Sendung vom 15.12.2011, 20.15 Uhr

Peter Wortmann Film- und Jazzproduzent im Gespräch mit Jürgen Jung

Jung: Meine Damen und Herren, ich begrüße Sie recht herzlich zu alpha-Forum. Der Gast, den ich Ihnen heute vorstellen darf, ist ein Mann, der in seinem Leben derartig vielen Aktivitäten nachgegangen ist, dass man mit Fug und Recht sagen darf, er habe die Vielseitigkeit zu seinem Beruf gemacht. Meine Damen und Herren, begrüßen Sie mit mir Peter Wortmann, den "Rentner mit der Bigband". Wortmann: Ich grüße dich, Jürgen, hallo. Jung: Ich freue mich sehr, Peter, dass wir dich heute hier bei uns haben. Damit die Zuschauer gleich mal zumindest eine Ahnung bekommen von dem, was du musikalisch machst, haben sich erfreulicherweise zwei deiner Mitstreiter zur Verfügung gestellt. Sie wollen uns mal ein paar Takte vorspielen. Peter, am besten wird sein, du stellst die beiden selbst vor. Wortmann: Das ist der Klarinettist und musikalische Leiter des "Wine and Roses Swing Orchestra", Bernhard Ulrich. Und das ist der Kollege am Flügel, der ebenfalls Mitglied des "Wine and Roses Swing Orchestras" ist, Tizian Jost. (Es spielen Bernhard Ulrich und Tizian Jost) Jung: Lieber Peter, auf die Musik werden wir später noch etwas genauer eingehen. Zunächst einmal würde ich dich bitten, wenigstens stichpunktartig anzudeuten, was du in deinem Leben bisher alles gemacht hast. Wortmann: Wie jeder hier beheimatete Mensch bin ich zur Schule gegangen, aber nicht unbedingt bis ganz zum Schluss. Denn ich hatte einfach zu tun, sodass das mit der Schule nicht mehr bis zum Ende ging. Nach der Schule bin ich ein wenig auf die Wanderschaft gegangen: Ich habe Hitchhiking gemacht, bin also per Anhalter gereist. Ich habe mir dafür ein Pfadfinderhemd besorgt: nicht deswegen, weil ich bei den Pfadfindern gewesen wäre, dort hätte ich auch gar nicht hingewollt, sondern weil man dadurch leichter mitgenommen wurde. Jung: Ich kann mich gut erinnern an diese Zeit. Wortmann: Ich war also per Anhalter unterwegs und kam zuerst nach Paris und dann ans Mittelmeer. Und dann wurde ich … Jung: … Seemann. Wortmann: Na ja, Seemann wurde ich noch nicht gleich, sondern zuerst einmal Decksjunge auf Yachten. Jung: Was war dann das Nächste? Wortmann: Das Nächste war die Folkwangschule in Essen. Ich bin dort hingegangen, um Bühnentänzer zu werden. Das hat sich dann aber relativiert und ich bin in die Orchesterschule gewechselt. Jung: Das Nächste war dann die Fotografie. Wortmann: Genau, anschließend ging ich an die Bayerische Staatslehranstalt für Fotografie in München, um Kameramann zu werden. Jung: Dann bist du Jungfilmer geworden bzw. zum Film generell gekommen. Wortmann: Ja, ich kann sagen, ich war dabei. Jung: Du bist aber auch Veranstalter geworden, Produzent, Clubbetreiber, also Musikbühnenbetreiber, du bist Orchestergründer geworden, du warst und bist Regisseur, Autor usw. usf. Das ist jetzt alles nur mal knapp zusammengefasst. Denn auf der anderen Seite warst du auch konfrontiert mit einer Fülle von prominenten Menschen im Film, im Fernsehen und im Jazz, sodass du eigentlich selbst auch bekannt sein müsstest, wie ich meine. Das bist du aber nicht. Wortmann: Ja, das stimmt. Jung: Man kann also sagen, dass du auf beiden Gebieten so etwas wie ein Strippenzieher geworden bist? Wortmann: Ja, das kann man vielleicht so nennen, das ist durchaus nicht falsch. Die Nähe zum Jazz resultiert einfach daraus, dass ich immer schon sehr gerne Jazzfilme angeschaut habe. Ich bin schon in ganz jungen Jahren gerne ins Kino geschlichen, denn meine Eltern durften das nicht unbedingt wissen. Ich war dann auch wirklich runde zehn Jahre lang Amateur-Drummer hier in München. Jung: Man kann also sagen, dass der Jazz und der Film die beiden großen Lieben in deinem Leben darstellen. Wortmann: Ja, absolut. Das ist heute immer noch so. Jung: Aber jetzt machen wir das mal der Reihe nach, Peter. Du bist 1936 geboren. Wortmann: Ja, ich bin sozusagen ein olympischer Jahrgang. Jung: Das heißt, du hast noch neun Jahre der Nazizeit erlebt. Als dieser "Spuk" vorbei war, kam, glaube ich, auch relativ schnell deine erste Begegnung mit dem Jazz. Ist das richtig? Wortmann: Diese erste Begegnung sah so aus, dass ich in Bad Godesberg, wo ich zur Schule ging, ins Kino geschlichen bin, weil es dort den ersten Teil des "Jazzcocktails" gab. Das war selbstverständlich ein amerikanischer Film. Es gab auch noch einen Teil 2 und den habe ich selbstverständlich auch mehrfach gesehen. Mich hat diese Musik fasziniert: Sie war für uns zwar nicht ganz fremd, weil wir von zurückkehrenden Soldaten, also von Jungs, die an der Front oder irgendwo im Ausland gewesen waren, gelernt hatten, hauptsächlich auf englischen Radiosendern Jazz zu hören. Jung: Sie hatten also sozusagen "Feindsender" gehört. Wortmann: Genau, das waren die "Feindsender" und das, was wir da hörten, war natürlich ein krasser Gegensatz zu der Marschmusik, die ja immer nur auf der Eins und der Drei betont wird. Dort im Jazz wurde die Musik plötzlich auf der Zwei und der Vier betont. Der Deutsche mit seiner Marschmusik hörte eigentlich immer dieses "Rumtata, rumtata!" Wir hingegen hörten Musik, die vom Rhythmus her das genaue Gegenteil war, immer auf der Zwei und der Vier. Und diese Musik war viel leichter, viel swingender eben. Jung: Ich kann mir vorstellen, dass das wie eine Offenbarung gewirkt haben muss, dass einen das regelrecht umgehauen hat. Das habe ich selbst einige Jahre später auch noch so erlebt. Es kam dann aber zu dem Film, den du soeben erwähnt hast, noch hinzu, dass es da eine Langspielplatte gegeben hat, die ebenfalls einen nachhaltigen Einfluss auf dich ausgeübt hat. Wortmann: Ja, von der war ich hin und weg! Das war genau die Platte, die LP, die dann auch den Jazz maßgeblich mit nach Europa transportiert hat, nämlich der Mitschnitt des ersten Konzerts in New York, bei dem weiße und schwarze Musiker zusammen auf der Bühne standen. Dies war 1938 fast gefährlich gewesen … Jung: Das war eigentlich so etwas wie eine Revolution. Wortmann: Ja, das war eine Revolution. Und zustande gebracht hat diese Revolution Benny Goodman, der damals schon der "King of Swing" genannt wurde. Wie man weiß, waren damals die New Yorker Kulturpäpste nicht unbedingt erfreut gewesen, als sie hörten, dass in der "heiligen" Carnegie Hall, in der bis dahin selbstverständlich nur große Klassik gespielt worden war, dieser sogenannte King of Swing spielen sollte, und dies dann auch noch mit schwarzen Musikern, die doch nach Harlem "gehörten". Sie waren also sauer darüber, dass dieses Orchester dort spielen durfte. Aber bekanntermaßen wurde dieses Konzert ein sensationeller Erfolg: Es war lange vorher ausverkauft und daran sieht man schon, dass die Leute darauf wirklich … Jung: … begierig waren. Das ist ja auch eine Platte geblieben, die zu den meistverkauften in der Jazzgeschichte und vielleicht sogar in der ganzen Musikgeschichte gehört. Wortmann: Das ist richtig. Und in Zusammenhängen, auf die wir noch zu sprechen kommen werden, habe ich erst vor fünf Jahren ein Orchester zusammengestellt, das auch Ausschnitte aus diesem Konzert und von anderen großen Jazzkomponisten spielt. Jung: Einerseits dieser Film und andererseits diese Platte übten also einen entscheidenden Einfluss auf dich aus: Das war nicht nur die Musik, sondern auch die filmische Darstellung dieser Musik. Insofern finden sich hier bereits im Kern beide Stränge, die dein Leben entscheidend geprägt. Du bist etwa 1952, als du ungefähr 16 Jahre alt warst, von zu Hause abgehauen. Wortmann: Richtig. Jung: Warum? Wortmann: Nun ja, das war so eine Geschichte. Damals wurden die Klassen auf dem Gymnasium ja noch mit "Sexta", "Quinta", "Quarta", "Untertertia" usw. bezeichnet. Wir hatten selbstverständlich Lateinunterricht, denn das war in Bad Godesberg ein humanistisches Gymnasium, genauso wie das Canisius-Kolleg in , wo ich zuerst gewesen bin. Wir hatten also zuerst einmal Latein und dann Englisch als zweite Fremdsprache. Das war also alles irgendwie in Ordnung. Dann hätte aber Französisch dazukommen können, was ich sehr gerne gelernt hätte. Die Alternative zu Französisch war Griechisch und mein Vater zwang mich, Griechisch zu wählen. Ich habe meinen Vater sehr geliebt, aber hier kann ich das nicht anders sagen: Er hat mich dazu gezwungen. Er meinte: "Ach was, Französisch kannst du doch nebenbei und zusätzlich machen!" Jung: Und von da an hat dir die Schule gereicht. Wortmann: Ja, das habe ich halt anders gesehen. Jung: Es hat dich dann ganz schnell nach Südfrankreich verschlagen und letztlich bist du dann in der Tat eine ganze Weile zur See gefahren. Du bist Decksjunge geworden und hast dabei jemand ganz Bedeutenden kennengelernt, nämlich "die Göttliche" höchstpersönlich. Wortmann: Ja, du nimmst es schon vorweg, weil ja jeder weiß, wer "die Göttliche" ist. Der Eigner der Yacht, auf der ich gearbeitet habe, ein englischer Lord, hat angekündigt, dass Besuch käme: Er hatte sich – das machte man damals eben so – ein Schnellboot aus dem Krieg in eine Luxusyacht umbauen lassen. Dieser Besuch kam also die Gangway hoch; die Dame hatte eine Sonnenbrille auf und ein Kopftuch um. Der Bootsmann sagte daraufhin zu mir: "Sie ist es wirklich!" Ja, es war tatsächlich Greta Garbo. Der Witz an dieser Geschichte ist der, dass sie, als sie gemerkt hat, dass der Decksjunge, also ich, ein Deutscher ist, mit diesem Buben gerne Deutsch sprechen wollte. Sie wollte einfach ihr Deutsch ein bisschen auffrischen. Wir haben dann wirklich 14 Tage lang, denn länger war sie nicht an Bord, morgens nach dem Frühstück und abends nach dem Abendessen, jeweils eine Viertelstunde Deutsch miteinander gesprochen. Jung: Diese "Seemannskarriere" hast du dann noch ein bisschen weiterverfolgt, denn du bist sogar auf das Schulschiff "Deutschland" gekommen. Wortmann: Richtig. Die "Deutschland" lag im Europahafen in Bremen und mein Vater hatte mich dazu überredet, dort anzuheuern: "Wenn schon zur See, dann doch bitte schön mit einer richtigen Ausbildung!" Insofern bekomme ich meine Rente, die du ja bereits erwähnt hast, von der Seekasse. Ich bin auch immer noch "OA", also Offiziersanwärter der deutschen Handelsmarine. Jung: Du hast jedoch kurz darauf einen interessanten Haken geschlagen und bist plötzlich an der berühmten Essener Folkwangschule gelandet. Wie kam das denn zustande? Wie kommt man von der See auf die Schauspielschule? Wortmann: Der Chef der dortigen Tanzabteilung, der berühmte Professor Kurt Jooss, der mit seinem kompletten Ballett noch vor dem Krieg vor den Nazis geflohen war, war nach dem Krieg mit eben diesem Ballett aus Südamerika zurückgekommen. Von da an leitete er die Bühnentanzabteilung der Folkwangschule. Bei ihm habe ich nach einigen Vorprüfungen tatsächlich die Aufnahmeprüfung bestanden. Aber wie ich das geschafft habe, das weiß ich heute noch nicht. Er hat mich nämlich gefragt: "Wie kommst du denn hierher? Bei welcher Ballettschule warst du denn vorher?" Ich habe ihm geantwortet: "Bei keiner!" "Was hast du denn gemacht?" "Ich bin zur See gefahren!" "Und dabei bist du auf Bühnentanz gekommen? Wie denn das?" "Weil ich im Kino gewesen bin! Dort habe ich den Film 'Ein Amerikaner in Paris' gesehen." Ich wollte dann wirklich unbedingt so werden wie Gene Kelly. Jung: Der große Tänzer Gene Kelly. Und wie hat der Professor in der Folkwangschule reagiert? Wortmann: Er hat geschmunzelt, obwohl ich das damals gar nicht so richtig mitbekommen habe. Er hat gesagt: "Wo hast du denn deine Noten?" "Welche Noten? Ich will doch Tänzer werden!" "Aber der Korrepetitor" – bei dem Wort habe ich wohl ein bisschen merkwürdig geguckt – ", also dieser Mann, der da am Klavier sitzt, der muss doch irgendeine Musik spielen, auf die du tanzt." "Keine Ahnung, ich habe keine Musik dabei." Also hat er dem Pianisten irgendetwas gesagt, vermutlich ein Stück von Gershwin. Der Pianist spielte und ich habe wie ein Wahnsinniger losgelegt und habe getanzt – dabei immer diesen Film vor Augen, wie Gene Kelly um den Brunnen tanzt usw. Das habe ich gemacht – und ich wurde genommen! Jung: 1957 bist du dann schon wieder in München, und zwar auf der Bayerischen Staatslehranstalt für Fotografie. Das heißt, da kristallisierte sich dann so ganz langsam die Richtung "Film" heraus, die Arbeit mit der Kamera. Ich glaube, du wolltest damals Kameramann werden. Wortmann: Ja, richtig. Bis zum ersten Assistenten habe ich das auch geschafft. Nun, es wäre da schon noch weitergegangen, aber meine Interessen haben sich noch einmal ein bisschen verlagert und ich wollte dann doch eher zur Regie. Letztlich bin ich dann auch Regisseur geworden und hatte später lange Zeit eine eigene kleine Produktionsfirma. Jung: Die "Pewo-Film". Wortmann: Ja, das war zuerst einmal die "Pewo-Film". Danach hieß meine Firma 30 Jahre lang "Spectacle Productions". Jung: Du hast während der ganzen Zeit deiner Ausbildung in München eigentlich nächtens in den verschiedenen Münchner Clubs immer Schlagzeug gespielt. Wortmann: Ja, und zwar jede Nacht! Jung: Ich glaube, da war vor allem der "Hot Club" im Augustiner angesagt, ein Club, an den auch ich mich noch erinnern kann. Wortmann: Ja, der "Hot Club" im Augustiner in der Arnulfstraße war ein toller Club. Er fand nur dienstags statt, also nur einmal in der Woche. Viele Münchner Bands spielten dort, ich natürlich auch, und zwar mit dem "Heinz Schellerer Sextett" oder der "Red Hot Brass Band". Ich war aber auch an den Dienstagen, an denen ich selbst nicht spielte, dort, weil ich die Atmosphäre dort ziemlich gut fand: Dort spielten einfach immer tolle Leute. Wenn dort unten so ein Weißhaariger saß und ich zu einem der beiden Clubbetreiber sagte: "Schau mal, dieser Mann dort unten sieht aus wie Federico Fellini, der große italienische Regisseur", dann bekam ich zur Antwort: "Ja, das ist er ja auch!" Eines Tages sah ich wieder so einen: Er saß an einem der Holztisch dort unten im Keller des Augustiner und sah original aus wie Benny Goodman. Er war es! Und er stieg bei uns ein! Zwei Titel spielte er mit uns, denn er hatte ein eigenes Mundstück mit dabei und stieg wirklich bei uns ein – auf Bitten der Clubchefs natürlich. Und wir waren fassungslos vor Glück: Das war breathtaking. Jung: Der "King of Swing" hat dich also begleitet: Das ist in der Tat unglaublich. Wortmann: Nein, ich habe ihn begleitet, bzw. unsere ganze Band hat ihn begleitet. Jung: Ja, selbstverständlich. Peter, du hast sogar einmal an dem damals doch recht berühmten Düsseldorfer Amateur Jazzfestival teilgenommen und bist zwei Mal zum drittbesten Schlagzeuger gewählt worden. Kurze Zeit danach hat dich dann unser deutscher Jazzpapst Joachim-Ernst Behrendt – vielen sicherlich noch ein Begriff – gewissermaßen entdeckt. Du hast mit ihm dann sogar eine Tournee gemacht. Wie war das damals? Wortmann: Das war wirklich völlig überraschend. Herr Behrendt rief mich an und meinte zu mir: "Wir beide kennen uns ja vom Amateurjazzfestival." Das fand ich natürlich schon mal ziemlich gut. Er war dort auf dem Amateurjazzfestival Juryvorstand gewesen und hatte sich an mich erinnert. Er gab jährlich einen Jazzkalender heraus und fragte mich daher: "Sie haben doch sicher tolle Fotos von den großen Amerikanern, die in München z. B. im Kongresssaal des Deutschen Museums gespielt haben und weiterhin spielen werden. Ich brauche ein paar davon für meinen Jazzkalender." Ich habe ihm geantwortet: "Oh, das tut mir sehr leid, aber ich habe überhaupt keine Bilder." "Aber Sie sind doch Fotograf, Sie sind doch von der Staatslehranstalt für Fotografie!" "Ja, schon, aber wenn ich in ein Jazzkonzert gehe, dann fotografiere ich nicht, denn ich will da nur Jazz hören." Ich glaube, das war für ihn doch etwas überraschend. Jung: Immerhin hast du dann an einer Tournee teilgenommen, zusammen mit dem Heinz-Schellerer-Sextett. Dieses Sextett hast du, wenn ich das richtig weiß, selbst gegründet. Wortmann: Ja, weil der Heinz Schellerer selbst, dieser wunderbare Klarinettist, Tenorsaxophonist, Flötist, selbst nie eine Band gegründet hätte. Er war hauptberuflich Lektor beim Langenscheidt-Verlag. Ich habe zu ihm gesagt: "Gut, dann gründe ich sozusagen die Band für dich." Jung: Da ging das mit der Bandgründung schon los. Wortmann: Genau, da ging das schon los. Die zweite Frage von Joachim-Ernst Behrendt war nämlich, ob wir mit dem Schellerer-Sextett an einer Deutschlandtournee teilnehmen möchten, die unter dem Namen "The History of Jazz" stattfinden sollte. Jung: Behrendt war in diesen Dingen ja ein richtiger Pädagoge. Er hat auch dadurch den Jazz in Deutschland richtiggehend popularisiert. Wortmann: Ja, absolut. Jung: Und deswegen ist seine Bedeutung gar nicht zu überschätzen. Wortmann: Ja, die kann man gar nicht überschätzen. Für Deutschland bzw. den deutschsprachigen Raum war er wirklich ein Glücksfall. Er hatte sich also ausgedacht, dass bei so einer Tournee natürlich eine Traditional Band spielen muss, eine Mainstream-Swingband … Jung: … für die du zuständig warst … Wortmann: … und eine Band für die damals zeitgenössische Musik, nämlich eine Modern Jazz Band. Die Traditional Band war immerhin die "Two Beat Stumpers" aus Frankfurt, für die Modern Jazz Band waren das Albert Mangelsdorff … Jung: Albert Mangelsdorff war hier im Studio auch schon zu Gast und saß auf dem Stuhl, auf dem du jetzt sitzt. Wortmann: Ja? Das ist ja toll. Also, es waren da mit dabei Albert Mangelsdorff, , Attila Zoller und Jutta Hipp. Das war wirklich die Crème de la Crème. Und wir mit dem Schellerer-Sextett bildeten den Mainstream mit der Swingband. Jung: Du hast dann zusammen mit dem später relativ bekannten Ernst Knauff, der wohl ein Freund von dir gewesen ist … Wortmann: Er hat im Schellerer-Sextett Bass gespielt. Jung: Er hat dann später das berühmte "domicile" in München gegründet, den zeitweise bekanntesten Jazzclub Deutschlands. Mit ihm zusammen hast du die Band "Riverboat Shuffle" ins Leben gerufen. Wortmann: Bescheiden, wie ich bin, muss ich sagen: Ja, das war eine Idee von mir. Der Ernst und ich haben zusammen mit einem weiteren Freund in der ersten Ausgabe dieser Gruppe auf dem Ammersee gespielt, und zwar auf der inzwischen leider verschrotteten "Augsburg". Ich glaube, das war damals das größte Schiff der bayerischen Seenflotte. Das war wahnsinnig damals, denn das Schiff war vollkommen überfüllt. Jung: Das waren sehr populäre Konzerte, an die ich mich selbst noch erinnern kann. Wortmann: Ja, nach dem Anfangserfolg haben wir das dann noch ein paar Mal wiederholt. Jung: Peter, jetzt sind wir doch inzwischen in den 60er Jahren angekommen, in den wilden 60er Jahren. Damals lautete ja schon ganz früh ein Motto – ich denke da z. B. an das "Oberhausener Manifest" aus dem Jahr 1962: "Papas Kino ist tot!" bzw. "Opas Kino ist tot!" Wortmann: Ja, das ist richtig. Jung: Das heißt, da geschah der Aufbruch im deutschen Film. Es gab in diesen Jahren ja viele Aufbrüche, aber damit fing es eigentlich an: Der Film war da, glaube ich, an vorderster Front mit dabei. Wortmann: Ja, damit ging es wirklich los in Sachen Kino und Spielfilm. Denn wir waren ja Leute wie z. B. Ulrich Schamoni … Jung: … oder Alexander Kluge … Wortmann: …, die bereits Kurzfilme gemacht hatten. Wir waren mittendrin in der Kurzfilmszene und nun ging es darum, den Kinospielfilm zu erobern. Ich habe damals einen richtigen Fehler gemacht. Ich hatte damals ja bereits meinen ersten eigenen Kurzfilm gemacht. Man musste mindestens das Prädikat "wertvoll" bekommen haben, sonst wurde dieser Kurzfilm nicht ins Kino gelassen: Gezeigt wurden diese Kurzfilme vor einem Spielfilm. Wie gesagt, es mussten aber Kurzfilme mit Prädikat sein. Wenn das geschah, dann gab es für den Kinobetreiber Steuerermäßigungen auf den Hauptfilm. Ich sollte damals 1962 mitfahren nach Oberhausen, aber ich sagte: "Ich kann nicht, ich spiele Schlagzeug heute Nacht!" Das muss man sich mal vorstellen! Jung: Aber man konnte natürlich auch nicht ahnen, welche Bedeutung dieses Treffen haben wird. Wortmann: Die anderen haben es zumindest geahnt. Jung: Da war dir ganz offensichtlich der Jazz wichtiger. Wortmann: Er war mir nicht wirklich wichtiger, ich dachte mir nur: "Ob ich da nun mitfahre oder nicht, ist doch egal." Sie meinten aber zu mir: "Wir brauchen wirklich jeden Mann!" Aber es ging eben nicht, weil ich am Abend Schlagzeug spielen musste. Jung: Du bist dann kurz darauf auch in die sogenannten Schwabinger Krawalle geraten. Diese Krawalle waren ja so etwas wie die Vorläufer der Studentenbewegung. Wortmann: Richtig. Jung: Das war ja auch ein witziges Ereignis. Wortmann: Wir selbst fanden dieses Ereignis nicht witzig. Jung: Das glaube ich. Wortmann: Ein völlig harmloser Anfang zog eine unglaubliche Schlacht nach sich, wie man wirklich sagen muss. Die Polizei ritt alles nieder, was auf der Leopoldstraße rechts, links und in den Seitenstraßen unterwegs war! Jung: Dabei ging es um nichts anderes als darum, dass sich junge Leute, dass Studenten auf dem Bürgersteig an der Leopoldstraße Musik gemacht hatten. Wortmann: Ja, das waren nur zwei Leute. Jung: Sie spielten Gitarre und haben gesungen. Wortmann: Gitarre und Gesang! Das kann einfach keine Lärmbelästigung sein! Vor allem nicht neben einem öffentlichen Straßencafé. Jung: Dennoch galt das damals als "Erregung öffentlichen Ärgernisses" oder so. Wortmann: Ja, wahrscheinlich. Aber ich sage dir, ich bin damals wirklich um mein Leben gerannt. Das klingt übertrieben, aber es war einfach so, dass diese Polizisten damals alle – oder doch die meisten – das Sportabzeichen hatten. Sie waren schnell und haben mit ihren Knüppeln so etwas von gnadenlos zugeschlagen, dass man nur möglichst schnell möglichst weit davonlaufen konnte. Das, was da damals in Schwabing passiert ist, war wirklich unfassbar. Jung: Das Ganze war dann aber auch ein Skandal und hat für sehr viel Aufsehen gesorgt – bundesweit. Wortmann: Ich habe mich damals übrigens in die "Schwabinger 7" gerettet. Jung: Ach! Wortmann: Die hatte nämlich eine sehr massive Tür. Ich wusste: Wenn ich die hinter mir habe und von innen verriegle, dann geht da nichts mehr, dann kommt da kein Polizist mehr rein. Das ist wirklich wahr. Jung: Ich habe schon gesagt, dass das eine Art Vorläufer der Studentenrevolte gewesen ist. Als die tatsächliche Studentenrevolte kam, warst du als Jahrgang 1936 knapp über 30 Jahre alt. Eingedenk des Studentenspruchs von damals: "Trau keinem über 30", nehme ich mal an, dass du eine gewisse Distanz gegenüber diesen Protesten hattest. Dennoch wird dich diese Bewegung aber auch sehr bewegt haben. Wortmann: Ja, die hat mich tatsächlich sehr bewegt. Angefangen hat das alles bereits Anfang der 60er Jahre und sogar schon gegen Ende der 50er Jahre. Die neue Bundeswehr, die wir dann wieder hatten, fanden wir nicht so gut: Wir fanden es nicht so gut, dass es so kurze Zeit nach dem nationalsozialistischen Regime wieder eine deutsche Armee geben musste. Aber nun gut. Dann aber haben sie auf dem Königsplatz eine Atomraketen- Ausstellung gemacht, und da habe ich gesagt: "Das lassen wir uns nicht bieten!" Also haben wir unsere Band aufgebaut und gespielt und auf Schildern unseren Protest ausgedrückt. Ich weiß nicht mehr, was auf unseren Schildern stand, aber über die ganze Sache wurde dann mitsamt einem Foto im "Stern" berichtet. Natürlich war das ein lächerlicher Protest, denn der Effekt war selbstverständlich gleich null. Aber wir wollten wenigstens irgendetwas tun. Einen von uns haben sie dann auch tatsächlich verhaftet, den eben bereits erwähnten Ernst Knauff. Wir waren stocksauer, weil wir alle verhaftet werden wollten. Aber nur den Ernst haben sie mitgenommen. Jung: Als Produktionsleiter hast du dann an einigen Produktionen des Jungen oder Neuen deutschen Films teilgenommen. Wortmann: Richtig. Ich habe z. B. mit Roger Fritz einen Film gemacht. Er hat mich eines Tages gefragt: "Ich weiß, dass du selbst auch Regieambitionen hast, aber du bist doch auch als Produktionsleiter tätig, kannst so eine Sache organisieren und ein Team zusammenholen. Willst du nicht bei meinem nächsten Film mitmachen?" Das war dann der Film "Mädchen, Mädchen": Den müsstest du eigentlich kennen, denn wir suchten damals für die Helga Anders einen Partner. Und wenn ich mich recht erinnere, dann warst du das! Jung: Ich erinnere mich dumpf, ja. Bei Klaus Lemke hast du auch ein wenig mitgearbeitet, hast in dieser Zeit aber auch einen durchaus erheblichen Rückschlag erlitten, denn der erste Spielfilm, den du selbst gemacht hast, war wohl ein Desaster. Wortmann: "April – April" war ein derart schöner Flop, das war unglaublich! Ich hatte ein Drehbuch, das ich – nicht so erfahren auf diesem Gebiet – als machbar einschätzte. Ich wollte jedenfalls nicht noch eine Schwabinger Komödie machen, sondern ich wollte eine Groteske machen. Der Autor hatte mir versprochen, Groteske zu können. Er hatte die deutsche Fassung eines berühmten Spielfilms von Ernst Lubitsch geschrieben, dessen Titel mir gerade nicht einfällt: zwar nur die deutsche Fassung, aber immerhin. Auf diese Aussage hin habe ich geglaubt, das Drehbuch wird gut. Also habe ich diese Produktion gemacht: Die Produktion selbst war wunderbar, aber inhaltlich war es halt einfach so, dass eine Groteske für uns schlicht zu schwer war, damals. Jung: Das hat dich damals ein Haus gekostet, wenn ich das richtig in Erinnerung habe. Wortmann: Aber gleichzeitig gab es noch einen irrsinnigen Flop, den mein Freund, der tolle Sammy Drechsel von der "Lach- und Schießgesellschaft" hingelegt hat, und das trotz vieler großer Namen und einschließlich des kompletten Ensembles der "Lach- und Schieß", also mit Dieter Hildebrandt. Ich glaube, der Titel seines Films war: "Zwei Girls vom roten Stern". Das war genauso ein Flop. Jung: Dich hat dein Flop jedenfalls nicht umhauen können, denn du hast munter weitergemacht. Aber bevor wir deinen Werdegang noch etwas weiter beleuchten, würde ich vorschlagen, dass wir uns noch ein paar Takte Musik anhören. Wortmann: Sehr gerne. (Es spielen Bernhard Ulrich und Tizian Jost) Jung: Lieber Peter, du hast insgesamt mehr als 30 Film- und TV-Produktionen gemacht: als Produzent bzw. als Regisseur. Darunter waren z. B. berühmte Serien für das ZDF und Sache wie "Quartett der Komiker", "Große Liebe zum kleinen Chanson", die zumindest der mittleren Generation noch sehr gut in Erinnerung sind. Du hast mit der Crème de la Crème der deutschen Musik-Unterhaltungsindustrie zusammengearbeitet. 1970, als das erste Mal die "Internationale Jazzwoche Burghausen" stattfand, hast du es dann tatsächlich zuwege gebracht, die Fernsehgewaltigen dazu zu bewegen, dieses Festival regelmäßig aufzuzeichnen. Mir scheint, das war ein ganz großer Erfolg für dich. Wortmann: Wir als Insider wussten natürlich schon einige Zeit davor, dass es dieses Festival geben wird. Ich habe gewusst, dass sich da in Burghausen Ungeheures zusammenbraut. Der Hörfunk des Bayerischen Rundfunks war auch gleich im ersten Jahr mit dabei. Ich hatte bereits im ersten Jahr versucht, auch das Fernsehen davon zu überzeugen, dass es mitmacht. Dies ist aber nicht so schnell gelungen, sondern ich bin musste zwei Jahre lang dranbleiben, bis ich den damaligen Unterhaltungschef – Christoph Schmid, ein toller Mann – des BR davon überzeugen konnte. Ab dem dritten Jahr war dann das Fernsehen mit dabei und ich habe dort in den ersten Jahren auch gleich die Regie gemacht. Es hat mich wirklich sehr gefreut, dass das gelungen ist. Jung: Das ist ja wohl auch eines der bedeutendsten Jazzfestivals im Land, im bayerischen Raum sicherlich das Bedeutendste. Neben Berlin und Moers gehört das Festival in Burghausen sicherlich zur Spitze der deutschen Jazzfestivals. Wortmann: Ja, absolut. Jung: Schon kurz darauf, nämlich im Jahr 1972/73, bist du das erste Mal Clubbetreiber bzw. Musikbühnenbetreiber, wie es genau heißt, geworden, und zwar mit dem Schwabinger Lokal "Specatacle", in dem ich öfter gewesen bin. Die Eröffnung hast du damals mit einem Künstler gemacht, der damals … Wortmann: … völlig unbekannt war. Bei einer Ballettaufzeichnung, die ich für das Fernsehen gemacht habe, sagte mir einer der Tänzer: "Hör mal, du willst einen Laden mit Bühne aufmachen? Ich kann dir sagen, da gibt es im Werdenfelser Land auf einem Berg in einer Hütte einen, der spielt Gitarre und singt Blues, und zwar auf Bairisch." Ich habe ihm geantwortet, dass ich diesen Mann kennenlernen möchte. Und das war dann der Mann, mit dem ich meinen Laden eröffnet habe: Willy Michl. Damals war er noch kein Indianer; in das Indianer-Dasein ist er erst später hineingewachsen. Der eigentliche Renner in der Anfangszeit war dann aber ein holländisches Kabarett- und Chansonpaar, mit dem Namen "Die Sissis". Das waren zwei ganz fabelhafte Damen! Man sagte damals, sie seien lesbisch und sie haben auch nicht widersprochen, weil das irgendwie auch gut dazu gepasst hätte. Aber in Wirklichkeit war das gar nicht wahr: Das waren schlicht zwei Schwestern. Sie waren jedenfalls höchst erfolgreich bei mir. Danach kam eine ganz große Geschichte, denn die "Electrola" in Köln bot mir ein Orchester aus England an. Ich sagte zuerst einmal: "Um Gottes willen, das ist viel zu groß, das bekomme ich ja gar nicht auf die Bühne." Wir haben dann alles mit dem Zentimetermaß ausgemessen und festgestellt, dass es doch irgendwie gehen könnte: Das war das "Pasadena Roof Orchestra". Neulich stand in der "Süddeutschen Zeitung", dass Al Jarreau anlässlich seines Auftritts hier im Bayerischen Hof während des "Jazzsommers" an ein Clublokal in Schwabing erinnerte. Er erinnerte sich sogar daran, dass es wohl "Spectacle" geheißen hat und dass es dort eine sehr hohe Bühne gegeben hätte. Al Jarreau war damals tatsächlich bei mir in diesem kleinen Schwabinger Lokal gewesen, und zwar sieben Tage lang. Das ging natürlich alles nur mit Unterstützung der Plattenindustrie. Jung: Al Jarreau war damals für uns eine Offenbarung. Wortmann: Ja, das stimmt, aber er war eben noch ein Geheimtipp. Jung: Genau. Es ist bei dir aber auch jemand aufgetreten, der den Älteren wohl schon während der Kriegszeit bekannt gewesen ist, nämlich Paul Kuhn. Wortmann: Ach Paul, ja! Paul war eine Seele von Mensch. Er kam einmal abends zu mir ins Lokal und ich denke mir noch: "Oh, das ist doch Paul Kuhn!" Auf der Bühne war gerade die Pause eingeläutet worden, also dachte ich mir, ich gehe zu ihm und wünsche ihm einen guten Abend und dass ich mich freue, dass er bei mir ist. Ich ging auf seinen Tisch zu, aber bevor ich dort ankam, stand er auf, ging aufs Podium, setzte sich ans Klavier und spielte. Jung: Unaufgefordert? Wortmann: Ja. Und nachher sagte ich zu ihm: "Sie sind ja regelrecht vor mir davongelaufen, als ich zu Ihnen an den Tisch kommen wollte!" Er antwortete mir: "Ja was hätten Sie mich denn schon groß fragen wollen? Sie hätten mich doch eh nur gefragt, ob ich einsteigen möchte." Jung: Das "Spectacle" ist dann aber leider nach ein paar Jahren wie so viele Clubs in München – das ist hier in der Stadt offensichtlich ein schwieriges Geschäft – eingegangen. Aber du hast den Namen beibehalten und deine Produktionsfirma "Spectacle Productions" genannt. Sie war dann gewissermaßen über Jahrzehnte hinweg die Tarnkappe für deine vielfältigen Tätigkeiten. 1983 hast du ein bemerkenswertes Ereignis auf die Beine gestellt, und zwar im "Deutschen Theater". Der Titel dieser Veranstaltungen hieß "Heiße Ware Swing". Wortmann: Richtig, der Titel stammt übrigens von Joe Kienemann, den er mir jedoch geschenkt hat. Jung: Auch er saß bereits auf dem Stuhl, auf dem du heute sitzt. Wortmann: Ja sehr schön! Ich habe mich damals einfach etwas getraut: Ich war ja inzwischen nicht nur Jungfilmer, sondern hatte auch Kontakte in die Showbranche geknüpft, was durch den Peter Kraus gekommen war, weil auch der im "Hot Club" verkehrte. Er brauchte auf einmal einen Drummer und wollte eine Band aufmachen. Aber dann sagte er zu mir: "Du, sei mir nicht böse, aber jetzt habe ich gerade Paul Würges, einen richtigen Rock 'n' Roller engagiert." Aber durch den Peter lernte ich die Showbranche trotzdem kennen, ich lernte auch den Produzenten der Musikfilm GmbH Gerhard Mendelson kennen. Und mit einem Mal war ich dann "der junge Mann" in einer Showproduktionsfirma. Das war der Grund, warum ich nach einiger Zeit auch selbst Unterhaltung produzieren wollte. Ich habe daher das "Deutsche Theater" nach dem damaligen Umbau angemietet. Der Umbau war gerade frisch über die Bühne gegangen: Wir waren nach André Hellers Show "Begnadete Körper" die zweite Produktion, die nach der Wiedereröffnung stattfand. Ich hatte nämlich erfahren, dass nach André Heller sechs Tage Umbaupause eingeplant waren und deshalb habe ich zu dem damaligen Direktor des "Deutschen Theaters" Plapperer-Lüthgarth gesagt: "Du, ich möchte den Saal mieten. Wir brauchen dafür keine Dekoration, wir brauchen nur Licht, denn ich will Konzerte machen." Also habe ich dann Konzerte mit Konstantin Wecker im "Deutschen Theater" gemacht, mit Margot Werner, mit Ludwig Hirsch, mit den "Hornettes" und mit "Supercharge". Und als letzten, quasi abschließenden Abend habe ich den Abend "Heiße Ware Swing" gemacht. "Heiße Ware" war natürlich in einem doppelten Sinne zu verstehen: heiße Musik, die während der Nazizeit nur unter dem Ladentisch gehandelt werden konnte. Mir ist es gelungen, für diesen Abend alles zu engagieren, was damals noch Rang und Namen hatte und noch aktiv war auf dem Gebiet des Swing: von Freddie Brocksieper über Hazy Osterwald und Toots Tielemans, Rob Pronk bis zu Bibi Johns und einigen anderen. Die Münchner Hugo Strasser und Max Greger waren die Ehrengäste, die aber auch auf die Bühne kamen und mitspielten. Das war ein sensationeller Abend und ich dachte mir: "Siehste mal! Den Swing gibt es momentan ja selbst in kleinen Clubs fast nicht mehr. Aber in großen Häusern kann es gelingen, ihn auf die Bühne zu bringen!" Jung: Das hast du damals alles auf eigenes Risiko gemacht. Diesmal hat es sich allerdings ausgezahlt. Du konntest übrigens fünf dieser sechs Abende auch an den BR verkaufen. Wortmann: Ja, das ist mir gelungen. Das Risiko war aber auch wirklich groß gewesen. Ich konnte so schnell gar keinen Auftrag vom BR bekommen, denn das Ganze lief ja ziemlich ad hoc. Ich musste mir sogar aus Wien einen Übertragungswagen kommen lassen, was natürlich schon recht kostspielig gewesen ist. Aber es stimmt schon: Von sechs Abenden sind fünf vom BR übernommen worden. Jung: Du hast das dann 2001 gewissermaßen fortgesetzt und hast eine Gala- Konzertreihe – es sollte eine jährlich wiederkehrende werden, und die wurde es dann auch – unter dem Titel "München swingt" aus dem Boden gestampft. Wortmann: Eigentlich war das nur ein Arbeitstitel gewesen. Auf der Suche nach einem richtigen Titel redet man dann ja mit Kollegen und Freunden usw. und jeder sagte mir: "Wieso? 'München swingt' klingt doch genau richtig." Jung: Was war die Motivation, das zu machen? Wortmann: Das hängt damit zusammen, dass ich immer schon ein Orchester haben wollte. Und ich hatte einen Stoff, denn der berühmte, in München lebende und arbeitende Swing-Drummer Freddie Brocksieper erzählte mir eines Tages eine unglaubliche Geschichte aus der Kriegszeit. Der Mann, der in der Zeit des Nationalsozialismus den Swing verboten hatte, der Mann, der verboten hatte, dass man Swing tanzte, der Mann, der das Hören von "Feindsendern" sowieso unter Höchststrafe verboten hatte, dieser Mann, nämlich der Reichspropagandaminister Dr. Joseph Goebbels, hat – und das wissen sicherlich die wenigsten – 1941 ein Swing-Orchester gründen lassen. Die Musiker dafür wurden aus dem gesamten, von den Nazis besetzten Europa zusammengeholt und sie spielten ohne Wissen der Öffentlichkeit in den Studios der Reichsrundfunksender. Jung: Und das zunächst einmal in Berlin. Wortmann: Genau, zunächst einmal in Berlin. Sie spielten dort in den Studios ihren Swing, und zwar live! Und es wurde auch live darauf gesungen! Allerdings unglaublich grauenvolle Propagandatexte gegen die Engländer und Franzosen, aber hauptsächlich gegen den britischen Premier Winston Churchill, denn Goebbels sah Churchill als seinen persönlichen Gegenspieler an. Diese Live-Aufnahmen wurden über Kurzwelle in die ganze Welt ausgestrahlt! Jung: Und zwar in 30 verschiedenen Sprachen! Wortmann: Ja, das stimmt. Das war etwas, das die Musiker zunächst einmal gar nicht gewusst hatten. Sie hatten nicht gewusst, warum sie wunderbarerweise mitten im Krieg Swing spielen durften, warum sie freigestellt worden waren, warum sie nicht an die Front gemusst hatten. Sie freuten sich einfach, dass sie ihren geliebten Swing spielen durften, und erst lange nach der Vertragsunterzeichnung stellte sich heraus, dass diese ihre Musik für Propagandazwecke missbraucht wurde. Jung: Sie wurden regelrecht reingelegt und missbraucht. Wortmann: Das Fürchterliche daran war, dass Goebbels sogar ausdrücklich befohlen hatte, jüdische Komponisten zu spielen! Er tat das wohl in der Annahme, er würde sie entlarven oder würde sie bloßstellen dadurch. Das Ganze reizte aber lediglich den beißenden britischen Humor, denn die Briten haben sich darüber natürlich halb totgelacht: "So will er uns schlagen? Indem er Swingmusik spielt?" Eine Musik, die bei ihnen ohnehin viel mehr zu Hause war als bei uns. Jung: Dieses ganze Projekt damals in der Nazizeit nannte sich ja "Charlie and his Orchestra". Manchmal wurde es "Mr. Goebbels Jazzband" genannt – aber vermutlich nur unter den Eingeweihten. Wortmann: Sicherlich nur unter den Eingeweihten, denn das Ganze war ja nicht öffentlich bekannt. Jung: Und wie war dann der Zusammenhang mit "München swingt"? Wortmann: Ich wollte eben ein solches Orchester haben, und zwar in der Hoffnung, dass ich das mit diesem Sujet verbinden könnte, das ich hauptsächlich nach Erzählungen von Freddie Brocksieper geschrieben hatte, der damals durchgehend der Drummer von "Charlie and His Orchestra" gewesen ist. Ich habe also die Geschichte von damals noch lebenden Zeitzeugen erfahren. – Es war übrigens Lubitschs berühmter Film "Sein oder Nichtsein", der mir vorhin nicht eingefallen ist. – Lubitsch, Billy Wilder und andere große Komödienregisseure haben damals Stoffe mit bitterernstem Hintergrund gemacht: Der Einmarsch in Polen war z. B. das Sujet für "Sein oder Nichtsein". Jung: Oder nehmen wir Charlie Chaplin. Wortmann: Ja, oder Mel Brooks mit "Frühling für Hitler" usw. Ich bin natürlich nicht der Erste, der daraus eine Komödie gemacht hat, Gott sei Dank nicht. Das Problem ist aber, wie ich diese Produktion finanziert bzw. gefördert bekomme. Und dann, habe ich mir gedacht, ist es natürlich auch wichtig, dass ich ein entsprechendes Orchester habe. Nun habe ich seit fünf Jahren zusammen mit Bernhard Ulrich, dem musikalischen Leiter, dieses Orchester aufgebaut. Wir haben also bereits ein Orchester, aber ich habe diese Produktion immer noch nicht finanziert bekommen. Aber "Das Leben der Anderen" hat auch sechs Jahre gebraucht, bis es gefilmt werden konnte, erst dann hat endlich die Finanzierung gestanden. Jung: Du warst also kaum 70 Jahre alt geworden – und schon hattest du deinen Jugendtraum realisiert, nämlich die Gründung eines eigenen Orchesters. Dieses Orchester trägt den Namen … Wortmann: … "Wine and Roses Swing Orchestra". Jung: Wie kam dieser Name zustande? Warum "Wine and Roses"? Wortmann: "The Days of Wine and Roses" ist ein bekannter Jazz-Titel. Er stammt von Henry Mancini. Im Jazz selbst ist er nicht so sehr bekannt, obwohl er in jedem Nachschlagewerk aufgeführt ist. Ich fand, das ist ein schöner Titel für ein Orchester, das ist mal was anderes als die 20. oder 30. Fassung von " Swing Stumpers" oder "Swing Allstars" usw. Nein, unser Orchester heißt "Wine and Roses Swing Orchestra". Jung: Lieber Peter, wir nähern uns unaufhaltsam dem Schluss der Sendung. Es ist immer das Gleiche: Die Zeit ist immer viel zu kurz. Peter, ich kann dir nur wünschen, dass du dieses Projekt "Charlie and his Orchestra" auf die Beine stellen kannst. Und da es dir in deinem Leben schon so oft gelungen ist, unglaubliche Projekte zu realisieren, wirst du auch das noch schaffen. Zum anderen wünsche ich dir ganz viele Auftrittsmöglichkeiten für dein "Wine and Roses Orchestra". Zum Schluss hören wir uns noch einmal ein paar Takte deiner beiden Mitstreiter an: "Keep on swinging, Guys!" (Es spielen Bernhard Ulrich und Tizian Jost)

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