INFO 01/2011 SCHWERPUNKT Die Krise im Euroraum 3 VORDENKEN Programm für Europas Sozialdemokratie 17 MITWIRKEN Die Arbeitswelt im Wandel 24 TEILHABEN Integrationsprozesse erfolgreich gestalten 33

VERNETZEN Tunis: Neuanfang in einem befreiten Land 42  Dezember 2010 – Januar – FEBRUAR – März 2011

Inhalt Text­bei­tge FES-INFO 1/2011 in die­se Ausga­b

Me­rin Abbas­s­, Yas­e­m­in Ahi, Vas­y­l­ And­riy­ko, SCHWERPUNKT Jul­ia Bl­äs­ius­, Ste­phanie­ Böhm­, Matthe­s­ Tie­f­e­re­ Urs­ache­n d­e­r Kris­e­ Buhbe­, Joche­n Dahm­, Michae­l­ Daud­e­rs­täd­t, Makroökonom­is­che­ Ungl­e­ichge­wichte­ in d­e­r Euro-Zone­....3 Knut De­thl­e­f­s­e­n, Cl­aud­ia De­ts­ch, Sim­one­ Döbbe­l­in, Michae­l­ Ehrke­, Matthias­ Eis­e­l­, Sol­id­arität in Europa Ste­f­anie­ El­ie­s­, Rol­and­ Fe­icht, Michae­l­ Fis­che­r, Finanz­kris­e­ und­ d­ie­ Kons­e­que­nz­e­n Cl­aud­ia Fl­ohr, Al­ina Fuchs­, Pe­te­r Ge­y­, Martin f­ür d­ie­ Europäis­che­ Union...... 4 Gräf­e­, Se­rgio Gras­s­i, Raine­r Grie­s­, Björn Hacke­r, Mirko He­m­pe­l­, Fe­l­ix He­tt, Sil­ke­ Währungs­kris­e­ od­e­r Staats­s­chul­d­e­nkris­e­? Hil­l­e­s­he­im­, Kris­tina Höl­s­che­r, Katharina De­uts­ch-Franz­ös­is­che­ Sichtwe­is­e­n...... 7 Hof­m­ann, Pe­te­r Hurre­l­brink, He­inz­ Al­be­rt Das­ Schl­achte­n he­il­ige­r Kühe­ Huthm­ache­r, Jud­ith Il­l­e­rhue­s­, Le­na Jas­chob, Das­ Proje­kt e­ine­r EU-Ste­ue­r...... 14 Matthias­ Jobe­l­ius­, Frie­d­e­rike­ Kam­m­, We­rne­r Kam­ppe­te­r, Türkan Karakurt, Nicol­e­ Kats­ioul­is­, Chris­tian Ke­l­l­e­rm­ann, He­l­e­ne­ Gesellschaftliches Engagement�/ Kortl­änd­e­r, Es­z­te­r Kováts­, Je­ane­tte­ Lad­z­ik, SOZIALE DEMOKRATIE Sus­anne­ Langs­d­orf­, Chris­tina Laue­r, Ge­ro Chance­n und­ Stol­pe­rs­te­ine­ Maas­s­, Thom­as­ Mättig, Sim­one­ May­e­r, Michae­l­ Me­ie­r, Ral­f­ Me­l­z­e­r, Swe­tl­ana Ein ge­m­e­ins­am­e­s­ Program­m­ Michajl­owa, Irina Mohr, Nicol­e­ Ne­s­tl­e­r, Paul­ f­ür d­ie­ Soz­ial­d­e­m­okratie­ in Europa...... 17 Pas­ch, Al­e­xand­e­r Pe­trats­chkov, Ste­phan Gl­e­iche­ Re­chte­, gl­e­iche­ Chance­n, gl­e­iche­s­ Gl­ück? Re­iche­rt, Franz­is­ka Richte­r, Sus­anne­ Richte­r, 100 Jahre­ Inte­rnational­e­r Fraue­ntag ...... 22 Ste­f­anie­ Ricke­n, Hors­t Schm­id­t, Michae­l­ Schul­the­iß, Phil­ipp Schul­the­is­s­, Günthe­r Einz­igartige­r Ort d­e­r Be­ge­gnung Schul­tz­e­, Markus­ Schre­y­e­r, Thom­as­ FES be­im­ We­l­ts­oz­ial­f­orum­ 2011...... 23 Schwand­t, Be­y­han Se­ntürk, Se­bas­tian Spe­rl­ing, Karl­-He­inz­ Spie­ge­l­, Ste­phan WIRTSCHAFT, ARBEIT, SOZIALES Thal­hof­e­r, Yvonne­ The­m­ann, Danie­l­a Turß, Martin We­ine­rt, Fre­d­e­ric We­rne­r, Gaby­ Ve­ränd­e­runge­n al­s­ Druck Wittpohl­, Lothar Witte­ De­r Manage­rkre­is­ d­e­r FES übe­r d­ie­ Arbe­its­we­l­t im­ Wand­e­l­...... 24 Chance­n f­ür d­ie­ „Grüne­ Wirts­chaf­t“? Um­bau d­e­r Ind­us­trie­ge­s­e­l­l­s­chaf­t in Pol­e­n...... 29 Wachs­tum­ d­urch be­s­s­e­re­ Ve­rte­il­ung Wirts­chaf­ts­wachs­tum­ und­ Arm­uts­be­käm­pf­ung...... 30 impressum

INTEGRATION, BILDUNG, KULTUR He­raus­ge­be­r: Eins­tie­ge­ e­röf­f­ne­n Frie­d­rich-Ebe­rt-Stif­tung Inte­grations­proz­e­s­s­e­ e­rf­ol­gre­ich ge­s­tal­te­n...... 33 Kom­mu­nikation und­ Grund­s­atz­f­rage­n God­e­s­ber­ge­r Al­l­e­e­ 149 Probl­e­m­e­ s­ind­ l­ös­bar D-53175 Bonn Kom­m­unal­e­ Ve­rantwortung be­i d­e­r Te­l­e­f­on: 0228/883–0 Ge­s­und­he­its­ve­rs­orgung ...... 35 Inter­ne­t: www.f­e­s­.d­e­ Hat d­e­r öf­f­e­ntl­ich-re­chtl­iche­ Rund­f­unk Zukunf­t?...... 40 E-Mail­: pre­s­s­e­@f­e­s­.d­e­ Re­d­aktion: Pe­te­r Donais­ki, EUROPA UND DIE WELT Pre­s­s­e­s­te­l­l­e­ Be­rl­in Ne­uanf­ang in e­ine­m­ be­f­re­ite­n Land­ Hiro­shi­ma­straße­ 17, D-10785 Be­rl­in Te­l­e­f­on: 030/269 35–7038 Das­ FES-Büro in Tunis­...... 42 Te­l­e­f­ax: 030/269 35–9244 Fre­und­s­chaf­t in s­chwie­rige­n Ze­ite­n E-Mail­: pe­te­r.do­nais­ki@f­e­s­.d­e­ Pe­te­r Struck und­ Anke­ Fuchs­ in Is­rae­l­ und­ Pal­äs­tina ...... 48 Satz­, Lay­out, He­rs­te­l­l­ung: Sy­m­bol­ d­e­r Ve­rs­öhnung Pub­lix, H. Es­chen­bach, Be­rl­in 40. Jahre­s­tag von Wil­l­y­ Brand­ts­ Be­s­uch in Pol­e­n...... 50 Druck: Übe­rf­ord­e­rt und­ übe­rs­chätz­t? Brauns­chwe­ig Druck Gm­bH, Brauns­chwe­ig Pe­rs­pe­ktive­n d­e­r af­rikanis­che­n Siche­rhe­its­archite­ktur...... 60 Tite­l­ge­s­tal­tung: Wol­f­gang Rabe­, Be­rl­in Partne­rs­chaf­te­n ohne­ Be­d­e­utung Fotos­ auf­ d­e­n Se­ite­n 17, 24, 33 und­ 42: Die­ Strate­gis­che­n Partne­rs­chaf­te­n f­otol­ia.com­ d­e­r EU m­it Me­xiko und­ Bras­il­ie­n ...... 62 Printe­d­ in Ger­ma­ny­, Mai 2011 Ge­d­ruckt auf­ 90 g m­att ge­s­triche­n Publikationen ISSN 0942-1351ISSN 0942-1351 Ne­ue­ Publ­ikatione­n d­e­r FES...... 64

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DIE KRISE IM EURORAUM URSACHEN UND LöSUNgSMögLICHKEITEN

Im Jahre vier der globalen Finanzkrise schwelt sätze durchgespielt. Dabei wurde deutlich, dass dieser Flächenbrand im Euro-Raum als Staats- der vorherrschende Blick auf die Staatsschul- schuldenkrise weiter. Um Lösungen für die denproblematik und deren scheinbare Lösung Probleme immer höherer Schuldenlasten von allein über mehr Haushaltsdisziplin in die Irre Euro-Mitgliedsstaaten und um Alternativen zu führt. Im Kern handelt es sich bei der Krise um krisenverschärfenden Maßnahmen zu entwi- Probleme der europäischen Integration, die nur ckeln, hat die Abteilung Wirtschafts- und So- über „mehr Europa“, beispielsweise über ein hö- zialpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung in einer heres Maß wirtschaftlicher Koordinierung und Reihe von Tagungen, Fachgesprächen und Ana- Kooperation gelöst werden können. lysen verschiedene Diagnose- und Lösungsan-

TIEFERE URSACHEN DER KRISE Studie MAKROöKONOMISCHE UNgLEICHgEWICHTE IN DER EURO-ZONE Die Schuldenkrise wurde in kaum einem der eine Konsequenz von Überschuldungsprozessen Krisenländer durch eine unsolide Haushalts- bei den privaten Haushalten und den Banken. politik der Regierung verursacht. Allenfalls Die gesamtwirtschaftlichen Überschuldungs- für Griechenland trifft dies zu, da dort auch in probleme, wie sie jetzt in Irland und Spanien wirtschaftlich guten Zeiten zu wenig Steuern er- auftreten, sind daher kaum mit einer verschärf- hoben und zu viele Staatsausgaben getätigt wur- ten Überwachung und Sanktionierung von Bud- den. Dagegen hatten Irland und Spanien noch getdefi ziten und der Staatsverschuldung zu ver- vor Ausbruch der Krise eine äußerst dynamische hindern. Auch ein verschärfter Stabilitäts- und Wirtschaftsentwicklung und sogar Überschüsse Wachstumspakt, wie er auf dem jüngsten EU- im Staatshaushalt bei niedrigen und sinkenden Gipfel von den europäischen Staats- und Regie- Staatsschulden erzielt. Erst das Platzen der Bau- rungschefs beschlossen wurde, hätte die aktuelle und Immobilienblasen führte in diesen Ländern Krise nicht verhindern können. Die Ursachen der dazu, dass die Volkswirtschaften in eine tiefe Staatsschuldenkrise liegen vielmehr in den ma- Wirtschaftskrise stürzten und die öffentliche kroökonomischen Ungleichgewichten, die sich Hand mit hohen, schuldenfi nanzierten Staats- binnenwirtschaftlich in einer Überschuldung ausgaben den Anstieg der Arbeitslosigkeit be- der privaten Haushalte und Banken und außen- kämpfen und die überschuldeten Banken retten wirtschaftlich in einer zunehmenden Auslands- musste. So die Ergebnisse einer Studie von Prof. verschuldung der Krisenländer widerspiegeln. Dr. Sebastian Dullien von der Hochschule für Um zukünftig Schuldenkrisen in der Euro-Zone Technik und Wirtschaft Berlin, die er im Auftrag erst gar nicht entstehen zu lassen, muss daher der Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik er- das Problem makroökonomischer Ungleichge- stellt hat. wichte und das zunehmende wirtschaftliche Die steigende Staatsverschuldung stellt also Auseinanderdriften der Euro-Mitgliedsstaaten nicht die Ursache der gegenwärtigen Krise dar, angegangen werden. Hierfür bietet sich als ein sondern ist Folge anderweitiger wirtschaftspo- wirtschaftspolitisches Instrument beispielswei- litischer Fehlentwicklungen, allen voran ist sie se die Einführung eines außenwirtschaftlichen

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Stabilitätspaktes an, wie es Sebastian Dullien in M ehr zum T hema seiner FES-Studie vorgeschlägt, da dieser neben Sebastian Dullien: „Ungleichgewichte im Euro- der Staatsverschuldung auch die Verschuldung Raum: akuter Handlungsbedarf auch für Deutsch- der Banken und privaten Haushalte mitberück- land“, WISO Diskurs – sichtigt. http://library.fes.de/pdf-files/wiso/07696.pdf

Podiumsdiskussion Solidarität oder Konkurrenz F inanzkrise und die K onse q uenzen f ü r die E urop ä ische U nion

Wird Europa in Zukunft auf Solidarität oder auf die Europäische Union bei der demokratischen Konkurrenz basieren? Mit dieser Leitfrage be- Legitimierung von Entscheidungsprozessen zu- schäftigten sich die Teilnehmer einer Podiums- nehmend auf einer schiefen Ebene und warnte diskussion, die die Internationale Politikanalyse vor Fehlinterpretationen. So stellte der Luxem- der FES organisierte. Nur zwei Tage vor dem Gip- burger klar, dass es sich gegenwärtig nicht um feltreffen der Staats- und Regierungschefs der Eu- eine Krise des Euro, sondern um eine Überschul- ropäischen Union am 24. und 25. März diskutier- dungskrise der öffentlichen Haushalte handele. ten der SPD-Fraktionsvorsitzende Frank-Walter Für ein dringend benötigtes neues Wachstums- Steinmeier, der luxemburgische Außenminister modell in Europa mangele es nach Ansicht von Jean Asselborn und sein griechischer Amtskollege Frank-Walter Steinmeier in der von konserva- Gemeinsame Lage- beurteilung: Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn, der SPD- Fraktionsvorsitzende Frank-Walter Stein- meier und Griechen- lands Außenminister Dimitris Droutsas (v.r.n.l) bei der FES in Berlin. (Foto: Unger)

Dimitris Droutsas über die bevorstehenden Wei- tiven Regierungen dominierten EU jedoch an chenstellungen in Brüssel. Auf der Agenda stand Konzepten. Er kritisierte vor allem das Krisenma- neben dem so genannten Pakt für den Euro ins- nagement der schwarz-gelben Bundesregierung. besondere die Institutionalisierung eines dauer- Aufgrund „der emotional geführten Debatte über haften Rettungsschirms sowie dessen rechtliche eine so genannte Transferunion haben wir uns zu Verankerung auf der Agenda. Der Vorsitzende der lange Entscheidungen verweigert, die jetzt un- FES, Peter Struck, betonte in seiner Begrüßungs- ausweichlich geworden sind“, so Steinmeier. rede, dass jetzt auch die zentralen Geburtsfehler Die Schuldzuweisungen gegenüber der grie- von Maastricht korrigiert werden müssten und chischen Regierung haben nach Ansicht des SPD- neben der Währungsunion auch endlich eine Fraktionsvorsitzenden gleichzeitig den gesamt- politische Union verwirklicht werden sollte. europäischen Zusammenhalt in Frage gestellt. Die mangelnde Einbindung der nationalen Parla- Tatsächlich appellierte der griechische Außenmi- mente und des europäischen Parlaments im Vor- nister an die Solidarität der anderen Mitgliedslän- feld des Gipfels, wurde von dem stellvertretenden der, um die schmerzhaften Einsparmaßnahmen SPD-Fraktionsvorsitzenden und Europapolitiker gegenüber der eigenen Bevölkerung besser ver- Axel Schaefer kritisiert. Auch Jean Asselborn sieht mitteln zu können.

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Ungleichgewichte in Euroland Publikationen K eine Wachstumsimpulse we g en fehlender B innennachfra g e

Die Auffassung, Deutschland sei für die Krise in notwendigen Anpassungslasten sollten daher der Euro-Zone nicht mitverantwortlich, ist ein symmetrisch sowohl von den Defizitländern als Trugschluss. In einer Studie weisen Prof. Dr. Hei- auch von den Überschussländern (z.B. Deutsch- ke Joebges und Prof. Dr. Camille Logeay, beide land oder Österreich) getragen werden, weil die von der Hochschule für Technik und Wirtschaft Defizitländer kaum alleine die außenwirtschaft- Berlin, sowie Dr. Sabine Stephan und Dr. Rudolf lichen Ungleichgewichte abbauen können. Das Zwiener, beide vom IMK Düsseldorf, darauf hin, Problem lässt sich nur von beiden Seiten lösen. dass die deutsche Wirtschaftspolitik erhebliche Das heißt nicht, dass in Deutschland der Export Mitschuld an der Krise trägt. Sie nennen vor eingeschränkt werden sollte. Eine Volkswirt- allem die in den zurückliegenden Jahren durch- schaft, die viel exportiert, sollte aber auch viel geführten Arbeitsmarktreformen und die zu- importieren. Das aber verlangt, und darauf wei- rückhaltende Lohnpolitik, mit deren Hilfe die sen Joebges, Logeay, Stephan und Zwiener in ih- deutsche Wirtschaft ihre internationale Wett- rer Studie hin, dass die Arbeitnehmerinnen und bewerbsfähigkeit stark erhöhen konnte. Durch Arbeitnehmer in Deutschland in Zukunft bei der dieses Vorgehen hat Deutschland zwar von der Lohnentwicklung stärker als in der Vergangen- Konjunkturentwicklung in den europäischen heit an der Entwicklung der gesamtwirtschaft- Nachbarländern profitiert, selber aber mangels lichen Wertschöpfung und des Wohlstandes be- prosperierender Binnennachfrage keine eige- teiligt werden müssen. nen Wachstumsimpulse gesetzt. Damit hat die deutsche Wirtschaft nicht nur den europäischen P ublikationen zum T hema Nachbarländern geschadet, sondern auch sich Heike Jobges: „Exporte um jeden Preis?: Zur Diskus- selbst, da mit Hilfe des exportorientierten Wachs- sion um das deutsche Wachstumsmodell“, WISO tumsmodells über Jahre hinweg keine hohen ge- direkt, http://library.fes.de/pdf-files/wiso/07529.pdf samtwirtschaftlichen Wachstumsraten erzielt Heike Joebges/Camille Logeay/Sabine Stephan/Ru- werden konnten. Tatsächlich war Deutschland dolf Zwiener: „Deutschlands Exportüberschüsse in den Jahren vor der Krise lange Zeit unter den gehen zu Lasten der Beschäftigten“, WISO Diskurs – Schlusslichtern beim Wachstum im Euroraum. http://library.fes.de/pdf-files/wiso/07718.pdf Trotz der jüngsten Erfolge bei der Wachstums- und Beschäftigungsentwicklung muss es daher im Interesse Deutschlands liegen, das einseitige, nur auf Exportüberschüssen basierende Wachs- tumsmodell zu erweitern. In Zukunft muss eine ausgewogenere, auch die Binnennachfrage stüt- zende Wirtschafts-, Finanz-, Sozial- und Lohnpo- litik praktiziert werden, um eine ausbalanciertere und nachhaltigere Wirtschaftsentwicklung zu erzielen. Dieses Umsteuern muss möglichst rasch erfolgen, denn vor dem Hintergrund der in den europäischen Krisenländern eingeschränkten Wettbewerbsfähigkeit und der Überschuldung sind in Zukunft aus diesen Ländern kaum Nach- frageimpulse zu erwarten. Umgekehrt wird es den Krisenländern nur in einem wirtschaftspo- litischen Umfeld mit höheren Wachstumsraten gelingen, ihre hohe Verschuldung zurückzufüh- ren. Auch aus diesem Grund ist es daher an der Zeit, dass Deutschland die Rolle einer wahren Wachstumslokomotive in Europa übernehme. Die zur Überwindung der Krise in der Euro-Zone

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Analyse Deutschlands Verantwortung für Europa g E FA H R E N f ü r das europ ä ische projekt

Mehr als andere EU-Gipfel war die Zusammen- desregierung vermittelte Verzögerungshaltung kunft der europäischen Staats- und Regierungs- Deutschlands. Hinzu komme ein sich inzwi- chefs im März ein Krisentreffen, bei dem es um schen als Mainstream etablierter europaskep- nicht weniger ging als die Vorbereitung eines tischer Diskurs von Politik, Intellektuellen und tiefgreifenden dauerhaften Stabilisierungsme- den Medien. Die Folge sei großes Misstrauen der chanismus zur Verhinderung künftiger Schul- Bürgerinnen und Bürger in die EU. In einer aktu- deneskalation und damit potenzieller Eurokri- ellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts sen. Ipsos, sehen nur noch 24% der Deutschen in der Zu einer öffentlichen Auswertung der Ergebnisse EU-Mitgliedschaft klare Vorteile. dieses Frühjahrsgipfels war Michael Roth, euro- Die sinkende Legitimität der EU bei den Men- papolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfrak- schen ist langfristig die größte Gefahr für das tion, Ende März in das Büro der FES nach Brüssel europäische Projekt. Die Bundesrepublik müs- gekommen. se daher klar und deutlich ihre Verantwortung Europa brauche mehr denn je deutliche Signale übernehmen und jetzt die richtigen Instrumen- besonders der stärksten Mitgliedsländer. Umso te zur gemeinsamen Stabilisierung der Eurozone beklagenswerter sei, so Roth, die durch die Bun- vorantreiben.

Interview Drei Fragen an ... Michael Roth M it g lied des B undesta g es und europapolitischer S precher der SPD-B undesta g sfraktion und M it g lied im A rbeitskreis E uropa der F riedrich -E bert-S tiftun g .

Sind die Beschlüsse des EU-Gipfels vom 24./25. Hat die gesamteuropäische Solidarität unter der März zur Beendigung der Krise und für zukünftige Krise gelitten? Krisen des Euroraums ausreichend? Mit dem neuen Kampfbegriff „Transferunion“ Die Entscheidungen des Gipfels reichen nicht wird ein zentraler Grundpfeiler der europä- aus. Wir haben es derzeit in einer Reihe von Mit- ischen Integration in Zweifel gezogen. Die EU gliedsländern mit staatlichen Finanzierungskri- war, ist und bleibt eine Solidargemeinschaft. Deutschland profitiert als Exportmeister der EU von stabilen Märkten und prosperierenden Part- nerländern. Die Kosten der Krise werden ohne eine Beteiligung der Finanzmarktakteure einsei- tig von den Bürgerinnen und Bürgern getragen. Die Bundesregierung hat die europäischen Part- ner durch Zögern oder Alleingänge verprellt.

Sind die neuen Regeln für den Euroraum ausreichend demokratisch legitimiert? Auf Dauer können wichtige Entscheidungen sen zu tun. Zweifelsohne müssen die Haushalte nicht allein von den Staats- und Regierungschefs konsolidiert werden. Das schafft man aber nicht gefällt werden. Der intergouvernementale An- allein mit Einsparungen. Wir brauchen nachhal- satz, der maßgeblich von Bundeskanzlerin Mer- tiges Wirtschaftswachstum und Beschäftigung. kel betrieben wird, macht die EU weder demo- Die konservative Mehrheit der Staats- und Regie- kratischer noch solidarischer. Das Europäische rungschefs handelt sehr ideologisch. Parlament und der Deutsche Bundestag müssen eingebunden werden.

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Währungskrise oder Expertengespräch Staatsschuldenkrise? D eutsch -F ranz ö sische S ichtweisen

Ein Blick auf die Geschichte der europäischen Ge- Euro-Ländern jedoch, dass sie hohe Staatsschul- meinschaftswährung zeigt: Seit ihrer Einführung den haben, die sich in einigen Fällen an den Fi- sind die Inflationsraten in den Euro-Ländern nanzmärkten nicht mehr oder nur noch schwer niedriger als selbst in Deutschland zu Zeiten der refinanzieren lassen. Der stellvertretende Vorsit- D-Mark, und auch ihr Außenwert ist gegenüber zende der SPD-Bundestagsfraktion Joachim Poß dem US-Dollar (1 Euro = ca. 1,40 $) gegenwärtig stellte in einem Expertengespräch über „Krise etwa so stark wie vergleichsweise jener der D-Mark des Euro, Krise Europas? Deutsch-Französische zu ihren besten Zeiten. Auch fallen innerhalb des Sichtweisen“, das die französische Stiftung Jean Euro-Raums keine Umtauschkosten mehr an, Jaurès und das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung und Importeure wie Exporteure müssen sich hier am 2. Februar in Paris veranstalteten, denn auch nicht vor Wechselkursschwankungen hüten. Ei- fest: „Ich finde es angemessener, zunächst einmal gentlich müssten die Mitgliedsländer der Euro- von einer Staatsschuldenkrise einzelner Staaten Zone wirtschaftlich stabil und wohlhabend sein. zu sprechen.“ Spätestens seit dem sogenannten Rettungspaket Deshalb widersprach er auch der These „Scheitert für Griechenland im Mai 2010 weiß man, dass der Euro, scheitert Europa“: „Auch wenn es die dies nicht der Fall ist. Dabei stellt sich die Lage gemeinsame Währung nicht gäbe oder sie zer- unterschiedlich dar: In Griechenland und Portu- bräche, bliebe unendlich viel an in Jahrzehnten gal ist die Industrie wenig entwickelt und überal- geschaffenen Gemeinsamkeiten in Europa.“ tert, und die Staatsausgaben waren Betonte die europä- ischen Gemeinsam- hier in den letzten Jahren übermä- keiten: Der stellver- ßig hoch; Irland und Spanien er- tretende Vorsitzende lebten einen irrwitzigen Bauboom, der SPD-Bundestags- fraktion Joachim bis die Immobilienblase platzte, und Poß am 2. Februar die Rettung der Banken und Spar- in Paris. kassen die Staatsfinanzen ruinierte; Belgien wiederum hat zwar seit Mo- naten keine Regierung mehr, aber seine zwei Staatsvölker teilen sich neben einem König einen großen Schuldenberg. Gemeinsam ist allen

Im Geiste des Elysée-Vertrages Kolloquium D eutsch - franz ö sisches Tandem st ä rken

Am 22. Januar, dem Jahrestag des 1963 von ische Krise“ zu diskutieren. Bundeskanzler Konrad Adenauer und Präsident Weit über 400 Teilnehmerinnen und Teilnehmer Charles de Gaulle im Pariser Elysée-Palast unter- folgten den Beiträgen der Prominenz: auf franzö- zeichneten Freundschaftsvertrag zwischen bei- sischer Seite u.a. Michel Rocard, ehem. Premier- den Ländern, luden der französische politische minister, Hubert Védrine, ehem. Außenminister, Club „Inventer à gauche“ und die FES-Paris zu ei- Michel Destot und Roland Ries, Bürgermeister ner öffentlichen Veranstaltung in Straßburg ein, von Grenoble bzw. Straßburg, und Catheri- um gemeinsam mit führenden Politikern der ne Tasca, Vize-Präsidentin des Senats, und auf Parti socialiste und der SPD, mit Gewerkschaf- deutscher Seite Herta Däubler-Gmelin, ehem. tern und Vertretern politscher Gruppierungen Justizministerin, Günter Gloser, SPD-MdB, Axel über „Frankreich, Deutschland und die europä- Schäfer, stellvertretender Vorsitzender der SPD-

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Bundestagsfraktion, und , stellver- um darin überein, die Zusammenarbeit zwi- tretender Vorsitzender der FES und ehem. Vorsit- schen Deutschland und Frankreich zu vertiefen, zender des DGB. weil ein Ausweg aus der Krise Europas ohne den Ganz im Geiste des Élysée-Vertrages stimmten deutsch-französischen Motor kaum denkbar Vortragende und Publikum auf dem Kolloqui- wäre.

Umfrage In Grosser Sorge M einun g en zur L ö sun g der S taatsschuldenkrise Die Staatschuldenkrise bedrückt die Menschen Griechenland oder Irland“ antworteten nahezu nicht nur in Griechenland, Irland und Portugal. zwei Drittel der befragten Franzosen und immer- Auch in den beiden in Europa führenden Wirt- hin knapp die Hälfte der Deutschen mit „ja“. A l l g e m e i n sprachen sich Deutsche und F r a n z o s e n deutlich für eine Senkung der Ausgaben des Staates und der Ge- schaftsnationen Deutschland und Frankreich bietskörperschaften aus, um die hohen öffent- sieht man die Entwicklung mit großer Sorge. lichen Defizite abzubauen. Dies zeigte eine gemeinsam von der Fondation Jean Jaurès und der FES-Paris in Auftrag gegebene E rgebnisse Umfrage, bei der vom 3. bis 9. Dezember 2010 im Alle Ergebnisse der Umfrage sind in der Studie Internet eine national repräsentative Stichprobe „Die Euro-Krise und die Wirtschaftslage aus von jeweils rund 8oo Personen in Frankreich deutsch-französischer Perspektive“ und Deutschland erhoben wurde. Auf die Fra- zusammengefasst: ge, ob ihr Land „in den nächsten Monaten oder www.fesparis.org/common/pdf/ Jahren die gleiche Situation erleben könnte wie publications/79(D).pdf

Kolloquium Schuldenprobleme nicht im Griff? europ ä ische W irtschaftsre g ierun g nicht erkennbar

Während die Industrieländer in der Regel hohe In der Podiumsdiskussion, die von der Vizepräsi- Schulden haben, sind die Schwellenländer meist dentin der französischen Nationalversammlung nur gering verschuldet oder verfügen sogar über Elisabeth Guigou moderiert wurde, ging es vor bedeutende Überschüsse. Kaum etwas vermag allem darum, wie man die hohen Schulden in mehr zu verdeutlichen, wie sich die Gewichte in der Euro-Zone wieder senken könnte. Von den der Weltwirtschaft in den letzten Jahrzehnten Teilnehmern war niemand davon überzeugt, verschoben haben. Dies kann für die Rolle Eu- dass das Sorgenkind Griechenland es schaffen ropas in der internationalen Politik nicht ohne könnte, durch knüppelhartes Sparen, ein dau- Folgen sein. Daher luden die FES-Paris und ihr erhaft hohes Wirtschaftswachstum zu erreichen langjähriger Partner, der Reflexionskreis „Euro- oder gar mit wiederholten Rettungsaktionen partenaires“, dazu ein, das Thema „Die Zukunft – vor allem durch Deutschland und Frankreich – Europas in der Global Governance“ auf einem sein Schuldenproblem in den Griff bekommen Kolloquium am 31. März 2011 in Paris zu erör- könnte. Wolfgang Münchau, Mitgründer der tern. Financial Times Deutschland, betonte, dass das

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auf dem EU-Gipfel im März vereinbarte Gesamt- fraktion, wies auf die Frage eines Teilnehmers in paket gegen die Euro-Schuldenkrise erst ab 2013 der anschließenden Diskussion, ob eine europä- zur Vermeidung künftiger Krisen wirksam wäre ische Wirtschaftsregierung hier helfen könnte, und zur Bewältigung der gegenwärtigen Krise darauf hin, dass deren Gestalt überhaupt noch nicht beitragen könne. Carsten Schneider, haus- nicht erkennbar sei. haltspolitischer Sprecher der SPD-Bundestags-

Marktsteuerung von Workshop Staatsverschuldung B anken m ü ssen verluste tra g en k ö nnen

Die Eurogruppenländer haben mit dem „Ret- tigt neben einem Regelwerk für geordnete Insol- tungsschirm“ gewaltige Summen bereitgestellt, venzen eine glaubhafte Gläubigerbeteiligung bei um Schuldenkrisen in ihrer Mitte zu entschärfen Überschuldungssituationen. Dazu müssen pri- und Märkte zu beruhigen. Die Möglichkeiten vate Gläubiger, allen voran Banken und andere und die Voraussetzungen einer Bewältigung von Finanzinstitutionen, in die Lage versetzt werden, Staatsschuldenkrisen mit Hilfe von Marktme- Verluste tragen zu können, damit nicht in jedem chanismen, wurden in einem Experten-Work- Krisenfalle die Staaten und damit letztlich die shop in Berlin analysiert. Dabei hat sich gezeigt, Steuerzahler zur „Rettung“ gezwungen sind. dass Haushaltsdisziplinierung über eine stärkere Marktsteuerung durchaus effektiv sein kann. M ehr zum T hema Doch um gesamtwirtschaftlich zu sinnvollen Re- Christian Deubner:„Staatsverschuldung zügeln sultaten zu führen, bedarf es anderer als der der- mit Hilfe der Märkte: Instrumente und Verfahren“, zeit gegebenen Voraussetzungen – eine effektive WISO direkt – Marktsteuerung staatlicher Verschuldung benö- http://library.fes.de/pdf-files/wiso/07719.pdf

A x el W eber beim M ana g erkreis daraus: Nicht nur die öffentlichen Haushalte Kurz notiert Die deutsche Volkswirtschaft habe sich im letzten müssten ins Lot gebracht werden, analysierte der Jahr vom Schlusslicht zur Wachstums-Lokomo- Spitzenbanker, auch das wirtschaftspolitische tive im Euro-Raum entwickelt. „Aber wir dürfen Rahmenwerk der Währungsunion bedürfe der nicht in Euphorie verfallen“, betonte Bundes- Überarbeitung. bankpräsident Prof. Axel Weber am 18. Januar vor dem Managerkreis der Friedrich-Ebert-Stif- S eminar in L ondon tung in Frankfurt. Wenige Wochen später gab er Unmittelbar nach den Landtagswahlen in Ba- überraschend bekannt, dass er sein Amt bei der den-Württemberg und Rheinland-Pfalz analy- Deutschen Bundesbank zum 30. April aufgeben sierte der Bundestagsabgeordnete Dr. Carsten wird. Sieling, bei einem Seminar des FES-Büros Lon- Der frühere Volkswirtschaftsprofessor und „Wirt- don und des britischen Think Tanks “The Fabian schaftsweise“, der sich im vergangenen Jahr Society” die Zukunft der Eurozone. Die Eurozo- gegen den Kauf von Anleihen überschuldeter ne brauche dringend weitreichende Reformen, Staaten ausgesprochen hatte, beurteilt die in- um die Krise zu bewältigen. Der ehemalige ternationale Finanzmarktentwicklung kritisch. britische Regierungsberater Lord Roger Liddle Die fundamentalen Prinzipien der Währungs- bescheinigte den Mitgliedsstaaten der Eurozo- union seien bei den Stabilisierungsmaßnahmen ne bisher überzeugend auf die Krise reagiert zu für Griechenland und Irland erheblich strapa- haben. Die europäischen Mitte-Links Parteien ziert worden und die Krise habe beträchtliche müssten sich allerdings für eine Alternative zu Schwachstellen im institutionellen Gefüge der der vorherrschenden „Hysterie der „Sparpolitik“ Währungsunion offen gelegt. Die Konsequenz einsetzen.

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Analyse Realwirtschaft als Massstab für die Finanzwirtschaft V er g leich internationaler F inanzkrisen

Das Bretton-Woods-System lieferte nach dem staatliche Haushaltsdefizite senken zu wollen, 2. Weltkrieg den stabilen institutionellen Rah- wenn man dabei die innereuropäischen und men für den wirtschaftlichen Wiederaufbau globalen makroökonomischen Ersparnis- und Westeuropas und Japans. Die USA unterstützten Investitionsungleichgewichte außer Acht lässt. dieses Währungssystem durch den Marshall- Zur Überwindung der Ungleichgewichte und Plan und die Weltbank, während amerikanische Stärkung der Wachstumskräfte ist eine zeitwei- Firmen Europa und der übrigen Welt das erfor- lige Erhöhung der staatlichen Verschuldung derliche Kapital und Know-How zur Verfügung unvermeidlich. Nicht nur zur Vermeidung von stellten. Das Bretton-Woods-System endete im Finanzkrisen, sondern auch zur Stärkung der August 1971 mit der Aufgabe der Konvertibili- Leistungsfähigkeit der Wirtschaften und der Aus- tät des US-Dollar in Gold. Mit dem Ende dieses weitung der Beschäftigung sollte die Dominanz Systems, das u.a. auf Kapitalverkehrskontrol- des finanzwirtschaftlichen Regimes gebrochen len beruhte, begann das moderne Zeitalter der werden. Die Realwirtschaft sollte wieder zum Schulden-, Finanz- und Immobilienkrisen. Im Maßstab für die Finanzwirtschaft werden. vorliegenden Beitrag der Internationalen Poli- tikanalyse werden die Ursachen und Verläufe D ie analyse ausgewählter Schulden- und Finanzkrisen re- Werner Kamppeter; „Internationale Finanzkrisen konstruiert. Diese erlauben Lehren für das Kri- im Vergleich, Lehren für das aktuelle Krisenmanage- senmanagement auf der innereuropäischen und ment“, IPA März 2011 – http://library.fes.de/ globalen Ebene. So ist es sinnlos und gefährlich, pdf-files/id/ipa/07932.pdf

Bestandsaufnahme Drei einfache Regeln S trate g ien zur R e g ulierun g der F inanzm ä rkte

Mit sarkastischen Seitenhieben auf seine Kolle- zur Absicherung der Energiewende würden, so gen aus der Zunft der Ökonomen amüsierte Prof. Flassbeck, die Gefahren immer wiederkehrender Heiner Flassbeck, Chefökonom der Sonderorga- Schocks auf den Weltmärkten minimieren. nisation der Vereinten Nationen zu Handel und Dennoch: Nur zwei Jahre nach der Finanz- und Entwicklung (UNCTAD), seine Zuhörer am 3. Wirtschaftskrise, die weltweit ein unvorstellbar März im großen Hörsaal der Universität Freiburg. großes Vermögen zerstört, viele Menschen um Deren Glaube in das quasi automatische Funkti- ihre Rente gebracht und insgesamt 35 Millio- onieren des Marktes ist seiner Ansicht schuld nen Arbeitsplätze gekostet hat, sind Politik und daran, dass die weltweite Spekulation an den Fi- Wirtschaft wieder zu „business as usual“ über- nanzmärkten ausgeufert ist. gegangen. An den Aktienbörsen werden wieder Drei einfache Regeln, auf die sich die Weltge- Milliarden „verdient“, riskante Papiergeschäfte meinschaft einigen könnte, und die Spekula- getätigt, die unter anderem die Nahrungsmittel- tion auf den globalen Finanzmärkten wäre am preise in die Höhe treiben. Was hat das Treiben Ende: die Trennung der Bankengeschäfte in die an den Finanzmärkten, an denen milliarden- traditionelle Bankentätigkeit auf der einen und schwere Spekulanten ganze Rohstoffreserven die Spekulationsgeschäfte auf der anderen Sei- und Währungen eines Landes in Sekunden auf- te, die als solche gekennzeichnet, nicht mehr kaufen können, um sie zu horten, bis sie damit mit geborgtem Geld ins „Casino“ gehen dürfen; den Preis nach oben getrieben haben, noch mit ein System der Anpassung der weltweiten Wäh- Marktwirtschaft zu tun? Nichts, sagt der Chefö- rungskurse und schließlich die Stabilisierung der konom, nur mit Zocken. Preise für die wichtigsten Energieträger wie Erdöl

FES INFO 1 / 2 0 1 1 SCHWERPUNKT 11

Drei Fragen an ... Stefan Collignon Interview P rofessor an der S cuola S uperiore , S ant ‘A nna , P isa , und Gastprofessor an der U niversit ä t H ambur g .

Sind die Beschlüsse des EU-Gipfels vom 24./25. trolle durch die Bürger unterliegt. Dies bedeutet, März zur Beendigung der Krise und für die Bewälti- dass das Europäische Parlament über das Europä- gung zukünftige Krisen des Euroraums ausreichend? ische Gesamtinteresse entscheiden muss. Nein. Die Finanzmärkte werden nicht stabili- Zweitens muss die Gesamtposition aller natio- siert, da der nationalistische Autismus der Bun- nalen Haushalte nach wirtschaftlichen und kon- desregierung eine Ausstattung des Europäischen junkturellen Gesichtspunkten auf Euro-Ebene Stabilitätsmechanismus mit hinreichender Li- festgesetzt werden. quidität verhindert. Die Haushaltspolitik wird zum Abbau des Sozialstaates verkürzt, ohne dass die Folgen für Wachstum und Beschäftigung be- rücksichtigt werden. Der Wettbewerbspakt stärkt die Starken und wird wenig zur Beseitigung inner- europäischer Ungleichgewichte beitragen.

Gibt es an der aktuellen Krise auch positive Seiten – sind die Geburtsfehler von Maastricht nun über- wunden? Positiv ist, dass man erstmals seit zehn Jahren Drittens sollte ein europaweiter Diskussionskon- über eine Europäische Wirtschaftsregierung re- text über regionale und sektorale Lohnentwick- det. Allerdings sind Merkels Vorstellungen da- lungen hergestellt werden und von vordemokratisch. Das demokratische Defizit viertens, müssen die zerstückelten nationalen wird vertieft, die Bürger haben keine Möglichkeit Anleihemärkte durch Eurobonds integriert wer- zwischen Alternativen der europäischen Wirt- den. schaftspolitik zu wählen. Wie sieht ihrer Meinung nach eine hilfreiche Ge- M ehr zum T hema samtarchitektur der Wirtschafts- und Währungsu- Stefan Collignon: Demokratische Anforderungen an nion aus? eine europäische Wirtschaftsregierung, Internatio- Erstens braucht Europa eine echte Wirtschaftre- nale Politikanalyse gierung, die einer vollen demokratischen Kon- http://library.fes.de/pdf-files/id/ipa/07712.pdf

„Intelligenz-Gen“ einbauen Diskussionsrunde konstruktion eines paktes f ü r stabilit ä t

An dem Ziel einer erhöhten Stabilität im Eu- eine europäische Wirtschaftsregierung mit ihren roraum und der Verminderung starker wirt- Brüsseler Gesprächspartnern zu diskutieren. schaftlicher Ungleichgewichte zwischen einzel- Es wurde festgestellt, dass die Mehrzahl europä- nen Euroländern gab es keinen Zweifel unter den ischer Regierungen anstelle der Stärkung der Bin- Teilnehmern einer öffentlichen Veranstaltung nennachfrage am Mantra der Exportüberschüsse des FES-Europabüros zu wirtschafts- und finanz- festhielte. Bei der konkreten Konstruktion eines politischen Fragen der Europapolitik. Während Paktes für mehr Stabilität müsse daher ein starkes eines Besuchs nahmen Garrelt Duin, wirtschafts- „Intelligenz-Gen“ vor allem für die Staatsausga- politischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion ben eingebaut werden. Aktuell noch wichtiger als und , Koordinator der SPD-Frak- die mittelfristigen Fragen einer künftigen Wirt- tion im Ausschuss für Wirtschaft und Währung schaftsregierung wurden die Reformen zur Regu- des Europäischen Parlaments, die Gelegenheit lierung der Finanzmärkte betont. Zu deutlich ist wahr, über Aspekte der künftigen Reformen für die Rückkehr zu einem „business as usual“.

1 / 2 0 1 1 INFO FES 12 SCHWERPUNKT

Publikation Wer rettet die Retter? F ü r eine N euausrichtun g der W irtschaft

Eine saubere Umwelt, Gleichberechtigung und Beispiel durch die steigende Verschuldung von Gerechtigkeit, Stabilität und Wachstum, Dyna- Staaten. mik und soziale Sicherheit, Produktivität, gute Viele Bücher wurden über die Krise selbst Arbeit und Wohlstand – all das steht auf der geschrieben.„Wer rettet die Retter?“, fragt da- Wunschliste für das ideale Wirtschaftsmodell. gegen ein neues Buch der FES: Der Vertreter der Nicht erst seit der jüngsten Krise sieht die Rea- Friedrich-Ebert-Stiftung in Stockholm, Christian lität deutlich anders aus: Instabilität, drohende Kellermann, entwickelt zusammen mit den Ber- Staatsbankrotte, marode Finanzunternehmen, liner Ökonomen Sebastian Dullien und Hansjörg Kurzarbeit, prekäre Beschäftigung, Arbeitslosig- Herr nicht nur einen nachhaltigen Weg aus der keit, eine immer weiter auseinanderklaffende Krise, sondern auch eine Blaupause zur sozialen Einkommensschere und Umweltkatastrophen und ökologischen Reform unserer Wirtschafts- sind dagegen die ernüchternde Bilanz in vielen modelle – um künftig klüger, gerechter und lang- Ländern. Global betrachtet sind es vor allem die fristiger zu wirtschaften. großen Ungleichgewichte bei Handel und Finan- zen zwischen Asien, Europa und Amerika, die für D as B uch beträchtliche Spannungen sorgen. Durch die Decent Capitalism – A Blueprint for Reforming our Krise haben sich so manche Verzerrungen entla- Economies, Pluto Publishers, London den, es sind aber auch neue entstanden, wie zum

Tagung Löhne müssen steigen K ocheler K reis zu P roblemen des E uro

Auch der Kocheler Kreis für Wirtschaftspolitik ze von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. hat sich auf seiner diesjährigen Wintertagung Prof. Dr. Heiner Flassbeck von UNCTAD in Genf mit den Problemen innerhalb der Euro-Zone be- und Friederike Spiecker, freie Wissenschaftlerin schäftigt. Prof. Dr. Peter Spahn von der Universi- und Publizistin, wiesen darauf hin, dass ohne tät Hohenheim plädierte u.a. für die Einführung eine stärkere lohnpolitische Koordinierung von gemeinsamen Euro-Bonds bis zu einer Gren- und vor allem ohne stärker steigende Löhne in Deutschland, die makroökonomischen Un- gleichgewichte innerhalb der Euro-Zone nicht Kurze notiert W orkshops zur F inanzkrise nachhaltig überwunden werden können. Dr. Zwei Mal im Jahr heißt es in Hamburg beim Juli- Angelica Schwall-Düren, Ministerin für Bundes- us-Leber-Forums der FES „Wirtschaft verstehen“. angelegenheiten, Europa und Medien des Landes Die Workshops vermitteln die Auswirkungen Nordrhein-Westfalen wies darauf hin, dass es an die Finanz- und Wirtschaftskrise, machen Hin- der Zeit sei, weitere Schritte in Richtung einer tergründe deutlich und entwickeln eigene Vor- politischen Union in Europa zu gehen, um die stellungen wie mit den Folgen der Krise umge- Defizite der Währungsunion zu überwinden. Die gangen werden kann..Während der Rahmen Krise in der Euro-Zone könne nur gemeinsam be- der Veranstaltung mit einem Börsen-Planspiel, wältig werden. Hintergrundinformationen, einem Experten-In- put und Arbeitsgruppen gleich bleibt, wird der M ehr zum T hema inhaltliche Schwerpunkt an die jeweils aktuelle Peter Spahn: „Die Schuldenkrise der Europäischen Lage angepasst. So ging es in den letzten beiden Währungsunion“, WISO-direkt http://library.fes. Workshoptagen Ende 2010 und im Frühjahr 2011 de/pdf-files/wiso/07686.pdf vermehrt um die Frage, wie aus der Finanzkrise Michael Dauderstädt: „Staatsgläubigerpanik ist in einzelnen Ländern eine Staatskrise werden keine Eurokrise!“ WISO direkt konnte. http://library.fes.de/pdf-files/wiso/07795.pdf

FES INFO 1 / 2 0 1 1 SCHWERPUNKT 13

Einsichten über Europa Buchpräsentationen P eer S teinbr ü ck und K laus H ä nsch auf der L eipzi g er B uchmesse

Mit mehreren Veranstaltungen beteiligte sich die tinent der Hoffnungen – Mein europäisches Friedrich-Ebert-Stiftung am Rahmenprogramm Leben“, das er ebenfalls zur Buchmesse präsen- der Leipziger Buchmesse am 18. und 19. März. tierte. Hänsch räumte im Gespräch mit der Leip- Vor etwa 450 Zuhörern stellte Peer Steinbrück ziger Europaabgeordneten Constanze Krehl ein, sein Buch „Unterm Strich“ im Festsaal des Alten dass noch immer vieles, was in der EU erarbeitet, Rathauses vor. Der ehemalige Bundesfinanzmi- diskutiert und beschlossen werde, den meisten nister äußerte sich im Podiumsgespräch mit dem Bürgern verschlossen bliebe.

Chefredakteur der Leipziger Volkszeitung Bernd Optimistisch in Hilder optimistisch zur Zukunft des Finanzwe- Bezug auf das Finanzwesen: Der sens in Europa. Trotz einer Konjunktur- und Fis- ehemalige Finanz- kalkrise gebe es keine tiefgehende Eurokrise, son- minister Peer Stein- dern lediglich Probleme bei der Refinanzierung brück in Leipzig. (Foto: Waldek) einzelner europäischer Länder. Da Deutschland vom Euro profitiere sei es von nationalem- In teresse, die europäische Integration im ökono- mischen wie politischen Sinne voranzutreiben. Die Bilanz seiner Zeit als Mitglied und Präsi- dent des Europäischen Parlaments stellte Klaus Hänsch in den Mittelpunkt seines Buches „Kon-

Neues Jahrzehnt, neues Europa Debattenreihe H aushalt entscheidet ü ber die Z ukunft

Angesichts der Finanz- und Wirtschaftskrise be- Nietan diskutierten. Man war sich einig, dass nur finden sich weder der europäische Haushalt noch durch verbesserte Strategien der europäischen der europäische Arbeitsmarkt in einer stabilen Zusammenarbeit neue Stabilität herbeizuführen Lage. Viele Mitgliedsstaaten fordern daher einen ist. „Der Haushalt muss so konstruiert werden, restriktiveren Ansatz zum EU-Budget, obwohl sie dass eine Hebelfunktion entsteht, mit der Kapital der Union mit dem Lissabon-Vertrag im Rahmen angelockt wird,“ stellte Danuta Hübner zunächst der Europa 2020 Strategie neue Kompetenzen ge- klar. Es sei an der Zeit, dass sich Europa ein kon- geben hatten. Gleichzeitig wirken die Verhand- kretes eigenes Solidaritätsmodell ausdenke, be- lungen zum EU-Haushalt für die Mehrheit der tonte Lamassoure. Das derzeitige Budgetmodell Bürger wie ein Kuhhandel um einzelstaatliche verleite stark zu Egoismen nach dem Motto “I Interessen, anstatt sich an den Bedürfnissen eu- want my money back!“ ropäischer Bürger zu orientieren. „Der Haushalt wird über die Zukunft Europas Vor diesem Hintergrund veranstaltete die Fried- entscheiden“, fasste Nietan zusammen und for- rich-Ebert-Stiftung im Rahmen der Debattenrei- derte, nicht länger nur über Probleme der Umver- he „Neues Jahrzehnt, neues Europa“ in Warschau teilung zu sprechen, sondern gemeinsame euro- gemeinsam mit dem französischen Kulturzent- päische Ziele in den Vordergrund zu rücken. Als rum und der Stiftung „Centrum im. Profesora Beispiel nannte er die Mittel aus dem Agrarhaus- Bronisława Geremka” am 24. Januar eine De- halt – es sei ein Fehler, diese für Subventionen zu batte zum Thema „Das EU Budget in Zeiten der verwenden, anstelle in nachhaltige Landwirt- Krise“, das der EU-Haushaltskommissar Janusz schaft zu investieren. Die Herausforderungen Lewandowski, der Vorsitzende des Haushaltsaus- an die EU-Budgetplanung bleibe allerdings eine schusses, Alain Lamassoure, die Vorsitzende des Gratwanderung: „Wir dürfen uns nicht kaputt Ausschusses der Regionen, Danuta Hübner und sparen: Die EU braucht nachhaltige Ziele und der deutsche Bundestagsabgeordnete Dietmar gleichzeitig einen disziplinierten Haushalt.“

1 / 2 0 1 1 INFO FES 14 SCHWERPUNKT

Studie Das Schlachten heiliger Kühe D as P rojekt einer E U - S teuer

Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union ha- die Bürgerinnen und Bürger, überprüfte Begg ben mit der Zehnjahresstrategie „Europa 2020“ verschiedene Möglichkeiten für eine EU-Steuer:

politische Prioritäten für ein „intelligentes, nach- eine europäische CO2- oder Energiesteuer, eine haltiges und integratives Wachstum“ gesetzt. Körperschaftssteuer und eine Finanztransakti- Diese Strategie steht wesentlich unter dem Ein- onssteuer. druck der Wirtschaftskrise. Sie soll Europa aus Die Ergebnisse der Studie wurden im Februar seiner Rezession helfen und langfristig im in- und März in Berlin und Brüssel vorgestellt. ternationalen Wettbewerb stärken. Allerdings An den Diskussionen nahmen unter anderem ist die Stärkung von Wissen und Innovation, der ehemalige Finanzminister Peer Steinbrück, die Förderung einer emissionsarmen und res- die Europaabgeordnete , der pol- sourcenschonenden Wirtschaft sowie die Un- nische EU-Botschafter Jan Tombinski sowie terstützung des sozialen und territorialen Zu- Marc Lemaître, Kabinettsschef des EU-Haus- sammenhalts in der EU auch mit erheblichen haltskommissars teil. Investitionen verbunden. Es wurde der Bedarf betont, die Einnahmeseite transparenter und demokra- tischer zu machen – ein Ziel, für das sich vor allem das Europä- ische Parlament einsetzt. Dort findet die Idee einer Finanz- transaktionssteuer bereits eine breite Mehrheit. Resümierend stellte Begg fest, dass es nie die ideale EU-Steu- er geben wird, da es bei einer Einführung immer in gewissem Der EU-Haushalt ist daher ein zentrales Element Maße Gewinner und Verlierer gäbe. Er wies aller- zur Umsetzung dieser europäischen Prioritä- dings darauf hin, dass in den vergangenen zwölf ten. Aktuell beträgt sein Gesamtvolumen etwa Monaten schon „viele heilige Kühe geschlach- ein Prozent der europäischen Wirtschaftsleis- tet wurden“. Als politisch machbarsten Weg tung. Alimentiert wird der Haushalt zu 85 Pro- schlägt Begg daher vor, eine EU-Steuer zunächst zent aus direkten Einzahlungen der Mitglied- in begrenztem Rahmen einzuführen, etwa eine staaten. Die Wirtschaftskrise hat nun in vielen Luftverkehrsabgabe. Dabei ließe sich ein klarer Mitgliedstaaten der EU zu einer weitgehenden europäischer Bezug erkennen, die Belastung und Einschränkung haushaltspolitischer Spielräume damit die Verzerrungen blieben gering und die geführt. Für die anstehenden Verhandlungen Besteuerungs-Souveränität der Mitgliedsländer eines neuen Finanzrahmens für die EU (2014- würde dadurch nicht in Frage gestellt. Mittel- 2020) steht damit mehr denn je die Nettozahler- fristig könnte man so zu einem neuen Finanzie- frage im Vordergrund. Eine Mittelausstattung, rungsmodell für die EU-Politik gelangen. die den politischen Prioritäten der EU gerecht werden kann, zeichnet sich nicht ab. M ehr zum T hema Vor diesem Hintergrund untersuchte Iain Begg, Kurzfassung der Studie in deutsch: Eine EU-Steuer: Professor an der London School of Economics, überfällige Reform oder föderalistische Fantasie? in einer Studie für die FES, wie das Einnahmen- http://library.fes.de/pdf-files/id/ipa/07848.pdf system der EU mit einer echten eigenen EU-Ein- nahmequelle reformiert werden könnte, um Ebenfalls zum Thema: den Haushalt stärker von den Überweisungen Sebastian Petzold (12/2010): Geld für Europa: der Mitgliedstaaten zu entkoppeln. Mithilfe Haushalt, mehrjähriger Finanzrahmen und Refor- verschiedener Kriterien, wie etwa der Einnah- moptionen für die EU-Eigenmittel menstabilität oder der Belastungsgleichheit für http://library.fes.de/pdf-files/id/ipa/07708.pdf

FES INFO 1 / 2 0 1 1 SCHWERPUNKT 15

Eurokrise falsch beurteilt? Analyse V ierfacher K urswechsel zur ü B E R W I N D U N g der K rise

Als „Irrweg“ bezeichnen der ver.di-Bereichs- • die Koordinierung von Lohn-, Steuer- und leiter für europäische Wirtschaftspolitik Dierk Sozialpolitiken in der EU; Hirschel und der europapolitische Berater der • ein gemeinsames Regelwerk für die Finanzie- Gewerkschaft, Klaus Busch, in einer Analyse der rung der Staatsschulden. FES die im Vertrag von Maastricht festgelegte Nur ein solch umfassender, vierfacher Kurswech- Architektur einer gemeinsamen Währung ohne sel könne, so Hirschel und Busch, zur Korrektur politische Union. Auch die Antworten der Politik der Fehler von Maastricht führen und die wach- auf die Eurokrise beruhen aus ihrer Sicht auf Irr- sende Legitimationskrise der EU in der Krise tümern: Fälschlicherweise werde die explodierte überwinden. Staatsverschuldung auf eine angeblich zu laxe Ausgabenpolitik zurückgeführt, die Verantwortung für die Leis- Krise und Staatsverschuldung tungsbilanzungleichgewichte Haushaltsdefizit Schuldenquote (in % des BIP) (in %) würde einseitig bei der Lohnpo- 2010 2007 2010 litik der Defizitländer gesucht Grie­che­nl­and­ -9,5 99,2 140,2 und die Kapitalmärkte seien Irl­and­ -32,3 25,0 84,1 immer noch weitgehend unre- Spanie­n -9,3 36,1 97,4 guliert. Tatsächlich wurzele der Portugal­ -7,3 62,7 82,8 Anstieg der Staatsverschuldung Ital­ie­n -5,0 112,0 118,9 Be­l­gie­n -4,8 84,2 98,5 vor allem in den antizyklischen Frankre­ich -7,7 63,8 83,0 Konjunktur- und Rettungspro- De­uts­chl­and­ -3,7 64,9 75,7 grammen für den Bankensektor, Euroz­one­ -6,3 65,9 84,1 zu denen die Staaten die globa- Großbritannie­n -10,5 44,5 77,8 le Wirtschafts- und Finanzkrise USA -11,1 62,1 92,7 gezwungen hat. Daher plädie- Japan -9,6 187,7 225,9 Que­l­l­e­: EU-Kom­m­is­s­ion, Inte­rnational­e­r Währungs­f­ond­s­ (IWF) ren die Autoren für einen vier- fachen Paradigmenwechsel und fordern: • eine europäische Strategie für qualitatives D ie A nalyse Wachstum und Beschäftigung; Klaus Busch/Dierk Hirschel (März 2011); Europa • die Einrichtung einer Europäischen Wirt- am Scheideweg: Wege aus der Krise schaftsregierung; http://library.fes.de/pdf-files/id/ipa/07930.pdf

Sparen am Sozialen Debatte D etlev-A lbers F orum „ S oziales E uropa “

Welche Auswirkungen hat die Krise der Staats- lands, Lettlands, Rumäniens und Islands wurden haushalte auf den gesellschaftlichen Zusam- gegenübergestellt. Bis zu seinem Tod war Detlev menhalt und das Ziel eines Sozialen Europa? Albers mitverantwortlich für den Kurs der On- Diese Leitfrage beschäftigte das Detlev-Albers- line-Publikation „Social Europe Journal“. Leit- Forum, das aus dem Nachlass des Politikers und idee war, eine europäische Öffentlichkeit für das Politikwissenschaftlers bestritten wird. Aus- gemeinsame Kernanliegen der Sozialdemokratie gangspunkt der Debatte am 16. und 17. März in in Europa zu konstituieren: Die Schaffung eines Berlin war eine Studie der Friedrich-Ebert-Stif- veritablen „Sozialen Europas“, das neben den tung zu den Auswirkungen der europäischen gemeinsamen Binnenmarkt tritt. Sparprogramme auf die Sozialsysteme. Die Ent- wicklungstrends der Sparprogramme Deutsch- I m I nternet lands, Großbritanniens, Spaniens, Griechen- http://library.fes.de/pdf-files/id/ipa/07890.pdf

1 / 2 0 1 1 INFO FES 1 SCHWERPUNKT

Dialogprogramme UNTEN ANgEKOMMEN DIE EUROPäISCHE KRISE BEI ARBEITNEHMERSCHAFT UND KOMMUNEN

Die Themen Arbeitsrechte in Europa sowie zeigen sich nicht nur in der deutschen Praxis er- die europapolitischen Berührungspunkte von hebliche Unterschiede zwischen Festangestell- Kommunen und Regionen, waren Gegenstand ten und Leiharbeitern innerhalb der gleichen von zwei mehrtägigen Dialogprogrammen des Betriebe. Die Frist zur Umsetzung der europä- FES-Europabüros in Brüssel, an denen Multi- ischen Leiharbeitsrichtlinie endet im Dezember plikatorinnen und Multiplikatoren aus sieben 2011. Spätestens dann sollte das deutsche Gesetz Bundesländern teilnahmen. Im Mittelpunkt der Missbrauch der Leiharbeit beenden. Für die über- Veranstaltungen standen die Auswirkungen der schuldeten Kommunen Deutschlands bedeu- aktuellen Finanz- und Schuldenkrise. Arbeitneh- tet der uneinheitliche arbeitnehmerrechtliche merinnen und Arbeitnehmer erleben großen Schutz zusätzliche starke fi nanzielle Belastun- Druck auf die Arbeitsbedingungen, besonders gen. Auf der Einnahmeseite fehlen die Beiträge hinsichtlich Arbeitszeit, Löhnen und Leiharbeit. regulärer Arbeitsverhältnisse und auf der Ausga- Die EU hat über die Jahre zwar gewisse Standards benseite kommen steigende Sozialleistungen für zu Sicherheit und Gesundheitsschutz sowie zu die Existenzsicherung der prekär Beschäftigten Arbeitsnormen verbindlich erarbeitet. Dennoch hinzu.

Interview DREI FRAgEN AN ... gABRIELE BISCHOFF LEITET DEN BEREICH EUROPAPOLITIK BEIM DgB- BUNDESVORSTAND. SIE IST MITgLIED IM ARBEITSKREIS EUROPA DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNg IN BERLIN.

Sind die Beschlüsse des EU-Gipfels vom 24./25. visierten Pakt-Maßnahmen – Druck auf die Löhne, März zur Beendigung der Krise und für zukünftige Infragestellung renten- und sozialpolitischer Leis- Krisen des Euroraums ausreichend? tungen – werden dazu führen, dass die Zustim- Die Finanzkrise ist noch nicht überwunden, mung zum europäischen Projekt weiter sinkt. nach wie vor geben die Finanzmärkte in Europa den Ton an, eine umfassende Krisenprävention Sind die Sparprogramme in der Eurozone noch fi ndet dementsprechend nicht statt. So steht eine sozialverträglich? nachhaltige Finanzmarkt-Regulierung immer Den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern noch aus, zur Einführung einer Finanztransakti- der Mitgliedstaaten, die unter die Rettungsmaß- onssteuer gibt es lediglich „Prüfaufträge“. nahmen fallen, wird Enormes zugemutet: Min- destlöhne werden reduziert, tarifvertragliche Geht der Trend Ihrer Meinung nach hin zu Vereinbarungen außer Kraft gesetzt, und Renten mehr oder zu weniger Europa? und Sozialleistungen massiv gekürzt. Ergebnis Eine Europäische Währungs- und Wirtschaftsu- sind steigende Armut und wachsende soziale nion wird nicht Ungleichheit – obgleich klar ist, dass man sich geschaffen. Die Eu- so nicht aus der Krise heraussparen kann. Die ro-Plus-Pakt-Ver- Zielvorgaben für die Mitgliedstaaten, die sich abredungen blei- dem Pakt angeschlossen haben, sind klar: Die ben Sache der EU-Kommission soll den Lohnpolizisten spielen nationalen Regie- und darauf achten, dass Löhne und Gehälter nur rungschefs, weder moderat steigen, und die Bundeskanzlerin wird in der Steuerpoli- das Spiel „Geld gegen Wohlverhalten“ weiterent- tik noch in der So- wickeln, bis sich die anderen Länder in die deut- zialpolitik geht es schen Maßnahmen wie Schuldenbremse, Aus- europäisch voran. weitung des Niedriglohnsektors und Erhöhung Die stattdessen an- des Rentenalters endgültig fügen.

FES INFO 1 / 2 0 1 1 gESELLSCHAFTLICHES ENgAgEMENT / SOZIALE DEMOKRATIE 17 gESELLSCHAFTLICHES ENgAgE- MENT / SOZIALE DEMOKRATIE VORDENKEN

CHANCEN UND STOLPERSTEINE Studie EIN gEMEINSAMES PROgRAMM FüR DIE SOZIALDEMOKRATIE IN EUROPA

Die Wirtschaftskrise hat es wieder einmal ge- tive für die Union, der Weiterentwicklung der zeigt: In Europa gibt es weiterhin strukturelle ökonomischen Integration und der Stärkung der Schwachstellen und Mängel bei der Formulie- sozialen Dimension aufbauen. Für die Identifi - rung gemeinsamer Politikansätze. Im Zeitalter zierung von Gemeinsamkeiten und Differenzen der Globalisierung, der Transnationalisierung der Parteien wird die Einrichtung eines sozialde- wirtschaftlicher und politischer Risiken, ist die mokratischen Europakonvents vorgeschlagen, Regulierung und soziale Ausgestaltung des Ka- der aktive Parteimitglieder verschiedener Funk- pitalismus jenseits des Nationalstaats im euro- tionsebenen, Abgesandte aus der Wissenschaft, päischen Kontext allerdings unabdingbar. Die den Gewerkschaften und weiteren Organisati- Sozialdemokratie muss daher ihre Chance wahr- onen zusammenbringt. Hier könnten zentrale nehmen, die Europäisierung und Globalisierung Inhalte eines Grundsatzprogramms diskutiert aktiv mitzugestalten. Aus diesem Grund hat der und festgelegt werden. Das sich hieraus entwi- SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel auf dem letz- ckelnde europäische Fundament zur Meisterung ten Kongress der Sozialdemokratischen Partei der wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Europas (SPE) vorgeschlagen, ein gemeinsames Herausforderungen des 21. Jahrhunderts, dürfte Grundsatzprogramm aller sozialdemokratischen sich auch auf die Positionierung der sozialdemo- Parteien Europas zu erarbeiten. Dieser Idee fol- kratischen Parteien in den jeweiligen Heimatlän- gend, analysiert die Friedrich-Ebert-Stiftung dern positiv auswirken. in einer Studie Chancen und Stolpersteine für eine sozialdemokratische „Europaerzählung„ D I E S T U D I E und stellt aus deutscher Perspektive erste in- Björn Hacker, Gero Maaß: haltliche und organisatorische Eckpunkte für Ein Grundsatzprogramm für die SPE. Baustellen, die gemeinsame programmatische Arbeit vor. Gemeinsamkeiten und Eckpunkte aus deutscher Diese sollten auf der Formulierung einer klaren Perspektive demokratischen und institutionellen Perspek- http://library.fes.de/pdf-fi les/id/ipa/07669.pdf

1 / 2 0 1 1 INFO FES 18 GESELLSCHAFTLICHES ENGAGEMENT / SOZIALE DEMOKRATIE

Neuerscheinung Ein Kompass für ein soziales Europa L esebuch 4 : E uropa und S oziale D emokratie

Es ist nicht leicht den Überblick zu behalten: Das Lesebuch Eurobonds, Schutzschilde, eine Außenministe- 4, Europa und rin, die nicht so heißen darf, eine Verfassung, Soziale Demo- die nie in Kraft getreten ist – die Geschichte und kratie disku- Gegenwart des europäischen Projektes sind kom- tiert fünf Prin- plex. Seine Zukunft ist offen und muss gestaltet zipien einer werden. In unübersichtlicher Lage ist es umso Europapolitik der Sozialen Demokratie: Frieden, wichtiger, einen klaren eigenen Kurs zu finden. Demokratie, Wohlstand, sozialer Ausgleich und Politik braucht klare Orientierung. Nachhaltigkeit. Die Publikation beschäftigt sich Die Lesebücher der Sozialen Demokratie haben mit der Frage, warum Europa ein Schlüsselprojekt den Anspruch diese Orientierung zu ermögli- der Sozialen Demokratie ist. Sie betrachtet die Ge- chen. Theoretisch fundiert, praktisch orientiert schichte der Europäischen Union und zentrale und klar in der Sprache wollen sie für die poli- Reformvorhaben. Der Blick über die Ländergren- tische Praxis eine Handreichung sein, in den re- zen und in die Programme der Parteien runden levanten Politikfeldern den eigenen Standpunkt den Band ab. zu klären. Sie sind Hilfe zur eigenen Vergewis- serung, zur Weiterentwicklung der Argumenta- B estellungen tionskraft und gleichzeitig eine kompakte und Druckversion für 5 Euro pro Stück: solide Wissensbasis. [email protected] Dateiversion: www.fes-soziale-demokratie.de

Ideenwerkstatt Sozialstaat weiterdenken N achhalti g es H andeln und B ildun g s g erechti g keit f ü r die nachfol g enden Generationen Gut 130 Menschen fanden am 8. Dezember 2010 einer spannenden Diskussion über die Chancen den Weg ins Maritim Hotel in Magdeburg, um der nachfolgenden Generationen zu erleben. den evangelischen Bischof a.D. Wolfgang Huber Wolfgang Huber betonte, dass heutige Genera- und den Bundesminister a.D. Erhard Eppler in tionen nicht weiter auf Kosten der Zukunft le- ben dürfe. Erhard Eppler wies auf den demogra- phischen Wandel hin und prognostizierte, dass das 21. Jahrhundert zunehmend durch hand- Kurz notiert g E D E N K E N an johannes rau lungsunfähige und zerfallende Staaten, plus ei- Im Januar 2011 wäre der ehemalige Bundes- ner immer weiter aufgehenden Schere zwischen präsident und frühere nordrhein-westfälische Arm und Reich geprägt sein werde. Ministerpräsident Johannes Rau 80 Jahre alt Eine immer größere Rolle komme daher dem geworden. Aus diesem Anlass hat ihm die Fried- Sozialstaat nach europäischem Muster, als Ins- rich-Ebert-Stiftung in Weißrussland Veranstal- trument für den gesellschaftlichen Zusammen- tungen gewidmet. Am 11. Februar wurde in der halt zu. Jedoch würde der Gestaltungsspielraum Staatsuniversität ein Workshop veranstaltet. Am durch die stetig steigende Staatsverschuldung 12. Februar fand dann im Rahmen der Minsker zunehmend eingeengt. Dies führe dazu, dass die internationalen Buchmesse die Präsentation Kosten der Krisen auch an die nachfolgenden des Buches „Johannes Rau. Ein Politikerleben in Generationen weiter gegeben werden. Reden, Briefen, Bildern“ statt. In der gedrängt Am Ende der Diskussion waren sich Wolfgang vollen Messehalle versammelten sich die Gäste Huber und Erhard Eppler einig: nachhaltiges der FES zu einer in diesen Tagen sehr seltenen, Handeln und Bildungsgerechtigkeit sind not- öffentlichen Diskussion über Politik und Politi- wendig, damit es den nachfolgenden Generati- ker und auch das Staatsfernsehen berichtete. onen mindestens genauso gut geht wie uns.

FES INFO 1 / 2 0 1 1 GESELLSCHAFTLICHES ENGAGEMENT / SOZIALE DEMOKRATIE 19

Jugendpolitik im Aufwind? Policy Paper B estandsaufnahme der R ahmenbedin g un g en

Im Juli 2008 hatte die Enquête-Kommission des Stand und Empfehlungen zur Umsetzung des Bayerischen Landtags „Jungsein in Bayern – Zu- Berichts der Enquête-Kommission „Jungsein in kunftsperspektiven für die kommenden Genera- Bayern” des Bayerischen Landtags“ gestellt. Sie tionen“ ihren Abschlussbericht mit zahlreichen nehmen für das BayernForum der FES eine kri- Handlungsempfehlungen vorgestellt. So groß tische Bestandsaufnahme der bisherigen Um- die Hoffnung auf eine neue, zeitgemäße und zu- setzung des Berichts vor und formulieren Hand- kunftsfähige Jugendpolitik war, so groß scheint lungsempfehlungen zum weiteren Vorgehen in heute, fast drei Jahre später, bei vielen die Ent- den Bereichen Kinder- und Jugendprogramm, täuschung. Von wenigen Einzelinitiativen ab- Jugendarbeit sowie Jugend und Migration. gesehen, hat der Enquête-Bericht bis jetzt keine Gemeinsam mit dem jugendpolitischen Spre- umfassende und koordinierte Umsetzung erfah- cher der SPD-Fraktion, Dr. Linus Förster, wird ren. Dies geht in erster Linie zu Lasten derer, die das Policy Paper in den kommenden Monaten im Mittelpunkt der Kommissionsarbeit standen: in ganz Bayern vorgestellt und mit Vertreter/in- der jungen Menschen und ihrer Zukunft in Bay- nen aus Jugendarbeit, Kommunal- und Landes- ern. politik, Jugendverbänden und der Jugendhilfe Welche Handlungsempfehlungen der Enquête- diskutiert. Deutlich wurde, dass die politischen Kommission sind es wert, in Erinnerung geru- Rahmenbedingungen in Deutschland und Bay- fen zu werden? Was hat sich seit der Vorstellung ern so gesetzt sein müssen, dass junge Menschen des Abschlussberichts bei der Umsetzung getan? aktiv an der Gesellschaft teilhaben können. Die- Und vor allem: welche weiteren Schritte sind se Politik zu gestalten war Anliegen der Enquête- notwendig, um die Jugendpolitik in Bayern auf Kommission, damit die Jugendpolitik in Bayern ein neues, zukunftsfähiges Fundament zu stel- wieder „Aufwind“ bekommt. len? Diesen Fragen haben sich die Autoren des neuen M ehr zum T hema FES-Policy Papers „Jugendpolitik im Aufwind? www.fes.de/cgi-bin/gbv.cgi?id=07872&ty=pdf

Der Querdenker Buchvorstellung E rhard E ppler in B onn

Er gilt als einer der wortgewaltigsten Vordenker Bei der Vorstellung der Sozialdemokratie: Erhard Epplers Stimme seiner Biografie in Bonn: Erhard Eppler hat Gewicht und reicht weit über Parteigren- zen hinaus. Früh zweifelte er an der Sicherheit der Atomenergie, warnte vor den Folgen des Marktradikalismus und setzte sich ein für die Friedensbewegung. Die wichtigsten Etappen im gesellschaftspolitischen Leben des einstigen Bundesministers für wirtschaftliche Zusammen- arbeit und Entwicklung hat die Bonner Journa- listin Renate Faerber-Husemann zusammenge- fasst. In „Der Querdenker – Erhard Eppler, Eine Biografie“ porträtiert sie den früheren -Bundes zählt seine Idee von einem nachhaltigen, sozial tagsabgeordneten und ehemaligen SPD-Landes- und ökologisch gerechten Wirtschaftsmodell vorsitzenden Baden-Württembergs. Mehr als ebenso wie seine Vision von einer Bürgergesell- 150 Gäste waren zur Buchvorstellung ins Haus schaft, die den Menschen mehr Möglichkeit zur der FES gekommen, um mit Eppler über seine Teilhabe bieten und der Politik gleichzeitig mehr großen Lebensthemen zu diskutieren. Dazu Glaubwürdigkeit verleihen kann.

1 / 2 0 1 1 INFO FES 20 GESELLSCHAFTLICHES ENGAGEMENT / SOZIALE DEMOKRATIE

Auftakt- veranstaltung Prag: Akademie der Sozialen Demokratie gegründet B ildun g smodule f ü r jun g e en g a g ierte M enschen

Mit der Auftaktveranstaltung der neuen Akade- mokratie nahestehenden Think Tanks in Tsche- mie der Sozialen Demokratie auf Schloss Liblice chien (Masaryk Demokratische Akademie MDA) bei Prag, einer Tagungsstätte der tschechischen und in der Slowakei (Analysen Strategien Alter- Akademie der Wissenschaften, startete am 18. nativen – Institut ASA), das inhaltliche Konzept Februar eine Reihe von Bildungsmodulen für dieser langfristig angelegten Kooperation entwi- junge engagierte Menschen der tschechischen ckelt. und der slowakischen Sozialdemokratie. Diese Das erste von insgesamt vier Wochenendmo- sollen dabei helfen, auf die neuen Herausforde- dulen wurde u.a. in Anwesenheit der beiden rungen zu reagieren, denen sich Politikansätze Parteivorsitzenden, Bohuslav Sobotka für die für ein soziales und gerechtes Europa stellen tschechische CSSD und Robert Fico für die slo- müssen. wakische Smer-SD, des stellvertretenden Vorsit- In sechsmonatiger Vorbereitungsarbeit haben zenden der SPD-Fraktion Axel Schäfer und des die Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Prag stellvertretenden tschechischen Parlamentsprä- und Bratislava, gemeinsam mit den der Sozialde- sidenten Lubomir Zaoralek eröffnet.

Kurz notiert

Die Intensivierung der Zusammenarbeit mit europäischen Partnern bei der Stärkung der Programmatik in der slowakischen Smer-Sozialdemokratie (Smer-SD) war der Anlass für den Besuch einer Delegation unter Führung des amtierenden Parteivorsit- zenden Róbert Fico (2. v.r.) am 20. und 21. Januar in Berlin. Im Zentrum des von der FES organisierten Programms standen Gespräche über die Folgen der Wirtschaftskrise auf die Sozialpolitik sowie den wachsenden Nationalismus in Mittel- und Osteur- opa u.a. mit dem Vorsitzenden der SPD, Sigmar Gabriel, dem Vorsitzenden der Bundestagsfraktion, Frank-Walter Steinmeier, dem Ministerpräsidenten Brandenburgs, und dem Bundestagsabgeordneten Axel Schäfer.

Wahlen in Estland Sozialdemokratische Aussenpolitik Bei den Parlamentswahlen in Estland am 6. März Um die Grundlinien sozialdemokratischer Au- 2011, konnte die Sozialdemokratische Partei ßenpolitik zu erläutern, griff Dr. Rolf Mützenich, Estlands (SDE) die Wähler als alternative Kraft außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestags- überzeugen. Auch wenn die neoliberale Reform- fraktion, zu Beginn eines Seminars der Kurt-Schu- partei weiterhin die Regierung stellt, haben die macher-Akademie einen Satz von Sozialdemokraten einen beachtlichen Erfolg er- auf: „Wir wollen ein Volk guter Nachbarn sein.“ zielt und konnte ihre Sitze von 10 auf 19 nahezu Die globalen Herausforderungen für Deutsch- verdoppeln. Eine verbesserte Kampagnenarbeit land und Europa sowie Perspektiven für eine und das neue Image der Partei, durch den neuen nachhaltige Friedenspolitik waren die Themen Parteivorsitzenden , waren die aus- in Bad Münstereifel – in einem Jubiläumsjahr: schlagenden Gründe für den Stimmengewinn Vor 40 Jahren wurde Bundeskanzler Willy Brandt der Sozialdemokraten. in Oslo der Friedensnobelpreis verliehen.

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Demokratie in der Krise? Tagung B ü r g erbeteili g un g in der S tadtpolitik

21“ ist zum Synonym geworden: Der fessor Dr. Roland Roth führten die über 200 Teil- Souverän will an relevanten Entscheidungen nehmer/innen in eine Diskussion regionalpoli- stärker beteiligt werden, fordert direkte Mitspra- tischer Probleme und bekräftigten die Notwen- che ein und protestiert laut und stark, wenn ihm digkeit einer aktiven Beteiligung der Bürgerinnen diese verwehrt wird. und Bürger. Diese bilde die Grundvoraussetzung Wie kann nun dieses Engagement der Bürge- einer nachhaltigen und tragfähigen Politik. Wo rinnen und Bürger auf kommunaler Ebene er- aktive, gesellschaftliche Teilnahme an Bedeu- möglicht und gestärkt werden? Dieser Frage gin- tung verliere, bestehe auch die Gefahr einer gen Vertreter/innen aus Politik, Wissenschaft, „vorrevolutionären Situation, in der die Beteili- Medien und lokalen Initiativen im Rahmen gten von oben nicht mehr können, und die von einer Tagung am 24. März nach. Die Veranstal- unten nicht mehr wollen.“, so Roth. tung, organisiert vom Forum Berlin der FES und Kazim Erdogan vom Verein Aufbruch Neukölln der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, bot betonte die Bedeutung und den Wert gesell- auf einer Projektmesse, in Podiumsdiskussionen schaftliche Anerkennung für zugewanderte und Workshops die Möglichkeit zum fachlichen Bevölkerungsgruppen. Diese sollten nicht als Austausch und zur Vernetzung. „Migranten/innen“ sondern als Bürger/innen Die Senatorin für Stadtentwicklung Ingeborg wahrgenommen, angesprochen und beteiligt Junge-Reyer und der Entwicklungsforscher Pro- werden.

Alte Menschen mischen mit Gutachten P olitische M itwirkun g srechte ä lterer M enschen

Ältere Menschen übernehmen gerne ein bür- Dienel, die auch die zentralen Ergebnisse prä- gerschaftliches Engagement – vorzugsweise im sentierte. kirchlich-sozialen Bereich, gefolgt von den Be- Die seniorenpolitische Sprecherin der SPD-Frak- reichen Sport, Kultur und Musik. Die politische tion, Ülker Radziwill, MdA, informierte über die Mitwirkung scheint weniger beliebt bei Senioren geplanten Veränderungen zum Gesetz. Fortan und Seniorinnen. Woran liegt das? soll die Wahl zu den Seniorenvertretungen eine Mit einer Veranstaltung über die Möglichkeiten Woche dauern, mit bis zu fünf Wahllokalen in der politischen Mitwirkung älterer Menschen jedem Bezirk. Für die Öffentlichkeitsarbeit wer- bot die Friedrich-Ebert-Stiftung am 20. Januar den finanzielle Mittel bereit gestellt. Es ist gep- ein Forum, um diese Frage zu lant, die Bestimmung über diskutieren. die Mindestzahl der Mit- Ausgangspunkt war ein Gut- glieder in den Seniorenver- achten, das die FES zum tretungen in eine Sollklausel Berliner Seniorenmitwir- abzuändern. Damit reagiert kungsgesetz in Auftrag ge- die Politik auf die extrem ge- geben hatte. Das Gesetz ringe Wahlbeteiligung und regelt die Arbeitsweise der die Probleme, die diese für Seniorenvertretungen. Dies die Legitimation der Senio- sind ehrenamtliche Sachver- renvertretungen aufwirft. ständigengremien, die den Bezirksversammlungen bera- D as G utachten tend zu seniorenpolitischen http://library.fes.de/pdf-files/ Themen zur Seite stehen. Fe- do/07745.pdf derführend bei dem Gutach- ten war Prof. Dr. Christiane

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Jubiläums- veranstaltungen Gleiche Rechte, gleiche Chancen, gleiches Glück? 1 0 0 J ahre I nternationaler F rauenta g

Frauen und Männer stimmen in freier, geheimer Große Anerkennung erhielt die Arbeit der Be- und vor allem gleicher Wahl über ihre Vertreter ratungsstelle „Wildwasser e.V.“ in Würzburg, im Parlament ab. Dies ist eine kaum mehr beach- einem Verein gegen sexuelle Gewalt an Mädchen tete Selbstverständlichkeit, von der die Frauen im und Frauen. frühen 20. Jahrhundert nur träumen konnten. Herausforderungen und Chancen durch Teil- Bestandsaufnahme zeit oder aber die Reflexion von und Aufbau neuer „Stolpersteinen auf dem Weg Netzwerke: Das Ziel der Veranstaltung nach oben“ zeigten, wie wich- zum Frauentag in tig es Frauen ist, die Arbeitswelt Würzburg. zu verändern. Wie sich in vielen Gesprächen zeigte, verfolgen Frauen über Ländergrenzen hin- weg nahezu die gleichen Ziele im Hinblick auf Chancengleichheit der Geschlechter. Allerdings ge- hen die Meinungen über die po- litischen Mittel und Methoden auseinander. So wird eine Quo- tenregelung selbst in Schweden kontrovers beurteilt und auch Dennoch kämpften sie für das Frauenwahlrecht – innerhalb der deutschen Gruppe gab es große und nicht nur dieses. Der freie Zugang zu Bildung, Meinungsunterschiede. Beruf und Einkommen, rechtliche Gleichstellung In Leipzig fragten die ehemalige SPD-Schatz- und persönliche Autonomie waren ebenfalls meisterin Inge Wettig-Danielmeier, die Kanzle- Punkte auf der Forderungsliste. Der von Clara Zet- rin der Handelshochschule Leipzig, Dr. Judith kin 1911 ins Leben gerufene Internationale Frau- Marquardt, Genka Lapön, Gleichstellungsbeauf- entag soll seit dieser Zeit auf eben jene Ziele der tragte der Stadt Leipzig und Eva Brackelmann, Frauenbewegung aufmerksam machen. In diesem Mitglied des Bundesvorstandes Sozialdemokra- Jahr wurde er zum hundertsten Mal begangen. tischer Frauen, „100 Jahre Frauentag = 100 Pro- Unter anderem bei Veranstaltungen in Würzburg zent Gleichstellung?“. Inge Wettig-Danielmeier und in Leipzig wurden die Ergebnisse dieser Be- verdeutlichte, wie wichtig die Durchsetzung ei- strebungen sowohl an erfolgreichen Beispielen ner Geschlechterquote auf allen Ebenen des par- aufgezeigt, wie auch der kritischen Betrachtung lamentarischen Systems sei. Schließlich müsse unterzogen. man feststellen, so Brackelmann, dass sich die Wünschenswert für die Veranstalterinnen in Kernfragen der Gleichstellung in den letzten Würzburg erschien eine Bestandsaufnahme und Jahrzehnten kaum geändert hätten. Nach wie das Initiieren neuer Netzwerke über Ländergren- vor verdienten Frauen weniger und seien auch zen hinweg. Als Verbündete für dieses Vorhaben in den meisten wirtschaftlichen, sozialen und der Akademie Frankenwarte konnte Eva-Maria politischen Gremien unterrepräsentiert. Gen- Barklind-Schwander vom „Büro Würzburg Inter- ka Lapön konnte das am Beispiel des Leipziger national“ gewonnen werden, die die Projektidee Stadtrates bestätigen. Hier befänden sich unter in die 10 Partnerstädte schickte. Bei der zweitä- den siebzig Stadträten lediglich zwanzig Frauen. gigen Veranstaltung zum Frauentagsjubiläum Die Abschlussfrage des Moderators, wie weit die trugen Gäste aus Irland und Schweden zur Kor- Gleichstellung in zehn oder zwanzig Jahren fort- rektur von tradierten Frauenbildern und zur Ein- geschritten sein werde, beantwortete das Podium sicht bei, dass auch Verwaltungen lernfähig sein dennoch optimistisch. können.

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Einzigartiger Ort der Begegnung Expertengespräche F E S beim W eltsozialforum 2 0 1 1 Seit dem Jahr 2001 gibt es das große Welttref- Austauschs, der Gelegenheit zum Knüpfen neuer fen der alternativen Bürgerorganisationen, die internationaler Allianzen und Partnerschaften sich eine Gegenveranstaltung gegen die Gipfel- für die zukünftige Zusammenarbeit geworden, konferenzen der Welthandelsorganisation, der für soziale Gerechtigkeit und Demokratie, eine G8- oder G20-Regierungschefs und das Davoser bessere Umwelt und Frieden. Gleichzeitig war es Weltwirtschaftsforum geschaffen haben. Das vor allem für die afrikanischen Teilnehmer der Weltsozialforum wird seit einigen Jahren ab- Ort, um ihre Unzufriedenheit und Empörung wechselnd auf verschiedenen Kontinenten or- über die dramatische Situation auf ihrem Konti- ganisiert und bleibt weiterhin das internationale nent auszudrücken, die von den Auswirkungen Forum der sozialen Bewegungen und Bürgeror- einer häufig verfehlten Wirtschaftspolitik und ganisationen, die zeigen wollen, dass es auch dem Kampf ausländischer Kräfte um Einfluss auf andere Formen der Globalisierung jenseits der den Rohstoffreichtum des Kontinents bestimmt Interessen des globalen Finanzkapitals gibt. ist. Angesichts der großen politischen Umwäl- Unter dem Motto „Eine andere Welt ist möglich“ zungen in Tunesien und Ägypten im Februar war Dakar, die Hauptstadt des westafrikanischen 2011 waren natürlich die Ereignisse in Nordafrika Senegal, im Februar 2011 der Veranstaltungsort ein ständiges Thema, das das Treffen der sozialen des 10. Weltsozialforums, das zum dritten Mal in Bewegungen in Dakar mitbestimmte. einem afrikanischen Land stattfand. Die Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung im Sene- Vom organisatorischen Standpunkt aus gesehen gal, zusammen mit den Fachkollegen für inter- hatte das Weltsozialforum, wie auch alle ande- nationale Gewerkschaftsarbeit und das globali- ren vorhergehenden Weltsozialforen, seine kar- sierungspolitische Programm aus Berlin, führten nevalsähnlichen Seiten; ein Karneval des Durch- im Verlauf des Weltsozialforums im Senegal eine einanders und des fröhlichen Zusammenseins, Reihe von öffentlichen Expertengesprächen und auf dem Campusgelände der großen Universität anderen Veranstaltungen durch: Sie thematisier- Cheikh Anta Diop von Dakar. ten die Rolle der Journalisten und Medien, die Improvisation, das Prinzip Zufall, unauffindbare internationalen Schuldenkrise, die Grundprin- Veranstaltungen, wiederholte lange Stromausfäl- zipien der guten Regierungsführung sowie die le und viele andere Überraschungen prägten in zukünftigen Wirtschaftsbeziehungen mit der den ersten Tagen das Bild. Das Weltsozialforum Europäischen Union. ist zu einem einzigartigen Ort der Begegnung, des

g E D E N K E N an H ol g er B ö rner Holger Börner, ehemaliger hes- sischer Ministerpräsident, lang- jähriger Vorsitzender der Fried- rich-Ebert-Stiftung und Kasseler Ehrenbürger wäre am 7. Februar 2011 80 Jahre alt geworden. Er verstarb am 2. August 2006. Unter großer Anteilnahme zahl- reicher Weggefährten und poli- tischer Mandatsträger, legte der Vorstand der Friedrich-Ebert- Stiftung zusammen mit der Fa- milie Börner an seiner letzten Ruhestätte in Kassel einen Kranz nieder.

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WIRTSCHAFT, ARBEIT, SOZIALES MITWIRKEN

Podiumsdiskussion IST DAS BILDUNgSSySTEM RICHTIg AUFgESTELLT? DER MANAgERKREIS DER FES üBER DIE ARBEITSWELT IM WANDEL

Die Veränderungen der Arbeitswelt stellen alle stand Personal und Arbeit der Deutsche Telekom Beteiligten auf dem Arbeitsmarkt vor große Her- AG, Hubertus Schmoldt, ehemaliger Vorsitzen- ausforderungen. Von den Arbeitnehmern wird der der IG BCE Dr. Hilmar Schneider, Direktor Ar- lebenslanges Lernen, Mobilität, Flexibilität und beitsmarktpolitik, Institut zur Zukunft der Arbeit, die Bewältigung der damit verbundenen unsi- Bonn. Es moderierte Alfred Geißler, Mitglied der chereren „Lebensplanbarkeit“ gefordert. Die Un- Geschäftsführung Evonik Steag GmbH. ternehmen müssen mit dem fortschreitenden „Flexibilisierung“ steht in der Organisationstheo- demografi schen Wandel um die „besten Köpfe“ rie für eine Abkehr von starren Beschäftigungs- konkurrieren, das Potenzial der eigenen Mitarbei- verhältnissen und einer stärkeren Beteiligung des ter wird in immer stärkerem Maße zum Erfolgsfak- Arbeitnehmers an unternehmerischen Risiken: tor. Darüber hinaus müssen auf dem Arbeitsmarkt Etwa durch fl exiblere Arbeitszeitmodelle oder politische Rahmenbedingungen im Hinblick auf durch Lohnbestandteile, die von der wirtschaft- soziale Sicherheit, Flexibilität, Eigenverantwor- lichen Situation des Unternehmens abhängig tung und Förderung geschaffen und in Einklang sind und – je nach Defi nition – auch durch we- gebracht werden. Um diese Phänomene zu be- niger Kündigungsschutz. Unter dem Begriff „Em- schreiben, wurden in den vergangenen Jahren die ployability“ werden Instrumente zur Steigerung Begriffe „Flexibilisierung“ und „Employability“ der lebenslangen Beschäftigungsfähigkeit disku- geprägt. In einer Podiumsdiskussion befasste sich tiert, die sowohl die Kompetenzen des Arbeitneh- der Managerkreis der Friedrich-Ebert-Stiftung am mers wie seine Arbeitsbedingungen betreffen. 31. Januar in Berlin mit diesen Schlüsselbegriffen Eingangs skizzierte Hubertus Heil unter ande- für die Arbeitswelt im Wandel. rem, dass dem Arbeitsmarkt nicht nur ein quan- Auf dem Podium diskutierten Hubertus Heil, titatives, sondern auch ein qualitatives Problem MdB, stellvertretender Vorsitzender der SPD- drohe. Zugleich verwies er darauf, dass angesichts Bundestagsfraktion, Thomas Sattelberger, Vor- des steigenden Bedarfs an gut ausgebildeten Mit-

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arbeitern auch die Unternehmen ihren Teil zur derungen empfänden, sondern als Druck: Hier Qualifizierung beitragen müssten. Hilmar Schnei- müssten Arbeitgeber und Arbeitnehmer stärker der und Thomas Sattelberger betonten, dass über als bisher Hand in Hand arbeiten. die formale Qualifikation hinaus, auch die soziale In der Diskussion mit dem Publikum wurde Kompetenz stärker in den Blick rücken sollte. Hu- die Frage aufgeworfen, ob das Bildungssystem bertus Schmoldt warf die Frage auf, wer für Flexi- überhaupt „richtig aufgestellt“ sei, um den An- bilisierung und Employability verantwortlich sei. forderungen zu entsprechen. Hilmar Schneider Für ihn handele es sich dabei ganz klar um eine äußerte die Sorge, dass „wir uns mit diesem Ba- gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Hubertus Heil chelor-Master-System ein Bildungssystem haben wies darauf hin, dass nicht wenige Arbeitnehmer aufschwatzen lassen, das junge Menschen zu lebenslanges Lernen und stetige Bereitschaft zur Fachidioten verkommen lässt.“ Veränderungen nicht als spannende Herausfor-

Pragmatismus trifft auf ansprüche Interview g E S P R ä ch mit B ri g itte E derer Brigitte Ederer ist als Arbeitsdirektorin für über men viel Geld und viele Anstrengungen. Wir 400.000 Siemensmitarbeiter/innen weltweit ver- setzen beträchtliche Mittel für die Qualifizierung antwortlich und trägt außerdem die Europa- unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein. Verantwortung im Siemens-Vorstand. Sie war in Dennoch stehen wir vor dem Problem, dass es bei Österreich Nationalratsabgeordnete, EU-Staats- technischen Qualifikationen oft schwierig ist, of- sekretärin, SPÖ-Bundesgeschäftsführerin und fene Stellen rasch und adäquat zu besetzen. Das Finanz- und Wirtschaftsstadträtin der Stadt heißt, wir müssen als Wirtschaftsstandort einer- Wien. seits ambitioniert unsere Bildungssysteme opti- (Die Fragen stellte Dr. Werner Rechmann, FES, mieren und andererseits gezielte Zuwanderung geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Ma- von Top-Qualifikationen flexibel ermöglichen. nagerkreises). Sie engagieren sich im Managerkreis der Friedrich- Frau Ederer, Sie haben als Staatssekretärin den Bei- Ebert-Stiftung, der sich als ein Forum für den Dialog tritt Österreichs in die EU wesentlich mitgestaltet. zwischen Politik und Wirtschaft versteht. Wie sehen Nun sind Sie bei Siemens nicht nur für Personal, son- Sie, mit Ihren Erfahrungen in beiden Bereichen, die dern auch für das Europageschäft verantwortlich. Bedeutung eines solchen Dialogs und woran schei- Wie wichtig ist die EU und die Bewältigung der der- tert gelegentlich zeitigen Krise, nicht nur politisch, sondern auch für dieser notwen- die Unternehmen und damit auch für Siemens? dige konstruktive Die Stabilität und Funktionalität der EU ist für in- Dialog? ternationale Konzerne wie Siemens ganz sicher Der Dialog zwi- von großer Bedeutung. Auch wenn die Wachs- schen Politik tumsdynamik derzeit in anderen Weltregionen und Wirtschaft größer ist, ist Europa nach wie vor von großer ist von großer Bedeutung, vor allem was die Innovationskraft Bedeutung, weil dieses Kontinents betrifft. Europa muss aller- beide Seiten da- dings in dem Umfang besser und innovativer bei profitieren sein, als wir teurer als andere Standorte sind. können. In dem Sinne, dass wirt- In Deutschland wird der zukünftige Fachkräfteman- schaftlicher Pragmatismus mit gesellschaft- gel aufgrund des demographischen Wandels und sei- lichen Ansprüchen konfrontiert wird und daraus ne Folgen intensiv diskutiert. Wie gehen Sie als dafür neue Einsichten gewonnen werden können. Ich Verantwortliche bei Siemens damit um? habe mich daher gerne bereit erklärt, für einen Siemens ist bestrebt die besten Talente am Markt solchen Dialog im Managerkreis der FES zur Ver- zu rekrutieren. Dafür investiert das Unterneh- fügung zu stehen.

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Diskussionsrunde Gehen die Fachkräfte aus? D er demo g rafische Wandel in D eutschland

„Wir sind verdammt zu Innovation“, so die These es schaffen kann, auch bei einer älter werdenden von Harald Krüger, Vorstand Personal- und Sozi- Belegschaft, das Produktivitätsniveau im Unter- alwesen der BMW Group München, während ei- nehmen zu halten, oder sogar noch zu steigern. ner Diskussionsveranstaltung des Managerkreises Wichtig seien flexible Lösungen, die Organisa- NRW und der Abteilung Gesellschaftspolitische tion eines Lern- und Dialogprozesses zwischen Information, über den demografischen Wandel jüngeren und älteren Arbeitnehmern sowie ein und die Herausforderungen für die Wirtschaft, gezieltes Kompetenz – und Talentmanagement. am 3. Februar in Mühlheim an der Ruhr. Am Bei- In der anschließenden Diskussion kristallisier- spiel von BMW machte Harald Krüger deutlich, ten sich Zweifel heraus, ob die Innovationsfähig- wie eine langfristig ausgelegte Personalplanung keit von Unternehmen wie z. B. BMW, auch von

Entwicklung des kleineren und mittleren Unternehmen nachvoll- Stellenangebots am zogen werden könne. ersten Arbeitsmarkt in Deutschland Barbara Hendriks, Mitglied des Deutschen Bun- 2009/2010 destags und Bundesschatzmeisterin der SPD wies (Grafik: publix©) darauf hin, dass bei der Frage einer optimalen Be- rufsqualifizierung eine Gruppe von jungen Men- schen nicht außer Acht gelassen werden dürfe: diejenigen, die nicht den Sprung in ein Ausbil- dungsverhältnis geschafft haben.

Studie Lohnpolitik nicht überfordern K onzept f ü r mehr makro ö konomische S tabilit ä t

In der auf Wettbewerbsprinzipien basierenden stießen die von einigen Mitgliedstaaten ange- europäischen Währungsunion sind die Lohnkos- dachte zentralisierte Steuerung der Lohnpolitik ten unter erheblichen Anpassungsdruck geraten. zunächst auf Kritik. So wurde darauf hingewie- Aktuell haben auch die gemeinsamen Reform- sen, dass die Lohnpolitik nicht das Allheilmittel vorhaben der EU-Regierungen, im Rahmen einer zur Korrektur europäischer Ungleichgewichte europäischen wirtschaftspolitischen Steuerung, sein dürfe. eine Koordinierung der Lohnpolitik zum Ziel. Die zentrale Aufgabe gewerkschaftlicher Tarifpo- Vor diesem Hintergrund untersuchte Toralf litik bleibt die Verbesserung der Arbeits- und Le- Pusch vom Wirtschaftsforschungsinstitut Halle, bensbedingungen der Beschäftigten. Dieses Ziel in einer Studie für die Internationale Politikana- dürfe keinesfalls makroökonomischer Planung lyse (IPA) der FES, die Effekte eines gewerkschaft- untergeordnet werden. Seit Jahren habe der Vor- lichen Lohnverhandlungsnetzwerks der Metall- wand von »Stabilität und Wachstum« zum Abbau gewerkschaften Nordrhein-Westfalens, Belgiens des Sozialstaats und der Rechte der Arbeitneh- und der Niederlande im Zeitraum von 1999 bis merinnen und Arbeitnehmer geführt. Lohnpoli- 2008. Die weitgehend positive Entwicklung der tik müsse in den größeren Kontext weiterer wirt- Lohnabschlüsse durch Orientierung am vorgege- schaftspolitischer Faktoren gestellt werden. Diese benen Verteilungsspielraum deutet tatsächlich lohnpolitische Koordinierung in Europa müsse auf mögliche Effekte von Lohnverhandlungs- in der Verantwortung der Tarifpartner liegen. netzwerken zur Begrenzung der Abweichungen in der Eurozone hin. D ie studie In den begleitenden Diskussionen der FES-Eu- Toralf Pusch: Lohnpolitische Koordinierung in der ropaarbeitskreise in Berlin und Brüssel sowie die Eurozone – ein belastbares Konzept für mehr makro- schriftlichen Kommentierungen aus nationaler ökonomische Stabilität und europäischer Gewerkschaftsperspektive, http://library.fes.de/pdf-files/id/ipa/07931.pdf

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Positions- Abschalten und Licht aus? bestimmung „B remer D ialo g “ zur Atomdebatte

„Wir sind von Atomkraftwerken umzingelt wie fe nicht nur die Kernkraft, sondern die „Grenzen kaum eine andere Großstadt in Deutschland.“ des Wachstums“ insgesamt. Mit diesem Statement brachte Bürgermeister Jens Einer Debatte um den Ausstieg aus der Atom- Böhrnsen die Situation von Bremen und Bremer- energie könne und wolle sich auch RWE nicht haven auf den Punkt. Das „Restrisiko“ sei „nicht verweigern, so Alexander Nolden – man werde zu verantworten“ und die Laufzeitverlängerung sie auch nicht mehr „gedreht“ bekommen. Zu- habe „die Bedrohung Bremens verlängert.“ Über gleich wies er jedoch darauf hin, dass der Weg in die Sicherheit, die Notwendigkeit und die Zukunft die erneuerbaren Energien länger dauern werde, der Atomenergie diskutierte Jens Böhrnsen auf als viele meinen. Im übrigen sei er nicht für alle einem höchst aktuellen „Bremer Dialog“ des Juli- Länder dieser Erde gangbar. Schließlich müsse us-Leber-Forums u.a. mit Alexander Nolden, dem man auch über die Kosten eines Ausstiegs für die Leiter der Konzernsparte Energieerzeugung von Wirtschaft und die Verbraucher sprechen: „Egal RWE. Nolden stellte klar, dass sich an der Sicher- was wir machen: es ist ein Preisschild dran!“ Das heit der Reaktoren nichts geändert habe – geän- Thema der erneuerbaren Energien sei, so Jens dert habe sich die Akzeptanz in der Bevölkerung. Böhrnsen, „hier im Norden zu Hause“. Für Bre- Das müsse RWE als Energieversorger akzeptieren, men besonders wichtig sei die Offshore-Wind- ebenso wie den Primat der Politik. Allerdings energie. Notwendig sei nun der Atomausstieg müsse sich auch die Politik an die Grundsätze und, damit verbunden, eine „nationale Anstren- des Rechtsstaates halten – und da stünde das be- gung für erneuerbare Energien“ – dazu gehörten, schlossene Moratorium auf „dünnem Eis“. neben neuen Netztrassen, auch eine bessere En-

Auch Jens Böhrnsen kriti- publix (Karte: Bremen umzingelt: sierte das Moratorium, aller- Atomkraftwerke im Norden Deutsch- dings aus gänzlich anderer lands Perspektive: Es sei „ein Witz, © leider ein schlechter Witz.“ ) Er frage sich, was am Ende des Moratoriums herauskommen solle: „Kommt dann jemand und sagt, es ist ethisch ver- tretbar, und die Dinger wer- den wieder angeschaltet?“ Er hingegen plädierte dafür, die jetzt abgeschalteten Atommeiler nicht wieder ergieeffizienz, dezentrale Energieerzeugung und ans Netz zu nehmen. Otfried Schumacher vom ein sinkender Energieverbrauch. Womit die Dis- „Physikerbüro Bremen“ warb dafür, jenseits der kussion zum Schluss beim Verhalten jedes einzel- technischen Fragen eine ethische Debatte zu nen Verbrauchers in Deutschland angekommen führen: Darüber, was wir für tragbar halten und war. Oder, wie es ein Beitrag aus dem Publikum was nicht. Es gehe dabei um eine Gesamtbetrach- auf den Punkt brachte: „Wir müssen uns alle tung, darum, „wie wir leben wollen“. Dies betref- selbst mehr in die Pflicht nehmen!“

Die Kernfrage Erfahrungsbericht Atomener g ie und pers ö nliche F ol g en

Was haben eine russische Radiobiologin, ein bel- und nahmen die 120 Teilnehmer/innen der Ver- gischer Regisseur und eine Witwe aus Augsburg anstaltung des BayernForums und Women in gemeinsam? Sie alle haben sehr persönliche, leid- Europe for a Common Future am 2. Dezember in volle Erfahrungen mit der Kernenergie gemacht München mit auf eine bewegende Reise zu den

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verschiedenen Stationen der Kernenergienut- Alain de Halleux, belgischer Kernchemiker und zung – vom Uranabbau über den Kraftwerksbe- Regisseur, verdeutlichte anhand von Erfahrungs- trieb und den Super-GAU bis hin zum Atommül- berichten französischer Kernkraftwerksmitarbei- lendlager. ter, wie die verschlechterten Arbeitsbedingungen Die Referent/innen machten deutlich, dass und das zunehmende Subunternehmertum, die fortwährend Menschen direkt von den Folgen Risiken für Arbeiter und Allgemeinheit steigern. dieser Form der Energienutzung betroffen sind. Das fehlende Wissen über Strahlungsrisiken und Während die Witwe eines Uranminenarbeiters die verheerenden gesundheitlichen Spätfolgen aus Wismut bis heute um die Anerkennung der schilderte die russische Radiobiologin Natalia Krebserkrankung ihres Mannes als Berufskrank- Manzurova, die mehrere Jahre als Liquidatorin heit kämpft, setzen sich schon im Normalbetrieb in Tschernobyl gearbeitet hatte. von Kernkraftwerken auch zahllose Mitarbeiter ständig den Gefahren der Kontamination aus.

Streitgespräch Vision oder Illusion? E ner g iemi x der Z ukunft Im vorpommerschen Greifswald, wo zu DDR- Mittelpunkt gerückt und einen gesellschaftlichen Zeiten ein Kernkraftwerk russischer Bauart Strom Konsens in der Frage des Atomausstiegs. Der Aus- erzeugte und wo demnächst russisches Erdgas stieg müsse jedoch „erheblich beschleunigt“ wer- via Ostsee-Pipeline angelandet wird, beschäftigte den“, forderte er im voll besetzten Max-Planck- sich der Managerkreis Mecklenburg-Vorpom- Saal des Technologiezentrums. Er warb für einen mern am 31. März mit dem„Energiemix der Zu- „Zukunftsenergiepakt Deutschland“, der im Kern kunft“. Mit dem Ministerpräsidenten von Meck- darauf abzielt, erneuerbare Energien zur Basis der lenburg-Vorpommern, Erwin Sellering, und dem künftigen Stromversorgung zu machen. Vorsitzenden der Geschäftsführung von RWE Manager Vahrenholt kritisierte, dass in der Ener- Innogy, Prof. Fritz Vahrenholt, saßen zwei Prota- gie-Diskussion zu wenig die Frage nach den Kon- gonisten auf dem Podium, die in ihrer Sicht auf sequenzen einer fundamentalen Energiewende in eine Energiewende, auf erneuerbare Energien und Deutschland gestellt werde. Er erwarte „massive Atomstrom unterschiedlichr nicht sein konnten. Einschränkungen“, wenn alle Atomkraftwerke Sellering sieht die Energiefrage in den politischen vom Netz genommen würden. Strom werde deut- lich teurer, energieintensive Industrien würden den Standort Deutschland verlassen und die Zu- Kurze Meldungen Hintergrundgespräche verlässigkeit der Stromversorgung werde sinken, In den vergangenen Jahren war der Vorstand des mahnte der RWE-Manager. Er nannte es „eine Managerkreises der FES jeweils einmal im Jahr zu Illusion“, den Strombedarf zu 100 Prozent aus er- einem Hintergrundgespräch mit dem damaligen neuerbaren Energien zu decken. „50 Prozent sind Bundespräsidenten Horst Köhler eingeladen machbar“, sagte Vahrenholt und ging damit ein worden. Um den Gedankenaustausch mit Köh- Stück auf den Politiker Sellering zu. ler fortzusetzen, hatte ihn der Managerkreis am 3.Februar gebeten, die Vorschläge einer Reform des internationalen Währungssystems zu kom- mentieren. Ein weiteres Hintergrundgespräch fand am 14.März mit Manuela Schwesig, der Ministerin für Gesundheit und Soziales in Me- cklenburg-Vorpommern, statt. Sie betonte, dass Angesichts des einsetzenden Fachkräftemangels Wirtschaft und Politik gleichermaßen vor der Herausforderung stünden, bessere Bildungs- strukturen zu verwirklichen. Bildungspolitik sei Weitere Warnung aus der Energiewirtschaft: immer auch Wirtschaftspolitik. Prof. Fritz Vahrenholt, RWE Innogy (Foto: Feck)

FES INFO 1 / 2 0 1 1 WIRTSCHAFT, ARBEIT, SOZIALES 29 chancen für die „Grüne Wirtschaft“? Zwei Konferenzen U mbau der I ndustrie g esellschaft in P olen

Der „Terror des kurzfristigen Profits” beherrsche destagsfraktion, Ulrich Kelber, über das Thema Polen, es habe sich eine Wegwerf-Gesellschaft „Energie- und Klimapolitik vs. neue Wachstums- nach amerikanischem Vorbild entwickelt, be- quellen in Europa – Konkurrenz oder Interde- klagte die Vorsitzende der polnischen Gesell- pendenz?“. schaft für Ökonomie, Prof. Dr. Elzbieta Maczyns- Kelber gab sich überzeugt, dass hier in den letzten ka, bei einer Diskussionsrunde über den Umbau Jahren ein Umdenken eingesetzt habe. „Während der Industriegesellschaft, veranstaltet von der bisher stets die Annahme vorherrschte, dass der FES-Warschau und dem polnischen Institut für Durchsetzung von klimapolitischen Zielen zu- Öffentliche Angelegenheiten. Mit Verweis auf nächst ein wirtschaftliches Wachstum vorausge- den deutschen Soziologen Ulrich Beck, forderte hen muss, stellen wir nun fest, dass Klimapolitik sie die Abkehr von „einer Ökonomie, die allein mittlerweile häufig die Basis für ökonomischen auf Wissen basiert, hin zu einer Ökonomie, die Aufschwung ist.“ Ziel sei es, Wachstum mit mög- auf Vernunft fußt“. lichst wenig Ressourcenverbrauch und Belastung Dr. Jacek Kucharczyk, Leiter des Instituts für Öf- zu ermöglichen. Das könne gelingen, wenn man fentliche Angelegenheiten, räumte ein, dass man es schaffe, „wirklich saubere Technologien“ zu in Deutschland umweltbewusster als in Polen sei. entwickeln, anstatt schmutzige lediglich zu fil- Auf der polnischen Priori- Skizzierte die Grund- tätsliste stünden weiter- risse einer nachhal- tigen Industriepoli- hin Wirtschaftswachstum tik: Hubertus Heil, und Anstieg der Gehälter. stellvertretender Vor- sitzender der SPD- Hubertus Heil, stellvertre- Bundestagsfraktion tender Vorsitzender der in Warschau. SPD-Bundestagsfraktion, skizzierte die Grundrisse einer „nachhaltigen In- dustriepolitik”: sie bestehe aus einer Balance sozialer, ökologischer und wirt- schaftlicher Ziele, gestützt durch langfristiges tern. Der Markt allein könne dies aber nicht re- Denken. Die Reflexion über den Begriff war vor geln. „Strukturpolitik kann einen Beitrag leisten, allem für die polnischen Zuhörer interessant, da um das Versagen der Marktwirtschaft auszu- die Ausdrücke „Nachhaltigkeit” oder „nachhal- gleichen und Investitionen in energieeffiziente tig” in ihrer Sprache bisher nicht vorkommen. Technologien, die sich finanziell erst langfristig Dariusz Szwed, Vorsitzender der polnischen Par- rechnen, zu ermöglichen“, so Kelber. tei „Grüne 2004”, sah die Möglichkeiten einer Ob eine solch vorausschauende Strukturpolitik „grünen Wirtschaft” in Polen nicht so pessimis- auch in Polen politisch durchsetzbar ist, bezwei- tisch wie seine Vorredner Kucharczyk und Ma- felten Kelbers polnische Mitdiskutanten. „Wäh- czynska. Er führte die Danziger Werft als Beispiel rend die deutsche Öffentlichkeit die finanzielle für eine gelungene Industriepolitik an: In der und politische Förderung der erneuerbaren En- Werft, die lange als Beispiel für den Niedergang ergien gemeinhin als Investition in die Zukunft der polnischen Traditionsindustrie galt, werden sieht, wird in Polen häufig nur den zusätzlich heute Masten für Windkraftanlagen für den euro- anfallenden Kosten Beachtung geschenkt“, be- päischen Markt hergestellt. Es gehe nicht darum klagte der Vorsitzende des Instituts für struktu- den „Kapitalismus grün anzumalen”, sondern relle Studien, Dr. Maciej Bukowski. Nur durch um eine neue Industriepolitik, betonte Szwed. positive Beispiele könnten auf lange Sicht auch polnische Bürger und Politiker von dem Nutzen Bei einer weiteren Konferenz in Warschau dis- einer nachhaltigen Industriepolitik überzeugt kutierten etwa 50 Teilnehmer, darunter auch werden. der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bun-

1 / 2 0 1 1 INFO FES 30 WIRTSCHAFTS, ARBEIT, SOZIALES

Konferenz wachstum durch bessere Verteilung Verbindung von Wirtschaftswachstum und Armutsbekämpfung

„Nicht alle Gruppen sind derzeit an den Erträ- Auch die im Rahmen der Konferenz vorgestell- gen des Wirtschaftswachstums beteiligt, eine te Studie „Armut und soziale Ausgrenzung“ Wirtschaftskrise trifft immer die Ärmsten“, stell- verdeutlicht, dass Armut das gesellschaftliche te Grzegorz Napieralski, Vorsitzender des pol- Gleichgewicht und damit die politische Stabilität nischen Bundes der Demokratischen Linken SLD, eines Landes bedroht. Üblicherweise überwiege anlässlich einer Konferenz zum Thema „Armut die Annahme, dass zunächst das Wirtschafts- und soziale Ausgrenzung“, im polnischen Parla- wachstum angekurbelt werden müsse und erst im ment fest. Eingeladen hatten die FES gemeinsam Anschluss die Verteilung reguliert werden könne, mit der Stiftung Amicus Europae. so der Verfasser der Studie, Rafal Bakalarczyk. Der Prof. Dr. Ryszard Szarfenberg vom Institut für Ge- Autor plädiert dafür, bereits im ersten Schritt Pro- sellschaftspolitik der Universität Warschau be- bleme der Verteilung anzugehen, um anschlie- tonte, dass die Wirtschaftssituation eines Landes ßend ein gerechteres Wirtschaftswachstum zu anhand der Situation der Ärmsten beurteilt wer- garantieren. den müsse. Für Szarfenberg stellt die Verbindung Im Rahmen der Podiumsdiskussion standen von Wirtschaftswachstum und Armutsbekämp- die Bewertung staatlicher Modelle und Mittel fung eine zentrale Aufgabe der Politik dar. der Sozialpolitik im Mittelpunkt. Prof. Dr. Mi- roslaw Grewiñski, Mitarbeiter an der Hochschule für Pädagogik, be- tonte, dass die Verwaltung sozial Ausgegrenzte nicht erfasse: „Es fehlt an ausreichender Kommunikation und Koordination der zahlreichen Ämter, diese bedürfen einer gene- rellen Neustrukturierung“. In sei- nem Resümee forderte Ireneusz Bil, Direktor der Stiftung Amicus Euro- pae: „Eine Gesellschaft darf nicht nur von Konkurrenz bestimmt sein, sondern bedarf gegenseitiger Auf- merksamkeit, Rücksichtnahme und Engagement.“

Round Table Türkei: Armut trotz Arbeit W eiterentwicklun g des S ozialsektors erforderlich

Die Zahlen des Statistischen Amtes zur Einkom- tern für Sozial- und Minderheitenrechte an einen mensverteilung und zum Lebensstandard in der Tisch. Dabei wurde u. a. das Fehlen einer syste- Türkei machen es amtlich: fast 13 Mio. Menschen matischen Weiterentwicklung des Sozialsektors gelten offiziell als arm, nahezu 1,5 Mio. mehr als beklagt. Sozialpolitik würde allzu oft als Almosen- noch im Vorjahr. Die Schere zwischen Arm und politik verstanden und nicht als ein Recht defi- Reich öffnet sich trotz ausgezeichneter Wirt- niert, auf das alle Bürger einen Anspruch haben. schaftsentwicklung der Türkei beständig weiter. Eine Analyse der Bosporus-Universität beschrieb Über 17% aller Haushalte verfügen über weniger zunächst die soziale Situation der türkischen als 200 Euro Monatseinkommen. Bevölkerung, verwies auf geschichtliche Hinter- Fünf Abgeordnete des Bundestagsausschusses für gründe sozialer Verwerfungen und kam zu dem Arbeit und Soziales setzten sich am 28. Februar in Ergebnis, dass vor allem junge Menschen, Frauen Istanbul mit Sozialwissenschaftlern sowie Vertre- und Minderheiten von Armut betroffen sind.

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Europas (un-)heimliche Ungleichheit Analyse E inkommensverteilun g sch ö n g erechnet

Die offiziellen Angaben zur Einkommensvertei- „Wirtschaftsdienst“ veröffentlicht wurden. Die lung in der EU rechnen die tatsächlichen Ver- neuere Berechnung erschien Anfang 2011 in hältnisse schön. So das Ergebnis einer Untersu- der Zeitschrift „Intereconomics“ unter dem Ti- chung der FES zur Ungleichheit in Europa. Eine tel „Immeasurable Inequality in the European neue Schätzung der Einkommen der reichsten Union“ und löste dort eine Kontroverse aus. Die und ärmsten 20% der EU-Bevölkerung zeigt, überraschenden Werte stießen auch an anderer dass die Verteilung in der EU ungleicher als in Stelle auf Interesse. Das FES-Büro London sowie den USA oder Indien ist, diese Ungleichheit sich themenorientierte Websites wie die Global La- aber – im Gegensatz zur methodisch falschen bour Column und Social Europe publizierten EU-Schätzung – in den Jahren vor der Krise leicht Kurzfassungen der Untersuchung. verringert hat. Eine Zusammenfassung der Ana- lyse erschien in der Reihe „wiso-direkt“. W ebsites /L inks : Die Berechnungen von Michael Dauderstädt http://library.fes.de/pdf-files/wiso/07477.pdf und Cem Keltek basierten auf einer Methode, (wiso-direkt) die Dauderstädt schon 2007 für eine Schätzung www.intereconomics.eu/downloads/getfile. nutzte, deren Ergebnisse damals in der Zeitschrift php?id=763

China: Simulation von Rollenspiel Tarifverhandlungen D eutsch -C hinesischer Gewerkschaftsaustausch

Anhand eines Fallbeispiels aus der deutschen von der chinesischen Regierung vorangetriebene Metall- und Elektroindustrie sollten 35 Dozenten Neuausrichtung des Wachstumsmodells. So sol- von chinesischen Provinz-Gewerkschaftsinstitu- len in dem zu verabschiedenden 12. Fünfjahres- ten aus dem ganzen Land, spielerisch den Ablauf plan Bedingungen für eine gerechtere Einkom- und die Finessen bei der Aushandlung eines re- mensverteilung und damit für ein „inklusives gionalen Branchen-Tarifvertrags erlernen. Ta- Wachstum“ geschaffen werden. rifverhandlungen und Gewerkschaftsarbeit in Vermittelte in Peking Deutschland waren die Themen einer zweitä- die Finessen von Tarifverhandlungen: gigen Simulation, die die FES Peking gemeinsam Der Leiter der Inter- mit Experten der IG Metall sowie dem Institut für nationalen Abtei- lung der IG Metall, Industrielle Beziehungen beim All-Chinesischen Horst Mund. Gewerkschaftsbund (ACGB) veranstaltete. Das Ziel der Simulation, den chinesischen Gewerk- schaftern in einem interaktiven und möglichst realitätsnahen Rollenspiel die praktischen Erfah- rungen mit Tarifverhandlungen aus Deutschland zu vermitteln, wurde erreicht. Da der chinesische Gewerkschafts-Dachverband (ACGB) als eine der wichtigsten Aufgaben für die kommenden Jahre das Ziel verfolgt, in allen gewerkschaftlich orga- nisierten Betrieben in China Tarifverhandlungen durchzuführen, besteht gegenwärtig ein großer Bedarf, den deutsch-chinesischen Gewerkschafts- austausch in diesem Bereich zu intensivieren. Eingebetet ist die Zielsetzung des ACGB in die

1 / 2 0 1 1 INFO FES 32 WIRTSCHAFTS, ARBEIT, SOZIALES

Regionalprojekt Gebündelte Kräfte Z usammenarbeit der Gewerkschaften in E x - J u g oslawien Um sich dem Sozialdumping entgegenzustel- goslawiens gegründet. Der Gewerkschaftsrat ist len, wurde auf Initiative des slowenischen Ge- Ergebnis einer über die Jahre immer besseren, werkschaftsbundes ZSSS in der slowenischen auch von der Friedrich-Ebert-Stiftung geförder- Hauptstadt Ljubljana, der Regionale Gewerk- ten, Zusammenarbeit der Gewerkschaften nach schaftsrat „Solidarität“ von den wichtigsten den Jugoslawienkriegen der 90er Jahre. Die Initi- Gewerkschaftsbünden in den Ländern Ex-Ju- ative ist ein Baustein zu gutnachbarschaftlichen Beziehungen im Westbalkan auf dem Weg in die Europäische Union. Kurz notiert Ausbildung für Gewerkschafter Einer regionalen Kommission für den EU-Bei- Seit der umstrittenen Präsidentenwahl in Bela- tritt, die vom Europäischen Gewerkschaftsbund rus vollzieht sich ein weitreichender Trans- getragen und vom gewerkschaftlichen Regional- formations- und Privatisierungsprozess in der projekt der FES gefördert und koordiniert wird, Wirtschaft. Der Staat kann das alte Modell der gehören seit Anfang Februar die Dachgewerk- gelenkten Wirtschaft nicht mehr länger fi- schaften aus Bosnien-Herzegowina, Mazedoni- nanzieren und zieht sich aus vielen Bereichen en, Montenegro und Serbien an. zurück, gleichzeitig versucht er ausländische Die Schwerpunkte des gewerkschaftlichen Re- Investoren mit frischem Kapital zu gewinnen. gionalprojekt der FES „Arbeitsbeziehungen und Davon sind besonders die attraktiven Branchen Sozialdialog in Südosteuropa“ sind derzeit die der Chemie, Pharmazie und Ölverarbeitung be- Unterstützung der regionalen und europäischen troffen. Deshalb hat die FES-Minsk Anfang 2011 Vernetzung der Gewerkschaften, die Stärkung zusammen mit der Gewerkschaft „Belchimprof- der gewerkschaftlichen Europakompetenz sowie soyuz“ ein Programm zur Ausbildung junger Ge- die Förderung des regionalen Dialogs der Sozial- werkschaftsmanager aufgelegt. Von deutscher partner und der Politik über die Entwicklung des Seite begleitet die IG BCE das Projekt. Sozialstaats.

Diskussionsrunde Das Doha-Rätsel E U als Partner oder R ivale der E ntwicklun g sl ä nder ? Seit rund zehn Jahren wird in der Genfer Welt- wirtschaftlicher Größe aufgestiegen, die ihnen handelsorganisation die so genannte Doha-Ent- in den Augen wichtiger Industrieländer eine wicklungsrunde verhandelt, um die globalen Schlüsselrolle für das Gelingen der Doha-Ent- Handelsbedingungen zu verbessern und für Ent- wicklungsrunde zuweist. Was von dieser Ver- wicklungsländer fairer zu gestalten; bislang ohne handlungslage in Brüssel ankommt und ob die Ergebnis. Den Stand der Verhandlungen disku- Erwartungen des Südens in die Debatten des Eu- tierten Kenner der Doha-Entwicklungsrunde ropäischen Parlaments Einzug halten, waren die aus Genf und Brüssel auf Einladung der FES-Bü- Hauptthemen der Diskussionen. ros beider Städte. Da das Europäische Parlament Genfer Botschafter aus Schwellenländern und mit dem Lissabon-Vertrag starke Entscheidungs- den am wenigsten entwickelten Ländern waren rechte in Handelsfragen gewonnen hat, bot es nach Brüssel gereist, um dort direkt mit Vertre- sich an, die Genfer Perspektive in Brüssel vorzu- tern der Kommission und des Europäischen Par- stellen. laments über ein mögliches Verfahren des Doha- Die Mehrheit der heutigen WTO-Mitglieder sind Abschlusses zu diskutieren. Dabei wurde klar, Entwicklungsländer, die nach wie vor auf einen dass die „alten“ Wirtschaftsmächte nicht von Abschluss der Doha-Runde zu Gunsten ihrer der entwicklungspolitischen Zielstellung dieser Interessen hoffen und pochen. Aber zum einen Handelsrunde abweichen dürfen, wenn die Tür muss Einstimmigkeit unter den Verhandlungs- zu einem Abschluss nicht auf weitere Jahre ver- partnern hergestellt werden, zum anderen sind schlossen bleiben soll. einige der Entwicklungsländer zu imposanter

FES INFO 1 / 2 0 1 1 INTEgRATION, BILDUNg, KULTUR 33

INTEgRATION, BILDUNg, KULTUR TEILHABEN

EINSTIEgE ERöFFNEN Fachtagung INTEgRATIONSPROZESSE ERFOLgREICH gESTALTEN Insbesondere für Menschen mit Migrationshin- tration groß. Hier seien die wahren Integrations- tergrund gestalte sich der Einstieg in die bundes- hemmnisse zu fi nden. Diese sozialen Probleme republikanische Gesellschaft noch schwierig: so treffen Menschen deutscher ebenso wie nicht- verfügen sie oft über einen geringen Bildungs- deutscher Herkunft. Integration sei daher auch und Qualifi zierungsstand, die vorhandenen weit mehr als ein Migrationsthema – Integration ausländischen Berufsabschlüsse werden noch zu sei eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. wenig anerkannt und auch in politischen Institu- In der Abschlussrunde u.a. mit Ülker Radziwill, tionen sind sie nicht ausreichend repräsentiert. sozialpolitische Sprecherin der SPD im Berliner Die gelungenen Beispiele von Integration müss- Abgeordnetenhaus und Olaf Zimmermann, ten betont werden und es sei wichtig, die Poten- Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates be- ziale von Zuwandern noch stärker anzuerkennen stand Einigkeit darin, dass in der Debatte über und zu fördern, bekräftigte der Regierende Bür- Integration in Deutschland positive Vorbilder germeister von Berlin, Klaus Wowereit, bei der benötigt werden. Die Devise sei, „weg von der internationalen Fachtagung „Einstiege eröffnen. Integration als Defi zit und hin zu Partizipation Wie kann eine chancengerechte Integrationspo- und Beteiligung. litik aussehen?“, die vom Projekt „Gesellschaft- liche Integration“ im Forum Berlin der FES am 2. MEHR ZUM THEMA Dezember 2010 ausgerichtet wurde. Engster, Frank – Was uns verbindet, was uns zusam- Um Integrationsprozesse erfolgreich gestalten menhält: für eine demokratische und solidarische zu können, bedürfe es einer klaren politischen Gesellschaft – http://library.fes.de/pdf-fi les/do/ Prioritätensetzung auf Bildung, Qualifi zierung 07742-20110112.pdf und Arbeit. Wo mangelnde Sprachkenntnisse, fehlende Perspektiven, Unwissenheit und Bil- Gesemann, Frank – Zur Integrationsforschung in dungsferne, Intoleranz, Arbeitslosigkeit und das Deutschland: komparative Darstellung ausgewähl- Gefühl, nicht Teil dieser Gesellschaft zu sein, ter Ansätze und Methoden – http://library.fes.de/ zusammenkämen, sei der Nährboden für Frus- pdf-fi les/akademie/berlin/07711.pdf

1 / 2 0 1 1 INFO FES 34 INTEGRATION, BILDUNG, KULTUR

Gesprächskreis Chancengleichheit hat Priorität I nte g rationspolitik in N ordrhein -W estfalen

In Nordrhein-Westfalen leben 4,2 Mio. Menschen wird ein Teilhabe- und Integrationsgesetz erar- mit einer Zuwanderungsgeschichte. Mit der Inte- beitet, das der Integrationspolitik in NRW einen grationspolitik des Landes beschäftigte sich der Rahmen geben soll. Es sieht vor, die Förderung Gesprächskreis Migration und Integration der der Teilhabe und Integration von Menschen mit FES am 12. März in Bonn. Guntram Schneider, Migrationshintergrund als Querschnittsaufgabe Minister für Arbeit, Soziales und Integration, er- in allen Ressorts der Landesregierung sowie den läuterte in seinem Einführungsvortrag die neuen nachgeordneten Dienststellen auf eine verbind- Akzente und Initiativen der Landesregierung. Es liche Rechtsgrundlage zu stellen. Von besonderer Bedeutung für den Integrations- prozess sind die Organisationen der Menschen mit Migrationshintergrund. Einen Schwerpunkt In der überfüllten Neuköllner Oper in Berlin präsentierten Ber- lins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit und Franziska will die neue Landesregierung auf die Förderung Richter, Referentin des Projektes „Gesellschaftliche Integration der Chancengleichheit auf dem Ausbildungs- der FES, das von ihnen gemeinsam herausgegebene Buch „Ich wär’ gern einer von uns. Geschichten übers Ein- und Aufstei- und Arbeitsmarkt legen. gen“. 11 Autoren haben 14 Geschichten von Menschen geschrie- Scharf wandte sich Guntram Schneider gegen ben, die in Deutschland zu Hause sind, aber in sehr unterschied- lichen Lebens- und Erlebniswirklichkeiten leben. Für Klaus Veröffentlichungen, die den Islam pauschal als Wowereit, als Leiter der SPD-Zukunftswerkstatt „Integration“, Integrationshindernis darstellen. In einer aktu- ist das Thema gesellschaftliche Teilhabe eine „Herzensangele- ellen Studie zum „Muslimischen Leben in Nord- genheit“. (Die Autorinnen und Autoren stehen für Lesungen zur Verfügung. Kontakt: [email protected] ) rhein-Westfalen“ wird z.B. nachgewiesen, dass 99 Prozent der Muslime Kontakt zu Deutschen wol- len, jede/r zweite Muslim/in Mitglied in einem deutschen Verein ist und die Zahl der Eltern, die ihren Kindern die Teilnahme am Schwimm- und Sexualkundeunterricht und an Klassenfahrten ver- bieten, viel geringer ist als (Foto: K. Döring) erwartet.

Konferenz Weniger Misstrauen, mehr Dialog D eutsch - britische R E rfahrun g saustausch zum I slam

Im dritten Jahr in Folge, veranstaltete das Londo- lamentarischer Staatssekretär der muslimischen ner FES-Büro eine deutsch-britische Konferenz Ministerin ohne Geschäftsbereich, Baroness zum Islam. In Zusammenarbeit mit der West- Warsi, bekräftigte, dass die britische Regierung minster University, der Konrad-Adenauer-Stif- sich dafür einsetzen werde, die enge Verschrän- tung und der Deutschen Botschaft ging es am kung von Sicherheitspolitik und Dialog, die in 17. März um Multikulturalismus, das Image des Großbritannien im Umgang mit Muslimen vor- Islam, Radikalisierung und den „Euro“-Islam. herrscht, aufzuheben. Das Misstrauen gegenüber dem Islam durch Überwiegende Einigkeit bestand auch darin, dass Respekt und Dialog zu ersetzen, war eine der die (theologische) Entwicklung eines „Euro-Is- Forderungen der deutschen Konferenzteilneh- lam“ wünschenswert sei. Der Oxforder Islamwis- mer. Zu ihnen zählten die frühere Bundesjus- senschafter Prof. Tariq Ramadan definierte einen tizministerin Prof. Herta Däubler-Gmelin, der „europäischen Islam“ als Ausprägung unter den Landtagsabgeordnete und der spezifischen kulturellen und politischen Bedin- ZEIT-Journalist Jörg Lau. Eric Ollerenshaw, par- gungen Europas.

FES INFO 1 / 2 0 1 1 INTEGRATION, BILDUNG, KULTUR 35

Probleme sind lösbar Studie K ommunale V erantwortun g bei der g esundheits V ersor g un g

Mit der Einrichtung von primärärztlichen Ver- liches Angebot bekämen: Montags der Hausarzt, sorgungszentren können die wachsenden Pro- Dienstags die Internistin, Mittwochs der Augen- bleme der gesundheitlichen Versorgung im länd- arzt und Freitags die Gynäkologin – so zum Bei- lichen aber auch im städtischen Raum in Zukunft spiel könnte das medizinische Versorgungsange- gelöst werden. Zu diesem Ergebnis kommen die bot aussehen. Verfasser einer neuen Studie des hessischen Lan- Das Modell primärärztlicher Versorgungszentren desbüros der Friedrich-Ebert-Stiftung: „Gesund- ist nicht nur für den ländlichen Raum, sondern heitliche Versorgung in Stadt und Land – Ein gerade auch für unterversorgte Stadtteile, in de- Zukunftskonzept“. In dem 40-seitigen Bericht nen die Niederlassung für Ärztinnen und Ärzte analysieren Prof. Dr. Stefan Greß und Prof. Dr. derzeit finanziell wenig attraktiv ist, eine Option. Klaus Stegmüller vom Fachbereich Pflege und Auch für einen Teil der Hausbesuche macht die Gesundheit der Hochschule Fulda, die Defizite Studie einen gut umsetzbaren Vorschlag. „Ähn- der Bedarfsplanung bei Vertragsärzten und Kran- lich dem früheren Modell der Gemeindeschwes- kenhäusern und entwickeln ein Konzept für die ter könnten speziell ausgebildete Fachkräfte Pati- effektive Steuerung und Sicherung der gesund- entinnen und Patienten zu Hause besuchen und heitlichen Versorgung. im Auftrag des Arztes oder der Ärztin Teilbefunde „Die Kommunen spielen eine entscheidende Rol- erheben, Blutabnahmen erledigen oder den Ge- le, weil sie die Bedürfnisse der Menschen und die sundheitszustand des Patienten oder der Patien- regionalen Besonderheiten am besten kennen“, tin auch mit Hilfe der Möglichkeiten der Teleme- lobte auch der sozialpolitische Sprecher der hes- dizin beurteilen“, erklärte Greß. sischen SPD, Dr. Thomas Spies das Zukunftskon- zept. „Von den hessischen Hausärztinnen und D ie S tudie Hausärzten sind ca. 20% über 60 Jahre, weitere „Gesundheitliche Versorgung in Stadt und Land 44% zwischen 50 und 59 Jahre alt. Bereits jetzt – Ein Zukunftskonzept“ gibt es in vielen Gemeinden Probleme mit der unter www.fes.de/hessen als PDF-Download. Nachfolge. Wir müssen zügig die Weichen für eine sichere Gesundheitsversorgung in der Zu- kunft stellen“, forderte Spies. Nach dem Konzept der beiden Wissenschaftler soll die zentrale Verantwortung für die gesund- heitliche Versorgung auf neu zu schaffende regionale Versorgungskonferenzen unter kom- munaler Beteiligung übergehen. „Diese Konfe- renzen bekommen ein eigenes Budget und um- fassende Kompetenzen, um Unterversorgung zu verhindern“, erläuterten die Autoren. Durch die Einbeziehung aller Leistungserbringer – also der Ärztinnen und Ärzte, aber auch der Physiothe- rapeuten, Hebammen und anderen Pflege- und Heilberufen – der Krankenkassen, der Kranken- häuser und der Kommunen, würde eine über- greifende Zusammenarbeit erreicht, die es bisher nicht gebe. Kernstück der neuen Strukturen wäre die Einrich- tung von primärärztlichen Versorgungszentren, bei denen angestellte Ärztinnen und Ärzte arbei- ten, die wiederum Zweigstellen gründen können. Dies würde bedeuten, dass unterversorgte Regi- onen zeitweise ein hausärztliches bzw. fachärzt-

1 / 2 0 1 1 INFO FES 36 INTEGRATION, BILDUNG, KULTUR

Hintergrund- gespräch Reformwillen verbessern Z ukunftssicherun g der H ochschulen in N R W

Eine nachhaltige und moderne Wissenschafts- beteiligungsorientierten Prozess erfolgen und sie politik in Nordrhein-Westfalen war Gegenstand fügte hinzu: “Kein anderes Bundesland hat in der eines Hintergrundgesprächs zwischen Svenja Vergangenheit so viel an Steuerungskapazität im Schulze, Ministerin für Innovation, Wissen- Hochschulbereich abgegeben wie NRW.“ schaft und Forschung in NRW und den Vertrau- In der anschließenden Diskussion machte Prof. ensdozent/innen der Friedrich-Ebert-Stiftung in Rolf Dobischat, Vertrauensdozent der FES und NRW am 16. Februar in Düsseldorf. Präsident des Deutschen Studentenwerks darauf Dass es bei der Diskussion über die Zukunfts- aufmerksam, dass bei vielen Universitäten man- sicherung des Hochschul- und Wissenschafts- gelnder Reformwille und mangelnde Kooperati- standortes NRW nicht nur um die Universitäten onsbereitschaft erkennbar sei. gehen dürfe, sondern insbesondere die Fach- Andere Diskussionsbeiträge betonten die Not- hochschulen eine tragende Rolle spielen müss- wendigkeit einer verbesserten Qualitätssiche- ten, machte die Ministerin in ihren einleitenden rung und die Einführung von Instrumenten, die Worten deutlich. junge Studierende besser an die Anforderungen Um Einnahmeverluste der Universitäten und des Hochschulwesens heranführen müssten. Fachhochschulen zu kompensieren, die durch Durch Vorbereitungsprogramme, begleitende den Wegfall der Studiengebühren entstünden, Maßnahmen wie Mentorenprogramm und den werde sich das Bundesland stärker an der Hoch- Ausbau eines Stipendiensystems könnte ein flan- schulfinanzierung beteiligen und dies auch in ei- kierendes Netzwerk geschaffen werden, das die ner gemeinsamen Vereinbarung mit den Hoch- hohe Studienabbruchquote verringern und da- schulen absichern, kündigte Svenja Schulze mit auch zu mehr Bildungsgerechtigkeit beitra- an. Außerdem soll die Erarbeitung eines neuen gen könnte. Hochschulgesetzes, so die Ministerin, in einem

Handlungs- empfehlungen Gemeinsame Schule für alle? S tudie zur inklusiven B ildun g in B ay ern Mit dem 26. März 2009 ist in Deutschland die Antworten und konkrete Handlungsempfehlung UN-Konvention zu den Rechten von Menschen für ein inklusives Bildungssystem in Bayern gibt mit Behinderung in Kraft getreten. Seitdem hat eine neue Studie des BayernForums der FES. jedes Kind – mit oder ohne sonderpädagogischen Bei der Vorstellung am 15. März in München Förderbedarf – einen Rechtsanspruch auf ge- diskutierten die SPD-Bildungspolitikerin Margit meinsames Lernen. Damit wurden die Vertrags- Wild, MdL, der Geschäftsführer der Lebenshilfe staaten verpflichtet, ein inklusives Schulsystem Bayern, Dr. Jürgen Auer, sowie Vertreter/innen auf allen Ebenen zu schaffen. aus Kommunalpolitik, Schulen, Initiativen und Insbesondere das bayerische Schulsystem, in Verbänden die Handlungsempfehlungen der dem nur ca. 12,5% der Kinder mit sonderpäda- Autorinnen und verabredeten weitere Schritte gogischem Förderbedarf an Regelschulen unter- zur Umsetzung und Vernetzung. Das Fachforum richtet werden, gerät mit der UN-Konvention wird an weiteren Orten in Bayern fortgesetzt. unter erheblichen Reformdruck. Auf dem Weg zu einer Schule für alle, die jedes Kind in seiner D ie S tudie individuellen Entwicklung fördert, muss Bayern Jutta Schöler, Kerstin Merz-Atalik, Carmen jetzt die Weichen stellen und umfassende Re- Dorrance; „Auf dem Weg zur Schule für alle? Die formen einleiten. Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention Was muss sich angesichts der neuen Rechtslage im Bildungsbereich: Vergleich ausgewählter europä- im bayerischen Schulsystem ändern? Welche ischer Länder und Empfehlungen für die inklusive Erfahrungen können aus anderen (Bundes-)Län- Bildung in Bayern“ – http://library.fes.de/pdf-files/ dern herangezogen werden? akademie/bayern/07824.pdf

FES INFO 1 / 2 0 1 1 INTEGRATION, BILDUNG, KULTUR 37 zu wenig eingebunden Mittagsgespräch E uropa in den l ä ndern und kommunen

Kernkompetenzen der Bundesländer werden be- Umso frappierender ist, wie wenig die Bundes- rührt, wenn es um die Ziele der Europa 2020-Stra- länder in die europäische Debatte eingebunden tegie geht, die der Europäische Union zu nach- sind und wie schlecht die Europäische Union haltigem Wachstum verhelfen soll, unterstrich mit der regionalen Ebene verzahnt ist. „Europa der hessische SPD-Landesvorsitzende, Thorsten findet in den Ländern und Kommunen nicht Schäfer-Gümbel, bei einem Mittagsgespräch der statt,“ beklagte Schäfer-Gümbel die derzeitige Si- FES in Berlin. tuation. Lediglich (Landes-)Regierungen werden Bildung gehört zu den fünf zentralen Bereichen – wenn auch unzureichend – eingebunden, die der Wachstums- und Beschäftigungsstrategie. parlamentarische Ebene fehlt vollkommen. Län- So müssen sich die nationalen Regierungen ver- derparlamente und –verwaltungen müssen in pflichten, die Schulabbrecherquoten deutlich die Lage versetzt werden, in europapolitischen zu reduzieren und die Anzahl der Hochschul- Fragen zu agieren. absolventen zu erhöhen. In Deutschland liegt Der hessische Landespolitiker formulierte auch die Kompetenz über Schularten, Bildungskon- die Erwartungen an die Europäische Union: zepte- und ausgaben zu entscheiden allerdings Die Bundesländer brauchen zur Umsetzung der bei den Bundesländern. Eine ähnlich wichtige Europa2020-Ziele Unterstützung aus Brüssel, Rolle spielen die Länder bei der Gestaltung einer insbesondere in Form von Geld, das beispiels- zukunftsfähigen Energie- und Klimapolitik. Hier weise durch die europäischen Kohäsions- und muss über Dezentralisierungsstrategien nachge- Strukturfonds verfügbar gemacht wird. Neben fi- dacht werden, die nur mit Beteiligung von Län- nanzieller Unterstützung forderte er von der EU dern und Kommunen zu verwirklichen sind. mehr Harmonisierung und Koordinierung.

Europa im Kleinformat Fachtagung E ure g io – P rojekt g renz ü ber g reifender Z usammenarbeit

Die Ansätze der regionalen, grenzübergreifenden tungen, ein gemeinsames Tourismusmarketing Kooperation in der EU standen im Mittelpunkt für die gesamte Region und ein Verbundprojekt einer Fachtagung der Abteilung Gesellschafts- für kleine und mittelständische Unternehmen. politische Information am 11. und 12. Februar Deutlich wurde bei der Fachtagung, dass auf der in Gronau – unmittelbar an der deutsch-hollän- lokalen und regionalen Ebene bereits das neue dischen Grenze gelegen. Europa geschaffen wird, das im Großen erst noch Experten aus NRW waren eingeladen, um eine zusammen wachsen muss.

Standortbestimmung vorzunehmen. Von Seiten publix (Karte: der Politik beteiligten sich die EU-Parlamenta- rierin und Wolfram Kuschke, Mit-

glied des Landtags in NRW. © ) Der Geschäftsführer von Euregio, Harald Krebs, stellte das Projekt einer grenzübergreifenden Zusammenarbeit zwischen deutschen und hol- ländischen Grenzregionen vor. Dessen zentrale Aufgabe besteht in der Verbesserung der sozio- kulturellen Integration durch eine intensive interkommunale Zusammenarbeit. Auf wirt- schaftlicher Ebene geht es um eine nachhaltige Stärkung der regionalen Wettbewerbsfähigkeit. Aufgebaut werden ein Netzwerk von deutschen und niederländischen Kunst- und Kultureinrich-

1 / 2 0 1 1 INFO FES 38 INTEGRATION, BILDUNG, KULTUR

Vortrag Kürzungspläne kritisiert D ie Z ukunft der B undeswehr

Mit einer Reform der deutschen Streitkräfte nach pflicht zum 1. Juli 2011 und der gleichzeitigen Kassenlage sei die wichtigste Aufgabe der Trup- Einführung eines freiwilligen Wehrdienstes. Die pe, die äußere Sicherheit zu gewährleisten, kaum Attraktivität des Dienstes bei den Streitkräften noch möglich, erklärte Rainer Arnold, verteidi- zu erhalten, sei eine der Hauptfragen der zu- gungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestags- künftigen Entwicklung der Truppe, so Arnold. fraktion bei einer Veranstaltung am 10. März in Bedingt durch den demografischen Wandel kon- Delitzsch bei Leipzig. Kritisch äußerte sich Ar- kurriere die Bundeswehr nun aber noch stärker nold daher gegenüber den Kürzungsplänen der mit der freien Wirtschaft um Fachkräfte. Der schwarz-gelben Bundesregierung im Verteidi- freiwillige Wehrdienst müsse für die Soldatinnen gungsressort. Sie handele hierbei sowohl gegen und Soldaten von Vorteil und Nutzen sein. Wer die Interessen der Soldaten als auch die Interes- freiwillig Dienst bei den Streitkräften leiste, soll- sen Deutschlands. te besser gestellt werden als derjenige, der keinen Größere Aufmerksamkeit widmete Arnold der Freiwilligendienst versehe, so Arnold. bereits beschlossenen Aussetzung der Wehr-

Lesung Ein Moment der Entscheidung L iterarische U ntersuchun g ü ber den P utschversuch im spanischen Parlament

Der 23. Februar 1981 stellt einen entscheidenden Aus diesem Anlass organisierte die Friedrich- Moment der spanischen Geschichte dar. Vor 30 Ebert-Stiftung gemeinsam mit dem Instituto Jahren stürmten Teile der Guardia Civil ins spa- Cervantes in Berlin eine öffentliche Lesung mit nische Parlament, um die junge Demokratie des Javier Cercas. „Anatomie eines Augenblicks“ ist Landes zu beenden und eine neuerliche Diktatur eine Untersuchung, die mit erzählerischen Mit- zu errichten. König Juan Carlos, Oberbefehlsha- teln den Putsch und die spanische Politik des ber der Streitkräfte stellte sich in einer Fernsehan- zwanzigsten Jahrhunderts ergründen will. Einer sprache auf die Seite der Demokratie und befahl der Gründe, warum er dieses Buch geschrieben die Armee zurück in die Kasernen. Der Putsch habe, liege in der Legende, dass das spanische scheiterte. Volk, seine Institutionen und die Parteien sich entschlossen dem Putsch ent- gegengestellt und ihn so zum Scheitern gebracht hätten. „Das ist falsch und das wissen wir in Spanien alle.“ Drei Männer boten den Putschis- ten im Parlament die Stirn: Adolfo Suárez, damaliger Ministerpräsi- dent, Manuel Gutiérrez Mellado, General, und Santiago Carillo, der Führer der Kommunistischen Partei. Javier Cercas machte deut- lich, dass die spanische Demokra- Mit diesem Ereignis setzt sich der Schriftsteller Ja- tie im kritischen Augenblick ausgerechnet von vier Cercas in seinem Buch „Anatomie eines Au- drei Männern verteidigt wurde, die zu Francos genblicks – Die Nacht, in der Spaniens Demokra- Zeiten Antidemokraten auf der Rechten oder auf tie gerettet wurde“ auseinander. Das in Spanien der Seite der stalinistischen Linken waren. Cer- mit mehreren Preisen ausgezeichnete Buch liegt cas sieht in ihnen dennoch die Wegbereiter für seit Januar auch auf Deutsch vor. ein demokratisches Spanien.

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Der kleine Unterschied? Diskussion F rauen als K rie g sberichterstatterinnen

Reportagen aus Kriegs- und Krisengebieten, die und dem Genderprojekt der FES durchgeführte „Königsdisziplin“ des Auslandsjournalismus, Diskussionsveranstaltung. Kooperationspartner werden oft noch mit dem stereotypen Bild eines war die Gleichstellungsstelle der Stadt München. abenteuersuchenden, furchtlosen und helden- Über die besonderen Bedingungen unter denen haften Mannes assoziiert und daher häufig als weibliche Berichterstatter arbeiten, welche The- Bereiche männlicher Expertise betrachtet. Seit men sie aufgreifen und was dies für die öffent- einigen Jahren sind jedoch auch zunehmend liche Wahrnehmung von Konflikten bedeutet Frauen als Krisenberichterstatterinnen unter- diskutierten Fawzia Fakhri, Leiterin des Women wegs und prägen so den medialen Diskurs über Journalism Centers in Herat, Afghanistan, und weltweite Konflikte mit – in Deutschland, aber Fatuma Sanbur Adan, Radiojournalistin aus Ke- auch in den Konfliktländern selbst. nia, mit der Kommunikationswissenschaftlerin Berichten Frauen anders, wenn es um Kriege Prof. Romy Fröhlich und der ehemaligen Südost- und Krisen geht? Dieser Frage widmete sich am europa-Korrespondentin des Bayerischen Rund- 1. Februar, unmittelbar vor der Münchner Si- funks Anke Mai. cherheitskonferenz, eine vom BayernForum

Unstimmigkeiten vertrauensvoll Strategiegespräche erörtert D eutsch -F ranz ö sischer sicherheitsdialo g

Anders als im Falle des Irak-Kriegs als Deutsch- werden seit 1999 vom Pariser Büro der FES und land und Frankreich gemeinsam eine Beteili- dem französische Institut für Internationale und gung ihrer Streitkräfte ablehnten, tat sich in der strategische Beziehungen IRIS veranstaltet. Libyen-Frage eine erhebliche Unstimmigkeit zwischen den beiden Ländern auf. Die abwei- chenden politische Positionen wurden bei den T ourismusf ö rderun g f ü r Kurz notiert 23. deutsch-französischen Strategiegesprächen l ä ndliche R ä ume in Berlin mit hochrangigen Politikern, Diplo- „Tourismuspolitik und Tourismusförderung: maten, Wissenschaftlern und Unternehmens- Perspektiven für ländliche Räume“ lautete der vertretern vertrauensvoll erörtert. Titel einer Tagung der Kurt-Schumacher-Akade- Während Frankreich, gemeinsam mit Groß- mie in Bad Münstereifel. britannien im Sicherheitsrat der Vereinten Na- Prof. Andreas Kagermeier, Wirtschaftsgeograf tionen, unter anderem für den militärischen der Universität Trier, stellte Untersuchungen zu Schutz der bedrohten Bevölkerung von Benghazi den Auswirkungen des demografischen Wandels stimmte, enthielt sich Deutschland der Stimme. auf die Nachfrage nach touristischen Angeboten Hierüber und über die Folgen für die Europäische vor. „Seniorenteller“ seien out, die heutige Alters- Union und ihre Rolle bei den Umsturzwellen in gruppe „50+“ habe zunehmend andere Urlaubs- der arabischen Welt referierten Günter Gloser, erfahrungen und -erwartungen als ihre Eltern. MdB und ehemaliger Staatsminister im Auswär- Natur, Aktivitäten und kulinarische Angebote tigen Amt, und Alain Richard, ehemaliger Ver- müssten zu stimmigen Produkten gebündelt teidigungsminister Frankreichs und stellvertre- werden, um mit konkurrierenden Angeboten tender Vorsitzender der sozialdemokratischen inner- und außerhalb Deutschlands mithalten Partei Europas. zu können. Die Praktiker aus den Kreisen Euskir- Weitere Themen waren „Afghanistan und die chen, Rhein-Sieg und Oberberg stellten eine Er- Perspektive eines Rückzug 2014“ und „Die eu- kenntnis in den Vordergrund: In den Regionen ropäische Verteidigungskooperation in Zeiten muss ein stärkeres Bewusstsein für die touristi- wirtschaftlicher Krise“. Die Strategiegespräche schen Potenziale geweckt werden.

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Gesprächskreis Hat der öffentlich-rechtliche Rundfunk Zukunft? M itteldeutscher M ediendialo g in L eipzi g

Die deutsche Medienlandschaft befindet sich im Gebühreneinzugs als auch an den Gebühren Wandel. Die Internetpräsenz aller Angebote ist selbst wieder aufflammen lässt. die große Herausforderung, der sich alle privaten Dieser Ausgangssituation widmete sich der neue und öffentlich-rechtlichen Sender und auch die Leipziger Gesprächskreis „Mitteldeutscher Me- Zeitungsverlage stellen müssen. Auf den öffent- dien-Dialog“ der FES am 2. März in Leipzig. Po- lich-rechtlichen Rundfunk kommt zusätzlich diumsgäste waren Christoph Matschie, stellv. noch die anstehende Änderung der Rundfunk- Ministerpräsident von Thüringen, Prof. Dr. Udo finanzierung hinzu, die die Kritik an der Art des Reiter, Intendant des Mitteldeutschen Rund- funks, und Uwe Hält den öffentlich- rechtlichen Rund- Kammann, Ge- funk für unent- schäftsführer des behrlich: Christoph Matschie, Adolf-Grimme- stellvertretender Instituts. Ministerpräsident von Thüringen (li.). (Foto: Waldek) Das Podium war sich einig, dass der öffentlich-recht- liche Rundfunk nach wie vor eine wichtige Rollung in der deutschen Medienlandschaft spiele. Wenn in einer freien Gesellschaft auch eine freie Kommunikation herrsche, die weder vom Staat noch von wirt- Kurz notiert I dentit ä t und E rinnerun g schaftlichen Interessen abhänge, sei der öffent- Was passiert, wenn (Zeit)Geschichte auf lich-rechtliche Rundfunk unentbehrlich, so (Lebens)Geschichten trifft? Wie viel gemein- Christoph Matschie. Er verdeutlichte, dass die same Erinnerung brauchen wir und wie verstän- faire Balance zwischen Regulierung und Freiheit digt man sich darüber in einer Gesellschaft? wichtig sei. Gerade die Politik habe die Aufgabe, Die Trilogie „Identität und Erinnerung“, die dieses Gleichgewicht zu sichern. Denn weder vom Projekt „Gesellschaftliche Integration“ or- dürften den neuen, internetbezogenen Medien- ganisiert wird, geht der Frage nach, welche Rolle formaten zu strenge Regeln aufgezwungen wer- Erinnerung in der Selbstvergewisserung einer den, noch wäre ein übermäßiger Schutz der „al- Gesellschaft und für ihren Zusammenhalt spielt. ten“ Medien wie dem Fernsehen gerechtfertigt. Als Einstieg lesen jeweils zwei Schriftsteller/in- Der öffentlich-rechtliche Rundfunk habe schwe- nen unterschiedlicher Generationen Auszüge re Arbeit vor sich, so Intendant Reiter. Um mit aus Romanen, die sich anhand von Familien- der starken Konkurrenz mithalten zu können geschichte mit Zeitgeschichte auseinanderset- und wieder mehr Zuspruch bei den jüngeren Zu- zen. Dabei konzentriert sich die Trilogie auf drei schauern zu gewinnen, müsse man die „Gesamt- wichtige Etappen in der deutschen Geschichte: anmutung des angebotenen Programms“ ver- auf die Auseinandersetzung mit der NS-Vergan- ändern. Damit einher gehe auch, dass man den genheit, die Teilung und Wiedervereinigung Weg ins Online-Zeitalter weiter voranschreiten sowie den Prozess des Zusammenwachsens zu müsse. Denn es erscheine völlig klar, resümierte einem geeinten Deutschland. Dabei geht es auch Reiter, dass am Ende jeglicher Neuausrichtungen um die Geschichte der Zugewanderten, die ihre, nur zwei Konsequenzen für den öffentlich-recht- wiederum andere Erinnerungen, einbringen. lichen Rundfunk denkbar seien: Netz oder Mu- www.fes.de/integration/inhalt/kultur.htm seum.

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Ein Ort der Täuschung, des Tagung Verschweigens und der Erinnerung D ie g eschichtliche B edeutun g von T heresienstadt

Kaum einem anderen Ort der nationalsozialisti- Verdrängung der Erinnerung während der kom- schen Gewaltgeschichte sind so gegensätzliche munistischen Herrschaft und heutige Versuche Bedeutungshorizonte zugemutet worden, wie einer kritischen Wiederaneignung des Geden- dies bei Theresienstadt der Fall ist. Inhaltlich kens wurden thematisiert. bezog sich die Diskussion einer Tagung, die am Die Veranstaltung geht zurück auf die Zusam- 14. und 15. Februar in Dresden und Terezín statt- menarbeit des Dresdner Büros der FES mit dem fand, weniger auf jene Teile der Geschichte, die Institut für Soziologie der TU Dresden, der Ge- Hannah Arendt als einen “im allgemeinen über- denkstätte Terezín und dem europäischen Ver- dokumentierten Rechtsfall” bezeichnet hat. bundprojekt “Cultural Heritage and the Recons- Stattdessen wurde darüber diskutiert, in welcher truction of Identities after Conflict (CRIC)“, in Weise Theresienstadt ein besonderer Fall der In- dem vergleichend Formen des Erinnerns von strumentalisierung und Täuschung der Öffent- Ereignissen kriegerischer oder diktatorischer Ge- lichkeit (vor allem auch des Internationalen Ro- walt erforscht werden. ten Kreuzes) durch die Nazis war. Aber auch die

Ein Buch zum Geburtstag Buchvorstellung J ubil ä umsband f ü r M a x M annheimer

„Überlebender, Künstler, Lebenskünstler“ – so auf hin, dass Mannheimer die Nachgeborenen charakterisiert das Buch mit ausgewählten Reden über das dunkelste Kapitel deutscher Geschich- und Schriften von und über Max Mannheimer ei- te informiere und zugleich Hilfestellung für ein nen aktiven und engagierten Zeitzeugen. Zum 91. „Nie wieder!“ gebe. Geburtstag Mannheimers wurde es von Ilse Macek (Münchner Regionale Arbeitsgruppe Gegen Ver- D as B uch gessen-Für Demokratie e.V.) und Horst Schmidt „Max Mannheimer – Überlebender, Künstler, (Leiter des BayernForums der Friedrich-Ebert-Stif- Lebenskünstler. Ausgewählte Reden und Schriften tung) im Münchner Volk-Verlag herausgegeben. von und über Max Mannheimer“ hrsg. von Ilse Vorgestellt wurde es Ende März in der Juris- Macek, Regionale Arbeitsgruppe München von tischen Bibliothek des Münchner Rathauses. Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V., und Horst Mannheimer hat Konzentrationslager überlebt, Schmidt, BayernForum der Friedrich-Ebert-Stiftung er hat bis auf einen seiner Brüder im Holocaust im Münchner Volk-Verlag, 2011 die gesamte Familie verloren Zu Gast bei der und doch hat er einen Traum Buchvorstellung: Hans-Jochen Vogel, nie aufgegeben: den von „ei- Charlotte Knobloch, ner Gesellschaft mit mehr Max Mannheimer und Christian Ude. Menschlichkeit“. Leichtig- (Foto: Bacs) keit, Konsequenz und Nach- haltigkeit sind als Wesens- züge Mannheimers in dem Buch zu entdecken. Für Ude ist es keine »Pflichtlektüre«, sondern ein »amüsantes Buch, das Humanität, Kraft und Heiterkeit vermittelt«. Hans-Jochen Vogel wies dar-

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EUROPA UND DIE WELT VERNETZEN

Auslandsbüros stellen sich vor NEUANFANg IN EINEM BEFREITEN LAND DAS FES-BüRO IN TUNIS Sprechchöre, Jubel, Lachen: In der eigentlich Monat den seit 1987 regierenden Präsidenten ruhigen Gegend rund um das Büro der Friedrich Zine el Abidine Ben Ali aus dem Land jagte. Eine Ebert Stiftung in Tunis bildete sich an diesem neue Form von Aufstand – durch keine Partei Vormittag im Januar ein kleiner Menschenauf- oder Organisation gelenkt – brachte ein Regime lauf. Noch herrschte Ausnahmezustand, noch zum Sturz, das über alle Machtmittel verfügte waren nicht alle Barrikaden von den Straßen ge- und als eines der stabilsten der Region gegolten räumt und die Sicherheitslage prekär, und noch hatte. Für die Friedrich-Ebert-Stiftung bedeutet war der Bürobetrieb nicht wieder aufgenommen. das nach 23 Jahren Präsenz in Tunesien einen Das Ende der Ära Ben Ali lag erst vier Tage zurück, Neuanfang. War früher die Arbeit mit kritischen aber die etwa 30 jungen Leute des FES-Projekts und unabhängigen politischen Partnerorganisa- „Génération A’Venir“, die sich da in den Armen tionen wie der tunesischen Menschenrechtsli- lagen, diskutierten bereits lautstark und aufge- ga vielfältigen Einschränkungen ausgesetzt, ist kratzt ihr weiteres Vorgehen, formulierten Forde- die Stiftung jetzt frei in der Wahl ihrer Themen rungen, kontaktierten Medien und berieten über und Instrumente. Die Aufbruchstimmung ist die Gründung neuer Organisationen. Es war das auch unter den Mitarbeitern zu spüren: Es ist die erste Mal, dass sie nach den Demonstrationen Freude darüber, für eine Institution tätig zu sein, und Polizeieinsätzen, nach der Flucht des Präsi- die Teil des Prozesses ist. „Denn schließlich“, so denten und den Feuergefechten zwischen Präsi- Khaled Tahari, der Fahrer und Logistikverant- dialgarde und Armee wieder zusammenkamen. wortliche des Büros, „haben wir doch genau für Sie feierten ihre Revolution, ihren Sieg. Mitten diese Ziele jahrelang gearbeitet.“ unter ihnen: Der für die Jugendarbeit zuständige Bereits unmittelbar nach dem Sturz Ben Alis hat FES-Programmkoordinator Sami Adouani. die FES ihre gesellschaftspolitische Arbeit den Mit beispielloser Dynamik hatten sich ab Mitte veränderten Rahmenbedingungen angepasst. Dezember 2010 die politisch-sozialen Proteste Im Mittelpunkt steht jetzt die Unterstützung in Tunesien zu einer landesweiten Massenbe- des demokratischen Wandels: eine besondere wegung ausgeweitet, die in weniger als einem Herausforderung in einer historischen Situati-

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on. Auch die deutsche Politik reagierte schnell: tet, die Unterstützung der sozialdemokratischen Ende Februar richtete das Bundesministerium FDTL intensiviert, insbesondere im Hinblick auf für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- Parteiorganisation und Öffentlichkeitsarbeit. wicklung einen Sonderfonds für struktur- und Neu hinzugekommen ist der Medienbereich: ordnungspolitische Beratung durch die poli- Zum einen organisiert die FES gemeinsam mit tischen Stiftungen und kirchlichen Hilfswerke in der Akademie der Deutschen Welle Journalisten- Nordafrika ein. Das bedeutet jede Menge Arbeit: fortbildungen, zum anderen unterstützt sie die nicht nur für die Buchhalterin Rim Ben Ammar, tunesischen Medien in ihrem Transformations- sondern für das ganze Team. prozess. Erste Etappe ist dabei eine unabhängige Anstrengungen sind auch gefordert, denn der und professionelle Berichterstattung rund um die Erfolg des politischen Erneuerungsprozesses ist Wahlen. Weitere Ziele sind die Schaffung eines noch keineswegs gesichert. Allerdings hat sich, regulatorischen Rahmens und die Überführung nach Wochen revolutionären Elans mit Streiks, der bisher staatlichen Radio- und Fernsehsender Sit-ins und wiederholten Umbildungen der in öffentlich-rechtliche Strukturen. Übergangsregierung, die Lage seit Mitte März Zur Bewältigung der wachsenden Aufgaben deutlich beruhigt. Ein wichtiger Termin wurde wurde das FES-Team um zwei Kolleginnen ver- inzwischen festgelegt: Am 24. Juli 2011 sollen die stärkt: Nesrine M’daoukhi kümmert sich um Wahlen zur Verfassungsgebenden Versammlung Empfang und Telefon; Zeineb Ben Othman be- stattfinden. In Gestalt des „Conseil de l’instance treut als Programmkoordinatorin einen Teil der supérieure pour la réalisation des objectifs de la Aktivitäten. Insgesamt acht Ortskräfte und ein révolution, de la réforme politique et de la tran- entsandter Mitarbeiter sind aktuell in dem in sition démocratique“ ist es gelungen, ein Gremi- La Marsa – einem Vorort von Tunis – gelegenen um aus Vertretern von Parteien, Gewerkschaften, Büro tätig. Verwaltungsleiterin Barbara Abdes- Zivilgesellschaft so- Das Team des FES- wie unabhängigen Büros in Tunis mit dessen Leiter Ralf Persönlichkeiten zu Melzer (M.) schaffen, das Akzep- tanz in der Bevölke- rung findet. Seine Hauptaufga- be: die Ausarbeitung eines demokratischen Wahlrechts und des Entwurfs einer neu- en Verfassung. Mit Yadh Ben Achour, dem Vorsitzenden des Gremiums, traf sich einen Tag vor dessen Konstituierung die frühere samad ist die Konstante und das personifizierte Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin. Gedächtnis der Projektarbeit seit der Büroeröff- Thema dieses von der FES organisierten Bera- nung 1988. Die gebürtige Flensburgerin lebt seit tungseinsatzes waren die verschiedenen Wahl- 35 Jahren in Tunesien. Ralf Melzer, der derzeitige rechtsmodelle und Stimmauszählungsverfahren Landesvertreter der FES, ist ihr achter Chef. Bei sowie das deutsche System der Parteienfinanzie- der Frage, was es für sie bedeute, für die FES zu rung. arbeiten, muss Barbara Abdessamad nicht lange In der Arbeit mit Gewerkschaften und Zivilge- überlegen: „Für mich“, sagt sie, „ist die Stiftung sellschaft setzt die FES zukünftig neue Akzente: wie eine zweite Familie.“ so sollen mit der UGTT lokale gewerkschaft- In die Zuständigkeit der FES in Tunesien fällt auch liche Strukturen gestärkt werden. Auch die neu die Projektarbeit mit Libyen. Neben der Einbezie- gegründete CGTT wird in die Gewerkschaftsko- hung von Experten aus Libyen in Aktivitäten zu operation einbezogen. Die Jugendarbeit wird regionalen und euromediterranen Themen, orga- dezentralisiert und auf das ganze Land ausgewei- nisierte die FES zuletzt jährlich eine Konferenz in

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Libyen. Ob dies auch 2011 möglich sein wird, ist selbst beschäftigt ist, reagierte es mit enormer derzeit völlig offen. Der Bürgerkrieg im Nachbar- Hilfsbereitschaft. Unter den FES-Mitarbeitern land bedeutet für Tunesien eine große Belastung: wie im ganzen Land wurde Blut gespendet und Allein 50.000 Tunesier, die in Libyen gearbeitet Geld gesammelt, um Hilfsgüter für Libyen zu hatten, sind auf einen Schlag zurückgekehrt, und kaufen. Neben Solidarität drückt sich darin auch die Zahl der Flüchtlinge unterschiedlicher Natio- der Stolz darauf aus, dass es das kleine Tunesien nalitäten, die Libyen über die tunesische Grenze war, dessen revolutionärer Funke auf die ganze verlassen haben, wird auf inzwischen 200.000 Region übergesprungen ist. Und so steht der 14. geschätzt. Obwohl Tunesien noch stark mit sich Januar, Tunesiens neuer Nationalfeiertag, nicht nur für die Be- freiung vom kor- rupt-autoritären Ben-Ali-Regime sondern insge- samt für den „ara- bischen Früh- ling“, an den sich die Hoffnungen von Millionen Menschen auf politische Frei- heit und soziale G e r e c h t i g ke i t knüpfen.

Informationsreise „Revolution für die Würde“ T unesische D ele g ation in D eutschland

Im Vorfeld der tunesischen Wahlen zu einer ver- gen der Demokratisierung. Als „Revolution für fassungsgebenden Versammlung, werden vom die Würde“ bezeichneten Riahi sowie Sami Raz- Rat zur Umsetzung der Ziele der Revolution eine gallah, Vorsitzender der Jugendorganisation der neues Wahlrecht und Vorschläge für Verfas- Partei, die Absetzung des Regimes von Ben Ali. sungsänderungen erarbeitet. Vertreten in die- Auf Einladung des Regensburger Regionalbüros sem Rat ist auch die Partei „Forum Démocratique erörterte der Europaabgeordnete pour le Travail et la Liberté“ (FDTL). Die sozialde- mit den beiden Politikern die Situation in Libyen mokratische FDTL bestand schon zu Zeiten des und die Möglichkeiten der Zusammenarbeit der alten Regimes, war aber nicht im Parlament ver- EU mit dem arabischen Raum. treten. Eine Delegation der FDTL, besuchte auf In Brüssel machte der Generalsekretär der FDTL, Einladung der Friedrich-Ebert-Stiftung vom 20. Mustapha Ben Jaâfar, gegenüber Vertreter/innen bis 25. März Berlin, Brüssel, München und Re- des neu eingerichteten Europäischen Auswärti- gensburg. gen Dienstes, der SPE und Europaabgeordneten Im Mittelpunkt der Gespräche stand die Frage, deutlich, dass es darauf ankomme zu verhin- welche Unterstützung von deutscher und eu- dern, dass die Kräfte des alten Regimes über neue ropäischer Seite beim demokratischen Wandel Kanäle wieder an die Macht kommen. Ben Jaâfar geleistet werden kann. Im BayernForum der FES appellierte an die EU, ihre Expertise und Erfah- referierte Mouldi Riahi, Gründungs- und Vor- rungen, die sie bei der Unterstützung der Trans- standsmitglied der FDTL und seit dem 17. März formation in Mittel- und Osteuropa gewonnen Mitglied im Verfassungsgebenden Rat Tunesi- hat, nun für die jungen Demokratien im Mittel- ens, über die politische Rolle der Jugend sowie meerraum zur Verfügung zu stellen. die wirtschaftlichen Voraussetzung zum Gelin-

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Europas Brücke Konferenzreihe über das Mittelmeer? S panien und der U mbruch in N ordafrika

Man muss gar nicht auf die lange Präsenz der Ara- der neuen Informations- und Kommunikations- ber auf der iberischen Halbinsel zurück schauen, technologien in der Demokratisierung der ara- um die Bedeutung der arabischen Länder und bischen Länder. In zwei Workshops in Barcelona insbesondere des Maghreb für Spanien zu erken- und in Madrid diskutierten spanische Politiker nen. Spanien hat innerhalb der Europäischen und Gewerkschafter u.a. Raimon Obiols, Mit- Union immer wieder das Mittelmeer in den Mit- glied des auswärtigen Ausschusses des Europa- telpunkt des Interesses gerückt, und folgerichtig parlamentes; Carlos Carnero, Sonderbotschafter wurde das Sekretariat der 2008 gegründeten Mit- für Projekte im Rahmen der EU; die internatio- telmeerunion in Barcelona angesiedelt. nalen Sekretäre der Gewerkschaftsdachverbände Es war auch kein Zufall, dass José Luis Rodriguez CC.OO und UGT, mit Vertretern der Zivilgesell- Zapatero der erste Regierungschef war, der Tune- schaft und der politischen Parteien Tunesiens sien seit dem Aufstand des 14. Januar besuchte. die Herausforderungen, die sich im Übergang zur Die mehr als zwiespältige Rolle Frankreichs wäh- Demokratie stellen. Was muss geschehen, damit rend der tunesischen Revolte hat Spanien die Tür das Justizwesen sich als unabhängige Kraft in der geöffnet, sich als „Führungsmacht“ der EU im Demokratie etabliert? Wie können das Militär westlichen Mittelmeerraum zu positionieren. und die Sicherheitskräfte in eine demokratische Aber auch aufgrund der eigenen jüngeren Ge- Regierung eingegliedert werden? Welche neue, schichte steht das Land dem Umbruch im Süden konstruktive Rolle werden die demokratischen besonders offen gegenüber: Es ist schließlich erst politischen Parteien und die Zivilgesellschaft gut 30 Jahre her, seit Spanien der Übergang zur einnehmen? Wie sollte die Auseinandersetzung Demokratie gelungen ist. mit den Vertretern des alten Regimes und mit Das Madrider Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung den Islamisten geführt werden? hat schnell auf diese Entwicklungen reagiert Wenn der Übergang zu einer freien, demokra- und im März – zusammen mit den spanischen tischen Gesellschaft gelingt, könnte Tunesien Stiftungen Fundació Rafael Campalans und das erste Land der arabischen Welt sein, dass Fundación Pablo Iglesias und dem Think Tank wirtschaftliche und soziale Entwicklung mit Cidob – drei Veranstaltungen organisiert, wel- gesellschaftlicher Beteiligung verbindet. Die de- che die Veränderungen in der arabischen Welt mokratischen und progressiven Kräfte Europas und insbesondere in Tunesien thematisierten. sind gefordert, diesen Prozess zu unterstützen. Auf einer Konferenz in Granada analysierten Nun gilt es, die neu gewonnenen Freiheiten zu Wissenschaftler, Journalisten und Blogger aus schützen und zu entwickeln. arabischen und europäischen Ländern die Rolle

Modell für den arabischen Raum? Politikdialog U mfra g e zur R olle der T ü rkei

Nicht erst die politischen Ereignisse in den Län- allem aus drei Gründen: aufgrund ihrer musli- dern des Nahen und Mittleren Ostens haben ge- mischen Identität, aufgrund des enormen wirt- zeigt, dass viele Menschen in der Region auf die schaftlichen Erfolges mit einer Verdreifachung Türkei schauen, auch viele Regierungen sehen des BIP seit 2002 sowie ihres stabilen demokra- das Land als Mittler und Beispiel für zukünftige tischen Systems. Entwicklungen. Eine Umfrage der FES in acht Bundestagsabgeordnete, Experten, Journalisten arabischen Ländern ergab, dass sich 85% der und Wissenschaftler trafen sich vor diesem Hin- Menschen in der Region eine stärkere Führungs- tergrund bei der FES, um Schlussfolgerungen rolle der Türkei vorstellen könnten und dies vor für den weiteren Politikdialog mit der Türkei im

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Rahmen des EU- Beitrittsprozesses zu ziehen. Deutschland fühlt eine besondere Verantwor- Der Stillstand der Verhandlungen mit der EU ist tung, dieser Entwicklung entgegenzutreten. dabei ein ernstzunehmendes Problem für beide Wege dahin zu beschreiben war das Ziel der Ver- Seiten, würde doch eine Entfernung der Türkei anstaltung, auf der israelische und türkische Gäs- von gemeinsamen Positionen der EU weitere au- te ihre Standpunkte präsentierten, die vom ehe- ßenpolitische Möglichkeiten nehmen. maligen Außenminister Frank Walter Steinmeier In einer zweiten Veranstaltung im Deutschen und vielen Außenpolitikern des Bundestages auf- Bundestag wurde vor allem das verschlech- merksam zur Kenntnis genommen wurden. terte türkisch-israelische Verhältnis diskutiert.

Delegationsbesuch Grundsätzlich positive haltung H ilfe auf dem W e g nach E uropa Wie frei ist die Presse in der Türkei? Wie steht wollte eine Delegation der sozialdemokratischen es um die türkischen Gewerkschaften? Gibt es Partei Europas bei einem Besuch in Istanbul dis- Parallelen bei der Bekämpfung häuslicher Gewalt kutieren. In diesem Zusammenhang organisierte in Europa und der Türkei? All diese Themenfelder das Büro der FES in Istanbul am 29. Januar eine Konferenz, zu der Partnerorganisa- tionen aus den Bereichen Min- derheitenrechte, Gewerkschaftsar- beit und Presse- freiheit eingela- den wurden. Diskutiert wurde über häusliche Gewalt, die bes- sere Förderung von Frauen in der Politik, die tür- kische Flüchtlingspolitik und die Rechte von Ho- mosexuellen in der Türkei. Dabei zeigte sich, dass Kurz notiert D as neue g E S I C H T der P olitik bislang in der Türkei lediglich 65 Frauenhäuser Anregungen und Ideen in Fragen von Gender existieren, gegenüber rund 400 in Deutschland. und Jugendarbeit suchte eine Delegation der Tür- Es wurde aber auch Kritk an der EU geäußert, die kischen Republikanischen Volkspartei (CHP), beispielsweise nicht als Vorbild für eine humane der größten Oppositionspartei in der Türkei, Flüchtlingspolitik gesehen wird. während eines Besuchs vom 7. und 11. Februar Pressevertreter skizzierten ein dramatisches Bild in Berlin und Brüssel. Erst mit der Entwicklung der türkischen Medienlandschaft, die von ein- einer aktiven Zivilgesellschaft und vor allem zelnen Medienkonzernen dominiert wird, bei mit dem Mentalitätswechsel in der größten tür- gleichzeitig extrem niedrigem gewerkschaft- kischen Oppositionspartei, wird darüber öffent- lichen Organisationsgrad von Journalisten. lich diskutiert. Das neue Gesicht der türkischen Der Generalsekretär der SPE, Philip Codery, sagte Politik und Zivilgesellschaft ist weiblich und den türkischen Gesprächspartnern jede erdenk- jung, betonten die Gäste deshalb immer wieder. liche Hilfe auf dem Weg nach Europa zu und Beleg dafür war Didem Engin, mit 33 eine der betonte die grundsätzlich positive Haltung der jüngsten Politikerinnen des Landes, die die De- europäischen Sozialdemokratie zu einem EU-Bei- legation leitete. tritt.

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Erfahrungs- Interesse muss geweckt werden austausch H erta D ä ubler - g M E L I N zur V erfassun g sdebatte in der T ü rkei

Zusammen mit den führenden Verfassungsex- von Vertretern der türkischen Zivilgesellschaft perten der Türkei wurde im Rahmen einer Veran- bereits betrieben werden. staltung der FES-Istanbul über Verfahrens- und Als Gast nahm Herta Däubler-Gmelin an der Beteiligungsmöglichkeiten diskutiert, durch die Veranstaltung teil, die mit ihren Erfahrungen, eine breit legitimierte neue türkische Verfassung die sie in der Zeit der Wende beim Projekt einer erarbeitet werden kann. Dass die Türkei dringend Komplett-Revision der deutschen Verfassung eine neue liberale Verfassung braucht, die sowohl gewonnen hat, gerade zur Frage von Verfahrens- für kemalistische, als auch islamisch-konservati- weisen viel beitragen konnte. ve Politiker als Fundament einer modernen tür- Wichtiger Ratschlag der ehemaligen Justizminis- kischen Republik akzeptiert wird, ist politischer terin war es, durch polarisierende Themen ein Konsens im Lande. gesamtgesellschaftliches Interesse an der Verfas- Die Diskussion am 22. März drehte sich vor- sungsdiskussion zu erzeugen. nehmlich um die einzelnen Projekte, welche

Werben für stärkeres engagement Roundtable D er Z y pernkonflikt, die T ü rkei und E uropa

„Der Zypernkonflikt ist nicht nur eine zyprische, verhandlungen der Türkei mit der Europäischen sondern auch eine europäische und eine inter- Union, sondern belastet auch eine konstruktive nationale Angelegenheit“. Dies betonte Mehmet Zusammenarbeit zwischen EU und NATO. Ali Talat, ehemaliges Oberhaupt der türkisch- In einer Roundtable-Diskussion mit Journalis- zyprischen Volksgruppe, der Anfang Dezember ten und anderen Zypern-Expert/innen in Berlin auf Einladung der FES nach Brüssel und Berlin legte der Politiker, der bis April 2010 die Verhand- reiste. In Gesprächen mit Vertreter/innen der lungen für die türkisch-zyprische Seite führte, Europäischen Union, des Europäischen Parla- dar, wie schwierig es ist, einen Kompromiss zu mentes, des Deutschen Bundestages und des Aus- finden. Aspekte wie die Eigentumsfrage oder die wärtigen Amtes rief er seine Gesprächspartner/ Frage nach der Präsenz des türkischen Militärs innen dazu auf, sich für eine Einigung in Zypern auf der Insel sind nach wie vor ungeklärt. Meh- zu engagieren, da eine Wiedervereinigung nicht met Ali Talat wirbt daher für ein stärkeres Enga- nur für die türkischen Zyprioten, sondern für die gement der Europäischen Union sowie der deut- ganze Insel und die Region von großem Interesse schen Politik in der Zypernfrage. ist. Der Konflikt blockiert nicht nur die Beitritts-

Der Sozialstaat ist kein Bremsklotz Symposium J ohannes -R au - S y mposium in T el Aviv

Die deutsch-israelische Verständigungsarbeit, vanz von Johannes Raus Ansatz auch in der heu- für die der ehemalige Bundespräsident Johannes tigen Politik: „Der Sozialstaat ist kein Bremsklotz Rau sich wie kaum ein anderer Politiker engagier- für die wirtschaftliche Dynamik. Im Gegenteil: te, leistet bis heute einen gewichtigen Beitrag zu Richtig geordnet, stärkt er die wirtschaftliche den deutsch-israelischen Beziehungen. Das Jo- Leistungsfähigkeit, weil er die Menschen entlas- hannes-Rau-Symposium in Tel Aviv beleuchtete tet und Freiraum schafft für Kreativität und Leis- daher am 6. März in einem deutsch-israelischen tung “. Dialog „Aktuelle Herausforderungen der Wirt- Das Verhältnis zwischen Gewerkschaften und schafts- und Sozialpolitik.“ Die nordrhein-west- sozialdemokratischen Parteien stand im Mittel- fälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft punkt der Diskussion, an der neben Kraft auch betonte die ungebrochene Aktualität und Rele- der ehemalige israelische Sozialminister Isaac

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Herzog, der nordrhein-westfälische DGB-Vor- Probleme über den Kopf wachsen.“ Wichtigs- sitzende Andreas Meyer-Laubner und Gershon te gemeinsame Herausforderung von Gewerk- Gelmann vom israelischen Gewerkschaftsdach- schaften und Sozialdemokratie sei es, Reformen verband Histadrut teilnahmen. auf den Weg zu bringen, um eine wirklich soziale Kraft rief zum Handeln auf. „Es kann auf Dauer Marktwirtschaft zu schaffen. nicht gut gehen, wenn man wartet, bis einem die

Antrittsbesuch Freundschaft in schwierigen Zeiten P eter S truck und A nke F uchs in I srael und Pal ä stina Es war ein Antrittsbesuch in einer Region im Um- die Dringlichkeit, den seit Jahren stagnierenden bruch – und doch eine Visite bei alten Freunden: Friedenprozess in konstruktive Bahnen zu len- Die erste Reise von Peter Struck als frisch gewähl- ken. Er betonte dabei nicht zuletzt die positive tem Vorsitzenden der FES führte in den Brenn- Rolle, die die deutsche Sozialdemokratie dabei punkt des Nahostkonflikts. „Mit unserer Reise spiele und bedankte sich explizit für die kons- wollen wir deutlich machen, dass uns deutschen truktive Arbeit der FES im Heiligen Land. Sozialdemokraten der Friede in Nahost eine Aufbruchsstimmung wurde auch in den Ge- Herzensangelegenheit ist. Dafür steht nicht zu- sprächen mit den Schwesterparteien aus der letzt auch die Arbeit der FES“, erklärte Struck zu Sozialistischen Internationale in Israel und den Beginn seines viertägigen Besuchs in Israel und palästinensischen Gebieten vermittelt. Auf pa- Palästina. Begleitet wurde er von seiner Vorgän- lästinensischer Seite betonte der Al-Mubadara- gerin und jetzigen FES-Ehrenvorsitzenden Anke Vorsitzende Musatafa Barghouti die Notwen- Fuchs digkeit einer demokratischen Erneuerung. „Wir Ein Schwerpunktthema der Reise waren die müssen das derzeitige Demokratiedefizit über- jüngsten Umbrüchen in der arabischen Welt, die winden und mehr junge Entscheidungsträger sowohl beim Treffen mit dem israelischen Staats- einbinden.“ Ein solcher Paradigmenwechsel sei präsidenten Shimon Peres als auch mit dem pa- auch eine der zentralen Forderungen der palästi- lästinensischen Premierminister Salam Fayyad nensischen Jugendbewegung. diskutiert wurden. Peres zeigte sich davon über- In Israel befindet sich die Arbeitspartei nach dem zeugt, dass die eingeleiteten Veränderungen eine überraschenden Austritt von Ehud Barak im Ja- Auch mit Israels nuar in einem Prozess Staatspräsidenten der Neuausrichtung. Shimon Peres trafen der Vorsitzende der Der bis zur Wahl eines Friedrich-Ebert-Stif- neuen Parteivorsitzen- tung, Peter Struck und seine Vorgänge- den am 7. September rin und jetzige amtierende Interims- Ehrenvorsitzende anläss- Chef Micha Harish lich ihres Nahostbe- bewertete die Entwick- suchs zusammen. lung optimistisch. „Uns eröffnet sich nun die Chance, uns inhalt- lich und personell neu aufzustellen. Viele sind jetzt neu zu uns gesto- Chance für einen neuen Friedensprozess darstel- ßen und wir spüren eine frische Energie, die wir len können: „Junge Menschen in Ägypten und nutzen wollen“. Tunesien lassen sich nichts mehr vormachen. Trotz aller gegenwärtigen Unwägbarkeiten in Durch Internet und Handys haben sie ganz neue Zeiten des Umbruches, setzte der Besuch von Zugänge gefunden und fordern nun mehr De- Peter Struck und Anke Fuchs ein deutliches Zei- mokratie und Fortschritt.“ Fayyad verwies auf chen der Solidarität und der Freundschaft.

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Palästina: Eine Frau an der Spitze? Diskussionsrunde H annelore K raft ermuti g t politisch en g a g ierte F rauen

Palästinensische Frauen tragen oft eine doppel- Politik und Zivilgesellschaft mit der nordrhein- te Bürde: Benachteiligung in einer patriarchalen westfälischen Ministerpräsidentin Hannelore Gesellschaft und die Last der anhaltenden isra- Kraft zusammentrafen. An der Veranstaltung in elischen Besatzung des Westjordanlandes. Aber Ramallah nahmen auch zwanzig deutsche Jour- nicht wenigen gelingt auch unter diesen schwie- nalisten teil, die die Ministerpräsidentin auf ih- rigen Bedingungen ein herausragendes Engage- rer Reise begleiteten. ment in der Politik. „Es reicht aber nicht, Frauen „Die Besatzung ist nicht unser einziges Problem nur an die Macht zu bringen”, unterstreicht Ha- – aber jedes unserer Probleme wird durch die nan Ashrawi, eine der prominentesten Vertrete- Besatzung verschärft,” so brachte die ehema- rinnen der palästinensischen Frauenbewegung lige Frauenministerin Zahira Kamal die Lage auf und Parlamentsabgeordnete. „Die eigentliche den Punkt. Die Allgegenwart von Gewalt im öf- Arbeit beginnt, wenn Frauen in verantwort- fentlichen Raum durchdringe auch die private lichen Positionen angelangt sind – dann brau- Sphäre und die persönliche Freiheit werde einge- chen sie politische Unterstützung, um wirklich schränkt. Cairo Arafat, strategische Beraterin des einen Unterschied machen zu können”. Premierministers wies dabei auch auf die zentra- Es ist genau dieser Empowerment-Ansatz, den le Rolle palästinensischer Frauen für den gesell- die FES Jerusalem mit einer frauenpolitischen schaftlichen Zusammenhalt hin. „Für viele Fa- Arbeitslinie in den palästinensischen Gebieten milien gilt: Solange die Frau da ist, solange geht verfolgt. Mit neu ins Amt gewählten Frauen des das Leben weiter.“ Fatah-Revolutionsrats und mit Entscheidungs- Hannelore Kraft zeigte sich von dem Engage- trägerinnen der Allgemeinen Frauengewerk- ment ihrer palästinensischen Kolleginnen be- schaft bemüht sich die Stiftung, Frauen in ihrem eindruckt und ermutigte die Anwesenden, sich schwierigen politischen Alltag zu unterstützen. weiterhin ehrgeizige Ziele zu stecken: „Warum Wie sehr die meisten frauenpolitischen Themen soll nicht eine Frau Präsidentin werden – oder mit dem aktuellen politischen Umfeld in der Ministerpräsidentin?“, gab sie wohl nicht zuletzt Region verknüpft sind, wurde in einer von der den anwesenden männlichen Vertretern im Pu- FES Jerusalem organisierten Diskussionsrunde blikum mit auf den Weg. deutlich, in der Entscheidungsträgerinnen aus

Historische Mutige Politik gegen grossen Reflexion Widerstand W illy B randt und P olen Die moralische Mitte von Brandts Ostpolitik lag Dieses Buch war Anlass für eine Podiumsdis- in Warschau und die Verhandlungen mit der kussion, die die Friedrich-Ebert-Stiftung zusam- Sowjetunion bildeten nur den unerlässlichen ers- men mit dem Deutschen Historischen Insti- ten Schritt zur Entspannung. So lautet die Haupt- tut Warschau, dem Willy-Brandt-Zentrum für these des Ende 2010 erschienenen Buchs „Nie Deutschland- und Europastudien der Universität mehr Politik über Polen hinweg“ Willy Brandt Wroclaw und dem Historischen Institut der Uni- und Polen, herausgegeben von Friedhelm Boll versität Warschau am 2. Dezember organisierte. und Krzysztof Ruchniewicz. Das Buch besteht Den Schwerpunkt der Diskussion bildete die Re- aus elf Beiträgen polnischer und deutscher Wis- flexion über Willy Brandts Polenpolitik, die in senschaftler, die die Ostpolitik des Kanzlers und konservativen Kreisen Deutschlands auf großen ihre Auswirkungen von 1969 bis zur friedlichen Widerstand stieß. Friedhelm Boll betonte, dass Revolution 1989 aus Sicht der Bundesrepublik, Brandt mit seiner Politik gegenüber Polen nicht Polens, der DDR, des Vatikans und der Sowjet- nur Kritik aus den Vertriebenenkreisen riskierte, union beleuchten. sondern auch seine Kanzlerschaft.

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Gedenk- veranstaltung Symbol der Versöhnung der 4 0 . J ahresta g von W illy B randts B esuch in P olen

Die Bedeutung von Willy Brandts Ostpolitik für „Ich danke den Polen, die den Freiheitskampf die Aussöhnung zwischen Deutschen und Polen, für Europa und Deutschland voran getrieben ha- machte eine gemeinsame Konferenz der Fried- ben.“ rich-Ebert-Stiftung mit dem Zentrum für Inter- Ohne den polnischen Motor sei eine immer en- nationale Beziehungen am 7. Dezember 2010 in gere europäische Kooperation undenkbar, bestä- Warschau deutlich: Zu Beginn der Konferenz wür- tigte auch der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel. digten der Leiter des Zentrums für Internationa- Er beschrieb die dringende Notwendigkeit, inter- le Beziehungen, Janusz Reiter, und die damalige nationales Recht zu stärken. Europa könne ohne Vorsitzende der Friedrich-Ebert-Stiftung, Anke konstruktive Gestaltungskraft in der multipo- Fuchs, den Besuch Willy Brandts in Warschau vor laren Welt keine Eigenständigkeit gewinnen, es 40 Jahren, der als Symbol der Versöhnung in die fehlten substanzielle Fortschritte in der Außen- Geschichtsbücher einging. Den Kniefall Brandts und Sicherheitspolitik, unterstrich Gabriel. beschrieb Fuchs als „unerwartet, individuell und Der ehemalige polnische Außenminister Adam ganz persönlich – uns jungen Sozialdemokraten Rotfeld brachte es auf den Punkt: „Wir müssen stockte der Atem“. Brandt habe nach seinen ei- begreifen, dass die EU keine Struktur ist, sondern genen Worten das getan, „was Menschen tun, ein Prozess.“ Würdigte Willy Nicht nur der Historiker Fritz Stern beklagte das Brandt als „Mann erneute Aufkeimen von Nationalismen und poli- der Versöhnung“: Bundespräsident tischer Egoismen. Die vormalige Leidenschaft für Christian Wulff in Europa sei rivalisierenden Haltungen gewichen, Warschau. die liberalen Ideale des Westens befänden sich in der Krise. Zwar fordere die pragmatische Ver- nunft, Integration voranzutreiben und weitere Institutionen zu schaffen, doch sei ein gegen- läufiger Prozess zu beobachten, monierte , Vorsitzender der Sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament: „Es besteht ein Dilemma zwischen unpopulärer, aber not- wendiger Politik und einer kurzfristig populären Politik, die jedoch in eine Sackgasse führt.“ Der ehemalige französische Verteidigungsminis- ter Alain Richard kritisierte die fehlende Bereit- schaft, nationalstaatliche Souveränität abzuge- ben. Ein ausgewogenes Sozialmodell mit einem stärkeren Interessenausgleich sei der nächste Meilenstein in der europäischen Struktur, mein- wenn die Sprache versagt“. Dabei war seine po- te Richard. litische Botschaft einfach, das Ziel klar: Ein Ende Im globalen Kontext sei Europa nach wie vor ein der Spaltung Europas mit der Anerkennung von hinreichendes Modell der wirtschaftlichen, ge- Schuld als Voraussetzung dafür. sellschaftlichen und kulturellen Entwicklung, Bundespräsident Christian Wulff erinnerte dar- so , Bundesminister a.D. und „Archi- an, dass heutige Selbstverständlichkeiten hart er- tekt der Ostpolitik“. Europa habe nach Ende arbeitet wurden. Willy Brandt bezeichnete er als des Ost-West-Konflikts mit der Verhinderung „Mann der Kraft der Freiheit, vor allem aber der neuer Kriege mehr Sicherheit erreicht als je ein Versöhnung“, der stellvertretend für Deutsch- anderer Kontinent. „Solange Europa nicht mit land einzigartigen Respekt gezollt und Perspek- einer Stimme spricht, ist es handlungsunfähig“, tiven für die Zukunft gestaltet habe. Im gleichen schränkte Bahr jedoch ein. Bei den Polen sieht er Atemzug nannte er die polnische Solidarnosc als eine große Verantwortung: „In der Hand Polens mutigen Wegbereiter für das Signal des Wandels: liegt heute die Zukunft Europas“.

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Mehr Gemeinsamkeiten Trialog als Unterschiede T reffen deutscher , R ussischer und amerikanischer E x perten

Vor zwei Jahren riefen die USA und Russland ei- im Interesse Deutschlands und Europas zentra- nen „Neustart“ (Reset) ihrer Beziehungen aus, le Verbesserung der USA-Russland-Beziehungen nachdem diese mit dem Georgien-Krieg 2008 auf eine langfristig tragfähige Grundlage gestellt einen Tiefpunkt erreicht hatten: „Die USA und werden. Russland können unterschiedlicher Meinung Nach zwei Treffen in Washington und Berlin sein und trotzdem auf den Gebieten kooperie- im vergangenen Jahr – unter Einbeziehung von ren, auf denen ihre Interessen zusammenfallen“, Kongress und Bundestag, Auswärtigem Amt und so Vizepräsident Joseph R. Biden auf der Mün- State Department sowie Think Tanks und Zivil- chener Sicherheitskonferenz 2009. Seitdem hat gesellschaft – fand sich die Expertengruppe im diese neue Politik erste Früchte getragen, unter März 2011 in Moskau zusammen. Bei Gesprächen anderem durch den Abschluss eines neuen Ab- im Außenministerium, in der Staatsduma, mit rüstungsabkommens („New Start“) und eine in- Vertretern der russischen Bürgergesellschaft so- tensivierte Zusammenarbeit in der Afghanistan-, wie mit Wissenschaftlern wurde deutlich, dass Iran- und Nordkoreapolitik. die Bereitschaft zur Zusammenarbeit bei allen Die Friedrich-Ebert-Stiftung begleitet den „Re- Beteiligten außerordentlich hoch ist. Zudem set“, mit ihren Büros in Washington und Mos- mangelt es nicht an gemeinsamen Themen: Im kau, durch eine Reihe von Treffen zwischen Vordergrund des Treffens standen Fragen der po- deutschen, US-amerikanischen und russischen litischen und wirtschaftlichen Modernisierung, Wissenschaftlern, Diplomaten und Politikern. aber auch die Regimewechsel in der arabischen Die Grundidee: Washington und Berlin haben Welt. Der Aufbau gemeinsamer Expertise durch bislang in ihrer Außenpolitik gegenüber Moskau den kontinuierlichen Austausch über die Bewer- sehr unterschiedliche Ansätze verfolgt. Durch tung aktueller globaler Entwicklungen wurde als den Vergleich dieser Ansätze, aber auch durch die ein vordringliches Ziel festgehalten. Entwicklung neuer, trilateraler Projekte soll die

Heftige Diskussionen über Bestandsaufnahme Menschenrechte M enschenrechtsbeauftra g te in S ibirien

Die Rechte und Freiheiten der Bürger der Rus- geladen, über das Amt des Menschenrechtsbe- sischen Föderation sind in Kapitel 2 der Verfas- auftragten in den Regionen zu diskutieren. Dort sung von 1993 festgelegt. 1997 verabschiedete fand die Abschlussveranstaltung statt, nachdem das Parlament ein Gesetz zur Einführung des bereits vorher in den sibirischen Städten Bar- „Instituts des Menschenrechtsbeauftragten“. naul, Irkutsk und Tomsk über das Thema disku- Der Europarat, in dem Russland Mitglied ist, tiert worden war. hatte die Einrichtung dieser Position mehrfach Auf der zweitägigen Abschlusskonferenz kam es gefordert. Inzwischen wurden in 60 Regionen unter den etwa 250 Teilnehmern zu heftigen Dis- Russlands Menschenrechtsbeauftragte berufen; kussionen. Einzelne Diskutanten hielten die rus- auf föderaler Ebene sitzt ihnen Wladimir Lukin sische Gesellschaft für nicht reif genug, um zu vor, ein langjähriger Partner der FES. Zu den 23 verstehen, dass es unantastbare Menschenrechte russischen Regionen ohne eigenen Beauftragten gibt. Eine andere Position lautete, dass die rus- gehört das Gebiet Nowosibirsk, mit der gleich- sischen Bürger keinen Beauftragten brauchten, namigen administrativen Hauptstadt des Sibi- sondern vielmehr eine nachhaltige Aufklärung rischen Föderationsbezirks. In der drittgrößten im Bereich der Menschenrechte. Stadt Russlands hatte die FES im März dazu ein-

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Interessenabgleich Die Arktis g E S P R ä che ü ber nachhalti g e erschliessun g

Der Rückgang des ewigen Eises, das Abschmelzen nach Brüssel und Berlin eingeladen. Die Anrai- der Polkappen führen uns konkret die Auswir- nerstaaten haben mit dem 1996 gegründeten kungen der Klimaerwärmung vor Augen. Neben Arktischen Rat ein Forum zur Zusammenarbeit Herausforderungen für die Umwelt und die Be- und Koordination von Forschungsprojekten und wohner des Polarkreises ergeben sich auch neue Entwicklungsvorhaben. Möglichkeiten, die nicht nur für die Anrainer- Ob der EU ein Beobachterstatus gewährt werden staaten von Relevanz sind. So ermöglichen die soll, ist unter den Mitgliedern des Rates strittig: sich öffnenden Seepassagen zwischen dem Nor- Die Anrainer betrachten die Arktis nach wie den Europas, Amerikas und Asiens neue und vor vor nicht als globale Herausforderung. Franz allem kürzere Handelswege und bisher verbor- Thönnes, MdB, unterstrich exemplarisch für gene Energiereserven scheinen bald zugänglich. Nicht-Anrainer, dass Deutschland an einer nach- Auch wenn territoriale Fragen am Nordpol wei- haltigen Erschließung der Region interessiert testgehend durch die internationalen Seerechts- sei. Das betreffe nicht nur Energievorkommen, abkommen geklärt sind, so sind sowohl Anrainer sondern auch die Fischbestände des Arktischen als auch Nicht-Anrainer von den Auswirkungen Meeres. Deutschland und die EU leisteten dar- einer verstärkten Nutzung betroffen. Die FES hat- über hinaus einen wichtigen Beitrag zur Erfor- te vor diesem Hintergrund Mitte März Expert/in- schung der Region. nen aus Nordamerika und Europa zu Gesprächen

Konferenz allmächtiger Geheimdienst? T ransformation der Geheimpolizei in O st- und M itteleuropa

Zwei Jahrzehnte sind seit der Epochenwende in Dr. Hans-Georg Wieck, Präsident des Bundes- Europa und dem Ende des Kalten Kriegs vergan- nachrichtendienstes a.D., gab einen tiefgreifen- gen. Dass einmal die Konfrontation zwischen den Einblick in die analytische Bewertung west- Ost und West unblutig zu Ende ginge, dass einst deutscher Geheimdienste zur Zeit des Kalten tief verfeindete Staaten heute Mitgliedstaaten Krieges. Prof. Dr. Hansjörg Geiger, ehemaliger der Europäischen Union und der NATO sind, Direktor beim Bundesbeauftragten für die Un- hätten viele nicht für möglich gehalten. Auch terlagen des Staatssicherheitsdienstes, berichte- die zentralen Instrumente der ehemaligen Ost- te über Probleme beim Umgang mit den Mitar- block-Staaten zur Machtsicherung, Geheim- beitern des Ministeriums für Staatssicherheit der polizei und Geheimdienste, durchliefen einen DDR. Die Auseinandersetzung mit dem Phäno- tiefgreifenden Wandel. Vormals „Schild und men Inoffizieller Mitarbeiter war ein zentraler Schwert“ der Partei, sollten die ehedem allmäch- Aspekt in der anschließenden Diskussion. tigen Geheimdienste in ein demokratisches Sys- Am zweiten Konferenztag wurde die Transfor- tem integriert werden, und der omnipräsente mation in Tschechien, Polen, Ungarn, Bulga- Unterdrückungsapparat sollte seine Schreckens- rien, Bosnien und Herzegowina sowie in Russ- herrschaft verlieren. land geschildert. Zu Gast waren unter anderen Das Forum Berlin der Friedrich-Ebert-Stiftung Dr. Boris Lazar, Tschechischer Botschafter in organisierte in Kooperation mit dem Gesprächs- Bern und nach 1989 Chef des tschechischen kreis Nachrichtendienste in Deutschland e. V. Dienstes, Dr. Kalman Kocsis, ehemaliger Chef und der Evangelischen Akademie zu Berlin eine des ungarischen Geheimdienstes sowie Gene- zweitägige Konferenz, um mit ehemaligen Ge- ral a.D. Boris Asparuchov, der frühere Chef des heimdienstmitarbeitern beider Seiten sowie mit bulgarischen Auslandsdienstes. Deutlich wurde, Wissenschaftlern und Experten über die Trans- dass die Entwicklung in den einzelnen Ländern formation der ost- und mitteleuropäischen Ge- äußerst unterschiedlich verlaufen ist. Einige Ge- heimdienste zu diskutieren. heimdienste durchliefen einen grundlegenden

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Transformationsprozess und gliedern sich nun mehr dem Machterhalt einer Regierung. Bei an- in ein demokratisches System ein, kooperieren deren Diensten gab es zwar weitreichende Um- im Rahmen europäischer Zusammenarbeit mit strukturierungen, ihre Funktionslogik hat sich Geheimdiensten des Westens und dienen vor- hingegen nicht vollständig verändert. rangig der Informationsbeschaffung und nicht

Die Zukunft liegt in der Perspektivsuche europäischen Integration F E S be g leitet B osnien -H erze g owina auf dem W e g nach E uropa

Bosnien-Herzegowina (BiH) ist einer der fragils- nächste Integrationsphase öffnen – den Status ten Staaten des westlichen Balkans und fällt im als Kandidat für die EU-Mitgliedschaft. Vergleich zu den anderen Ländern der Region bei der EU-Integration zurück. Das Land besteht Die Friedrich-Ebert-Stiftung begleitet seit vielen aus vielen Gebietskörperschaften und der nach Jahren Bosniens Weg nach Europa mit Studien, Eigenständigkeit strebenden Republika Srpska Konferenzen und Informationsveranstaltun- der bosnischen Serben sowie der überwiegend gen. So kamen auch anlässlich des 15jährigen von moslemischen Bosniaken und bosnischen Bestehens des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung Kroaten bewohnten bosnisch-kroatischen Fö- in Sarajevo am 31. März, rund 150 Vertreter aus deration. Entsprechend schwach ist der Zen- Zivilgesellschaft, Medien und Politik zu einer tralstaat. Bei den Parlamentswahlen im Oktober Podiumsdiskussion zusammen. Der Präsident 2010 ging zwar die sozialdemokratische und ein- der Nationalversammlung der Republika Srpska, zige multi-ethnische Partei unter publix (Karte: Führung von Zlatko Lagumdžija als stärkste Kraft hervor, jedoch

konnte auch sechs Monate nach © ) der Wahl noch keine Regierung ge- bildet werden. Amer Kapetanovic, langjähriger Botschaftsrat in Berlin, neuer Lei- ter der Europaabteilung im Außen- ministerium Bosnien-Herzegowi- nas und Vertrauter Lagumdžijas, kam auf Einladung der FES Brüssel Anfang Februar in die europäische Hauptstadt, um dort die Perspekti- ven für sein Land auszuloten. Die Botschaft war deutlich: Die EU sieht die Zukunft Bosnien- Herzegowinas in der EU und will das Land weiterhin auf dem Weg dorthin unterstützen. BiH jedoch muss die Vor- Igor Radojicic und der stellvertretende Präsident aussetzungen dafür schaffen. Die dringlichste der Föderation BiH, Svetozar Pudaric, betonten Aufgabe ist eine schnellstmögliche Regierungs- einhellig, dass alle Bosnier sich die baldige Mit- bildung mit klarer EU-Programmatik, sowie die gliedschaft ihres Landes in der Europäischen Sicherstellung der Konformität der bosnischen Union wünschten und dass es lediglich über den Verfassung mit der Europäischen Menschen- Weg zur vollständigen Integration unterschied- rechtskonvention. Rasche Fortschritte bei der liche Auffassungen gäbe. Umsetzung der Reformen könnten dann die

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Erfahrungsbericht Kosovo: Die letzten hundert Meter S icherheitspolitisches F orum N R W

Eine positive Bewertung des Nato-Einsatzes im fragte die Abteilung Gesellschaftspolitische In- Kosovo zogen Anfang Februar die Teilnehmer ei- formation der FES. Vor 280 Gästen schilderte ner Veranstaltung im Rahmen des Sicherheitspo- Generalleutnant Markus Bentler seine Erlebnisse litischen Forums in Bonn. zwischen 2009 und 2010 als Befehlshaber der in- „Zwölf Jahre Einsatz der Nato im Kosovo – Er- ternationalen KFOR-Truppe im Kosovo. Im An- folg des Konzeptes der Vernetzten Sicherheit?“, schluss nahmen, neben Generalleutnant Bentler, noch der Botschafter der Republik Kosovo, Dr. Vilson Mirdita, der ehemalige Parlamentarische Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Kurz notiert S oldaten diskutieren und Dr. Leo Kreuz aus dem Bun- „Weit weg – nah dran“, unter diesem Titel befass- desministerium für wirtschaftliche Zusammen- ten sich 18 Soldaten im Julius-Leber-Forum mit arbeit und Entwicklung, auf dem Podium Platz. den Umbrüchen in der arabischen Welt. Nikolai Bentler betonte, dass die erfolgreichen Verände- Röhl vom Institut für Nahost-Studien des GIGA rungen der vergangenen Jahre durch „die noch (German Institute of Global and Area Studies) bevorstehenden letzten 100 Meter“ abgeschlos- umriss die Herausforderungen der Entwicklun- sen werden müssten. Botschafter Mirdita verwies gen in Nordafrika und Nahost für Europa. Be- auf die dringende Notwendigkeit seinem Land sonders intensiv diskutiert wurde zum einen die eine Zukunftsperspektive zu ermöglichen. In die- Frage, wie Europa mit Flüchtlingen aus Nordafri- sem Zusammenhang deutet er den Wunsch nach ka umgehen sollte. Zum anderen wurde über die einer Änderung der Visa-Bestimmungen der EU kurz zuvor getroffene Entscheidung des UN-Si- an. Insgesamt wurde das Konzept der Vernetzten cherheitsrates und die Position Deutschlands de- Sicherheit als ein Erfolgsmodell bewertet, so dass battiert: Haben wir das Recht und/oder die Pflicht der Kosovo durchaus auch als Beispiel für andere zu intervenieren? Krisenregionen dienen könne.

Podiumsdiskussion auf dem Weg zu einem „historischen Kompromiss“ die serbisch - kosovarischen V erhandlun g en Die Atmosphäre bei den Verhandlungen sei gut Politische Brisanz gewann die Diskussion, als der gewesen, berichtete Borko Stefanovic, der Leiter Nordkosovo ins Spiel kam. Die Region mit ser- der serbischen Delegation während einer Podi- bischer Mehrheitsbevölkerung wird seit Jahren umsdiskussion, die die Vertretung der Friedrich- de facto von Serbien aus verwaltet. Eine Teilung Ebert-Stiftung in Belgrad am 1. April in Zusam- des Kosovo scheint der Preis zu sein, den Bel- menarbeit mit dem Zentrum für Neue Politik grad für eine Normalisierung der Beziehungen und der Wochenzeitschrift NIN veranstaltete. Es zu Pristina verlangt. Dies widerspricht all jenen gebe ein erkennbares gemeinsames Interesse, die Positionen in Pristina, Washington und auch Verhandlungen zum Erfolg zu führen. Die Sta- Berlin, für die die territoriale Integrität des Koso- tusfrage, in der nur Einigkeit über die gegensei- vo unantastbar ist. Auch würde so die fatale Lo- tig unvereinbaren Standpunkte bestehe, sei von gik ethnischer Grenzziehungen in einer multi- serbischer Seite konsequent ausgespart worden. ethnischen Region fortgesetzt. Ein Präzedenzfall Die Tatsache, dass er trotzdem den Begriff „his- aber, wie Kritiker behaupten, wäre sie nach der torischer Kompromiss“ bemühte, den auch Prä- Anerkennung der kosovarischen Unabhängig- sident Boris Tadic des Öfteren im Munde führt, keit selbst nicht mehr. Es ist deshalb nicht un- zeigt jedoch, dass die politische Dimension der wahrscheinlich, dass der Status quo über kurz Gespräche weit über nur rein technische Fragen oder lang zur Blaupause einer endgültigen Lö- hinausgeht. sung des Territorialkonflikts dient.

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Eine Universität im Exil Informationsreise informationen ü ber politische Partizipation in D eutschland

Belarussische Studentinnen und Studenten der liches Engagement des Landes Berlin sowie mit European Humanities University in Vilnius/Li- Benedikt Lux, Mitglied des Berliner Abgeordne- tauen waren von der FES zu einer Informations- tenhauses. Weitere Gespräche führte die Delega- reise vom 20. bis 25. Februar Auf der Suche nach über politische Partizipation in Anregungen: Studen- tinnen aus Belarus Deutschland eingeladen wor- den. Aufgrund der schwierigen politischen Lage in Belarus wur- de die Universität im Jahr 2004 in Minsk geschlossen und dann 2006 nach Vilnius in Litauen verlegt. In ihrem Heimatland bleiben den jungen Leuten auch weiterhin praktische Erfah- rungen mit den Möglichkeiten des bürgerlichen Engagements verwehrt. tion mit Amnesty International und Vertretern Im Rahmen der Informationsreise diskutierten der Europa Universität Viadrina in Slubice/Polen. die Teilnehmer mit Franz Thönnes, MdB, Rene Soweit es möglich ist, möchten die Studierenden Rudolf, Leiter der Abteilung Jugend beim DGB, die neuen Ideen des gesellschaftspolitischen En- Monika Helbig, Beauftragte für Bürgerschaft- gagements in ihrem Heimatland umsetzen.

Grundfreiheiten g ef ä hrdet ? renden Repräsentanten der EU-Kommission, des Kurz notiert Die EU-Ratspräsidentschaft Ungarns wird seit Europäischen Parlaments sowie des EGB zusam- Beginn des Jahres von kontroversen innenpoli- men. Die vom FES-Büro Brüssel organisierten tischen Entscheidungen und Vorhaben der kon- Gespräche lieferten den Gästen wichtige Argu- servativen Orbán-Regierung begleitet. Aufsehen mente, um für mehr Chancengleichheit in dem erregten nicht nur das umstrittene Mediengesetz rechtskonservativ geführten und männerdomi- und die neue Wirtschaftspolitik zum Nachteil nierten Ungarn einzutreten. der ausländischen Investoren, sondern auch die angekündigte Verfassungsreform mit Einschrän- S trate g ien g e g en R echts kungen der Grundfreiheiten. Im Zuge einer In- Wie dem Erstarken rechtsextremer Parteien und formationsreise besuchte eine Delegation unter Bewegungen in Ostmitteleuropa begegnet wer- Führung des Vorsitzenden der Ungarischen Sozi- den kann, diskutierten Experten aus Deutsch- alistischen Partei (MSZP), Attila Mesterházy, Ber- land, Polen, Tschechien, der Slowakei, Rumänien lin und diskutierte u.a. mit dem SPD-Vorsitzen- und Ungarn im Rahmen der internationalen den Sigmar Gabriel, neben den innenpolitischen Konferenz „Rechtsextremismus in Ostmitteleur- Entwicklungen, auch Themen der EU-Politik, opa – Strategien gegen Rechtsextremismus“ am der Roma- und der Minderheitenfrage sowie der 19. November 2010 in Budapest. Unter dem Ein- Neuorientierung der MSZP in der Opposition. druck wachsender rechtsextremistischer Bewe- gungen in den „neuen“ Demokratien Ostmittel- C hancen g leichheit in U n g arn europas, initiierte das Büro der FES in Budapest Das Thema Gleichstellungspolitik der EU stand vor zwei Jahren ein Projekt, das nach einer Be- im Mittelpunkt einer Informationsreise von standsaufnahme der unterschiedlichen Ausprä- Vertreterinnen ungarischer Gewerkschaften. gungen des Rechtsextremismus in Ostmitteleu- Der Besuch in Brüssel führte die Delegation zu ropa, nun mit der Analyse von Gegenstrategien einem intensiven Gedankenaustausch mit füh- seinen erfolgreichen Abschluss fand.

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Expertengespräch Fenster der Möglichkeiten S tudie zur L ö sun g der K onflikte in g E O R g ien

Zweieinhalb Jahre nach den gewalttätigen Aus- keiten zu nutzen: Krisenprävention, zivile Kon- einandersetzungen zwischen Georgien und Rus- fliktbearbeitung und Vertrauensbildung seien sland in Südossetien, hat Georgien nicht nur nicht nur im Interesse aller beteiligten Parteien, weiterhin mit einem zwischenstaatlichen, son- sondern gleichzeitig Voraussetzungen zur Schaf- dern auch zwei sezessionistischen Konflikten zu fung einer friedlichen und gerechten Lösung der kämpfen: Die beiden abtrünnigen, im Norden inner-georgischen Konflikte sowie einer vollen von Georgien gelegenen Regionen Abchasien Normalisierung der Russisch-Georgischen Be- und Südossetien, wurden von Russland als ei- ziehungen. Eine Lösung, so wurde deutlich, genständige Staaten anerkannt. ist nur in einem Dialog aller Konfliktparteien, Im Rahmen eines Expertengesprächs auf Ein- einschließlich Russlands, zu erreichen. Die im ladung des Europabüros der FES stellte der US- Oktober 2008 von der Europäischen Union, den amerikanische Wissenschaftler Samuel Charap Vereinten Nationen und der Organisation für Si- am 24. März in Brüssel die Ergebnisse einer neu- cherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSCE) en Studie des Washingtoner Center for Ameri- ins Leben gerufenen „Geneva Discussions on can Progress zu den Georgienkonflikten vor . Georgia“ wurden in diesem Zusammenhang als Ausgehend von der Annahme, dass die Bedin- richtungsweisende und wichtige Dialogplatt- gungen für Fortschritte auf dem Weg zu einer form bezeichnet. langfristigen Lösung des dreifachen Konflikts in und um Georgien derzeit besser sind als je zuvor, M ehr zum T hema empfiehlt der Bericht, das Fenster der Möglich- http://ampr.gs/georgiaconflicts

(Karte: publix©)

Projekt Durchbrüche nicht zu erwarten F E S untersucht R olle der M edien im A rmenisch -A serbaid - schanische K onflikt

Nach einem Krieg zwischen Armenien und Armenien und Aserbaidschan sind auch sieb- Aserbaidschan in den Jahren 1988 bis 1994 hat zehn Jahre nach dem Abschluss eines Waffen- Aserbaidschan die Kontrolle über die internatio- stillstandsabkommens angespannt. nal nicht anerkannte, selbsternannte „Republik Seit 1992 finden im Rahmen der Minsker Grup- Karabakh“ verloren. Die Beziehungen zwischen pe der OECD, unter Co-Vorsitz von Russland,

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Frankreich und den USA, Verhandlungen zur Lö- führten Studie zeigen, dass die Medien in beiden sung des Karabakh-Konfliktes statt. Zwar gelang Ländern weitgehend die oft propagandistische es im Jahr 2007 mit den so genannten Madrider Sicht ihrer jeweiligen Regierung übernehmen Prinzipien eine Grundlage für weitere Verhand- und Feindbilder über das Nachbarland verstär- lungen zu legen, doch ist in keiner der strittigen ken. Für die häufig negativen öffentlichen Reak- Fragen des Konflikts ein Verhandlungserfolg er- tionen auf Vermittlungsbemühungen tragen die zielt worden. Im Gegenteil: Im Jahr 2010 gab es Medien eine Mitverantwortung. Die nationalis- die schwersten militärischen Auseinanderset- tische Berichterstattung erschwert die mögliche zungen an der Grenze zu Karabakh seit Ende des Zustimmung der politischen Öffentlichkeit zu Waffenstillstandes. Kompromissen im Verhandlungsprozess und be- Angesichts eines steigenden Eskalationsrisikos grenzt somit den Handlungsspielraum der Regie- hat sich ein von der FES unterstütztes Projekt rungen. mit der politischen Rolle der Medien im Konflikt Ein Dialog zwischen armenischen und aserbaid- auseinandergesetzt. Im Rahmen des Projektes schanischen Medienschaffenden findet kaum wurden Qualität und Umfang der Medienbe- oder gar nicht statt. Daher wurden im weiteren richterstattung über die armenisch-aserbaidscha- Verlauf des Projekts Dialogforen zwischen ar- nischen Beziehungen untersucht. In jedem menischen und aserbaidschanischen Journalis- Land wurde die Berichterstattung von je sechs ten und Medienschaffenden entwickelt. Dabei Fernsehsendern und sechs Zeitungen einer ein- wurden auch Empfehlungen für eine verant- gehenden Betrachtung unterworfen. Die Ergeb- wortungsvolle, qualitativ hochwertige und kon- nisse der vom Yerewan Press Club und der „Yeni fliktlösungsorientierte Medienberichterstattung Nesil“ Journalist Union of Azerbaijan durchge- erarbeitet.

Staatliche Kontrolle der Medien? Untersuchung U mstrittene L izenzver g abe in A rmenien

Armenien steht wegen Verstößen gegen die ver- Kommission ihre Untersuchungsergebnisse ver- fassungsrechtlich garantierten Freiheiten von öffentlichen. Zwischenergebnisse deuten darauf Journalisten und Medienschaffenden in der hin, dass der armenischen Regierung und der Kritik. Durch den Druck auf Herausgeber und Nationalen Rundfunk- und Fernsehbehörde eine Sponsoren üben Behörden indirekt Einfluss auf unangenehme Diskussion über staatliche Ein- die Berichterstattung in Fernsehen und Hörfunk griffe in die Medienfreiheit bevorsteht. aus. Im Juni 2010 wurden Änderungen am Rund- funkgesetz vorgenommen, durch welche die An- zahl der privaten Rundfunkanstalten reduziert wird. Dies ist möglich durch ein neues Verfahren S teuer g esetze in der U kraine Kurz notiert zur Vergabe von Rundfunklizenzen im Zuge des Die neue ukrainische Regierung bereitet eine Rei- Wechsels von einem analogen zu einem digi- he von Reformen vor, die vor allem soziale Ein- talen Rundfunk. Im Dezember 2010 wurden die schnitte bedeuten werden. Die FES möchte dazu neuen Lizenzen für digitalen Rundfunk erstmals beitragen, dass die ukrainischen Gewerkschaften im Rahmen eines Wettbewerbs vergeben. Auffäl- aktiv am politischen Diskurs über Reformpro- lig viele Lizenzen gingen an „unpolitische“ oder jekte, wie Steuer-, Renten-, und Gesundheitsre- regierungstreue Medienanstalten. form, beteiligt werden. Deshalb veranstaltete die Wegen der mangelnden Transparenz des Verfah- Vertretung in der Ukraine am 14. und 15. Februar rens hat eine langjährige Partnerorganisation der mit den Gewerkschaften der Verteidigungsindus- FES, der Yerevan Press Club (YPC), im Frühjahr trie und der Wohn- und Kommunalwirtschaft 2011 die Herausgabe der Wettbewerbsunterlagen eine Konferenz zum neuen Steuergesetzbuch. erzwungen. Mit Unterstützung der FES wird nun Die Gewerkschaftsvertreter entwickelten Ideen, eine unabhängige Expertenkommission eine wie sie sich vor Verschlechterungen schützen Untersuchung der Lizenzvergabe durchführen. können und verabschiedeten einen Katalog von Noch in der ersten Jahreshälfte 2011 wird die Änderungsvorschlägen.

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Podiumsdiskussion Aktueller denn je 2 5 J ahre R echt auf E ntwicklun g

Mit einem Plädoyer für eine menschenrechts- ländern verschlechtern, sind diese Subventionen zentrierte Entwicklung eröffnete die UN-Hoch- illegitim. kommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay, Salama schilderte den Nord-Süd-Konflikt, der sich eine Podiumsdiskussion anlässlich des 25. Jah- im Streit um das Recht auf Entwicklung abbildet. restags der UN-Erklärung über das Recht auf Ent- Entwicklungsländer verstünden es vor allem als wicklung. Pflicht der Industriestaaten Entwicklungshilfe Dieses Menschenrecht formuliert den Anspruch zu leisten. Dass sie selbst marginalisierte Bevöl- jeder Person, an der wirtschaftlichen, sozialen, kerungsgruppen an jeder Entwicklung beteili- kulturellen und politischen Entwicklung teilzu- gen müssten, wird gerne übersehen. Gleichzeitig haben. Manche nennen diesen Anspruch subs- sträubten sich die Staaten des Nordens gegen jed- tanzlos, andere verstehen darunter ein „Recht auf wede Verpflichtung und wollen Entwicklungshil- alles“. Was das Recht auf Entwicklung konkret be- fe weiterhin flexibel und freiwillig leisten. deutet, veranschaulichte das hochrangig besetzte Jenseits dieser Kontroverse wird das Recht dann Podium der Veranstaltung am 24. Februar in Ber- relevant, wenn man es als Maßstab an konkrete lin, zu der die FES in Kooperation mit dem Büro Projekte der Entwicklungszusammenarbeit an- legt, betonte Stephen Zu Gast in Berlin: Die UN-Hochkom- Marks, Professor an der missarin Navi Pillay Harvard-Universität. Mitte) wurde von der Vorsitzenden des Jede Maßnahme müsse Kuratoriums der langfristig zu einer Ver- Friedrich-Ebert-Stif- tung, Ingrid Matthä- besserung der Menschen- us-Maier begrüßt. rechtssituation beitragen (Foto: Maté) und dem Grundsatz der Nichtdiskriminierung genügen. Prof. Vitit Muntarbhorn, ILO-Sachverständiger aus Bangkok, verwies auf die visionäre Kraft des Rechts auf Entwicklung. der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte Wenn Menschenrechte an erster Stelle stünden, (OHCHR) eingeladen hatte. Die wichtigste For- dann führe kein Weg an diskriminierungsfreier derung, die sich aus dem Recht auf Entwicklung sozialer Absicherung vorbei, dann müsse Globa- ergibt, ist die nach einer die Menschenrechte lisierung gleichzeitig freieren und faireren Han- achtenden und fördernden Entwicklungszusam- del befördern. Implizit erinnere das Recht auch menarbeit, betonte die ehemalige Entwicklungs- an die menschenrechtliche Dimension von Um- ministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul. Eindring- weltfragen. lich wies die Hochkommissarin darauf hin, dass Das Recht auf Entwicklung ist in keinem ver- das Individuum ins Zentrum jeder Entwicklung bindlichen Vertrag festgeschrieben und seine gerückt werden muss. Die Proteste und Umwäl- Verletzung wurde erst ein einziges Mal, unter der zungen in Nordafrika, so sagte sie, veranschauli- Afrikanischen Menschenrechtscharta, gericht- chten letztendlich, was passiere, wenn Menschen lich geahndet. Allerdings sind die Inhalte und ihr Recht auf Entwicklung vorenthalten wird. Ansprüche des Rechts auf Entwicklung aktueller Ibrahim Salama, Direktor der Abteilung Men- denn je. Auf dieser Basis sollte die weitere Ausein- schenrechtsabkommen des OHCHR, ergänzte, andersetzung mit Globalisierung, Klimawandel dass das Recht auf Entwicklung nicht nur das und Entwicklung stattfinden. Verhältnis des Staates zu seinen eigenen Bürgern betrifft. Wenn im EU-Raum Agrarsubventionen V ideocast in englischer sprache die Situation von Menschen in Entwicklungs- www.fes.de/gpol/en/RTD_conference.htm

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Hilfe für die Ärmsten Regionalkonferenz Grundversor g un g in A frika

Soziale Sicherung ist ein neuer Begriff für die Ent- lity and Unemployment“ diskutierten Vertreter wicklungspolitik in Afrika. Lange Zeit ist man da- von Staat und Zivilgesellschaft aus acht Ländern von ausgegangen, dass die armen Länder südlich der Region über Erfolg und Realisierbarkeit sol- der Sahara sich solche Sicherungssysteme nicht cher Projekte. leisten können. Nicht zuletzt durch eine Kam- Vorgestellt wurde das Programm „Bolsa Familia“ pagne der ILO hat sich aber die Erkenntnis durch- in Brasilien, das flächendeckend Barzuweisungen gesetzt, dass der Teufelskreis von Armut, Hun- an bedürftige Familien gibt. Bedingungen für ger, mangelnder wirtschaftlicher Produktivität den Erhalt sind z.B. regelmäßger Schulbesuch der und Arbeitslosigkeit nur durchbrochen werden Kinder und medizinische Untersuchungen. kann, wenn die Menschen wirksamen Schutz vor Mit dem indischen Rural Employment Guarantee Krankheit und Unterernährung bekommen. Da Scheme wird in ländlichen Gebieten jedem Haus- aber in den meisten afrikanischen Ländern nur halt bezahlte einfache Arbeit von mindestens 100 ein ganz kleiner Teil der Bevölkerung formell be- Tagen im Jahr garantiert und damit gleichzeitig schäftigt ist und sich kaum jemand regemäßige die ländliche Infrastruktur aufgebaut. Beiträge leisten kann, ist der Staat gefordert: Er In einem Pilotprojekt in Namibia wurde sehr er- muss den Ärmsten grundsätzliche Hilfe leisten, folgreich der „Basic Income Grant“ erprobt, eine damit sie am wirtschaftlichen Leben teilnehmen bedingungslose Zuweisung von ca. 10 € monatlich können. Und diese Leistungen kann er auch auf- an jeden Bürger vom Kleinkind bis zum Greis. bringen, wenn es den politischen Willen zur Um- Bei der intensiven Diskussion zeigte sich vor allem verteilung gibt. viel Unterstützung für den BIG. Mit begrenzten Auf einer regionalen Konferenz für das südliche steuerlichen Veränderungen seien diese Maß- Afrika in Windhoek wurden einige Beispiele prä- nahmen für die Staaten im südliche Afrika auch sentiert, die bereits erfolgreich umgesetzt worden leistbar und würden für die notwendige Umver- sind. Unter dem Titel „Social Justice and the Role teilung und gewaltige Wachstumsimpulse in den of the State: The Triple Burden of Poverty, Inequa- Ländern sorgen.

Nigeria: Gestaltungspotenzial Forum verschenkt A ussenpolitik des landes besser nutzen

Im Oktober 1960 erläuterte der damalige nigeri- noch immer an diesen Prinzipien fest. Dabei hat anische Premierminister Tafawa Balewa der Ge- sich die Realität gewandelt: Der afrikanische Kon- neralversammlung der Vereinten Nationen in tinent wächst mit dem Aufbau der Afrikanischen einer Grundsatzrede die fünf Grundprinzipien Union und den Regionalen Wirtschaftsgemein- der künftigen Außenpolitik seines Landes. Ni- schaften zusammen, die Bewegung der Block- geria war gerade unabhängig geworden und als freien hat an Bedeutung verloren. Das Prinzip 99. Mitglied der UN beigetreten. Die Erklärung der Nichteinmischung, oft genug eine Ausrede Balewas atmete ganz den Geist der Dekolonisa- zum Wegschauen, ist der Pflicht zum Eingreifen tion und der frühen Einigungsversuche Afrikas: bei groben Menschenrechtsverletzungen gewi- Als Grundpfeiler der nigerianischen Außenpoli- chen. So hat auch Nigeria im UN-Sicherheitsrat tik legte er die Unabhängigkeit und territoriale im März 2011 für die Einrichtung einer Flugver- Integrität aller Staaten genauso fest wie das Prin- botszone über Libyen gestimmt. zip der Nichteinmischung, die Blockfreiheit, die Aufgrund seiner geostrategischen Bedeutung und Mitarbeit in relevanten internationalen Organi- schieren Größe (mit 150 Millionen Einwohnern sationen und die Konzentration auf Afrika. ist es der mit Abstand bevölkerungsreichste Staat Auch fünfzig Jahre später hält Nigeria nominell Afrikas) wird Nigeria häufig als aufstrebende Mit-

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telmacht gesehen. Doch im Land selbst herrscht und besseren Nutzung der Außenpolitik für die ein geradezu irritierendes Schweigen über eigene Interessen des Landes beitragen. Eine überfäl- außenpolitische Positionen. Die Expertise von lige Initiative, wie etwa der Generaldirektor des Beratungseinrichtungen und Universitäten wird außenpolitischen Regierungs-Think-Tanks Ni- so gut wie gar nicht abgefragt. Das Land, so der gerian Institute of International Affairs, Bola dominierende Eindruck, verschenkt sein Gestal- Akinterinwa, in einem Zeitungsartikel schreibt: tungspotenzial. „Warum haben die offiziellen außenpolitischen Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat seit Ende 2010 Institutionen Nigerias nicht dasselbe getan?“ Die in Lagos ein regelmäßig tagendes, hochrangiges Teilnehmer wollen Regierung und Öffentlichkeit Diskussionsforum initiiert, in dem Akademiker, nun in einen kontinuierlichen Dialog über die Vertreter des Militärs, ehemalige Diplomaten, außenpolitischen Interessen und das ungenutzte Gewerkschafter, Unternehmer und Journalisten Potenzial Nigerias einbeziehen. Im September die Rolle und Möglichkeiten nigerianischer Au- 2011 wird dazu erstmals ein öffentlicher außen- ßenpolitik diskutieren. Die Teilnehmer sind sich politischer Gipfel stattfinden. einig, dass sie damit zu einer Demokratisierung

Konferenz Überfordert und überschätzt? P erspektiven der A frikanischen S icherheitsarchitektur

Die derzeitigen dramatischen Entwicklungen im naler Integration in Afrika notwendig ist, zeigte Norden Afrikas sind ein Härtetest, nicht nur für sich im Laufe der folgenden, sehr offenen Debat- die internationale Gemeinschaft und die Verein- te zwischen hochrangigen afrikanischen und eu- ten Nationen, sondern vor allem auch für das Kri- ropäischen Experten, Entscheidungsträgern und senmanagement der Afrikanischen Union (AU). Vertretern von Regionalorganisationen. Die unter ihrem Dach konzipierte Afrikanische Dabei herrschte Einigkeit, dass ein Fokus auf die Friedens- und Sicherheitsarchitektur (APSA) ba- AU keinesfalls ausreicht, sondern insbesonde- siert unter anderem auf dem Prinzip der Schutz- re den regionalen Wirtschaftsgemeinschaften verantwortung („Responsibility to Protect“) und Schlüsselrollen bei Krisenprävention und –ma- sieht ein Eingreifen vor, wenn Staaten die Sicher- nagement zukommen. Dr. Admore Mupoki Kam- heit ihrer Bevölkerung nicht gewährleisten bzw. budzi, Sekretär des Friedens- und Sicherheitsrates gar gefährden. Im Falle der Angriffe Gaddafis auf der AU räumte ein: „In der Zusammenarbeit mit sein eigenes Volk blieb eine starke Reaktion der den Regionalorganisationen gibt es Defizite.“ De- AU allerdings aus. Was sagt das über die Stärke re- ren Entwicklungsstände, Kapazitäten und Erfah- gionaler Sicherheitspolitik in Afrika? rungen sind jedoch auch sehr unterschiedlich, Allein an der Fähigkeit zur militärischen Inter- wie von der FES konzipierte Studien zur Rolle der vention will sich die afrikanische Sicherheitsar- Regionalorganisationen in konkreten Krisen zei- chitektur nicht messen lassen. Schließlich ba- gen. siert sie auf einem umfassenderem Ansatz, dessen Gemein ist Organisationen wie ECOWAS Notwendigkeit sich ebenfalls derzeit im Maghreb (Westafrika), SADC (südliches Afrika) und IGAD zeigt: „Frieden, Demokratie und Entwicklung (östliches Afrika), dass sie alle als Wirtschaftsge- formen zusammen eine Medaille: jede Medaille meinschaften gegründet wurden, aber zuneh- hat zwei Seiten und einen Rand. Jedes dieser drei mend auch sicherheitspolitische Aufgaben über- Elemente ist notwendig“, formulierte es Joaquim nehmen mussten. Daran erinnerte u.a. Major Alberto Chissano, ehemaliger Präsident von Mo- Ibrahim Diarra, Assistent der Geschäftsleitung sambik, Anfang Februar in Berlin. In seiner Er- in der Abteilung für Politische Angelegenheiten, öffnung der FES-Konferenz zu den Perspektiven Frieden und Sicherheit der ECOWAS-Kommissi- regionaler Sicherheitspolitik in Afrika hielt er ein on: „Das ECOWAS-Mandat wurde sehr schnell Plädoyer für intensivierte internationale Unter- und umfassend ausgedehnt – politisch und mili- stützung der APSA. Dass dafür jedoch ein tieferes tärisch. Hier müssen Reformprozesse ansetzen.“ Verständnis der politischen Dynamiken regio- Das Prinzip menschlicher Sicherheit, das den re-

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gionalen Abkommen und Protokollen zugrunde M ehr zum T hema liegt, verlangt auch nicht-militärische Elemente. Sperling, Sebastian; ECOWAS auf dem Prüfstand : Die Verbindung zwischen Sicherheit und Demo- Stärken und Grenzen regionaler Sicherheitspolitik kratisierung wurde dabei immer wieder betont, in Westafrika und die destabilisierende Wirkung von Wahlen http://library.fes.de/pdf-files/iez/07883.pdf insbesondere bei fragiler Staatlichkeit und fehlendem gesellschaftlichem Zusammenhalt problematisiert. Die SPD-Außenpolitiker Herta Däub- ler-Gmelin, und Rolf Mützenich unterstützten in ihren Bei- trägen ausdrücklich dieses Verständ- nis von Sicherheitspolitik. Nicht nur auf Ebene der AU, sondern auch auf Ebenen der Regionalorganisationen und im nationalen Rahmen müssten weiter Kräfte gestärkt werden, die an einer demokratischen Organisati- on der Sicherheitspolitik interessiert sind.

Vertrauensbildung als Ziel Gesprächsplattform D er s ü damerikanische V erteidi g un g srat

2008 haben die zwölf Mitgliedsstaaten der Uni- Im Zuge der Diskussion wurde gerade von den on Südamerikanischer Staaten (Unasur) als Un- Ländern des Cono Sur betont, dass der Verteidi- terorganisation einen Verteidigungsrat (CDS) gungsrat nicht für neue Bedrohungen wie Terro- gegründet. Das Ziel dieser „Gesprächsplattform“ rismus, organisierte Kriminalität und Drogen- ist nicht nur die Intensivierung der sicherheits- bekämpfung zuständig sei. Die FES begleitet die politischen Zusammenarbeit hinsichtlich der Entwicklung der Sicherheitspolitik in der Region Vertrauensbildung und im Rüstungssektor, son- mit dem regionalen Sicherheitsprojekt in Kolum- dern auch die Entwicklung einer südamerika- bien, dass sich sowohl mit geopolitischen Fragen nischen Friedenszone. Der Anstoß für die Grün- beschäftigt, als auch mit der transnationalen or- dung des CDS ging von Brasilien aus, und in den ganisierten Kriminalität. vergangenen Jahren hat der Südamerikanische Verteidigungsrat unter den Präsidentschaften, zunächst von Chile und danach von Ecuador, F r ü hwarns y steme in A sien Kurz notiert eine Fülle von Aktivitäten entwickelt und sich In Zusammenarbeit mit der FES-Singapur, der in kritischen Fragen bewährt. 2011 hat Peru die Asia-Europe-Foundation und dem Singapore Präsidentschaft inne und stellt die Transparenz Institute for International Affairs präsentierte der Rüstungsausgaben in der Region in den Mit- die FES-Brüssel am ������������������������������10. Februar die������������������ Ergebnisse des telpunkt der Arbeit. Dabei wurde im Zuge eines 7. Asia-Europe-Roundtable zu Frühwarnsyste- Hintergrundgesprächs in der FES Ende März vom men bei Minderheitenkonflikten. Expert/innen Exekutivdirektor des Sekretariats des CDS und aus Asien und der EU diskutierten mit dem Brüs- dem Direktor der Abteilung für Sicherheit und seler Fachpublikum, wie regionale Frühwarnme- Verteidigung im Außenministerium Perus, dar- chanismen aufgebaut werden können und die auf hingewiesen, dass die freiwillige Weitergabe Zusammenarbeit zwischen der EU und Asien bei von Informationen gefördert werden soll. der Krisenprävention verbessert werden kann.

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Analyse Partnerschaften ohne Bedeutung S trate g ische Partnerschaften der E U mit M e x iko und B rasilien

2003 hat sich die EU in der Europäischen Sicher- organisierten Kriminalität in Mexiko, der zuneh- heitsstrategie dem Prinzip des „effektiven Multi- mende Kleinwaffenhandel, unsichere Grenzen lateralismus“ verschrieben. Sie ist dazu überge- und Geldwäsche – sind Themen, über die die gangen, mit aufstrebenden Ländern „Strategische Suche nach Lösungen dringend in Gang gesetzt Partnerschaften“ einzugehen. Das Ziel ist die In- werden sollte. Dazu könnte die strategische Part- tensivierung der politischen und wirtschaftlichen nerschaft künftig das geeignete Instrument sein. Zusammenarbeit. Mit Brasilien und Mexiko wur- Andernfalls würde sie aus mexikanischer Sicht den 2007 und 2009 strategische Partnerschaften bedeutungslos bleiben. beschlossen. Auf der gemeinsamen Agenda der Weitgehend politisch bedeutungslos ist die Part- nun jährlich stattfindenden Gipfeltreffen stehen nerschaft auch für Brasilien. Das Land hat in den Themen wie Klimawandel, Welthandel, Interna- letzten Jahren außenpolitisch Karriere gemacht. tionaler Terrorismus und die Reform der Verein- Es ist nicht nur die Regionalmacht in Latein- ten Nationen. Welche politische Strategie ver- amerika, sondern auch ein ernstzunehmender folgt die EU mit diesen Partnerschaften? Welche Global Player. „Daher war die strategische Part- Ergebnisse haben sie bisher erzielt? nerschaft mit der EU ein wichtiges Symbol für Der Berater im mexikanischen Abgeordneten- unsere internationale Anerkennung“, betonte haus Luis Huacuja und Gabriel Kohlmann, Bera- Gabriel Kortmann. Doch obwohl Brasilien und ter für internationale Unternehmen und öffent- die EU eigentlich die perfekten Partner für die liche Politik aus Brasilien, gingen diesen Fragen Gestaltung globaler Politik sind, folgten auf die- auf Einladung der FES im Rahmen eines zweiwö- sen symbolischen Akt aus seiner Sicht bisher chigen Arbeitsaufenthaltes in Brüssel nach. In kaum Taten. Weder bei internationalen Sicher- Berlin diskutierten sie anschließend die Ergeb- heitsfragen (z.B. Atomstreit mit Iran, Reform des nisse mit Entscheidungsträgern aus Politik und UN-Sicherheitsrates), noch bei Welthandelsfra- Wissenschaft. gen (z.B. WTO-Verhandlungen) formulierten „Die Partnerschaften sind bislang strategielos. die Partner eine gemeinsame Strategie. Gibt es Sie sind kaum mehr als eine Worthülse“, kriti- Hoffnung für die Belebung dieses Instrumentes? sierte Luis Huacuja. Sie hätten die europäischen Den Dialog über Wissenschaftskooperationen Beziehungen zu Mexiko nicht verändert. So ste- und Technologietransfer in den Mittelpunkt zu hen die EU und Mexiko nach zwei Jahren noch stellen, könnte für beide Seiten zu einer win- immer vor der Herausforderung zentrale The- win-Situation führen. Bis 2015 hat die EU sich men für die Zusammenarbeit zu identifizieren. vorgenommen, eine „Road Map“ für diese strate- Außenpolitische Tabus – wie die Ausbreitung der gischen Partnerschaften vorzulegen.

Fachkonferenz Verhärtete Fronten A useinandersetzun g mit der P ressefreiheit in L ateinamerika Lateinamerika diskutiert derzeit über Reformen im Rahmen einer Fachkonferenz am 5. April in der Mediengesetzgebung, und im Zuge dessen Berlin thematisiert. verhärten sich zunehmend die Fronten zwischen Bewirken die Reformen eine Demokratisierung linken Regierungen und Medienunternehmern. der Medien? Im Rahmen der Konferenz zeigte Während die einen die staatliche Regulierung der sich, dass einige Länder Lateinamerikas bereits Medien für notwendig halten, um eine pluralisti- neue Gesetze und Reformen umgesetzt haben. sche Beteiligung breiter Bevölkerungsgruppen in Doch während Uruguay beispielsweise auf Ko- den Medien zu gewährleisten, sehen die anderen operation setzt, werden in anderen Ländern Me- staatlichen Einfluss grundsätzlich als Angriff auf dien als oppositionelle politische Akteure iden- die Pressefreiheit. tifiziert und die Regierungen setzen ihre ganze Diese Auseinandersetzung über die Gestaltung Macht ein, diese Medien zu brechen. Verlierer einer pluralistischen Medienlandschaft wurde dabei sind die Journalisten. Unter Druck stehen

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sie einerseits durch Angriffe der Regierungen, lieren. Unabhängiger und investigativer Journa- andererseits müssen sie sich mit ihren Heraus- lismus, als wichtiges Element einer Demokratie, gebern arrangieren, um nicht ihren Job zu ver- bleibt häufig auf der Strecke.

Gräben überwinden Symposium K onzeptionelle U nterschiede zwischen C hina und der E U „Es ging in dieser Konferenz nicht darum heraus- tät“ und „Multilateralität“. Die Vertreter der EU zufinden, wer Recht hat. Die Chinesen haben aus kritisierten den klassischen Souveränitätsbegriff chinesischer Sicht Recht und die Europäer haben Chinas, da die Volksrepublik aufgrund ihrer aus europäischer Sicht Recht.“ Diese Worte fand stark gewachsenen Macht mehr Verantwortung Prof. Zhongqi Pan der Fudan Universität, in sei- innerhalb des internationalen Systems über- nem Abschlusskommentar zu einem Symposi- nehmen müsse. Die chinesische Seite kritisierte um der FES-Shanghai. Im Laufe des Symposiums, wiederum den „eurozentristischen Universalis- in dem über die Gräben in grundlegenden poli- mus“. Die Europäer gingen ganz selbstverständ- tischen Konzepten wie Souveränität, Soft Power, lich davon aus, dass ihr System Vorbildcharakter Menschenrechte, strategische Partnerschaft und habe. China würde dadurch automatisch in die Global Governance diskutiert wurde, ließen sich Rolle dessen gedrängt, der sich anpassen müsse. die konzeptionellen Unterschiede nicht immer Allgemein kehrte der Vorwurf des fehlenden Ver- überbrücken. trauens auf beiden Seiten immer wieder. Unterschiedliche Definitionen für diese Begriffe Daher muss der Dialog zwischen der EU und Chi- sind jedoch kein kosmetisches Problem – sie be- na, die sich nicht nur von ihren strukturellen, einflussen massiv die bi- und multilateralen Be- ökonomischen und sozio-politischen Rahmen- ziehungen zwischen China und der EU. Europä- bedingungen, sondern auch von ihrer Kultur und isch-chinesische Konflikte vom Waffenembargo Geschichte stark unterscheiden, mit sehr viel Fin- über Menschenrechtsdebatten hin zur Frankfur- gerspitzengefühl auf beiden Seiten geführt wer- ter Buchmesse und der Verleihung des Friedens- den. Einfache Kategorien von richtig oder falsch nobelpreises spiegeln die unterschiedliche Ge- verbieten sich – das Wissen um die Unterschiede wichtung politischer Konzepte wieder. in den Begrifflichkeiten und das Hineinversetzen Anschaulich illustriert wurden die divergierenden in den Partner sind hingegen wichige Vorausset- Auffassungen an den Begriffen der „Souveräni- zungen für eine bessere Verständigung.

Die wahre Macht in einer Demokratie Workshop eine stimme f ü r die Z ivil g esellschaft in s ü dostasien Damit die politischen und wirtschaftlichen von Interessensvertretern in die Formulierung Entwicklungen nicht ausschließlich durch die und Umsetzung von Politik in der Region erfol- Regierungen der zehn ASEAN-Mitgliedstaaten gen kann. dominiert werden, hat die FES in den vergan- Dr. Pitsuwan betonte seine Bereitschaft, die Be- genen Jahren darauf hingearbeitet, besonders teiligungsmöglichkeiten voranzutreiben, zu för- zivilgesellschaftlichen Akteuren eine Stimme dern und sich für offenere Beziehungen mit dem im südostasiatischen Integrationsprozess zu ver- ASEAN Sekretariat einzusetzen. „Wir haben ei- leihen. „Zivilgesellschaft ist die wahre Macht nen Partner in der FES. Wir schätzen ihren guten in einer Demokratie“, so Dr. Surin Pitsuwan, Willen und die Ernsthaftigkeit, mit der sie die- Generalsekretär des Staatenbundes ASEAN, auf sen Weg mit uns gemeinsam gehen will, um zu einem Workshop des FES-Büros für Regionale Zu- lernen, wie wir die Beziehung zwischen ASEAN, sammenarbeit in Asien am 24. März in Jakarta. den Interessensvertretern und der Zivilgesell- Etwa 25 Mitarbeiter des ASEAN Sekretariats de- schaft organisieren können.“ battierten darüber, wie eine stärkere Einbindung

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Neue Publikationen der FES www. fes . de / sets / s _ pub . htm

P olitische A kademie Petring, Alexander u.a., Dahm, Jochen (Red.); Wieczorek-Zeul, Heidemarie; Wohlstand, Sozialstaat und Soziale Demokratie Globalisierung, Verantwortung: Gesell- 5 Audio-CDs; schaftspolitisches Engagement für die Lesebuch der Sozialen Demokratie Menschlichkeit Schildberg, Cäcilie; Dahm, Jochen u.a; B ayern F orum Europa und Soziale Demokratie Beyer, Thomas; Solidarität statt sozialer Kälte: Lesebuch der Sozialen Demokratie; 4 Lage und Perspektiven der Sozialpolitik in Henkes, Christian, Dahm, Jochen u.a.; Bayern Integration, Zuwanderung und Soziale http://library.fes.de/pdf-files/akademie/ Demokratie bayern/07826-20110215.pdf Lesebuch der Sozialen Demokratie; 5 Engel, Gerhard, Rappenglück, Stefan; Krell, Christian; Demokratie Deutschland Jugendpolitik im Aufwind?: Stand und 2011 – http://library.fes.de/pdf-files/ Empfehlungen zur Umsetzung des Berichts akademie/08036.pdf der Enquête-Kommission „Jungsein in Bayern“ des Bayerischen Landtags Börnsen, Arne; Digitales Deutschland 2020: Studie für die Friedrich-Ebert-Stiftung Heckel, Jürgen; Kommunizieren lernen: http://library.fes.de/pdf-files/ Anregungen zur Selbsthilfe – http://library. akademie/07807.pdf fes.de/pdf-files/akademie/bayern/07827.pdf Langenbacher, Nora, Molthagen, Dietmar; Gesemann, Frank; Zur Integrationsforschung Rechtsextremismus? Nicht mit mir!: in Deutschland: Komparative Darstellung Grundwissen und Handwerkszeug für ausgewählter Ansätze und Methoden Demokratie http://library.fes.de/pdf-files/akademie/ http://library.fes.de/pdf-files/akademie/ berlin/07711.pdf bayern/07828.pdf Führer, Elke; Pädagogisches Begleitmaterial Medien und Politik: zum Film „Teenage Response“ 50 Münchner Mediengespräche http://library.fes.de/pdf-files/do/07914.pdf http://library.fes.de/pdf-files/akademie/ Raiser, Simon; Warkalla, Klaus; Shaping bayern/07825.pdf globalization!: A young agenda on climate Schöler, Jutta; Merz-Atalik, Kerstin; Dorrance, protection, sustainable growth and develop- Carmen; Auf dem Weg zur Schule für alle?: ment, and global governance Die Umsetzung der UN-Behindertenrechtsko http://library.fes.de/pdf-files/do/07915.pdf nvention im Bildungsbereich Vaut, Simon u.a., Dahm, Jochen (Red.); http://library.fes.de/pdf-files/akademie/ Wirtschaft und Soziale Demokratie bayern/07824.pdf

P olitischer D ialo g F orum B erlin Spöhr, Holger; Extrem populär?!: Borgwardt, Angela; Demokratie braucht Rechtspopulismus in Deutschland und Europa Qualität!: Gelingensfaktoren für http://library.fes.de/pdf-files/do/07744.pdf erfolgreiches Engagement gegen Stöss, Richard; Rechtsextremismus im Wandel Rechtsextremismus Zick, Andreas; Küpper, Beate; Hövermann, http://library.fes.de/pdf-files/do/07743.pdf Andreas; Die Abwertung der Anderen: Eine Borgwardt, Angela; Dimensionen von Glück: europäische Zustandsbeschreibung zu Über die gesellschaftlichen Voraussetzungen Intoleranz, Vorurteilen und Diskriminierung für ein erfülltes Leben http://library.fes.de/pdf-files/do/07905- Engster, Frank; Was uns verbindet, was uns 20110311.pdf zusammenhält: Für eine demokratische und Zick, Andreas; Küpper, Beate; Hövermann, solidarische Gesellschaft Andreas; Intolerance, prejudice and http://library.fes.de/pdf-files/do/07742- discrimination – http://library.fes.de/pdf-files/ 20110112.pdf do/07908-20110311.pdf

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F orum P olitik und G esellschaft Vielemeier, Ludger; Mit 60 Jahren, da fängt Dienel, Christiane; von Blanckenburg, das gesellschaftspolitische Engagement an? Christine; Gutachten zum Berliner Senioren- http://library.fes.de/pdf-files/do/07968.pdf mitwirkungsgesetz Wehr, Nicole; Reset Klimaschutz: ein Open http://library.fes.de/pdf-files/do/07745.pdf Space zu Handlungsalternativen Kehl, Silke; Wohin mit Oma?: Eine http://library.fes.de/pdf-files/do/07687.pdf Veranstaltungsreihe der Friedrich-Ebert- L andesbüro S achsen -A nhalt Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Zimmermann, Doris A.; Ökonomisierung Legislativen Theater Berlin und Privatisierung im bayerischen http://library.fes.de/pdf-files/do/07969.pdf Gesundheitswesen: Mythen als Legitimationsmuster

A rchiv der sozialen demokratie Kruke, Anja; Die Archive der Politischen Wunder, Dieter, Erdsiek-Rave, Ute; Bildung – Stiftungen in der Bundesrepublik ein sozialdemokratisches Zukunftsthema Deutschland: ein Archivführer http://library.fes.de/pdf-files/ Evans, Richard John; Arbeiterklasse und historiker/07926.pdf Volksgemeinschaft: zur Diskussion um Anpassung und Widerstand in der deutschen Arbeiterschaft 1933 – 1945

Gesellschaftspolitische I nformation Brauckmann, Carolina; Anders leben, anders Wagner, Ringo (Hrsg.); Sekundäre altern: Neue Perspektiven für Lesben und Traumatisierung als Berufsrisiko? Schwule L andesbüro H E S S E N L andesbüro N iedersachsen Greß, Stefan, Stegmüller, Klaus; Gsundheit- Lenhart, Karin; Engagement und liche Versorgung in Stadt und Land: ein Erwerbslosigkeit – Einblicke in ein Dunkelfeld Zukunftskonzept http://library.fes.de/pdf-files/kug/07816.pdf http://library.fes.de/pdf-files/bueros/ hessen/07866.pdf S tudienf ö rderun g S chriftenreihe N etzwerk B ildung S chriftenreihe H ochschulpolitik Wernstedt, Rolf; Bevölkerung, Bildung, Borgwardt, Angela; Bildungsgerechtigkeit in Arbeitsmarkt: vom Bildungsbericht zur der Studienfinanzierung: die soziale Bildungssteuerung – http://library.fes.de/pdf- Dimension der aktuellen Förderprogramme files/studienfoerderung/07787.pdf http://library.fes.de/pdf-files/ studienfoerderung/07689.pdf Wernstadt, Rolf; Inklusive Bildung: Die UN-Konvention und ihre Folgen Borgwardt, Angela; Der lange Weg zur Professur: Berufliche Perspektiven für Nach- Weiß, Manfred; Allgemeinbildende wuchswissenschaftler/innen Privatschulen in Deutschland: Bereicherung http://library.fes.de/pdf-files/ oder Gefährdung des öffentlichen studienfoerderung/07788.pdf Schulwesens? – http://library.fes.de/pdf-files/ studienfoerderung/07833.pdf

I nternationale A rbeit Utz, Britta; Handbuch der Herr, Hansjörg; Stachuletz, Rainer; Vietnam Menschenrechtsarbeit am Scheideweg: Analysen einer Ökonomie http://library.fes.de/pdf-files/iez/07633.pdf auf dem Drahtseil http://library.fes.de/pdf-files/iez/07754.pdf P erspektive Jobelius, Matthias; Aserbaidschan nach Begg, Iain; Eine EU-Steuer: Überfällige den Wahlen: Keine Anzeichen für Reform oder föderalistische Fantasie? Demokratisierung http://library.fes.de/pdf-files/id/ipa/07848.pdf http://library.fes.de/pdf-files/id/07655.pdf

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Jobelius, Matthias; Wirtschaftsliberalismus Kamppeter, Werner; Internationale in Georgien: Verspielt die Regierung durch Finanzkrisen im Vergleich: Lehren für das eine marktradikale Politik den Anschluss an aktuelle Krisenmanagement Europa? http://library.fes.de/pdf-files/id/ipa/07932.pdf http://library.fes.de/pdf-files/id/07642.pdf Katsioulis, Christos; Die neue NATO-Strategie: Müller-Hennig, Marius; Deutschland im VN- Kompromiss auf Zeit Sicherheitsrat: Zwischen Krisenmanagement http://library.fes.de/pdf-files/id/ipa/07654.pdf und Strukturreform Kühne, Winrich; Gratwanderung http://library.fes.de/pdf-files/iez/07658.pdf zwischen Krieg und Frieden: Wahlen in Sperling, Sebastian; ECOWAS auf dem Post-Konfliktländern und entstehende Prüfstand: Stärken und Grenzen regionaler Demokratien – Dilemmata, Probleme und Sicherheitspolitik in Westafrika Lessons Learned http://library.fes.de/pdf-files/iez/07883.pdf http://library.fes.de/pdf-files/iez/07755.pdf Sperling, Sebastian; Staatsfeinde Nummer Kugel, Alischa; No helmets, just suits: Political eins?: Organisierte Kriminalität gewinnt missions as an instrument of the UN Security Einfluss in Westafrika Council for civilian conflict management http://library.fes.de/pdf-files/ http://library.fes.de/pdf-files/iez/07899.pdf iez/07679-20101207.pdf Luci, Angela Stefanie; Frauen auf dem I nternationale P olitikanalyse Arbeitsmarkt in Deutschland und Frankreich: Begg, Iain; An EU tax: Overdue re- Warum es Französinnen besser gelingt, form or federalist fanatsy? Familie und Beruf zu vereinbaren http://library.fes.de/pdf-files/id/ipa/07901.pdf Busch, Klaus; Hirschel, Dierk; Europa am Scheideweg: Wege aus der Krise Martens, Jens; Thinking ahead: Development http://library.fes.de/pdf-files/id/ipa/07930.pdf models and indicators of well-being beyond the MDGs – http://library.fes. Cichon, Michael; Behrendt, Christina; de/pdf-files/iez/global/07661.pdf Wodsak, Veronika; The UN social protection floor initiative: Turning the Micus, Matthias; Organisational identity and tide at the ILO Conference 2011 reform of social democratic parties in Europe http://library.fes.de/pdf-files/id/ipa/07720.pdf Collignon, Stefan; Demokratische Anforderungen an eine europäische Petzold, Sebastian; Geld für Europa: Wirtschaftsregierung Haushalt, mehrjähriger Finanzrahmen und http://library.fes.de/pdf-files/id/ipa/07712.pdf Reformoptionen für die EU-Eigenmittel http://library.fes.de/pdf-files/id/ipa/07708.pdf Hacker, Björn; Maass, Gero; Ein Grundsatz- programm für die SPE: Baustellen, Gemein- Pusch, Toralf; Lohnpolitische Koordinierung samkeiten und Eckpunkte aus deutscher in der Eurozone: Ein belastbares Konzept für Perspektive mehr makroökonomische Stabilität http://library.fes.de/pdf-files/id/ipa/07669.pdf http://library.fes.de/pdf-files/id/ipa/07931.pdf Heise, Arne; Lierse Hanna; Haushaltskonso- S tudien lidierung und das Europäische Sozialmodell: Kaiser, Jürgen; Résoudre les crises de la dette Auswirkungen der europäischen souveraine: Vers un cadre international pour Sparprogramme auf die Sozialsysteme un désendettement équitable et transparent http://library.fes.de/pdf-files/id/ipa/07890.pdf Schroeder, Frank; A shot in the arm for Jochem, Sven; Skandinavische Arbeits- climate finance?: New directions for und Sozialpolitik: Vorbilder für den delivering on international pledges and vorsorgenden Sozialstaat development http://library.fes.de/pdf-files/id/ipa/07786.pdf http://library.fes.de/pdf-files/iez/ global/07673-20110103.pdf

W I S O D irekt Boeing, Niels; Nanotechnik im Lebens- Dauderstädt, Michael; Globales Wachstum mittelsektor; Entwicklungen nicht dem Zufall zwischen Klima, Gleichheit und Demographie überlassen! http://library.fes.de/pdf-files/wiso/07760.pdf http://library.fes.de/pdf-files/wiso/07704.pdf

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Dauderstädt, Michael; Staatsgläubigerpanik Spahn, Peter; Die Schuldenkrise der ist keine Eurokrise! Europäischen Währungsunion http://library.fes.de/pdf-files/wiso/07686.pdf Deubner, Christian; Staatsverschuldung zügeln mit Hilfe der Märkte: Instrumente Thorun, Christian; Was Verbraucherpolitik und Verfahren von der Verhaltensökonomie lernen kann: http://library.fes.de/pdf-files/wiso/07719.pdf ein Blick ins Ausland http://library.fes.de/pdf-files/wiso/07667.pdf Petring, Alexander; Entlastung im Niedriglohnbereich – Ausweg oder Irrweg? http://library.fes.de/pdf-files/wiso/07933.pdf

WISO DISKURS Barthel, Klaus; Zukunft der deutschen Fachinger, Uwe; Frankus, Anna; Automobilindustrie: Herausforderungen und Sozialpolitische Probleme bei der Perspektiven für den Strukturwandel im Eingliederung von Selbständigen in die Automobilsektor gesetzliche Rentenversicherung http://library.fes.de/pdf-files/wiso/07703.pdf Glaeske, Gerd; Patientenorientierung in der Bieback, Karl-Jürgen; Ausweitung des Pflicht- medizinischen Versorgung: Vorschläge zur versicherungskreises in der GKV notwendigen Weiterentwicklung und http://library.fes.de/pdf-files/wiso/07721.pdf Umgestaltung unseres Gesundheitswesens Bontrup, Heinz-Josef; Durch Umverteilung Greß, Stefan; Rothgang, Heinz; Finanzierung- von unten nach oben in die Krise sreform der Krankenversicherung in http://library.fes.de/pdf-files/wiso/07705.pdf Deutschland: Vorschläge für ein Maßnahmen- bündel jenseits der Kopfpauschale Bormann, René; Eckpunkte für eine http://library.fes.de/pdf-files/wiso/07674.pdf zielorientierte, integrierte Infrastruktur- planung des Bundes: Vom Bundesverkehrs- Greß, Stefan; Investitionsförderung für eine wegeplan zur Bundesverkehrsnetzplanung soziale und innovative Gesundheitswirtschaft: http://library.fes.de/pdf-files/wiso/07697.pdf Bewertung unterschiedlicher Optionen http://library.fes.de/pdf-files/wiso/07690.pdf Bosch, Gerhard; In Qualifizierung investieren: ein Weiterbildungsfonds für Deutschland Koch, Andreas; Rosemann, Martin; Späth, http://library.fes.de/pdf-files/wiso/07668.pdf Jochen; Soloselbständige in Deutschland: Strukturen, Entwicklungen und soziale Embacher, Serge; Demokratische Sicherung bei Arbeitslosigkeit Beteiligungsprozesse initiieren, solidarisches Denken und Handeln fördern: Neue Meinhardt, Volker; Konzepte zur Beseitigung Strategien für Parteien und Gewerkschaften von Altersarmut http://library.fes.de/pdf-files/wiso/07652.pdf Paquet, Robert; Vertragswettbewerb in der Joebges, Heike; Deutschlands GKV und die Rolle der Selektivverträge: Exportüberschüsse gehen zu Lasten der Nutzen und Informationsbedarf aus der Beschäftigten Patientenperspektive http://library.fes.de/pdf-files/wiso/07718.pdf http://library.fes.de/pdf-files/wiso/07935.pdf Dullien, Sebastian; von Hardenberg, Priewe, Jan; Rietzler, Katja; Deutschlands Christiane; Der Staat bezahlt die Krisenzeche nachlassende Investitionsdynamik 1991 – http://library.fes.de/pdf-files/wiso/07875.pdf 2010: Ansatzpunkte für ein neues Wachstumsmodell Dullien, Sebastian; Ungleichgewichte im http://library.fes.de/pdf-files/wiso/07707.pdf Euro-Raum: akuter Handlungsbedarf auch für Deutschland Sprache ist der Schlüssel zur Integration: http://library.fes.de/pdf-files/wiso/07696.pdf Bedingungen des Sprachlernens von Menschen mit Migrationshintergrund Ebenfeld, Melanie; Gleichstellungspolitik http://library.fes.de/pdf-files/wiso/07666.pdf kontrovers: Eine Argumentationshilfe http://library.fes.de/pdf-files/wiso/07877.pdf Zwiener, Rudolf; Finanzierunsalternativen für zusätzliche Gesundheitsaufgaben: Filsinger, Dieter; Ethnische Unterscheidungen Auswirkungen auf Wachstum in der Einwanderungsgesellschaft: eine und Beschäftigung kritische Analyse http://library.fes.de/pdf-files/wiso/07693.pdf

1 / 2 0 1 1 INFO FES Friedrich-Ebert-Stiftung D-53170 Bonn Postvertriebsstück – Entgelt bezahlt – G 42452

Klaus Wowereit / Franziska Richter (Hg.)

Ich wär’ gern einer von uns Geschichten übers Ein- und Aufsteigen

176 Seiten, Broschur 8 Seiten Farbteil 14,80 Euro ISBN 978-3-8012-0409-9

Elf Autorinnen und Autoren haben die Geschichten von 14 Menschen aufgeschrieben, die in Deutschland zu Hause sind, aber in sehr unterschiedlichen Wirklichkeiten leben. Sie wollen in dieser Gesellschaft dazugehören und trotzdem »sie selbst bleiben«. Entstanden sind intensive Porträts, in denen die Vielfalt unserer Gesellschaft und unseres Zusammenlebens sichtbar wird.

Porträtiert werden u.a. zwei jugendliche Rapper libanesischer Herkunft, eine junge behinderte Frau, eine Politikerin, ein Gasableser, ein türkischer Kioskbetreiber und zwei Jugendliche ohne Berufsab- schluss. Man lernt ihre Träume und Hoffnungen, Enttäuschungen und biografischen Brüche, Erwar- tungen und Ziele kennen. Wir erfahren von den Schwierigkeiten des täglichen Lebens, aber auch, wie man Hindernisse überwinden kann. 14 Porträts über Menschen in Deutschland, geschrieben von Tanja Dückers, Annett Gröschner, Jens Jarisch, Anton Landgraf, Nicol Ljubic, Peggy Mädler, Monika Radl, Waltraud Schwab, Holger Sie- mann, Judka Strittmatter und Robin Thiesmeyer.

Klaus Wowereit geb. 1953, Regierender Bürgermeister von Berlin seit 2001, Stellvertretender Parteivorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands seit 2009. Franziska Richter geb. 1974, Diplom-Kulturwirtin, seit 2006 Referentin des Projektes »Gesellschaftliche Integration« der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Verlag J.H.W. Dietz Nachf. – Dreizehnmorgenweg 24 – 53175 Bonn – www.dietz-verlag.de