„Er Kommt Nie Mehr Zurück“
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Bergsteiger Unterkircher*: „Mutig und vorsichtig zugleich“ „Er kommt SPIEGEL-GESPRÄCHnie mehr zurück“ Der Höhenbergsteiger Hans Kammerlander, 51, über die Tragödie am Nanga Parbat, seinen ums Leben gekommenen Freund Karl Unterkircher und den Wahnsinn des Extrem-Alpinismus SPIEGEL: Herr Kammerlander, der Südtiro- fundener Gefahr den Weg zurück ein- Kammerlander: Vielleicht vor langer Zeit. ler Bergsteiger Karl Unterkircher ist am schlagen konnte. Aber ich bin erleichtert Aber er hatte sich längst aus meinem vorvergangenen Dienstag in der Rakhiot- darüber, dass Kehrer und Nones gerettet Schatten gelöst. Auch das konnte er am Wand des pakistanischen Nanga Parbat im wurden. Ich war in größter Sorge um sie, Jasemba: den Erfahrenen vorgehen lassen Alter von 37 Jahren tödlich verunglückt. weil es schwierig geworden wäre, noch und von dessen Erfahrung profitieren. Ich Seine beiden Seilpartner Simon Kehrer zwei, drei Tage in einer Höhe von über glaube, es gab nie Probleme mit dieser und Walter Nones, 29 und 36 Jahre alt, ha- 6000 Metern zu überleben. anfänglichen Rollenverteilung, die sich ben mit großem Glück überlebt, weil sich SPIEGEL: Sie waren Karl Unterkirchers dann aber auflöste. der Nebel aufklarte, bevor die beiden völ- großes Vorbild, heißt es. SPIEGEL: Hat er noch Ihren Rat gesucht? lig entkräftet waren. Sie kannten vor allem Kammerlander: Voriges Jahr rief er mich Karl Unterkircher gut. War er nicht vor- vom Basislager des Gasherbrums, eines sichtig genug? Achttausenders, an, wo er dann als Erster Kammerlander: Nein, das kann es nicht ge- die Nordwand auf der chinesischen Seite wesen sein. Wir waren zweimal am nepa- schaffte. Wir sprachen 15 Minuten am Sa- lesischen Jasemba, 2005 und 2007, ein tellitentelefon, und er berichtete von sei- schwieriger Berg, einer der schwierigsten nem Plan, nach dem Aufstieg über die überhaupt. Erst beim zweiten Versuch ha- Nordroute zurückzukehren. Ich hielt das ben wir diesen wunderschönen, 7350 Me- für eine schlechte Idee, weil das eine Höl- ter hohen Schneeriesen geschafft. Da lernt lenwand ist. Ich riet ihm, den Gipfel zur man sich kennen. Karl hatte eine ideale pakistanischen Seite zu überschreiten. Er Einstellung. Er war mutig und vorsich- hat es dann auch so gemacht. tig zugleich, einer, der bei als zu groß emp- SPIEGEL: Alpinisten sprechen davon, dass es die Ära Reinhold Messners gab, der als * 2005 im Lager 1 am nepalesischen Jasemba in 6100 Me- HARTMANN SEEBER HARTMANN Erster alle 14 Achttausender ohne künst- ter Höhe. Das Gespräch führte Redakteur Carsten Holm in Sand in Alpinist Kammerlander lichen Sauerstoff bestieg, dann die Ära Taufers, Südtirol. „Unterkircher war ein Ausnahmebergsteiger“ Kammerlander mit 13 Achttausendern 106 der spiegel 31/2008 Ausland ohne künstliche Luft und etlichen Weltre- SPIEGEL: Gegen diese Risiken sind auch die zum Beispiel ist ein großer Gegenspieler korden. Nun hatte die Ära Unterkircher besten Bergsteiger nicht gefeit? des Erfolgs. Es kann auch gefährlich sein, begonnen. Kammerlander: Es macht nach Karls Tod wenn man unsicher wird. Kammerlander: Ja, er war der neue Stern keinen Sinn, diese unglaublichen Risiken SPIEGEL: Früher machten Sie den Eindruck, am Bergsteigerhimmel, ein Ausnahme- schönzureden. Mehr als 50 Prozent der als sei ein Toter im Eis für Sie eine Art Be- bergsteiger. Was er 2004 vollbracht hat, Top-Bergsteiger lassen ihr Leben in den triebsunfall. Heute wirken Sie sehr be- war unglaublich. Er war noch nie auf Bergen. Aber wir alle gehen da hoch und drückt, fast gelähmt. einem Achttausender, und dann geht er sind uns sicher, wieder zurückzukehren. Kammerlander: Es ist tatsächlich auf einmal erst auf den Mount Everest mit 8850 Me- Ich frage mich seit Karls Tod aber, ob die- alles anders. Ich habe nicht nur einen her- tern und danach den äußerst schwieri- ses Restrisiko nicht zu hoch ist. vorragenden Seilpartner, sondern einen gen K2, 8611 Meter hoch. Er hatte eine SPIEGEL: Vor Karl Unterkirchers Tod sind wirklichen Freund verloren. Ich mochte wahnsinnig gute Kondition, er war knapp Seltsamkeiten passiert. Er hat die Rakhiot- ihn sehr, und ich vermisse ihn sehr. Und er über 60 Kilo schwer, gut war trotz seiner Erfolge kein 1,70 Meter groß und toptrai- Prahlhans. Niemand, der die niert. Karl ist plötzlich in Erfolge anderer kleinreden die Weltspitze aufgestiegen, muss, um sich zu erhöhen. und er hatte noch Großes SPIEGEL: Etliche deutschspra- vor sich. chige Bergsteiger sind am SPIEGEL: Kehrer und Nones, Nanga Parbat umgekommen, die beiden Überlebenden, ha- vor 38 Jahren starb Reinhold ben vorigen Donnerstag ge- Messners Bruder Günther im schildert, dass Unterkircher Alter von 23 Jahren dort. Das vor ihren Augen im tiefen ist lange her. Aber Sie müs- Schnee etwa 15 Meter tief in sen jetzt nicht zum ersten eine Felsspalte gestürzt sei. Mal den Tod eines Freundes Er sei dabei mehrfach gegen beklagen. den Fels geschlagen, sie hät- Kammerlander: Ich habe etli- ten ihm nicht mehr helfen che Freunde verloren. Von können. Er war offenbar den engsten Vertrauten ist nicht gesichert. War das dort kaum noch jemand da. nicht möglich? SPIEGEL: Als Ihr Freund Luis Kammerlander: Ich kenne die Brugger 2006 in einer Höhe genauen Umstände nicht. von 6800 Metern beim Ab- Aber man kann sich nicht seilen am Jasemba abstürzte, überall sichern. An manchen waren Sie 50 Meter über ihm. Orten würde die ganze Seil- Es war eigentlich keine ge- schaft in den Abgrund geris- fährliche Situation. sen werden, wenn einer Kammerlander: Es war reine stürzt. Da, wo die drei Süd- Routinearbeit. Ich war über tiroler jetzt am Nanga Parbat einer Kante im Eis und sah waren, kann man sich in Luis nicht, er stieg vor mir der Eiswand mit Eisschrau- nach unten. Als ich dann ben sichern. Wo relativ loser über die Kante hinabsah, war Schnee liegt, ist das nicht er weg. Einfach weg. Wir hat- möglich, da hat man keinen ten die Wand beim Aufstieg Fixpunkt. Dann diese mords- an gefährlichen Stellen mit gefährlichen Gletscherspal- Fixseilen gesichert, und er ten, über denen mitunter hat die Sicherung, den Ka- eine dünne Schneeschicht rabinerhaken, von einem liegt, die festen Untergrund auf den nächsten Haken vortäuscht. Es ist ein unge- umgehängt. Dabei war er heures Risiko. Tritt man dar- zwei Sekunden ungesichert. auf, geht eine Falltür auf und In diesem Moment muss er man stürzt 10, 50 oder 150 / DER SPIEGEL HOLM CARSTEN mit einem Steigeisen aus- Meter in die Tiefe. Wer das Bergsteiger-Witwe Perathoner, Kinder*: Der Vater lebte seine Träume gerutscht und rund tausend überlebt, läuft Gefahr, von Meter tief gestürzt sein. Ein nachrutschendem Schnee begraben zu Wand in seinem Expeditionstagebuch als banaler Fehler. Ich habe nicht mal einen werden. „Teufelswand“ beschrieben und zum ers- Schrei gehört. SPIEGEL: Ist das nicht ein grauenvoller Tod? ten Mal in seinem Bergsteigerleben mehr SPIEGEL: Wie konnten Sie nach so einem Kammerlander: Das glaube ich nicht, aber Angst als Respekt vor dem Aufstieg Schock noch allein absteigen? das bietet wenig Trost. Wenn man von geäußert. Haben Sie dafür eine Erklärung? Kammerlander: In so einer extremen Situa- Schnee begraben ist, geht es ganz schnell. Kammerlander: Nein. Ich habe Karl nie so tion ist kein Platz für Gedanken an den Man ist im Schockzustand, der Puls geht erlebt. Deswegen kann ich das nicht kom- Unfall. Es geht nur ums eigene Überleben. hoch, im Dauerstress kann man nicht lan- mentieren. Losgelöst von Karl ist es aber Furchtbar ist es dann im Basislager, wenn ge leben, ohne zu atmen, und dann ist es in richtig, dass Angst den Kopf negativ pro- man zum Satellitentelefon greift, es wieder weniger als einer Minute vorbei. So ein grammiert. Zu starkes Sicherheitsdenken weglegt und schließlich den Angehörigen Tod ist für die Angehörigen und die Freun- sagt: Er kommt nie mehr zurück. Das ist de entsetzlich, aber es ist kein langsamer, * Miriam, Alex und Marco, vor dem Langkofel in Wolken- das Schrecklichste. quälender Tod. stein am 23. Juli. SPIEGEL: Wie oft war es für Sie selbst knapp? der spiegel 31/2008 107 Ausland Kammerlander: Mehr als zehnmal. Am Ort- renbürger seiner Heimatgemeinde Wol- nicht deutlich, dass Liebe bedeutet, den ler bin ich um Haaresbreite einer Lawine kenstein im Grödnertal wurde, das hat ihn anderen anzunehmen, wie er ist, und ihn entgangen, weil ich drei, vier Sekunden wirklich gefreut. sich nicht so hinzubiegen, wie man ihn vor einem Bergführerkollegen ging, der SPIEGEL: Karl Unterkircher hinterlässt seine haben möchte? Silke Perathoner ist eine dann in der Lawine umkam. Am Nuptse, Lebensgefährtin Silke Perathoner, eine 35 sehr starke Frau, sie verstand Karl viel- gegenüber vom Mount Everest, wollten Jahre alte Frau mit drei Kindern, die sechs, leicht auch, weil sie Bergsteigerin war und wir zu zweit ein Zelt aufbauen, stiegen drei und eineinhalb Jahre alt sind. Dem ihn in einem Klettergarten kennenlernte. dann aber doch noch ins Basislager ab. SPIEGEL sagte sie, dass sie ihren Mann Karl hat bei unseren Expeditionen von sei- Am nächsten Morgen gab es den Platz nie wegen seines risikoreichen Lebens ver- ner Familie gesprochen, und ich habe ge- nicht mehr, den wir ausgesucht hatten. urteilt, sondern ihn auch wegen seines spürt, wie wichtig sie ihm war. Und es war Er war bei einem Gletscherbruch ver- Muts geliebt habe, seine Träume zu leben. trotz der zwölf Jahre, die sie gemeinsam schwunden. Manuela Nones, die Ehefrau des Überle- verbracht haben, eine stabile, intakte Be- SPIEGEL: Man kann Ihren Wa- ziehung. So oft gibt es das gemut bewundern. Aber ist nicht. das in Wahrheit nicht ein SPIEGEL: Und dennoch: Ris- Wahnsinn, was Sie und die kieren diese Väter nicht anderen Extrembergsteiger das Glück und Wohl ihrer treiben angesichts Hunderter Familie? Kletterer, die allein im Hima- Kammerlander: Das ist zu kurz laja starben? gedacht. Sie ernähren ihre Kammerlander: Ich verstehe Familie ja auch mit dem die Leute, die uns für Spinner Bergsteigen. Ein guter Berg- oder ganz und gar Verrückte führer verdient in der Saison, halten. Ich habe nicht viel zu die vier Monate dauert, meiner Verteidigung vorzu- 50000 Euro, das ist immerhin bringen.