Viva-Moderatorin Gülcan Karahanci

20 9/2003 KulturSPIEGEL Türkischer Honig Musik vom soll der Poptrend des Herbstes werden. Der Sänger Mustafa Sandal macht nun den Anfang.

VON CHRISTOPH DALLACH FOTOS: PAUL SCHIRNHOFER

en Plan, die Welt zu erobern, entwarf In der Türkei ist Mustafa Sandal, 33, von Fans Mustafa Sandal vor drei Jahren. Er rollte „Musti“ genannt, längst ein Star. Einer von de- Din einem Auto-Konvoi durch die Istan- nen, die schon mal Aufläufe von kreischenden buler Nacht, hupte, brüllte, sang und schwenk- Mädchen verursachen und der mehr als zehn te eine Fahne des Fußballclubs Galatasaray Millionen Tonträger verkauft hat. Er strahlt vor . Der Verein hatte an jenem Tag sensa- Selbstbewusstsein und verkündet sehr ernst: „Ich tionell das Endspiel um den Uefa-Cup gegen die habe die Erfahrung und Bereitschaft, ein inter- vermeintlich unbezwingbaren Superstars von Ar- nationaler Star, so wie Ricky Martin, zu werden. senal London gewonnen: „Ich bin nicht mal Fan Mein Herz sagt mir, dass es losgehen kann.“ der Mannschaft, mein Team sind die Jungs von Und es ist losgegangen: Sandal hat sich in den Be≠ikta≠ Istanbul, aber in jener Nacht waren alle vergangenen Wochen durch TV-Shows wie den Türken Galatasaray-Fans. Vielen dämmerte erst- „Fernsehgarten“ bis hin zum Talentspektakel mals, dass wir es mit Mut und Entschlossenheit „Star Search“ geackert. „Aya benzer 2003“, sei- in der Welt zu etwas bringen können.“ ne erste Single für den deutschen Markt, ist

KulturSPIEGEL 9/2003 21 „Eine türkische Melodie setzt sich sanft in deinem Ohr fest und küsst zärtlich deine Sinne.“

gleich in den hiesigen Verkaufscharts gelandet. gangenen Jahre und blieb bei Sandals „Aya benzer“ hängen. Der war von Die Nummer, eine so elegante wie eingängige der Idee, seinen Hit in Deutschland neu herauszubringen, sofort begeistert Popmelodie, die das Zeug zum Spätsommer-Hit – „Ich habe das Lied bereits mehr als 150000-mal gesungen und mich noch hat, wurde in der Türkei vor Jahren zum Renner nie dabei gelangweilt, weil es so gut ist!“ Beim ersten Treffen mit dem Plat- und ging dort mehr als eine Million Mal weg. tenchef behauptete Sandal sogar, von dem Angebot bereits geträumt zu Auch für einen Erfolg in Deutschland stehen die haben. Zeichen günstig: Die Globalisierung der Popkul- Mit Sandal wird der Prototyp des massentauglichen türkischen Popstars nach tur hat den Orient interessant gemacht. In immer Deutschland importiert. Auf der Viva-Webseite wurde er, wohl aus Rücksicht mehr Straßencafés sieht man hier BWL-Studen- auf die Teenie-Fans, zum Mittzwanziger gemacht. Für den Westgeschmack ten an Wasserpfeifen nuckeln. In Hamburg star- ließ seine deutsche Plattenfirma die bewährte Nummer überarbeiten. Das tet im September die erste deutsch-türkische Kul- türkische Original sei „sehr relaxt, perfekt zum Kopfnicken“, sagt Sandal. tur-Show im Privatfernsehen. Bei der neuen Version ist die türkischstämmige Viva-Moderatorin Gülcan Das singende australische Fernseh-Sternchen Karahanci mit einer kleinen deutschsprachigen Rap-Einlage dabei; ein Holly Valance feierte mit „Kiss Kiss“, dem Re- dominanter Rhythmus lässt das Resultat nun schmissiger klingen. make des türkischen Hits, einen schönen Erfolg. Dabei sei das türkische Element natürlich erhalten geblieben, beteuert San- Und spätestens seit dem Triumph von Sertab dal, der am Umbau beteiligt war. „Eine türkische Melodie setzt sich sanft Erener beim diesjährigen Grand Prix Eurovision in deinem Ohr fest und küsst dann zärtlich deine Sinne“, erklärt er. ist auch die deutsche Musikindustrie hellhörig Damit sollen nun aber nicht nur neue deutsche Konsumenten geküsst geworden: Vielleicht lässt sich türkischer Pop werden, sondern auch die hier ansässige große türkische Gemeinde. Viele auch hier zu Lande verkaufen? kennen Sandals Song längst in der Originalversion. Deshalb wurde etwa in Bei der Traditionsfirma Polydor, Teil des Uni- Berlin-Kreuzberg offensiv plakatiert, schaltete die Plattenfirma Anzeigen versal-Konzerns, kam man bereits im Januar auf in der türkischen Zeitung „Hürriyet“ und fädelte eine Kooperation mit ei- die Türkei. Nach den Erfolgen von Pop-Exoten nem türkischen Internet-Portal ein. wie dem kubanischen Buena Vista Social Club, Von Stockholm bis Marokko hat Sandal schon Konzerte gegeben. Die Säle Latino-Stars wie und Enrique Iglesias waren ausverkauft, aber es kam immer nur die türkische Fangemeinde. Ein- und dem indischen Singsang von Panjabi MC, heimische, die sich zu seinen Shows verirrten, seien von befreundeten Tür- arbeitete sich der Geschäftsführer des Ladens ken mitgebracht worden, vermutet der Sänger. Auch in Deutschland ist San- durch einen Satz türkischer Bestseller der ver- dal regelmäßig unterwegs. Seine Alben sind, wie die anderer erfolgreicher

22 9/2003 KulturSPIEGEL Popsänger Sandal

Landsleute, überall zu haben: Türkische Händler der hat kaum eine Chance bei deutschen Labels: Für das Ausland klingt von Hamburg-Ottensen bis Köln-Ehrenfeld ver- er nicht türkisch genug. sorgen ihre Landsleute mit CDs und den in der Der erste Superstar der neuen Pop-Bewegung war die Sängerin und Song- Türkei noch sehr verbreiteten Kassetten. Deut- schreiberin . Der aktuelle Superstar ist der Sänger Tarkan. Er sche Großhändler wie Saturn oder Karstadt stat- ist in Deutschland erfolgreich, in Frankreich auch und in seiner Heimat ten sich immer umfangreicher mit Türkpop aus. ein Idol. Vor Fans, Trubel und Gerüchten um seine angebliche Homo- Was es dort nicht gibt, vertreibt der deutsch- sexualität floh er nach New York. türkische Internet-Händler Vaybee Shop. Auch Sandals Vita taugt für eine internationale Karriere: Er ist ein smar- In der Türkei ist die Popszene noch verhältnis- ter Oberschicht-Sonnyboy aus Istanbul, den seine Eltern mit elf Jahren auf mäßig jung. Bis in die siebziger Jahre hinein war ein Internat nach Genf schickten und dann zum Business-Studium nach Bos- die türkische Popmusik vor allem sehr tradi- ton. Mit 21 hatte er genug und kehrte gegen den Willen seiner Eltern in tionsverbunden. Die türkische Teilnehmerin am die Türkei zurück. Sehr schnell landete er in den „besten Studios von Schlager-Grand-Prix landete 1975 noch auf dem Istanbul“, erzählt Sandal, wo er den „besten Musikern der Szene“ zur Hand demütigenden letzten Platz. Die Wende kam, als ging, um nach ersten Erfolgen als Komponist 1994 sein sehr erfolgreiches in der Türkei in den Achtzigern der Clip-TV-Sen- Debütalbum zu produzieren. der MTV auf Sendung ging. Weltstars wie Mi- Demnächst will Sandal Songs für ein englischsprachiges Album aufnehmen. chael Jackson motivierten die Musiker und Fans „Aya benzer 2003“ gibt es bereits auf Englisch, der Refrain lautet: „Love des Landes, den Anschluss an den internationa- is like the moonlight“. Selbst Sandal findet, dass das irgendwie banal len Pop zu suchen. Obwohl nach dem Militär- klingt. Macht nichts. In der Türkei ist auch diese Version wieder ein Hit. putsch von 1980 zahlreiche Künstler ins Ausland geflohen waren, entstanden Ende der Achtziger CDs mit türkischem Pop: Mercan Dede: „Nar“, orientalische Rhythmen mit viele private Radiosender und schicke Clubs. Tür- Elektro- und Sufi-Elementen; Diverse: „East 2 West"; Baba Zula: „Üç oyun- kische Popmusiker fassten den Mut, neue Tech- dan onyedi müzik“ , experimentelle Musik (alle: Doublemoon/Sony); Özlem nik mit Orient und Tradition zu verbinden. Der Tekin: „Tek ba≠ima“, Rock; Tarkan: „Dudu“ (beide: Istanbul Plak/MP Me- Rhythmus einer frischen, eigenständigen Gene- dia); S¸ebnem Ferah: „Perdeler“ (Universal), Rock mit anatolischem Einfluss; ration war Indikator gesellschaftlicher Verände- Athena: „Her≠ey yolunda“ (Universal/MP Media), Oriental-Ska; Sezen Aksu: rung. Längst wird moderner Elektropop produ- „S¸arki söylemek lazim“ (DMC/MP Media). ziert wie zum Beispiel von Mercan Dede. Doch MITARBEIT: GÜVEN PURTUL

KulturSPIEGEL 9/2003 23