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Sendung vom 15.12.2011, 20.15 Uhr Peter Wortmann Film- und Jazzproduzent im Gespräch mit Jürgen Jung Jung: Meine Damen und Herren, ich begrüße Sie recht herzlich zu alpha-Forum. Der Gast, den ich Ihnen heute vorstellen darf, ist ein Mann, der in seinem Leben derartig vielen Aktivitäten nachgegangen ist, dass man mit Fug und Recht sagen darf, er habe die Vielseitigkeit zu seinem Beruf gemacht. Meine Damen und Herren, begrüßen Sie mit mir Peter Wortmann, den "Rentner mit der Bigband". Wortmann: Ich grüße dich, Jürgen, hallo. Jung: Ich freue mich sehr, Peter, dass wir dich heute hier bei uns haben. Damit die Zuschauer gleich mal zumindest eine Ahnung bekommen von dem, was du musikalisch machst, haben sich erfreulicherweise zwei deiner Mitstreiter zur Verfügung gestellt. Sie wollen uns mal ein paar Takte vorspielen. Peter, am besten wird sein, du stellst die beiden selbst vor. Wortmann: Das ist der Klarinettist und musikalische Leiter des "Wine and Roses Swing Orchestra", Bernhard Ulrich. Und das ist der Kollege am Flügel, der ebenfalls Mitglied des "Wine and Roses Swing Orchestras" ist, Tizian Jost. (Es spielen Bernhard Ulrich und Tizian Jost) Jung: Lieber Peter, auf die Musik werden wir später noch etwas genauer eingehen. Zunächst einmal würde ich dich bitten, wenigstens stichpunktartig anzudeuten, was du in deinem Leben bisher alles gemacht hast. Wortmann: Wie jeder hier beheimatete Mensch bin ich zur Schule gegangen, aber nicht unbedingt bis ganz zum Schluss. Denn ich hatte einfach zu tun, sodass das mit der Schule nicht mehr bis zum Ende ging. Nach der Schule bin ich ein wenig auf die Wanderschaft gegangen: Ich habe Hitchhiking gemacht, bin also per Anhalter gereist. Ich habe mir dafür ein Pfadfinderhemd besorgt: nicht deswegen, weil ich bei den Pfadfindern gewesen wäre, dort hätte ich auch gar nicht hingewollt, sondern weil man dadurch leichter mitgenommen wurde. Jung: Ich kann mich gut erinnern an diese Zeit. Wortmann: Ich war also per Anhalter unterwegs und kam zuerst nach Paris und dann ans Mittelmeer. Und dann wurde ich … Jung: … Seemann. Wortmann: Na ja, Seemann wurde ich noch nicht gleich, sondern zuerst einmal Decksjunge auf Yachten. Jung: Was war dann das Nächste? Wortmann: Das Nächste war die Folkwangschule in Essen. Ich bin dort hingegangen, um Bühnentänzer zu werden. Das hat sich dann aber relativiert und ich bin in die Orchesterschule gewechselt. Jung: Das Nächste war dann die Fotografie. Wortmann: Genau, anschließend ging ich an die Bayerische Staatslehranstalt für Fotografie in München, um Kameramann zu werden. Jung: Dann bist du Jungfilmer geworden bzw. zum Film generell gekommen. Wortmann: Ja, ich kann sagen, ich war dabei. Jung: Du bist aber auch Veranstalter geworden, Produzent, Clubbetreiber, also Musikbühnenbetreiber, du bist Orchestergründer geworden, du warst und bist Regisseur, Autor usw. usf. Das ist jetzt alles nur mal knapp zusammengefasst. Denn auf der anderen Seite warst du auch konfrontiert mit einer Fülle von prominenten Menschen im Film, im Fernsehen und im Jazz, sodass du eigentlich selbst auch bekannt sein müsstest, wie ich meine. Das bist du aber nicht. Wortmann: Ja, das stimmt. Jung: Man kann also sagen, dass du auf beiden Gebieten so etwas wie ein Strippenzieher geworden bist? Wortmann: Ja, das kann man vielleicht so nennen, das ist durchaus nicht falsch. Die Nähe zum Jazz resultiert einfach daraus, dass ich immer schon sehr gerne Jazzfilme angeschaut habe. Ich bin schon in ganz jungen Jahren gerne ins Kino geschlichen, denn meine Eltern durften das nicht unbedingt wissen. Ich war dann auch wirklich runde zehn Jahre lang Amateur-Drummer hier in München. Jung: Man kann also sagen, dass der Jazz und der Film die beiden großen Lieben in deinem Leben darstellen. Wortmann: Ja, absolut. Das ist heute immer noch so. Jung: Aber jetzt machen wir das mal der Reihe nach, Peter. Du bist 1936 geboren. Wortmann: Ja, ich bin sozusagen ein olympischer Jahrgang. Jung: Das heißt, du hast noch neun Jahre der Nazizeit erlebt. Als dieser "Spuk" vorbei war, kam, glaube ich, auch relativ schnell deine erste Begegnung mit dem Jazz. Ist das richtig? Wortmann: Diese erste Begegnung sah so aus, dass ich in Bad Godesberg, wo ich zur Schule ging, ins Kino geschlichen bin, weil es dort den ersten Teil des "Jazzcocktails" gab. Das war selbstverständlich ein amerikanischer Film. Es gab auch noch einen Teil 2 und den habe ich selbstverständlich auch mehrfach gesehen. Mich hat diese Musik fasziniert: Sie war für uns zwar nicht ganz fremd, weil wir von zurückkehrenden Soldaten, also von Jungs, die an der Front oder irgendwo im Ausland gewesen waren, gelernt hatten, hauptsächlich auf englischen Radiosendern Jazz zu hören. Jung: Sie hatten also sozusagen "Feindsender" gehört. Wortmann: Genau, das waren die "Feindsender" und das, was wir da hörten, war natürlich ein krasser Gegensatz zu der Marschmusik, die ja immer nur auf der Eins und der Drei betont wird. Dort im Jazz wurde die Musik plötzlich auf der Zwei und der Vier betont. Der Deutsche mit seiner Marschmusik hörte eigentlich immer dieses "Rumtata, rumtata!" Wir hingegen hörten Musik, die vom Rhythmus her das genaue Gegenteil war, immer auf der Zwei und der Vier. Und diese Musik war viel leichter, viel swingender eben. Jung: Ich kann mir vorstellen, dass das wie eine Offenbarung gewirkt haben muss, dass einen das regelrecht umgehauen hat. Das habe ich selbst einige Jahre später auch noch so erlebt. Es kam dann aber zu dem Film, den du soeben erwähnt hast, noch hinzu, dass es da eine Langspielplatte gegeben hat, die ebenfalls einen nachhaltigen Einfluss auf dich ausgeübt hat. Wortmann: Ja, von der war ich hin und weg! Das war genau die Platte, die LP, die dann auch den Jazz maßgeblich mit nach Europa transportiert hat, nämlich der Mitschnitt des ersten Konzerts in New York, bei dem weiße und schwarze Musiker zusammen auf der Bühne standen. Dies war 1938 fast gefährlich gewesen … Jung: Das war eigentlich so etwas wie eine Revolution. Wortmann: Ja, das war eine Revolution. Und zustande gebracht hat diese Revolution Benny Goodman, der damals schon der "King of Swing" genannt wurde. Wie man weiß, waren damals die New Yorker Kulturpäpste nicht unbedingt erfreut gewesen, als sie hörten, dass in der "heiligen" Carnegie Hall, in der bis dahin selbstverständlich nur große Klassik gespielt worden war, dieser sogenannte King of Swing spielen sollte, und dies dann auch noch mit schwarzen Musikern, die doch nach Harlem "gehörten". Sie waren also sauer darüber, dass dieses Orchester dort spielen durfte. Aber bekanntermaßen wurde dieses Konzert ein sensationeller Erfolg: Es war lange vorher ausverkauft und daran sieht man schon, dass die Leute darauf wirklich … Jung: … begierig waren. Das ist ja auch eine Platte geblieben, die zu den meistverkauften in der Jazzgeschichte und vielleicht sogar in der ganzen Musikgeschichte gehört. Wortmann: Das ist richtig. Und in Zusammenhängen, auf die wir noch zu sprechen kommen werden, habe ich erst vor fünf Jahren ein Orchester zusammengestellt, das auch Ausschnitte aus diesem Konzert und von anderen großen Jazzkomponisten spielt. Jung: Einerseits dieser Film und andererseits diese Platte übten also einen entscheidenden Einfluss auf dich aus: Das war nicht nur die Musik, sondern auch die filmische Darstellung dieser Musik. Insofern finden sich hier bereits im Kern beide Stränge, die dein Leben entscheidend geprägt. Du bist etwa 1952, als du ungefähr 16 Jahre alt warst, von zu Hause abgehauen. Wortmann: Richtig. Jung: Warum? Wortmann: Nun ja, das war so eine Geschichte. Damals wurden die Klassen auf dem Gymnasium ja noch mit "Sexta", "Quinta", "Quarta", "Untertertia" usw. bezeichnet. Wir hatten selbstverständlich Lateinunterricht, denn das war in Bad Godesberg ein humanistisches Gymnasium, genauso wie das Canisius-Kolleg in Berlin, wo ich zuerst gewesen bin. Wir hatten also zuerst einmal Latein und dann Englisch als zweite Fremdsprache. Das war also alles irgendwie in Ordnung. Dann hätte aber Französisch dazukommen können, was ich sehr gerne gelernt hätte. Die Alternative zu Französisch war Griechisch und mein Vater zwang mich, Griechisch zu wählen. Ich habe meinen Vater sehr geliebt, aber hier kann ich das nicht anders sagen: Er hat mich dazu gezwungen. Er meinte: "Ach was, Französisch kannst du doch nebenbei und zusätzlich machen!" Jung: Und von da an hat dir die Schule gereicht. Wortmann: Ja, das habe ich halt anders gesehen. Jung: Es hat dich dann ganz schnell nach Südfrankreich verschlagen und letztlich bist du dann in der Tat eine ganze Weile zur See gefahren. Du bist Decksjunge geworden und hast dabei jemand ganz Bedeutenden kennengelernt, nämlich "die Göttliche" höchstpersönlich. Wortmann: Ja, du nimmst es schon vorweg, weil ja jeder weiß, wer "die Göttliche" ist. Der Eigner der Yacht, auf der ich gearbeitet habe, ein englischer Lord, hat angekündigt, dass Besuch käme: Er hatte sich – das machte man damals eben so – ein Schnellboot aus dem Krieg in eine Luxusyacht umbauen lassen. Dieser Besuch kam also die Gangway hoch; die Dame hatte eine Sonnenbrille auf und ein Kopftuch um. Der Bootsmann sagte daraufhin zu mir: "Sie ist es wirklich!" Ja, es war tatsächlich Greta Garbo. Der Witz an dieser Geschichte ist der, dass sie, als sie gemerkt hat, dass der Decksjunge, also ich, ein Deutscher ist, mit diesem Buben gerne Deutsch sprechen wollte. Sie wollte einfach ihr Deutsch ein bisschen auffrischen. Wir haben dann wirklich 14 Tage lang, denn länger war sie nicht an Bord, morgens nach dem Frühstück und abends nach dem Abendessen, jeweils eine Viertelstunde Deutsch miteinander gesprochen. Jung: Diese "Seemannskarriere" hast du dann noch ein bisschen weiterverfolgt, denn du bist sogar auf das Schulschiff "Deutschland" gekommen. Wortmann: Richtig. Die "Deutschland" lag im Europahafen in Bremen und mein Vater hatte mich dazu überredet, dort anzuheuern: "Wenn schon zur See, dann doch bitte schön mit einer richtigen Ausbildung!" Insofern bekomme ich meine Rente, die du ja bereits erwähnt hast, von der Seekasse. Ich bin auch immer noch "OA", also Offiziersanwärter der deutschen Handelsmarine.