Das Kindliche Ungeheuer SPIEGEL-Redakteur Hellmuth Karasek Über Götz Georges Darstellung Des Mörders Haarmann
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KULTUR KINOARCHIV ENGELMEIER Haarmann-Film „Der Totmacher“ mit Jürgen Hentsch und Götz George: Suche nach dem Vater Schauspieler Das kindliche Ungeheuer SPIEGEL-Redakteur Hellmuth Karasek über Götz Georges Darstellung des Mörders Haarmann ritz Haarmann, den man nach sei- und die Leichen (der Kaufmann, Poli- Fassbinder und Ulli Lommel machten nem Prozeß im Jahr 1924 voreilig zeispitzel und Frührentner war gelernter ihn zum vampirischen Helden ihrer Fden „furchtbarsten Mörder des 20. Metzger) fachgerecht zerkleinert hat, „Zärtlichkeit der Wölfe“ von 1972. Jahrhunderts“ genannt hatte, war auch waren eine verstörende Sensation. Der Film, bei dem Kurt Raab den ein unheimlich populärer Verbrecher. Als Spuren seiner Tat – die Leine „Werwolf“ Haarmann als Kahlkopf mit Warte, warte nur ein Weilchen, wurde gestaut und nach Gebeinen der Waigel-Brauen (also in der Vampir- Bald kommt Haarmann auch zu dir, Opfer durchsiebt – fand man nur die Film-Tradition) spielte, provozierte ei- Mit dem kleinen Hackebeilchen Knochen seiner Opfer: Stricher und Ob- nen Kinoskandal: Zuschauer randalier- Macht er Leberwurst aus dir. dachlose, die es oft zu Haarmann getrie- ten gegen die vermeintliche Homosexu- ben hatte, weil sie für eine Nacht in ein ellen-Diffamierung, als Raab das Blut Das Lied, das Kinder mit gruseligem warmes Bett schlüpfen wollten. Haar- der Totgebissenen als breiter Ketchup- Vergnügen bis in die Zeit sangen, da die mann hat ihre Klei- Strom aus dem Mund Hitparaden den Gassenhauer noch nicht dungsstücke verkauft – floß. abgelöst hatten, geht auf eine Operet- daß er ihr Fleisch zum Jetzt, in Romuald tenmelodie von Walter und Willi Kollo Metzger gebracht haben Karmakars Film „Der zurück und erklang auch in Fritz Langs soll, der es verkaufte, Totmacher“, der in Ve- „M“ von 1931, dort mit der letzten Zei- paßt zur Geschichte je- nedig Furore machte le: „Macht er Schabefleisch aus dir“. ner Elendsjahre nach und dem Haarmann- Mörder, ob es sich um dumpfe Krea- dem Weltkrieg. Darsteller Götz George turen wie den Soldaten Woyzeck oder Bald geisterte der mit den Goldenen Löwen vor Mordgier funkelnde Karrieristen dem Fallbeil Hingerich- brachte und der nächste wie Richard III. handelt, haben die tete durch die kollektive Woche in die deutschen Phantasie der Zeitgenossen und Nach- Phantasie: Peter Lorre Kinos kommt, jetzt ist generationen mehr erregt und angeregt spielte als „M“ eine ge- von Blut und von Mord als die sogenannten braven Leute. triebene, Haarmann und Totschlag nichts zu Die schrecklichen Taten Fritz Haar- nachempfundene Kin- sehen – und viel zu hö- manns, der, nach eigenem Geständnis, dermörderfigur. Damit ren. im Hannover der Nachkriegsjahre 24 war er im Film. Und Denn der Film, die Knaben und junge Männer erst in sein dort blieb er zu Hause, DPA meiste Zeit ein Zwiege- Bett geholt, dort totgebissen haben will denn Rainer Werner Serienmörder Haarmann spräch zwischen dem 222 DER SPIEGEL 46/1995 . Mörder und seinem psychiatrischen Be- gutachter, basiert auf den sechswöchi- SPIEGEL-Gespräch gen Untersuchungen Haarmanns, die Professor Ernst Schultze im Spätsommer 1924 in der Heil- und Pflegeanstalt Göt- tingen machte, um die Frage der Zurech- „Leute totbeißen, nungsfähigkeit des Serienmörders zu klären. Die Stenogramme bilden die Grundla- ge des dokumentarischen, kargen Films, das geht gar nicht“ der nur im Untersuchungszimmer des Psychiaters spielt. Gänge ans Fenster, Der Schauspieler Götz George über seinen Film „Der Totmacher“ Blicke in den Regen, zumeist stumme Besucher, die die Zwiesprache, das Rin- gen des Verhörs unterbrechen, und der SPIEGEL: Herr George, der Serienmör- wollte die Figur nicht von innen ergrün- ängstlich-neugierige Stenograph (Pierre der Fritz Haarmann gilt sicher als das den, denn dann äfft man etwas nach, ok- Franckh), der mit einer Mischung aus schrecklichste und widerwärtigste troyiert sich etwas auf, was nicht hin- Angst und Attraktion auf die fordernde Monster zumindest der deutschen haut. Sexualität Haarmanns reagiert – das sind Kriminalgeschichte. Warum spielen SPIEGEL: Und was machen Sie statt des- die einzigen Aufweichungen der stren- Sie so etwas? sen, wenn Sie nicht den historischen gen, in Schnitt und Gegenschnitt vollzo- George: Das spielt man, weil alles Ex- Haarmann nach Bildern und biographi- genen Zweier-Konstellation. treme natürlich viel anziehender ist. schen Berichten studieren? Ein Kammerspiel in strenger Be- schränkung – und doch wird Karmakars Film zum aufregenden Kampf zwischen zwei Männern, in dem es vordergründig um die Frage der Schuldfähigkeit des Mörders für seine Taten geht. Vordergründig, denn da läuft ein selt- sames Spiel: Jürgen Hentsch zeigt erst die angeekelt-herablassende Distanz des zugeknöpften Bürgers und Wissen- schaftlers vor dem Monstrum, dann die Anrührung durch das kindliche Werben des Menschen im Ungeheuer: Trotzdem will er Haarmann von vornherein als zu- rechnungsfähig dem Beil ausliefern. Götz George, der in der Mörderrolle eine fast heitere, unbändige Kraft entfal- tet, sieht das Verhör als den Versuch, sich endlich offenbaren zu können, als Kind, das einen Vater sucht. Und des- halb ist die Offenbarung gleichzeitig ein Spiel, eine Maskerade. Er möchte die Verhörszenen möglichst lange ausdeh- nen, und nicht nur, um vor den Miß- handlungen sicher zu sein, denen er sonst, körperlich und seelisch, in seiner Zelle ausgesetzt war. Nicht nur, um „zu seiner Mutter in C. KELLER / GRÖNINGER den Himmel zu kommen“, kämpft er in George beim SPIEGEL-Gespräch*: „Haarmann ist ein Kind geblieben“ dem Verhör um seine Hinrichtung. Er tut es auch, um den endlosen Gefängnis- Schon ein kleines Kind spielt lieber mit George: Man muß es aus sich selber mißhandlungen, die er sich im Falle der schmuddliger Pampe als mit weißem schöpfen. Man muß dieses Verhörpro- Unzurechnungsfähigkeit einzuhandeln Sand. Für einen Schauspieler sind sol- tokoll des Psychiaters lesen und immer glaubt, in den Tod zu entrinnen. che zwiespältigen Figuren auch reichhal- wieder lesen, das gewaltig ist und sich in George spielt das Kindliche, Sponta- tiger. Mephisto ist spannender als Faust. seiner Vielschichtigkeit von fiktiven, ne, Kreatürliche dieses Mörders – er will SPIEGEL: Aber hier, bei Haarmann, von erdichteten Texten unterscheidet. pfiffig sein, listig, er will gefallen, er will handelt es sich um keine literarische Fi- Und wenn man diesen Text, wie ich es sein Gegenüber erobern. gur, sondern um einen ganz konkreten mache, sagen wir dreihundert-, vierhun- Die Macht seiner Darstellung hat Mörder. Und Sie spielen ihn auch kon- dertmal liest, um ihn in den Kopf zu be- manche Kritiker an die Darstellungs- kret. Haben Sie den wahren Haarmann, kommen, dann wird die Figur aus dir wucht Heinrich Georges erinnert – der in den zwanziger Jahren sein mörde- selbst heraus allmählich plastisch. längst ein Monument der Schauspiel- risches Unwesen trieb, genau studiert? SPIEGEL: Sie haben ja vor Haarmann kunst. Nicht zufällig: Vater Heinrich Haben Sie sich auf ihn, auf seine gruseli- schon einmal einen bestialisch George war Franz Biberkopf in der er- ge Biographie vorbereitet? schrecklichen Menschen gespielt, den sten „Berlin Alexanderplatz“-Verfil- George: Gar nicht. Das kann man nicht. Auschwitz-Kommandanten Höß. mung von 1931. Und Alfred Döblin war Man kann nur den Text studieren. Ich George: Damals sagten viele während zu seinem empfindsam-stumpfen Mör- der Produktion auch: Das kann man der durch Haarmann angeregt worden. * Im Hamburger Hotel Atlantic. doch nicht spielen in seiner grenzenlo- DER SPIEGEL 46/1995 223.