Reisender DAVID TANENBAUM Von Franz Holtmann - Fotos: Manfred Pollert

Der amerikanische Konzertgitarrist David Tanenbaum ist weltweit einer der beschäftigsten „Klassiker“. Im Sommer des letzten Jahres führten ihn die Aufnahmen zu einem Album ausschließlich mit Werken des Barocklautenisten Silvius Leopold Weiss nach Deutschland. Wir nutzten diese Gelegenheit für ein Interview mit Tanenbaum.

avid Tanenbaum (*1956) stammt aus ei- ner Musikerfamilie in New York. Schon Dfrüh wurde er von seinen Eltern, beide Musiklehrer, an die Musik herangeführt. Seine Mutter gab ihm Klavierstunden und er wuchs in einem Ambiente zeitgenössischer Musik auf. David Bald aber verlor er das Interesse am strengen Tanenbaum: klassischen Pianospiel, interessierte sich zu- nehmend für Rockmusik und die elektrische Gi- „Im großen tarre. Sein Vater bracht ihn immerhin dazu, Gi- „Was ich am meisten schätze ... Ozean der tarre als Hauptinstrument zu studieren und Da- vid gewann schließlich erneut Spaß am seriö- Musik“ sen Üben. Die Neue Musik indes, die David in seiner Kindheit geprägt hatte, sollte für seinen weiteren Weg eine gravierende Rolle spielen. Er studierte Gitarre bei Roland Valdez-Blain in New York und Aaron Shearer am Peabody Insti- tut, nahm an zahlreichen Meisterkursen u.a. mit Andrés Segovia und Leo Brower teil und graduierte dann letztlich am San Francisco Conservatory, dem er noch heute als Vorsitzen- der des Gitarren Departments eng verbunden ist. Früh gewann er zahlreiche Preise und Wett- bewerbe, erwarb sich einen Namen als Inter- pret zeitgenössischer Gitarrenliteratur und ge- hört inzwischen längst zu den hochgeachteten Gitarristen seiner Generation. Zahlreiche Werke ten etwas Gemeinsames und haben uns jeweils sind ihm von Komponisten wie Hans Werner aufeinander zu bewegt. Henze, , u.a. gewid- met worden. Seine Konzertreisen führen ihn Gab es dabei improvisierte Parts? heute in alle Kontinente der Erde, und er ist D. Tanenbaum: Lass mich überlegen - nein, abgesehen von Ornamenten haben wir alles beständiger Gast auf den Festivals der Welt. Foto: Holtmann Zahlreiche Aufnahmen, als Solist und als ausnotiert, aber das mag sich in Zukunft än- Ensemblemitglied, dokumentieren die große dern. Da ist aber noch etwas hinsichtlich mei- Bandbreite seiner stilistischen Ambitionen. wurden spontan Freunde, hatten vieles gemein- ner Erfahrung mit der Steelstring Guitar, das sam, und das Konzert wurde dann auch ein Er- ich erzählen möchte: , der berühm- David, lass uns einmal mit einer für dich viel- folg. Dadurch bin ich mit dieser Welt überhaupt te amerikanische Komponist ist ein Freund von leicht etwas ungewöhnlichen Frage beginnen: erst in Berührung gekommen. mir und hat viele seiner jüngeren Stücke auch hast du eigentlich irgendetwas mit Steelstring mit der Gitarre besetzt. So vertraute er mir bei Gitarren am Hut? Was habt ihr gespielt in Schorndorf? zwei dieser Werke, „El Niño“ und „Naive and D. Tanenbaum: Bis vor etwa zwei Jahren über- D. Tanenbaum: Wir wollten etwas aus beiden Sentimental Music“, den Part für ein Konzert haupt nicht, aber dann entwickelten sich die Welten spielen, und so haben wir eine Bach und Aufnahmen mit der Los Angeles Dinge plötzlich in diese Richtung. Zu der Zeit Aria und einiges aus Peppinos eigener Feder Philharmonic an. Kurz vor der Aufführung ist er wurde ich u.a. zu den Schorndorfer Gitarren- eingeübt; wir haben übrigens jetzt auch Auf- dann bei den Proben zu mir gekommen und war tagen eingeladen und als man feststellte, dass nahmen zusammen gemacht. mit dem Gitarrensound nicht zufrieden. Er woll- ich wie Peppino D’Agostino, den ich nie zuvor te den Klang der Steelstring, weil der sich im getroffen hatte, in der Gegend von San Francis- Das hat also funktioniert? Orchester besser durchsetzt – mir blieben nur co wohnte, fragte man uns, ob wir nicht ein D. Tanenbaum: Ich denke das ist ein wunder- zwei Tage für die Umstellung; und das war das paar Stücke zusammen erarbeiten könnten. Wir voller Sound, dieser gemischte Klang. Wir woll- erste Mal, dass ich Steelstring spielte.

22 AKUSTIK GITARRE 1/02 Durchsetzungsvermögen der Stahlsaiten. Ne- benbei sind das doch gute Nachrichten für

Steelstringers: wenn du Musik lesen und spie- ANZEIGE len kannst, gibt es interessante und gut be- zahlte Arbeit im Orchester, geschrieben von einem der wichtigsten modernen Komponisten. Der wird auch gespielt, rund um die Welt – ihr solltet euch solche Jobs nicht entgehen lassen.

„Ich brauche mehrere Leben, um all das machen zu können, was ich machen will“

Lass uns noch einmal auf Improvisation zurück- kommen. Was verstehst du unter Improvisation? D. Tanenbaum: Für mich heißt Improvisation: alle Möglichkeiten - es gibt folglich keine Ein- schränkungen und jede Situation erfordert et- was anderes. Mal sind es nur Ornamente oder Arpeggien, dann aber muss man völlig frei den- ken. Ich hab kürzlich Aufnahmen mit dem Jun- gen Gitarrenorchester Baden-Württemberg und Terry Riley gemacht, und Terry versuchte mich zum Improvisieren zu bringen, gab mir Skalen und Anweisungen. Er hat ja eine ganze Reihe von Gitarrenstücken geschrieben und mich je- des Mal wieder ein Stück mehr zur Improvisati- on gebracht, aber diesmal sollte ich es bei Auf- nahmen machen. Ich improvisiere zwar auf dem Piano seit Jahren schon Blues und so etwas, aber immer nur zuhause, war also entsprechend nervös und hab mir einiges aufgeschrieben. Er aber hat gesagt, dass er mir das sowieso weg- nimmt, und so zwang er mich frei zu agieren.

Wie ist dein Verhältnis zum Rhythmus und Groove? Gibt es in dieser Hinsicht eine Brücke zwischen moderner amerikanischer und europäi- scher Musikhaltung? D. Tanenbaum: Zuerst einmal ist Rhythmus für mich der wichtigste Teil der Musik überhaupt. ... ist künstlerische Freiheit“ Alle meine großen Lehrer haben mir das er- zählt, und meine Erfahrung hat das inzwischen Oh, da gab es doch bestimmt Ärger mit den Nä- bestätigt. Es ist für mich nicht schwer zu geln? grooven. Ich hab ja nicht nur moderne europäi- D. Tanenbaum: Ja klar, ich hab was draufge- sche Musik gespielt, sondern viel mit den ame- klebt, aber später sind sie mir dann doch ge- rikanischen Minimalisten gemacht wie Steve brochen, doch ich musste die Aufnahmen Reich und Terry Riley, und die haben den durchstehen und es hat funktioniert. John hat- Groove zurückgebracht in die klassische Musik. te absolut recht mit der Klangfarbe und dem Ob europäische moderne Musik groovt? Nicht

AKUSTIK GITARRE 1/02 23 ANZEIGE wirklich. Sie verlor Tonalität und sie verlor „Die Gitarre beeinflusst den Spieler“ Puls. Es sind einige gute Stücke erschienen, keine Frage, aber die grooven nicht. Musik ist aber eine internationale Sprache, das ist ihre große Stärke, und ein Europäer kann ja auch unbedingt Riley spielen, und ich spiele Bach oder jetzt aktuell Weiss.

Früher wurde oft über die Ermüdung des Materi- als gesprochen, also die Erschöpfung der melodi- schen und rhythmischen Kombinationsmöglich- keiten. Ist das heute eigentlich noch ein The- ma? D. Tanenbaum: Ich habe nicht den Eindruck, dass die Musik müde geworden ist. Immer wie- der höre ich neue aufregende Sachen. Die Ex- perimente mit der Sprache selbst sind vielleicht etwas stecken geblieben. Interessant, dass du das sagst - all meine Komponisten-Freunde stellen sich Fragen über die Sprache, aber nicht so sehr welche Noten sie gebrauchen sollen. Alle Sprachformen scheinen ja heute möglich zu sein: sie sind mit Popmusik aufgewachsen, Tonalität ist in die klassische Musik zurückge- kehrt – es ist eher eine aufregende Qual der Wahl, aber das ist eine gesunde Sache. Ich denke die Noten selbst sind nicht müde, ihr Gebrauch vielleicht.

Du bist ja eher bekannt als moderner Interpret. Jetzt spielst du dieses Album mit Barockmusik ein. D. Tanenbaum: Das beruht auf ehrlichem musi- kalischem Interesse und ist nicht etwa ein Karrieresprung. Es ist lustig - wenn du moderne Musik spielst, wirst du schnell in eine bestimm- te Ecke gestellt, aber das ist eben nicht alles was ich mache und schon gar nicht alles, was ich machen will. Barockmusik studiere ich schon seit 25 Jahren, und ich kenne die Parti- turen und Tabulaturen sehr genau, bin dieser „Liebe den Prozess des Musik von Bach, Weiss u.a. sehr verbunden. Übens“

Wie gelingt dir als Amerikaner der Zugang zu einer solch historisch geprägten europäischen Musik? D. Tanenbaum: Musik kennt keine Grenzen, ist eine universelle Sprache. Bloß weil du Deut- scher bist, spielst du Bach ja nicht unbedingt gut, oder umgekehrt als Amerikaner schlecht. Musik ist größer als wir alle, ist die menschli- che Seele. Deutscher zu sein war nur ein Teil von Bach. Er kam zwar aus einer bestimmten Gegend, aber er war mehr als nur ein Deut- scher. Ich kann Bach spielen und ich kann Weiss spielen, dafür bin ich hier. Gibt es eigentlich viele Gitarristen, die dieses Schaut man sich deine Veröffentlichungen an, moderne Material wie etwa von Henze spielen? so zeigt sich eine ganz ordentliche Bandbreite D. Tanenbaum: Ganz wenige, und in Amerika an Stilistiken. kaum noch welche. Vor allen Dingen europäi- D. Tanenbaum: Ja natürlich. Ich verfolge ver- sche Moderne ist völlig tot in Amerika. schiedene Projekte. Was ich am meisten schät- ze, ist die künstlerische Freiheit, und so arbei- Das lässt dich dann ja ziemlich außergewöhnlich te ich eher mit kleineren Labels, obwohl es mir erscheinen. sicherlich möglich wäre, auch mit größeren Fir- D. Tanenbaum: Eher wohl verrückt. Dahinter men zu kooperieren. In Kalifornien spiele ich steckt aber kein großer Plan. Henze hat dieses für ein Label die modernen Sachen ein, habe Konzert für mich geschrieben, damit wurde ich dort aber auch eine Piazolla-Platte gemacht. bekannt. Danach habe ich dann eigentlich Ich schließe keine langfristigen Verträge und mehr mit den amerikanischen Minimalisten brauche schon gar keine Plattenfirma, die mir Terry Riley, John Adams und gear- erzählt was ich machen soll. beitet. Das hat sich so ergeben, aber anson-

24 AKUSTIK GITARRE 1/02 Diskografie eine Pädagogik- McLaughlin ist großartig – die schau ich mir an, Lute Masterworks - DaMilano, Dowland, Bach; Innova Digital Archive, 1987 abteilung. ich bin da offen. Wichtig ist generell aber, dass Royal Winter Music - ; Audofion, 1989 Kaum einer, von Grenzen fallen, dass alles nicht mehr eine Frage Estudios – Brower, Carcassi, Sor; GSP, 1990 den wenigen der Form oder der Noten, als vielmehr die der Acoustic Counterpoint – Tippet, Reich, Maxwell-Davies u.a.; New Albion, 1991 großen Solisten Sprache ist. Hauptsache aber, da sehe ich eine Great American Guitar Solo – Bolcom, Curtis-Smith u.a.; Neuma, 1993 einmal abgese- gewisse Gefahr in der möglichen Oberflächlich-

Diskografie El Porteño – Astor Piazolla; New Albion, 1994 hen, kann ja keit des „Crossover“, die Musik klingt hinterher David Tanenbaum – Reich, Richmond, Kernis, Zappa u.a.; New Albion, 1997 von der nicht wie eine Postkarte. Terry Riley z.B. hat Pavane – Ravel, Debussy, Satie; Acoustic Music 2000 Konzerttätigkeit klassische und indische Musik intensiv studiert, alleine leben sich lange mit Jazz auseinandergesetzt, wenn er sten bin ich auch einfach nur da hingegangen, und muss daher flexibel verschiedene Aufgaben schreibt, ist da eine gewisse Tiefe, ist die Inte- wo mein musikalisches Interesse lag. erfüllen können. gration der Teile seriös.

Du bist viel unterwegs. Macht das viele Touren Siehst du Unterschiede bei der Vermittlung und Was gibt es für Pläne für die Zukunft? nicht auch einsam? bei den Inhalten zwischen amerikanischem und D. Tanenbaum: Überleben - die Dinge im positi- D. Tanenbaum: Doch, absolut. Dieses Leben europäischem Unterricht? ven Sinne auf mich zu kommen lassen und ein hat seinen Preis. Weißt du, ich habe einen D. Tanenbaum: Das ist auch eine Frage nach möglichst vielfältiges Repertoire spielen. Mir bie- Sohn, ich vermisse meine Frau. Wenn du auf den Strukturen, der Organisation. Europäische ten sich zur Zeit erfreulich viele und wunderbare Reisen bist, musst du auch sehen, dass du die Schulen sind administrativer, haben engere Möglichkeiten, ich schwimme förmlich im großen Bodenhaftung nicht verlierst. David Russel er- Vorgaben, gehen von ganz bestimmten Anfor- Ozean der Musik. Ich will Musik schreiben, will zählte mir einmal, dass er nach einem Konzert derungen aus und sind dem traditionellen Re- dirigieren, mich noch mehr mit Improvisation mit vielen Zugaben und dieser ganzen Emphase pertoire mehr verpflichtet - amerikanische auseinandersetzen. Gelegentlich trete ich einen der Situation - seine Unterwäsche wäscht! Das Schulen sind unabhängiger und allgemein et- Schritt zurück und mach mir klar: hey, das ist bringt ihn ins Leben, in den Normalzustand zu- was offener, experimentierfreudiger. Grundsätz- nicht nur eine Probe, ich reise tatsächlich mit der rück. Allein zu sein, heißt aber nicht in jedem lich aber muss man sagen, dass sich so etwas Gitarre um die Welt. Davon hab ich immer ge- Fall auch einsam zu sein. wie eine universelle Sprache der Gitarre entwik- träumt, und schau her: es ist wirklich passiert. kelt hat. Aus all den vielen Ideen hat sich ein Eine ständige Begleiterin ist ja immerhin stets allgemeiner, anatomisch korrekter Weg ergeben Was kannst du jungen Gitarristen raten? mit dir unterwegs. die Gitarre zu spielen, und es gibt eigentlich D. Tanenbaum: Genieß den Augenblick, liebe den D. Tanenbaum: Du meinst meine Gitarre? Oh überall sehr guten Unterricht. Prozess des Übens und Spielens - dann hast du ja, die hat Daniel Friederich aus Paris gebaut, auf jeden Fall etwas gewonnen. und sie ist absolut perfekt für mich. Es ist die Erzähl uns was über deine persönliche Gitarre die ich immer gesucht habe, sie hat al- Experimentierfreude. Danke für das Gespräch, und viel Glück für die les was ich brauche: Bässe und Höhen sind D. Tanenbaum: Oh, ich habe mir z.B. eine Zukunft. großartig, ebenso die Balance, das Sustain und Midi-Gitarre von ANZEIGE die Bildhaftigkeit, dabei leicht zu spielen und Peppino geliehen, sehr sehr stimmstabil. Darüber hinaus hat sie keine interessant. Dann hab zu große eigene Persönlichkeit. ich etwas komponiert, etwas dirigiert, und da Wie meinst du das? wartet die Herausforde- D. Tanenbaum: Die Gitarre beeinflusst ja den rung der Improvisation Spieler, und diese drängt mich nicht in eine – mein Problem ist bestimmte Richtung; sie lässt mir Raum, engt eher ein zeitliches. Ich mich nicht ein. bräuchte mehrere Le- ben, um all das machen Lass uns über Unterricht sprechen, denn du bist zu können, was ich ma- ja auch Lehrer. Was ist dein Anliegen im Vermit- chen will. teln von Musik? D. Tanenbaum: Weißt du, mit Studenten ist es Wo gehst du hin, wenn wie mit dem Aufziehen von Kindern. Der ganze du dich außerhalb der Prozess dient dazu, sie möglichst selbständig klassischen Musik bewe- machen. Wenn es Probleme gibt, müssen sie gen willst. herausfinden können, wo sie entstehen, um sie D. Tanenbaum: Du zu beseitigen. Ich will die Studenten auf das wirst es nicht glauben, wirkliche Leben vorbereiten und ihnen eine aber ich bin ein großer möglichst gute Zeit bieten. Die Wahrheit ist, Tom Waits Fan, hab ihn die meisten werden keine professionelle oft im Konzert gesehen Musikerkarriere machen; aber sie haben einige - ich mag diese Inten- Jahre um Musik zu studieren, und das könnte sität. Dann Jazz natür- die schönste Zeit sein, die sie überhaupt erle- lich, Charlie Parker und ben. Ich will also nicht großen Druck machen, so etwas, Rock aus den sondern sie sollen die Wunder der Musik ken- 60ern – ich liebe den nen lernen und tolle Erfahrungen machen. Er- frühen Dylan. fahrungen, auf die sie bauen können, auch wenn sie hinterher Taxifahrer werden. Auf der Was ist mit elektrischen anderen Seite sollen sie die stilistische Vielfalt Gitarristen? kennen lernen, und dazu gehört auch die offe- D. Tanenbaum: Ja, ne Sicht auf die Dinge. Für unser Institut ha- Hendrix natürlich, aber ben wir z.B. einen Lehrer für die Harmonielehre der ist ja schon ein am Griffbrett und für Improvisation angestellt. bißchen tot – Frisell Daneben gibt es auch eine Lautenklasse und hat mich beeindruckt,

AKUSTIK GITARRE 1/02 25