnt. Verständnis für die Petition. Ich wohne nämlich in Als Alternative heißt es: „ ... wird den Fraktionen dem militärischen Manöverfluglärmgebiet der Bun- zur Kenntnis überwiesen". Das ist sicherlich ein Irr- deswehrgeschwader und der Alliierten mitten im tum, das können wir hier nicht beschließen. Die Hunsrück. Hier wird durch eine Entzerrung der Fraktionen bekommen die Drucksachen j a automa- Flugzeiten und Fluggebiete auch nur wenig erreicht tisch. Vielmehr muß es heißen: „ ... wird der Bun- werden. Man hofft auf eine Verlagerung in NATO desregierung zur Kenntnis überwiesen". Das ist ja Partnerländer. Aber durch die Ausdehnung der der Sinn der Sache. Wer diesem Antrag zuzustim- Tieffluggebiete werden wir noch viel zu leiden ha- men wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — ben. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit der gleichen Der Petent ist wie viele andere Bürger, die in der Stimmenmehrheit abgelehnt. Nähe eines zivilen Flughafens leben, dem ständi- Jetzt kommen wir zur Beschlußempfehlung des gen, regelmäßigen Lärm ausgesetzt. Lärmempfin- Petitionsausschusses auf Drucksache 10/4034. Wer dung, meine Damen und Herren, ist eine individu- zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Hand- elle Sache. Manche brauchen geradezu den Lärm, zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die um sich wohlzufühlen. Andere verabscheuen jede Beschlußempfehlung ist mit Mehrheit- angenom- Art von Lärmkulisse. Selbst Musik wird von man- men. chen als Lärm empfunden, weil sie mit Geräusch verbunden, wie Wilhelm Busch sagt. Deshalb müs- Wir kommen zur Beratung über den Tagesord- sen hier objektive Maßstäbe gesetzt werden; und nungspunkt 10 b. Hierzu hat der Abgeordnete Mann darauf will ich zu sprechen kommen. das Wort. So wird versucht, die Lärmschutzzone nach neu- tralen Gesichtspunkten einzurichten. Dies geht lei- Mann (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolle- der nur über Dezibel-Messungen, obwohl, wie ge- ginnen und Kollegen! Zunächst darf ich zum Ver- sagt, für verschiedene Menschen Lärm und Schall fahren sagen, daß es nicht die Regel ist, daß Petitio- nicht dasselbe sind. Es bleibt uns keine andere nen den Fraktionen zur Kenntnis überwiesen wer- Wahl, als die Messungen auch als Meßlatte oder als den. Deswegen bitte ich, unserem entsprechenden Schwellenwerte zu verstehen. Bei den Messungen Antrag zuzustimmen und unserem Antrag, die Peti- wurde nach den Unterlagen korrekt und folgerich- tion der Bundesregierung zur Erwägung zu über- tig vorgegangen. Eventuell sind die Fünfjahreszeit weisen, ebenfalls zuzustimmen. räume etwas zu weit gesteckt. Aber die Ergebnisse Ich verweise auf unseren Änderungsantrag auf sind in Ordnung gewesen. Drucksache 10/4412. Darin ist der wesentliche Sach- So bedauern wir, die Petition insoweit als erledigt verhalt dargestellt. Wir kritisieren, daß insbeson- ansehen zu müssen. Dem Petenten bleibt allenfalls dere das verantwortliche Ministerium, aber auch der beschwerliche Weg der Zivilklage gegen den das Bundesversicherungsamt hier eigentlich nur Flughafenbetrieb nach § 906 des Bürgerlichen Ge- rechtlich argumentieren. setzbuchs. Es geht um die Anerkennung eines unter Alko- Vielen Dank. holeinfluß erlittenen Unfalls eines Gerüstbauhel- fers als Arbeitsunfall. Dieser hat in der Tat mit (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) einem Blutalkoholgehalt von 3,82 Promille einen Unfall am Arbeitsplatz erlitten. Nach der geltenden Rechtslage ist der Antrag des Petenten — des Ver- sicherten — auf Anerkennung dieses Unfalls als Vizepräsident Frau Renger: Ich schließe die Aus- Arbeitsunfall — wohl zu Recht — abgelehnt wor- sprache zu Punkt 10 a und komme zur Abstimmung den. über die vorliegenden Anträge. Wir wollen mit der Behandlung im Plenum kei- Ich lasse zuerst über den Antrag der SPD abstim- nesfalls Wahlkampf machen, men. Da es immer nur sehr kleine Unterschiede (Jagoda [CDU/CSU]: Die Leute ärgern!) sind, bitte ich, darauf zu achten: In dem SPD-Antrag sondern einfach auf dieses gesellschaftlich wird gefordert, die Petition nicht als erledigt anzu- sehen, sondern der Bundesregierung zur Berück- (Jagoda [CDU/CSU]: Na!) sichtigung zu überweisen. Wer dem zuzustimmen außerordentlich schwerwiegende Problem — Herr wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ge- Kollege Jagoda, gerade als Mitglied des Ausschus- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13827

Mann ses, in dem Sie tätig sind, sollten Sie dieses Problem tatsächlich nicht mehr möglich ist. Aber, Herr Kol- sehr ernst nehmen — hinweisen. lege Kühbacher — — (Jagoda [CDU/CSU]: Was soll denn diese (Dr. Göhner [CDU/CSU]: Sie haben wohl Belehrung von Ihnen?!) den Zustand Ihrer Fraktionskollegen ge- meint!) Vizepräsident Frau Renger: Gestatten Sie eine Zwi- — Sie sollten Ihre Zwischenrufe zur Sache machen, schenfrage des Abgeordneten Kühbacher, Herr Herr Kollege Dr. Göhner. Das würde gerade Ihnen Kollege Mann? gut anstehen, da Sie ständig an mich appellieren, Ausführungen zur Sache zu machen. (GRÜNE): Einen Moment noch. Mann Ich glaube also, das Problem ist hier hinreichend Wir sind der Meinung, daß gerade auch wir, die geschildert worden. Ich meine, Sie würden dem po- wir alle fürwahr im Glashaus sitzen — wenn man litischen und gesellschaftlichen Stellenwert des den Beratungen in diesem Hohen Hause, vor allen Problems Alkoholismus am Arbeitsplatz Dingen zu späten Abendstunden folgt —, uns mit dem Problem Alkohol am Arbeitsplatz sehr intensiv (Schlottmann [CDU/CSU]: Eine ganz üble und ernsthaft auseinandersetzen sollten. Ich habe Sache haben Sie sich da geleistet! Typisch für Herrn Mann!) während der Beratungen im Petitionsausschuß nicht die Überzeugung gewinnen können, daß im dadurch gerecht werden, daß Sie keine dusseligen zuständigen Fachausschuß, worauf allgemein hin- Zwischenrufe machen, sondern unserem Antrag zu- gewiesen wurde, zur Zeit eine politische Auseinan- stimmen. dersetzung mit dem Problem des Alkoholismus tat- Vielen Dank. sächlich stattfindet. (Zurufe von der SPD und der CDU/CSU) (Frau Berger [Berlin] [CDU/CSU]: Stimmt doch nicht, was Sie da sagen!) Wir räumen Ihrer Bitte jetzt die Frage des Kollegen Kühbacher. Vizepräsident Frau Renger: Fraktion die Redezeit ein wie den anderen Fraktio- - nen, die weit größer sind als Ihre. Sie sollten sie Vizepräsident Frau Renger: Bitte, Herr Kühba- nicht zu Beleidigungen des ganzen Hauses benut- cher. zen. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Kühbacher (SPD): Herr Kollege Mann, würden Sie, da das hier fast nur zu Protokoll diskutiert FDP — Mann [GRÜNE]: Ich habe diese wird, den noch Zuhörenden bitte erklären, daß Sie scheinheilige Zwischenfrage zurückgewie sich im Moment für ein Unfallopfer mit einer Blut- sen!) alkoholkonzentration von 3,82 Promille einsetzen, — Ich rufe Sie zur Ordnung. was eigentlich schon der Zustand der Lebensgefahr (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der ist? FDP) (Jagoda [CDU/CSU]: So ist es! — Hört! Das Wort hat der Abgeordnete Rumpf. Hört! bei der SPD — Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der SPD) Dr. Rumpf (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen Mann (GRÜNE): Herr Kollege Kühbacher, ich und Herren! Wir wollen versuchen, die Sache doch möchte nicht wissen — durch Feststellung des Blut- ganz ohne Emotionen zu behandeln. alkoholgehalts —, wieviel in diesem Hohen Haus Die Ausgangslage: Der Petent hält es für unge- Anwesende getrunken haben. recht, daß in der gesetzlichen Unfallversicherung (Schlottmann [CDU/CSU]: Unverschämt ist bei Alkoholeinfluß der Versicherungsschutz verlo- das! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU rengeht. Die GRÜNEN sind der Auffassung, daß der — Abg. Dr. Göhner [CDU/CSU] meldet sich Alkoholismus eine Krankheit ist — das ist unbe- zu einer Zwischenfrage) stritten — Ich glaube, daß es sehr wohl, Herr Kollege Kühba- (Mann [GRÜNE]: Das ist anerkannt!) cher — — und daß der Schutz durch die Unfallversicherung (Schlottmann [CDU/CSU]: Das ist eine Be auch in diesen Fällen zu gewährleisten sei. leidigung aller Abgeordneten — Zuruf von Im einzelnen muß dazu festgestellt werden: Der der SPD: Das ist keine adäquate Antwort! hier zur Beratung anstehende Fall betrifft die Pro- — Weitere Zurufe von der CDU/CSU und blematik, ob bei Alkoholismus und einem darauf der SPD) zurückzuführenden Unfall noch Leistungen der Be- rufsgenossenschaft zu gewähren sind. Ob die von Vizepräsident Frau Renger: Herr Kollege, was hal- der Berufsgenossenschaft getroffenen Feststellun- ten Sie davon, wenn Sie Ihre Bemerkung zurück- gen im konkreten Einzelfall vorgelegen haben, nähmen? kann von uns nicht beurteilt werden. Durch das Versäumen der Widerspruchsfrist hat es der Petent Mann (GRÜNE): Ich möchte jetzt keine weitere auch verhindert, daß die Berufsgenossenschaft Zwischenfrage mehr zulassen, weil ich die Gefahr selbst bzw. ein Sozialgericht die Einzelheiten hätte erkenne, daß eine sachliche Auseinandersetzung nachprüfen können. 13828 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985

Dr. Rumpf Es bleibt also die Frage offen, ob bei einem Un- auf das Gerüst zu steigen, so auch an diesem Mor- fall, der auf Alkoholismus zurückzuführen ist, die gen. Berufsgenossenschaft einzuspringen hat. Ich (Zuruf von den GRÜNEN: Aber er hat ihn möchte dies für die FDP aus Gründen der Funktion nicht nach unten geschickt!) der Berufsgenossenschaft als gesetzlicher Unfall- versicherung verneinen; denn diese tritt mit ihren — Er hatte ihn auch schon vorher wegen dieser Tat- Leistungen an die Stelle des Unternehmers, der ei- sache mehrfach verwarnt. Der Petent mußte wis- gentlich für die Folgen eines Arbeitsunfalls aus sen, daß bei einem solchen Alkoholgenuß der Un- Gründen der Verschuldens- und Gefährdungshaf- fallversicherungsschutz verlorengehen mußte. tung einstehen müßte. Denn die Einstandspflicht der Unfallversicherung besteht nur so weit — darin stimme ich mit der Ein- In der Unfallversicherung wird eine ansonsten lassung des Bundesarbeitsministers überein — und bestehende Haftpflicht des Unternehmers abgelöst. so lange, wie die Arbeitnehmer eine für das Unter- Dies kann zu Recht allerdings nur dann gelten, nehmen irgendwie nützliche Tätigkeit ausüben wenn der Unfall im Zusammenhang mit der Ar- können. beitsleistung steht. Bei 3,82 Promille, Herr Mann, Wenn Sie, Herr Mann, nun versuchen wollen, zu kann man keine Arbeitsleistung mehr erbringen. erreichen, daß Alkoholismus als Krankheit aner- Allen ist bekannt, daß der Versicherungsschutz kannt wird, um damit den Versicherungsschutz dann entfällt, wenn ein Unfall am Arbeitsplatz auf durch die Unfallversicherung herzustellen, ist das, Alkoholeinfluß zurückzuführen ist. An dieser lang- meine ich, der ungeeignetste Fall, den man sich in jährigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts bezug auf diese Frage nur denken kann. sollten wir nichts ändern. Jede andere Regelung (Sehr wahr! bei der SPD) würde z. B. dazu führen, daß die gesetzliche Unfall- versicherung auch alkoholbedingte Wegeunfälle, bei denen die Fahruntüchtigkeitsgrenze, nämlich Vizepräsident Frau Renger: Herr Abgeordneter, ge- 1,3% statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mann? (Lachen bei der SPD)

— 1,3 Promille —, überschritten wird, übernehmen von der Wiesche (SPD): Bitte schön. müßte. — Ist das so lustig, Herr Kirschner?

(Kirschner [SPD]: 1,3 % wären schon viel!) Mann (GRÜNE): Herr Kollege, sind Sie bereit, zur — Ja, gut. Es freut mich, wenn Sie so leicht zu Kenntnis zu nehmen, daß unser Antrag darauf hin- unterhalten sind. — Dies scheint mir in der Tat ausläuft, den Fraktionen und der Regierung diese nicht tragbar zu sein. Petition zur Kenntnis zu geben, daß ich ausdrück- lich darauf hingewiesen habe, daß die geltende Letztlich müßte unser aller Bestreben dahin ge- Rechtslage keine andere Entscheidung erlaubt, daß hen, dem Phänomen des Alkohols am Arbeitsplatz etwa 1 Million Bundesbürger vielleicht nicht mit 3,8 den Kampf anzusagen. Promille, aber angesichts der Verbreitung des Alko- (Zuruf von den GRÜNEN: Das stimmt!) holismus in einer ähnlichen Situation am Arbeits- Eine Änderung der jetzt geltenden Praxis der Be- platz wohl ohne Unfallversicherungsschutz arbei- rufsgenossenschaft würde diesem Ziel aber zuwi- ten und es glücklicherweise .. . derlaufen. (Zuruf von den GRÜNEN: Genau!) Vizepräsident Frau Renger: Ende der Zwischen- frage! Dies war schon wieder eine Minute. Deshalb sehen wir die Petition als erledigt an.

Danke sehr. Mann (GRÜNE): ... ebenso oft nicht zu Unfällen (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) kommt? (Jagoda [CDU/CSU]: Was der Mann an den Tag legt, das ist super!) Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Ab- geordnete von der Wiesche. von der Wiesche (SPD): Ich kann darauf nur kurz antworten und noch einmal betonen, daß diese Peti- tion der ungeeignetste Fall ist, diese Dinge hochzu- von der Wiesche (SPD): Frau Präsidentin! Meine ziehen. sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Pe- (Sehr richtig! bei der SPD) tent, ein Gerüstbauhelfer, wie schon gesagt, erlitt Ich bin sehr dafür, daß wir darüber einmal diskutie- am 10. November 1980 gegen 14 Uhr einen Unfall ren, aber nicht vor dem Hintergrund dieses Falles. bei einem Blutalkoholgehalt von 3,82 Promille. Nach meiner und auch nach Auffassung von Medizinern Denn wir müssen sehr scharf unterscheiden zwi- ist ein Mensch, der so stark betrunken ist, über- schen einem Entschädigungsfall für die Unfallver- haupt nicht mehr arbeitsfähig. Mit einem so hohen sicherung und einem ganz normalen Versiche- Blutalkoholgehalt kann er nicht mehr arbeiten. rungsfall im Bereich der Kranken- oder Renten- Dies hat auch der Arbeitgeber gewußt, und er hat versicherung. ihn nicht zu Unrecht mehrfach aufgefordert, nicht (Sehr wahr! bei der SPD) Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13829 von der Wiesche Der Petent ist ja durch die Krankenversicherung Sie tun mit Ihrem Verhalten auch dem Petenten abgesichert. Nur, Herr Mann, ich muß Sie natürlich keinen Gefallen, Herr Mann. Nachdem ich die Peti- fragen: Was würden Sie tun und wie würden Sie tion gelesen hatte, verstand ich den Petenten. Er denn argumentieren, wenn Sie im Straßenverkehr hört in der Öffentlichkeit, Alkoholismus sei seit von einem Verkehrsteilnehmer mit einem Blutalko- 1978 als Krankheitssymptom anerkannt. Deshalb holgehalt von 3,82 Promille angefahren und erheb- denkt er, er habe jetzt vielleicht eine Chance. Dann lich verletzt würden? Würden Sie dann auch sagen: bittet er den Deutschen Bundestag darum, zu prü- der ist nun leider krank, den kann ich nicht belan- fen, ob der Unfall nun nicht doch als Arbeitsunfall gen? anerkannt werden kann. — Hier geht es doch nicht (Zuruf von der SPD: Das ist das Problem!) um 3,82 Promille oder was auch immer; das ist doch ganz nebensächlich. Der Petent behauptet, er habe die Dinge — zu- mindest viele Dinge — vorher nicht gewußt. Aber (Mann [GRÜNE]: Das ist sehr richtig!) auch das reicht nicht aus, um daraus einen mögli- Deshalb sage ich als Volksschüler und Nichtjurist chen Entschädigungsfall abzuleiten. Dazu schrieb dem auf Kosten des Steuerzahlers gut ausgebilde- das Bundesarbeitsgericht in der Begründung eines ten Juristen folgendes: Urteils — ich zitiere —: In der Mitte des 20. Jahrhunderts muß einem in (Zuruf von der SPD: Das war auch nicht gut! — Zurufe von den GRÜNEN) einer modernen, hochentwickelten Industriege- sellschaft lebenden Arbeitnehmer zugemutet Wenn das der Kernpunkt ist, müssen Sie sich die werden, sich die Rechtskenntnisse zu verschaf- Frage vorlegen, ob die Anerkennung einer Krank- fen, die er im Arbeitsleben für die Wahrneh- heit im Katalog des Unfallrechts dazu führt, daraus mung seiner sozialen Sicherheit braucht. eine Leistung abzuleiten. Muß, wenn morgen bei- Das aber hat der Petent nicht getan. spielsweise eine neue Krankheit auftaucht und in den Katalog aufgenommen wird, dies konsequen- Nach der Bewertung all der Tatbestände bleibt terweise bei einem Arbeitsunfall zu einer Leistung die SPD dabei, diese Petition als erledigt anzu- führen? sehen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich will nicht das wiederholen, was wir im Aus- schuß gesagt haben. Da haben die Regierung und das Bundesversicherungsamt begründet, weshalb Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Ab- das im Unfallrecht nicht geht. Wenn Sie mit dieser geordnete Jagoda. Systematik nicht einverstanden sind, weil die GRÜ- NEN den Sachverhalt sichergestellt haben wollen Jagoda (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr — sehen Sie, Sie hören nicht einmal zu, wenn ich verehrten Damen und Herren! Ich bedaure es au- mich mit Ihnen auseinandersetze; das ist Ihre Kol- ßerordentlich, daß Herr Kollege Mann nicht die legialität, die Sie von anderen fordern, aber zu der Kraft hat, die Beleidigung zumindest gegenüber Sie selber nicht beitragen; darf ich jetzt Ihr Ohr ein- den Kolleginnen und Kollegen zu unterlassen, die mal in Anspruch nehmen? — im Deutschen Bundestag ihre Pflicht tun. Ich stehe (Mann [GRÜNE]: Natürlich!) heute am Beginn der dritten Schicht; um 6 Uhr habe ich angfangen, und ich bin nicht alkoholi- und davon überzeugt sind, ist zu fragen: Warum siert. kommen Sie dann nicht mit einer normalen Geset- zesvorlage und versuchen, Mehrheiten zu bekom- Sie tun denen, die sich mit großer Kraftanstren- men? Sie können doch nicht erwarten, daß eine sol- gung und der Unterstützung der Familie aus dem che Problematik in fünf Minuten stichhaltig abge- Sumpf herausziehen, mit solchen Anschuldigungen handelt werden kann. in der Öffentlichkeit mit Sicherheit keinen Gefal- len. Damit meine ich die Menschen draußen im (Beifall bei der CDU/CSU) Lande, die unter der Geißel des Alkoholismus lei- Sie mißbrauchen die Kollegialität des Petitionsaus- den. schusses, in dem wir uns, gleichgültig, in welcher (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der Fraktion wir sind, alle miteinander bemühen, den FDP) Bürgern zu helfen. Treiben Sie es nicht auf die Spit- Herr Kollege Mann, wenn Sie in diesem Bereich ze! Sie nutzen den Bürgern nicht, Sie schaden ih- im Petitionsausschuß gefochten haben und der Auf- nen. fassung sind, daß die Entscheidung falsch ist, hätte Wenn Sie politisch eine andere Meinung haben, ich von Ihnen als Jurist erwartet, daß Sie hier die ist das in Ordnung, und ich werde mich immer Begründung dafür bringen, daß Sie sagen, es sei dafür einsetzen, daß Sie sie sagen können, aber nicht so, wie der Petitionsausschuß entschieden nicht mit „Wischi-Waschi"-Anträgen, bei denen Sie habe. Sie wissen ja nicht einmal, was Sie beantragt nicht einmal wissen, was Sie beantragt haben. Sie haben. In der Zwischenfrage sprechen Sie von wollen in fünf Minuten über Grundsatzprobleme re- Kenntnisnahme, ausweislich der Drucksache wol- den. Sie sollten vielmehr einen konkreten Antrag len Sie die Petition der Regierung zur Erwägung auf Änderung der Reichsversicherungsordnung be- überweisen lassen. Schauen Sie erst einmal, was züglich dieses Buchs der Unfallversicherung stel- Sie überhaupt beantragen. len, und dann werden wir mit Ihnen darüber strei- (Mann [GRÜNE]: Das ist ein Versehen!) ten und darüber auch entscheiden. 13830 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985

Jagoda Aber, Herr Mann, meine ganz herzliche Bitte: ten und um eine milde Gabe anfragen. Für eine nicht mit Fünfminutenbeiträgen die gute Arbeit des gesicherte Finanzplanung hilft das wenig. Petitionsausschusses, die in vielen Einzelfällen ge- Die bayerische Variante im Umgang mit Geißlers holfen hat, dadurch kaputtzumachen. Empfehlungen ist auch der Bundesregierung be- (Beifall bei der CDU/CSU) kannt. Die Bayern halten Frauenhäuser für über- flüssig und empfehlen den Frauen, Unterschlupf bei Nachbarn und Verwandten zu suchen. Vizepräsident Frau Renger: Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache über Tagesord- Eine menschenwürdige Arbeit in Frauenhäusern nungspunkt 10b. kann nicht geleistet werden, wenn sie über das Bundessozialhilfegesetz finanziert werden muß, Hierzu liegt noch ein Änderungsantrag der Frak das zwar jeder einzelnen Frau Geld gewährt, nicht tion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/4412 vor. aber Institutionen. Das ist schon im Ansatz falsch, Herr Mann hat eben eine kleine Änderung ange- weil dadurch jede Frau stigmatisiert wird, die in ein meldet: Die Petition möge der Bundesregierung zur Frauenhaus gehen muß. Frauen sind diejenigen, die Kenntnis überwiesen werden. Ich lasse über den aktenkundig werden. Sie müssen den Grad ihrer Antrag abstimmen. Wer ihm zuzustimmen wünscht, Mißhandlung belegen, während die Mißhandler un- den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! behelligt bleiben. — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt. Oder ein anderes Beispiel. Jeder Mensch hat An- Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsaus- spruch auf Sozialhilfe, die nicht zurückgezahlt wer- schusses auf Drucksache 10/4038 zuzustimmen den muß. Notleidende Frauen jedoch bekommen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ge- Sozialhilfe nur als Darlehen, wie in Solingen und genprobe! — Enthaltungen? — Bei einer Gegen- Dinslaken geschehen. Den Frauen wird damit ein stimme und einigen Enthaltungen ist die Beschluß- Neuanfang erschwert bzw. unmöglich gemacht, weil empfehlung des Petitionsausschusses angenom- sie zu ihren Mißhandlern zurückgehen müssen. men. Nach zehnjähriger Arbeit haben die Erfahrungen Wir kommen jetzt zu dem Tagesordnungs- in den Frauenhäusern belegt, daß die gesellschaftli-- punkt 10 c. Hierzu habe ich die Wortmeldung von chen und ungelösten Konflikte wie Erwerbslosig- Frau Dann. Bitte sehr. keit, Isolation und Kommunikationsfähigkeit usw. seitens der Männer in der Mißhandlung von Frauen Frau Dann (GRÜNE): Frau Präsidentin! Meine Da- und Kindern ihren stärksten Ausdruck finden. men! Meine Herren! Die vom Petitionsausschuß be- Menschenwürde, Entfaltung der Persönlichkeit schlossene Begründung zur Ablehnung eines So- und Gleichberechtigung, oberste Maximen unserer fortprogramms für Frauenhäuser ist vollkommen Verfassung, stehen im Abseits, wenn es um den unverständlich. Die Existenz von mißhandelten Schutz von Frauen geht. Zumindest darf er nichts Frauen wird dem ökonomischen Kalkül geopfert. kosten und muß kontrollierbar bleiben. Der Wert Herr Kühbacher hat eine Million DM als Spende der Familie, von der Regierungskoalition beschwo- für 120 Frauenhäuser vorgeschlagen, was am ren, sinkt, wenn es um die Restfamilie geht, um die 14. November mit 13 gegen 12 Stimmen vom Haus- vor ihren Ehemännern flüchtenden Frauen und die haltsausschuß abgelehnt worden ist. Das ist doch Kinder. ein Hohn, wenn frau gleichzeitig weiß, daß die Bun- Wenn Sie, meine Herren, die Petition mit 12 000 desregierung sage und schreibe 25 Millionen DM Unterschriften für ein Notprogramm über 30 Millio- lockermacht, um den Petersberg als Gästehaus des nen DM ablehnen, liefern Sie erneut den Beweis Bundestages zu renovieren. einer frauenverachtenden Politik. Und das wird (Zurufe von der CDU/CSU) noch mit formalen Gründen gerechtfertigt. 25 Millionen DM allein in der ersten Runde. (Beifall bei den GRÜNEN und Abgeordne (Frau Berger [Berlin] [CDU/CSU]: Das ten der SPD) stimmt doch gar nicht! — Reddemann Wenn von Herrn Kühbacher dem Haushaltsaus- [CDU/CSU]: Aber doch nicht des Bundesta schuß nur eine Million DM zur Bewilligung empfoh- ges, Frau Kollegin!) len und vom Haushaltsausschuß abgelehnt wird, — Sie wissen schon, was ich meine. zeugt das von einer völligen Ignoranz gegenüber der realen Situation, besonders der in den autono- (Reddemann [CDU/CSU]: Ich weiß leider men Frauenhäusern. nicht, was Sie meinen!) Darum bringen die GRÜNEN mit ihrem Ände- Seit zehn Jahren kämpfen die autonomen Frau- rungsantrag auf Drucksache 10/4413 zur Beschluß- enhausvereine um die finanzielle Absicherung der empfehlung des Petitionsausschusses die Forderun- Häuser. Auf Grund fehlender Regelungen, die die gen der Petentinnen ein und beantragen ein Not- Eigenständigkeit von Konzeptionen anerkennen, programm von 30 Millionen DM. müssen immer mehr Häuser ihre Arbeit einstellen, zuletzt Krefeld und Schleswig. Da helfen die Emp- (Beifall bei den GRÜNEN) fehlungen Heiner Geißlers an Länder und Kommu- nen wenig. Kostenvereinbarungen nach dem Bun- dessozialhilfegesetz stehen im Ermessen der Ge- Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat Frau Ab- meinden. Frauen können dort als Bittsteller auftre- geordnete Dr. Segall. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13831

Frau Dr. Segall (FDP): Frau Präsidentin! Meine chen Bundesgesetzes stehen außerdem verfas- Damen und Herren! Es ist interessant, zu beobach- sungsrechtliche Bestimmungen entgegen. ten, wie die GRÜNEN versuchen, eine Finanzierung (Dr. Möller [CDU/CSU]: Sehr richtig!) besonders der autonomen Frauenhäuser aus Bun- desmitteln sicherzustellen: zuerst mittels eines Ge- Der Vorschlag der Petenten, Bundesmittel im Weg setzentwurfs für eine Stiftung, eines Geldleistungsgesetzes nach Art. 104 Abs. 3 des Grundgesetzes bereitzustellen, ist ebenso abwegig. (Zuruf des Abg. Ströbele [GRÜNE]) Die FDP hält eine Verlagerung der Zuständigkeiten der erst gestern im Ausschuß abgelehnt worden ist von der Gemeinde- und Länderebene weg auf den und uns daher hier bald noch mal beschäftigen Bund weder für verfassungsrechtlich möglich noch wird, und hier und heute der Versuch, mittels einer für politisch sinnvoll. Die verfassungsrechtlich ga- Petition eine Bundesfinanzierung zu erreichen. rantierte Selbstverwaltung der Gemeinden darf (Beifall des Abg. Dr. Rumpf [FDP]) ebensowenig in Frage gestellt werden wie die Auto- nomie der freien Wohlfahrtsverbände. Für uns Liberale ist es überhaupt keine Frage, daß Frauenhäuser leider als Zufluchtsstätten für (Zuruf der Abg. Frau Blunck [SPD]) mißhandelte Frauen und ihre Kinder notwendige Nach Meinung der FDP kann der Weg daher nur soziale Einrichtungen sind. sein: Hilfe in Fällen der sozialen Not ist Aufgabe (Abg. Mann [GRÜNE] meldet sich zu einer der kommunalen Selbstverwaltung. Häufig sind die Zwischenfrage) Kommunen nach dem Bundessozialhilfegesetz — Wollen Sie? Bitte. (Ströbele [GRÜNE]: Nehmen Sie denen noch das Geld?) Vizepräsident Frau Renger: Sie lassen die Frage in diesen Fällen zur Hilfe verpflichtet. Außerordent- zu? lich wichtig ist bei alldem eine gemeinsame Ver- ständigung über die Finanzierungsmöglichkeiten nach dem Bundessozialhilfegesetz. In diesem Zu- Frau Dr. Segall (FDP): Ja, ja. sammenhang können die vom Bundesminister für - Jugend, Familie und Gesundheit entwickelten Vor- Vizepräsident Frau Renger: Es ist halb zehn. schläge zur Auslegung des Bundessozialhilfegeset- Bitte. zes vor allem über die Kostenvereinbarung gemäß § 93 Abs. 2 BSHG von außerordentlichem Nutzen Mann (GRÜNE): Frau Kollegin, sind Sie bereit, sein. zur Kenntnis zu nehmen, daß es um eine Petition Lassen Sie mich zum Abschluß noch etwas zur geht, die hier zur Diskussion steht, und daß diese Argumentation der Vertreter einiger autonomer Petition im Bundestag länger als der Gesetzentwurf Frauenhäuser sagen. Sicher ist richtig, daß Gewalt der Fraktion DIE GRÜNEN anhängig ist? an Frauen und Kindern ein gesellschaftliches Pro- blem ist. Die Argumentation, daß die Mißhandlung Frau Dr. Segall (FDP): Okay. Dafür bin ich noch der Frauen und Kinder wegen des gesellschaftli- nicht lange genug hier. Das habe ich nicht so genau chen Phänomens der Gewalttätigkeit kein Tatbe- beachtet. Aber es gibt jedenfalls den Versuch, ein- stand für das Bundessozialhilfegesetz sein dürfe, ist mal auf diesem Weg und, wenn es auf dem einen meines Erachtens nicht schlüssig. Entscheidend ist, Weg nicht geht, auf dem anderen Weg eine Finan- daß die Finanzierung der Frauenhäuser sicherge- zierung zu erreichen. stellt wird. Das Bundessozialhilfegesetz kann dazu eine weitere Grundlage sein. Behauptungen, wo- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — nach Gegnern der Finanzierung von Frauenhäu- Schlottmann [CDU/CSU]: Spielt keine Rol sern unterstellt wird, sie betrieben eine Strategie le! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU) der Verharmlosung der Gewalt gegen Frauen, kann Wir waren jetzt bei dem traurigen Sachverhalt, nicht entschieden genug entgegengetreten werden. daß Frauenhäuser eine Notwendigkeit sind. Er- Wir werden die weitere Entwicklung der finan- kennt man diese Notwendigkeit der Frauenhäuser ziellen Absicherung der Frauenhäuser kritisch be- an — worüber wir uns gerade am Mittwoch im Aus- obachten. schuß weitgehend einig waren —, bleibt immer noch das Problem der Finanzierung. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Den von den Petenten zur Sicherstellung der Fi- nanzierung vorgesehenen Weg, ein Bundesgesetz Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat Herr Ab- zu erlassen, halten wir für ebenso falsch wie die geordneter Kühbacher. Stiftungsidee. (Schlottmann [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Kühbacher (SPD): Frau Präsident! Verehrte Kolle- Gegen den Erlaß eines solchen Bundesgesetzes ha- ginnen und Kollegen, die sich zu dieser späten ben sich neben den kommunalen Spitzenverbänden Stunde noch mit diesem Thema beschäftigen! Ich und etlichen Wohlfahrtsverbänden alle Länder mit möchte meiner Vorrednerin eine Frage stellen. Ausnahme des Landes Hessen ausgesprochen. Al- Wenn sie von dem traurigen Tatbestand der Not- lein aus diesem pragmatischen Grund hat ein Bun- wendigkeit des Bestandes von Frauenhäusern desgesetz zur Finanzierung von Frauenhäusern spricht und gleichzeitig sagt: „Wir werden die wei- keinerlei Aussicht auf Erfolg. Dem Erlaß eines sol tere Entwicklung der finanziellen Absicherung kri- 13832 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985

Kühbacher tisch beobachten", dann möchte ich einmal wissen, von selbst, wissend, daß die Frauenhäuser dabei wo ihre Absichten wirklich liegen: Stück für Stück kaputtgehen. (Frau Blunck [SPD]: Richtig!) (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Dolata [CDU/CSU]: Das stimmt doch bei dem kritischen Beobachten des langsamen nicht!) Schließens und Kaputtgehens von Frauenhäusern — Doch, darum geht es. Es geht um die Absiche- (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) rung der Existenz aller jetzt bestehenden Frauen- häuser. oder bei der Tatsache, daß der Bund die sehr kom- (Dolata [CDU/CSU]: Schauen Sie sich doch fortable Ausrede gebraucht, daß er hier vielleicht einmal die Häuser an! Welche gehen denn verfassungsrechtlich nicht zuständig sei kaputt?) (Mann [GRÜNE]: Treffend formuliert!) — Herr Dolata, das finde ich interessant. Ich möchte Sie persönlich bitten, Ihrem Sozialsenator oder daß es, wie Sie es begründen, im Bundesrat Fink in Berlin zu folgen. Der ist auf dem richtigen Schwierigkeiten geben könnte, wenn sich der Bund Weg. in eine Rahmengesetzgebung hineinbegäbe? Mit dieser komfortablen Ausrede versucht die FDP hier (Dolata [CDU/CSU]: Eben! Wir haben in deutlich zu machen, daß man sich dem Thema, Herr zwischen mehr Frauenhäuser als Sie!) Dr. Rumpf, nicht zuwenden will. — Ich bestreite doch gar nicht, daß es in Berlin nicht schlecht läuft. Worum es mir geht, ist, deutlich Worum geht es denn bei der Petition? Bei der zu machen, daß wir überall in der Bundesrepublik Petition geht es darum, daß die Frauenhäuser in ganz unterschiedliche Startchancen haben. ihrem Bestand gesichert werden. 12 000 Frauen sa- gen, sie brauchten diese Frauenhäuser, wir im Par- (Dr. Göhner [CDU/CSU]: Dann entlassen lament sollten nicht immer nur den Mund voll neh- Sie doch die Länder aus der Pflicht!) men, sondern auch etwas tun. Da gibt es Männer, die so argumentieren,- die es so (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — sehen und die Mehrheiten haben, und es gibt So- Abg. Frau Blunck [SPD]: Richtig!) zialsenatoren wie in Berlin, die sich darum küm- mern. Ich spreche Herrn Fink seine Erfolge über- Die Sache wird in den Ausschüssen beraten, und haupt nicht ab. Worum es uns geht, Herr Dolata, ist, zwar, wie ich eben diesem Beitrag entnehme, nicht daß solche positiven Verhältnisse bundesweit mit gutem Erfolg. Ich werde bei dem Lesen der gan- durchgesetzt werden zen Unterlagen dazu den Eindruck nicht los, daß (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — sich einige Männer — ich sage das ganz bewußt —, Dolata [CDU/CSU]: Es müssen doch die einige wohlbestallte Beamte im Ministerium, eine Voraussetzungen geschaffen werden!) Meinung gebildet haben, von der sie nicht mehr herunterwollen. — j a, natürlich —, auch gegen Widerstände in den Kommunen, gegen Widerstände in den Ländern (Schlottmann [CDU/CSU]: Unterstellung! (Dolata [CDU/CSU]: Gegen die Wider Unsachliche Unterstellung!) stände in den Häusern!) — Das ist keine unsachliche Unterstellung, Herr und gegen die Grundvorbehalte bei den Männern, Schlottmann. daß es so etwas eigentlich gar nicht geben könne, weil es nicht sein dürfe. Das genau ist es doch: Man (Schlottmann [CDU/CSU]: Aber selbstver will nämlich im Innersten nicht zugeben, daß es ständlich! Sie kennen doch die Akten!) Gewalt gegen Frauen in der Familie gibt. Ich wünschte mir, daß zur Behandlung dieser Peti- (Dolata [CDU/CSU]: Das ist doch nicht tion sowohl Frau Karwatzki als auch Frau Ministe- wahr!) rin Süssmuth ihre Position darlegen. Ich hätte es — Ja, natürlich, solche Vorbehalte haben wir doch mir gewünscht, daß im Haushaltsausschuß, als wir alle zu überwinden gehabt das Thema diskutiert haben, nicht der Staatssekre- tär Chory argumentiert hätte, sehr weich, wie ich (Dolata [CDU/CSU]: Vor zehn Jahren viel zugebe, und etwas unbestimmt, aber am Ende doch leicht!) beharrend: Der Bund möchte am liebsten damit — das mag so sein —, die wir in den Kommunen die nichts zu tun haben. Finanzierung von Frauenhäusern durchsetzen woll- ten. Den gleichen Widerstand finden wir heute nach (Schlottmann [CDU/CSU]: Was Sie verlan wie vor in dem Ministerium, das dafür zuständig gen, ist gestern im zuständigen Ausschuß wäre. geschehen!) (Dolata [CDU/CSU]: Stimmt nicht! — Dr. — Dort ist genauso entschieden worden, wie es im Rumpf [FDP]: Wir sind für Frauenhäuser!) Haushaltsausschuß bereits anklang. Herr Schlott- mann, es geht uns hier eben darum, daß dieses — Natürlich. — Thema von Ihnen weich heruntergefahren wird, so (Dolata [CDU/CSU]: Fragen Sie die Kolle nach dem Motto, das alles regele sich unten vor Ort gen, die gestern im Ausschuß waren!) Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13833

Kühbacher Wir würden es durchsetzen. zeption zur Finanzierung der Frauenhäuser zu ent- Das, worum es hier geht, Herr Dolata, ist doch der wickeln. Antrag, nämlich die Mitverantwortung des Bundes (Mann [GRÜNE]: Lenken Sie nicht von parlamentarisch festzustellen und dem Bundesmi- Ihren eigenen Fehlern ab! — Zurufe von nister für Jugend, Familie und Gesundheit eine Mit- der SPD) verantwortung bei der Lösung dieser Frage zuzu- weisen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Län- (Dr. Göhner [CDU/CSU]: Sie entlassen die der haben in der Regel Programme zur Finanzie- Länder aus ihrer Verantwortung!) rung der Frauenhäuser entwickelt, mit denen sie die Einrichtungen in besonderem Maße fördern. Um nichts anderes habe ich im Haushaltsausschuß Die Gemeinden tragen insbesondere die laufenden gefochten, um zu erreichen, daß wir den Fuß in die Kosten nach dem BSHG, vielfach aber auch — als Tür für eine Bundeskompetenz bekommen. Das ist, freiwillige Leistungen — die Kosten der Einrich- wie ich zugebe, leider mit 13 : 12 Stimmen zwar tung, der Renovierung sowie die Kosten für größere schön kommod und weich, aber endgültig abgelehnt Reparaturen. worden. Das, was hier heute abend passiert, ist doch, daß die hier anwesenden Damen — ich hoffe, (Dr. Göhner [CDU/CSU]: Sehr wahr!) sie enthalten sich zumindest der Stimme — ge- In der gestrigen Sitzung des Ausschusses ist das nauso gedrückt werden nach dem Motto: Der Bund sehr deutlich gemacht worden, insbesondere durch möchte mit diesem unangenehmen Thema vor 1987 einen Bericht der Bundesregierung. hier nicht mehr behelligt werden. Ich bitte Sie, die Entschließung der GRÜNEN, Gegen ein Bundesgesetz zur Finanzierung — das nämlich den Minister für Jugend, Familie und Ge- ist soeben schon von meiner Kollegin von der FDP sundheit aufzufordern, sich dieses Themas, insbe- gesagt worden — haben sich alle Bundesländer sondere der notleidenden Frauenhäuser, anzuneh- (Dr. Göhner [CDU/CSU]: Hört! Hört!) men, zu unterstützen und nicht dagegen zu stim- men. mit Ausnahme von Hessen ausgesprochen. (Dr. Göhner [CDU/CSU]: Sagen Sie das (Dr. Göhner [CDU/CSU]: Auch Herr Rau!) Nordrhein-Westfalen, Herrn Rau!) Herr Kollege Göhner, Sie werden doch jetzt dage- Außerdem haben sich der Deutsche Städtetag, der gen argumentieren. Wenn sich Ihre Damen, Ihre Deutsche Landkreistag, die Bundesarbeitsgemein- Kolleginnen, hier der Stimme enthalten, werden schaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe und wir die Bundesregierung zwingen, sich zu ihrer Ver- der Deutsche Verein für öffentliche und private antwortung zu bekennen — und das nicht erst nach Fürsorge dagegen ausgesprochen, also Herr Kühba- 1987, sondern heute. Darum bitte ich. cher, nicht etwa einige Herren im Ministerium oder der CDU/CSU-Fraktion. Sie versuchten j a, hier (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) noch einen Gegensatz zwischen Kolleginnen und Kollegen aufzutun. Das dürfte Ihnen nicht gelingen, das ist vorbei, das sind alte Zöpfe. Damit hier im Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Herr Parlament zu agieren halte ich für falsch. Abgeordnete Schlottmann. (Beifall bei der CDU/CSU)

Schlottmann (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine CDU/CSU und Bundesregierung sind also der sehr verehrten Damen und Herren! Die Finanzie- Auffassung, daß die Finanzierung der Frauenhäu- rung der Frauenhäuser ist für die CDU/CSU ein- ser über das geltende Finanzierungskonzept in der deutig geregelt. Aufgabenteilung zwischen Ländern und Gemein- den und den freien Trägern, insbesondere nach (Ströbele [GRÜNE]: Aha!) dem BSHG und seiner Individualförderung, eine Zuständig sind Bundesländer und Kommunen. sinnvolle Grundlage darstellt, (Dr. Möller [CDU/CSU]: Die machen es (Frau Blunck [SPD]: Wissen Sie eigentlich, auch!) was das bedeutet?) Herr Kollege Kühbacher, ich habe soeben bei Ihren Ausführungen — ich bleibe sachlich — die Konzep- die allerdings, meine verehrte Kollegin, entwick- tion Ihrer Fraktion vermißt. Gestern wurden im zu- lungsfähig ist; das geben wir zu. Auch ein Sofort- ständigen Ausschuß, in dem wir dieses Thema be- programm, heute hier geplant, auch von der SPD handelt haben, von Ihrer Fraktion ganz andere schon angesprochen, wird von uns abgelehnt, weil Überlegungen angestellt, z. B. die bezüglich eines verfassungsrechtliche Bedenken dagegen sprechen. Bundesgesetzes. Sie wollen jetzt also eine Art Stif- Die SPD wäre besser beraten tung oder ein Sonderprogramm. Sie haben mit ei- (Zuruf von SPD) ner Million DM — Sie wissen genau, daß damit

nicht viel anzufangen ist, daß das quasi der Tropfen — hören Sie gut zu, ich empfehle Ihnen das —, auf den heißen Stein sein dürfte — im Ausschuß wenn sie sich in den einzelnen Bundesländern hin- angefangen. Ich würde der SPD-Fraktion empfeh- sichtlich der dortigen Situation von Frauenhäusern len, hier einmal zu Potte zu kommen und eine Kon- sachkundig machte und dort gegebenenfalls Sofort- 13834 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 Schlottmann programme beantragte, so beispielsweise bei Herrn SPD unterstützt wird, lehnen wir aus sachlichen Rau in Nordrhein-Westfalen. Gründen selbstverständlich ab. (Dr. Göhner [CDU/CSU]: Wo ist der über Ich bedanke mich. haupt! Der ist gar nicht hier!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Gehen Sie einmal hin. Sie werden dort Programme Ströbele [GRÜNE]: Ungeheuerlich!) vorfinden, die laufen. Man wird Ihnen deutlich ma- chen, daß Ihre Vorstellungen in dem Land über- Vizepräsident Frau Renger: Ich schließe die Aus- haupt nicht nötig sind. sprache zu diesem Tagesordnungspunkt. Unsere Haltung ist klar. Die CDU/CSU-Fraktion Wir stimmen nunmehr über den Änderungsan- sieht in den Frauenhäusern notwendige Zuflucht- trag der GRÜNEN ab. Wer diesem Antrag zuzustim- stätten für mißhandelte Frauen und ihre Kinder. men wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — (Ströbele [GRÜNE]: Sie haben lange genug Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist gebraucht, bis Sie das gemerkt haben! Und abgelehnt. heute verweigern Sie das Geld!) (Zuruf von der SPD: Abgelehnt?) Wir danken an dieser Stelle insbesondere für den — Wir haben vorher schon durchgezählt, damit hervorragenden, vorbildlichen Einsatz vieler ehren- keine Schwierigkeiten entstehen. und hauptamtlicher Mitarbeiter in diesen Einrich- Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsaus- tungen. Das möchte ich hier einmal unterstreichen schusses auf Drucksache 10/4077 zuzustimmen und betonen. wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ge- (Beifall bei der CDU/CSU — Ströbele genprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußemp- [GRÜNE]: Für die Gratisarbeit! Die beuten fehlung des Petitionsausschusses ist angenommen. Sie ganz bewußt aus!) Wir stimmen jetzt noch über die Tagesordnungs- punkte 10 d bis 10 g ab. Wer den Beschlußempfeh- Als Voraussetzung für die notwendige längerfri- lungen des Petitionsausschusses auf den Druck- stige finanzielle Absicherung von Frauenhäusern sachen 10/4078 und 10/4395 bis 10/4397- zuzustim- sind Finanzierungsregelungen der Länder und Ge- men wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — meinden zu treffen, mit denen sichergestellt wird, Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Ent- daß die sachlich unvermeidbaren Betriebskosten, haltungen angenommen. d. h. insbesondere Personal- und Sachkosten, zu- sätzlich zu den laufenden Lebenshaltungskosten abgedeckt werden. Ein weiterer Weg für ein tragfä- Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf: higes Finanzierungskonzept sind die vom Bundes- a) Zweite und dritte Beratung des von den minister für Jugend, Familie und Gesundheit ent- Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP ein- wickelten Vorschläge zur Auslegung des BSHG, vor gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ä n- allem über Kostenvereinbarungen nach § 93 Abs. 2 derung des Gesetzes zur Durchführung der des Bundessozialhilfegesetzes, die er bereits im Verordnung (EWG) Nr. 3626/82 des Rates zur Jahre 1983 mit Ländern, kommunalen Spitzenver- Anwendung des Übereinkommens über den bänden, Fachverbänden und einem Großteil der internationalen Handel mit gefährdeten Ar- Frauenhäuser abgestimmt hat. ten freilebender Tiere und Pflanzen in der Die Frauenhausarbeit braucht über die Finanzie- Gemeinschaft rungsfragen hinaus laufend die öffentliche Ermuti- — Drucksache 10/4043 — gung und Unterstützung Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- (Kühbacher [SPD]: Die geben Sie, aber schusses für Ernährung, Landwirtschaft und kein Geld!) Forsten (10. Ausschuß) durch den Staat und die Gemeinden, durch politi- — Drucksache 10/4252 — sche Parteien und Parlamente sowie die Medien, Berichterstatter: wie ich meine, in besonderem Maße. Bund, Länder Abgeordneter Dr. Schmidt (Gellersen) und Gemeinden und die freien Verbände sind zu (Erste Beratung 165. Sitzung) bitten — das tue ich von dieser Stelle aus —, ihre Projektförderungen im Bereich der Frauenhausar- b) Zweite und dritte Beratung des von der Frak- beit einschließlich der Fortbildung von Mitarbeite- tion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs rinnen der Frauenhäuser fortzusetzen. eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EWG) Die CDU/CSU — das darf ich abschließend sagen Nr. 3626/82 des Rates zur Anwendung des — wird sich weiterhin mit der Lage der Frauenhäu- Übereinkommens über den internationalen ser und ihrer finanziellen Absicherung befassen Handel mit gefährdeten Arten freilebender (Ströbele [GRÜNE]: Geld brauchen sie, Tiere und Pflanzen in der Gemeinschaft keine Befassung!) — Drucksache 10/4041 — und deshalb die Bundesregierung bitten, bis zum Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- 30. Juni 1988 einen erneuten Erfahrungsbericht vor- schusses für Ernährung, Landwirtschaft und zulegen. Wir halten die Petition für erledigt. Den Forsten (10. Ausschuß) Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN, der von der — Drucksache 10/4252 — Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13835

Vizepräsident Frau Renger Berichterstatter: hinzuwirken, daß auch in den übrigen Ländern Abgeordneter Dr. Schmidt (Gellersen) beim Artenschutz nachgezogen wird. Die entspre- (Erste Beratung 165. Sitzung) chende Vorlage, die sogenannte Artenschutzno- velle, die das bisherige Gesetz verbessern soll, be- Der Ältestenrat schlägt die Gemeinsame Bera- findet sich bereits in der parlamentarischen Bera- tung der Punkte 11 a und 11 b und einen Beitrag bis tung zu fünf Minuten für jede Fraktion vor. Besteht Ein- verständnis? — Dann ist das so beschlossen. (Frau Blunck [SPD]: Und das lange!) Das Wort zur Berichterstattung wird nicht ge- und wird das nun in seiner Geltungsdauer zu ver- wünscht. längernde Durchführungsgesetz ablösen. Es ist kein Fehler, wenn man lange und gründlich über Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Ab- eine Sache berät, geordnete Herkenrath. (Frau Blunck [SPD]: Am Sankt-Nimmer leins-Tag!) (CDU/CSU): Frau Präsident! Meine Herkenrath die dann auch gut und von Dauer sein soll. sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben ge- rade die Überschrift des Gesetzes gehört. Die Frau (Senfft [GRÜNE]: Hoffentlich gilt das auch Präsidentin hat sie vorgetragen. Ich möchte Sie bit- für die Bundesfernstraßen!) ten, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen, da er not- Wir wollen das im nächsten Jahr zum Abschluß wendig ist. Das werde ich kurz begründen. bringen. Das Gesetz, das den internationalen Handel mit Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Her- gefährdeten, d. h. vom Aussterben bedrohten Arten ren, darf ich Sie bitten, dieser Gesetzesvorlage zu- freilebender Tiere und Pflanzen in der Europäi- zustimmen. schen Gemeinschaft regelt, ist bis zum 31. Dezem- ber 1985 befristet. Wenn der Bundestag jetzt nicht (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) handelt, gibt es ab 1. Januar 1986 keine gesetzliche Grundlage für die EG-Verordnung zu diesem The- Das Wort hat- Frau Ab- ma. Vizepräsident Frau Renger: geordnete Blunck. Der Schutz für gefährdete Arten von Pflanzen und Tieren, meine sehr verehrten Damen und Her- ren, beschäftigt Millionen unserer Mitbürger. Der Frau Blunck (SPD): Frau Präsidentin! Meine Da- normale Posteingang eines Bundestagsabgeordne- men und Herren! Es ist ein Skandal, daß wir uns ten macht das deutlich. Der Ausschuß für Ernäh- heute hier erneut mit einem Problem beschäftigen rung, Landwirtschaft und Forsten nimmt diese Auf- müssen, das wir bereits vor zwei Jahren als erledigt gabe sehr ernst und hat gründliche Beratungen ein- angesehen haben, und das alles nur, weil diese Bun- geleitet. Diese sollten nicht unter Zeitdruck stehen. desregierung ihrer Verpflichtung nicht nachgekom- Die Aufgabe muß sachgerecht und umfassend ge- men ist, bis September 1984, Herr Herkenrath, eine löst werden. Es müssen Beteiligte und Betroffene, umfassende Novellierung des Artenschutzes im Verbände, Institutionen, Organisationen und wis- Bundesnaturschutzgesetz vorzulegen. senschaftliche Disziplinen Gelegenheit haben, ihre Das Verhalten der Bundesregierung ist nicht nur Auffassung zu dieser weltweiten Aufgabe darzule- eine unglaubliche Mißachtung dieses Parlaments. gen. Das konnte in den vergangenen Wochen auf Es zeigt auch zugleich, welchen Stellenwert der Ar- Grund des umfassenden Arbeitsprogrammes unse- tenschutz bei dieser Regierung hat, nämlich gar res Fachausschusses noch nicht geschehen. keinen. So entstand aus der Mitte des Bundestages ein (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Initiativgesetzentwurf, der die Verlängerung der Geltungsdauer des derzeit gültigen Gesetzes zum Was in der Zwischenzeit einmal als Regierungsent- Ziel hat, unter Vorsitz von Herrn Dr. Schmidt (Gel- wurf aus den Schreibtischen hervorgekramt wurde, lersen). Das ist vernünftig und wird die sehr oft ist Gott sei Dank sehr schnell wieder in der Versen- emotional geführten Diskussionen versachlichen. kung verschwunden. Denn diese sogenannte Arten- schutznovelle war nichts anderes als gesetzlich ge- Schließlich muß auch festgestellt werden, daß das regelter Artentod. bisher gültige Gesetz, das sicher noch verbesse- rungswürdig ist — dazu wird sicher Frau Blunck Zwei Jahre lang ist die Bundesregierung untätig nachher noch einiges sagen —, schon für eine er- geblieben. Zwei Jahre lang hat sie Däumchen ge- folgreiche Verbesserung der Situation bei seltenen dreht. Jetzt stehen wir wieder einmal unter Zeit- Tieren und Pflanzen gesorgt hat. Denn eine allge- druck. meine Einfuhr gefährdeter Arten findet praktisch (Reddemann [CDU/CSU]: Waren Sie da nicht mehr statt, bei?) (Frau Blunck [SPD]: Das ist nicht richtig!) — Oh ja, um sicherzustellen, daß ab 1. Januar 1986 auch wenn das hier und da bezweifelt wird. Das kein rechtloser Zustand eintritt. Höhere Ansprüche öffentliche Bewußtsein jedenfalls ist geschärft. Die können j a an das vorliegende Gesetz nicht gestellt Bundesrepublik Deutschland ist gegenüber ande- werden. Die zahlreichen Ausnahmebestimmungen ren Ländern bei der Bemühung um Artenschutz im § 2 öffnen dem Mißbrauch Tür und Tor, was weit voraus. Es wird unsere Aufgabe sein, darauf inzwischen auch vielfach belegt ist. 13836 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985

Frau Blunck Wir Sozialdemokraten hatten daher im Ausschuß Gesetzentwurf, der tatsächlich Artenschutz bedeu- den Antrag gestellt, Ausnahmen von den Vermark- tet. tungsverboten nur im Einzelfall zu Forschungs- (Beifall bei der SPD) und Zuchtzwecken sowie für solche Exemplare zu- zulassen, die in Übereinstimmung mit dem Wa- Solange das nicht geschehen ist, muß sich die Re- shingtoner Artenschutzübereinkommen im Gel- gierung den Vorwurf gefallen lassen, daß sie sich tungsbereich der EWG-Verordnung gezüchtet oder mehr als Interessenvertreterin der einschlägigen durch Anbau gewonnen worden sind. Wir haben Industrie uns angesichts der Mehrheitsverhältnisse leider (Ströbele [GRÜNE]: Das ist von denen ja nicht durchsetzen können. So werden wir denn vor- bekannt!) erst weiterhin mit der Tatsache leben müssen, daß denn als Anwalt der von Ausrottung bedrohten trotz des angeblichen Importverbots vom Ausster- Tier- und Pflanzenwelt versteht. ben bedrohte Tiere und aus ihnen gewonnene Pro- dukte nach wie vor in unser Land kommen können (Beifall bei der SPD) und auch zum Verkauf angeboten werden. Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Ab- Die von den Tierschutzverbänden vorgelegten geordnete Bredehorn. Beweise sind eindeutig, und ich empfehle Ihnen, Herr Herkenrath, dringend, sich diese einmal zu- senden zu lassen; ich jedenfalls werde sie Ihnen Bredehorn (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolle- gerne zuschicken. ginnen und Kollegen! Verehrte Frau Blunck, Sie haben sich hier sehr aufgeregt. Ich muß sagen, im In einigen Ländern der Dritten Welt sind ganze Ausschuß haben wir uns ja sehr sachlich und sehr Banden darauf spezialisiert, geschützte Tierarten, verantwortungsvoll über diese Dinge unterhalten. beispielsweise Kaimane, Ozelote oder Fischotter, zu (Gansel [SPD]: Das wird die Tiere sehr be jagen, Tiere, die dann mit gefälschten Herkunftspa- ruhigen!) pieren ihren verschlungenen Weg zu deutschen Händlern finden. Es ist schon schlimm genug, daß Heute geht es darum, das jetzige Gesetz- um ein durch diese organisierte Wilderei ganze Tierbe- Jahr zu verlängern, damit die Rechtsgrundlagen stände praktisch ausgerottet werden; es werden zum Schutz freilebender Pflanzen und Tiere erhal- gleichzeitig aber auch natürliche Ökosysteme auf ten bleiben. Kosten der ohnehin schon ärmlichen Lebensbedin- Anfang nächsten Jahres werden wir im Ausschuß gungen der Menschen in diesen Regionen zerstört. sehr sorgfältig und sehr verantwortungsvoll die Ar- Wenn wir schon so regen Anteil an Hunger- und tenschutznovelle zum Bundesnaturschutzgesetz be- Naturkatastrophen in der Dritten Welt nehmen, raten. Wir brauchen dazu auch etwas Zeit, damit im sollten wir uns auch einmal die Frage stellen, ob Interesse der Natur etwas Vernünftiges dabei her- nicht wir selbst zu diesen Zuständen beitragen, weil auskommt. wir bei uns einen Markt für Tiere und Produkte Meine Damen und Herren, ich muß Ihnen sagen: zulassen, die bei uns nur als eitler Zierat dienen, in In Anbetracht der späten Stunde und insbesondere den betroffenen Ländern aber eine wichtige Funk- der Tatsache, daß alle unsere Kollegen aus dem tion im Naturhaushalt erfüllen. Ernährungsausschuß im Augenblick zusammen mit (Sehr richtig! bei den GRÜNEN) dem Minister eine friedvolle Weihnachtsfeier ha- ben, möchte ich für die FDP-Fraktion nur kurz er- Mit einem Importverbot allein, das zudem bei den klären: Wir stimmen diesem Gesetzentwurf zu. unterschiedlichen Verhältnissen in den EG-Staaten (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — leicht umgangen werden kann, ist die Ausrottung Ströbele [GRÜNE]: Tiere wollen auch bedrohter Tiere und Pflanzen nicht zu stoppen; nur Weihnachten feiern! — Gansel [SPD]: Es ein sofortiges Handelsverbot wie in den USA und in ist nicht nur zur späten Stunde, sondern den Niederlanden kann diese Tiere und Pflanzen auch höchste Zeit, Herr Kollege!) retten.

(Beifall bei der SPD) Vizepräsident Frau Renger: Nächster Redner ist der Herr Abgeordnete Senfft. Erst wenn mit ihnen kein Geschäft mehr zu ma- chen ist, sind sie vor der Ausrottung sicher. Wer vor dieser bitteren Tatsache die Augen verschließt, Senfft (GRÜNE): Frau Präsidentin! Meine Damen macht sich mitschuldig an der Zerstörung der Na- und Herren! Dieser Tagesordnungspunkt ist ein tur und ihrer Vielfalt, macht sich mitschuldig an der weiteres Armutszeugnis für den Artenschutz in der Vernichtung der traditionellen Lebensgrundlagen Bundesrepublik, der Menschen in der Dritten Welt. (Beifall bei den GRÜNEN und der SPD) Wir Sozialdemokraten stimmen heute notgedrun- und er ist ein weiteres erschreckendes Beispiel für gen einer Verlängerung des derzeit geltenden Ge- die skrupellose Art und Weise, auf die sich die Bun- setzes bis zum 31. Dezember 1986 zu. Wir fordern desregierung über Beschlüsse dieses Parlaments aber gleichzeitig die Bundesregierung sehr nach- hinwegsetzt. drücklich auf, nun endlich den seit mehr als einem (Zustimmung der Abg. Frau Blunck Jahr überfälligen Gesetzentwurf vorzulegen, einen [SPD]) Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13837

Senfft Wir sollen heute die Verlängerung der Geltungs- Die bewährte Verschleppungstaktik wird Ihnen dauer eines Gesetzes beschließen, dessen Befri- jedoch nicht allzuviel nutzen. Wir werden unseren stung zum 31. Dezember 1985 hier vor zwei Jahren Novellierungsentwurf zum Bundesnaturschutzge- einstimmig beschlossen worden ist. Es geht um das setz im Januar in die parlamentarische Beratung EG-Gesetz zur Durchführung des Washingtoner Ar- bringen und werden Sie damit zwingen, sich der tenschutzübereinkommens in der Bundesrepublik, politischen Auseinandersetzung um die von Ihnen um ein Gesetz, das schon bei seiner Verabschie- jahrelang verdrängten Elementarforderungen des dung von allen Fraktionen als unzureichend, als Natur- und Artenschutzes zu stellen. Das Thema vorläufig und als schleunigst ablösungsbedürftig bekommen Sie bis 1987 nicht vom Tisch. Wir wer- kritisiert worden ist. Es war der einhellige Wille die- den deshalb dafür sorgen, daß Ihnen diese Ausein- ses Bundestages, daß dieses Gesetz Anfang 1986 andersetzung nicht erspart bleibt. durch ein umfassend novelliertes und verbessertes Im übrigen wünsche ich Ihnen noch eine ange- Artenschutzrecht ersetzt werden sollte. Entspre- nehme Nachtruhe. chend wurde die Bundesregierung einstimmig auf- (Beifall bei den GRÜNEN) gefordert, bis September 1984 hierzu einen Gesetz- entwurf vorzulegen, und der Herr Staatssekretär von Geldern erklärte, die Bundesregierung habe da- Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Par- gegen auch nichts einzuwenden, denn genau dies lamentarische Staatssekretär von Geldern. habe sie ohnehin vor. Es mag sein, daß die Bundes- (Zurufe) regierung allerhand vorhatte. Tatsache jedoch ist, — Ja, auch das noch. Nur für drei Minuten; das hat daß ein solcher Entwurf zwei Jahre nach diesem er uns versprochen. Beschluß immer noch nicht vorliegt und daß wir heute nicht vor der Verabschiedung eines gründlich Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär beim Bun- verbesserten Artenschutzgesetzes stehen, sondern desminister für Ernährung, Landwirtschaft und im Gegenteil vor dem von Ihnen verschuldeten Forsten: Frau Präsidentin! Meine Damen und Her- Zwang, eigene Beschlüsse zur Makulatur erklären ren! Wir beraten hier eine Änderung des Gesetzes zu müssen. Wo ist der Kabinettsentwurf denn seit zur Durchführung der Verordnung des Rates zur seiner ersten Beratung im Bundesrat Anfang Juni Anwendung des Übereinkommens über den inter- geblieben? Was soll überhaupt diese ganze Ver- nationalen Handel mit gefährdeten Arten freileben- schleppungstaktik? Und vor allem, was soll das drei- der Tiere und Pflanzen in der Gemeinschaft. Wenn ste Ansinnen des BML, die Befristungsklausel er- man bedenkt, welchen Umfang heute Reisen, Han- satzlos zu streichen? Die Antwort ist einfach: Diese del, internationaler Transport innerhalb und über Bundesregierung möchte sich am liebsten ganz, völ- die Grenzen der Gemeinschaft hinaus angenom- lig aus der Affäre mogeln. Sie fürchtet eine weitere men haben, dann wird jedem klar, daß dies eine umweltpolitische Bauchlandung, weil sie weiß, daß schwierige Materie ist, die man nicht übers Knie der Kabinettsentwurf in seiner jetzigen Fassung brechen kann. Ich habe nur aus einem Grunde jetzt auf den geschlossenen Widerstand aller Umwelt-, noch um das Wort gebeten, und zwar deshalb, weil aller Natur- und aller Artenschutzverbände in der zwei Redner, nämlich Frau Kollegin Blunck und Bundesrepublik stoßen wird. Herr Kollege Senfft, hier Anwürfe gegen die Regie- (Beifall bei den GRÜNEN) rung erhoben haben, die völlig unberechtigt sind. Es Das ist der wahre Hintergrund. ist unterstellt worden, es gebe eine absichtliche Verzögerung. Nichts davon ist richtig. Ich bin eben Den von uns eingebrachten Alternativentwurf auch zitiert worden in der guten Absicht, die wir zur Änderung des Durchführungsgesetzes können haben, das Gesetz so schnell wie möglich über die Sie zwar heute für erledigt erklären lassen. Das Bühne zu bringen. Vielleicht wird die Verlängerung Problem mit den Ausnahmeregelungen des § 2 wä- um ein Jahr gar nicht voll in Anspruch genommen. ren Sie damit aber nicht los. Sie haben es geschafft, daß diese Schlupflöcher für jeden beliebigen Miß- Aber lassen Sie mich zur Versachlichung die Da- brauch der internationalen Artenschutzbestim- ten noch einmal nennen. Der Gesetzentwurf der mungen ein weiteres Jahr offengehalten werden. Bundesregierung ist am 24. Mai dieses Jahres dem Die Jäger, die Falkner, die Kadaverfetischisten, die Bundesrat zugeleitet worden. Es ist keine Rede da- Pelz- und die Tierhändler, die Delikatessenhändler, von, daß wir nicht tätig gewesen seien, daß wir die Betreiber aller Arten von Tiergefängnissen wer- Däumchen gedreht und nichts gemacht hätten. Der den Ihnen gewiß dankbar dafür sein. Aber, meine Gesetzentwurf ist im Mai zugeleitet worden. Am Damen und Herren, es gibt auch eine Vielzahl, eine 5. Juli dieses Jahres hat der Bundesrat seine Stel- breite Mehrheit verantwortungsbewußter Bürger, lungnahme abgegeben. Dann hat es eine Abstim- und diese Menschen, meine Damen und Herren von mung innerhalb der Bundesregierung über die Ge- der CDU/CSU und FDP, werden Sie im kommenden genäußerung gegeben, die jetzt abgeschlossen ist. Jahr sehr nachdrücklich daran erinnern, daß es kei- Wir werden voraussichtlich noch in diesem Monat nen wirksamen Artenschutz in der Bundesrepublik Dezember das Kabinett abschließend damit befas- geben kann, solange die sogenannten Vorerwerbs- sen. Dann kann der Deutsche Bundestag seine Ent- und Zuchtexemplare hochgradig gefährdeter Arten scheidung treffen. von den Vermarktungsverboten des EG-Rechts aus- Ich möchte in aller Form dagegen Stellung neh- genommen bleiben. Sie werden fordern, daß unter men, daß hier behauptet worden ist, wir handelten diesen Ausnahmefilz endlich ein Schlußstrich gezo- auf dem Gebiet des Schutzes freilebender Tiere und gen wird. Pflanzen insbesondere in bezug auf den internatio- 13838 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985

Parl. Staatssekretär Dr. von Geldern nalen Handel, rückständig, nachlässig, verzögerlich. Gemeinschaften vom 5. März 1979, vom Tatsache ist, daß sich die Bundesrepublik Deutsch- 17. März 1980 und vom 15. Februar 1982 zur land auch heute schon im internationalen Maßstab Koordinierung börsenrechtlicher Vorschrif- auf diesem Gebiet durchaus sehen lassen kann, ten (Börsenzulassungs-Gesetz) (Abg. Gansel [SPD] meldet sich zu einer — Drucksache 10/4296 — Zwischenfrage) Das Wort dazu wird nicht erbeten. Interfraktio- daß wir die Absicht haben, diesen hohen Standard nell und gemäß einer Vereinbarung im Ältestenrat zu halten, daß alle dafür notwendigen Vorbereitun- wird vorgeschlagen, den Gesetzentwurf auf Druck- gen getroffen worden sind und daß der Zeitplan, in sache 10/4296 an den Finanzausschuß — zur feder- dem die endgültige gesetzliche Entscheidung ge- führenden Beratung — sowie an den Ausschuß für troffen werden kann, absehbar ist. Wirtschaft und den Rechtsausschuß — zur Mitbera- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. tung — zu überweisen. Werden weitere Vorschläge gemacht? — Das ist nicht der Fall. Dann ist so (Zustimmung bei der CDU/CSU — Gansel beschlossen. [SPD]: Frau Präsidentin, ich habe eine Frage an den Herrn Staatssekretär!) Ich rufe Punkt 13 der Tagesordnung auf: Zweite Beratung und Schlußabstimmung des Vizepräsident Frau Renger: Ich konnte den Herrn von der Bundesregierung eingebrachten Ent- Staatssekretär nicht mittendrin unterbrechen; er wurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen mußte erst einmal den Satz zu Ende bringen. — vom 10. Juni 1985 zwischen der Bundesrepu- Aber Sie haben Ihre Rede, wie ich sehe, schon been- blik Deutschland und der Volksrepublik det, Herr Staatssekretär. Danke schön. — Zwi- China zur Vermeidung der Doppelbesteue- schenfragen müssen zur rechten Zeit gestellt wer- rung auf dem Gebiet der Steuern vom Ein- den; die Ihre konnte nicht mehr dazwischen gescho- kommen und vom Vermögen ben werden. Es tut mir leid, Herr Gansel; ich konnte — Drucksache 10/3971 — den Redefluß nicht unterbinden, weil das ein zu- Beschlußempfehlung und Bericht- des Fi- sammenhängender Satz war. nanzausschusses (7. Ausschuß) (Zuruf von der CDU/CSU: Wir wollen den — Drucksache 10/4270 — Gansel-Schutz auch nicht übertreiben!) Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldun- Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Kreile gen liegen nicht vor. (Erste Beratung 168. Sitzung) Wir kommen zuerst zur Einzelberatung und Ab- Das Wort zur Aussprache wird nicht erbeten. stimmung über Tagesordnungspunkt 11 a, und zwar Wir kommen zur Schlußabstimmung. Ich rufe die über den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/ Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift auf. Wer CSU, der SPD und der FDP auf Drucksache 10/4043. dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift in bitte ich, sich zu erheben. — Gegenstimmen? — der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen ist das Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich Gesetz angenommen. um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltun- gen? — Bei einigen Enthaltungen angenommen. Wir treten in die Ich rufe Punkt 14 der Tagesordnung auf: dritte Beratung Zweite und dritte Beratung des von der Bun- ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte Ersten Rechtsbereinigungsgesetzes ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltun- gen? — Bei einigen Enthaltungen angenommen. — Drucksache 10/3290 — Wir kommen jetzt zur Abstimmung über Tages- Beschlußempfehlung und Bericht des Innen- ordnungspunkt 11 b. Der Ausschuß für Ernährung, ausschusses (4. Ausschuß) Landwirtschaft und Forsten empfiehlt auf Druck- — Drucksache 10/4373 — sache 10/4252 unter Nr. 2, den von der Fraktion DIE Berichterstatter: GRÜNEN eingebrachten Gesetzentwurf auf Druck- Abgeordnete Schröer (Mülheim) sache 10/4041 für erledigt zu erklären. Wer dem Mann zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Hand- Clemens zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen Dr. Hirsch einige Stimmen angenommen. (Erste Beratung 148. Sitzung) Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf: Das Wort zur Aussprache wird nicht erbeten. Erste Beratung des von der Bundesregierung Wir kommen zur Einzelberatung und Abstim- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur mung. Ich rufe die Art. 1 bis 38, Einleitung und Einführung eines neuen Marktabschnitts an Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den den Wertpapierbörsen und zur Durchführung aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, der Richtlinien des Rates der Europäischen den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13839

Vizepräsident Frau Renger — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen an- a) Beschlußempfehlung und Bericht des In- genommen. nenausschusses (4. Ausschuß) Wir treten in die — Drucksache 10/4422 — dritte Beratung Berichterstatter: Abgeordnete Broll ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Jaunich Gesetzentwurf im ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenstimme? — b) Bericht des Haushaltsausschusses Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen ist das (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Geschäfts- Gesetz angenommen. ordnung — Drucksache 10/4480 — Berichterstatter: Ich rufe Punkt 15 der Tagesordnung auf: Abgeordnete Kleinert (Marburg) Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Gerster (Mainz) desregierung eingebrachten Entwurfs eines Kühbacher Ersten Gesetzes zur Änderung des Spreng- Frau Traupe stoffgesetzes Frau Seiler-Albring — Drucksache 10/2621 — Die Berichterstatter wünschen nicht das Wort. Beschlußempfehlung und Bericht des Innen- Das Wort zur Aussprache wird ebenfalls nicht ausschusses (4. Ausschuß) erbeten. — Drucksache 10/4269 — Wir kommen zur Einzelberatung und Abstim- mung. Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Über- Berichterstatter: schrift auf. Abgeordnete Tietjen Clemens Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen Dr. Hirsch wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ge- genprobe! — Enthaltungen? — Bei einer Enthaltung (Erste Beratung 123. Sitzung) angenommen. Das Wort zur Aussprache wird nicht erbeten. Wir treten in die Wir kommen zur Einzelberatung und Abstim- dritte Beratung mung. Ich rufe die Art. 1 bis 5, Einleitung und Über- ein und kommen zur Schlußabstimmung. schrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufge- rufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den Wer dem Gesetzentwurf im ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegen- bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — stimmen? — Enthaltungen? — Bei einer Enthaltung Enthaltungen? — Gegen einige Stimmen angenom- angenommen. men. Wir treten in die Ich rufe Zusatzpunkt 5 der Tagesordnung auf: dritte Beratung Zweite Beratung und Schlußabstimmung des ein. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustim- von der Bundesregierung eingebrachten Ent- men wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — wurfs eines Gesetzes zu dem Dritten AKP- Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Bei einigen EWG-Abkommen von Lomé vom 8. Dezem- Gegenstimmen angenommen. ber 1984 sowie zu den mit diesem Abkommen Meine Damen und Herren, die Beschlußempfeh- in Zusammenhang stehenden Abkommen lung und der Bericht des Innenausschusses zu — Drucksache 10/3960 — Punkt 16 der Tagesordnung konnten erst gestern a) Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- verteilt werden. Ich gehe davon aus, daß von der wärtigen Ausschusses (3. Ausschuß) Frist für den Beginn der Beratung gemäß § 81 Abs. 1 der Geschäftsordnung abgewichen werden — Drucksache 10/4449 — soll. Ist das Haus damit einverstanden? — Erhebt Berichterstatter: sich kein Widerspruch? — Dann ist das sogar ein- Abgeordnete Dr. Pohlmeier stimmig — erforderlich ist nur die Mehrheit — be- Brück schlossen. Ertl b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- schuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Ich rufe sodann Punkt 16 der Tagesordnung auf: — Drucksache 10/4462 — Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP ein- Berichterstatter: Abgeordnete Esters gebrachten Entwurfs eines Neunten Geset- Borchert zes zur Änderung des Häftlingshilfegesetzes (9. HHÄndG) Keiner der Berichterstatter wünscht das Wort. — Drucksache 10/4220 — Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. 13840 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985

Vizepräsident Frau Renger Wir kommen zur Schlußabstimmung. Ich rufe das Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/4186, Gesetz mit seinen Artikeln 1 bis 3, Einleitung und der Veräußerung zuzustimmen. Überschrift auf. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ge- wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegen- genprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Gegen- probe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltun- stimmen ist das so angenommen. gen angenommen. Ich rufe Punkt 19 der Tagesordnung auf: Ich rufe die Punkte 17a und 17b der Tagesord- Beratung der Beschlußempfehlung des Haus- nung auf: haltsausschusses (8. Ausschuß ) zu der Unter- a) Erste Beratung des von den Abgeordneten richtung durch die Bundesregierung Gerster (Mainz), Doss, Frau Rönsch, Dr. Überplanmäßige Ausgabe bei Kap. 08 07 Tit. Geißler, Dr. Dregger, Dr. Waigel und der 63201 Fraktion der CDU/CSU, der Abgeordneten Schäfer (Mainz), Mischnick und der Fraktion —Verwaltungskostenerstattung an Länder der FDP, der Abgeordneten Tatge, Frau Hö- — Drucksachen 10/3962, 10/4187 — nes und der Fraktion DIE GRÜNEN sowie Berichterstatter: der Abgeordneten Delorme, Fischer (Ostho- Abgeordnete Frau Simonis fen) und Genossen eingebrachten Entwurfs Dr. Hackel eines ... Gesetzes zur Änderung des Grund- Kleinert (Marburg) gesetzes (Artikel 29 Abs. 7) Die Berichterstatter wünschen nicht das Wort. — Drucksache 10/4264 — Das Wort zur Aussprache wird ebenfalls nicht Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: erbeten. Rechtsausschuß (federführend) Innenausschuß Wir kommen zur Abstimmung über die Aus- b) Erste Beratung des von den Abgeordenten schußempfehlung auf Drucksache 10/4187, von der Gerster (Mainz), Doss, Frau Rönsch, Dr. Unterrichtung Kenntnis zu nehmen. Erhebt sich da- Geißler, Dr. Dregger, Dr. Waigel und der gegen Widerspruch? — Wir haben schon Kenntnis Fraktion der CDU/CSU, der Abgeordneten genommen. Schäfer (Mainz), Mischnick und der Fraktion (Heiterkeit bei der CDU/CSU) der FDP, der Abgeordenten Tatge, Frau Hö- nes und der Fraktion DIE GRÜNEN sowie der Abgeordneten Delorme, Fischer (Ostho- Ich rufe die Punkte 20 bis 22 der Tagesordnung fen) und Genossen eingebrachten Entwurf ei- auf: nes Gesetzes zur Änderung des Gesetzes 20. Beratung der Beschlußempfehlung und des über das Verfahren bei sonstigen Änderun- Berichts des Ausschusses für Ernährung, gen des Gebietsbestandes der Länder nach Landwirtschaft und Forsten (10. Ausschuß) Artikel 29 Abs. 7 des Grundgesetzes zu der Unterrichtung durch die Bundesregie- — Drucksache 10/4265 — rung Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Vorschlag einer Verordnung (EWG) des Ra- Innenausschuß (federführend) tes über den Abschluß der Abkommen in Rechtsausschuß Form von Briefwechseln zwischen der Euro- Das Wort wird nicht gewünscht. päischen Wirtschaftsgemeinschaft und Bar- bados, Belize, Fidschi, der Kooperativen Re- Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Gesetz- publik Guyana, der Republik Elfenbeinküste, entwürfe auf den Drucksachen 10/4264 und 10/4265 Jamaica, der Republik Kenia, der Volksre- an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus- publik Kongo, der Demokratischen Republik schüsse vor. Das Haus ist damit einverstanden, da Madagaskar, der Republik Malawi, Mauriti- sich kein Widerspruch erhebt. — us, der Republik Surinam, St. Christoph und Nevis, dem Königreich Swasiland, der Verei- Ich rufe Punkt 18 der Tagesordnung auf: nigten Republik Tansania, Trinidad und To- bago, der Republik Uganda und der Republik Beratung der Beschlußempfehlung des Haus- Zimbabwe sowie mit der Republik Indien haltsausschusses (8. Ausschuß) zu dem An- über die Garantiepreise für Rohrzucker für trag des Bundesministers der Finanzen den Lieferzeitraum 1985/86 Veräußerung eines bundeseigenen Grund- — Drucksachen 10/3275 Nr. 8, 10/4192 — stücks in Bonn Berichterstatter: — Drucksachen 10/4028, 10/4186 — Abgeordneter Hornung Berichterstatter: 21. Beratung der Beschlußempfehlung und des Abgeordnete Frau Simonis Berichts des Ausschusses für Ernährung, Dr. Hackel Landwirtschaft und Forsten (10. Ausschuß) Kleinert (Marburg) zu der Unterrichtung durch die Bundesregie- Auch hier wird das Wort nicht erbeten. rung Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13841

Vizepräsident Frau Renger Vorschlag einer Verordnung (EWG) des Ra- (9. Ausschuß) zu der Verordnung der Bundes- tes zur Einführung einer zweiten zeitweili- regierung gen Maßnahme — in Abweichung von der Zustimmungsbedürftige Verordnung zur Än- Verordnung (EWG) Nr. 171/83 — betreffend derung des Deutschen Teil-Zolltarifs (Nr. Beifänge bei der Fischerei auf Stintdorsch in 6/85 — Zollkontingent für Spezialwalzdraht der Nordsee — 2. Halbjahr 1985) — Drucksachen 10/3788 Nr. 23, 10/4251 — — Drucksachen 10/3922, 10/4278 — Berichterstatterin: Berichterstatter: Abgeordnete Frau Blunck Abgeordneter Auhagen 22. Beratung der Beschlußempfehlung und des 25. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Berichts des Ausschusses für Wirtschaft Landwirtschaft und Forsten (10. Ausschuß) (9. Ausschuß) zu der Verordnung der Bundes- zu der Unterrichtung durch die Bundesregie- regierung rung Vorschlag einer Verordnung (EWG) des Ra- Aufhebbare Verordnung zur Änderung des (Nr. 5/85 — Erhö- tes über bestimmte Maßnahmen zur Erleich- Deutschen Teil-Zolltarifs hung des Zollkontingents 1985 für Bananen) terung von Fischereitätigkeiten für wissen- schaftliche Untersuchungszwecke — Drucksachen 10/3970, 10/4279 — — Drucksachen 10/3788 Nr. 25, 10/4193 — Berichterstatter: Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Mitzscherling Abgeordneter Eigen Auch hier wird das Wort nicht erbeten. Das Wort wird nicht erbeten. Wir kommen zur Abstimmung. Wer den Be- Die Beschlußempfehlungen sind im Ausschuß schlußempfehlungen des Ausschusses für Wirt- einvernehmlich verabschiedet worden. Ich lasse schaft zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein über die Vorlagen gemeinsam abstimnmen. Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen sind die Beschlußempfeh- Wer den Beschlußempfehlungen auf den Druck- lungen angenommen. sachen 10/4192, 10/4251 und 10/4193 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ge- genprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthal- Ich rufe den Zusatzpunkt 6 der Tagesordnung tungen angenommen. auf: Beratung der Beschlußempfehlung des Aus- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf: schusses für Wahlprüfung, Immunität und Beratung der Beschlußempfehlung und des Geschäftsordnung (1. Ausschuß) Berichts des Finanzausschusses (7. Aus- Aufhebung der Immunität von Mitgliedern schuß) zu der Unterrichtung durch die Bun- des Deutschen Bundestages desregierung — Drucksache 10/4408 — Vorschlag eines Beschlusses des Rates zur Ermächtigung der Kommission, im Rahmen Berichterstatter: des Neuen Gemeinschaftsinstruments Anlei- Abgeordneter Dr. Schwenk (Stade) hen zur Investitionsförderung in der Ge- Der Berichterstatter wünscht nicht das Wort. meinschaft aufzunehmen Auch die Aussprache wird nicht erbeten. — Drucksachen 10/3788 Nr. 46, 10/3827, Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses 10/4332 — auf Drucksache 10/4408 zuzustimmen wünscht, den Berichterstatter: bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Abgeordneter Dr. von Wartenberg Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen ist die Das Wort wird nicht erbeten. Beschlußempfehlung angenommen. Wer der Beschlußempfehlung des Finanzaus- Meine Damen und Herren, wir sind am Schluß schusses auf Drucksache 10/4332 zuzustimmen unserer heutigen Tagesordnung. wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ge- Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- genprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Gegen- destages auf morgen, Freitag, den 6. Dezember 1985 stimmen angenommen. — 9 Uhr? — 9 Uhr ein. Was, so spät? Vielen Dank. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 24 und 25 auf: Die Sitzung ist geschlossen. 24. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft (Schluß der Sitzung: 22.11 Uhr)

Berichtigung

178. Sitzung, Seite 13512 C, Zeile 14: Statt „auf" ist „auch" zu lesen.

Deutscher Bundestag - 10. Wahlperiode - 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13843*

Anlage zum Stenographischen Bericht

Anlage Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Liste der entschuldigten Abgeordneten Neumann (Bramsche) * 6. 12. Frau Pack 6. 12. Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Peter (Kassel) 6. 12. Rappe (Hildesheim) 6. 12. Dr. Ahrens* 6. 12. Reddemann* 6. 12. Antretter* 6. 12. Dr. Rumpf* 6. 12. Bastian 6. 12. Dr. Scheer* 6. 12. Berger* 5. 12. Schlatter 6. 12. Böhm (Melsungen) * 6. 12. Schmidt (München) * 6. 12. Brandt 5. 12. Schmidt (Wattenscheid) 6. 12. Büchner (Speyer) 6. 12. Schröder (Hannover) 6. 12. Dr. Corterier** 6. 12. Schulte (Unna) * 6. 12. Frau Eid 6. 12. Dr. Soell 5. 12. Dr. Enders* 6. 12. Dr. Freiherr Spies von Büllesheim* 6. 12. Frau Fischer* 6. 12. Frau Dr. Timm 5. 12. Gansel* 6. 12. Dr. Todenhöfer 6. 12. Haase (Fürth) * 6. 12. Dr. Unland* 6. 12. Freiherr Heereman von Zuydtwyck 6. 12. Verheugen 6. 12. Dr. Holtz* 6. 12. Vogt (Düren) 5. 12. Immer (Altenkirchen) 6. 12. Voigt (Sonthofen) 6. 12. Jäger (Wangen) * 5. 12. Werner (Dierstorf) 6. 12. Junghans 6. 12. Werner (Westerland) 5. 12. Kittelmann* 6. 12. Frau Dr. Wex 6. 12. Dr. Klejdzinski* 6. 12. Dr. Wulff* 6. 12. Klose 6. 12. Zierer* 6. 12. Lenzer* 6. 12. Frau Dr. Lepsius 6. 12. Frau Luuk 6. 12. * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Dr. Müller* 5. 12. ** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Ver- Nagel 6. 12. sammlung