Poetik-Reader Poetik-Reader Ausgewählte Poetologische Texte Und Textauszüge, Zusammengestellt Für Den Seminargebrauch
Total Page:16
File Type:pdf, Size:1020Kb
SEMINAR FÜR DEUTSCHE SPRACHE UND IHRE DIDAKTIK MERK Poetik-Reader LITERATURWISSENSCHAFT BLATT Poetik-Reader Ausgewählte poetologische Texte und Textauszüge, zusammengestellt für den Seminargebrauch Bearbeitungsstand: März 2003 Inhalt: Martin Opitz: Buch von der deutschen Poeterey, 1624 (Auszug) 1 Martin Opitz: Vorrede zu seiner Übersetzung der „Trojanerinnen“, 1625 (Auszug) 4 Johann Chr. Gottsched Versuch einer Critischen Dichtkunst, 1730 (Auszüge) 5 Gotthold Ephraim Lessing: Briefe, die neueste Literatur betreffend, 1759 (Auszüge) 12 Gotthold Ephraim Lessing: D. Faust, 1786 14 Gotthold Ephraim Lessing: Hamburgische Dramaturgie, 1767/69 (Auszüge) 16 Gotthold Ephraim Lessing: Laokoon oder über die Grenzen der Malerei und Poesie, 1766 28 Friedrich Schiller: Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen, 1795 (Auszug) 132 Friedrich Schiller: Über naive und sentimentalische Dichtung, 1795/96 (Auszug) 137 Friedrich Schiller: Über Anmut und Würde, 1793 141 Johann Gottfried Herder: Von deutscher Art und Kunst. Einige fliegende Blätter, 1773 173 Wilhelm von Humboldt: Über das Studium des Altherthums, und des Griechischen insbesondere 175 Heinrich von Kleist: Über das Marionettentheater, 1810 193 I Arno Holz: Die Kunst - ihr Wesen und ihre Gesetze, 1891 198 Hugo von Hofmannsthal: Ein Brief, 1925 207 II Martin Opitz: Buch von der deutschen Poeterey, 1624 (Auszug) Die Tragedie ist an der maiestet dem Heroischen getichte gemeße / ohne das sie selten leidet / das man geringen standes personen vnd schlechte sachen22 einführe: weil sie nur von Königlichem willen23 / Todtschlägen / verzweiffelungen / Kinder- vnd Vätermörden / brande / blutschanden / kriege vnd auffruhr / kla- [D2b] gen / heulen / seuffzen vnd dergleichen handelt. Von derer zugehör schreibet vornehmlich Aristoteles / vnd etwas weitleufftiger Daniel Heinsius24; die man lesen kan. Die Comedie25 bestehet in schlechtem wesen vnnd personen: redet von hochzeiten / gastgeboten / spielen / betrug vnd schalckheit der knechte / ruhmrätigen Landtsknechten / buhlersachen / leichtfertigkeit der jugend / geitze des alters / kupplerey vnd solchen sachen / die täglich vnter gemeinen Leuten vorlauffen. Haben derowegen26 die / welche heutigen tages Comedien geschrieben / weit geirret / die Keyser vnd Potentaten eingeführet / weil solches den regeln der Comedien schnurstracks zuewieder laufft. […] [F1a] Denn solches bloß zue außfüllung des verses dienet. Dieses sey nun von der allgemeinen zuegehör der Poetischen rede: weil aber die dinge von denen wir schreiben vnterschieden sind / ale gehöret sich auch zue einem jeglichen ein eigener vnnd von den andern vnterschiedener Character oder merckzeichen der worte. Denn wie ein anderer habit einem könige / ein anderer einer priuatperson gebühret / vnd ein Kriegesman so / ein Bawer anders / ein Kauffmann wieder anders hergehen soll: so muß man auch nicht von allen dingen auff einerley weise reden; sondern zue niedrigen sachen schlechte / zue hohen ansehliche / zue mittelmässigen auch mässige vnd weder zue grosse noch zue gemeine worte brauchen. In den niedrigen48 Poetischen sachen werden schlechte vnnd gemeine leute eingeführet; wie in Comedien vnd Hirtengesprechen. Darumb tichtet man jhnen auch einfaltige vnnd schlechte reden an / die jhnen gemässe sein: So Tityrus bey dem Poeten / wenn er seines Gottes erwehnet / redet er nicht von seinem plitze vnd donner / sondern Ille meas, sagt er / errare boves, ut cernis et ipsum Ludere quae vellem calamo permisit agresti. Du siehst / er leßt mein Vieh herumb gehn ohne ziehl / 22 Scal. 144 b B: »Tragoedia, quantum huic Epicae similis est, eo tamen differt, quod raro admittit personas viliores.« 23 Scal. 144 b C: »Res Tragicae grandes, atroces, iussa Regum, caedes, desperationes, suspendia, exilia, orbitates, parricidia, incestus, incendia, pugnae, occaecationes, fletus, ululatus, conquestiones, funera, epitaphia, epicedia.« 24 Arist. Poet. c. 6; die Poetik war von Heinsius herausgegeben und ins Lateinische übersetzt worden. Angehängt erschien Heinsius’ De tragoediae constitutione liber, in quo inter cetera tota de hac Aristotelis sententia dilucide explicatur, Leiden 1611. 25 Die Comedie … vorlauffen.] Scal. 144 b D: »In Comoedia, lusus, comessationes, nuptiae, repotia, servorum astus, ebrietates, senes decepti, emuncti argento.« 26 Haben derowegen … laufft.] Scal. 144 b B: »Contra, in Comoedia nunquam Reges, nisi in paucis.« 48 In den niedrigen … agresti.] Scal. 193 a D: »Generis infimi materia nota est: Humiles personae, pastores et alii, quales in Comoediis. Quod si de regibus aut de diis loquuntur, eorum officia operave quanto sunt tenuiora, tanto huic generi propiora. Itaque de suo semper deo quum loquitur Tityrus, non attribuit ei fulminum aut bellorum potestatem, sed …« Es folgt das Zitat aus Verg. Ecl. I 9, das auch Opitz bringt. 1 Und mich auff meiner flöt’ auch spielen was ich wil. Wie Theocritus sonsten inn dem paß wol jederman vberlegen / so weiß ich doch nicht wie sein Aites mir sonderlich behaget: inmassen ich denn auch halte / das Heinsius gleichfals grossen gefallen daran treget / der dieses Idyllion Lateinisch vnnd Hollendisch gegeben49. Weil ich jhm aber im deutschen nachgefolget / vnd den niedrigen Character / von dem wir jetzo reden / nicht besser vorzuestellen weiß / wil ich meine übersetzung hierneben fügen50. [F1b] Theocriti Aites. Bist du gekommen dann / nach dem ich nun gewacht Nach dir / mein liebstes Kind / den dritten tag vnnd Nacht? Du bist gekommen / ja. doch wer nicht kan noch mag Sein lieb sehn wann er wil / wird alt auff einen tag. So viel der Früling wird dem Winter vorgesetzt / Vor wilden pflaumen vns ein Apffel auch ergetzt / Das Schaff mit dicker woll’ ein Lamb beschämen kan / Die Jungfraw süsser ist als die den dritten Man Bereit hat fort geschickt; so viel als besser springt Ein rehbock als ein Kalb / vnd wann sie lieblich singt Die leichte Nachtigall den Vogeln abgewint / So ist dein beysein mir das liebste das man findt. Ich habe mich gesetzt bey diesen Buchbawn hin / Gleich wie ein Wandersman thut im fürüber ziehn / In dem die Sonne sticht. ach / das die liebe doch Vns wolte beyderseits auch fügen an jhr ioch / An jhr gewündtschtes Joch / vnd das die nach vns sein Von vns mit stettem rhum erzehlten vberein: Es ist ein liebes par gewesen vor der zeit / Das eine freyte selbst / das ander ward gefreyt: Sie liebten beyde gleich. ward nicht das volck ergetzt Wie liebe wiederumb mit liebe ward ersetzt! Ach Jupiter / vnd jhr / jhr Götter / gebt mir zue / [F2] Wann ich nach langer zeit schon lieg’ in meiner rhue / Das ich erfahren mag / das dem der mich jtzt liebt Vnd meiner trewen gunst ein jeder zeugniß giebt; Doch mehr das junge volck. nun diß muß nur ergehn / Ihr Götter / wie jhr wolt. es pflegt bey euch zue stehn Doch lob’ ich dich zwar hoch / so hoff’ ich dennoch nicht Das jrrgend jemand ist der etwas anders spricht. Dann ob dein grimm mir schon offt’ etwas vbels thut So machst du es hernach doch doppelt wieder gut. 0 volck von Megara / jhr schiffer weit bekandt / Ich wündsche das jhr wol bewohnt das reiche landt 49 Heinsius’ lat. Version steht zuerst in seiner Theokrit-Ausgabe, Heidelberg 1603; sie ging in alle Poemata- Ausgaben über. Die Übertragung, ›Oversetting van het XII. Idyllium Theocriti‹, findet sich in Nederd. Poem. 1616, S. 38-40. 50 Dieses Gedicht wurde unter dem Titel ›Theocriti vnd Heinsii Aites‹ in die Sammlung B aufgenommen; siehe Nr. 72.54. Dort Weiteres. 2 Vnd vfer bey Athen / weil jhr so höchlich liebt Dioclem der sich auch im lieben sehr geübt: Weil allzeit vmb sein grab sehr viel liebhaber stehn / Die lernen einig nur mit küssen vmb recht gehn/ Vnd streiten gleich darumb / vnd wer dann Mundt an mundt Am aller besten legt / dem wird der krantz vergunt / Den er nach hause dann zue seiner Mutter bringt. Ach / ach / wie glücklich ist dem es so wol gelingt Das er mag richter sein. wie offte rufft er wol Das Ganymedes jhm den Mund so machen sol Als einen Stein durch den der goldschmiedt vrtheil spricht Ob auch gewiß das Goldt recht gut sey oder nicht. [F2b] Hergegen in wichtigen sachen / da von Göttern / Helden / Königen / Fürsten / Städten vnd dergleichen gehandelt wird / muß man ansehliche / volle vnd hefftige reden vorbringen51 / vnd ein ding nicht nur bloß nennen / sondern mit prächtigen hohen worten vmbschreiben52. Virgilius sagt nicht: die oder luce sequenti; sondern: vbi primos crastinus ortus Extulerit Titan radiisque retexerit orbem.53 Wann Titan morgen wird sein helles liecht auffstecken / Vnd durch der stralen glantz die grosse welt entdecken. Die mittele54 oder gleiche art zue reden ist / welche zwar mit jhrer ziehr vber die niedrige steiget / vnd dennoch zue der hohen an pracht vnd grossen worten noch nicht gelanget. In dieser gestalt hat Catullus seine Argonautica55 geschrieben; welche wegen jhrer vnvergleichlichen schönheit allen der Poesie liebhabern bekandt sein / oder ja sein sollen. Bißhieher auch dieses: nun ist noch vbrig das wir von den reimen vnd vnterschiedenen art der getichte reden. S. 51 Scal. lib. IV c. 2 ist ›Grandiloquus‹ überschrieben (S. 183 b Bff.): »Est igitur Altiloquum Poeseωs genus, quod personas graves, Res excellentes continet. .... Personae graves sunt Dii, Heroes, Reges, Duces, Civitates.« 52 Ähnlich Rons. XVI, 333, aber mit andern Beispielen. 53 Aen. IV 118f. 54 Die mittele … sollen.] Scal. 193 b C: »Aequabile dicendi genus est, quod mediocres sententias lectiore sermone designat. neque respuit figuras, quibus tenuem formam superet, neque multum figuratum est, qua citra sublime subsidat.«